ATMOSPHÄRE ATMOSPHÄRE ATMOSPHÄRE als partizipative Entwurfsstrategie als partizipative als partizipative Entwurfsstrategie Entwurfsstrategie vorgelegt vorgelegt von von vorgelegt von Dipl.-Ing.Dipl.-Ing. Dipl. (RiBa Part II) Prof. AA Prof. AA Dipl.-Ing. Prof. AA Dipl. (RiBa Part II) Dipl. (RiBa Part II) Susanne Hofmann Hofmann Susanne Susanne Hofmann von der Planen VI PlanenVI Planen Bauen Umwelt von der Fakultät Bauen Umwelt von der Fakultät VI - FakultätBauen Umwelt der Universität Universität Berlin der Technischen Universität Berlin der Technischen TechnischenBerlin zur ErlangungErlangung des zur des akademischen Grades zur Erlangung des akademischen Grades akademischen Grades Doktor der Ingenieurwissenschaften Doktor der Ingenieurwissenschaften Doktor der Ingenieurwissenschaften -Dr.-Ing.- -Dr.-Ing.- -Dr.-Ing.eingereichte eingereichte Dissertation genehmigte Dissertation Dissertation Promotionsausschuss: Vorsitzender: Gutachterin: Gutachter: Prof. Loidl-Reisch Prof. Uttke Prof. Schäfer Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 21. September 2012 Berlin 2013 D 83 Berlin 2012 Berlin 2012 Zur Zitierweise: Befindet sich eine Quellenangabe am Ende eines Abschnitts hinter dem abschließenden Satzzeichen, so bezieht sich die Quellenangabe auf den gesamten vorangegangenen Textabsatz. Befindet sich die Quellenangabe vor dem abschließenden Satzzeichen, so bezieht sich die Quellenangabe nur auf den vorangegangenen Satz beziehungsweise die vorangegangene Aussage. Zur graphischen Darstellung von Lageplänen und Karten: Soweit nicht anderes gekennzeichnet sind alle Lagepläne und Karten genordet.  Zur femininen und maskulinen Schreibweise: Da die deutsche Sprache keine adäquate Möglichkeit für die gleichberechtigte Darstellung sowohl der maskulinen als auch der femininen Form bietet, wird in dieser Arbeit aufgrund der besseren Lesbarkeit überwiegend die maskuline Form verwendet. Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie 1 Einleitung 12 1.1 Thema und Problematik 12 1.2 Fragestellung 13 1.3 Stand der Forschung / Forschungsbedarf 14 1.4 Methodik 15 1.5 Aufbau der Arbeit 17 2 Atmosphäre und Raum 22 2.1 Generelle Bedeutung des Begriffes Atmosphäre 2.1.1 Klärung des Begriffs „Atmosphäre“ 2.1.2 Positionen zur Wahrnehmung des Raums über seine Atmosphäre, durch Körper oder Leib 22 2.2 Räumliche Konzeption mit Hilfe von Atmosphären 26 2.3 Die bewusste Produktion von Atmosphären 2.3.1 Die Konzeption beziehungsweise Konstruktion von Atmosphären in der Alltagsarchitektur 28 22 25 29 2.3.2 Postulate ephemerer Raumqualitäten 31 2.3.3 Atmosphärische Raumwirkung und deren Kommunikation bei Olafur Eliasson 33 2.4 Architektur und Atmosphäre bei Gernot Böhme 2.4.1 Atmosphäre - die leibliche Erfahrung des Raums 35 36 2.4.2 Das menschliche Maß der Architektur 37 2.4.3 Parameter der Raumkonstitution 38 2.4.4 Objektive und subjektive Wahrnehmung von Atmosphären 38 2.4.5 Kommunikation über Atmosphären 40 2.4.6 Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik 40 2.4.7 Vermittlung der Sensibilität zur Wahrnehmung von Atmosphären 41 2.5 Fazit: Atmosphäre und Raum 1.1 3. Entwerfen als Erkenntnisprozess 3.1 Rationales, um Objektivität bemühtes Entwerfen 3.1.1 Architektur als errechenbare Form 3.1.2 Design Methods Movement 3.2 Über die Relevanz der subjektiven Erfahrung des Entwerfers 3.2.1 Wahrnehmung und Einbildungskraft 3.2.2 Intuition und Ratio in der Entwurfspraxis 3.2.2.1 Emotion als Erkenntnisquelle - über die Ergänzung von logisch-analytischem und intuitiv-gestalterischem Denken 3.2.2.2 Zusammenspiel von Intuition und Ratio in der Entwurfspraxis 3.2.3 Entwicklung vom linearen zum komplexen Wissen in Forschung und Entwurfspraxis 3.2.3.1 Das Entdecken von komplexem Wissen durch die Reflexivität des Kontextes 3.2.3.2 Entwerfen als eigenständige Erkenntnisform 42 46 46 47 50 53 53 54 54 56 57 57 59 3.3 Entwurf als Dialog 3.3.1 Entwurfsprozesse als Erzeugung und Einschränkung von Varietät 3.3.2 Reflexive Entwurfspraxis als Selbstreflexion und im Dialog mit dem Nutzer 60 3.4 Integration des mit Nutzerbegierden angereicherten Wissens 3.4.1 Platz der „Leute“ in unserem Wissen: Gesellschaftlich robustes Wissen 3.4.2 Die Agora: Wissen muss verhandelt werden, Dialog mit der Gesellschaft 63 3.5 Fazit: Entwerfen als Erkenntnisprozess 68 60 61 63 66 4. Die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt 74 4.1 Die gestörte Kommunikation zwischen Architekten und Laien 4.1.1 Laienwahrnehmung von Architektur, empirische Untersuchungen 74 76 4.1.2 Verständigungsinstrumente aus der direkten Raumerfahrung im Dialog der Laien mit Architekten 78 4.2 Das Laienverständnis von Architektur 4.2.1 Die Laienperspektive der Architektur 4.2.1.1 Das Erleben von Architektur und Raum, Formen und Farben 4.2.1.2 Raumaneignung durch Umweltkontrolle der Nutzer 79 79 80 83 4.2.2 Das Nutzerwissen über den Raum 4.2.2.1 Das Erfahrungswissen und das praktische Wissen der Nutzer 4.2.2.2 Das Erfahrungswissen von Nutzern in der Raumgestaltung 85 4.3 Kommunikationsinstrumente von Architekten 4.3.1 Skizze, Zeichnung und Modell als Entwurfs- und Kommunikationsinstrument? 88 85 86 88 4.3.2 Erfahrungen von Architekten mit Zeichnungen als Kommunikationsinstrument 90 4.3.3 Kommunikation über populäre Medien 92 4.4 Die Architekturvermittlungsansätze und Kommunikationsoffensiven von Architekten 93 4.4.1 Öffentlichkeitsarbeit für Architekten 93 4.4.2 Architekturvermittlung als Studienfach 94 4.4.3 Architekturvermittlung durch Berufsorganisationen und Architektenverbände 95 4.4.4 Initiativen zur Förderung der Baukultur 96 4.4.5 Kommunikationsoffensiven unabhängiger Architekten 96 4.5 Kommunikation durch Interaktion 4.5.1 Planspiele 4.5.2 Computer generiertes Entwerfen nach Nutzerwünschen 4.6 Fazit: Die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt 97 98 99 101 5. Der partizipationsoffene Entwurf 106 5.1 Kategorien der Partizipation 108 5.2 Systematisiertes Planen als partizipatives Entwurfsmodell 109 5.2.1 Transparenz durch Systematisierung des Entwurfsprozesses 5.2.2 Systematisierte Architekturanleitung für das Selbstbauen von Laien 112 5.2.3 Bausysteme partizipativen Entwerfens und Bauens 118 Systematisiertes Bauen als partizipatives Modell 121 5.3.1 Partizipatives Bauen durch soziale Interaktion 121 5.3.2 Der partizipative Entwurf und die Baufamilie 5.3.2.1 Partizipative Konstruktion 5.3.2.2 Planen und Bauen in der „Baufamilie“ 5.3.2.3 Architektonische Ästhetik, die Kreativität und der Stolz der Leute 5.3 109 125 5.4 Partizipation durch Interaktion 125 127 129 130 5.4.1 Partizipation im Dialog der Expertisen 130 5.4.2 Partizipation als Bricolage der Expertisen 134 5.4.3 Transformative Partizipation der Expertisen 138 5.5 Qualifikation des Partizipationsprozesses 146 5.6 Fazit: Der partizipationsoffene Entwurf 147 6. Fazit Theorie und Thesen Empirie 154 7. Atmosphären als partizipative Entwurfsstrategie in der Praxis 158 7.1 Atmosphären wahrnehmen, analysieren und entwerfen 160 7.1.1 Das Sensibilisieren für die Wahrnehmung von atmosphärischen Raumqualitäten und das Protokollieren von atmosphärischen Raumqualitäten 7.1.1.1 Das Protokollieren von atmosphärischen Raumqualitäten 7.1.1.2 Visualisieren von atmosphärischen Raumqualitäten in Fotopaneelen 7.1.1.3 Visualisieren von atmosphärischen Raumqualitäten in einer Kartierung oder einer Mappierung 7.1.1.4 Fazit 160 160 165 169 172 7.1.2 Entwerfen von Atmosphären 7.1.2.1 Atmosphärische Modelle als Entwurfswerkzeuge 7.1.2.2 Atmosphärische Collage als Entwurfswerkzeug 7.1.2.3 Atmosphärische Inszenierung an einem zu beplanenden Raum 7.1.2.4 Atmosphärischer Erfahrungsraum 172 7.1.3 Atmosphäre zwischen Architekten und Laien kommunizieren 7.1.3.1 1. Übung: Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten durch die Mehrheitsabstimmung unter den Teilnehmern des Seminars 7.1.3.2 2. Übung: Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten über ein semantisches Differenzial 7.1.3.3 3. Übung: Sortieren von fotografischen Darstellungen unterschiedlicher Räume mit gleicher oder ähnlicher Nutzung nach atmosphärischen Ähnlichkeiten durch Laien und Architekten 181 7.1.4 Fazit: Atmosphären wahrnehmen, analysieren und entwerfen 191 7.2 Interaktives Entwerfen mit Atmosphären 173 173 175 177 182 183 187 192 7.2.1 Nutzervorstellungen und Wunschwelten 193 7.2.2 Initialworkshops als Fallstudien 7.2.2.1 Workshoptyp 1 (zwei- oder dreidimensionales Collagieren) 7.2.2.2 Workshoptyp 2 (Vermittlung durch pädagogisches Personal) 7.2.2.3 Workshoptyp 3 (kompakter Zeitablauf, Arbeit mit Jugendlichen) 7.2.2.4 Workshoptyp 4 (Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe) 7.2.2.5 Fazit aller Workshoptypen 195 196 204 211 220 232 7.2.3 Der Entwurf atmosphärisch-räumlicher Strukturen als Entsprechung der Nutzerwünsche 233 7.2.4 Entwurfswerkzeuge in Rückkopplung mit dem Nutzer 7.2.4.1 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 1 7.2.4.2 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 2 7.2.4.3 Fazit Rückkopplungsworkshoptyp 1 und 2 7.2.4.4 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 3 7.2.4.5 Fazit Rückkopplungsworkshoptyp 3 7.2.4.6 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 4 7.2.4.7 Fazit aller Rückkopplungsprozesse 235 7.2.5 Erzählungen als architektonische Konzepte 7.2.5.1 Fiktion Erika-Mann-Grundschule: „Die Silberdrachenwelten“ 7.2.5.2 Carl-Bolle-Grundschule: „Der Spion im schimmernden Deckmantel“ 7.2.5.3 Kita Taka-Tuka-Land: „Sieben Stationen im Limonadenfluss“ 278 7.2.6 Fazit: Form follows fiction 289 7.3 Das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität 7.3.1 Alltagsprotokolle der Nutzung 7.3.1.1 Das Erfassen von Tagesabläufen und Ritualen 7.3.1.2 Wohnen in der Nutzerwelt 7.3.1.3 Gemeinsamer Museumsbesuch mit Grundschulkindern 7.3.1.4 Gemeinsame Stadtspaziergänge mit Jugendlichen 7.3.1.5 Fazit Alltagsprotokolle 7.3.2 Das Zusammenfügen von Nutzerwünschen und baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen 7.3.2.1 Potenzielle Synergieeffekte aus Nutzerwünschen und den baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen 7.3.2.2 Die Verhandlung von Nutzerwünschen und den baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen 7.3.2.3 Bau der Fiktion 7.3.3 Fazit: Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität 235 251 260 261 268 268 277 281 283 286 290 291 291 293 294 296 303 303 304 306 310 315 7.4 Feedback und Evaluation der verwirklichten Welt 315 7.5 Fazit: Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie in der Praxis 321 8 Schlussfolgerungen und Ausblick 325 8.1 Gesamtfazit: Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie 326 8.2 Ausblick 327 8.2.1 Perspektivische Entwicklung für die Forschung 327 8.2.2 8.2.3 Perspektivische Entwicklung für die Lehre Ausblick für die Berufspraxis von Architekten 328 330 9 Steckbriefe 335 10 Nachweise 402 1 Einleitung 1 1 Einleitung 1.1 Thema und Problematik Wenn man davon ausgeht, dass sich die Qualität der Architektur an ihrer nachhaltigen Nutzbarkeit und dem Grad der Identifikation des Nutzers mit dem benutzen Gebäude bemisst, muss seiner Teilhabe am architektonischen Entwurfsprozess ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Das Wissen des Nutzers über den Gebrauch und das Erleben von Räumen ist für Architekten eine grundlegende Erkenntnis im architektonischen Entwurfsprozess, der deshalb auf einer tragfähigen Kommunikation zwischen Architekt und Nutzer aufbauen sollte. Denkt man die Architektur vom Raum her, kommt man um eine Auseinandersetzung mit Raumatmosphären nicht herum. Folgt man der Definition des Philosophen Gernot Böhmes, nach der Atmosphäre die gespürte Anwesenheit im Raum ist, und geht man weiter mit ihm davon aus, dass das Schaffen von Atmosphären ein Wesenszug der Architektur als einer zur täglichen Nutzung bestimmten Kunst ist (Böhme, 2006, S. 15ff.), so geht eine auf die Raumatmosphäre bezogene Entwurfsweise stark vom Gebrauch der Architektur und von der Subjektivität seiner Nutzer aus. Geht man weiter mit Böhme dem Gedanken nach, dass Atmosphären kommunikationsfähig und kommunikationsaktiv sind (Böhme, 2006, S. 32ff.), so kann diese Kommunikation ein Entwurfsmittel sein, das den Nutzer mit seiner emotionalen Befindlichkeit in den Entwurf und in die dadurch zu schaffende Architektur einbindet und er in der Folge einen hohen Identifikationsgrad mit ihr verbindet. Die Teilhabe von Architekturlaien an der Gestaltung ihrer gebauten Umwelt wird in der aktuellen deutschen Diskussion sehr auf die Frage der Bürgerbeteiligung am Prozess der Stadterneuerung und Stadtentwicklung reduziert (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2011 passim). Es werden dabei Themen der direkten oder repräsentativen Demokratie diskutiert oder Formen der öffentlichen Erörterung von Planungsprozessen behandelt (ebenda). Die Teilhabe an der architektonischen Gestaltung der direkten Lebensumwelt bleibt aber ausgeblendet. Hier wird in der aktuellen Debatte eher die Übernahme von Gestaltungsentscheidungen durch Architekturlaien diskutiert und auch durchgesetzt, als eine Teilhabe von Laien am architektonischen Entwurf. Architekten beteiligen sich aber kaum an den Debatten, ziehen sich mit ihrer gestalterischen Kompetenz daraus zurück und beschränken sich auf die Moderation oder Organisation von baulichen Prozessen und damit verbundenen Entscheidungen. Die Gestaltung der direkten baulichen Umgebung der Menschen gilt in der derzeitigen Stadtplanung als Feld nachrangiger ästhetischer Entscheidungen, die zwischen 12 Kapitel 1.1 Architekten und Bauherren respektive Nutzer verhandelt werden. Als konkretere Nutzerpartizipation im Bereich der Architektur gelten Baugruppenprojekte (Winter, 2004, S. 187ff.), in denen vor allem der private Wohnbereich und die Fassadenverkleidung, bestenfalls noch die Aufteilung der Wohnungen verhandelt werden können. Eine Ausweitung der Diskussion auf das Feld des Wohnungsbaus und dessen konkrete Gestaltung im Allgemeinen sowie auf andere Baubereiche ist, wenn überhaupt, nur in Ansätzen zu registrieren, wie dies beim Bau von Schulen der Fall ist. Insgesamt speist sich die Debatte aus den schon in den 1960er bis 1980er Jahren vertretenen Positionen, die sich vor allem auf das Rollenverständnis des Architekten im Entwurfsprozess und auf die Möglichkeiten systematisierter Entwurfsentscheidungen und Bauweisen bezogen. Die Architekten zogen sich bereits hier aus dem konkreten Entwurfsprozess zurück und verlegten sich auf die Rolle eines Moderators oder Anleiters zum praktischen Bauen. (Blundell Jones, 2005, S. 127ff.) Die systematisierten Planungs- und Bauweisen hatten zudem den Vorteil, komplexe Bauentscheidungen quasi vorab im System zu entscheiden. Diese Verfahren führten eher zu einer Überforderung der Laien, als dass sie ihnen helfen konnten, ihre Architekturvorstellungen und Wünsche zu realisieren. (Cross, 171, S. 11ff.) Die damals verfolgten Ansätze erhalten durch die neuerlichen, allgemein über Partizipation am Planungsprozess geführten Debatten wieder Aktualität (Fezer/Heyden, 2004 passim). Anlass der Arbeit war es daher, aus den oben angeführten Überlegungen heraus eine neue Form der Nutzerpartizipation am architektonischen Entwurf zu konzipieren, zu praktizieren und begleitend wissenschaftlich zu reflektieren, in die sich der Architekt aktiv mit seiner Kompetenz der Formfindung einbringt. Ziel der Arbeit ist es, Handlungsempfehlungen für die Praxis der Architekturplanung und der Architekturausbildung zu erarbeiten. 1.2 Fragestellung Im Einzelnen behandelt die Arbeit die folgenden Fragestellungen: Wie lässt sich eine Architektur entwerfen und bauen, die den von Vitruv postulierten Anforderungen an die Konstruktion, die Schönheit und die Nützlichkeit gerecht wird, wenn letztere nicht nur durch die Ansprüche an eine hohe Funktionalität bestimmt wird, sondern auch durch die Erwartungen an eine hohe atmosphärische Qualität, die ihren Gebrauch unterstützt und die ihrem Nutzer darüber hinaus die Möglichkeit gibt, sich selbst mit ihr zu identifizieren? Wie können Nutzerwünsche an den Gebrauch ihrer zukünftigen Bauten und ihre atmosphä- Kapitel 1.2 13 rischen Vorstellungen der Architektur in den Entwurfsprozess eingebracht und bauliche Realität werden? Wie ist der architektonische Entwurfsprozess konzipiert und wie lassen sich die aus der Nutzerpartizipation gewonnenen Erkenntnisse darin Gewinn bringend integrieren? Welche Rolle spielen die Wahrnehmung von Atmosphären und die Kommunikation über Atmosphären in einem partizipativen Entwurfsprozess? Wie muss die Kommunikation zwischen Nutzern und Bauherren sowie Architekten gestaltet sein, damit dieser Prozess fruchtbar verläuft? Wie kann diese Kommunikation für den architektonischen Entwurf qualitativ nutzbar gestaltet werden? Wie muss der Entwurf kommuniziert werden, damit Architekturlaien daran auf Augenhöhe partizipieren können? Wie kann der Entwurf dann ohne substanzielle Abstriche auch mit ungünstigen Vorgaben, wie geringen Baubudgets, engen baurechtlichen Vorgaben oder strikten Normen und Vorschriften realisiert werden? 1.3 Stand der Forschung / Forschungsbedarf Den angestellten Untersuchungen und vorgelegten Arbeiten zu den Themenbereichen Atmosphäre und Architektur, zum Wesen des architektonischen Entwurfs, zur Kommunikation zwischen Architekten und Architekturlaien sowie zur Nutzerpartizipation im Entwurfs-, Planungs- und Bauprozess bin ich im Rahmen dieser Dissertation durch ein intensives Literaturstudium und in Gesprächen mit Autoren einschlägiger wissenschaftlicher Schriften nachgegangen: Der Philosoph Gernot Böhme hat grundlegende Untersuchungen und Überlegungen zu der Rolle von räumlichen Atmosphären in unserem alltäglichen Leben und für die Erfahrung von Architektur und deren Planung angestellt und veröffentlicht. In einem Interview mit Gernot Böhme konnten einige Aspekte vertieft behandelt werden. Atmosphären bewusst in ihren Entwurf einbezogen, haben unter anderem die Architekten Peter Zumthor und Philippe Rahm, deren unterschiedliche Ansätze im Umgang mit Atmosphären im architektonischen Entwurf exemplarisch betrachtet werden. Zur Betrachtung der Wesenszüge des architektonischen Entwurfs bin ich vor allem den ent14 Kapitel 1.3 wurfstheoretischen Untersuchungen der als Architekten beziehungsweise Landschaftsarchitekten Ausgebildeten, Kari Jormakka, Christian Gänshirt und Martin Prominski nachgegangen und habe diese Betrachtungen, teilweise den Hinweisen der Autoren folgend bis in den Bereich der Hirnforschung, der Psychologie (Riklef Rambow, Rainer Bromme) sowie der Soziologie (Helga Nowotny) hinein verfolgt und auch entsprechende Äußerungen praktizierender Architekten in der Literatur nachvollzogen. Für den britischen und dem nordamerikanischen Architekturdiskurs waren vor allem die Schriften der Vertreter des Design Methods Movement bezüglich des um Objektivität bemühten Entwerfens weiterführend. Die Kommunikation zwischen Architekten und Architekturlaien haben vor allem Psychologen, wie Rainer Bromme, Riklef Rambow, Anette Sommer, Christian Rittelmeyer und Rotraut Walden untersucht. Aber auch Soziologen (Achim Hahn) und Pädagogen (Daniela Rätzel) haben den Einfluss der Sicht und der Erfahrung von Nichtarchitekten auf die Architektur untersucht und Vorschläge für eine bessere Kommunikation mit Architekten gemacht. Von Seiten der Architekten wird ein besonderer Wert auf die Vermittlung architektonischer Ideen an Laien gelegt. Hier war es wesentlich zu untersuchen, wie und ob diese Bemühungen zusammengehen und welche Schlussfolgerungen für die alltägliche Kommunikation im architektonischen Entwurfsprozess daraus zu ziehen sind. Diese Betrachtungen beziehen sich auf die Untersuchung von Theorien, Konzepten und Praktiken der Partizipation im architektonischen Entwurf, in der Planung und beim Bau von Häusern. In einem Gespräch mit dem Architekten Lucien Kroll konnten einige Aspekte vertiefend erörtert werden. Die Entwicklung von Theorien, Konzepten und Praktiken wird bis in die heutige Zeit in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und in den USA verfolgt und in ihrer Relevanz für die Fragestellung bewertet und eingeordnet (Fezer/Heyden, 2004 passim; Blundell Jones, et al, 2005 passim). Ein Gespräch mit Daisy Froud von der Gruppe AOC und das Protokoll ihrer Vorlesung an der TU Berlin konnten näheren Aufschluss über ihre partizipative Arbeit und einen Einblick in die aktuelle britische Debatte geben. Auffällig am Literaturstudium der obigen Themen ist, dass die aufgeführten Themenbereiche einzeln, aber nicht im Zusammenhang debattiert werden. Es gilt hier also, Querbezüge herzustellen und diese in Übungen sowie in Fallstudien empirisch zu untersuchen. 1.4 Methodik Die theoretische Auseinandersetzung mit den Themen Atmosphäre, Entwurf, Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt sowie die Nutzerpartizipation am architektonischen EntKapitel 1.4 15 wurf hat Fragen aufgeworfen, die ich empirisch in von mir konzipierten, durchgeführten und nachbereiteten Seminarübungen sowie Studienprojekten an der TU Berlin untersucht habe oder die sich in der Betrachtung meiner baulichen Praxis beantworten. In entwurfstheoretischen Seminaren an der TU Berlin konnte an fiktiven Projekten und in Einzelaspekten empirisch untersucht werden, wie atmosphärische Raumqualitäten wahrgenommen, analysiert, erfasst, dokumentiert und kommuniziert werden. Am Anfang stand dabei die Frage, wie die Wahrnehmung, die Analyse und die Kommunikation von Atmosphären sowie der Entwurf und das Schaffen von Atmosphären in die Lehre eingebracht und in Übungen für die Forschung reflektiert werden. Im Studienreformprojekt Die Baupiloten und im Rahmen unserer Arbeit im Architekturbüro Susanne Hofmann Architekten BDA konnte unter Praxisbedingungen der Frage nachgegangen werden: Welche Rolle nehmen Atmosphären in der Kommunikation unter den Entwerfenden sowie mit den zukünftigen Nutzern ein? 1 Die Verzahnung von Lehre und beruflicher Praxis im Studienreformprojekt Die Baupiloten ermöglichte an den dort bearbeiteten konkreten Bauaufgaben die explorative Untersuchung spezieller Fragen partizipativer Entwurfs- und Baupraxis. Die aussagekräftigsten Projekte der Baupiloten und meiner eigenen architektonischen Praxis sowie die Lehrveranstaltungen, aus denen ich einen Erkenntnisgewinn ziehen konnte, wurden als Fallstudien Teil der vorliegenden Dissertation. Darin habe ich vier verschiedene Typen der Partizipation unterschieden, nach dem Alter der Nutzergruppen, aber auch danach, wie die Nutzer angesprochen werden konnten, das heißt, ob eine direkte Ansprache und Arbeit mit den Nutzern möglich war oder ob es sich dabei um eine anonyme Gruppe oder um eine mit hoher Fluktuation handelte. Dabei wurde immer wieder auch die Rolle des Architekten in diesem Prozess reflektiert und der Frage nachgegangen, wie die Kernkompetenz des Berufes, die der Raumbildung und ihrer technischen Realisierung, nicht nur informativ, sondern auch interaktiv in den Entwurfsprozess eingebracht werden können. Die universitäre Umgebung, in der die Übungen und Projekte durchgeführt wurden, ermöglichte es, die konkrete Ausübung des Architektenberufes experimentell und wissenschaftlich reflexiv zu erweitern und gleichzeitig daraus wiederum Rückschlüsse für die Praxis zu ziehen. Die Einbindung der Studierenden ermöglichte ihnen einen Einblick in ihre spätere Arbeitswelt und deren Wandel im Rahmen gesellschaftlicher Anforderungen. Dies wiederum eröffnet neue Ansätze für die Architekturlehre. 1 16 Die Baupiloten sind eine Gruppe von Architekten, Studierende und Lehrende, die in einer Kooperation zwischen mir als freier Architektin und der TU Berlin Bauprojekte realisieren. Die Studierenden erleben das Studium im konkreten Praxisbezug und erlernen alle Bauphasen. Kapitel 1.4 1.5 Aufbau der Arbeit 1.5 Aufbau der Arbeit ATMOSPHÄRE UND RAUM ENTWURFSPROZESS KOMMUNIKATION ZW. NUTZERN + ARCHITEKTEN PARTIZIPATION THESEN T H E O R I E Fragestellung PROPÄDEUTIK - ATMOSPHÄRE ALS PARTIZIPATIVE ENTWURFSSTRATEGIE ÜBUNGEN OHNE KONKRETE BAUVORHABEN WORKSHOPTYP 1 WORKSHOPTYP 2 WORKSHOPTYP 3 WORKSHOPTYP 4 E M P I R I E FALLBEISPIELE - ATMOSPHÄRE ALS PARTIZIPATIVE ENTWURFSSTRATEGIE SPANNUNGSFELD ZWISCHEN FIKTION UND REALITÄT E E rg g ee b nn i is s r b FAZIT AUSBLICK PERSPEKTIVEN FÜR DIE FORSCHUNG PERSPEKTIVEN FÜR DIE LEHRE PERSPEKTIVEN FÜR DIE BERUFSPRAXIS Abb 1.5 Das Diagramm zeigt den Aufbau der Arbeit in einen theoretischen und empirischen Teil Abb 1.5 Das Diagramm zeigt den Aufbau der Arbeit in einen theoretischen und empirischen Teil Die Arbeit widmet sich in ihrem ersten Teil der Literaturanalyse und der Auswertung von Die Arbeit widmet sich in ihrem ersten Teil der Literaturanalyse und der Auswertung von primären und sekundären Quellen. Insbesondere beschäftigt sich das Kapitel 2 mit Atmoprimären und sekundären Quellen. Insbesondere beschäftigt sich das Kapitel 2 mit Atmosphäre und Raum. Kapitel 3 ist dem Themenkomplex des Entwurfs und seinen Wesenszüsphäre und Raum. Kapitel 3 ist dem Themenkomplex des Entwurfs und seinen Wesenszügen gewidmet. Es werden hier Positionen der Entwurfstheorie diskutiert, die sich von der gen gewidmet. Es werden hier Positionen der Entwurfstheorie diskutiert, die sich von der Betrachtung des Entwurfs, als allein rational erfassbarer und optimierbarer Prozess, bis hin Betrachtung des Entwurfs, als allein rational erfassbarer und optimierbarer Prozess, bis hin zu der Auffassung des Entwerfens, als offener und intuitiver sowie sozialer, interaktiver und zu der Auffassung des Entwerfens, als offener und intuitiver sowie sozialer, interaktiver und kommunikativer Prozess, erstrecken. Das Kapitel 4 behandelt die Problematik der Komkommunikativer Prozess, erstrecken. Das Kapitel 4 behandelt die Problematik der Kommunikation zwischen Nutzern und Architekten sowie die dafür adäquaten Werkzeuge und munikation zwischen Nutzern und Architekten sowie die dafür adäquaten Werkzeuge und Methoden, zu denen auch die Kommunikation über und durch Atmosphären gezählt wird. Methoden, zu denen auch die Kommunikation über und durch Atmosphären gezählt wird. Kapitel 5 beschäftigt sich mit partizipationsoffenen Entwurfstheorien und EntwurfsmethoKapitel 5 beschäftigt sich mit partizipationsoffenen Entwurfstheorien und Entwurfsmethoden sowie der Rolle, die dem Architekten darin zugewiesen wird. Die aus der theoretischen den sowie der Rolle, die dem Architekten darin zugewiesen wird. Die aus der theoretischen Auseinandersetzung gewonnenen Erkenntnisse, die gezogenen Schlussfolgerungen und die Kapitel 1.5 Kapitel 1.5 17 17 daraus abgeleiteten Thesen sind im Kapitel 6 zu finden. Kapitel 7 widmet sich dann ausführlich den empirischen Erkenntnissen aus den Fallstudien und reflektiert die in Kapitel 6 gezogenen Schlussfolgerungen und Thesen. Der 1. Abschnitt von Kapitel 7 zeigt die Ergebnisse der seminaristischen Erprobung von Wahrnehmung, Analyse, Erfassung, Dokumentation und Kommunikation der Atmosphären sowie deren Konstruktion und Bedeutung im architektonischen Entwurf. Der 2. Abschnitt behandelt die kommunikative Bedeutung von Atmosphären für den partizipativen Entwurf unter realen Bedingungen im Rahmen von konkreten Baumaßnahmen. Der 3. Abschnitt beschäftigt sich mit der Umsetzung, einer gemeinsam mit den Nutzern entwickelten, Fiktion in gebaute Realität. Der 4. Abschnitt hat dann die faktische Realität der entworfenen Alltagswelt zum Thema und erörtert das von den Nutzern gegebene Feedback zur Nutzung der entstandenen Architektur. 18 Kapitel 1.5 Atmosphäre und Raum 2 2 2 Atmosphäre und Raum Wenn man davon ausgeht, dass Architektur eine Rahmensetzung für das Leben der Menschen ist, dann können Räume nicht allein das Produkt von Gebäudetragwerk und Gebäudehülle sein. Vielmehr sollten die Möglichkeiten ihrer Benutzung und ihre Wirkung auf den Menschen Ausgangspunkt ihrer Konzeption sein. Wie also muss Architektur beschaffen sein, in deren Atmosphäre sich die Menschen, die sie benutzen, wohlfühlen und die sie zur intensiven Nutzung der Räume anregt? Kann eine solche Raumatmosphäre geschaffen, wenn ja, wie konzipiert und schließlich konstruiert werden? Die Atmosphäre ist nicht nur die Gashülle unseres Planeten, sie ist auch der direkte Kontakt zu unserer Umwelt. Analog zum Wetter spüren wir die Ausstrahlung eines Ortes, eines Raumes oder einer Architektur, und wie das Wetter kann auch ein Gebäude auf objektivierbare Parameter zurückgeführt werden: Die Weite oder Enge eines Raumes, die Beschaffenheit seiner Wände, der Decke und des Fußbodens und der Dinge, die sich im Raum befinden, die haptische und optische Qualität, insbesondere die Farbe ihrer Oberflächen, die Intensität des einfallenden Lichtes, die künstliche Beleuchtung, die Akustik der Räume, also ihr Klang, die Ausblicke aus den Fenstern, die Art, wie das Gebäude in seine Umgebung eingebunden ist, all dies sind Parameter, die die Raumatmosphäre und deren Qualität beeinflussen. Es geht bei der atmosphärischen Wirkung der Architektur vor allem um deren sinnliche Erfahrung. Diese Erfahrung ist in erster Linie eine persönliche und damit subjektiv. Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob es objektivierbare Größen dieser Erfahrung gibt, die bei einem architektonischen Entwurf berücksichtigt werden können, oder ob sich aus der Summe subjektiver Erfahrungen von Mitgliedern einer bestimmten Gruppe, beispielsweise der Architekturnutzer, Entwurfsparameter entwickeln lassen. 2.1 Generelle Bedeutung des Begriffes Atmosphäre Mit dem Thema der Raumatmosphäre hat sich vor allem die phänomenologische Philosophie beschäftigt, auf deren Diskurs im Folgenden eingegangen werden soll. Zunächst soll allerdings der Begriff „Atmosphäre“ und seine Bedeutung reflektiert werden. 2.1.1 Klärung des Begriffs „Atmosphäre“ „Atmosphäre“ ist zunächst ein meteorologischer Begriff, der die gasförmige Umhüllung ei22 Kapitel 2.1 nes Planeten, insbesondere der Erde, beschreibt. „Atmosphäre“ wurde bis 1977 in Deutschland auch als physikalische Maßeinheit für Luftdruck verwendet. Der Begriff bedeutet in der Philosophie, in der Psychologie und Psychiatrie aber auch die Gefühle, die das Erlebnisfeld einer Person und ihre Ausstrahlung, aber auch einen Ort oder einen Raum bestimmen. In den aktuellen Ausgaben der einschlägigen Lexika werden nicht immer alle Bedeutungen des Begriffes genannt, jedoch setzt sich die Erkenntnis seiner vielfältigen Bedeutung immer mehr durch. Der Duden (Duden, 1993, S. 270) beschreibt neben der meteorologischphysikalischen, auch die philosophisch-psychologische Bedeutung von Atmosphäre. Die New Encyclopaedia Britannica (Britannica, 2003, S. 675ff.) beschränkt sich auf die Erläuterung der meteorologisch-physikalischen Bedeutung des Begriffs, wie auch der Brockhaus (Brockhaus, 2006, S. 625ff.) und Meyers Universallexikon (Meyers, 1971, S. 854ff.). Der Online-Brockhaus zeigt hingegen neben der meteorologischen Bedeutung und der physikalischen Maßeinheit auch die philosophisch-psychologische Bedeutung von Atmosphäre auf. Ebenso bezeichnet die Online-Enzyklopädie Wikipedia (www.wikipedia.org) die „Atmosphäre (Ästhetik)“ als gleichbedeutend mit „Stimmung“ oder „Aura“. Letztere hat Walter Benjamin in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Benjamin, 1936 passim) als Ausstrahlung definiert, die nicht nur von Menschen, sondern auch von Dingen ausgeht. Der Begriff der „Atmosphäre“ ist im philosophischen Sinne aber weiter gefasst. Kunst- und Literaturlexika schweigen sich über den Begriff „Atmosphäre“ weitgehend aus. Für den auf die Ästhetik übertragenen Sinn gibt es keine Hinweise, allein P.W. Hartmanns Das Große Kunstlexikon weist im Zusammenhang mit der niederländischen Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts auf die Luftperspektive hin, die dort auch als eine „Atmosphärische Perspektive“ bezeichnet wird. Damit wird eine perspektivische Maltechnik bezeichnet, die zunehmende Entfernung mit stärkerer Unschärfe und geringerer Farbintensität so darzustellen, dass die Dinge mit einer Art Schleier überzogen werden oder im Dunst verschwinden. (Hartmann, 1996, S. 937) Die erste wissenschaftliche Definition der Wahrnehmung von Atmosphären lieferte der Arzt und Psychiater Hubert Tellenbach. Er definiert „Atmosphäre“ vor allem über Wahrnehmung durch den Geruchs- und Geschmackssinn. Diese Art der Wahrnehmung nimmt der Mensch nach Tellenbach quasi mit der Muttermilch auf. Das Schmecken und das Riechen des Säuglings sind demnach eine Kernerfahrung des Mütterlichen, die die Wahrnehmung der mütterlichen Ausstrahlung einschließt. Die mütterliche geht in der familiären Atmosphäre auf, die Tellenbach als eine Art „Stallgeruch“ bezeichnet, und die er in erweiterter Form auch im Selbstverständnis größerer Gruppen, bis hin zu Völkern, wiederfindet. Die Wahrnehmung der Atmosphäre ist nach Tellenbach unmittelbar mit dem Geruchs- respektive Geschmackssinn verbunden, das gilt nach seiner Definition vor allem für die menschliche Atmosphäre und zwischenmenschliche Kontakte. Das Atmosphärische bezieht er aber auch auf die AusKapitel 2.1 23 strahlung von Artefakten, wenn sie wie Kunstwerke „vom Seelischen durchwohnt“ sind. Ähnliches erkennt er auch in der Ausstrahlung, die Gebäuden eigen sein könnte. Da er Atmosphären vor allem einzelnen Individuen zuschreibt, geht er von ihrer Subjektivität aus, die sich im zwischenmenschlichen Austausch qualifizieren lässt. (Tellenbach, 1968 passim) Der Philosoph Hermann Schmitz führt den Begriff in die phänomenologische Philosophie ein und definiert sie als einen subjektiven Seelenzustand. Gefühle sind nach Schmitz „unbestimmt weit ergossene Atmosphären“, die somit auch einen „Gefühlsraum“ definieren. (Schmitz, 1962/1969 passim) Schmitz definiert Atmosphären als strikt subjektiv und als „ergreifende Gefühlsmächte“, räumliche Träger von Stimmungen, aber nicht örtlich oder an Dinge gebunden (Böhme, 1995, S. 29). Mit dem Philosophen und Psychologen Theodor Lipps bezeichnet Schmitz „das Seelische im Raum oder die Seele des Raums“ als Stimmung. Das Gefühl dieser Stimmung charakterisiert er als „Raumgefühl“. Auch dies ist aus seiner Sicht dem Subjekt und nicht dem Objekt zuzuordnen. (Schmitz, 1962/1969, S. 217) Sein Schüler Gernot Böhme setzt zur Klärung des Begriffs „Atmosphäre“ bei seiner umgangssprachlichen Verwendung an und weist nach, dass er sich bereits im 18. Jahrhundert sowohl auf klimatische Phänomene als auch auf Gefühle bezog. Sein prominentestes Beispiel ist die Übertragung meteorologischer Begriffe auf Stimmungsbilder bei Johann Wolfgang Goethe, aber auch in den sprachlichen Forschungen der Gebrüder Grimm, die ihren Niederschlag im Grimmschen Wörterbuch fanden. (Böhme, 2009, S. 244ff.) Böhme hebt auf den Begriff „Schauer“ ab, an dem die Gebrüder Grimm die Übertragung der Wetterphänomene in die Alltagssprache beispielhaft beschreiben (vgl. Grimmsches Wörterbuch Bd. 14, sp. 2321-2330). Er definiert „Atmosphäre“ als eine Sphäre gespürter leiblicher Anwesenheit im Raum (Böhme, 2003 passim). Atmosphären sind nach Böhme gestimmte Räume (Böhme, 2006, S. 25). Es geht ihm besonders um eine Ästhetik der (sinnlichen) Erfahrung. Böhme bezieht sich dabei auf Benjamin (Böhme, 1995, S. 25ff.) und Schmitz (Böhme, 1995 S. 28ff.), nach denen „Aura“ etwas ist, das leiblich erfahren wird und räumlich ergossen ist. Böhme definiert „Atmosphären“ im Gegensatz zu Schmitz als etwas, das von Dingen, Menschen oder deren Konstellationen (Böhme, 1995, S. 33) ausgeht und auch geschaffen wird. Nach seiner Definition gehören Atmosphären zum Objekt, aber auch zum Subjekt, da sie durch die leibliche Anwesenheit der Menschen gespürt werden und dadurch ihr Befinden im Raum bestimmt wird. Für Böhme sind Atmosphären herstellbar. Er verweist dabei auf die Theorien und praktischen Anleitungen der Gartenbaukunst von C.C.L. Hirschfeld im 18. Jahrhundert, aber auch auf die Arbeiten von Architekten, wie Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright im frühen 20. Jahrhundert oder Peter Zumthor, Jacques Herzog und Pierre de Meuron sowie Axel Schultes im späten 20. Jahrhundert. Das Schaffen von Atmosphären zählt er zu den Grundeigenschaften der Architektur. (Böhme, 2006, S. 107ff.) In der Auseinandersetzung mit Böhmes Theorien sind es vor allem die Subjektivität be24 Kapitel 2.1 ziehungsweise die Objektivität sowie die Machbarkeit von Atmosphären, die im Diskurs stehen. Hermann Schmitz bekräftigt in mehreren Aufsätzen seine Auffassung, nach der Atmosphären eher aus Situationen heraus entstehen, als dass sie Dingen anhaften, und stellt sowohl ihre Objektivität als auch ihre Herstellbarkeit in Frage (Schmitz, 1998/2005 passim). Michael Hauskeller mahnt zur differenzierten Betrachtung des Begriffs „Atmosphäre“ und der Wirkung, die sie auslöse (Hauskeller, 1998 passim). Wolfhart Henckmann schlägt vor, den Begriff der Stimmung zu benutzen, um so zu einer größeren Differenzierung dieser Phänomene zu gelangen und kehrt damit zu Schmitz Auffassung zurück (Henckmann, 2007 passim). Die Behandlung dieser Einzelaspekte erreicht aber nicht die Komplexität der Auseinandersetzung mit dem metaphorischen Begriff der Atmosphäre, wie sie Gernot Böhme bis in die Architekturtheorie und die Theorie der Stadt führt. Seine Betrachtungen sollen hier deshalb weiter im Zentrum der Erörterung stehen. 2.1.2 Positionen zur Wahrnehmung des Raums über seine Atmosphäre durch Körper oder Leib Die Positionen in diesem philosophischen Diskurs sind wesentlich, weil sie sich auf die Wahrnehmung des Raums über seine Atmosphäre durch den Leib (oder den Körper) beziehen. Gernot Böhmes Überlegungen münden hier in eine neue Definition einer humanen Architektur, in der nicht mehr der menschliche Körper in seinem Ebenmaß die Grundlage architektonischer Formgebung ist, sondern die leibliche, das heißt die sinnliche Erfahrung der Architektur ist ihr wesentlicher menschlicher Maßstab. Er stützt sich dabei auf die phänomenologische Philosophie. Das Prinzip der leiblichen Erfahrung, auch der des Raumes, ist ein Kernpunkt der von Edmund Husserl Anfang des 20. Jahrhunderts begründeten Phänomenologie. Betrachtungen zum Verhältnis von Raum und dessen leiblicher Erfahrung reichen aber schon weiter zurück. Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin stellt in seiner Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur bereits 1886 unsere leibliche Erfahrung des Körperhaften und des Räumlichen als das Wesentliche unserer Architekturerfahrung dar und legt damit die Grundlage für Gedanken über die Beziehungen von Leib und Raum. (Wölfflin, 1886 passim; Böhme, 1996, S. 115) August Schmarsow, ebenfalls Kunsthistoriker, ergänzt diese Betrachtungsweise durch seine ebenfalls in der Psychologie verankerte Untersuchung von leiblichen Raumerfahrungen bei der Bewegung im Raum. Er macht in seinem Text Das Wesen der architektonischen Schöpfung deutlich, wie wesentlich die Raumerfahrung in der Bewegung des Menschen für unser alltägliches Leben ist. (Schmarsow, 1894 passim; Böhme, 1996, S. 116) Gernot Böhme sieht in den Betrachtungen von Wölfflin und Schmarsow die Charakterisierung der Architektur befreit von einer „Realisierung gegebener Raumstrukturen“ und um Kapitel 2.1 25 eine Beurteilung aus der Bewegung des Erlebens (eben auch aus der Benutzung) heraus ergänzt (Böhme, 2006, S. 116f). Eine grundlegende Untersuchung zur Bedeutung des Leibes für die menschliche Erfahrung hat der französische Philosoph und Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty angestellt und in seinem Buch Phänomenologie der Wahrnehmung (1945 )in Paris veröffentlicht. 1966 ist es zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen (Merleau-Ponty, 1966, Nachdruck 1974 passim). Das Thema Raum und Leib nimmt in seiner Abhandlungen einen hohen Stellenwert ein. Er macht vor allem deutlich, dass die Raumwahrnehmung den Raum erst bestimmt. Hermann Schmitz und Gernot Böhme beziehen sich in ihren Betrachtungen stark auf Merleau-Ponty (Böhme, 2006, S. 14f). Als Ergebnis einer langjährigen Forschung zum Verhältnis von Körper, Leib und Raum und ihren Beziehungen untereinander hat der Architekt und Architekturtheoretiker Wolfgang Meisenheimer seine Abhandlung Das Denken des Leibes und der architektonische Raum verfasst. Er definiert den menschlichen Körper wie auch den Baukörper als ein Ding, das man betrachten, messen und sezieren und als Ganzes oder in Teilen darstellen kann. (Meisenheimer, 2004, S. 15) Der Leib hingegen ist nicht objekthaft, sondern „der Inbegriff meines handelnden Ich“ (Meisenheimer, 2004, S. 16). Er geht darin den Phänomenen der Interaktion zwischen den Gesten des architektonischen Raums einerseits, die er als eine Art „Performance“ architektonischer Attribute beschreibt, und der sinnlichen Leibeswahrnehmung andererseits nach. Teil dieser architektonischen Gestik sind nach Meisenheimer nicht nur die Formen des Raums, seine Enge oder Weite, Höhe oder Niedrigkeit, der Bezug nach außen, die Lichtführung und anderes, sondern auch die Atmosphäre, die er dem Benutzer vermittelt und die dieser in seiner Subjektivität wahrnimmt. (Meisenheimer, 2004 passim) Aus diesen in verschiedenen Jahrzehnten und Jahrhunderten gewonnenen Erkenntnissen wird zusammengefasst deutlich, dass nicht allein der menschliche Körper, sein Maß und seine geometrischen Proportionen die Grundlage für eine menschliche Architektur sein können, sondern dass auch und vielleicht vor allem die Erfahrung des menschlichen Leibes die Basis für eine gehaltvolle Architektur ist. Wenn mit Gernot Böhme „Atmosphäre“ die gespürte leibliche Anwesenheit im Raum ist, dann ist ihre Wahrnehmung eine Schlüsselerfahrung der Architektur. 2.2 Räumliche Konzeption mit Hilfe von Atmosphären Damit stellt sich die Frage: Sind Raumatmosphären in der Architektur gezielt und planvoll hergestellt worden, also Ergebnis bewusster Planungen, oder eher ein Nebenprodukt des Planens und Bauens? Welche Rolle spielt die Atmosphäre in der Architektur? Die Geschichte bewusst hergestellter atmosphärischer Räume ist lang. Beispielsweise wird die Architektur 26 Kapitel 2.2 sakraler Räume im Wesentlichen durch ihre atmosphärische Wirkung bestimmt. Die Religionen und Konfessionen gaben ihr im Verlaufe der Geschichte zwar unterschiedliche Bedeutung und messen ihnen auch heute noch unterschiedliche Beachtung bei, aber alle Kultstätten, von denen archaischer Religionen, bis hin zu den buddhistischen und hinduistischen Tempeln, Synagogen, Kirchen und Moscheen sind bewusst inszenierte und gestimmte Räume. Das unterschied sie lange Zeit von den profanen Räumen des alltäglichen Gebrauchs. Während der Aufklärung und der Romantik im 18. Jahrhunderts verschwimmen diese Grenzen. Der von Jean Jacques Rousseau 1768 gestaltete Garten in Ermenonville bei Paris ist bei allem aufklärerischen Anspruch auch ein Erlebnisgarten (Mathieu, 1957 passim; von Buttlar, 1989, S. 115ff.). Die Landschaftsarchitektur und Gartenbaukunst sind durch ihr vielfältiges Spiel mit der Natur, den Elementen und Wetter ein anschauliches Beispiel für eine intensive räumliche und atmosphärische Inszenierung. In England trägt seit etwa 1720 eine ganze Bewegung die romantischen Naturideen des Landschaftsgartens. (von Buttlar, 1989, S. 7) In Deutschland ist Christian Cay (Cajus) Lorenz Hirschfeld ein wichtiger Vertreter der Idee des Englischen Landschaftsgartens. Als Landschaftsarchitekt und „Professor für Philosophie und der schönen Wissenschaften“ hat er sowohl theoretischen wie praktischen Einfluss auf die Entwicklung der Landschaftsgestaltung. Seine Theorie der Gartenkunst, die ab 1779 in Leipzig erscheint, ist daher vor allem eine praktische Handreichung zur Gartengestaltung, die sehr gezielt darauf abhebt, gestimmte Räume zu schaffen. Er verfolgt das Ziel, bestimmte, wie er es bezeichnet, Charaktere zu kreieren, die ihrerseits den Besucher des Gartens in eine heitere oder eine melancholische, romantische oder feierliche Stimmung versetzen sollen. (Hirschfeld, 1973 passim) 1979 rief der norwegische Architekt Christian Norberg-Schulz in seinem zunächst auf Italienisch und Englisch erschienenen Buch Genius Loci, Landschaft Lebensraum Baukunst (1982 auf deutsch) die Architekten auf, sich den Bezug auf den Geist des Ortes wieder in Erinnerung zu bringen. Schon Vitruv hatte den Architekten den Ortsbezug mit auf den Weg gegeben, aber eine international orientierte und stark rational ausgerichtete radikale Moderne der Architektur hatte diesen Aspekt zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wieder in den Hintergrund gedrängt. Norberg-Schulz stützte seine Ausführungen vor allem auf Martin Heideggers 1927 veröffentlichten Aufsatz Sein und Zeit und den darin hergestellten Zusammenhang des Daseins und des Bauens. Norberg-Schulz legte den Architekten nahe, die Charakteristik eines Ortes phänomenologisch zu erkunden und das eigene Bauen daran auszurichten, um damit dessen Identität zu stärken. Der Mensch, der sich an dem so geschaffenen Orten aufhält, soll ihn sozusagen als sinnenvoll erleben, was ihm die Orientierung und die Identifikation mit dem Ort erleichtert. Norberg-Schulz sah sein Buch als einen ersten Schritt zu einer Phänomenologie der Architektur. (Norberg-Schulz, 1982, S. 5ff.) Heute spielen atmosphärisch definierte Räume auch im Alltag eine wichtige Rolle. KaufKapitel 2.2 27 häuser, Shoppingmalls sowie Orte, die, am Geschmack der Massen orientiert, insbesondere Vergnügungen dienen sollen, sind auf eine spezifische, oft auf eine bemerkenswert einfache Art gestimmt. Aber auch die bewusste Produktion atmosphärischer Wirkung ist unter Architekten zu einem wichtigen Entwurfsansatz geworden. Der Architekturpublizist Kurt W. Forster hat in seiner Ausstellung der Weltarchitektur zur 9. Architekturbiennale 2004 in Venedig diesem Themenfeld einen eigenen Abschnitt gewidmet und kennzeichnet die atmosphärische Raumwirkung damit auch als einen allgemeinen Trend in der internationalen Architektur (Forster, 2004 passim). Auch die Architekturtheoretiker Geschwister Dorothea und Georg Franck benennen in ihrem Buch Architektonische Qualität Atmosphären als bewusst eingesetztes Entwurfselement verschiedener Architekten und belegen das vor allem mit gebauten Beispielen von Peter Zumthor und Herzog & de Meuron. Sie argumentieren mit einer „Verselbständigung des Atmosphärischen vom Tektonischen“ (Franck, 2008, S. 74) als einem „Spezifikum der zeitgenössischen Architektur“ (Franck, 2008, S. 74) und begründen dies mit einem verlorenen Vertrauen darin, „dass das Tektonische auch das Atmosphärische richten werde“ (Franck, 2008, S. 74). Rückblickend sehen sie dies auch in den Bauten der klassischen Moderne verwirklicht, beispielsweise bei Mies van der Rohe (Franck, 2008, S. 73ff.). Als grundlegend für ihren Entwurfsansatz benennen aber nur wenige Architekten selbst die atmosphärische Raumwirkung. Der Kunsthistoriker Philip Ursprung, der für Herzog & de Meuron 2002 das Buch Naturgeschichte als Begleitpublikation einer Werkschau der Architekten herausgab, widmet, wohl in Abstimmung mit den Architekten, den Begriffen Schönheit und Atmosphäre einen eigenen Abschnitt, in dem er auch den Aufsatz Atmosphären als Gegenstand der Architektur von Gernot Böhme publiziert (Ursprung, 2002). Peter Zumthor thematisiert die „Atmosphären“ in der Architektur in einer eigenen Publikation. Er führt darin detailliert Parameter auf, die nach seinem Ermessen die Atmosphäre der Architektur bestimmen. (Zumthor, 2006 passim) „Atmosphäre“ wird von den genannten Autoren also nicht als eine Begleiterscheinung der Architektur und des architektonischen Entwurfes gesehen, sondern als eines ihrer wesentlichen Bestandteile. Raumatmosphären werden gleichzeitig als ein Grundelement menschlicher Erfahrung angesehen, die, das lässt sich daraus folgern, nicht nur beim architektonischen Entwurf berücksichtigt werden, sondern im Zentrum dieses Prozesses stehen sollten. 2.3 Die bewusste Produktion von Atmosphären Während die bewusste Konzeption von räumlichen Atmosphären vielfältig zu beobachten und zu spüren ist, sind konzeptionelle Aussagen hierzu in der Literatur selten zu finden. Nur 28 Kapitel 2.3 wenige Architekten äußern sich konkret zu ihren diesbezüglichen Planungsansätzen. Architekten, wie Peter Zumthor, bilden dabei eine seltene Ausnahme. Sein konzeptioneller Ansatz zum Entwurf atmosphärisch wirksamer Räume soll hier exemplarisch näher betrachtet werden. (Zumthor, 2006 passim) Ebenfalls aus der Schweiz, genauer aus der französischen Schweiz, stammt der Architekt Phillippe Rahm, der zwar kein Entwurfsprogramm, wie Peter Zumthor, verfasst hat, seine provokativen Arbeiten haben aber selbst einen manifestativen Charakter und sind, im Gegensatz zu den Arbeiten von Peter Zumthor eher als freie künstlerische, denn als architektonische Statements zu verstehen, da sie in der Regel keinen konkreten Gebrauchswert schaffen sollen. (Rahm, 2007, S. 105ff.) Sie sind deshalb so etwas wie ein Gegenpol für den nutzungsorientierten Ansatz von Peter Zumthor und sollen hier als solcher auch betrachtet werden. Olafur Eliassons künstlich geschaffene Raumatmosphären zeigen wiederum sehr anschaulich, wie über Atmosphären kommuniziert werden könnte. Olafur Elliasson ist kein Architekt. Er konstruiert räumliche Atmosphären als freier Künstler und kann sich durch den Ansatz seiner Projekte von den tektonischen Bedingungen der Architektur lösen und sich auf die ephemeren Qualitäten des Raums, auf sein Klima im direkten und im übertragenen Sinne, konzentrieren. Die Rezeption der von ihm geschaffenen Räume durch die Betrachter, genauer: die Erlebenden seiner Werke, ist in einige seiner Projekte einbezogen und wird dadurch sozusagen gebrauchsorientiert diskutiert. (Eliasson, 2003, 2001 passim) 2.3.1 Die Konzeption beziehungsweise Konstruktion von Atmosphären in der Alltagsarchitektur Peter Zumthors Architektur ist sehr auf den Ort ausgerichtet, an dem sie entsteht, sowie auf die örtliche Tradition im Umgang mit Bauweisen und Materialien. Atmosphären hat er, basierend auf einem seiner Vorträge zu diesem Thema, eine eigene Veröffentlichung gewidmet. (Zumthor, 2006 passim) Er fragt sich darin, was architektonische Qualität ausmacht und kommt zu dem Schluss, dass dies einer bestimmten Atmosphäre geschuldet sei, die den Menschen in seiner „emotionalen Wahrnehmung“ berühre. Er benennt neun „Werkzeuge und Instrumente“ seiner Arbeit, mit denen er die Atmosphäre seiner Häuser generiert. (Zumthor, 2006 passim) Er nennt zunächst „die materielle Präsenz der Dinge“ (Zumthor, 2006, S. 21) oder der Architektur selbst, ihre Struktur, ihre Konstruktion und die Zusammenfügung der Elemente, aus der sie besteht: Die Steine, Holzbalken, Fensterscheiben etc. „Der Zusammenklang der Materialien“ (Zumthor, 2006, S. 23), die Komposition ihrer Eigenschaften, ihrer Oberflächen und Anmutungen sind ein weiteres Instrument zur Schaffung von Raumatmosphären, wie auch „der Klang des Raumes“ (Zumthor, 2006, S. 29). Jeder Raum hätte, führt Kapitel 2.3 29 er dazu aus, abhängig von den Materialien, aus denen er gebildet wird und ihren Oberflächen, den Materialien, die sich in ihm befinden, und natürlich davon, welche Geräusche in ihm erzeugt werden, einen eigenen Klang. „Die Temperatur des Raumes“ (Zumthor, 2006, S. 33). Es ist eine simple wie eingängige Erkenntnis, die Zumthor vorträgt, aber die Temperatur, die ein Raum hat, in dem wir uns befinden, hat einen außerordentlichen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Unter der Überschrift „Die Dinge um mich herum“ (Zumthor, 2006, S. 35) fasst Zumthor die materielle Aneignung des Raums durch seinen Nutzer Zusammen. Er eignet sich eiAbb. 2.3.1 Peter Zumthor, Therme in Vals nen Raum an, indem er mit persönlichen Gegenständen seine Wohnung, aber auch seinen Arbeitsplatz sozusagen subjektiviert. In die gleiche Kategorie stellt er aber auch die Entscheidung zum Besuch einer Bar oder eines Restaurants, das man wegen der durch seine Einrichtung geschaffenen Atmosphäre besucht und sich deren Raum dadurch aneignet. „Zwischen Gelassenheit und Verführung“ (Zumthor, 2006, S. 41) sieht Peter Zumthor sechstens eine Qualität der Architektur, die ihren Benutzer verführt, bestimmte Dinge zu tun, zum Beispiel einem besonderen Lichteinfall nachzugehen und den entsprechenden Sonnenstrahl oder die dort gebotene Aussicht in aller Gelassenheit zu genießen. Siebtens benennt er „die Spannung zwischen Innen und Außen“ (Zumthor, 2006, S. 45) als atmosphärische Qualität der Architektur. Architektur stellt diese beiden Zustände her und schafft gleichzeitig Schwellen, Übergänge, Ein- und Ausblicke, trennt Öffentliches und Privates. Die geschaffene Hülle ist eine Haut mit einer inneren und äußeren Projektionsfläche. Weiterhin stellt Zumthor „Stufen der Intimität“ (Zumthor, 2006, S. 49) als atmosphärisch relevant in der Architektur vor. Sie können Nähe und Distanz modellieren und gestalten, Durchblicke schaffen, verhindern oder erahnen lassen. Er beschreibt hier aber auch das maßstäbliche Verhältnis von Gebäude und Mensch, ob es ihn in seiner Größe bedrängt und einschränkt, ihm Platz zur Entfaltung und Bewegung verschafft oder so groß ist, dass der Mensch darin verloren geht. Außerdem bestimmt nach seiner Auffassung „das Licht auf den Dingen“ (Zumthor, 2006, S. 57) unser Befinden. (Abb 2.3.1 Zumthor) Peter Zumthor bemüht sich möglichst viele unserer Sinneswahrnehmungen in seine Betrach30 Kapitel 2.3 tungen einzubeziehen und seine Architektur geht in vielfältiger Weise auf unsere Sinne ein, dennoch bleibt zweifelhaft, ob das von ihm benannte Spektrum alle unsere Sinneswahrnehmungen abdeckt, die wir mit Räumen verbinden. Seine Betrachtungen sind zudem sehr stark von den visuellen Wahrnehmungen, wie beispielsweise der Geometrie eines Raumes, geprägt. Gernot Böhme mahnt hier, diese optische Wirkung nicht zu überschätzen und stärker die leiblichen Raumerfahrungen in Betracht zu ziehen, die sie verursachen. (Böhme, 2006, S. 111) „Geometrie lehrt die Gesetzmäßigkeiten der Linien, Flächen und Körper im Raum. Geometrie kann uns helfen zu verstehen, wie wir in der Architektur mit dem Raum umgehen können. Die Architektur kennt zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Raumbildung: den geschlossenen Körper, der in seinem Inneren Raum isoliert, und den offenen Körper, der einen mit dem unendlichen Kontinuum verbundenen Raumteil umschließt. Die Ausdehnung des Raumes kann durch offen in die Tiefe des Raums gesetzte oder gereihte Körper wie Platten oder Stäbe sichtbar gemacht werden.“ (Zumthor, 1999, S. 20ff.; Böhme, 2006, S. 111) Die Atmosphären, die Peter Zumthor schafft, sind ein Angebot an die Benutzer seiner Räume, die sich selbst und „ihre Dinge“ mitbringen, um sich den Raum anzueignen. Eine Reflektion dieser Nutzung findet in der Regel allerdings nicht statt. Durch den Alltagsgebrauch seiner Architektur wäre eine Überprüfung der entworfenen mit der tatsächlich empfundenen Stimmung zumindest theoretisch möglich, was aber nicht Gegenstand dieser Arbeit sein kann. 2.3.2 Postulate ephemerer Raumqualitäten Die demonstrativen und experimentellen Arbeiten des Architekten Phillippe Rahm zeigen sich im Gegensatz zu den Bauten von Peter Zumthor fast ausschließlich als Manifeste eines betont innovativen Architekturansatzes. Rahm spannt darin eine Vielfalt an räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten mit nicht sichtbaren oder greifbaren Elementen, wie Wärme, Luftbewegung und Geruch auf. Die von ihm geschaffenen Räume werden auf diese Weise weniger durch Wände und Decken gebildet als durch Licht, Luftströme und elektromagnetisch definierte Zonen. Seine Räume sind so kaum zu sehen, sondern eher zu spüren. Die Wellenlänge und die Helligkeit des Lichtes, die Temperatur der Luft, ihre Zusammensetzung und ihre Strömungsgeschwindigkeit sind dabei so berechnet, dass sie gezielt das menschliche Nervensystem und seine Hormonproduktion ansprechen und so bewusst Gefühle hervorrufen. Rahm erzeugt damit Atmosphären im direkten wie übertragenen Sinne. So sollte beispielsweise das „Hormonorium“ im Schweizer Pavillon auf der 8. Architekturbiennale in Venedig mit den oben genannten Parametern ein alpines Klima erzeugen. Die Steuerung des menschlichen Hormonhaushaltes sollte unter anderem auch das sexuelle Verlangen ansteigen lassen. Kapitel 2.3 31 (Rahm, 2007 passim) Ein anderes Beispiel ist sein Beitrag zur 11. Architekturbiennale 2008. Nur zwei gegeneinander versetzte Boden- und Deckenelemente ließen den von ihm geschaffenen Raum sichtbar werden. Fühlbar war hingegen die künstlich erzeugte Wärme der Bodenplatte von 28 Grad Celsius und die Kühle des Deckenelementes von 12 Grad, die eine mächtige Luftzirkulation erzeugten. Die so abgegrenzten Sphären bevölkerten leicht bis unbekleidete Menschen, die in entspannter Haltung teilweise musizierten und so eine anregende, Abb. 2.3.2 (1) Philippe Rahm, Meteorological Architecture, Venedig Biennale 2008 teilweise auch sexuell anregende Atmosphäre erzeugten. (Abb. 2.3.2 (1) Rahm) Das zuletzt beschriebene Projekt von Philippe Rahm erinnert an die Arbeiten des französischen Künstler Yves Klein. Für ihn ist der harmonische Einklang der Menschen mit der Natur und ihren Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde die Idee eines paradiesischen Zustands. Seine mit verschiedenen Partnern Ende der 50er Jahre entwickelte „Luftarchitektur“ ist ein offener Raum ohne übliche architektonische Fassungen. (Abb. 2.3.2 (2) Stich) Strömende Luft gibt dem Gelände ein großes ephemeres Dach, und Luftströme dienen auch als Stühle und Betten. (Stich, 1994, S. 126) Rahms plakative Architekturperformances erzeugen nicht nur besondere Räume, sie weisen auch auf den Einfluss von ephemeren Elementen auf die Raumbildung hin. Rahm benutzt wie auch Klein unter anderem Phänomene, die wir aus dem Klima unserer Erdatmosphäre kennen und als Wetterphänomene bezeichnen, um Räume, auch Innenräume zu gestalten. Die Bezeichnungen dessen, 32 Kapitel 2.3 Abb 2.3.2 (2) Yves Klein,Vorschlag für eine Luftarchitektur mit Feuersäulen, Sitzmöbel aus Luftströmen, Luft- und Plattformen und einem Luftdach, Zeichnung Claude Parent und Sargologe aquarelliert von Yves Klein was wir mit der Erdatmosphäre und den Raumatmosphären oder Klima und Raumklima beschreiben, verschwimmen hier in ihrer Bedeutung. Dadurch wird deutlich, wie fließend diese Grenzen sind. Hier wird der Ansatz von Peter Zumthor einerseits bestätigt: Atmosphären sind in der Architektur konstruierbar. Andererseits führen die Ansätze Rahms über die Zumthors hinaus: Atmosphären werden nicht allein durch tektonische Vorgaben geprägt, zu denen auch die Lichtführung und die Klanggestaltung eines Raumes zu zählen wären. Rahm zeigt, dass weitere und umfassende Parameter die Raumatmosphäre bestimmen und als solche auch herstellbar sind. Rahm erweitert sozusagen das Angebot der Zumthorschen Atmosphärengestaltung mindestens um die Dimension der Klimagestaltung. Aber auch seine Architektur bleibt ein Angebot, eine Setzung der Raumatmosphäre, der sich der Nutzer hingibt. Dass Atmosphären auch ein kommunikatives Potenzial haben, zeigen einige Arbeiten des freien Künstlers Olafur Eliasson, die im nächsten Abschnitt behandelt werden. 2.3.3 Atmosphärische Raumwirkung und deren Kommunikation bei Olafur Eliasson Eliasson hat das Schaffen künstlicher Raumatmosphären zum Thema seiner Kunst gemacht. Dabei hebt auch er sehr auf die Phänomene der Natur und des Wetters ab. Gerade im Vergleich zu den Arbeiten von Phillippe Rahm und Olafur Eliasson wird deutlich, dass die Grenzen zwischen der angewandten Kunst der Architektur und der freien Kunst Eliassons durchaus fließend sein Abb. 2.3.3 können. Die Arbeit mit atmosphä- gramm (1) Olafur Eliasson, The Weather Project, London, Wetterdiarischen Wirkungen in der bildenden Kunst hat eine lange Geschichte und ist vielfältig ausgeprägt. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, deshalb soll die bildende Kunst hier und im weiteren Verlauf nur schlaglichtartig beleuchtet werden.1 2001 installierte Eliasson unter dem Titel The Mediated Motion in einem Geschoss des Kunst 1 In der bildenden Kunst sind im Verlaufe der Geschichte, aber auch zeitgenössisch diverse Auseinandersetzungen mit Atmosphären oder mit den Phänomenen des Wetters, ihrer sinnlichen und leiblichen Wahrnehmung geführt worden, die für die Architektur beispielhaft sind. Denken wir an die vornehmlich auf unsere Emotionen abzielenden Arbeiten von Romantikern, wie William Turner, der dies besonders gut in seinem Gemälde „Der Morgen nach der Sintflut“ um 1843 zum Ausdruck brachte, oder von Impressionisten, wie Claude Monet, der in seinem Bild „Gare St. Lazare“ 1877 die schönen atmosphärischen Momente eines großstädtischen Alltags, das Spiel des Lichtes in den Glasdächern des Bahnhofs und im Dampf der Lokomotiven festhalten konnte. Auch was das Schaffen von Raumatmosphären angeht, kann eine lange Liste von historisch wichtigen und auch heute aktiven Künstlern genannt werden. James Turrell findet auch bei Gernot Böhme Erwähnung, Gordon Matta-Clark, Thomas Demand, Jeff Wall sind andere Beispiele. Kapitel 2.3 33 hauses Bregenz, das von Peter Zumthor entworfen wurde, eine Hängebrücke, die durch ein Nebelfeld führt. Die ohnehin von Zumthor schon sehr fließend gestalteten Übergänge vom Fußboden zu den Wänden und zur Decke verschwammen im Nebel vollends. Der etwas wackelige Weg über die Brücke wurde fast zur einzigen Orientierung im Nebelmeer. Die Nebeltropfen auf der Haut, die Feuchte der Luft und die fehlende Übersicht im Raum erinnerten stark an eine Naturexpedition, obgleich sie im Rauminneren stattfand. Die Zuschauer bildeten, sofern sie nicht alleine in dem Raum waren, eine Gemeinschaft, die das Phänomen und die damit verbundenen Gefühle kollektiv erlebten. (May, 2003, S. 23) Ein wahres Fest der Gemeinschaftserfahrung war das Weather Project 2003/2004 (Abb. 2.3.3 (1) Eliasson) in der Londoner Tate Modern. Hier inszenierte Eliasson mit einer künstlichen Sonne eine naturähnliche Abendstimmung im Innenraum der ehemaligen Turbinenhalle. Die Präsentation fand in dem eher ungemütlichen feuchten und kalten Londoner Herbst- und Winterwetter statt, wo Sonnenschein nur selten vorkommt. Die öffentlich und frei zugängliche Turbinenhalle der Tate Modern wurde so zu einem mittäglichen Treffpunkt, den die Besucher zu einem eigenen Happening nutzten. Begleitend zu seiner Schau startete Eliasson eine stadtweite Werbekampagne für die Ausstellung, in der Fakten über Umfrageergebnisse zum Wetter eine wichtige Rolle spielten (Abb. 2.3.3 (2) Eliasson). Er fragte beispielsweise danach, wie viele Taxifahrer mit ihren Fahrgästen über das Wetter sprechen. Oder er fragte die Betrachter seiner Plakate, ob sie heute bereits über das Wetter gesprochen hätten. Damit wurde nicht nur die Ausstellung selbst zu einem Stadtgespräch, sondern auch jeder, der daran teilnahm, wurde erinnert, welchen Stellenwert das Wetter für sein eigenes Wohlbefinden hat und wie er darüber kommuniziert. Damit bezog er in das durchaus übliche Gespräch über das Wetter einen Austausch über sein Kunstprojekt ein und machte damit einerseits die Vergleichbarkeit des Klimas und des Raumklimas, der Atmosphäre mit der Raumatmosphäre deutlich, zeigte aber auch, dass ein aktiver Austausch über atmosphärische Qualitäten eines Raumes möglich ist. (Braun, 2004, S. 19; Eliasson, 2003 passim) In seinem 2008 präsentierten Projekt der vier Wasserfälle in New York bringt Eliasson der metropolitanen Bevölkerung nicht nur die Naturerlebnisse nahe, er themati34 Kapitel 2.3 Abb. 2.3.3 (2) Olafur Eliasson The Weather Project, Tate Modern, London siert auch das Wahrnehmen natürlicher Phänomene als eine konkret leibliche Erfahrung. Man sieht das sich brechende Licht im Wasserfall, vielleicht einen Regenbogen, man hört das Rauschen der gewaltigen Wassermassen und spürt die versprühten Wassertropfen auf der Haut. Wie in London begleiten auch die spektakulären Wasserfälle in New York eine Retrospektive seiner Arbeit, hier im Museum of Modern Art, und wie in London versucht Eliasson auch in New York begleitend zu seiner Kunstpräsentation eine öffentliche Debatte zu starten. In diesem Fall über das Wasser. Dafür arbeitete er mit Umweltorganisationen zusammen und entwickelte mit der Schulbehörde eine Unterrichtseinheit zu diesem Thema. In der Stadt wurde seine Kunst damit auch eine kollektive, soziale Erfahrung. (Eliasson, 2008, S. 24ff.) Vor allem das Londoner, aber auch das Projekt in New York machten deutlich, dass atmosphärische Wirkungen soziale, weil gemeinschaftliche Erfahrungen sind, über die man sich untereinander austauscht, die also kommunikationsfähig sind, auch wenn sie subjektiv wahrgenommen werden. Die in diesem Abschnitt behandelten Beispiele zeigen: Architektur schafft nicht nur Raumatmosphären, diese sind auch konstruierbar: durch die Tektonik selbst (Zumthor), aber auch durch das bewusste Arrangement klimatischer Bedingungen und anderer ephemerer Elemente (Rahm). Raumatmosphären sind außerdem Teil unserer alltäglichen Kommunikation, wenn sie als solche bewusst (und dies selbstverständlich subjektiv) wahrgenommen werden. Dadurch ergibt sich eine Verständigung über Raumatmosphären. Atmosphären sind also kommunizierbar und sie sind ein Kommunikationsmittel. Das zeigen die Arbeiten von Olafur Eliasson. 2.4 Architektur und Atmosphäre bei Gernot Böhme Wie vorhergehend dargestellt, sind verschiedene Betrachtungen und Reflektionen, sowohl in theoretischer als auch in konzeptioneller Praxis, zum Raum und zur Architektur bezüglich ihrer atmosphärischen Wirkung angestellt worden. Die wohl umfassendste Auseinandersetzung mit dem Thema hat der Philosoph Gernot Böhme in mehreren Publikationen vorgelegt. Seine sehr detaillierten Betrachtungen sollen hier ausführlich im Hinblick auf die subjektive oder objektive Erfahrbarkeit des Raumes, die Kommunikation über diese Erfahrungen und den architektonischen Entwurf selbst behandelt werden. Es ist Böhmes wesentliches Anliegen, Architektur weniger als eine visuelle Kunst zu betrachten, als eine Kunst der Raumgestaltung (Böhme, 2006, S. 109). Dieses, auf den ersten Blick vielleicht banale, Ansinnen entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Grundsatzfrage der Architektur. Architektur wird in den meisten Fällen zweidimensional kommuniKapitel 2.4 35 ziert, über Zeichnungen, Fotos, Computeranimationen oder Filme. Letztere Medien haben einen mehrdimensionalen Ansatz. Zeit, Bewegung oder akustische Phänomene können in die Darstellung einbezogen werden, während mit perspektivischen Darstellungen versucht wird, den Raum zu simulieren. Das komplexe Raumerlebnis ist dadurch aber dennoch kaum vermittelbar. Der Sinn des Sehens, führt Böhme aus, ist für unsere Raumerfahrung nicht der wichtigste und wenn man es genau nimmt, sind Räume gar nicht zu sehen, sie müssen gespürt oder erspürt werden. (Böhme, 2006, S. 107) Raumwahrnehmung oder auch die Wahrnehmung der Architektur geschieht also durch alle Sinne: natürlich durch das Sehen, aber nicht nur; das Hören gehört dazu, der Geruchssinn, das Gespür für Enge und Weite, Höhe und Tiefe, für Kälte und Wärme, für das Verhältnis von Innen und Außen, für Wind und Wetter sowie der Schutz vor ihren für den Menschen unverträglichen Auswirkungen (Böhme, 2006, S. 88). All die genannten Parameter und noch einige mehr bestimmen nach Böhme die Atmosphäre eines Raums. Wobei der Begriff „Raum“ hier nicht allein im kartesianischen Sinne zu verstehen ist, sondern durchaus im Sinne einer Sphäre. Der Architekt August Endell beschrieb dieses Phänomen bezogen auf die „Schönheit der großen Stadt“ 1908: „Das Wirksamste ist nicht die Form, sondern ihre Umkehrung, der Raum, das Leere, das sich rhythmisch zwischen den Mauern ausbreitet, von ihm begrenzt wird, aber dessen Lebendigkeit wichtiger ist als die Mauer.“ (Endell zitiert nach Böhme, 2006, S. 116) Diese sozusagen inverse Definition des Raums, der sich zwischen Wänden, Decke und Fußboden oder zwischen den Häusern befindet, bleibt allerdings eine formale, wenn nicht der Mensch und seine Erfahrungen in die Betrachtung einbezogen werden. Dafür sind Endells betont subjektive Beschreibungen sehr hilfreich. 2.4.1 Atmosphäre - die leibliche Erfahrung des Raums In diesem Sinne stellt Gernot Böhme den Menschen und seinen Leib in das Zentrum seiner Überlegungen zur Architektur. Im Gegensatz zum Begriff des Körpers, schließt der des Leibes dessen Sinneswahrnehmung ein. Böhme spricht von der Atmosphäre eines Raumes und definiert Atmosphären metaphorisch als „Sphären gespürter leiblicher Anwesenheit“ (Böhme, 2006, S. 49). Das ist natürlich nicht auf Gebäude beschränkt: „Der leibliche Raum ist weder der Ort, den der Mensch durch seinen Körper einnimmt, noch das Volumen, das diesen Körper ausmacht. Der leibliche Raum ist für den Menschen die Sphäre seiner sinnlichen Präsenz. Und diese transzendiert beständig die Grenzen seines Körpers.“ (Böhme, 2006, S. 88) Böhme stützt sich dabei auf die Erkenntnis seines Lehrers Hermann Schmitz, der in diesem Zusammenhang von einem „Gefühlsraum“ spricht und Gefühle als „unbestimmt weit ergossene Atmosphären“ definiert. (vgl. Abschnitt 2.1) Anders als nach Schmitz können nach Böhme aber auch Dinge oder eben Gebäude mit ihren Räumen und Zwischenräumen, 36 Kapitel 2.4 Gärten und Parklandschaften Atmosphären bestimmen. Damit legt Böhme zumindest die Vermutung nahe, dass die Wahrnehmung der Atmosphäre keine rein subjektive Erfahrung ist, wie das Schmitz annimmt, sondern auch objektivierbar ist. Diese Erfahrung sieht Böhme als eine essentielle des Menschen. „Atmosphäre ist also eine Grundtatsache menschlicher Wahrnehmung, nämlich der Wahrnehmung, in der der Mensch durch sein Befinden zugleich spürt, wo er sich befindet. So gesehen sind Atmosphären etwas, das das menschliche In-der-Welt-Sein im Ganzen bestimmt, also seine Beziehung zu Umgebungen, zu anderen Menschen, zu Dingen und Kunstwerken. Deshalb sind Atmosphären für Theorie und Praxis der Architektur außerordentlich bedeutsam.“ (Böhme, 2008/2, S. 54) An anderer Stelle führt er aus: „Wenn es wahr ist, dass Architektur Räume gestaltet, so muss man, um sie zu beurteilen, sich in diese Räume hineinbegeben. Man muss leiblich anwesend sein. [...] Die entscheidende Erfahrung kann man nur machen, wenn man durch seine Anwesenheit in dem Raum, nämlich seiner Atmosphäre in seinem Befinden gestimmt wird. Damit erweist sich der Satz, den man Polyklet zuschreibt und der sich dann bei Vitruv explizit findet, schließlich als wahr, nämlich, dass der Mensch das Maß der Architektur ist. Freilich in anderem Sinne, als er gemeint war.“ (Böhme, 2006, S. 111) 2.4.2 Das menschliche Maß der Architektur Der menschliche Maßstab der Architektur ist demnach nicht sein Körper allein, sondern sein Leib und dessen Wahrnehmung, die sich in der Bewegung intensiviert. Böhme weiter: „Die einfachste und überzeugendste Art, sich der leiblichen Anwesenheit im Raum zu versichern, ist Bewegung.“ (Böhme, 2006, S. 110) Und sein Gebrauch, möchte man ergänzen, denn im Alltag bedeutet die Bewegung in der Architektur auch ihre Benutzung. Mit Kant stellt Böhme fest, dass Architektur zweckmäßig ist, weil Gebautes zweckmäßig und zugleich ohne Zweck ist, weil sie eine Kunst ist. Mit Walter Benjamin hält Böhme fest, dass die Architektur nur durch ihre Nutzbarkeit ihren Sinn erhält. (Böhme, 2006, S. 106) In seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit aus dem Jahr 1936 schreibt Benjamin: „Bauten werden auf doppelte Art rezipiert: durch Gebrauch und durch Wahrnehmung. Oder besser gesagt: taktil und optisch.“ (Benjamin, 2006, S. 71) Die Zweckmäßigkeit der Architektur trägt, folgt man den obigen Ausführungen Böhmes, Kants und Benjamins, ganz wesentlich zum Wohlbefinden ihrer Benutzer bei, was bei aller Funktionalismuskritik der vergangenen Jahrzehnte nicht vergessen werden sollte. Dennoch heiligt der Zweck gerade hier nicht die Mittel. Auch das kann als ein Ergebnis dieser Erörterung mitgenommen werden. Die Parameter des Wohlbefindens in einem Raum sind vielfälKapitel 2.4 37 tiger und sie bestimmen ganz wesentlich die Atmosphäre eines Raumes. Die Raumgestaltung setzt den Rahmen für die Erfahrung des Raums, vermittelt das Gefühl von Enge und Weite, Transparenz und Geschlossenheit, Helligkeit und Dunkelheit. Dennoch mahnt Böhme, die Tektonik nicht überzubewerten, denn die Geometrie eines Raumes oder die Platzierung von Dingen beeinflussen nach Böhme zwar das Befinden des Menschen, der sich in und zwischen ihnen bewegt, der Raum der leiblichen Anwesenheit geht aber darüber hinaus (Böhme, 2006, S. 111ff.). Der Mensch, besser sein sinnenerfahrender Leib, der sich (auch im Rahmen einer Benutzung) durch den Raum bewegt, und nicht die Geometrie seines Körper, sind demnach das Maß der Architektur und ihrer Qualität. Zu Recht fordert Böhme deshalb auch eine neue Interpretation des oben erwähnten Satzes von Polyklet beziehungsweise Vitruv. 2.4.3 Parameter der Raumkonstitution Böhme verweist im Zusammenhang mit Raum und Atmosphäre auf die ephemeren Mittel der Raumkonstitution, von denen er das Licht und den Ton als die wesentlichsten benennt. Licht definiert Räume bekanntlich unabhängig von Gebäuden. Der Lichtkegel einer Lampe oder der Wirkungskreis eines Kofferradios auf einem weiten Feld bestimmen ebenso eindeutig Räume, wie Wände und Fenster. Böhme nennt auch den Farbenraum, den er in den Werken des Künstlers James Turrell als körperlos schwebend erkennt. Mit ephemeren Elementen haben Olafur Eliasson und Philippe Rahm Räume auf ähnliche Art konstruiert. Eliasson setzte dafür ebenfalls farbiges Licht ein. Rahm arbeitet unter anderem mit einer klimatischen Raumbildung oder indem er versucht, auf technischem Weg Gefühle für einen bestimmten Raum zu erzeugen, die diesen Raum dann bestimmen. (siehe Abschnitt 2.3) Böhme setzt hier neben die von Aristoteles formulierte Definition des topos, des Raums als Ort zwischen den Außenflächen von Boden, Wänden und Decken und die Definition dieses Begriffes durch Descartes, als Abstandsraum, spatium, die Definition des Raumes leiblicher Anwesenheit. Dieser Raum und seine Atmosphäre sind sehr von der subjektiven Erfahrung derjenigen geprägt, die sich in ihm bewegen. (Böhme, 2006, S. 118) 2.4.4 Objektive und subjektive Wahrnehmung von Atmosphären Man könnte nun annehmen, dass die Wahrnehmung von Atmosphären etwas ganz Persönliches, also Subjektives ist, das der Mensch in den Raum mitbringt. Dieser Auffassung sind verschiedene Philosophen, wie Hermann Schmitz, oder auch Architekten, wie Wolfgang Meisenheimer. In Abgrenzung zu Schmitz weist Böhme aber auch der Dingwelt eine atmo38 Kapitel 2.4 sphärische Ausstrahlung zu. Seinen Gedanken folgend, artikulieren auch Dinge durch ihre Wirklichkeit im Raum und ihre Eigenschaften – ihre „Ekstasen“ (Böhme, 1995, S. 33) – „die Sphären ihrer Anwesenheit“ (Böhme, 1995, S. 33). Für Böhme bedeutet das aber nicht, Atmosphären als etwas Objektives zu betrachten. Für ihn sind sie weder rein objektiv noch rein subjektiv: „Die Atmosphären sind so konzipiert weder als etwas Objektives, [...] und doch sind sie etwas Dinghaftes, zum Ding gehöriges [...]. Noch sind die Atmosphären etwas Subjektives, etwa Bestimmungen eines Seelenzustandes. Und doch sind sie subjekthaft, gehören zu Subjekten, insofern sie in leiblicher Anwesenheit durch den Menschen gespürt werden und dieses Spüren zugleich ein leibliches Sich-Befinden der Subjekte im Raum ist.“ (Böhme, 1995, S. 34) Trotz dieser Ambivalenz ist es nach Böhme möglich, sich über Atmosphären zwischenmenschlich auszutauschen. Über die Atmosphäre eines dunklen und muffigen Kellers wird man sich schnell verständigen können und auch über einen heiteren hellen Raum. Böhme weist in diesem Zusammenhang auch noch auf ein anderes Phänomen hin. Mit dem Hinweis auf die Anleitung des Gartentheoretikers Hirschfeld zum Bau einer „sanftmelancholischen Gegend“ (Böhme, 1995, S. 37) und das Grimmschen Märchen von Jorinde und Joringel zeigt er die Kongruenz der über beide Medien vermittelten Atmosphäre. (Böhme, 1995, S. 38) „Dieselben Atmosphären können [...] auch durch Worte oder durch Gemälde erzeugt werden. Das Eigentümliche bei einer Geschichte, die man liest oder vorgelesen bekommt, ist ja dies: sie teilt uns nicht nur mit, dass irgendwo anders eine bestimmte Atmosphäre geherrscht habe, sondern sie zitiert diese Atmosphäre selbst herbei, beschwört sie. Ähnlich sind Bilder, die eine melancholische Szene darstellen, ja nicht nur Zeichen für diese Szene, sondern erzeugen diese Szene selbst. Von daher könnte man vermuten, dass die von Hirschfeld aufgezählten Bestandsstücke einer Gegend deren Charakter nicht irgendwie zusammensetzen, sondern dass auch sie eine Atmosphäre beschwören.“ (Böhme, 1995, S. 38) Mit diesem Beispiel weist Böhme nach, dass Atmosphären nicht nur das gemeinsame Verständnis einer größeren Gruppe haben können, sondern dass sie auch mittels unterschiedlicher Medien verständlich oder besser: erfahrbar gemacht werden können. Eine Anschauung in praktischer Hinsicht gab das Weather Project von Olafur Eliasson, das eine künstlich geschaffene Atmosphäre zum Stadtgespräch machte und darüber hinaus in begleitenden Aktionen die Kommunikation über das Wetter (und das Weather Project) förderte, beispielsweise mit Plakataktionen in den Londoner Taxis. Kapitel 2.4 39 2.4.5 Kommunikation über Atmosphären Wie wir uns alltäglich über Atmosphären verständigen, macht Gernot Böhme an einigen allgemeinen Redewendungen fest. Über das Wetter zu reden, ist eine unserer beliebtesten Konversationen. Wir tauschen uns gerne darüber aus, ob der Himmel heiter ist oder ein Gewitter droht. Auch im übertragenen Sinne werden Wetterphänomene benannt, um eine Gesprächsatmosphäre oder die Stimmung unter unseren Mitmenschen zu charakterisieren. Eine angespannte Situation wird gerne als „angespannte Atmosphäre“ bezeichnet, oder man spricht von „dicker Luft“. Mit solchen Redewendungen belegt Böhme, dass das meteorologische Phänomen und solche, die im übertragenen Sinne mit Atmosphären bezeichnet werden, in der menschlichen Erfahrung sehr dicht beieinander liegen. (Böhme, 2008/2, S. 52) Beide sind durchaus auch verallgemeinerbare sinnliche Erfahrungen, die deshalb auch kommunizierbar sind. Ähnliches lässt sich auch über Raumatmosphären sagen. 2.4.6 Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik Böhmes Argumentationshintergrund ist aber weniger sein Interesse an der Architektur oder an einem architekturtheoretischen Diskurs. Sein eigentliches Anliegen ist die Arbeit an einer neuen Ästhetik als einer Erkenntnistheorie oder Erkenntnismethode, die auf sinnlichen Erfahrungen beruht. Dabei spielt der Begriff der Atmosphäre eine wesentliche Rolle. In seiner 1995 erstmals publizierten Abhandlung Atmosphäre geht er in seinen Betrachtungen in das 18. Jahrhundert zurück. Hier sieht er mit den Definitionen von Immanuel Kant einen Bedeutungswandel des Begriffs Ästhetik verortet. Der griechische Ursprung des Wortes Ästhetik legt eine Bedeutung im Sinne von Erkennen, von Erkenntnis nahe. Heute ist Ästhetik weniger eine sinnliche Erfahrung, als ein Regelwerk zur Beurteilung von Kunstwerken. (Böhme, 1995, S. 34) Im 18. Jahrhundert, stellt Böhme fest, kam neben den Naturwissenschaften, die sich um messbare Erkenntnisse in der Natur bemühten (und noch heute bemühen), der Kunst, insbesondere der Landschaftsmalerei, die Aufgabe zu, sinnliche Erkenntnisse zu vermitteln, so zum Beispiel im Gefolge von Alexander von Humboldt, der in diesem Zusammenhang gezielt Landschaftsmaler engagierte. Sie sollten über die Natur vermitteln, was an Apparaten nicht ablesbar war. (Böhme, 2008/1 (Vortrag), auch in: Böhme, 1995, S. 14, S. 182f) Die einst gemeinsamen Wege von Kunst und Naturwissenschaft trennten sich spätestens im frühen 19. Jahrhundert, als sich die Ästhetik immer stärker auf die Erfahrung der Kunst selbst konzentrierte und von der Erkenntnis der Natur abwandte. Böhme führt dazu Hegels Definition der Natur an, nach der diese nicht mehr als ein Gegenstand der Ästhetik zu betrachten sei, dieser Platz sei der Kunst vorbehalten. (Böhme, 2006, S. 21) Nach Gernot Böhme hat dies das Verhältnis der Menschen zur Natur sehr verändert und den sinnlichen Zugang zu ihr erschwert. Dabei trägt die sinnliche Erkenntnis der Natur, nach seiner Auffas40 Kapitel 2.4 sung, sehr zum subjektiven Befinden der Menschen bei. Atmosphäre ist für ihn der Grundbegriff einer neuen Ästhetik, im Sinne einer Erkenntnistheorie (Böhme, 1995, S. 21). Böhme versteht Ästhetik hier nicht in der heute gebräuchlichen Definition, als Regelwerk der Schönheit oder als Synonym für Schönheit schlechthin. Er hält außerdem, das ist, wie bereits gesagt, ein wesentlicher Bestandteil seiner Argumentation und Erkenntnis, Atmosphären für herstellbar. Anknüpfend an das Verständnis von Ästhetik im 18. Jahrhundert sieht Böhme in der Kunst eine Chance zur Vermittlung sinnlicher Erfahrungen von Atmosphären in der Natur und in einem von Menschen geschaffenen Umfeld. Er zielt dabei auf alle künstlerischen Bereiche, auch auf die angewandte Kunst der Landschaftsarchitektur, der Innenraumgestaltung und des Designs, des Bühnenbildes und schließlich der Architektur. Diese neue Ästhetik würde nach seiner Auffassung nicht nur das Wohlbefinden der Menschen in einer humanen natürlichen Umgebung oder in einer menschengerechten Architektur erhöhen, sondern den Menschen sozusagen die Sinne für das Erfahren ihrer Umgebung öffnen. Eine sensibilisierende, also die Sinne anregende räumliche Atmosphäre (als Teil des architektonischen Konzeptes) trägt zum Erkenntnisgewinn der Menschen bei und versetzt sie in die Lage, über Atmosphären zu kommunizieren. (Böhme, 2006, S. 19ff.; auch in: Böhme, 1995, S. 21ff.) Böhme beschreibt das mit den folgenden Worten: „Die neue Ästhetik wird versuchen, diese Erfahrungen mit Hilfe des Atmosphärenbegriffs zu analysieren und sprachfähig zu machen“ (Böhme, 1995, S. 8). 2.4.7 Vermittlung der Sensibilität zur Wahrnehmung von Atmosphären Atmosphären, ihre Wahrnehmung, ihr Erleben sieht Gernot Böhme im Sinne Friedrich Schillers als wesentliches Element der ästhetischen Erziehung des Menschen. Böhme sieht Atmosphären als die gegenwärtige Entsprechung des Spiels oder des Spieltriebs, den Schiller im Mittelpunkt der ästhetischen Erziehung sah. In seiner Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen aus dem Jahr 1795 beklagt er die nach seiner Ansicht zu starke Trennung von Vernunft und Sinnlichkeit. Das Spiel bzw. der im Spiel angeregte Spieltrieb soll zwischen beiden vermitteln und dadurch die Bildung des Menschen vervollständigen. An dieser Stelle sieht Böhme den Begriff der „Atmosphäre“ und den durch ihr Erleben gewonnenen Erkenntnisgewinn. (Böhme, 2006, S. 44ff.) Mit Werner Durths Untersuchungen der Inszenierung von Alltagswelten bezieht sich Gernot Böhme auch auf die Stadtgestaltung und warnt hier eindringlich davor, sie mit dem Schaffen von Bühnenbildern zu verwechseln. Es geht nicht um eine politische Inszenierung wie sie diktatorischen Regimen, wie dem der Nationalsozialisten und anderen geläufig war. Außerdem hinke der Vergleich mit der Bühne und der Stadt, denn die Stadt sei nicht für einen Kapitel 2.4 41 außenstehenden Betrachter gebaut, sondern quasi für Schauspieler und Zuschauer gemeinsam. Dennoch biete das Beispiel des Bühnenbildes auch Vorteile und Hinweise darauf, wie Atmosphären erzeugt werden könnten. Die von Böhme vorgebrachten Bedenken bezüglich der Metapher „Stadt als Bühne“ verlieren aber nicht an Stärke, schließlich werden Bühnenbilder und Filmkulissen als Illusion konzipiert, die Stadt und die Architektur sind aber reale Lebensumfelder. (Böhme, 2006, S. 133) 2.5 Fazit: Atmosphäre und Raum Die Atmosphäre bestimmt im direkten meteorologischen sowie im übertragenen Sinne unsere Umgebung. Folgt man Gernot Böhme, erkennt man, dass es dafür eigentlich keiner Sinnesübertragung bedarf, denn die atmosphärischen Eindrücke unserer natürlichen, vom Wetter beeinflussten Umgebung und die durch räumliche Parameter bestimmten Sinneseindrücke der von Menschen geschaffenen Räume der Architektur haben in der körperlichen, besser: in der leiblichen Erfahrung ihre Parallele. Die Raumatmosphäre ist infolgedessen ein wesentliches Element der Architektur. Mehr als mit den Augen, erfahren wir den Raum über seine Atmosphäre, die wir mit allen unseren Sinnen wahrnehmen. Diese Wahrnehmung ist subjektiv, also individuell von vielen Einflüssen geprägt. Sie gehört, nach Böhme, zum persönlichen Befinden, das sowohl eine örtliche Bestimmung als auch die Stimmung beschreibt, die Raumerfahrung bei jedem Einzelnen bewirkt. Es lässt sich aber über Raumatmosphären kommunizieren, wie über das Wetter, und dabei Übereinstimmung in den vielleicht unterschiedlichen Erfahrungen finden. Während aber das Wetter als naturgegeben erscheint, ist die Architektur eindeutig von Menschen gemacht. Mit dem Entwurf der Architektur lässt sich also auch deren Atmosphäre entwerfen und deren Einfluss auf ihre Nutzer bestimmen. In der Architektur spielte die bewusste Erzeugung atmosphärischer Raumwirkung für besondere Bauten seit jeher eine wichtige Rolle. Sakrale Bauwerke, aber auch Bauten anderer Art machen das deutlich. Für die Alltagsarchitektur setzt sich diese Erkenntnis erst allmählich durch. Architekten, wie Peter Zumthor oder Philippe Rahm, erheben die Gestaltung von Atmosphären in ihr Entwurfsprogramm oder postulieren entsprechende Anforderungen. Ein Künstler, wie Olafur Eliasson, thematisiert in diesem Zusammenhang die Kommunikation über Atmosphären. Die auf den Menschen abgestimmte Wirkung der Architektur und ihre Nutzbarkeit unterscheiden sie von der Skulptur. Sie sind deshalb auch wesentliche Merkmale ihrer Qualität. Böhme geht soweit, das menschliche Maß in der Architektur nicht länger durch die Maße des menschlichen Körpers zu definieren, sondern die Qualität ihrer leiblichen Erfahrung zum menschlichen Maßstab zu machen. Atmosphären sind nach Böhme der Grundbegriff einer neuen Ästhetik, im Sinne der Erkenntnis durch die sinnliche Wahrnehmung, und sie sind nach seinem Verständnis ein zeitgemäßer Gegenstand, der durch Fried42 Kapitel 2.5 rich Schiller seiner Zeit definierten ästhetischen Erziehung, die die Stelle des Spiels als Vermittler zwischen Sinnlichkeit und Vernunft einzunehmen vermag. Die von Peter Zumthor formulierte Entwurfsprogrammatik für die tektonische Schaffung von Raumatmosphären, die experimentellen und demonstrativen Arbeiten des Architekten Philippe Rahm, mit klimatischen und anderen ephemeren Elementen zur Schaffung von Räumen durch Atmosphären, sowie die künstlerischen Arbeiten von Olafur Eliasson weisen auf die Potenziale einer bewussten Produktion von Raumatmosphären sowie ihre Reflektion und Kommunikation hin und verdeutlichen die Spielräume, die auch für die nutzungsorientierte, angewandte Kunst der Architektur bestehen. Wenn die Atmosphäre ein Wesenselement des Raumes und seiner Erfahrung ist, muss sie auch ein wesentlicher Teil des architektonischen Entwurfes sein. Die Erfahrung räumlicher Atmosphäre ist ein Erkenntnisprozess, der sich im architektonischen Entwurf niederschlägt. Wenn die Atmosphäre eines Raumes und ihre Erfahrung darüber hinaus kommunizierbar sind, kann sie Teil eines Diskurses sein, der sich nicht nur unter den Nutzern dieser Architektur ergibt, sondern auch zwischen Nutzern und Architekten. Im folgenden Kapitel soll deshalb der architektonische Entwurfsprozess näher betrachtet und der Frage nachgegangen werden, welche Rolle die Erkenntnis und die Intuition dabei spielen, welche rationalen und emotionalen Einflüsse diesen kreativen Vorgang bestimmen und welche Rolle die Einbeziehung der Nutzer für den Entwurf spielt. Dabei soll auch geklärt werden, wie die Kommunikation mit Architekturlaien und Nutzern als Erkenntnis in einen intuitiven Entwurfsprozess einfließen, welchen Anteil die Erfahrung räumlicher Atmosphären daran haben und wie sie kommuniziert werden oder werden können und wie diese Kommunikation Teil des architektonischen Entwurfs werden kann. Kapitel 2.5 43 Entwerfen als Erkenntnisprozess 3 3 3. Entwerfen als Erkenntnisprozess Um sich der Frage nähern zu können, welche Rolle räumliche Atmosphären für die Kommunikation zwischen Architekten und Laien spielen können und wie eine Partizipation der Nutzer am architektonischen Entwurfsprozess daraus entstehen kann, soll in diesem Kapitel zunächst der Entwurfsprozess und seine Mechanismen selbst betrachtet werden. Dafür soll ein Blick auf Theorien des Entwerfens geworfen werden und es sollen in diesem Zusammenhang auch Gesellschaftstheorien zu Rate gezogen werden. Es werden zunächst die Theorien eines um Objektivität bemühten Entwerfens betrachtet, die in einer hohen Rationalität des Denkens auch ein hohes Maß an Verantwortung in der entwurflichen Entscheidung gesehen haben und sich subjektiven, emotionalen und intuitiven Einflüssen zu entziehen versuchten. Diese Tendenz ist besonders stark in der radikalmodernen Architektur der zwanziger Jahre in Deutschland zu finden. (Jormakka, 2008, S. 40ff.) Aber auch die moderne Architektur der sechziger Jahre in Großbritannien zeigt eine solche Entwicklung (Cross, 1984 passim). Gerade diese Einflussgrößen spielen in den jüngeren Entwurfstheorien eine große Rolle, so dass hier eine Neubewertung der subjektiven Erfahrungen für das Entwerfen zu beobachten ist (Gänshirt, 2007, S. 77f; Nowotny et al, 2008, S. 256). Ein besonderes Augenmerk wird im Folgenden also auf das Zusammenspiel von Rationalität und Intuition beim Entwerfen gelegt und die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung die Erkenntnis und das Wissen für den architektonischen Entwurf hat. Dazu wird die Soziologin Helga Nowotny und die von ihr gemeinsam mit einigen ihrer Kollegen entwickelte Theorie des Modus-2-Wissens zu Rate gezogen. Die Betrachtung des architektonischen Entwurfs als Dialog, insbesondere durch die Architekturtheoretiker Horst Rittel und Donald Schön, macht Nowotnys Ansatz hierfür nutzbar. Auf der Grundlage ihrer Definition des „sozial robusten Wissens“ (Nowotny, 2003, S. 151) soll der Frage nachgegangen werden, wie der Erkenntnisgewinn aus der Nutzerpartizipation produktiv in den Entwurfsprozess eingebunden werden kann und welche Form der Kommunikation Anwendung finden soll. 3.1 Rationales, um Objektivität bemühtes Entwerfen Ein grundlegender Aspekt in der Reflexion des architektonischen Entwurfes war die Erforschung seiner rationalistischen Strukturen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie ging einher mit Bemühungen, den Entwurfsprozess selbst nach rationalistischen Prinzipien zu strukturieren. Diese Bestrebungen standen nicht zufällig in zeitlicher Nähe zu den von 46 Kapitel 3.1 Henry Ford und Frederick Winslor Taylor entwickelten Rationalisierungen und der Taktung von Arbeitsprozessen, in der die Diskussion um eine moderne Architektur bzw. ein neues Bauen einen besonderen Schub erlebten (Schwarz, 1999, S. 205ff.). Die Gebäudefunktionen standen dabei im Vordergrund der Überlegungen zu einer Optimierung des Bauens. Auch wenn einige, der im Folgenden behandelten Entwurfsansätze, heute mit Distanz betrachtet werden können, haben andere auch weiterhin Bestand. 3.1.1 Architektur als errechenbare Form In einer Rationalisierung des Entwurfes versuchten sich einige der am Bauhaus tätigen Architekten, wie Walter Gropius und andere, insbesondere dessen zweiter Direktor, Hannes Meyer, zwischen 1928 und 1930. Meyer erkannte für sich, dass jeder architektonische Entwurf auf wissenschaftlich messbaren Erkenntnissen beruht. Dabei bezog er sehr verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, wie die Philosophie, die Physik, die Volkskunde, die Soziologie, die Psychologie, die Physiologie oder die Anatomie in seinen Entwurfsansatz und in die Lehre am Bauhaus ein. Nach seiner Auffassung würde sich der Entwurf „selbst errechnen“ (Meyer zitiert nach Jormakka, 2008, S. 40), sobald alle relevanten Fakten, wie der Bauplatz und das Nutzungsprogramm festgelegt seien. (Abb. 3.1.1 (1) Meyer) Dafür entwickelte er Diagramme, die die Bezüge und Abhängigkeiten der unterschiedlichen Faktoren, wie Bewegungsabläufe, Sonneneinstrahlung oder Konstruktion aufzeigen. (Jormakka, 2008, S. 40) In den Funktionsschemata aus Blasen und Pfeilen, die noch heute von einigen Architekten beim Entwurf eingesetzt werden, leben Meyers Diagramme fort. Meyer zählte die Architektur nicht zu den schönen Künsten und sprach Architekten das Recht ab, auf der Grundlage von Intuition oder kreativer Inspiration zu entwerfen. (Jormakka, Abb. 3.1.1 (2) Hugo Häring, Funktionelles Bauen, Gut Garkau bei Lübeck, 2008, S. 40) das Viehaus Kapitel 3.1 47 Abb. 3.1.1 (1) mit Hannes Meyer am Bauhaus, Versuchsarbeit Philipp Tolziner und Tibor Weiner Ein anderer rationalistischer Entwurfsansatz, der etwa zur gleichen Zeit entstand, war das von Hugo Häring verfolgte Prinzip der Leistungsform, nach der ein Gebäude seine Form durch die darin zu erfüllenden Funktionen und optimierten Bewegungsabläufe sowie Nutzungszuordnungen gewinnt. Das berühmteste Beispiel dieses Entwurfsansatzes ist der von Häring 1924/25 auf dem Gut Garkau nahe Lübeck errichtete Kuhstall, der nach eben solchen 48 Kapitel 3.1 Erkenntnissen gebaut wurde (Abb. 3.1.1 (2) Häring). Darin ist auch die Position des Bullen am Scheitelpunkt des birnenförmigen Grundrisses festgelegt, an der er für jede Kuh sichtbar war. Die Kühe konnten sich untereinander nicht sehen, was nach Härings Bekundungen die Gefahr zur Verbreitung von Seuchen verringern sollte. Die Fütterung der Tiere und das Ausmisten des Stalls sollten durch seine Grundrissform begünstigt werden. Hugo Häring war beim Entwurf zu dieser Erkenntnis gelangt und hatte sie direkt umgesetzt. (Jormakka, 2008, S. 40) In der Zeitschrift Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit schreibt Häring dazu 1925: „Die Gestalt dieses Baues ist also gewonnen worden, indem das Ziel gesetzt wurde, die Form zu finden, welche den Ansprüchen an die Leistungserfüllungen des Bauwerkes am einfachsten und unmittelbarsten entsprach. Für Einflüsse anderer Art, für Volkskunst, bodenständige Traditionen, sachsenpferdgekrönte Giebel etwa, war hier natürlich kein Raum; gleichwohl steht der Bau auf dem Boden und in der Landschaft mit größerer innerer Zugehörigkeit, als danebenliegende alte Bauten“ (Häring nach Schirren, 2001, S. 323). Die Optimierung von Grundrissen blieb in dieser Zeit bekanntlich nicht auf Viehställe konzentriert. Auch im Wohnungsbau, insbesondere im sozial orientierten Wohnungsbau, gewann der „Funktionalismus“ eine wichtige Bedeutung. Die „Wohnung für das Existenzminimum“ war als raumsparendes Konzept sehr auf die Optimierung des Grundrisses nach alltäglichen Abläufen des Lebens einer Familie oder von Einzelpersonen konzipiert. (Steinmann, 1979, S. 35ff., vgl. CIAM Kongress 1929) Der niederländische Architekt Mart Stam hat 1935 das Alltagsleben einer Arbeiterfamilie genauestens analysiert, die Schlaf- und Essenszeiten, die An- und Abwesenheit der einzelnen Familienmitglieder am Tag untersucht und daraus Schlussfolgerungen für Größe und Einteilung der Wohnung gezogen (Stam, 1936, S. 22f). Eine Doppelbelegung der Wohnflächen zur Tages- und zur Nachtzeit haben verschiedene Architekten dieser Zeit zur Grundlage ihrer Entwurfsüberlegungen zum Bau von Wohnungen gemacht. Der Künstler Hans Richter hat das für den Schweizer Werkbund in seinem Film Die neue Wohnung (1932) anschaulich gezeigt. Es ist ein Propagandafilm für das Neue Bauen, in dem er Bauten von Mart Stam und Werner Moser, Paul Artaria und Hans Schmidt, Mies van der Rohe, Le Corbusier und anderen vorstellt, die avantgardistische Haltung gegenüber der Traditionswahrung absetzt und die neue Wohnung für den neuen Menschen präsentiert. Letzterem sollte mit dem Film die Nutzung des neuen Möbeldesigns bzw. der Architektur nahegebracht werden. (Janser/Rüegg, 2001 passim) Man kann hier aber auch sagen, dass der Bewohner, trotz aller fürsorglichen Absichten, auf die neue Lebensweise vorbereitet, um nicht zu sagen erzogen, werden sollte. Kapitel 3.1 49 Die in Grundrissen und Gebäudekonzeption festgelegten Funktionen des Alltagslebens ließen nur wenige Abweichungen zu, so dass ihre Nutzung letztendlich nicht optimiert, sondern eingeschränkt wurde, was am Beispiel des Häringschen Kuhstalls deutlich zu erkennen ist. Schon die Anschaffung eines zweiten Bullen bringt sein Konzept durcheinander. Die Umnutzung von streng nach rationalistischen oder funktionalistischen Prinzipien entworfenen Gebäuden ist nur dann sinnvoll, wenn es keine Abweichungen des ursprünglich geplanten Programms gibt. 3.1.2 Design Methods Movement Das Aufkommen des Computers begünstigte die Herausbildung systematisierter und rationalisierter Entwurfsmethoden in den 1960er Jahren in besonderer Weise. Beispielsweise Nicolas Negroponte stellte sich Architekturmaschinen vor, die selbständig Entwürfe produzieren sollten. George Stiny und William Mitchell entwickelten eine Formgrammatik für einen computergestützten Architekturentwurf. (Jormakka, 2008, S. 43) Diese Entwicklung brachte für das Bemühen um rationalisierte Entwurfsmethoden einen bedeutenden Impuls. Es ging um die Anwendung wissenschaftlicher Methoden im Planungsprozesses, die eine Erkenntnissammlung der für den Entwurf relevanten Daten optimieren und auch andere Wissensdisziplinen einbeziehen sollte. Auf diese Weise sollten nicht nur technische und ästhetische, sondern auch politische und gesellschaftliche Fragestellungen in den Entwurf eingebracht werden. (Cross, 1989 passim) Man ließ dabei allerdings außer Acht, dass Computer keine Qualitäten bewerten und aussortieren, also keine Wertungen definieren können. Das Prinzip der Ja/Nein-Entscheidung und sein Äquivalent in der Computersprache 0/1 machte sich beispielsweise der Mathematiker und Architekt Christopher Alexander zunutze. Er stellte seine Entwurfsmethode 1962 auf einem Kongress für „Design Methods“ in London vor. Die Konferenz markiert gleichzeitig den Beginn einer Bewegung zur Systematisierung des Entwurfsprozesses durch entsprechende Technik. Stellvertretend sei hier dafür Alexanders Entwurf für ein indisches Dorf vorgestellt, das er auf dem Kongress in London präsentierte. (Prominski, 2004, S. 89f) Alexander listete zunächst alle Anforderungen an den Entwurf detailliert auf: ökonomische und kulturelle Bedingungen für die Dorf50 Kapitel 3.1 Abb. 3.1.2 Christopher Alexander, Design Methods Movement, Entwurfsdiagramme für ein indisches Dorf entwicklung, aber auch die Bewohnerbedürfnisse. Insgesamt hat er 141 Anforderungen bestimmt. Die Wechselbeziehungen der Anforderungen untereinander qualifizierte er mit ‚Ja’ oder ‚Nein’, also 0 oder 1, und konnte so ein komplexes System von Beziehungen und Bedingungen aufbauen, die er dann per Computer mathematisch optimieren ließ und in überund untergeordnete Systeme einteilte. Für die Subsysteme entwickelte er räumliche Entwürfe als Diagramme, die er dann zu einem kompletten Entwurf für das Dorf zusammensetzte. (Christopher, 1984, S. 42ff.; Prominski, 2004, S. 89f) (Abb. 3.1.2 Alexander) Alexander versuchte mit diesem Verfahren nicht nur zu zeigen, dass ein Entwurf auf objektiven Erkenntnissen beruhen kann und nicht von der autarken subjektiven Entscheidung eines einzelnen Architekten abhängig sein muss, der nach einem Top-Down-Prinzip agiert, er machte auch deutlich, dass eine grundlegende Untersuchung der vermeintlich objektiven Gegebenheiten inklusive der Nutzerinteressen, auch durch ein Bottom-Up-Prinzip mit Hilfe eines Computers umgesetzt werden kann. Damit erregte Alexander großes Aufsehen. Aber trotz aller Bemühungen um Objektivität bleibt sein Ansatz dennoch, vor allem durch die Aufstellung eines Kriterienkatalogs, durch seine Person bestimmt, also letztenendes subjektiv. Seine Bemühungen um die Operationalisierung des Entwurfsprozesses sind allerdings bemerkenswert. (Prominski, 2004, S. 89f) Einen ähnlichen Ansatz wie Alexander verfolgte auch der britische Industriedesigner Bruce Archer. Er gibt den vielen kleinen Entwurfsproblemen eine Rangordnung, um sich der Entwurfslösung zu nähern. Er bediente sich dabei aber bewusst nicht des Computers. Seine Systematik sollte nicht zu Automatismen führen. Ihm ging es eher um eine Strukturierung des Entwurfsprozesses und um eine Entwicklung objektiver Methoden zur Analyse der Entwurfsgrundlagen. Die Subjektivität des Entwerfens bezieht er in diese Struktur ein. Am Anfang und als Grundlage der Entwurfsphase sieht er die Analyse, für die ein induktives Denken notwendig sei. Darauf aufbauend folgt die kreative Phase des Entwurfes, in der Einfühlungsvermögen, subjektives Werten und deduktives Denken notwendig würden. Letzte Phase sei dann die Exekutive, die Ausführungsplanung. (Prominski, 2004, S. 91f) Ende der 1970er Jahre distanzierte sich Archer allerdings von diesem Ansatz. Er war zu der Erkenntnis gelangt, dass sich das Entwerfen im Denken und in der Kommunikation deutlich von der Wissenschaft unterscheide (Archer, 1979, S. 347ff.). Auch Christopher Alexander distanzierte sich zu Beginn der 1970er Jahre von seinem Ansatz. Mit der Systematisierung könnten nur marginale Probleme gelöst werden. Auch der Computer könnte hier nicht helfen. Erfolg versprechender und schneller meinte er, mit einer vor allem auf kulturellen Erfahrungen beruhenden, aber gleichfalls typologischen „MusterSprache“, seiner „Pattern-Language“ zum Entwurfsziel zu kommen. (Prominski, 2004, S. 92) Kapitel 3.1 51 Der britische Architekturtheoretiker Jeremy Till kritisiert die Ansätze des „Design Methods Movement“ in Bezug auf die Möglichkeiten der Partizipation durch die Nutzer folgendermaßen: Er sieht zunächst einen grundlegenden Widerspruch zwischen einer autoritär wirkenden Ästhetik und einem hohen ökonomisch-technischen Aufwand auf der einen Seite und der sozialen Wirklichkeit auf der anderen Seite. (Till, 2005, S. 28) Eine subjektiv-genialistische Planungskultur stehe einer technokratischen gegenüber (Fezer/Heyden 2004, S. 17). Die Befürworter des „Design Methods Movement“ waren sich einig, dass die Undurchsichtigkeit des Entwurfprozesses eine Partizipation verhindere und waren um Transparenz bemüht. Gerade durch den Einsatz eines Computers glaubte man, einem größeren Teilnehmerkreis direkten Einfluss auf die Gestaltung ihrer Umgebung geben zu können oder sogar selbst Gebäude durch die Hilfe des Computers entwerfen zu können. (Till, 2005, S. 28) Till kritisiert daran, dass allein ein transparenter Planungsprozess dem Laien beziehungsweise dem Nutzer noch keine Beteiligung daran ermögliche. Die in diesen Verfahren produzierten Diagramme und technischen Daten seien letztendlich doch wieder nur für Experten verständlich. Außerdem würde die Rahmensetzung wiederum von Experten vorgenommen werden und die eigentlichen Inhalte blieben die gleichen! Die tatsächliche Integration des Nutzers oder eines Laien verlange eine Neuformulierung des Expertenwissens und neue Wege, dieses einzusetzen. Allgemeine Strukturen könnten einzelne Wünsche nur schwer berücksichtigen, im Gegenteil unterdrückten sie deren Entwicklung. Dadurch entfremde sich der Architekturdiskurs von den alltäglichen Wünschen und Bedürfnissen der Gesellschaft. (Till, 2005, S. 28, S. 31ff.) Die Architektin und Architekturtheoretikerin Natalie Heger betont den kooperativ interdisziplinären Ansatz, den der am „Design Methods Movement“ orientierte Planungsprozess des Olympischen Dorfes 1968-1972 in München mit einem schlagkräftigen Planerteam formte, der ohne einen leitenden Architekten auskommen konnte. Auch der Architekturtheoretiker Jürgen Joedicke sah Intuition und Phantasie nicht, wie Hannes Meyer, als eine Bedrohung der Objektivität des rationalen Entwurfsprozesses, sondern als ein ergänzendes Element eines systematischen Entwerfens. (Heger, 2011, S. 2f) Auch wenn einige der hier vorgestellten Planer und Architekten sich von ihren rationalisierten Planungsansätzen distanzierten, blieb ihr Vorgehen doch von dem Versuch geprägt, das Phänomen des Entwurfsprozesses rational zu erfassen, mess- und vorhersehbar zu machen und zu strukturieren. Während es Hannes Meyer in den 1920er Jahren noch für ethisch unvertretbar hielt, dass sich ein Architekt beim Entwerfen der subjektiven Intuition hingibt, die auch in seinem Bauhaus Curriculum den schönen Künsten, aber nicht der Architektur zugedacht war, gaben die Vertreter des „Design Methods Movement“, insbesondere Bruce Archer, zumindest dem „Einfühlungsvermögen“ einen Platz in der Entwurfssystematik. 52 Kapitel 3.1 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der architektonische Entwurfsprozess zwar rationalisierbare und damit objektivierbare Erkenntnisse und Entscheidungsstrukturen beinhaltet, er aber nicht gänzlich damit charakterisiert werden kann. Die vom „Design Methods Movement“ favorisierten rationalistischen Entscheidungsstrukturen sind zwar als transparent zu werten, sie bilden aber den umfassenden architektonischen Entwurfsprozess kaum ab, sondern bilden ein eigenes strukturelles Geflecht. 3.2 Über die Relevanz der subjektiven Erfahrung des Entwerfers In diesem Abschnitt wird es darum gehen, die Rolle der subjektiven Erfahrungen und Erkenntnisse des Entwerfenden zu betrachten und ihre Bedeutung für den Entwurfsprozess zu skizzieren. Nach der Einschätzung des Architekten und Architekturtheoretikers Christian Gänshirt hilft die Frage nicht weiter, ob das Entwerfen ein eher rationaler Akt der Berechnung oder eine rein emotionale Angelegenheit ist. Er zieht in seiner 2007 vorgelegten Arbeit mit dem Titel Werkzeuge für Ideen. Einführung ins architektonische Entwerfen die medizinische Hirnforschung, die sich in jüngerer Zeit verstärkt der Intuition und intuitiv gefällten Entscheidungen zugewandt hat, zu Rate und kommt zu der Erkenntnis, dass die Emotionen eine Art notwendiges Korrektiv zum Rationalen darstellen. Dies ist vor allem für die komplexen Entscheidungen während des Entwurfsprozesses relevant und führt so auch zu einer Neubewertung der Subjektivität des Entwerfens. 3.2.1 Wahrnehmung und Einbildungskraft Christian Gänshirt räumt der Wahrnehmung im Entwurfsprozess einen hohen Stellenwert ein. Er beschreibt das Entwerfen als ein spezifisches Wahrnehmungstraining, das gleichzeitig die Sinne für bestimmte Phänomene sensibilisiert und zu einer Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit führt. „Unsere Sinnesorgane übersetzen optische, akustische, haptische Reize in elektronische Signale, die vom Gehirn zu sinnvollen Informationen verarbeitet werden. Die Verarbeitung und Interpretation dieser Signale ist ein grundlegender kreativer Prozess, dessen gezielte Irritation Möglichkeiten zur Stimulation der Vorstellungskraft birgt.“ (Gänshirt, 2007, S. 59) Nach Einschätzung Gänshirts hat Le Corbusier die Bedeutung der Wahrnehmung für das Entwerfen erkannt. Ein Eintrag in sein Skizzenbuch macht das deutlich: „Der Schlüssel, das ist: zu sehen ... sehen, beobachten, schauen, sich eine Vorstellung machen, erfinden, erschaffen.“ (zitiert nach Gänshirt, S. 59) Auch Leonardo da Vinci hat nach Gänshirt in dem genauen Betrachten eine wichtige Quelle der Inspiration gesehen. Beide ruft er als Zeugen Kapitel 3.2 53 für seine Argumentation auf und erklärt damit, wie eng das Wahrnehmen und die Produktion innerer Bilder, also die Einbildungskraft, zusammenhängen. (Gänshirt, 2007, S. 59) Man kann so davon ausgehen, dass die Kraft der Einbildung, aber auch der Wahrnehmung, also der augenblicklichen Erfassung wesentlicher Elemente des Entwurfsprozesses und außerdem die Erkenntnis und der im Entwurf geäußerte Ausdruck subjektiver Natur sind, denn die Summe der Beobachtungen eines Ortes, einer Situation beruht auf einer individuellen Sensibilisierung der Aufmerksamkeit, der Fähigkeit des Erkennens und des Erinnerns. 3.2.2 Intuition und Ratio in der Entwurfspraxis Um das Verhältnis zwischen Ratio und Intuition für das Entwerfen zu klären und ihre Anteile am Entwurfsprozess zu untersuchen, macht sich Gänshirt die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung zunutze, nach denen sich logisch-analytisches und intuitiv-gestalterisches Denken nicht nur ergänzen, sondern gegenseitig bedingen. 3.2.2.1 Emotion als Erkenntnisquelle - über die Ergänzung von logisch-analytischem und intuitiv-gestalterischem Denken Christian Gänshirt bezieht sich in seinen Betrachtungen zur Ergänzung des analytischen und des intuitiv-gestalterischen Denkens unter anderem auf die Arbeiten der Hirnforscher Edward de Bono und Johanna Sattler. Ersterer hat in seiner Schrift Lateral Thinking (1970) ein logisch-analytisches (vertikales) und ein intuitiv-gestalterisches (laterales) Denken identifiziert, wobei letzteres vor allem für das Generieren von Ideen und für das Lösen von Problemen verantwortlich sei. (Gänshirt, 2007, S. 61) Nach Johanna Sattler lassen sich die im Gehirn zuständigen Bereiche wie folgt charakterisieren: Die linke Hemisphäre des menschlichen Gehirns dominiert nach ihren Erkenntnissen das analytische, logisch-sprachliche Denken und operiert linear, das heißt in aufeinanderfolgenden Denkschritten, während sich in der rechten Hemisphäre ein visuell-räumliches, synthetisierendes und ganzheitliches Denken verorten lässt. (Sattler zitiert nach Gänshirt, 2007, S. 62) Es legt die Vermutung nahe, dass die eine Art des Denkens mit der anderen in Konkurrenz stehe oder der eine Mensch stärker in der einen Richtung talentiert sei, als der andere. Gänshirt beruft sich in diesem Zusammenhang auf den Neurologen António Damasio, der in seinen Forschungen herausfand, dass beide Denkarten einander bedingen. Emotionen sind, das belegte Damasio in Fallstudien, grundlegend für rationale Entscheidungen. Patienten, deren Intelligenz vollständig funktioniert, die aber keine Gefühle mehr empfinden, sind auch nicht mehr zu rationalem Denken und Handeln in der Lage. (Gänshirt, 2007, S. 35) 54 Kapitel 3.2 Seit den 1980er Jahren wurden zu Intuition und Emotionen verstärkt Hirnforschungen unternommen, die sich vor allem auf Vorgänge bezogen, die sich bei intuitiven Entscheidungen vollziehen. Der Stuttgarter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Wissenschaftsredakteur Gerald Traufetter, berichtet von Forschungsergebnissen, die belegen, dass für komplexe Entscheidungen das Unterbewusstsein zuständig ist und dass die intuitive Kraft des Gehirns sich aus dem umfangreichen, nicht direkt abrufbaren Wissen speist. Als ein Beispiel führt Traufetter die Erfahrung eines persönlichen Gespräches an: Während der Verstand auf die Worte achtet, registriert das Unterbewusstsein die Gestik des Gesichts und des Körpers. (Traufetter, 2006, S. 158ff.) Christian Gänshirt resümiert die Relevanz der Hirnforschung für das architektonische Entwerfen, indem er darauf verweist, dass unser Denken Probleme hoher Komplexität am ehesten mit „gefühlsmäßigen“ Entscheidungen löst, und referiert dabei über jüngere Ergebnisse der Hirnforschung. Räumliche wie ästhetische Erfahrungen zählt er dazu. Entscheidungen in diesem Bereich würden wir aufgrund ihrer Komplexität zunächst eher fühlen, als analysieren. Die dabei gefällten Entscheidungen hätten dann auch nicht den Charakter von Ja/ Nein-Entscheidungen, sondern würden sich eher als Tendenz, als Neigung zeigen, einen bestimmten Weg zu wählen. „Das Emotionale repräsentiert in unserem Bewusstsein die Summe der gemachten Erfahrungen. In ihm verdichten sich Expertenwissen, impliziertes Handlungswissen und das allgemeine Weltwissen eines Entwerfenden zu dem – immer erklärungsbedürftigen – Gefühl, etwas sei tendenziell ‚besser’ oder ‚schlechter’, ‚richtiger’ oder ‚weniger richtig’. Die Emotionen bilden ein notwendiges Korrektiv zum Rationalen, das ja gerade beim Entwerfen durchaus in die Irre führen kann.“ (Gänshirt, 2007, S. 77f) Gänshirt grenzt sich damit deutlich von den rationalen Ja/Nein- 0/1-Entscheidungsstrukturen ab, die im vorherigen Abschnitt behandelt wurden. Jormakka kommt zu einer ähnlichen Erkenntnis wie Gänshirt: „Was wir Intuition nennen, könnte vielleicht besser als Sachverstand bezeichnet werden: Nur wer das Wissen seines Fachgebietes so weit verinnerlicht hat, dass er (oder sie) binnen kürzester Zeit zu richtigen Lösungen gelangen kann, schafft dies auch ohne bewusste Überlegung. In diesem Sinne ist Intuition für Architekten unverzichtbar, ob sie nun eine spezifische Entwurfsmethode anwenden oder nicht.“ (Jormakka, 2008, S. 81) Man kann also davon ausgehen, dass in den Prozess des architektonischen Entwurfes nicht allein das faktische und objektivierbare Wissen einfließt, das sich auf rationaler Ebene (beiKapitel 3.2 55 spielsweise durch Ja/Nein-Entscheidungen) nachvollziehen lässt, sondern auch ein Wissen, das sich aus dem Unterbewusstsein speist, also intuitiv ist. Wenn im Unterbewusstsein jene emotionalen Erfahrungen gespeichert sind, die uns helfen, Entscheidungen zu treffen, dann hat die Intuition einen erheblichen Anteil am architektonischen Entwurfsprozess. 3.2.2.2 Zusammenspiel von Intuition und Ratio in der Entwurfspraxis Einige beispielhafte Reflexionen praktizierender Architekten unterstreichen die im vorherigen Abschnitt angestellten Überlegungen. Alvar Aalto reflektierte seine Art des Entwerfens als einen bewussten Wechsel vom logischverbalen zum intuitiv-bildhaften Denken: „Sobald das Gefühl für die Aufgabenstellung mit ihren zahllosen Anforderungen in mein Unterbewusstsein abgesunken ist, vergesse ich das ganze Labyrinth der Probleme für eine Weile. Dann wechsele ich zu einer Arbeitsmethode, die abstrakter Kunst sehr ähnlich ist. Ich zeichne einfach instinktiv, keine architektonischen Synthesen, sondern etwas, das manchmal wie kindliche Kompositionen aussieht. Auf einer abstrakten Basis nimmt die tragende Idee so schrittweise Form an, eine Art universeller Substanz, die mir hilft, die zahlreichen widersprüchlichen Anforderungen miteinander in Harmonie zu bringen.“ (Aalto 1947 zitiert nach Schildt, 1998, S. 108) Alvar Aalto gehört zu den wenigen Architekten in seiner Generation, die mit einem „heterotopen“ Entwurfsansatz gearbeitet haben, wie Jormakka aufzeigt. Die Materialien und Formen, die Aalto einsetze, seien „nicht durch ein übergeordnetes Konzept verknüpft [...], sondern allein durch eine sinnliche Atmosphäre.“ (Jormakka, 2008, S. 33) Die unbestreitbaren Qualitäten, die Aaltos Bauten von denen seiner rationalistisch vorgehenden Zeitgenossen deutlich unterscheiden, sind also nicht in einem besonders ausgeklügelten Funktionalismus zu finden, wie ihn beispielsweise Hugo Häring durch seine „Leistungsform“ erreichen wollte, sondern in einer intuitiven Entwurfshaltung, in der Aalto dem Unbewussten und dem Emotionalen einen hohen Stellenwert einräumte. Solche Entwurfsansätze sind in der Zeit der 1920er und 1930er Jahre nicht so selten zu finden, wie man es ausgehend von Hannes Meyers Arbeitsweise am Bauhaus oder der niederländischen Rationalismusbewegung vermuten könnte. Auch Bruno Taut war die emotionale, intuitive Komponente des Entwerfens bewusst. In seiner 1936 in der Türkei verfassten Architekturlehre empfiehlt er, die angestellten Entwurfsüberlegungen ein wenig wirken zu lassen und geduldig zu warten, bis sich auch ein Gefühl zu diesen Entscheidungen eingestellt hat: „Man muss warten, bis das, was bisher Schema war, beginnt sich mit Leben zu füllen, bis 56 Kapitel 3.2 man aufhört zu denken und tatsächlich nur fühlt. [...] Es wächst ganz unklar im Gefühl das, was man die „Idee“ nennt. Das Gefühl ist wie ein Filter; es hält nur die Erfahrungen und das Wissen fest, das für diese neue Aufgabe zu gebrauchen ist.“ (Taut, Architekturlehre, 1936, S. 38f, zitiert nach Gänshirt, 2007, S. 77) Der Kopf ließe sich dann ausschalten. Nach Taut ist der Entwurf also vorwiegend eine Sache des Gefühls. Auch Ernst Neufert, der deutsche Vater typisierter und damit stark rationalisierter Entwurfsansätze und Autor der systematisierten Bauentwurfslehre, schreibt von der „räumlichen Atmosphäre“ eines Gebäudes, die in der Vorstellung des Entwerfenden wachsen müsse. (Gänshirt, 2007, S. 30) Der Entwurfstheoretiker Martin Prominski spricht von einem „Mehrwert des Entwerfens“, der sich ergibt, wenn die vermeintlichen Gegensätze des rational-linearen und des intuitivkomplexen Denkens zusammenfinden und die Subjektivität des Prozesses anerkannt wird. Der Entwurf wird selbst nicht als eine lineare Abfolge von Denk- und Handlungsschritten begriffen, sondern als komplexer und integrativer Prozess. (Prominski, 2004, S. 103) Entscheidend für das Entwerfen sind also vor allem der Erkenntnisprozess und das daraus resultierende Wissen, das entweder bewusst oder intuitiv abgerufen wird. Das Wissen ist, anders als beispielsweise im „Design Methods Movement“, kein rein systematisierbares Datenmaterial, sondern besteht auch aus Erfahrungswerten und aus sinnlicher Wahrnehmung. 3.2.3 Entwicklung vom linearen zum komplexen Wissen in Forschung und Entwurfspraxis Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Betrachtungen linearen und komplexen Wissens in der Wissenschaftsforschung. In dieser Disziplin setzt sich schon seit einigen Jahren ein Verständnis des Wissens und seiner Aneignung durch, wonach das Wissen weniger durch lineare als vielmehr durch komplexe, gleichzeitige Prozesse entsteht. (Prominski, 2004, S. 41) Führend forscht auf diesem Gebiet die Soziologin Helga Nowotny. 3.2.3.1 Das Entdecken von komplexem Wissen durch die Reflexivität des Kontextes Um die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft zu erhalten, fordert Helga Nowotny, mit Peter Scott und Michael Gibbons, ein Umdenken in der Wissenschaft. In einem Zeitalter, wie dem unseren, das sehr von Ungewissheiten, Unvorhersagbarem und Unsicherheit geprägt ist sowie von Vielfalt und Heterogenität, entsteht nach Nowotny et al ein Wissen, Kapitel 3.2 57 das sich von dem früherer Zeit unterscheidet, „weil das Gesellschaftliche sich nicht mehr auf die Arena des Instrumentell-Rationalen beschränkt und die Wissenschaft ihre positivistischen Fesseln gesprengt hat, aber zugleich partikular, sogar lokal bleibt.“ (Nowotny et al, 2008, S. 20) Die Wissenschaftler sprechen von einem Modus-2-Wissen, das sich von dem Modus-1-Wissen deutlich unterscheidet. Das linear kausal aufgebaute Modus-1-Wissen erhebt den Anspruch der Objektivität und damit auch der Verlässlichkeit der gewonnenen Erkenntnisse. Der wissenschaftliche Diskurs beschränkt sich meist auf die eigene Disziplin. Von der Gesellschaft hält dieser sich tendenziell fern, um nicht von ihrer subjektiven Einbildungskraft kontaminiert zu werden. Das Wissen wird dadurch eher an die Gesellschaft vermittelt, als dass es einen Austausch mit ihr gibt. (Nowotny et al, 2008, S. 209ff.) Bei der Definition des Modus-2-Wissens gehen die Wissenschaftler von einer komplexen und vielschichtigen Struktur des Wissens aus, das nicht nur in den klassischen Wissenschaften, sondern auch in der Gesellschaft produziert wird. Die Produktion des Wissens entsteht demnach sowohl im Austausch der wissenschaftlichen Disziplinen als auch mit der Gesellschaft. Daraus entsteht ein komplexes, kontextorientiertes und reflexives Wissen. Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons stellen in ihrem 2004 auf Deutsch (2001 im amerikanischen Original) erschienenen Buch Wissenschaft neu denken. Wissen und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit fest: „Menschen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, seien dies Mitglieder anderer Wissenschaftsgemeinschaften, Partner aus der Industrie oder Laien, werden in dem neuen Spiel der Wissensproduktion aktiv aufgesucht, erfahren Wertschätzung und werden willkommen geheißen. Charakterisiert ist dieses Spiel durch sehr viel individualistischere Regeln für das Engagement und ein Potential zur Entwicklung neuartiger Beziehungen mit denjenigen, die zu der größer werdenden Gruppe der allgegenwärtigen ,Anwender‘ gehören.“ (Nowotny et al, 2008, S. 133) Wissen entsteht nach Nowotny und ihren Mitautoren „nicht an einem abgelegenen, idealen Ort, um dann in die Gesellschaft transferiert zu werden [...]“ (Nowotny et al, 2008, S. 155), sondern „unter konkreten, lokalen Umständen ...“ (Nowotny et al, 2008, S. 144), eben nicht allein durch die Arbeit von Wissenschaftlern, sondern durch die Aktivität in der Gesellschaft. Dazu trägt auch die Individualisierung in der Gesellschaft und die damit verbundene Aufwertung des Subjektiven bzw. der subjektiven Erfahrung bei. Die verstärkte Emanzipation der Bürger lässt sie ihr Wissen und ihre Kompetenz in gesellschaftliche Entscheidungen einbringen. Wissenschaftliche Autoritäten werden in diesem Zusammenhang auch infrage gestellt. Experten und Gegenexperten fertigen Expertisen an, die in einen Diskurs eingebracht werden, aber nicht notwendigerweise zur objektiven Klärung des Falls führen. 58 Kapitel 3.2 Um den Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten der unterschiedlichen Akteure Beachtung schenken zu können, muss die Wissenschaft in einen dynamischen Kommunikationsprozess mit der Gesellschaft treten. So kann, nach Auffassung der Autoren, ein „sozial robustes Wissen“ produziert werden. (Nowotny et al, 2008, S. 320) Der Forschungsprozess wäre so „ein umfassendes sozial eingebettetes Geschehen, in dem die von der Kontextualisierung geschaffenen Zufälle, Beschränkungen und Möglichkeiten zur Sprache kämen und sie zum Gegenstand reflexiver Bewältigung [...]“ würden. „Daher sprechen wir von der Kontextualisierung der Wissenschaft im Sinne einer Erweiterung ihres Einflussbereiches und einer Bereicherung ihres Potenzials und nicht im Sinne einer instrumentalistischen Alternative.“ (Nowotny et al, 2008, S. 87) Man kann hier also von einem gesellschaftlich interaktiven Erkenntnisprozess sprechen, der sowohl von „Experten“ wie von „Laien“ lokal konzentriert betrieben wird. Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Kontextualisierung des Forschungsprozesses und dessen von Nowotny und anderen geforderte Komplexität ist auch ein Hinweis auf den architektonischen Entwurfsprozess gegeben, der nun im Weiteren noch einmal betrachtet werden soll. 3.2.3.2 Entwerfen als eigenständige Erkenntnisform Wie also lässt sich „sozial robustes Wissen“, im Sinne von Nowotny et al, in den architektonischen Entwurfsprozess einbringen? Der Entwurfstheoretiker Wolfgang Jonas bezeichnet, wie sein Kollege Donald Schön, auf den noch zurückzukommen sein wird, das Entwerfen als eine eigenständige Erkenntnisform. Er grenzt die Erkenntnis, die durch das Entwerfen gewonnen wird, allerdings deutlich von der Erkenntnis der klassischen Wissenschaften ab. Jonas sieht keine generalisierende Erkenntnis hinter dem gestaltenden Entwurf eines Architekten oder Designers, sondern das Streben nach dem „Funktionieren des Gemachten“. Es geschehe auch beim Entwerfen „kein Fortschritt, sondern bestenfalls optimale Passung“. Beim Entwerfen kann es nach Martin Prominski keine „richtigen Lösungen“ geben, da die Probleme, die sich dem Entwerfenden stellen, eben auch nicht „richtig“ formuliert werden können. Ziel des Entwerfens sei eher, „zwischen dem zu Machenden und seinem Kontext reflexiv eine immer bessere Passung zu erreichen. Das Ergebnis stellt dann auch keine Lösung, sondern eine Entscheidung dar, weil der reflexive Optimierungsprozess zwischen Gemachtem und Kontext prinzipiell nie endet.“ Dies sei zwar ein Wissenszuwachs, aber kein Fortschritt im klassischen Sinne. Prominski führt drei Eigenschaften des Wissens an, die nach Jonas den Entwurfsprozess bestimmen: Es ist kontextuell, temporär und anwendungsbezogen. Alle drei Eigenschaften grenzen diese Art des Wissens von dem Wissen ab, das die klassische Wissenschaft definiert. Sie sind aber sehr gut mit dem Modus-2-Wissen in Deckung zu bringen, das sich eben genau auf diese Kapitel 3.2 59 Eigenschaften bezieht. (Promiski, 2004, S. 106) 3.3 Entwurf als Dialog Das Sammeln von Erkenntnissen und ihre Verarbeitung im architektonischen Entwurf kann als eine Art Dialog betrachtet werden. Anders als das wissenschaftliche Prinzip der aus These und Gegenthese resultierenden Hypothese, was auch als eine Art Diskurs verstanden werden kann, basiert der Entwurf auf einer Entscheidungsstruktur, da es hier weder ein „wahr“ noch ein „falsch“ gibt. (Webber, 1973, S. 135ff.) Das zeigen die Forschungen und Ausführungen verschiedener Entwurfstheoretiker. Horst Rittel und Melvin Webber sprechen in diesem Zusammenhang von „zahmen“ und „verzwickten Problemen“ und von einem „argumentativen Prozess“ (Webber, 1973, S. 142f) des Entwerfens. Ihr Kollege Donald Schön geht dabei von einer „reflexiven Praxis“ des Entwerfens aus, die ständigen Rückkopplungen unterliegt. (Prominski, 2004, S. 98f) Der Entwerfende braucht nach Einschätzung der Psychologen Rainer Bromme und Riklef Rambow ein Gegenüber, wenn sein Entwurf aus dem „stillen Kämmerlein“ nicht sozusagen ins Leere gesprochen sein soll. (Bromme, 2000, S. 201ff.) 3.3.1 Entwurfsprozesse als Erzeugung und Einschränkung von Varietät Wie Jonas unterscheiden auch Horst Rittel und Melvin Weber „zahme Probleme“ (zitiert nach Prominski, 2004, S. 95) aus den Bereichen der Technik und der klassischen Wissenschaften, die stark determinierten Prozessen unterliegen, von Problemen, die sich im Entwurfsprozess ergeben, die nicht eindeutig definiert werden können und somit auch keine eindeutige Lösung haben. Derart schwach determinierte Prozesse erzeugen „verzwickte Probleme“, die letztendlich keine Lösungen haben. Zudem unterliegt der Entwurfsprozess stark subjektiven Entscheidungen der Entwerfenden. Das gilt auch für die damit verbundenen Problemlösungen, da die dafür notwendigen Informationen von den Entwerfenden gesammelt werden. Die im Zuge der Optimierung angedachten alternativen Lösungswege finden mit dem Auswählen einer Lösung dann ihr Ende. Die ausgewählte Lösung ist dann weder „wahr“ noch „falsch“, im Sinne einer klassisch wissenschaftlichen Hypothese, die sich aus These und Antithese ergibt. Sie ist höchstens „besser“ oder „schlechter“, so dass der Entwerfer selbst für die Hypothese seines letztendlich gewählten Entwurfes verantwortlich ist. Dieses Verfahren wird so zu einer höchst subjektiven Angelegenheit einsamer Entscheidungen und unterscheidet sich damit noch einmal sehr deutlich von der klassischen Wissenschaft. Zur Optimierung des Entwurfsverfahrens schlägt Rittel die Bewertung unterschiedlicher Lösungsansätze in einem „argumentativen Prozess“ vor, an dem sowohl die Entwerfer als 60 Kapitel 3.3 auch die vom Entwurf Betroffenen beteiligt werden sollten. Nach Rittel und Weber findet das Entwerfen in einem individuellen Wertebereich statt, der ein sehr weit gestrecktes, dynamisches, nur schwer planbares und komplexes System darstellt. Rittel fordert deshalb zum einen, die theoretischen Grundlagen des argumentativen Entwurfsprozesses zu erforschen, und zum anderen einen optimierten Partizipationsprozess, d.h. die Gruppenauswahl oder die Definition der Entscheidungsregeln zu untersuchen. (Prominski, 2004, S. 95ff.) 3.3.2 Reflexive Entwurfspraxis als Selbstreflexion und im Dialog mit dem Nutzer Der Entwurfstheoretiker Donald Schön sieht das Entwerfen als „reflexive Praxis“, die durch eine ständige Rückkopplung von gesetzter Ordnung und deren Bewertung bzw. Korrektur geprägt ist (Gänshirt, 2007, S. 29). Schön schlägt als „argumentativen Prozess zur Lösung verzwickter Probleme“, im Sinne von Horst Rittel, die „reflexive Praxis“ vor. Wie Rittel, grenzt sich auch Schön von der klassischen Wissenschaft ab, die mit ihrem analytisch-kausalen Ansatz letztendlich nur überschaubare Probleme lösen kann, viele Problemfelder aber nicht abdeckt, wie das Entwerfen und Planen von Bauprojekten. Er spricht von einer Hochebene, auf der sich die klassische Wissenschaft bewegt, während sich die Entwerfer oder diejenigen, die sich mit problemlösendem Handeln beschäftigen, in sumpfigen Niederungen verzwickter Probleme, im steten Wertekonflikt und in Unsicherheit bei hoher Komplexität, abmühen müssen. Das Entwerfen beschreibt Schön als ein ständiges Gespräch des Entwerfenden mit den virtuellen Produkten seines Schaffens. Um diesen Prozess voranzubringen, muss der Entwerfer seinen Entwurf an bestimmten Entscheidungsknoten immer wieder bewerten und korrigieren. (Gänshirt, 2007, S. 98f) Dafür nennt er drei Kriterien: 1. Die Vereinbarkeit mit den normativen und theoretischen Ebenen seiner Profession. Für die Architektur benennt Schön Parameter, wie die geplante Nutzung des Bauwerks und seine Raumorganisation, die Bedingungen des Ortes, an dem gebaut wird, die Form des Gebäudes und die angemessene Technologie, die Baukosten, aber auch den Charakter, den das Bauwerk annehmen soll und seine Darstellung. 2. Die Konformität oder Vernetzung vorheriger Entwurfsschritte. Bei der immer wiederkehrenden Überprüfung der vorherigen Entwurfsschritte entsteht ein komplexes Netz aus logischen „wenn-dann-Ketten“, mit einer wachsenden Zahl von Verzweigungen. Jede neue Bewertung gibt dem Entwurfsprozess eine neue Ausrichtung oder eine Erweiterung der damit verbundenen Erkenntnisse. Es müssen Folgewirkungen abgeschätzt und bewertet werden. Der Entwerfer arbeitet mit einer „double vision“, in der er seiKapitel 3.3 61 ne gesetzte Ordnung sowie die Rücksprache mit der Situation im Blick hat. Je länger diese Sichtweise aufrecht erhalten werden kann, desto größer ist die Chance, zu einer breiten und tiefen Kohärenz zwischen der Idee und den Gegebenheiten zu kommen. 3. Die Aussichten, die neu entstehende Probleme und Möglichkeiten mit sich bringen. Es können neue Probleme auftauchen, aber auch Potenziale entdeckt werden. Letztendlich kann das auch dazu führen, dass die ursprünglich gewählte Ordnung aufgegeben und neu aufgebaut werden muss. Die mit diesem Verfahren verbundene Flexibilität, die prinzipielle Offenheit für das Aufbrechen der entwickelten Ordnung und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit neuen Ungewissheiten und Konfusionen ist für Schön Voraussetzung eines guten Entwurfes. Diese ständige Rückkopplung beim Entwerfen nennt Schön „reflexive Praxis“. (Prominski, 2004, S. 101ff.) Die Psychologen Rainer Bromme und Riklef Rambow haben sich eingehend mit dem Verhältnis von Experten und Laien, insbesondere in der Architektur, auseinandergesetzt. Nach ihrer Einschätzung stellt sich der Beginn eines Entwurfs per se als komplexe unsichere Situation dar: „Der Fachmann tritt an eine Aufgabenstellung mit einem bestimmten Verständnis der Situation heran und er definiert erst dadurch das Problem, welches er lösen muss. Die Konzepte seines Fachwissens formen seine Wahrnehmung und immer dann, wenn Schwierigkeiten mit der ursprünglichen Problemlösungsidee auftreten, verändert der Fachmann seine Situationsinterpretation. Sein Handeln ist insoweit flexibel.“ (Bromme/Rambow, 2000, S. 3; Bromme/Rambow, 2000, S. 201ff.) Bromme und Rambow schließen in ihrer Interpretation weitgehend an Schön an, sie vermissen aber in seinen Analysen die Kommunikation mit dem Nutzer und fragen, ob nicht statt einer „Kohärenz von Artefakt und Idee“ eine gesellschaftliche Akzeptanz architektonischer Entscheidungen erreichbar wäre, wenn der Fachmann, in diesem Falle der Architekt, sich weniger im innerpsychischen Dialog der Befragung seiner selbst über die Situation befände, sondern darüber hinaus auch mit der Gesellschaft kommunizierte. Zumindest in der Auseinandersetzung mit den vom Planungsprozess betroffenen Laien, beispielsweise den zukünftigen Nutzern ihrer Gebäude, könnten die Architekten einen erheblichen Erkenntnisgewinn erzielen, der dem Bauwerk zugute käme. (Bromme/Rambow, 2000, S. 9f; Bromme/ Rambow, 2000, S. 201ff.) Die dem von Schön beschriebenen Prozess innewohnende Selbstreflexion könnte mit der Einbeziehung der Nutzer durchaus produktiv aufgebrochen werden. An dieser Stelle soll noch einmal auf die Arbeit von Helga Nowotny und ihren Kollegen zur gesellschaftlich interaktiven und kontextuellen Forschung zurückgekommen werden. Die Wissenschaftler gehen ebenfalls von einer fruchtbaren Partizipation der „Leute“ (Nowotny et al, 2008, S. 315) an der Lösung lokaler Problemfelder aus (Nowotny et al, 2008, S. 317f). 62 Kapitel 3.3 Mit einem partizipativen Ansatz der Planung, die über den vom Architekten gesetzten Rahmen der Planung hinaus geht, kann also eine Auseinandersetzung mit den Laien respektive den Nutzern stattfinden. So könnten sich Architekten ein „sozial robustes Wissen“ aneignen und es in der „reflexiven Praxis“ des Entwurfs verfeinern. 3.4 Integration des mit Nutzerbegierden angereicherten Wissens Die von Helga Nowotny und anderen aufgezeigten Veränderungen der Wissensstruktur in der Gesellschaft und die daraus abgeleiteten Forderungen an eine neue Orientierung der Wissenschaft, nach einer offenen Kommunikation mit anderen Wissenschaftszweigen und den sogenannten Laien in der Gesellschaft sind auch für Entwurfs- und Planungsprozesse von hoher Relevanz (vgl. Abschnitt 3.2.3.1). Martin Prominski sieht hier hohe Deckungsgleichheit: „Die Ähnlichkeiten sind überdeutlich: Sowohl das Entwerferische als auch das Modus2-Wissen zeichnet sich durch Kontextualität, Temporalität und Anwendungsbezogenheit aus“ (Prominski, 2004, S. 107). Wie vorab beschrieben, kann auch der Entwurf als ein Erkenntnisprozess angesehen werden und ist nach Horst Rittel und Donald Schön als ein Dialog zu verstehen, den Rainer Bromme und Riklef Rambow auch auf den zukünftigen Nutzer oder Planungsbetroffenen bezogen wissen wollen. Gerade in diesem Zusammenhang sind die Erörterungen von Nowotny und anderen hilfreich. In der schon erwähnten Publikation gehen die Autoren Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons davon aus, dass in der Gesellschaft ein hohes kontextuell bezogenes Wissen, mit einer Fülle von Sachkenntnis außerhalb der Forschungsinstitutionen, existiert. 3.4.1 Platz der „Leute“ in unserem Wissen: gesellschaftlich robustes Wissen Es gibt in allen Gesellschaften eine hohe Zahl gut ausgebildeter sozialer Akteure. Für Helga Nowotny ist die Wissenserzeugung deshalb längst nicht mehr das Privileg einer bestimmten Institution, sondern eine Aufgabe, die an der Schnittstelle zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen und ihren kulturellen, politischen, ökonomischen und sozialen Kontexten gelöst werden muss (Nowotny, 1999 passim). Die Modus-2-Gesellschaft schafft dadurch „eine Wissensumgebung, in der zahlreiche Akteure mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Perspektiven und Interessen für eine Vielzahl experimenteller Möglichkeiten zur Verfügung stehen“ (Nowotny et al, 2008, S. 144). Alle diese Akteure sind für sich genommen partikulare und Kapitel 3.4 63 lokale Experten. Nowotny bezeichnet diese Akteure als „die Leute“ und möchte ihrem Wissen einen Platz im allgemeinen Wissen der Gesellschaft einräumen (Nowotny et al, 2008, S. 144). Damit entsteht ein höherer Kontextbezug und je mehr das wissenschaftliche Wissen kontextualisiert wird, um so mehr wird es sozial robust. Die Umweltbewegungen - ein Beispiel der Autoren - sind von einer Ansammlung von „Graswurzelaktivisten“ zu einem mächtigen erkenntnistheoretischen Netzwerk geworden. Das zeige: „Wenn Kommunikation, Interaktion und Dialog einen konkreten Ausdruck in Form von Forschungsaktivitäten finden sollen, benötigen sie irgendein Medium oder Kommunikationsforum, das potenzielle Teilnehmer in einen ausreichend engen Kontakt bringt, um den Prozess voranzutreiben“ (Nowotny et al, 2008, S. 170). An einem konkreten Beispiel, dem Projekt des Central Artery/Tunnel (CA/T) in Boston, zeigen die autoren, dass es Sinn macht, ein technisches bzw. ein Ingenieurproblem auch politisch, sozial und auf die Umwelt bezogen zu reflektieren. Dies geschah vornehmlich durch die Einbeziehung lokaler Akteure und Wissensträger. Dadurch entstand eine stärkere Sensibilität für den Kontext, und es konnte das sogenannte Blackboxing angewendet werden, das es lokalen Forschungs- und Entwicklungsteams erlaubt, diejenigen Technologien auszuwählen, die den spezifischen lokalen Systemanforderungen entsprechen. Das CA/T-Projekt besteht aus der Planung von 6 km Tunnelstrecke, 4 km Brückenbauwerken und 2,5 km Hochstraßen im Zentrum von Boston. Es standen Enteignungen und Zerstörungen von Stadtgebieten in großem Ausmaß bevor. Vor dem Hintergrund effektiver Demonstrationen gegen Stadtautobahnen in den sechziger- und siebziger Jahren entschieden sich die Projektmanager für einen Strategiewechsel zur Partizipation der Planungsbetroffenen. So fanden Verhandlungen mit Hunderten der vor Ort Aktiven statt, mit Nachbarschaften, Geschäftsleuten, Umweltgruppen wie auch mit Entwicklern und Einzelpersonen, um deren Sorgen in Bezug auf mögliche Umweltschäden und Beeinträchtigungen ihrer Lebensumstände zu erfahren. So entstand eine effektive Bürgerbeteiligung, und die ursprüngliche Organisationsstruktur wurde durch eine „Organisation der Verantwortung für das Quartier“ ersetzt. Dadurch erhoben Politiker und technische Experten nicht mehr den Anspruch auf alleinige Entscheidungsbefugnis, das Gemeinwesen war an diesen Entscheidungen beteiligt. Durch diese öffentliche Partizipation wurde nicht nur ein „sozialer Frieden“ erreicht, es konnten für einige technische Probleme auch bessere, als die zunächst angedachten Lösungen gefunden werden. (Nowotny et al, 2008, S. 171ff.) Der Architekt Kenneth Kruckmeyer, der sich auf das Design von Infrastrukturbauwerken spezialisiert hat, resümiert: „Selbst ein nachdenklicher Ingenieur wird nicht zu guten technischen Lösungen kommen, es sei denn, er arbeitet unter Zwängen, von denen öffentliche Partizipation eine ist [...] Es ist 64 Kapitel 3.4 der nach rückwärts und vorwärts gerichtete Lernprozess, durch den ein Projekt verbessert wird. [...] die einzigen staatlichen Autobahnprojekte, die Preise für einen guten Entwurf und gute Planung gewannen, waren solche, gegen die vor Gericht geklagt wurde, um in ihrem Design Änderungen zu erzwingen.“ (zitiert nach Nowotny et al, 2008, S. 174) In dem Bostoner CA/T-Projekt wurden öffentliche Anhörungen, die Partizipation des Gemeinwesens und Gutachten zu den Auswirkungen auf die Umwelt zu einem integralen Bestandteil der Projektplanung. Dabei konnte das Projekt gegenüber den ursprünglichen Planungen deutlich optimiert werden. Beispielsweise wurde die Tunnelausfahrt nicht in einem Wohngebiet gebaut, was unweigerlich zur Umsiedlung der Bevölkerung und dem Abriss der Wohnbauten geführt hätte, sondern mit wesentlich weniger Aufwand in der Nähe des Flughafens erstellt. (Nowotny et al, 2008, S. 171ff.). Das CA/T wurde demnach „sozial konstruiert “ (Nowotny et al, 2008, S. 175f). Die Autoren weisen zwar auf die diesem Verfahren innewohnende Gefahr der Manipulation der Öffentlichkeit durch geschickte PR-Instrumente hin, aber auch wenn dem so sei, betonen sie, bestehe ein Verständnis für die Funktionsweisen technischer und sozialer Systeme bzw. Zusammenhänge. (Nowotny et al, 2008, S. 175f) Das Beispiel des CA/T-Projektes ist zwar nicht generalisierbar, denn seine Auswirkungen sind lokal und reversibel (Nowotny et al, 2008, S. 175). Es zeigt aber den Vorteil partizipativer Projekte auf: • Es ist keine Einzelperson oder eine einzelne Institution für das Projekt verantwortlich, sein Management ist partizipatorisch in der Gesellschaft verankert (Nowotny et al, 2008, S. 179). • Partizipation ist kein isoliertes Ereignis, keine einmalige Angelegenheit. (Nowotny et al, 2008, S. 179). Helga Nowotny und ihre Mitautoren kommen zu dem Schluss, dass durch den Kontext der Wissensproduktion mit einem Projekt, wie dem CA/T, bei allen Beteiligten ein sozial robustes Wissen entsteht. Die Infiltrierung der Forschung durch das gesellschaftliche Wissen macht diese soziale Robustheit möglich. Sie ist prospektiv, d.h. sie ist in der Lage, auch unbekannte und unvorhersehbare Probleme und Kontexte zu bewältigen. Es ist ein offener Prozess, der durch stete Tests und Rückmeldungen über seine Qualität gefestigt wird. Im Gegensatz zu den „keimfrei“ (Nowotny et al, 2008, S. 210) abgeschlossenen Laboren der klassischen Wissenschaft erweist sich die kontextorientierte Forschung als kreativ und produktiv. (Nowotny et al, 2008, S. 210) Allerdings muss nach Nowotny und ihren Mitautoren in Kauf genommen werden, dass die Kapitel 3.4 65 Suche nach einem Konsens das Potenzial zur Produktion eines zuverlässigen Wissens einschränkt. Dafür müssen in den Gruppen klare und differenzierte Austauschstrategien gefunden werden. (Nowotny et al, 2008, S. 220) Aus diesem und anderen Projekten ziehen die Autoren den Schluss, dass das Wissen in der Gesellschaft neu verhandelt werden muss. Es soll ein Austausch der Wissenschaft, also des akademischen Wissen mit dem Wissens in der Gesellschaft institutionalisiert werden. Der Ort für diesen Transfer soll eine „Agora“ sein. (Nowotny et al, 2008, S. 251) Die „Agora“ ist hier im übertragenen Sinne ihrer antiken Bedeutung als Versammlungsplatz, als ein Markt der Erkenntnisse und sozialer Ort der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, aber nicht stadträumlich zu verstehen (Nowotny et al, 2008, S. 253). Insbesondere das Beispiel des Tunnelbauprojektes macht die Parallelen zu Stadtentwicklungs- und Bauprojekten auch in Deutschland deutlich. Ein immer größer werdender Teil der Gesellschaft will es nicht mehr allein Architekten und ihren Bauherren überlassen, über ihr Leben in Wohnungen und in ihren Städten zu entscheiden. In zunehmendem Maße gilt das auch für Schulen und Kindergärten sowie für andere, das Leben prägende Orte. Partizipation hat eine politische Dimension oder besser gesagt: eine grundlegende demokratische Dimension bekommen. Dabei ist der Wunsch nach Mitwirkung nicht allein auf eine kleine Gruppe von „Umstürzlern“ beschränkt. Durch die sich immer weiter verbreitende und vom Einzelhandel stark forcierte Idee des „Do it yourself (DIY)“ scheint auch die Bereitschaft zu steigen, mitmachen und mitsprechen zu wollen. Dadurch verändert sich nicht nur das Verhältnis von Nutzer und Architekt. Wenn der Nutzer nicht gleichzeitig Bauherr ist, muss dieses Dreiecksverhältnis neu und gleichberechtigter gewichtet werden. Der Entwurfsprozess kann so mit Erkenntnissen angereichert werden. 3.4.2 Die Agora: Wissen muss verhandelt werden, Dialog mit der Gesellschaft Die Agora ist nach Nowotny und ihren Mitautoren „der Raum, in dem sich Markt und Politik begegnen und vermischen und wo die Äußerung privater Emotionen und Ansichten mit der Bildung einer öffentlichen Meinung und eines politischen Konsenses zusammentrifft“ (Nowotny et al, 2008, S. 230). Es ist der soziale Ort, an dem sich Wissenschaft und Öffentlichkeit treffen und die Transformation des Wissens in Debatten und Kontroversen stattfindet. Auf der modernen Agora sollen Forderungen und Wünsche ausgehandelt werden. Sie schafft einen Kontext, in dem Sehnsüchte, Präferenzen und Bedürfnisse artikuliert werden können. Daraus können durchaus unterschiedliche Visionen, Werte und Optionen entstehen. Sie ist der intime, interaktive sowie antizipierende Raum ihrer Akteure, aber auch eine Art 66 Kapitel 3.4 Sensorium. Das Wissen findet hier immer wieder unvorhergesehene Formen der Kontextualisierung. (Nowotny et al, 2008, S. 256ff.) Die Agora ist also das Forum für die Partizipation aller Teile der Gesellschaft an den relevanten Entscheidungen. Die wachsenden Forderungen nach Partizipation sind nach Auffassung der Autoren nicht nur das Ergebnis von Demokratisierungsprozessen, sondern auch der Erfolgsnachweis einer Wissenschaft, an die sich eine heterogene Öffentlichkeit mit ihren Sorgen wendet. (Nowotny et al, 2008, S. 262) Zu den wichtigen Kommunikationsmitteln gehört auf der Agora die Expertise. In der Modus2-Gesellschaft ist sie jedoch mehr als ein von Experten aufgrund ihres besonderen Wissens erstelltes Gutachten. Ihr Inhalt und ihre Form beziehen sich in einem professionellen Sinne auf die „beste Praxis“ (Nowotny et al, 2008, S. 267), sie ist also kontextabhängig. Sie stellt das Scharnier zwischen Wissen und Handeln, zwischen der wissenschaftlich und technisch „besten Praxis“ und den politischen Entscheidungen dar. Sie geht über das wissenschaftlichtechnische Wissen und das um eine Reihe konkreter Praktiken und ihrer Auswirkungen hinaus und bezieht es auf die Praktiken der Vergangenheit und auf solche in einer ungewissen Zukunft. (Nowotny et al, 2008, S. 267f) Als ein wesentliches Element der Kommunikation auf der Agora sehen Nowotny et al auch die Erzählung, in der „die Stimmen der Experten orchestriert werden“ (Nowotny et al, 2008, S. 268). Die Erzählungen werden über die Expertise generiert und gehen über die Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen und zwischen Fachleuten und Laien hinaus. Sie richten sich an die Auditorien der Öffentlichkeit. Wobei Nowotny und andere davon ausgehen, dass Jeder auf seine Art ein Experte ist. Dadurch sind die Wissenschaftler gezwungen, über die Grenzen ihrer Disziplin hinaus und auf den Laien zuzugehen und ihn in die Expertise einzubinden. (Nowotny et al, 2008, S. 305f) Die Partizipation der Laien und ihre Erfahrungen müssen dabei einen anerkannten Platz bekommen, sie sind aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Expertise bekommt erst dann ihren Sinn, wenn eine wirklich multidisziplinäre Wissensbasis erreicht wird. (Nowotny et al, 2008, S. 282) Ein zuverlässiges Wissen erreicht nur dann eine soziale Robustheit, wenn der Prozess der Wissensproduktion als partizipativer und transparenter Prozess erfahrbar ist (Nowotny et al, 2008, S. 307). In einem Workshopbeitrag zum Thema Science and Society. Science Goes Pop anlässlich der 350-Jahrfeier der Deutschen Akademie der Naturforscher 2002 in Halle stellte Helga Nowotny heraus, dass die wissenschaftliche Kommunikation, insbesondere die der Naturwissenschaft durchaus auch von der Kunst lernen könne. In der Regel würde eine unmissverständliche und unzweideutige Kommunikation der Inhalte gefordert, da sie auch im innerdisziplinären Austausch stattfindet. Die Kommunikation in der Kunst ist dagegen wesentlich freier, setzt auf Ambiguität und lässt dem Betrachter oder Zuhörer Raum, kreativ zu reagieren. Für die Wissenschaft schlägt Nowotny für den Dialog mit der Gesellschaft die Formulierung von Erzählungen vor. Ein Theaterschauspieler trete vor sein Publikum, nicht Kapitel 3.4 67 allein, um etwas vorzutragen, sondern um mit dem Publikum zu kommunizieren und von diesem etwas zu lernen. Die Kommunikation entstehe durch eine gemeinsame Anteilnahme. Der Zuschauer werde zu einem Kollaborateur. Dies könne auch der Weg sein, auf dem sich die Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft öffne. (Nowotny, 2002, passim) Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Gernot Böhme, wenn er von der gemeinsamen Erfahrung einer Atmosphäre spricht, die von einem Kunstwerk ausgeht, und die als solche dann sprachfähig, also kommunikationsfähig wird. (Böhme, 1995, S. 8) 3.5 Fazit: Entwerfen als Erkenntnisprozess Geht man einmal davon aus, dass das Entwerfen kein reiner, kaum erklärbarer Akt der künstlerischen Inspiration ist, der sich in einer stillen Nacht bei einem Glas Rotwein vollzieht, sondern zumindest auch von nachvollziehbaren Einflüssen bestimmt wird, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass er etwas mit der Aneignung, der Produktion und der Partizipation von Wissen zu tun hat. Vermeintlich objektive Rationalität kommt auch im Prozess des Entwerfens nicht ohne eine subjektive und intuitiv emotionale Komponente aus. Er besteht vielmehr in der komplexen Verdichtung der breit angeeigneten und weniger linear addierten Erkenntnisse, die sich der Entwerfende bewusst oder unbewusst aneignet und sie außerdem, wie Alvar Aalto und ähnlich auch Bruno Taut es formuliert haben, einem Reifeprozess überantwortet. Somit würde sich auch das Entwerfen eher als eine Summe von Erfahrungen und Erkenntnissen erklären, als eine quasi göttliche Eingebung. Der Entwurf als Eingebung des genialen Architekten im stillen Kämmerlein würde sich dabei als Mythos entlarven. Im Gegenteil haben die von Aalto, Taut, Neufert und Meyer vorgetragenen Entwurfsansätze letztendlich eine hohe, vielleicht zu hohe Autonomie, die bei zu starker Abschottung die eigene Kreativität behindert, weil sie Erkenntnis nur eingeschränkt zulässt. Aus den in diesem Kapitel angestellten Betrachtungen kann der folgende Schluss gezogen werden: Das intuitive Denken setzt eine rationale wie emotionale Auseinandersetzung mit den Einflussgrößen eines Entwurfes voraus, speist sich aber auch aus den daraus und zuvor erworbenen Erkenntnissen, die sich in das Unterbewusstsein sozusagen versenkt haben. Es ist also nicht entweder rational oder emotional anzusetzen, sondern beides dient als Quelle. Das Entwerfen erscheint als Summe von Erfahrungen und Erkenntnissen. Die Einschätzungen von Martin Prominski, der von einem „Mehrwert des Entwerfens“ spricht, wenn rational-lineares und intuitiv-komplexes Denken zusammenfinden, und der den Entwurf eher als komplex und integrativ versteht, denn als eine lineare Abfolge von Denk- und Handlungsschritten, und von Wolfgang Jonas, der das Entwerfen als eine „eigenständige 68 Kapitel 3.5 Erkenntnisform“ sieht, haben deshalb ein besonderes Gewicht für die Theorie des architektonischen Entwurfs. Die Auseinandersetzung mit der Aneignung von Erkenntnissen und der Verarbeitung gemachter Erfahrung ist aber nicht nur eine Beschäftigung mit dem architektonischen Entwurf. Sie wirft auch die Frage nach dem Umgang mit dem Wissen und seiner Bedeutung in unserer „Wissensgesellschaft“ auf. Die Soziologen um Helga Nowotny sehen, wie dargestellt, die herkömmliche Struktur der Wissenschaft und den Umgang mit dem Wissen in unserer Gesellschaft in einem Wandel. Diesem Wandel ist auch die Akzeptanz des klassisch linear kausal aufgebauten Modus-1-Wissen unterzogen, das mit dem Anspruch auf Objektivität weitgehend abgeschottet von der Gesellschaft entwickelt wird. An seine Stelle sollte nach Auffassung von Nowotny et al das Modus-2-Wissens treten, das vom Austausch der wissenschaftlichen Disziplinen untereinander, aber auch mit der Gesellschaft profitiert. Dabei wird auch die hierarchische Unterscheidung zwischen Laien und Experten infrage gestellt und dem Subjektiven bzw. der subjektiven Erfahrung Raum gegeben. Die Forschung könnte so stärker in die Gesellschaft eingebunden werden und hätte in diesem Kontext auch eine stärkere Relevanz. Die Ausführungen einiger Architekturtheoretiker über den architektonischen Entwurf weisen einige strukturelle Ähnlichkeiten mit der Argumentation von Helga Nowotny auf. Mit Wolfgang Jonas und seinem Kollegen Donald Schön ist das Entwerfen ein Prozess der Erkenntnis. Die Theoretiker Horst Rittel und Melvin Weber erkennen im architektonischen Entwurf einen „argumentativen Prozess“, der durch die Mitwirkung der vom Entwurf Betroffenen optimiert werden kann. Donald Schön sieht das Entwerfen als eine „reflexive Praxis“, die durch ständige Rückkopplung, zwischen der durch die Entscheidungen gesetzten Ordnung und deren Bewertung und Überarbeitung, optimiert wird. Die Architekturpsychologen Rainer Bromme und Riklef Rambow, die sich mit dem Verhältnis von Experten und Laien, in diesem Fall mit Architekten und Architekturlaien, beschäftigen, schlagen in diesem Zusammenhang vor, den Nutzer in diesen reflexiven Prozess einzubeziehen. Das bedeutet: Die Nutzer der Architektur, zu denen im Allgemeinen alle Mitglieder der Gesellschaft zählen und im Besonderen die, die von der Planung betroffen sind, können im Entwurfsprozess, also neben den Bauherren, zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn beitragen. Sie sind im Sinne von Helga Nowotny Akteure mit unterschiedlichem Wissen, die ihre Expertise, neben der anderer Akteure, wie der Architekten oder der Fachingenieure, in den Planungsprozess eines Hauses oder eines anderen größeren Bauprojektes, eines Tunnels, einer Straße oder einer Platzgestaltung einbringen. Nowotny bezeichnet das in dieser Gruppe im Austausch erworbene Wissen als „sozial robust“. Den Raum dieses Austausches bezeichnet sie als „Agora“. Darunter versteht sie weniger den antiken Stadtraum der Agora als Marktplatz, sondern vielmehr einen sozialen Ort, ein Forum der Partizipation auf dem im ursprünglichen demokratischen Sinn Forderungen, Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse Kapitel 3.5 69 artikuliert werden, aus denen dann unterschiedliche Visionen, Werte und Optionen entstehen. Übertragen auf den architektonischen Entwurfsprozess kann also durch die Nutzerbeteiligung ein „sozial robustes Wissen“ und eine Verständigung über die Wünsche und Vorstellungen der Nutzer im Hinblick auf die zu schaffenden Bauten, im Sinne des Modus-2-Wissens, in den Entwurf eingebracht werden. Als ein wichtiges Kommunikationsmittel auf der Agora betrachtet Nowotny die Erzählung, also die vielschichtige Übermittlung auf künstlerischer Basis. Wenn man die „Agora“ auch als eine Basis für den partizipativen Entwurf akzeptiert, auf der alle am Planungsprozess Beteiligten ihre Expertise einbringen und verhandeln, stellt sich die Frage, welche Rolle der Architekt dabei einnehmen kann und soll. Klassisch ist er nach Vitruv für die Findung der Form in der Balance von „Utilitas, Firmitas und Venustas“ zuständig. Er ist der Vermittler und Übersetzer der an die Architektur herangetragenen Anforderungen und Wünsche, die auf der „Agora“ auf einer breiten Basis zusammengestellt, kommuniziert und als Erkenntnis in den kreativen Entwurfsprozess eingebracht werden. Damit kann eine neue Dimension des partizipativen Architekturentwurfs erreicht werden. Entscheidend dafür ist die Kommunikation zwischen Architekt und Nutzern respektive Bauherrn. Das folgende Kapitel behandelt deshalb bestehende, wünschenswerte und erreichbare Kommunikationsformen und Kommunikationsinstrumente, die dem Nutzer die Möglichkeit einräumen, seine Wünsche und Vorstellungen vorzutragen und dem Architekten den Zugang zu diesen Entwurfsgrundlagen einerseits erleichtern, ihm andererseits auch die Möglichkeit geben, seinen Entwurfsansatz dem Nutzer nachvollziehbar zu vermitteln, um damit auch eine Grundlage für einen erfolgreichen partizipativen Entwurfsansatz zu finden. 70 Kapitel 3.5 Die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt 4 4 4. Die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt Im vorhergehenden Kapitel ist festgestellt worden, dass der architektonische Entwurf vor allem auf einem Erkenntnisprozess beruht, dem eine Nutzerpartizipation einen Gewinn zutragen kann. Ein wesentliches Element dafür ist die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt beziehungsweise zwischen Architekt und Bauherr, der ja eben auch selbst Nutzer des Bauwerks sein kann. In diesem Kapitel soll es deshalb um die Kommunikationsformen und die Kommunikationsinstrumente gehen, die zwischen Architekten und Nutzern eingesetzt werden oder werden sollten. Letzteres steht auch deshalb zur Debatte, weil von verschiedenen Seiten, auch von Architekten selbst, die Qualität dieser Kommunikation kritisiert wird und auch von Missverständnissen die Rede ist. Am Ende des Kapitels sollen deshalb auch Kommunikationsformen vorgestellt werden, die Missverständnisse vorbeugen und produktiv wirken können. 4.1 Die gestörte Kommunikation zwischen Architekten und Laien Die klassische Kommunikation zwischen dem Bauherrn (beziehungsweise Nutzer) und dem Architekten, baut auf Vertrauen und ein geprägtes Rollenverständnis der Beteiligten: Der Architekt erfasst die Wünsche des Bauherren und setzt sie so um, dass das fertige Bauwerk dessen, aber auch seinen Vorstellung exakt entspricht. Diese ideale Situation ist in der heutigen Realität sehr selten geworden. Meist bleibt der Nutzer anonym und ist nur wenig, wenn überhaupt, am Entwurf der von ihm genutzten Bauten beteiligt (vgl. nächstes Kapitel). Auf dieser Ebene kann von einem Vertrauensverhältnis zwischen Nutzern und Architekten entsprechend selten gesprochen werden. Diese genannte Kommunikation vollzieht sich im Gespräch, mit Hilfe von Skizzen und Zeichnungen oder Modellen. Dies sind gleichzeitig die wichtigsten und gebräuchlichsten Entwurfswerkzeuge des Architekten. Das heißt, der Architekt ist mit diesem Medium besonders vertraut. Der Bauherr oder der Nutzer muss sich erst mit ihm auseinandersetzen, seine Sprache lernen, bevor er mitreden kann. Die Bauherren sind dennoch auf das Vertrauensverhältnis zum Architekten angewiesen, denn er kann, wenn er es für notwendig erachtet, nur soviele Informationen übermitteln, wie unbedingt nötig sind. Aber auch bei noch so gutem Willen zur Verständigung sind beide Seiten, Bauherren oder Nutzer und Architekt, nicht vor Missverständnissen gefeit, die sich unter Umständen erst in einem ungünstigen Planungssta74 Kapitel 4.1 dium offenbaren und zu Unmut führen. Auch wenn sich alle Beteiligten über das Ziel ihres Vorgehens einig sind, ergeben sich Komplikationen und Missverständnisse, wenn die mit dem zu bauenden Haus verbundenen Vorstellungen nicht deckungsgleich sind. Der Schriftsteller Max Frisch, der Architektur studiert und eine Zeitlang als Architekt gearbeitet hat, thematisiert das Verhältnis von Architekten und Laien in seinem Hörstück Der Laie und die Architektur, das 1955 in der Zeitschrift für europäisches Denken-Merkur abgedruckt wurde. Er skizziert dieses Verhältnis als einen Austausch auf Augenhöhe, bei dem nicht nur der Laie vom Architekten lernt, wie gebaut wird, sondern der Architekt vom Laien erfährt, welche Bedeutung das Bauen, die Architektur, der Städtebau und die Stadtplanung hat. Frisch macht dabei deutlich, dass dieser Diskurs nicht nur grundlegend für gute Architektur und guten Städtebau ist, sondern deren Voraussetzung. (Frisch, 1955, S. 261ff.) Der Architekturpsychologe Riklef Rambow hat dagegen in diversen Untersuchungen eine recht schlechte Verständigung zwischen Architekten und Laien, also tatsächlichen oder potenziellen Bauherren oder Nutzern, festgestellt. Er sieht sie als Ergebnis einer schlechten Architekturvermittlung (Rambow, 2000, S. 232). Auch der Architekturkritiker Christian Kühn sieht hier Handlungsbedarf (Rambow, 2000, S. 232) wie auch die Psychologin Anette Sommer. (Rambow, 2000, S. 232) Sie kommen zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen, die hier im Einzelnen behandelt werden sollen. Riklef Rambow stellte in seinen Untersuchungen fest, dass sich Architekten darin schwertun, die Erläuterungen ihrer Entwürfe an die Bedürfnisse eines Laienzuhörers anzupassen, die Perspektive der zukünftigen Nutzer einzunehmen und zum Beispiel konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die sich aus den Entwürfen für sie ergeben (Rambow, 2000, S. 232). Sie bleiben eher in ihrer professionellen Denk- und Ausdrucksweise verfangen, als dass sie sich um eine allgemeine Verständlichkeit bemühen (Rambow, 2000, S. 245). Offensichtlich unterschied sich nach seinen Untersuchungen auch die Interessenlage der Laien und der Architekten. Während Laien zwar ökologische, wirtschaftliche und funktionale Argumente als wichtig einstuften, zählten ästhetische Argumente für sie weniger. Hier entstanden in der Beurteilung leicht Konflikte, während beispielsweise funktionale und technische Argumente als Informationsgewinn eingestuft wurden. Interessanterweise wurden daraus keine Konsequenzen gezogen. Viele Architekten neigen weiter dazu, bei Entwurfserläuterungen die ästhetische Seite hervorzuheben, weil es ihnen persönlich wichtig ist oder aber sie dem Laien eine Erläuterung trockener Fakten ersparen wollen. (Rambow, 2000, S. 251) Andererseits erliegen Architekten, folgt man Rambow, einer massiven Überschätzung des Laien-Wissens über das allgemeine Architekturgeschehen. Auch dies scheint Architekten zu wenig bewusst zu sein. Als Fachleute sollten sie diesen Unterschied kennen. Sie benutzen Worte, die Laien nicht kennen. Sie denken in Konzepten, die Laien fremd sind und sie sehen Kapitel 4.1 75 andere Probleme und andere Lösungen als Laien. (Rambow, 2000, S. 176ff.) Rambow schlägt daher gezielte Fortbildungsmaßnahmen für Architekten vor, um sie in der Fähigkeit zu schulen, zielgruppengerecht zu kommunizieren. So sollte nach seiner Auffassung ein grundsätzliches Verständnis für die Experten-Laien-Kommunikation entstehen, konkretes Wissen über die Laienperspektive vermittelt und Regeln für die Kommunikation aufgestellt werden. (Rambow, 2000, S. 248) Letzteres ist sicher kritisch zu betrachten, denn eine gewisse Sprachgewandtheit, die Rambow selbst zu bedenken gibt, könnte hier auch Abhilfe schaffen. Voraussetzung wäre aber eine gute Verständigung zwischen Laien und Architekten. Rambow schlägt mit Bromme außerdem einen Abgleich der Entwurfsentscheidungen von Architekten mit den Nutzervorstellungen im Sinne der von Donald Schön definierten „reflexiven Praxis“ des Entwerfens vor (vgl. Abschnitt 3.3.2), um den Entwurf zu optimieren. (Bromme/Rambow, 2000, S. 3; Bromme/Rambow, 2000, S. 201ff.) Auch der Wiener Architekturtheoretiker Christian Kühn sieht Probleme in der Kommunikation zwischen Architekten und Nicht-Architekten. Am Beispiel des Schulbaus beschreibt er eine Sprachlosigkeit zwischen Pädagogen und Architekten, obgleich man sich hier sehr gut ergänzen und intensiv zusammenarbeiten könne. (Kühn, 2008/2, S. 40) In einem früheren Aufsatz bezieht er sich in einer Betrachtung weitgehend auf die Untersuchungsergebnisse von Riklef Rambow, ohne seine Arbeit allerdings explizit zu erwähnen. Kühn kommt aber zu dem Ergebnis, dass es nicht ausreiche, Architekten in der Kommunikation mit Laien zu schulen. Er glaubt vielmehr, dass in den Schulen ein intaktes Raumbewusstsein vermittelt werden müsse, das er als Rüstzeug einer mündigen Existenz beschreibt. Dabei bezieht er sich auf den Architekten und Architekturkritiker Walter M. Chramosta. Der Architekturunterricht sollte eine Schule des Sehens sein. Es gehe aber nicht darum, aus den Schülern lauter kleine Architekten zu machen. (Kühn, 2000, S. 2) 4.1.1 Laienwahrnehmung von Architektur, empirische Untersuchungen In Bezug auf die Verständigung zwischen Architekten als Fachleuten und dem Nutzer als Laien hat Riklef Rambow verschiedene, sehr aufschlussreiche Untersuchungen durchgeführt, die für die Kommunikation der beiden Gruppen wesentliche Hinweise geben. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1997 ergab, dass Fachleute mit dem Begriff Architektur ganz andere Assoziationen verbinden, als Laien. (Rambow, 2000, S. 66ff.) Die Experten verbanden damit ethische Gestaltungsansprüche, durchaus im philosophischen Sinne von Moral, Ehrlichkeit oder Wahrheit. Sie konnten sich Architektur als sinnliches Erlebnis jenseits optischer Anschauung, beispielsweise durch Berührung, Bewegung und Aktivität vorstellen. Für 76 Kapitel 4.1 Laien herrschte dagegen der visuelle Charakter der Architektur, im Sinne von Design oder Dekoration, vor. (Rambow, 2000, S. 74) Sie assoziierten den Begriff mit Worten, wie Mode, Zeitgeist oder Lifestyle, die auch eine Komponente des Flüchtigen einschließen (Rambow, 2000, S. 74). Wesentlich war auch die Unterscheidung spektakulärer von alltäglichen Bauten, die Laien weniger mit Architektur in Verbindung bringen, als Experten (Rambow, 2000, S. 76). Architekten waren sich, das zeigte eine zweite Untersuchungsreihe, nicht darüber im Klaren, dass Laien viel weniger über zeitgenössische Architektur wissen, als sie dies annehmen (Rambow, 2000, S. 126). Die von dem Architekten Charles Jencks aufgestellte Hypothese einer Doppelcodierung postmoderner Architektur, die sowohl von Laien als auch von Architekten verstanden wird, zeigte sich als nicht haltbar (Rambow, 2000, S. 133). Der USamerikanische Architekturanalytiker L. N. Groat, auf den sich Rambow in diesen Betrachtungen bezieht, fand bei seinen Untersuchungen heraus, dass Architekten eher Form, Stil, Entwurfsansatz und Entwurfsqualität sowie Konstruktionsweise an Gebäuden bewerten, während Laien vor allem den Gebäudetyp, die Gebäudeform und sein Material zur Beurteilung heranziehen (Rambow, 2000, S. 134). Weitere Untersuchungen ergaben folgende Ergebnisse: Kaum ein Laie verfolgt das aktuelle Architekturgeschehen, und auch für die Person des Architekten und seinen Beruf wird wenig Interesse aufgebracht. Ein Großteil der Studierenden, die mit einem Architekturstudium beginnen, verfügt nur über ein sehr allgemeines Wissen über Architektur. Auch sie haben in der Regel nur vage Vorstellungen von der Tätigkeit eines Architekten, und nur jeder zweite oder dritte verfügt über elementare Kenntnisse historischer Baustile, die Schulthemata sind, Baumaterialien oder einfache Fachbegriffe, wie Ziegel, Dachfirst oder Fachwerk. Unbekannt sind dagegen Begriffe wie Vorhangfassade oder Dreispänner. (Rambow, 2000, S. 118f) Eine dritte Untersuchungsreihe bezog sich auf die Fragen, welche Gebäude Architekten gefallen und welche Laien? Und ob die jeweilige Gruppe die Vorlieben der anderen richtig einschätzt. Es zeigte sich, dass Architekten und Laien die Präferenzen der jeweils anderen Gruppe falsch beurteilen. Damit wurde eine entsprechende Vorannahme bestätigt. Architekten sind diese Differenzen sehr bewusst, sie unterschätzen aber, wie sehr Laien manche Gebäude ablehnen. Von den Vorlieben der Laien haben Architekten allerdings eher schematische Vorstellungen. Der Prototyp eines Hauses mit rechteckigem Grundriss und Satteldach, für dessen Bau vorwiegend naturnahe Materialien, wie Holz oder Bruchstein verwendet werden, trifft nach Ansicht von Architekten den Laiengeschmack besonders gut. Laien differenzieren hier hingegen viel stärker, als dies Architekten annehmen. Beispielsweise kamen in den Untersuchungen Häuser mit Holzverkleidungen trotz ihrer klassischen Hausform nicht besonders gut an. Sie wurden mit Scheunen oder Schuppen assoziiert und als Bretterbuden bezeichnet. Auch Laien waren sich in der Einschätzung darüber, welche Architektur Kapitel 4.1 77 Architekten gefallen würde, weitgehend einig. Auch hier waren Stereotypen festzustellen. Sie lagen in ihrer Einschätzung aber grundlegend falsch. (Rambow, 2000, S. 179ff.) Ein weiteres wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist, dass Laien Gebäude eher nach äußeren Merkmalen beschreiben: also seiner Form, seiner Dachform, Farbe und Größe und dem Fassadenmaterial (Rambow, 2000, S. 161). Architekten hingegen reflektieren bei der Betrachtung von Gebäuden eher die Entwurfsarbeit der Kollegen, das Resultat des Entwurfsprozesses, das Verhältnis von Gebäude und Umgebung und seine stilistische Einordnung oder sie nehmen eine Klassifizierung nach Konstruktionsweisen vor (Rambow, 2000, S. 161). Eine vierte Untersuchungsreihe bezieht sich auf die Form der Kommunikation zwischen Architekten und Laien. Rambow stellt hier fest, dass in Situationen, in denen sich die Kommunikationspartner gegenüberstehen, sehr schnell die Unterschiede zum Laienverständnis ausgemacht und ausgeglichen werden. Man einigt sich schnell auf eine Kommunikationsform. In der monologischen Kommunikationsform, also in Vorträgen, bei Präsentationen etc. ist das schon schwieriger, und hier stellt Rambow fest, dass sich Architekten damit schwer tun, ihr Instrumentarium auf die Zuhörerschaft einzustellen. (Rambow, 2000, S. 212) 4.1.2 Verständigungsinstrumente aus der direkten Raumerfahrung im Dialog der Laien mit Architekten Auch die Psychologin Anette Sommer geht in ihren Betrachtungen Architektensprache Nutzersprache - Dolmetscher in der Planung davon aus, dass es Verständigungsschwierigkeiten zwischen Architekten und Nicht-Architekten, also Laien gibt. Die Architektenausbildung sozialisiere Architekten in eine Subkultur hinein und vermittele eine Sprache, die sich hauptsächlich auf die Erfahrung mit Ideen, Konzepten und Plänen von physischen Räumen und idealtypischen Nutzern bezieht. Die Aneignung der Architektur durch den Nutzer im Alltag erweise sich jedoch als weit von der Raumidee entfernt. Sommer macht dafür unterschiedliche Bezugsrahmen verantwortlich, in denen sich Architekten und Laien (als potenzielle oder tatsächliche Nutzer) bewegen. (Sommer, 1997, S. 2f) Sie schlägt vor, den Nutzern die architektonische Idee nahezubringen und sie zu motivieren. Architekten sollten darauf reagieren, in dem sie sich in der Kommunikation mit den Laien auf eine allgemeine Kommunikationsebene begeben, beispielsweise auf die der direkten, 1:1 erlebten Raumerfahrung. Außerdem sollten die Nutzer die Idee der Architektur verstehen können und in die Lage versetzt werden, sich beispielsweise in eine im Maßstab 1:100 abstrahierte Situation gedanklich und emotional hineinzubegeben und dies mit ihrer Aneignungserfahrung von Räumen in Verbindung zu bringen. Architekten könnten ihnen dabei helfen, indem sie anschauliche Modelle herstellen würden und diese mit Worten aus Alltagssituationen erklärten. Zusätzlich 78 Kapitel 4.1 sollten sie die Befragten ermutigen, mit ihnen weitere Möglichkeiten der Nutzung durchzuspielen. (Sommer, 1997, S. 4) Es sollte sozusagen schon in der Planungsphase ein für die Nutzer leicht anzueignender Erfahrungsraum geschaffen werden. Anette Sommer sammelte ihre Erfahrungen auf exemplarisch durchgeführten Entwurfspräsentationen. Die Architekten hatten dabei Probleme, mit den Rückmeldungen der Bürger konstruktiv umzugehen. Ihre Ausbildung trainiert sie offenbar eher darin, Entwurfsideen zu verteidigen und zu rechtfertigen, als Kritik als Anregung zu begreifen. Bei diesem Kommunikationskonflikt bedurfte es offensichtlich einer Übersetzung, also eines Moderators oder eines Dolmetschers. (Sommer, 1997, S. 7) Auf diese kommunikativen Schwierigkeiten müsse nach Sommer auch die Architektenausbildung eingehen. Die Studierenden sollten lernen, mit Rückmeldungen konstruktiv umzugehen und sie produktiv in das Konzept ihrer Arbeit aufzunehmen. Auf die Erfahrungsmöglichkeiten, die mit Verständigungs- und Übersetzungsprozessen verbunden sind, sollten Seminare in der Architektenausbildung vorbereiten. Das Planen könnte so spürbar in der Realität der Menschen und in ihrem Leben verankert werden. (Sommer, 1997, S. 8) 4.2 Das Laienverständnis von Architektur Wenn in dem vorher gehenden Abschnitt von Kommunikationsproblemen zwischen Architekten und Laien die Rede ist, wirft das die Frage auf, wie dieses Problem generell gelöst werden kann. Welche Kenntnisse aber haben die Laien, die Menschen, die sich nicht täglich und professionell mit dem Erstellen von Räumen oder ihrer Beurteilung befassen. Was prägt ihr Verständnis von Räumen und Bauwerken, von Architektur und Innenarchitektur? Wie richten sie die Räume ein, in denen sie sich täglich aufhalten? Mit anderen Worten: Wie verhält es sich mit Winston Churchill und seinem berühmten Satz: „We shape our buildings and our buildings shape us.“? Einige Psychologen, Soziologen und Vertreter anderer Berufsdisziplinen haben das Architekturverständnis von Laien untersucht und ihnen Hilfestellung bei der Beurteilung von Räumen und Handlungsempfehlungen gegeben. 4.2.1 Die Laienperspektive der Architektur Sowohl Riklef Rambow als auch Anette Sommer haben aus psychologischer Sicht ein Missverhältnis in der Verständigung zwischen Architekten und Laien festgestellt. Beide haben auf ein Laienverständnis der Architektur hingewiesen, dass von Architekten nicht wahrgeKapitel 4.2 79 nommen wird. Anette Sommer schlägt in diesem Zusammenhang sogar den Einsatz von Übersetzern vor. Rambow hat in seinen Untersuchungen festgestellt, dass Fremd- und Eigensicht in beiden Gruppen sehr differieren. Laien näherten sich demnach der Architektur eher über ihre äußere Form, ihre Größe, das Material der Fassade und ihrer Farbe. Sommer hat das Raumverständnis von Laien betrachtet und festgestellt, dass sie Räume vor allem durch ihr Erleben im Maßstab 1:1 wahrnehmen, sie aber nur schwer als Vision artikulieren können. 4.2.1.1 Das Erleben von Architektur und Raum, Formen und Farben Zu ähnlichen Erkenntnissen, wie Anette Sommer, kommen auch Psychologen wie Christian Rittelmeyer oder Rotraut Walden, deren Arbeiten im folgenden im Detail erörtert werden. (Rittelmeyer, 1994, S. 104ff.; Walden, 2008, S. 3) Auch sie basieren ihre Untersuchungen auf das Raumerlebnis von Laien. Der Psychologe und Hochschullehrer für Erziehungswissenschaften Christian Rittelmeyer hat eine umfangreiche Studie über die Wahrnehmung und die Beurteilung von Schulbauten durch Schüler und Schülerinnen durchgeführt. Er hat erforscht, wie und was die Bauten ihnen vermitteln und wie sie wiederum ihr Empfinden für die Schulgebäude und ihre (Lern-) Umgebung kommunizieren. (Rittelmeyer, 1994 passim) Dabei äußert Rittelmeyer sich auch über die unterschiedlichen Sprachen, die Architekten und Laien benutzen und empfiehlt, sich mit der jeweils fremden Sprache vertraut zu machen. Den Architekten legt er besonders nahe, Rückschlüsse aus den Erfahrungen zu ziehen, die die Nutzer, in diesem Fall die Schulkinder, gemacht haben. Mit verschiedenen Verfahren hat er versucht zu erfahren, wie Schüler auf das Gebäude ihrer Schule reagieren, wie sie es erleben und wie sie ihre Wünsche in Bezug auf die Gebäude benennen würden. Um diese Erfahrungen zu ermitteln, definiert er das Erleben des Schulgebäudes als einen Dialog zwischen Nutzer und Gebäude, als eine Interaktion zwischen Leib und Raum bzw. zwischen Leib und Gebäude. (Rittelmeyer, 1994, S. 107) Dafür betont er zunächst das Erleben der Architektur als eine leibliche Erfahrung (vgl. auch. Kükelhaus und Meisenheimer, Abschnitt 2.1.1) mit allen Sinnen und bezieht dabei auch den Gleichgewichtssinn und die Empfindungen im Raum während der eigenen Bewegung mit ein. Er definiert die Wahrnehmung des Gebäudes als eine gleichzeitige Erfahrung des eigenen Körpers. (Rittelmeyer, 1994, S. 16) 80 Kapitel 4.2 Er hat beispielsweise die Blickbewegungen der Schüler und Schülerinnen untersucht und dabei festgestellt, dass sich Schrägen im Raum auf ihr Gleichgewichtsempfinden auswirken (Rittelmeyer, 1994, S. 16ff.). Die Kinder sehen die Architektur der Schule also nicht nur, sondern erfahren sie, auch unbewusst und gefühlswirksam, als eine leibliche innere Bewegung (Rittelmeyer, 1994, S. 23). Wobei Rittelmeyer davon ausgeht, dass sich die Sinne des Menschen gegenseitig beeinflussen. Es entstünden Synästhesien (Rittelmeyer, 1994, S. 24), dies wiederum wirke sich auf die Psyche und den Organismus des Menschen aus und liefere so eine Erklärung dafür, dass es Sympathien und Antipathien für oder gegen bestimmte Bauformen gebe (Rittelmeyer, 1994, S. 16ff.). „In einem gewissen Sinne erzeugt das Objekt ebenso unsere Wahrnehmungserlebnisse, unbewusst ablaufende Prozesse, die sich aber „atmosphärisch“ in unserem seelischen und leiblichen Befinden bemerkbar machen und das Lernklima mitbestimmen“ (Rittelmeyer, 1994, S. 39). Zur genaueren Bestimmung der Erfahrungen benutzte Rittelmeyer zusätzlich das „semantische Differenzial“ und legte achtundsiebzig vierzehn- bis sechszehnjährigen Schülern zwei Schwarz-Weiß-Fotografien von sehr unterschiedlichen Schulgebäuden vor (Rittelmeyer, 1994, S. 43). (Abb 4.2.1 Rittelmeyer) Das „semantische Differenzial“ ist eine vielfach in der psychologischen Forschung, aber auch in der Schulforschung eingesetzte Untersuchungsmethode, um die Wahrnehmung von Bedeutungen in Erfahrung zubringen. Die von Charles E. Osgood und anderen Ende der 1950er Jahre entwickelte und von Peter Hofstädter für den deutschsprachigen Raum als Polaritätsprofil leicht variierte Methode setzt auf die affektiven Einschätzungen der Probanten Abb. 4.2.1 Christian Rittelmeyer, das semantische Differenzial der beiden gezeigten und eingestuften Schulansichten Kapitel 4.2 81 zu zwei unterschiedlichen Begriffen oder Bildern. Auf einer meist siebenstelligen Skala, die von (-3) über 0 zu (+3) reicht kann zwischen gegensätzlichen Adjektiven entschieden werden. Entscheidend ist die treffende Auswahl der Adjektivpaare und ihre Anzahl, um zu einem differenzierten Bild der Einschätzungen zu kommen. (Ertel, 1965, S. 22ff.) Das Ergebnis der Untersuchung von Rittelmeyer war, dass die Gebäude nahezu einheitlich als Gegensätze wahrgenommen wurden. Zusätzlich notierte er aus gesondert geführten Interviews mit den Schülern einige Adjektive, mit denen sie die Gebäude beschrieben: schwer, festgezurrt, aufgereckt, gigantisch, stark, gefährlich, einengend, kalt, mollig, gemütlich, schützend, belebt, lustig. (Rittelmeyer, 1994, S. 46) Bezüglich der Ausstrahlung eines Gebäudes fanden die Schüler fast menschliche Beschreibungen. Die Schulgebäude würden meist als schön, anziehend oder freundlich empfunden, wenn sie zugleich in Form und Farbgebung abwechslungs- und anregungsreich, freilassend und befreiend, warm und weich erschienen. Rittelmeyer betont, dass bei der Untersuchung mit dem „semantischen Differenzial“ Fotos der Schulen bewertet wurden und nicht die Gebäude selbst, die unter Umständen einen anderen, weil räumlichen Eindruck vermittelt hätten. (Rittelmeyer, 1994, S. 47) Mit Grundschülern führte diese Untersuchung nicht zum Erfolg (Rittelmeyer, 1994, S. 90). In einer anderen Untersuchung wurden Studierende gebeten, sich vorzustellen, dass die ihnen auf Fotos gezeigten Gebäude wie Menschen denken und fühlen könnten. Sie sollten sich selbst als Gebäude beschreiben und gleichzeitig ihre Empfindungen über sich selbst benennen, also wie sie sich selbst als Gebäude erfahren würden. Dabei stellte sich heraus, dass ältere Schüler und Studierende „Kühle“ als durchaus positiv empfanden. „Wärme“ wurde dagegen als sakral, bedrängend oder aufdringlich gesehen und kollidierte mit einer Vorstellung von Freiheit. Jüngere Schüler und Studierende empfanden umgekehrt. Wärme kam ihnen positiv vor, Kühle negativ. Dadurch war nicht nur die leibliche Kommunikation mit dem Gebäude angesprochen, sondern auch die Frage, wie oder ob sich die Probanden mit der Architektur identifizieren können. (Rittelmeyer, 1994, S. 63) Aus seinen Untersuchungen entwickelt Rittelmeyer eine „Rhetorik der Schule“. Farben, Dekor und Architektur „erzählen“ nach seiner Einschätzung immer etwas (Rittelmeyer, 1994, S. 54). Sie berichteten davon, wie viel Geld ausgegeben worden sei oder eben nicht, sie berichteten von Freiheit oder Abgeschlossenheit, ob Gebäude eine bergende schützende Qualität haben oder die Schüler, wie auf einem Präsentierteller zur Schau stellen würden, (Rittelmeyer, 1994, S. 53ff.). Schulbauten würden von den Schülern als soziale Gebärden und Gesten verstanden (Rittelmeyer, 1994, S. 65). Sie würden diese nach ähnlichen Kriterien bewerten, wie den sozialen Umgang mit Mitmenschen und die Interaktion mit dem Gebäude als sozial oder unsozial und menschlich oder unmenschlich bezeichnen (Rittelmeyer, 1994, S. 70). Diese, aus den Untersuchungen ermittelten, Ergebnisse sollten Architekten und Schulplaner als Hinweise aufnehmen und ihre architektonische Sprache damit sensibilisieren, also auf 82 Kapitel 4.2 die Schüler als Nutzer abstimmen (Rittelmeyer, 1994, S. 74). Bei den Befragungen und Untersuchungen wurden auch die narrativen Qualitäten der Architektur deutlich. Manche Gebäudeformen würden Kinder zum Erzählen von Geschichten animieren. Es fielen Vergleiche zu Schlössern und Burgen, oder zu sakralen Bauten, was nicht immer positiv zu bewertet sei. Architekten sollten auf eine Rhetorik des Gebäudes achten, die bei den Kindern einen positiven Eindruck hervorrufe. (Rittelmeyer, 1994, S. 90f) Ein anderer erfolgreicher Versuch hatte die assoziative Zuordnung von vier Puppen zu vier Gebäudezeichnungen zum Gegenstand. Hier sollte es darum gehen, die Charaktere, die jeweils für die Puppen und für die Gebäude stehen, zu analysieren und zuzuordnen. Das gelang gut. (Rittelmeyer, 1994, S. 90ff.) Rittelmeyer kommt zu dem Schluss, dass der Schulbau in gewisser Weise, wie eine Lehrerpersönlichkeit, bildend oder auch verbildend wirke (Rittelmeyer, 1994, S. 104). Er tritt für eine Erziehung der Menschen zur sensiblen Wahrnehmung von Architektur ein. Die Arbeit eines Architekten hält Rittelmeyer für wertvoll und notwendig. Im Dialog zwischen der Schulvertretung und dem Architekturbüro müsse die richtige pädagogische Lösung gefunden werden (Rittelmeyer, 1994, S. 102), eine Anregung zur Selbstgestaltung sieht er hingegen nicht als ein probates Mittel an (Walden, 2008, S. 317). 4.2.1.2 Raumaneignung durch Umweltkontrolle der Nutzer Ein wesentlicher Aspekt bei der Betrachtung des Verhältnisses von Räumen und ihren Nutzern ist die Beurteilung der Raumqualitäten, die sich durch die Benutzung selbst zeigen. Die Psychologin Rotraut Walden hat sich mit der Frage beschäftigt, wie Laien sich mit ihrer alltäglichen gebauten Umwelt auseinandersetzen können. Sie sieht die Ergebnisse ihrer Studien und Arbeit als Ergänzung zu den Ansätzen von Christian Rittelmeyer (Walden, 2008, S. 317). Auch sie geht von einem Einfluss aus, den die Umwelt auf unser Wohlbefinden hat. Das gilt auch für die Architektur. Sie sieht sie in der Lage, die Leistung von Nutzern, beispielsweise im Bereich der Bildung, positiv zu beeinflussen. (Thurler, 2008, S. 68) Die Aneignung des Raumes macht ihn, nach Waldens Erkenntnissen, sozial bedeutsam. Im Bezug auf den Raum entwickelt sich eine Ortsidentität und bei Gruppenmitgliedern auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl. (Walden, 2008, S. 61) Die Nutzer von Räumen, insbesondere von Lehrräumen, äußern sich nach den Erkenntnissen Waldens nicht nur über ihre Sprache, sondern auch über ihre eigenen Gestaltungen. Die Eindrücke der Raumwahrnehmung werden von den Nutzern als angenehm oder unangenehm für den Organismus eingeschätzt. Es entstehen Behagen, Zufriedenheit, Wohlbefinden oder das Gegenteil. Walden sieht den Nutzer aber auch in einer Interaktion mit seiner Umgebung. Nutzer versuchen, folgt man ihren Kapitel 4.2 83 Ausführungen, Kontrolle über ihre Umwelt zu erreichen, um sie sich anzueignen. Positive Spuren der Umweltkontrolle zeigen eine Bindung der Nutzer an ihre Umwelt und ihre Verantwortlichkeit für deren Instandhaltung. Kontroll-, Mitwirkungs- und Selbstgestaltungsmöglichkeiten bestimmen das Verhältnis der Nutzer zu ihrer Umwelt. Ziel der Gestaltung neuer Gebäude bzw. der Umgestaltung bestehender Bauten, insbesondere für Schulen, sollte die Stimulation von Leistung und sozialer Kooperation der Schüler bzw. der Lehrer sein. Auf dieses Verhältnis beziehen sich die Untersuchungen von Rotraut Walden. Sie sieht einen direkten Einfluss der gebauten Umwelt auf das Erleben und Verhalten ihrer Benutzer sowie deren Mitwirkung an der Gestaltung dieser Umgebung. Sie bestätige die eigene Leistungsfähigkeit und könne auch den sozialen Zusammenhalt angenehm beeinflussen. (Walden, 2008, S. 12ff.) Die Umweltkontrolle drückt sich also positiv in einer Aneignung zur Verschönerung und zum Gebrauch aus. Man sucht nach Möglichkeiten zur verantwortungsbewussten Müllbeseitigung oder man bemüht sich, Diebstahl oder Einbruch zu verhindern. (Walden, 2008, S. 17) Sie kann sich aber auch in Vandalismus oder Verwahrlosung ausdrücken (Walden, 2008, S. 17). Die Umweltkontrolle hat also konstruktive und destruktive Auswirkungen auf die Architektur (Walden, 2008, S. 21). Walden gibt allerdings zu bedenken, dass nicht alle Menschen die größtmögliche Kontrolle über die Umwelt ausüben möchten, wie ein Architekt oder Planer. Den Architekten wird die Kontrolle gern überlassen, wenn man davon ausgehen kann, dass sie sozusagen in guten Händen ist und Experten am Werk sind. (Walden, 2008, S. 22ff.) Viele Nutzer geben die Umweltkontrolle auch gerne dann ab, wenn sie in kurzer Zeit über zu viele Alternativen entscheiden müssen (Walden, 2008, S. 84). Manche Laien müssen sich die Kompetenz, ihre Umwelt zu gestalten, erwerben, anderen fällt dies nicht so schwer (Walden, 2008, S. 104). Gebaute Umwelt wird zum Ausdruck von gebauter Kontrolle, indem sich dort Spuren von Verhalten zeigen (Walden, 2008, S. 366). Ableitend aus den Theorien der Umweltkontrolle kommt Walden zu der Schlussfolgerung, dass eine Partizipation der Nutzer als wesentliches Element baulicher Entwürfe, vor allem für Schulbauten zu betrachten ist (Walden, 2008, S. 111). Dazu müssten sich auch die Nutzer zunächst eine Meinung über ihre bauliche Umwelt bilden. Zur Erfassung von Umweltqualitäten schlägt Walden sowohl die Ermittlung von objektiven Angaben, wie die Größe der Grünfläche, die Schülerdichte, die Reinheit der Luft und andere Sachverhalte, vor wie auch die subjektive Bewertung von Gebäudequalitäten, wie persönliche Einschätzungen oder Gefühle. (Walden, 2008, S. 76) Dafür diskutiert sie verschiedene Evaluationsmethoden von Schulgebäuden: den Einsatz des „semantischen Differenzials“ zu Fotos oder auch eines Raum-Bewertungs-Arbeitsbogens, eine Art Checkliste zur Beurteilung der Schulgebäude (Walden, 2008, S. 113ff.). Walden entwickelt daraus den „Koblenzer Architektur-Fragebogen“. Sie verfolgt damit das Ziel: 1. das Profil eines „Gebäudes der Zukunft“ zu entwickeln, 2. Empfehlungen für die Verbesserung von An-, Um- bzw. Neubauten zu benennen und 3. Daten für das Facility84 Kapitel 4.2 Management bereitzustellen. Es kommen dabei Kriterien aus der Architekturpraxis zur Anwendung. Es werden die Funktionalität und die ästhetisch-gestalterischen Aspekte erfragt, aber auch sozial-physische Zusammenhänge untersucht. (Walden, 2008, S. XIV) Der Bogen erfasst die Differenz zwischen den vorhandenen Qualitätsmerkmalen und zukünftigen Ansprüchen der Nutzer, und er erfasst gleichzeitig auch die persönliche Meinung der Befragten (Walden, 2008, S. 157ff.). Aufgebaut ist er nach dem Prinzip eines Rundgangs durch das Gebäude. Die Beurteilungskriterien sind in einer fünfstufigen Ratingskala von störend (-2) bis fördernd (+2) aufgebaut, die von Smiley-Symbolen in ihrer Aussage unterstützt werden, um Missverständnissen vorzubeugen (Walden, 2008, S. 160f). Die zentralen Fragen beziehen sich auf die Verbesserung von Lern- und Arbeitsleistungen (Walden, 2008, S. 171), auf das Wohlbefinden, die (Umwelt-)Kontrolle, die Mitwirkung und die Selbstgestaltung (Walden, 2008, S. 171). Sie beziehen sich auf die Zusammenhänge der architektonischen und nutzerorientierten Gestaltung in Bezug auf das Sozialverhalten der Nutzer, ihr Wohlbefinden, die Arbeits- und die Lernleistungen. Erfasst wird auch, ob nach der Ermutigung zur Mitgestaltung und zur Selbstverantwortung noch Schmierereien oder Vandalismus vorkommen. (Walden, 2008, S. 204) Die Auseinandersetzung mit der Selbstgestaltung, der Aneignung und Regulierung von Stressoren (Stressfaktoren) und damit die Beschäftigung mit den Auswirkungen des speziellen Gebäudes auf die Umweltkontrolle der Nutzer, bildet einen besonderen Schwerpunkt bei dieser Erhebung (Walden, 2008, S. 185). Rotraut Walden ist bestrebt, den Nutzer zu ertüchtigen, Einfluss auf seine bauliche Umgebung auszuüben und ihm damit auch eine Umweltkontrolle zu ermöglichen. Nutzer würden dabei nicht die Arbeit eines Architekten übernehmen, sondern sich einen eigenen Bezug zu ihrer räumlichen Umgebung und ein eigenes Verständnis von Raum aneignen. 4.2.2 Das Nutzerwissen über den Raum Das Verhältnis der Menschen zu ihrer gebauten Umwelt ist von Erfahrungen und durch das Wissen über die Aneignung und das Benutzen von Bauwerken bestimmt, also durch das Verhältnis, das tatsächliche, potenzielle oder zukünftige Nutzer zur Neu- oder Umbauplanung dieser Bauten aufbauen. Dabei spielt auch in diesen Auseinandersetzungen die Diskrepanz zwischen dem Experten- und Laienverständnis von Architektur eine wesentliche Rolle. 4.2.2.1 Das Erfahrungswissen und das praktische Wissen der Nutzer Das Nutzerwissen sieht der Soziologe Achim Hahn als eine besondere Art des Wissen, das sich aus der Nutzung von Gegenständen oder von Räumen ergibt. Laien schöpfen ihr Wissen nach seinen Erkenntnissen eher aus dem Können, als aus dem Kennen. (Hahn, 1997, S. 1) Kapitel 4.2 85 Sie können Räume bewohnen, in einer Schule lernen oder lehren, in einem Büro arbeiten und wissen um die Bedingungen, die die Räume oder Gegenstände haben müssen. Dies ist ein nach langer Übung erworbenes Können und ein Kennen der Praxis. Dies schlage sich auch in den Berichten über die Nutzung nieder. Es würden eher Geschichten erzählt, als Berichte oder Erklärungen abgegeben. Das Erlebte werde als Erfahrung mitgeteilt (Hahn, 1997, S. 4). Für die Architektur sei das entscheidend, denn in der Art, in der Architektur benutzt werde, offenbare sich auch ihr Gebrauchswert. Er nimmt dabei Bezug auf den schwedischen Architekten und Abb. 4.2.2.1 Laborschule Bielefeld, der Stuhl als Lesemöbel Architekturtheoretiker Lars Lerup. Dabei würden sich manche Gegenstände als etwas ganz anderes entpuppen, als wofür sie eigentlich geplant seien. Eine Treppe oder ein Stuhl könne in der Benutzung etwas ganz anderes sein, als ein Mittel, um Höhenunterschiede zu überwinden oder ein Sitzmöbel (Abb. 4.2.2.1 Herb). Jeder Umgang sei „situativ und lokal“ (Hahn, 1997, S. 6), was nach seiner Definition heißt: auf den besonderen Fall bezogen. (Hahn, 1997, S. 5f) Achim Hahn gibt aber auch zu bedenken, dass viele Nutzerwünsche ohne eine professionelle Moderation verpuffen würden. Sie blieben dann belanglose und minimale Schritte (Hahn, 1997, S. 11). 4.2.2.2 Das Erfahrungswissen von Nutzern in der Raumgestaltung Aus der Perspektive der Erziehungswissenschaft nähert sich Daniela Rätzel der Frage, wie sich Nutzer Räume aneignen, wie sie sie verändern oder verändern können und wie sie mit Architekten oder Planern über ihre Raumvorstellungen kommunizieren. Sie betrachtet in ihrer Untersuchung Lehrräume, die in der Erwachsenenbildung benutzt werden. (Rätzel, 2006 passim) Ein in der Erwachsenenbildung tätiger Dozent beschreibt in einer ihrer Untersuchungen (fassungslos) den Raum, in dem er ein Wochenendseminar halten soll und unterstreicht damit die Hilflosigkeit, die Rätzel mit ihrer Untersuchung beheben will. „Ein langer dunkler Gang. Ich wende mich nach rechts. Toilette, dann ein unmöbliertes Zimmer. Also nach links. Ich finde Raum 1 und öffne die Tür. Ein dunkles Loch tut sich auf, röhrenartig, sich nach hinten verengend, vom einzigen Fenster nur schwach beleuchtet. Eine Art Mini-Theater oder Kino. Hinten eine kleine Bühne mit Leinwand. Alte Tische und Stühle verschiedenster Art in wilder Unordnung. Sie sehen aus wie aufgelöstes Wirtshausmobiliar. An den Wänden keine Bilder, ihre Farbe ist schmutzig gelb. [...] Die Luft ist stickig, es riecht muffig. Das Fenster führt zum Innenhof, graue Fensterwände und eine Mülltonne sind zu sehen. Ich knipse die Beleuchtung an. Grelles Neonlicht [...]“. (Rätzel, 2006, S. 8) 86 Kapitel 4.2 Rätzel sieht eine effektivere Nutzung der Räume, wenn diese eher eingenommen als hingenommen würden und die Nutzer sich aktiv mit den Räumen auseinandersetzen bzw. sich dort einbringen würden. Der Raum werde hingenommen, die Menschen konstruierten aber aus dem physischen Raum einen situativ sozialen Raum. (Rätzel, 2006, S. 75) Um dies zu optimieren, sei ein Bewusstsein Voraussetzung, dass der Raum auf verschiedene Weise in den Lehr-/Lernprozess eingebracht werden kann (Rätzel, 2006, S. 12). Das geschieht während des Unterrichtes durch eine gezielte Aneignung oder Einrichtung des Raumes, sie sollte sich aber auch auf den Austausch mit Architekten und Planer beziehen. Dies sollte auf einen gemeinsamen Prozess bezogen sein und nicht vereinzelt ablaufen. Wenn Architekten sich diesem Dialog nicht stellten und alleine an ihren Plänen arbeiteten, wirke sich das negativ auf das Ergebnis aus. Architekten sollten zuhören und die Zielsetzungen der Nutzer zur Kenntnis nehmen. (Rätzel, 2006, S. 184) Als einen generellen Unterschied in der jeweiligen Herangehensweise an die Planung machte Rätzel aus, dass Architekten sich vor allem die materielle und bauliche Beschaffenheit des Gebäudes vornähmen, um sich Handlungszusammenhänge zu erschließen, während Nutzer hier den umgekehrten Weg gingen und zunächst die Atmosphäre eines Raumes oder eines Gebäudes untersuchten, um sich dann der Analyse der Handlungszusammenhänge zuzuwenden (Rätzel, 2006, S. 197). Für einen erfolgreichen Dialog zwischen Pädagogen als Nutzer und Architekten schlägt Rätzel einen „Moderationsworkshop“ vor. Architekten müssten ihr klassisches Aufgabenfeld um die Rolle des Vermittlers und des Beraters erweitern und sich am Nutzer orientieren. Es könne nicht darum gehen, nur den Entwurf zu präsentieren und den Nutzer vor vollendete Tatsachen zu stellen. Der Nutzer müsse die Möglichkeit zur Teilhabe am Entwurf haben. Um diesen Dialog zu fördern, wäre es notwendig, die Kommunikation weniger klischeebesetzt zu führen. (Rätzel, 2006, S. 355f) Die in den vorhergehenden Abschnitten beschriebenen Relationen zwischen Raum und Benutzer zeigen, dass eine vielfältige, bewusste und unbewusste, Interaktion zwischen Architektur und Nutzer auf sehr unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Die Nutzersicht auf Bauwerke, die ihren Alltag bestimmen, sowie deren Benutzung generieren Erfahrungen und Wissen, das eine wichtige Expertise für den architektonischen Entwurf darstellt und deshalb auch darin einfließen müsste. Das ist vielen Laien sicher nicht bewusst, und deshalb sind die obigen Betrachtungen gut geeignet, Laien zur Auseinandersetzung mit dem Raum, dessen Aneignung und Gestaltung anzuregen. Es muss genau abgewogen werden, welche kommunikationsform sich eignet. Die von den jeweiligen Autoren angebotenen oder vorgeschlagenen Kommunikationsformen mit Architekten, von der Aufforderung an die Nutzer zur bloßen Kenntnisnahme der Raumqualitäten bis hin zur Erarbeitung eines Fragebogens sind allerdings nur bedingt geeignet, die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Architekten und Nutzern zu mindern. Der Nutzer muss in die Lage versetzt werden, seine Ansprüche an die räumlichen Qualitäten formulieren zu können, der Architekt wiederum muss in der Lage Kapitel 4.2 87 sein können die entsprechenden Antworten auf seine Fragen aufzuzeigen. Dazu muss er unter Umständen nach geeigneten neuen Kommunikationsformen und -instrumenten suchen. 4.3 Kommunikationsinstrumente von Architekten Die gängigen Instrumente in der Kommunikation zwischen Architekten und ihren Bauherren beziehungsweise den Nutzern ihrer Gebäude sind im Wesentlichen die Skizze, die Zeichnung, das Modell, neuerdings auch durch Computer animierte Zeichnungen, Perspektiven, Filme und der verbale Vortrag. Dies sind auch die Instrumente, die im architektonischen Entwurfsprozess einem Architekten geläufig sind, ein Laie aber erst erlernen muss, um mitreden zu können. 4.3.1 Skizze, Zeichnung und Modell als Entwurfs- und Kommunikationsinstrument? Die Kommunikation zwischen dem Architekten und seinem Klienten hat der Hochschullehrer für Urban Design an der Harvard University, Edward Robbins, in seiner Studie Why Architects Draw 1994 eingehend untersucht. Er bezieht seine Betrachtung ausschließlich auf das Verhältnis von Architekt und Bauherr, unabhängig davon, ob dieser das Gebäude selbst benutzt oder es einem dritten Nutzer überlässt. Die Art der Kommunikation und die Wahl ihrer Mittel hat auch für die Kommunikation mit Nutzern Bedeutung, die keine Bauherren sind. Mit dieser Kommunikation haben Architekten unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die Robbins im Einzelnen vorstellt und die auch hier thematisiert werden sollen. Eingangs hält Robbins in seiner Studie fest, dass auch Architekten, wie alle Menschen, die sich um Kommunikation bemühen, sich auf ihr Gegenüber einstellen und eine ihm verständliche Sprache oder ein geeignetes Medium suchen. Allerdings sind die ihm geläufigen Medien der Zeichnung oder der Skizze, des Modells oder eben der verbalen Kommunikation die Basis der Verständigung. (Robbins, 1994, S. 2ff.) Robbins stellt weiterhin fest, dass die Architektenzeichnung ein sehr komplexes Ausdrucksund Kommunikationsmittel ist, mit dem Ideen oder Gedanken festgehalten, eine visuelle Leitlinie bestimmt oder eben auch „Aufklärung“ betrieben werden soll (Robbins, 1994, S. 3). Die Zeichnung dient also als Rahmen und als Struktur der sozialen Interaktion zwischen Architekt und Bauherr, sie ist aber auch ein Mittel der Konzept- und Ideenfindung, mit deren Hilfe der Architekt seinen Entwurf entwickelt, verfeinert, hinterfragt und neu konzipiert (Robbins, 1994, S. 7). Die Zeichnung ist das vermittelnde Werkzeug zwischen Geist und 88 Kapitel 4.3 Hand, zwischen abstraktem Gedanken und der Wirklichkeit (Robbins, 1994, S. 134). Sie ist gleichzeitig eine Idee, ein Akt, ein autonomes Konzept und eine Form des gesellschaftlichen Diskurses (Robbins, 1994, S. 7). Die Kombination von Grundriss, Schnitt und Ansicht, aber auch von Perspektive oder Axonometrie dient dem Entwurf und der Planung, aber auch der Kommunikation zwischen Architekt und Bauherr bzw. Nutzer (Robbins, 1994, S. 20f). Für den Dialog mit einem Bauherrn oder einem in die Planung einbezogenen Nutzer, der nicht täglich professionell mit dem Planen und Bauen beschäftigt ist, bedarf es besonderer Anstrengungen von Seiten der Architekten, um die Verständigung zu ermöglichen. Gelingt dies, können Skizzen und Zeichnungen durchaus Wünsche, Bedürfnisse oder Ideen von Laien in die Sprache der Architekturzeichnung transformieren und in die Architektur einbringen (Robbins, 1994, S. 38). Die Codierung der Architektur- bzw. der Bauzeichnung wird mit der Konkretisierung des Bauprozesses immer komplexer, und ihre Sprache ist für Laien immer schlechter zu verstehen. Da aber nicht nur in der Entwurfsphase relevante Entscheidungen über die Qualitäten des Raums oder der Architektur getroffen werden, bleibt es nicht aus, dass Bauherren ihre konkreten Wünsche im fertiggestellten Bauwerk nicht wieder finden können. Sie müssen also dem Architekten auf dem weiteren Weg des Bauens, der nach der Entwurfsphase beginnt, vertrauen oder selbst die Sprache(n) der Bauzeichnung lernen. Missverständnisse sind dadurch nicht selten. Je genauer aber die Verständigung in der Entwurfsphase ist, umso besser können auch Missverständnisse in der späteren Bauphase vermieden werden. Robbins weist auf die Schwierigkeiten hin, dass das, was der Architekt als „Anleitung“ sieht, für den Bauherrn auch als Manipulation und Kontrolle oder auch als eine Art von professioneller Mystifizierung des Bauens gelesen werden kann. „Education“ (Aufklärung) impliziert in diesem Zusammenhang immer auch eine Auswahl, was und von wem gelernt werden soll. Die Zeichnung eröffnet Möglichkeiten, ein Gebäude kennenzulernen, verschließt aber andere. Er erklärt auch, dass dies nun nicht nur für die Architektur, sondern für alle Professionen gilt, die eine technische Sprache, Zeichensysteme oder eine Fachsprache benutzen. (Robbins, 1994, S. 207) Die Zeichnung, als ein spezialisiertes und nicht unbedingt gemeinsames Kommunikationsmittel, kann zum Monolog werden, Programme bestimmen, und sie kann die Richtung des Diskurses zwischen dem Architekten und anderen Personen bestimmen. Sie kann alle potenziellen Stimmen auf die des Architekten reduzieren und die Möglichkeit einer Verständigung ausräumen. (Robbins, 1994, S. 298) Mit der Zeichnung habe der Architekt auch ein Instrument der kulturellen Macht in der Hand. Der Bauherr, ob Gönner (Mäzen) oder Verbraucher, privat oder öffentlich, Institution oder Individuum, definiert das Gebäude. Der Architekt habe wenig Freiheit, Entscheidungen Kapitel 4.3 89 zu treffen, die zu unserer gebauten Umwelt führen. Die Zeichnung erlaube ihm, sich wieder eine kritische Stimme im Entscheidungsprozess anzueignen. (Robbins, 1994, S. 299) 4.3.2 Erfahrungen von Architekten mit Zeichnungen als Kommunikationsinstrument Nach dem britischen Architekturkritiker Reyner Banham ist die Zeichnung die Handschrift eines professionellen Architekten (Robbins, 1994, S. 296). Edward Robbins hat die Ansätze, die Architekten dabei im Einzelnen angewendet haben, untersucht und erhebliche Unterschiede in der Herangehensweise festgestellt. Der Londoner Architekt Edward Cullinam, der auf eine langjährige Erfahrung mit der Nutzerorientierung seiner Entwürfe zurückblicken kann, setzt in Bürgerversammlungen einen Overhead-Projektor ein und veranstaltet so etwas, wie einen öffentlichen Entwurf, an dem die Teilnehmer der Veranstaltung per Zuruf teilhaben. Im Interview mit Edward Robbins stellt er fest: Der Entwurf ist letztlich nur so gut, wie die Qualität der Beteiligung und die Fähigkeit des Architekten, ihre Einwürfe in den Architekturentwurf einzuflechten. (Robbins, 1994, S. 62f) Cullinam unterscheidet zwischen einem „forsight doodle“, also einer vorläufigen Skizze, am Beginn des Entwurfes und einem „hindsight doodle“, einer Skizze der späteren (nachträglichen) Einsicht, mit der er seinen Entwurf Laien erläutert. Sie hat einen sehr narrativen Charakter, der ihm bei der Vermittlung hilft. Er versucht, die Besucher seiner Beteiligungsveranstaltung damit durch das geplante Gebäude zu führen. (Robbins, 1994, S. 63) Auch Renzo Piano ist daran gelegen, den Bauherren intensiv in den Entwurfsprozess einzubeziehen und versucht, einen Dialog aufzubauen. Er vermeidet es, allzu perfekte Zeichnungen oder Modelle zu präsentieren, die schon fertige Lösungen zeigen. Die Gefahr, dadurch die Verständigung mit den Bauherren zu verlieren, ist groß. Zeichnungen können die Rolle des Architekten mystifizieren, wenn sie sich vorwiegend in ihrem Fachjargon äußern. Auch die Architekturzeichnung kann ein Mittel der Einschüchterung sein, das den Architekten in einer Art goldenem Käfig oder auch, im übertragenen Sinne, auf einem Elfenbeinturm hält. Um verstanden zu werden und einen Dialog aufzubauen, empfehle es sich, einfach und gradlinig zu sprechen oder zu zeichnen. Es geht Piano um eine Partizipation des Bauherren, dafür sei Transparenz notwendig, aber man müsse abwägen, welche und wie viele Informationen man als Architekt preisgibt. Wenn der Bauherr die Informationen allerdings gut verarbeiten kann, entsteht auch ein guter Dialog. (Robbins, 1994, S. 133f) Auch Spencer de Grey berichtet aus dem Büro Fosters and Partners von der Praxis, eine 90 Kapitel 4.3 sorgfältige Auswahl der Zeichnungen zu treffen, die man dem Bauherren zeigt. Zeichnungen könnten innerhalb des Büros gut funktionieren, aber beim Bauherrn versagen und völlig anders verstanden werden. (Robbins, 1994, S. 85f) John Young, der in der Richard Rogers Partnership arbeitet, betont das Interesse seiner Bauherren an Grundrissen, während Schnittzeichnungen offenbar am schwersten zu verstehen sind. Besonders hoch im Kurs stehen offenbar Ansichten. Diese werden oftmals viel zu früh eingefordert, wenn darüber eigentlich noch keine definitiven Aussagen gemacht werden können, weil die Organisation des Gebäudes noch nicht genau genug bestimmt ist. Aber Bauherren können Ansichten am ehesten beurteilen. Young steht deshalb Ansichten oder Perspektiven eher skeptisch gegenüber. Diese Zeichnungen verbergen seiner Ansicht nach mehr, als dass sie die wichtigen Details zeigen würden. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen arbeiten Rogers Partnership vorzugsweise mit sogenannten Soft Drawings, also mit Skizzen. Im Fall des Entwurfs für das Gebäude der Lloyds Versicherung in London war insbesondere eine Skizze, die das Gebäude in seinem städtebaulichen Kontext zeigt, für den Kommunikationsprozess sehr dienlich. (Robbins, 1994, S. 176f) Young bezeichnet sie als „Confidence-Building-Drawing“ (Abb. 4.3.2 Robbins) (Robbins, 1994, S. 177). Die ersten Zeichnungen für das Gebäude waren deshalb auch keine fertigen Entwurfszeichnungen. Sie zeigten Analysen, Alternativen für das Grundstück oder ökologische Ansätze für das Gebäude. (Robbins, 1994, S. 184) Itsuko Hasegewa hält das Modell für das adäquate Kommunikationsinstrument im Kontakt mit Bauherren oder bei öffentlichen Bauvorhaben für das am besten geeignete Instrument, um den Entwurf einer größeren Laiengruppe vorzustellen. Um Architektur in solchen Zusammenhängen nicht sozusagen mit „Worten zu konstruieren“, skizziert sie die Projektidee während des Gespräches. (Robbins, 1994, S. 200f) Rod Hackney arbeitet mit Baugemeinschaften an kostengünstigen Wohnungsbauten, die zum Teil auch in Selbsthilfe entstehen (Robbins, 1994, S. 272). Auch er benutzt Zeichnungen. Sie befördern die Auseinandersetzung mit den Bauherren, sie sind für eine Einigung dringend Abb. 4.3.2 Richard Rogers Partnership, Confidence-Building Drawing, Skizze von Laurie Abbott, die das Lloyds Building im viktorianischen Kontext zeigt. Kapitel 4.3 91 notwendig und sie sind sinnvoll für ein Feedback, aber auch um den Bauherren zu beruhigen (Robbins, 1994, S. 275). Selbsthilfegruppen sind dagegen nach seinen Erfahrungen Zeichnungen gegenüber sehr skeptisch. Sie hielten sie für zu teuer und überflüssig. Hackney zeichnet deshalb 1:1 auf der Baustelle und gibt den Handwerkern mündliche Anweisungen oder Anweisungen durch seine eigene praktische Vorgehensweise. (Robbins, 1994, S. 279f) Peter Rice von Ove Arup & Partners glaubt, dass die Zeichnung, als das für den Architekten wichtigste Entwurfswerkzeug, sehr viele der Eigenarten eines Gebäudes nicht vermitteln kann. Außen vor bleibt auch, wie es von den Nutzern angenommen wird. Rice hält es für ein Grundbedürfnis der Leute, sich in einem Gebäude wohlzufühlen. (Robbins, 1994, S. 288) Ihre Wahrnehmung hat viel mit den Kraftlinien eines Bauwerkes zu tun (vgl. Rittelmeyer, S. 16ff.). Er glaubt, dass jeder Mensch ein natürliches Verständnis dafür besitzt, was an einem Haus strukturell richtig oder falsch ist. Daher ist Rice mehr daran interessiert, ein körperliches Gefühl des geplanten architektonischen Raums bewusst zu erzeugen, als lediglich sein Bild, das leibliche Wirkungen unberücksichtigt lassen muss. (Robbins, 1994, S. 287) Er kommt zu dem Schluss, dass die Zeichnung eher ein begrenzendes, als ein befreiendes Kommunikations- und Entwurfswerkzeug ist (Robbins, 1994, S. 292). Die Kommunikation zwischen Architekten und Laien basiert, das haben die von Edward Robbins aufgeführten Beispiele gezeigt, in der Regel auf den Instrumenten der Architekturzeichnung, des Architekturmodells und dem verbalen Austausch über den Entwurf. Die computergestützte 3D-Annimation wird in jüngerer Zeit verstärkt zur Kommunikation eingesetzt, birgt aber grundsätzlich die gleichen Probleme wie die perspektivische Zeichnung oder die bildhafte Skizze. Sie kann, wie von Rice betont, ebenfalls nur ein Bild, wenn auch ein bewegtes des Raumes vermitteln, nicht aber dessen beabsichtigte Wirkung. Die Sorgfalt, mit der die Architekten ihre Kommunikationsmittel einsetzen, deutete bereits auf das Bewusstsein einer Gefahr von Missverständnissen hin, die sich leicht zwischen Architekten und Bauherren einschleichen können. Ist die Partizipation eines Dritten beabsichtigt, beispielsweise des eigentlichen, unter Umständen noch unbekannten, Nutzers, umso mehr sollte auf eine genaue Kommunikation der geplanten Architektur und ihrer räumlichen Qualitäten geachtet werden. 4.3.3 Kommunikation über populäre Medien Nun sind die von Riklef Rambow und anderen beschriebenen Verständigungsprobleme zwischen Architekten und Laien sicher nicht allein auf mangelhafte Kommunikationsinstrumente zurückzuführen, die von Architekten benutzt werden. Dennoch ist auch auf ihrer Seite das Bemühen um eine bessere Verständlichkeit der eigenen Arbeit zu spüren. 92 Kapitel 4.3 Einer, der von Architekten auf individueller Basis eingeschlagenen Wege, ist der Versuch, möglichst neue und populäre Medien für die Vermittlung ihrer Architekturvorstellungen zu benutzen, um ihre Arbeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Der dänische Architekt Bjarke Ingels setzt beispielsweise auf diese Strategie. Seinem Büro gab er den Namen Bjarke Ingels Group, kurz BIG, und seine öffentlichen Auftritte haben den Charakter einer Entertainment Show, zu denen er auch eine ausgewählte Kleidung trägt. Für die Ausstellungen seiner Arbeiten und die dazu veröffentlichten Kataloge bedient sich BIG aus Comic und Fotoromanen entlehnten Sprachelementen. Es treten Figuren auf: Der Bauherr, der Architekt und andere Akteure. Manchmal sprechen auch Gebäude oder Skulpturen. Ihnen sind Sprechblasen zugeordnet und die Geschichte des Entwurfes oder des Bauwerkes wird in kleinen Textfeldern erzählt. Ingels setzt gezielt auf populäre Medien und Erzählweisen, um seine Architektur zu vermitteln, zu erklären, könnte man sagen. In seiner offensiven Haltung setzt er sich deutlich von dem durch seine Berufskollegen sonst gerne gepflegten Image des ernsthaften und wohlüberlegten, aber dennoch kreativen Entwerfers oder Künstlers ab. (BIG, 2009 passim) 4.4 Die Architekturvermittlungsansätze und Kommunikationsoffensiven von Architekten Auf Seiten der Architekten hat man die Probleme in der Kommunikation mit Laien nicht zuletzt daran erkannt, dass einige einstmals wichtige Auftragsfelder, wie der Bau von Einfamilienhäusern, der Wohnungsbau insgesamt und andere Baubereiche, nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt von Architekten bedient werden. Auch die Einrichtung privater Wohnungen bleibt anderen Professionen vorbehalten. Die Standesorganisationen der Architekten und ihre Berufsverbände beklagen diese Situation und haben verschiedene Initiativen ergriffen, um die verlorene Klientel zurückzugewinnen. Die Auftragseinbußen der vergangenen Jahre haben den Berufsstand in eine existenzielle Krise geführt, die zu intensiven berufsinternen Debatten über die Rolle des Architekten im Planungs- und Bauprozess geführt hat. Aus diesen Debatten, die vor allem in den berufsständischen Organisationen und Berufsverbänden geführt wurden, aber auch aus den individuellen Initiativen einiger Architekten heraus, sind einige Anstrengungen erwachsen, sich Architekturlaien stärker anzunähern. (Bartels, 2012, S. 24) 4.4.1 Öffentlichkeitsarbeit für Architekten Die im vorangegangenen Abschnitt exemplarisch beschriebenen Bemühungen von ArchiKapitel 4.4 93 tekten, ihre Arbeit einem breiteren Publikum verständlich zu machen, haben auch Agenturen und einzelne Agenten der Architekturvermittlung als professionelles Ziel ins Auge gefasst. Wohl gemerkt, geht es dabei um Strategien, die eigene Position oder das eigene Architekturverständnis zu vermitteln und weniger um Strategien, dem Laienverständnis von Architektur, Nutzungs- und Nutzererfahrungen oder Nutzerwünschen in Bezug auf Architektur näher zu kommen. Zu dem Thema Architekturvermittlung und Architekturmarketing sind in den letzten Jahren einige Handbücher erschienen, die den Architekten die in ihren Berufen längst üblichen Kommunikations- und Vermittlungsstrategien sowie Ansätze zu Eigenwerbung vermitteln. (Below, 2004 passim; Jäger; 2005 passim) Diese Ansätze stoßen allerdings an die durch die deutschen Architektengesetze der deutschen Bundesländer gesetzten Grenzen der Eigenwerbung, die gerade in dieser Hinsicht schon reformiert worden sind und auch weiter in der Diskussion sind. Diese Beschränkungen sind mehr als eine gesetzliche Vorschrift. Sie entspringen einem unter Architekten weit verbreiteten berufsethischen Verständnis der Unaufdringlichkeit und Zurückhaltung in der Werbung, das sich auch auf die Kommunikationsfähigkeit der Architekten mit Laien auswirkt. (www.bak.de) Das klassische Marketing, also der Versuch, durch Selbstanalyse seinen Standort auf dem „Markt“ zu finden und mit geeigneten Mitteln darzustellen, steckt für Architekten noch in den Kinderschuhen. Dabei bietet der eigentlich kommerzielle Hintergrund der Marketingstrategien eine gute Chance zur Reflexion der eigenen Position, auch in inhaltlicher Hinsicht, und eine Verortung der eigenen Arbeit im breiten Feld der Auftraggeber- und Nutzerinteressen sowie deren Rückkopplung auf die Entwurfsentscheidungen. Auch das Prinzip kommerzieller Public Relations, also der öffentlichen Kommunikation, verbreitet sich unter Architekten erst langsam. Marketing- und PR-Strategien für Architekten können allerdings nur ein Ansatz der Architekturvermittlung sein. Sie funktionieren einseitig, auch wenn sie ein „Kunden-Feedback“ oder die Überprüfung von Marktfähigkeit architektonischer Konzepte einschließen. (Below, 2004 passim; Jäger, 2005 passim) Die von Riklef Rambow oder Annette Sommer festgestellten Kommunikationsdefizite können sie nur ansatzweise ausgleichen. 4.4.2 Architekturvermittlung als Studienfach Sowohl das Marketing für Architekten als auch die Architekturvermittlung als Psychologie der Kommunikation sind an der Hochschule Bochum beziehungsweise an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus und der Universität Karlsruhe (KIT) zu einem Teil der Architekturausbildung geworden. 2002 rief die Architekturfakultät an der Hochschule Bochum den Masterstudiengang Ar94 Kapitel 4.4 chitektur Media Management ins Leben, um graduierte Architekten in der Kommunikation, also der Vermittlung von Architektur auszubilden. Ausbildungsziel ist die Vermittlung von Kommunikations- und Darstellungsstrategien sowie von Marketingkonzepten. Architekten sollen hier ihre Fähigkeiten, Häuser zu entwerfen und zu bauen, also zu gestalten, um die Befähigung zu kommunizieren, zu beraten und zu moderieren erweitern und lernen, ihre Arbeit medienwirksam und medienkompetent zu präsentieren. Das soll das Verständnis ihrer Profession unter den Laien fördern. Zu den Ausbildungsinhalten gehören auch Marktuntersuchungen im Sinne der Marktforschung und Kundenorientierung. (Krause, 2009, S. 6) Auch an der BTU Cottbus ist der Architekturvermittlung ein eigener Studiengang gewidmet. Das Thema wurde hier durch die Forschung des Psychologen Riklef Rambow geprägt, dessen Arbeiten weiter oben schon thematisiert wurden. Er analysiert vor allem die Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsstörungen zwischen Architekten und Laien. (www.tu-cottbus.de) Die Studierenden der Architektur werden so in der Auseinandersetzung mit den Interessen potenzieller Bauherren und Nutzern ihrer Bauten geschult. Die Architekturvermittlung geht hier über die Bemühungen um einen guten medialen Auftritt und die Entwicklung von Marketingkonzepten hinaus und bezieht sich auch auf die Moderation von Planungsprozessen unter Planungsbetroffenen, interessierten Bürgern und Nutzern von Bauten, die nicht mit den Bauherren identisch sind. (www.tu-cottbus.de) In ähnlicher Weise vermittelt Rambow diesen Ansatz derzeit am Fachgebiet Architekturkommunikation am KIT (www.akomm.ekut.kit.edu). Fraglich bleibt bei diesen Ansätzen aber, ob dadurch tatsächlich die Kommunikation zwischen Architekt und Nutzer verbessert wird oder ob die so geschulten Kommunikateure eher die PR-Abteilungen der großen Architekturbüros füllen. Die Archtekturvermittlung ist ein guter erster Schritt, sie gibt aber kaum Hinweise zu integrierten Planungsprozessen und einer aktiven Beteiligung der Nutzer. 4.4.3 Architekturvermittlung durch Berufsorganisationen und Architektenverbände Die Architektenverbände und die Architektenkammern als berufsständische Organisationen starten Offensiven zur Architekturvermittlung. Sie haben ihre Bemühungen um die Öffentlichkeitsarbeit forciert und versuchen auf verschiedenen Ebenen eine Sensibilisierung der Bevölkerung für die gebaute Umwelt und für das Aufgabenfeld des Architekten zu erreichen. Beispielsweise versucht die Initiative Hamburger Architektur Sommer, ins Leben gerufen und gefördert durch die Hamburgische Architektenkammer, eine Vielzahl kultureller Aktivitäten anzuregen, die die Architektur in den Mittelpunkt nehmen. (www.architektursommer. de) Ähnliche Veranstaltungen haben sich auch durch die Initiativen der örtlichen Kammern und Verbände in anderen Städten, in Köln, München oder Bremen etabliert. (www.asrm2011. de; www.architekturwoche.org) Dazu gehört auch die Herausgabe mehr oder weniger publiKapitel 4.4 95 kumsnaher Buchreihen und Jahrbücher. Ein wichtiger Teil dieser Initiative ist das Bemühen der Landesarchitektenkammern und der Bundesarchitektenkammer um die Schulbildung. Das Verständnis für Architektur soll Teil der Allgemeinbildung werden. Dafür organisieren die Kammern Besuche von Architekten an den Schulen, die dort aus ihrer Berufspraxis berichten. (www.akhh.de; www.ak-berlin. de) Sie versuchen Themen, wie das Wohnen, die Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt und ihrer Geschichte sowie die Baugeschichte im Allgemeinen und die Stilkunde im Unterricht, insbesondere im Kunstunterricht, zu verankern (www.bak.de). Inwieweit hier allein das Wissen um die Architektur und ihre Formen sowie das Berufsbild des Architekten vermittelt wird und das Bestreben vorherrscht, „kleine Architekten“ vorzubilden, wie es Christian Kühn kritisiert (vgl. Abschnitt 4.1), oder aber ein Verständnis für den Raum und seine Gestaltung vermittelt wird, hängt von den Aktivitäten und dem jeweiligen Verständnis der Lehrerinnen und Lehrer ab. In diesem Zusammenhang entstanden auch einige Schulbücher, die sich vor allem mit dem Thema „Wohnen“ und mit der Baugeschichte beschäftigen (vgl. Kähler, 2002/1; Kähler, 2002/2 passim). 4.4.4 Initiativen zur Förderung der Baukultur Eine Initiative auf breiterer gesellschaftlicher Basis, freilich angestoßen durch die Architektenkammern und Architektenverbände, aber getragen von anderen Baufachverbänden, Ländern, Städten und Gemeinden sowie von Museen und anderen, am kultivierten Bauen beteiligten, Interessengruppen führte 2001 zur Gründung der Bundesstiftung Baukultur. Die Arbeit der Stiftung ist sehr auf die Förderung der Kommunikation ausgerichtet, der Kommunikation der Planungsbeteiligten untereinander, die die Kultur des Bauens fördert, aber auch auf die Förderung der Kommunikation von baukulturellen Belangen in die Gesellschaft, also die Vermittlung des Gesprächs mit den Laien, den Nutzern von Bauten und Stadträumen. (vgl. Rose, 2010, S. 74ff.; Mai, 2010, S. 82ff.) Ein Beispiel dafür ist die bundesweite Netzwerkkampagne „bauTraum“, deren Titel sich als baut-raum lesen lässt. (vgl. http://bautraum.de/bt) Die Initiative wendet sich über die Schulen an Kinder und Jugendliche sowie an Bau- bzw. Planungsbeteiligte, um zu einem breit angelegten Austausch über das Thema Baukultur zu kommen. 4.4.5 Kommunikationsoffensiven unabhängiger Architekten Unabhängig von den Berufsinstitutionen der Architekten und den Architektenverbänden haben einige Architektinnen und Architekten die Initiative zur Schulung des Raumverständnisses von Kindern und Jugendlichen sowie deren Auseinandersetzung mit ihrer baulichen 96 Kapitel 4.4 Umwelt ergriffen. Die Organisation Jugend Architektur Stadt (JAS) hat sich als ein international operierendes Netzwerk gegründet. Es geht den in dieser Organisation agierenden Architekten, Landschaftsarchitekten, Stadtplanern und Pädagogen explizit darum, Kinder und Jugendliche an „Architektur“ und „Stadt“ heranzuführen und ihnen Deutungsmuster und Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die umgebende gebaute Umwelt verstehen und sich in ihre Gestaltung aktiv einbringen können. Sie sollen sie als Teil ihrer Kultur und Geschichte erfahren und hier ein Stück ihrer eigenen Identität finden. Dafür bietet JAS im schulischen, aber auch im außerschulischen Kontext Workshops an, in denen sich Kinder und Jugendliche entsprechende Fähigkeiten aneignen können. (Edelhoff, 2009, S. 44ff.) Das Studio Urbane Landschaften, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern der TU Hannover und freien Stadtplanern und Architekten, hat das Verhältnis von Jugendlichen zur Stadt, insbesondere zum öffentlichen Raum, und ihr Erleben der Stadt untersucht und dabei verschiedene Aneignungsformen und Formen des Bewegens in der Stadt gefunden. Neben anderen Erhebungsmethoden konnten auch in Workshops und mit Hilfe von Modellbauten Erkenntnisse über dieses Verhältnis gewonnen werden. (Wüstenrot Stiftung, 2009) Erhebungen und Forschungen dieser Art sind ein wichtiger Baustein in der Kommunikation zwischen Architekten, Planern und Bauverwaltung auf der einen und Laien bzw. Nutzern von Architektur und Stadt auf der anderen Seite. 4.5 Kommunikation durch Interaktion Die in den vorhergehenden Abschnitten vorgestellten Kommunikationsmethoden beruhen auf dem Gegenüber von Architekten und Laien, die jeweils Sender oder Empfänger sind. Da im speziellen Bereich der Bauprojekte und Baudurchführungen eine intensive und gut strukturierte Kommunikation auf dem direkten Austausch zwischen Architekten und Nutzern beruht, hat auch die Kommunikation durch Interaktion eine wesentliche Bedeutung. Die amerikanische Architektengruppe Rural Studio hat für das temporäre gemeinsame Leben der Architekten mit ihren Klienten eine besondere Kommunikationsplattform zur Verständigung gefunden. Architekt und Nutzer arbeiten gemeinsam und bringen jeweils auf die ihnen eigene Art ihre Expertise in den Prozess des Bauens ein. Nun kann nicht jeder Bau dadurch konzipiert werden, dass Architekten und Nutzer eine zeitlang miteinander leben. Es müssen also andere intensive und interaktive Kommunikationsmethoden gefunden werden. (Oppenheimer Dean, 2005 passim) Kapitel 4.5 97 Weitere Projekte, denen eine Kommunikation zugrunde liegt, die vorwiegend durch Interaktion zustande kommt, sind das Projekt Ecobox in Paris, Park Fiction in Hamburg oder das Park-Projekt Freiraumlabor auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Bahnhofs in Berlin. Die beiden ersten Projekte werden ausführlich im nachfolgenden Kapitel thematisiert. 4.5.1 Planspiele Ein wichtiges Mittel interaktiver Kommunikation sind sogenannte Planspiele, für die es ebenfalls verschiedene Beispiele gibt. Die Landschaftsarchitektin Ariane Bischoff, der Planungstheoretiker Klaus Selle und die Stadtplanerin Heidi Sinning schreiben über Planspiele im städtischen Zusammenhang, die die Spieler dazu in die Lage versetzen, sich die Stadt spielerisch anzueignen, zu gestalten und schließlich auch zu planen. Die Spieler bringen ihre jeweiligen Interessen ein, schlüpfen in verschiedene Rollen. Mal bauen sie als Investoren, mal sind sie einfach Bewohner, mal Stadtplaner. (vgl.: www.xagaspiele.de; Bischoff et al, 2007, S. 246ff.) Die Architektinnen Andrea Benze und Anuschka Kutz haben die Gruppe Offsea (Office for socially engaged architecture) gegründet und erforschen individuelle Wohnformen und – vorstellungen (Abb. 4.5.1 (1) Offsea), indem sie den Besuchern ihrer Ausstellungen verschiedene Situationen des Wohnens anbieten. Die Mitspieler können dabei ihre persönliche, auf ihre Lebensumstände abgestimmte Wohnung beziehungsweise ihr Wohnumfeld entwerfen und Varianten durchspielen (Abb. 4.5.1 (2) Offsea). Die angebotenen Wohnsituationen können durch eigene Skizzen, Entwürfe und Erklärungen ergänzt werden und gehen dann wieder in den Ideenpool ein, aus dem sie später als mögliche Situation entnommen werden. (Benze/Kutz, 2007, S. 42ff.) Der Architekturtheoretiker Jeremy Till regt in diesem Zusammenhang an, das alltägliche gewöhnliche Gespräch mit den Laien in einem Planungsgebiet oder für ein Planungsprojekt Abb. 4.5.1 (1) Offsea, Küchenschrein und Hundekomfort, das nachgeholte Treffen von Neufert, Tessenow und Buster Keaton 98 Kapitel 4.5 Abb. 4.5.1 (2) Offsea, Küchenschrein und Hundekomfort, Ausstellungslabor Rituale des Wohnens, Neufert Box in Weimar, 2008 zu suchen. Die Planer, also auch die Architekten, könnten im Rahmen des von ihm sogenannten „urban story telling“ (Till, 2005, S. 37) so die abgehobene, beobachtende Position verlassen und treten mit den Nutzern in eine soziale Beziehung. Die Geschichten, die bei solchen Gesprächen entstehen, sollten nach seiner Auffassung festgehalten und zur Grundlage des Entwurfsprozesses gemacht werden. Die dabei auftretenden Unbestimmtheiten und Eventualitäten, die sich aus den Nutzerbedürfnissen ergeben, werden als Teil des Prozesses betrachtet. Es wird eine Auswahl nach dem Motto „making best sense“ (Till, 2005, S. 39, vgl. Abschnitt 5.4.3) getroffen, nicht nach dem Prinzip des Konsenses. (Till, 2005, S. 37ff.) Auch die Londoner, aus Architekten, Stadtplanern und einer Kommunikationswissenschaftlerin bestehende, Gruppe AOC (Agent of Change) setzt auf einen spielerischen Ansatz, um einen hohen Grad der Partizipation bzw. der Interaktion von Nutzern zu erreichen. In Kapitel 5 (Abschnitt 5.4.3) wird auf ihren interaktiven Entwurfsprozess des mobilen Veranstaltungssaals „Lift New Parliament“ eingegangen, der viele spielerische Elemente enthält. Als Beispiel ihrer stadtplanerischen Spiele, die zur Aktivierung und zur Beteiligung von Anwohnern an der Entwicklungsplanung ihrer Quartiere angewendet werden, sei das „Building Futures Neighbourhood Regeneration Game“ für das Royal Institute of British Architects (RIBA) und die CABE erwähnt, eine von der britischen Regierung getragene Organisation zur Beratung in architektonischen und umweltgestalterischen Fragen. Diese spielerischen Planungsund Entwurfswerkzeuge können den Entwurfsprozess sowohl auf stadtplanerischer als auch architektonischer Ebene intensivieren. Man kann also davon ausgehen, dass das Absenken der Beteiligungs- oder Interaktionshürden sowohl mit einer ernsthaften thematischen Auseinandersetzung und der Aneignung des dafür notwendigen Wissens zu tun hat als auch mit der notwendigen Freude und dem Spaß an den Aktionen. Das Spielerische dieses Prozesses erleichtert nicht nur die Beteiligung, es setzt auch die dafür notwendige Kreativität frei. 4.5.2 Computergeneriertes Entwerfen nach Nutzerwünschen Für die interaktive Berücksichtigung von vielen oder stark divergierenden Wünschen von Planungsbeteiligten oder zukünftigen Nutzern wird mittlerweile auch der Computer oder wieder der Computer eingesetzt. Es sei an die in Kapitel 3 im Abschnitt 3.1.2 behandelten Ansätze des „Design Methods Movement“ aus den 1960er Jahren erinnert, kybernetische oder logische Rechensysteme einzusetzen. Auch damals fanden Computerprogramme dabei Berücksichtigung. Die noch nicht so weit wie heute ausgearbeiteten Rechenprogramme beschränkten allerdings die Leistungsfähigkeit der Systeme und beschnitten auch die damit angestrebten Interaktionsmöglichkeiten. Kapitel 4.5 99 An der CAAD Professur der ETH Zürich erforscht seit 2001 die Gruppe KAISERSROT die Generierung städtischer Strukturen auf der Basis von sogenannten Schwarmsystemen. In Zusammenarbeit mit dem von Kees Christiaanse gegründeten Architektur- und Planungsbüro KCAP arbeitete KAISERSROT im Projekt Abb. 4.5.2 Kaisersrot, „Konsensmaschine“, die Ansprüche an die jeweiligen Räume des „Build your own Neigh- Programms werden in Formularen festgehalten und ausgewertet bourhood“ an Computerprogrammen zur Bewältigung immer komplexer werdender Planungsaufgaben. Dabei werden auf der Basis sich ständig verändernder Rahmenbedingungen Entwurfsvarianten geschaffen, die dann als Grundlage für die Entwurfsentscheidungen dienen. (Abb. 4.5.2 Fritz) Dieses Verfahren erleichtert durch die Vielzahl der verwendbaren Parameter eher die Arbeit einen Bottom-up-Entwurf zu realisieren, mehr als das mit herkömmlichen Entwurfsmitteln möglich wäre. Man kommt bei diesem Verfahren vom Kleinen zum Großen oder vom Einzelfall zum Generellen. Beispielsweise könnten eine Vielzahl von Bewohner- oder Nutzerwünschen in das System eingegeben werden und als Grundlage für den Entwurf dienen. Erprobt wurde das Verfahren zunächst in einer Ausstellung des Niederländischen Architekturinstituts (NAI) in Rotterdam. Besucher konnten in entsprechenden Fragebögen besondere Wünsche in Bezug auf Größe und Lage einer fiktiven Parzelle, die Typologie der Bebauung, ihre Lieblingsnachbarn oder die Nähe zur Bushaltestelle, zum Wald oder zum Wasser angeben. Das Computersystem ermittelte aus diesen Angaben und übergeordneten Parametern die optimale Größe und die Lage der einzelnen Grundstücke im ebenfalls fiktiven Siedlungsgebiet. Es konnte im Rahmen der ermittelten Abhängigkeiten auch von Hand, zum Beispiel durch den Architekten eingegriffen werden. Die Bewohnerwünsche blieben dabei aber unangetastet. Konkret angewendet wurde das Konzept für die Planung einer Siedlung in Schuytgraaf, einem Stadtteil der niederländischen Stadt Arnheim, für den die Anforderungen des staatlichen Stadtentwicklungsprogramms die grundlegenden Parameter bildeten, in die dann die Bewohnerwünsche eingearbeitet wurden. (Fritz, 2008, S. 60f) Für das Papierwerd-Areal direkt gegenüber dem Züricher Hauptbahnhof, an das sehr unterschiedliche bis widersprüchliche Anforderungen gestellt wurden und das deshalb eines der umstrittensten Bauprojekte der Stadt ist, entwickelte KAISERSROT eine „Konsensmaschine“, ein Computerprogramm das aus den unterschiedlichen Parametern und Anforderungen 100 Kapitel 4.5 einen annähernd optimalen Baukörper generierte, der weder den Blick auf die Alpen verstellte, noch den Zugang zum Fluss Limmat verbaute. (Fritz, 2008, S. 64f) Dieser Prozess schließt natürlich einen schöpferischen Akt, wie Jeremy Till ihn als „making best sense“ (Till, 2005, S. 39 vgl. Abschnitt 5.4.3) bezeichnet, aus. 4.6 Fazit: Die Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt Die Untersuchungen von Psychologen, Soziologen und anderen Wissenschaftlern haben ergeben, dass zwischen Architekten und Laien grundlegende Verständigungsschwierigkeiten bestehen, die auf sehr unterschiedlichen Grundkenntnissen des Bauens und verschiedenen Einschätzungen architektonischer Qualitäten sowie auf klischeehaften Voreingenommenheiten des jeweiligen Partners zurückzuführen sind. Nimmt man die Kommunikation zwischen Architekt und Bauherr beziehungsweise Nutzer als eine wesentliche Grundlage des Entwurfes, seiner Vermittlung und der Nutzerpartizipation, so sind offensichtlich einige der Defizite zu beseitigen oder zu überwinden. Es wurde hier ein erhebliches Potenzial an Missverständnissen und unterschiedlichen Sichtweisen auf die Architektur festgestellt. Arbeiten aus psychologischer, soziologischer und pädagogischer Sicht haben sich mit der Architektur, dem Raum, seinem Erlebnis und seiner Aneignung durch Laien beschäftig und festgestellt, dass hier eine spezifische Wahrnehmung existiert, die wiederum ein für den architektonischen Entwurf relevantes Wissen generiert, das in einer geeigneten Kommunikation zwischen Architekten und Nutzern vermittelt werden muss. Diese Expertise sollten Architekten wahr- und ernstnehmen. Ihre Bemühungen, ihre Architekturauffassungen durch den Einsatz publikumswirksamer Medien, durch verstärktes Marketing oder Initiativen in der Schulbildung zu vermitteln schlagen fehl, wenn lediglich versucht wird, Laien architektenkonform zu erziehen. Initiativen, die auf eine Stärkung des Raumgefühls und der Auseinandersetzung mit dem Raum abzielen, versprechen mehr Erfolg, zumal sie dem von Psychologen, Soziologen und Pädagogen beobachteten Laienverständnis von Architektur und ihrer Aneignung entgegentreten und Laien nicht zu belehren versuchen. Es kann hier also nicht um die Vermittlung von Architektur gehen, sondern um eine Verständigung über die gemeinsamen Ziele von Nutzern und Architekten. Das impliziert eine interaktive Kommunikation im Entwurfs- sowie im Bauprozess, deren Produkt dann, wie in Kapitel 3 beschrieben, in den Entwurfsprozess eingehen kann. Bezeichnenderweise sind alle Instrumente interaktiver Kommunikation aus Projekten mit nutzerpartizipativen Entwurfsansätzen entstanden, worauf im Kapitel 5 breiter eingegangen wird. Das radikalste Beispiel dieser Art führt die Gruppe Rural Studio vor, die oft die Partizipation ihrer Klienten am Entwurf dadurch herstellt, dass die Architekten eine zeitlang im Kapitel 4.6 101 Umfeld der Klienten leben. Andere Methoden sind zum Beispiel die von Bischoff et al für den urbanen Planungsbereich entwickelten Spiele, die Planspiele der Gruppe AOC oder die „Spielkarten“ der Gruppe Offsea, die eine neue Kommunikationsstrategie anbieten und eine neue Vermittlungsebene zwischen Nutzer und Architekt. Die seit den 1960er Jahren und dem „Design Methods Movement“ weiter entwickelte Qualität der Computertechnik hat auch die elektronische Datenverarbeitung für die Partizipation am Entwurf wieder interessant gemacht. Aber auch, wenn sich die Architekten den Nutzern und ihren Wünschen an die Architektur öffnen und die Laien sich über ihre Vorstellungen stärker artikulieren, bleibt die Frage, wie diese Verständigung am wirkungsvollsten zustande kommt und welche Kommunikationsinstrumente zum Einsatz kommen. Die Befragungsmethoden und Wahrnehmungsstudien sind dafür hilfreich. Wichtig ist auch der von Jeremy Till gegebene Hinweis auf das „urban storytelling“, das über Geschichten vermittelte Laienwissen. Betrachtet man die in Kapitel 2 getroffenen Feststellungen über Atmosphären und ihre Bedeutung für die Qualität des Raumes und zieht man außerdem die von Gernot Böhme erwähnten Möglichkeiten zur Kommunikation über Atmosphären ins Kalkül, haben Atmosphären für die Verständigung zwischen Architekt und Nutzer eine sehr hohe Bedeutung. Da Atmosphären eine alltägliche Erscheinung sind, ergibt sich hier eine hohe Übereinstimmung in der Erfahrung von Räumen auf beiden Seiten. Dem Architekten ermöglicht dies, die Wünsche der Nutzer auf eine umfassende Art zu erfahren und gleichzeitig die notwendige Abstraktion der Wünsche zu erreichen, die er für den Architekturentwurf als Interpretationsspielraum braucht. Kommunikationsinstrumente, die eine hohe atmosphärische Wirkung haben, wie lyrische Texte, Bilder, Collagen oder Modelle können also in der Verständigung zwischen Architekten und Nutzern über räumliche Wunschvorstellungen oder Qualitäten des Entwurfes eine große Bedeutung haben und unter Umständen eine bessere Verständigung erzielen, als herkömmliche Instrumente, wie Skizze oder Zeichnung. In Kapitel 7 werden der Einsatz und die Erfahrung mit entsprechenden Methoden in eigenen Fallstudien behandelt. Im folgenden Kapitel soll es um das Einsatzfeld des in diesem Kapitel behandelten Kommunikationsinstrumentariums gehen und der Frage nachgegangen werden, wie ein partizipativer Entwurfsprozess entstehen kann und welche Rolle Architekten darin einnehmen können. 102 Kapitel 4.6 Der partizipationsoffene Entwurf 5 5 5. Der partizipationsoffene Entwurf Partizipation ist eine gesellschaftliche Herausforderung. In der Betrachtung der Theorien von Helga Nowotny und anderen ist das deutlich geworden. Dieser Prozess spielt sich auch in der überschaubaren Gesellschaft eines Bauvorhabens ab. Architekt und Bauherr können bei geeigneter Kommunikation (vgl. Kapitel 4) schnell Einigkeit herstellen, auch wenn dieser Prozess schwer genug sein kann. Inwieweit die Nutzer in den Entwurfs- und Bauprozess einbezogen werden, wie und an welchen Prozessen sie partizipieren und wer überhaupt als Nutzer gesehen wird, bestimmt die Intensität und die Qualität des Partizipationsprozesses. Ein öffentliches Gebäude benutzen mehrere Nutzergruppen auf unterschiedliche Weisen und würden auch gerne mitentscheiden, wenn es um die Zukunft ihrer gebauten Umgebung und die ihrer Kinder geht. Das Wissen der „Leute“ um und ihre Ansprüche an die Nutzung und das Erleben von Räumen ist ein gesellschaftliches Potenzial, das in der Architektur Berücksichtigung finden muss, wenn eine höhere Nutzereffizienz und eine stärkere Identifikation der Nutzer mit ihrem Gebäude erreicht werden soll. Partizipation ist also auch eine Herausforderung an die Architektur und deren Entwurf. Der Konflikt zwischen den Beteiligten und ihren unterschiedlichen Wünschen birgt Risiko und Ungewissheit (vgl. Abschnitt 3.2.3.1). Deshalb ist der Konsens und die Frage, ob er erreichbar oder ob er wünschenswert ist, ein wesentliches Thema in den Theorien zur Partizipation. Damit steht auch das Aufgabenfeld und die Rolle, die der Architekt in einem partizipativen Entwurfsprojekt einnimmt, zur Debatte. Auch die Rolle, die ein zukünftiger Nutzer im Entwurfsprozess spielt oder spielen kann, muss diskutiert werden. Partizipation wird von vielen Architekten und Bauherren noch als störend empfunden, sie kann aber durchaus auch für den Planer bereichernd sein. Deshalb spielt hier das Verhältnis zwischen Bauherr und Architekt eine entscheidende Rolle. Partizipation ist also auch eine Herausforderung an das Selbstverständnis von Architekten. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Realität des Architekturberufes deutlich verändert. Die Nutzer der Architektur drängen mit ihrem Begehren immer stärker in den Bauprozess, und ihre Partizipation wird für den Entwurfsprozess immer stärker relevant. Eine Gesellschaft zunehmend emanzipierter Menschen beansprucht die Mitwirkung an der Gestaltung ihrer gebauten Umwelt. Gleichzeitig wird die Rolle gesellschaftlich anerkannter Experten immer stärker in Frage gestellt und neu diskutiert. Der Architektenberuf ist davon nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Architekten haben unter anderem mit Vorwürfen zu kämpfen, 106 Kapitel 5 ihre Arbeit würde sich von den Bauherren- und Nutzerwünschen zu sehr abheben und nur ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Ob sich Architekten isolieren und damit der Kritik der Arroganz und Selbstverliebtheit aussetzen oder ob sie sich im Entwurf den Nutzern in einem Mitwirkungsprozess öffnen, ist zu einer existenziellen Frage geworden. „Die Autorität und der elitäre Status des Architekten“ sind nicht länger zu halten, zeugte schon mal in den sechziger Jahren von einer Geisteshaltung, die sich vehement vom „ästhetischen Expertentum“ (Pantle, 2003, S. 224) abwandte und zum Beispiel den Soziologen Lucius Burkhardt veranlasste, die Einbeziehung der Nutzer in die Planungsprozesse zu fordern (Pantle, 2003, S. 225). Jeremy Till spricht 30 Jahre später in diesem Zusammenhang von einem Eindringen der Nutzerbegierden in die „comfort zone“ der Architekten. Diese würden an einem idealisierten Bild der von Vitruv aufgestellten Grundsätze der Nützlichkeit, der Schönheit und der Konstruktion festhalten, das in seiner Reinheit durch einen Partizipationsprozess infrage gestellt würde. (Till, 2006, S. 1) Zumindest der Grundsatz der Nützlichkeit wird aber eben ausgehöhlt, wenn der Kommunikationsprozess zwischen Architekt und Bauherren oder Nutzern gestört ist, weil Architekten glauben, besser zu wissen, was Nutzer brauchen, als diese selbst. Till fordert deshalb eine glaubwürdige Integration der Nutzerwünsche und ihrer Angelegenheiten (Till, 2006, S. 1). Ein partizipativer Entwurfs- und Bauprozess bringt unter Umständen neue Produktionsweisen und eine neue Bauästhetik mit sich, die wiederum auch eine andere Herausforderung an den entwerfenden Architekt stellen und ihn zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Nutzerinteressen zwingen. Dabei wird eher eine Architektur zu erwarten sein, mit der Verantwortung für eine angemessene Nutzung übernommen wird, als dass sie, wie herkömmlich, Antworten auf fiktive Nutzungsannahmen gibt. Denn letzteres hat, auch wenn es fürsorglich gemeint sein mag, immer etwas Bestimmendes und Einengendes, vielleicht auch Aggressives für die Nutzer. Wesentlich ist hier ein transparenter und gut vermittelter Entwurfsansatz, der die Bedeutung der „Leute“ (im Sinne von Helga Nowotny) für den Prozess des Entwerfens sichtbar macht. Seit den späten sechziger Jahren ist die Nutzerpartizipation im architektonischen Entwurfsprozess intensiv im Gespräch und in Teilen wurde sie, vor allem experimentell, praktiziert. In diesem Abschnitt sollen Aspekte dieser Theorien und der Praktiken sowie die Rollen des Architekten und der Nutzer diskutiert werden. Schon in der Auseinandersetzung mit den Entwurfstheorien von Horst Rittel und Melvin Weber in Kapitel 3 ist deutlich geworden, dass mit der Nutzerpartizipation ein Erkenntnisgewinn für den entwerfenden Architekten und damit ein Gewinn für die Nutzungsqualitäten von Gebäuden erreicht werden kann. Die soziologischen Betrachtungen von Helga Nowotny und anderen zeigen, welchen Stellenwert partizipative Prozesse in unserer, von einem Modus-2-Wissen geprägten, Gesellschaft haben. Als einen Ort des Austausches von ExperKapitel 5 107 tisen schlagen sie die „Agora“ vor (vgl. Abschnitt 3.4.2). Dieser Austausch wird wesentlich durch die Form der Kommunikation und ihrer Instrumente bestimmt (siehe Kapitel 4), aber auch die Art und die Form der Partizipation sind für die Integration dieser Interessen in den Entwurfsprozess wichtig. Das zeigt das Kapitel 5. Schließlich bleibt die Frage, welche Rolle Atmosphären in diesem Prozess praktisch spielen, die in Kapitel 7 erörtert wird. „Partizipation“ kann eine durchaus unterschiedliche Intensität und Effektivität besitzen. Diese Kategorisierung steht am Anfang des Kapitels, danach werden unterschiedliche AnBauherr sätze der Nutzerpartizipation am architektonischen Entwurf, aber auch am Bau, vorgestellt und diskutiert. Es geht dabei um die Frage, wie eine enge Kooperation zwischen Nutzer und Architekt, unter effektivem EinNutzer satz der unterschiedlichen Expertisen und Kapazitäten, Architekt erreicht werden kann und welche Rolle Architekten daAbb. 5.1 Susanne Hofmann, ideales Vertrauensbei schließlich einnehmen beziehungsweise einnehmen verhältnis zwischen Bauherr, Nutzer und Architekt im Sinne eines gleichseitigen Dreiecks sollten. 5.1 Kategorien der Partizipation Partizipation bezeichnet ursprünglich ein Verhältnis zwischen Machthabern und Machtlosen. Auf unseren Fall übertragen, bestimmt sie insbesondere das Verhältnis zwischen dem Architekten und dem Bauherren auf der einen Seite und den Nutzern, Bewohnern oder Planungsbetroffenen auf der anderen Seite, die immer mehr Mitsprache, Beteiligung oder Mitwirkung einfordern und auch gewährt bekommen. Erstrebenswert ist nach dem Prinzip eines gleichseitigen Dreiecks das ausgewogene Verhältnis der Partner. (Abb. 5.1 Hofmann) Dabei stellt sich die Frage, ob die Einbeziehung der Nutzer nur eine großzügige Geste des Bauherren oder des Architekten ist oder eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Die Identifikation der Nutzer von öffentlichen Gebäuden oder für öffentliche Belange gebaute Häuser (Schulen, Kindergärten, Wohnheime von öffentlichen oder privaten Trägern) trägt maßgeblich zur Akzeptanz der Nutzer bei und bestimmt ihre Nutzungs- und damit ihre architektonische Qualität. Ähnliches gilt für den Wohnungsbau. Die Betrachtungsebenen der Partizipation in der Planung beziehen sich bisher weitgehend auf stadtplanerische oder städtebauliche Planungsprojekte. Architektonische Planungen sind dabei nur wenig berücksichtigt worden. Die Modelle sind aber übertragbar. Die früheste Kategorisierung von Partizipation hat Sherry Arnstein 1969 vorgenommen. Ausgelöst wurde seine Initiative durch ein studentisches Protestplakat, das er ein Jahr zuvor gesehen hatte. Darauf war in Anspielung auf eine ungerecht erscheinende Verteilung der 108 Kapitel 5.1 Macht zu lesen: „je participe, tu participes, il participe, nous participons, vous participez, ils pofitent“ (ich partizipiere, du partizipierst, er/sie partizipiert, wir partizipieren, ihr partizipiert, sie profitieren). (Arnstein, 1969, S. 216f) Sherry Arnstein hat die unterschiedlichen Intensitäten 1969 mit dem Bild einer Leiter dargestellt (Abb. 5.2 Blundell Jones): Die unterste Ebene beschreibt die Manipulation, darüber stehen die Therapie, die Information, die Anhörung/Beratung, die Beschwichtigung, die Partnerschaft, die delegierte Macht und zu oberst die Bürgerkontrolle. Übergeordnet definiert er zwischen „Nicht-Beteiligung“ und der „Partizipation“, dazwischen steht die „Schein-Beteiligung“. (www. blk-demokratie, S. 1f) Abb. 5.2 Shelly Arnstein, Partizipationsleiter 5.2 Systematisiertes Planen als partizipatives Entwurfsmodell Der Versuch des „Design Methods Movement“, den Entwurfsprozess zu rationalisieren und zu systematisieren, umfasste auch das Bestreben, Nutzerbedürfnisse in den Entwurf zu integrieren und ihn damit zumindest für einen partizipativen Prozess transparent zu machen. Die britische, aber auch die deutsche Diskussion Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ist von der Frage durchdrungen, wie diese Entwurfsmethodik auch für Laien zugänglich gemacht werden kann. Wie die Planung für den Bürger, den Nutzer möglichst transparent gemacht werden kann, um ihm eine Beteiligung an den Planungsprozessen zu ermöglichen, wird in den folgenden Abschnitten besprochen. 5.2.1 Transparenz durch Systematisierung des Entwurfsprozesses Horst Rittel verbindet zu Beginn der siebziger Jahre seine Forderung nach einem verfeinerten argumentativen Entwurfsprozess mit der nach einem qualifizierten Partizipationsprozess. (vgl. Abschnitt 3.3.1) Diese Forderungen resultiert aus seiner Kritik am „Design Methods Movement“, einer mit Computerunterstützung und Ja/Nein-Entscheidungen rationalisierten Entwurfsmethode (vgl. Abschnitt 3.1.2), deren Prinzip er optimiert weiter verfolgen und zu einem „Design Methods Movement“ der 2. Generation erweitern will. Seine Kritik richtet er vor allem gegen den hohen Aufwand dieser Entwurfsmethode und ihren geringen Effekt, der sich außerdem nur auf die Hardware beziehe und nicht auf das Verhältnis von Nutzer und Gebäude. Die gestalterische Entscheidung sollte zu Gunsten des argumentativen Prozesses zunächst zurückgestellt, allerdings nicht aufgehoben werden. Er forderte im Einzelnen die Kapitel 5.2 109 Anerkennung folgender Schwerpunkte: 1. Eine maximale Partizipation aktiviert ein maximales Wissen für den Entwerfer 2. Der argumentative Planungsprozess schafft ein Netzwerk von Sachverhalten, mit ihren Vor- und Nachteilen 3. Jeder Sachverhalt ist Ausdruck von Entscheidungen über andere Sachverhalte 4. Die Argumente der Architekten sind transparent und für Laien nachvollziehbar 5. Objektivierung (durch mehr Wissen wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, die wichtigen Sachverhalte berücksichtigt zu haben) 6. Jede Art von Planung ist politisch und nicht einfach nur technisch 7. Die Rolle des Architekten oder des Planers wird die eines Komplizen des Bauherrn, Klienten oder Nutzers. Die Planer werden zu einer Art Hebamme oder Lehrer, der anderen zeigt, wie man für sich selbst plant Das Entwerfen versteht Rittel als ein Abwägen der Auseinandersetzung mit Sachverhalten, was wiederum zu neuen Sachverhalten führt. Er sieht dabei kein qualifiziertes Wissen, das nur im Kopf eines einzelnen Experten konzentriert ist. Er schlägt vor, die Expertise, die in einem Entwurfsprozess gebraucht wird, auf viele Köpfe zu verteilen, insbesondere auf jene, die von der Planung betroffen sind. Um dieses Wissen zu aktivieren, werden besondere, noch zu entwickelnde Methoden gebracht. Klar ist aber auch, dass diese Art des Wissens keine Hierarchien mehr kennt, weshalb der Prozess eben argumentativ angelegt sein müsse. In Bezug auf den letzten Punkt geht Rittel nahezu soweit, die Selbstauflösung des Architektenberufes zu fordern. Die beste Welt wäre nach seinen Worten eine, in der keine Planung für andere mehr stattfindet muss. (Rittel, 1972, S. 317ff.) Ein anderer Kritiker des „Design Methods Movement“ ist Geoffrey Broadbent. Er kritisiert Ende der siebziger Jahre vor allem, dass das gesteckte Ziel, als Entwerfer unvoreingenommen und ohne vorgefasste Entwurfsideen an die Entwurfsaufgabe heranzugehen, verfehlt wurde. Auch mit dem von Horst Rittel vorgeschlagenen Partizipationsansatz kann Broadbent sich nicht anfreunden. Er sieht in der Partizipation ein Ausweichen der Architekten vor ihrer wohl wichtigsten Aufgabe, dem Entwerfen. (Broadbent, 1984, S. 341) Intensiv wurde das Thema Partizipation auf der „Design Participation Conference“ 1971 in Manchester diskutiert. Nigel Cross fasst in seiner Publikation zu dieser Konferenz wesentli110 Kapitel 5.2 che Aspekte der Diskussion zusammen. (Cross, 1971, S. 11) Der Laie sollte demnach nicht mehr am Ende des Planungs- und Entwurfsprozesses stehen und diesem nicht mehr ausgeliefert sein. Partizipation sei ein geeignetes Mittel, um mit der Akzeptanz der gebauten Umwelt umzugehen und eine Neuorientierung zu ermöglichen. Jeff Nuttal gibt zu bedenken: Die Architekten waren geneigt, sich ein zu pauschales Bild von ihren Kunden und deren Interessen zu machen und die individuellen Ausprägungen des Menschen zu ignorieren. Die Moderne verfolge eine Ethik des Funktionalismus. Man gehe davon aus, dass die Bedürfnisse eines Menschen definiert, modelliert und in objektive Produkte (Architektur) übersetzt werden könnten, welche diese Bedürfnisse erfüllen. Stattdessen bräuchten wir Untersuchungs- und Entwurfsmethoden, die gerade die Geheimnisse des Lebens, also das Menschliche berücksichtigten. (Cross, 1971, S. 11) Steve Platt schlägt vor, sich als Architekt in das Leben der Nutzer einzubringen und damit das Prinzip der Partizipation umzukehren. Es ist nicht der Nutzer, der sich in den Entwurf oder in den Bau seines Hauses oder seiner Wohnung einbringt oder an den Entscheidungen teilhat, sondern der Architekt partizipiert an dessen Leben und kann so die Bedürfnisse und Vorlieben des Nutzers erfahren und in den Entwurf einbringen. (Cross, 1971, S. 14) James Siddall unterstützte diesen Ansatz. Er versprach sich davon eine genaue Spezifikation der Nutzerwünsche und –werte, die für ihn das schlüssigste Element der Partizipation im Entwurf darstellen. (Siddall, 1972, S. 92f) Charles Eastman sieht als eine Antwort auf die Ansprüche von unbekannten Nutzern und ihre nicht vorhersehbaren Bedürfnisse und Verhaltensweisen, die sich auch über die Zeit verändern können, eine responsive oder anpassungsfähige Architektur, die jeder nach seinen Bedürfnissen verändern kann. (Cross, 1971, S. 13) Während der Architekturkritiker Reyner Banham postuliert, eine Partizipation im radikalen Sinn bedeutete, dass allen die Werkzeuge, die Ressourcen und die Macht zur Verfügung gestellt würden, die bislang den Professionellen, also auch den Architekten, zur Verfügung stehen, und der Architekt sich mit der Partizipation also überflüssig macht (Cross, 1971 S. 11), geht der Architekt Yona Friedman davon aus, dass sich lediglich das Berufsbild des Architekten ändert. Das aber soll radikal geschehen: Friedman fordert, dass sich der Architekt von seiner Rolle als „Übersetzer“ der Nutzerwünsche löst. (Cross, 1971, S. 12f) In der klassischen Konstellation des Bauherren, der gleichzeitig auch Nutzer ist, funktioniert das „Übersetzen“ seiner Wünsche in Architektur noch. Multipliziert sich die Zahl der Bauherren und die der Nutzer aber, wie das häufig im Wohnungsbau der Fall ist, und werden mit ihnen auch die Nutzerwünsche vielfältiger, die zudem durch den Bauherrn und sein Interesse gefiltert sind, dann müsste der Architekt vielmehr zu einer Art Planungswissenschaftler Kapitel 5.2 111 werden, der dem Nutzer ein ganzes Repertoire an Entwurfsoptionen anbietet, mit den entsprechenden Auswirkungen auf sein individuelles Befinden und das der Gemeinschaft. Aus der Auswahl des Nutzers errechnet ein Computer dann die ideale Wohnumgebung, die die Wohnung selbst, aber auch ihr Umfeld bestimmt. Friedman setzt also, wie die Vertreter der ersten Generation des „Design Methods Movement“ (vgl. Abschnitt 3.1.2), auf die Kraft des Computers, mit dem Unterschied, dass der Architekt ihn weiterhin programmiert, der Nutzer ihn aber bedient. Die Sprache dieses Dialogs muss nicht nur von den Architekten und den Nutzern verstanden werden, sondern auch von den Handwerkern. Als Vergleich führt Friedmann eine Wetterkarte an, die nur von Wissenschaftlern erarbeitet werden kann, aber von Laien gelesen wird. (Friedmann, 1971, S. 45ff.) Auf den Bereich der Architektur übertragen, verlange das, auf die Architekturskizze als Kommunikationsmittel zurückzugreifen. (vgl. Abschnitt 4.3.1) Auffällig an den hier beschriebenen Diskussionen ist einerseits, dass eine, zum Teil sehr weitgehende Mitwirkung der Nutzer am Entwurfs- und Bauprozess gefordert wird, die aber stets eine bloße Beteiligung bleibt und von Bauherr bzw. Architekt konzipiert oder vorgegeben ist. Andererseits wird aber der Einfluss des Architekten auf den Prozess stark reduziert. Yona Friedmann geht dabei in seinen Forderungen am weitesten. Allgemein hoch wird die Rolle des Computers eingeschätzt, mit dem ein Planungs- und Entscheidungssystem entwickelt werden soll, das als Grundlage des partizipativen Entwerfens dienen kann. 5.2.2 Systematisierte Architekturanleitung für das Selbstbauen von Laien Natürlich blieb es nicht bei theoretischen Erörterungen dieses Themas. Einige Architekten experimentierten mit Formen der Partizipation beim konkreten Bauen und zogen daraus wiederum theoretische Schlussfolgerungen. Darauf soll in den folgenden Abschnitten eingegangen werden. Dazu müssen auch die Angebote einer flexiblen Grundrissgestaltung von Architekten und Planern im Büro-, aber auch im Wohnbau gezählt werden, die den Nutzer zwar theoretisch in die Lage versetzen, über die Gestaltung seiner gebauten Umwelt mit zu entscheiden, ihn aber in der Praxis oft hilflos mit den Optionen der räumlichen Gestaltung alleinlassen. Anders verhielt es sich mit architektonischen Modellen, die ein Weiterbauen in einem auf hohe Flexibilität angelegten Gebäudesystem anboten, das vom Architekten schon weitgehend konzipiert und durch den Bewohner vollendet wird. Grundlegende Forschungen hat auf diesem Gebiet der niederländische Architekt Nicolaas John Habraken an der Universität Eindhoven angestellt. Er geht von einem Konstruktionssystem aus, in das Bewohner, in Eigenleistung, unter Anleitung durch Architekten oder mit Hilfe von Bausätzen, ihre eigenen 112 Kapitel 5.2 Häuser oder Wohnungen einbauen. (vgl. Abschnit 5.3.2, Habraken, 2004, S. 101ff.) Architekten, wie Lucien Kroll, Ottokar Uhl, haben dieses System schon in den siebziger Jahren angewendet. Die Architekten Hermann Hertzberger und Peter Stürzebecher (Stichwort Wohnregal) experimentierten mit solchen Partizipationsansätzen in den achtziger Jahren. Ebenso Eilfried Huth, der beispielsweise in der Eschensiedlung in Graz (1982-1992) oder in GrazRagnitz (fertiggestellt 1992) eine so weitgehende Nutzerpartizipation am Entwurf der Häuser praktizierte, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die Architektur ausüben konnte und ihre äußere Erscheinung zeige, dass die Einwirkung des Architekten auf das Bauwerk kaum mehr erkennbar ist. (Huth, 2005, S. 141ff.) Abb. 5.2.2 (1) Christopher Alexander, Mustersprache Kapitel Konstruktion Christopher Alexander suchte, nach dem „Design Methods Movement“, weiter in dessen Sinne nach einem Ausweg aus dem in seinem Augen willkürlichen Formalismus eines architektonischen Entwurfs. Er war überzeugt, dass „Form“ aus den Bedürfnissen der Gesellschaft heraus entsteht. (Alexander, 2008, S. 21) Um diesen Bedürfnissen zum Durchbruch zu verhelfen, entwickelte er die Pattern Language, eine Muster-Sprache für die Planung und für das Bauen. 1977 erschien sie, in der CoAutorenschaft von Sara Ishikawa und Murray Silverstein sowie unter der Mitarbeit von Max Jacobson, Ingrid F. King und Shlomo Angel, erstmals in den USA. Sie war zusammen mit der Publikation The Timeless Way of Building, die 1979 erschien (Die deutsche Übersetzung ‚Die zeitlose Art zu Bauen’ wurde nicht publiziert), von den Autoren als eine Einheit konzipiert. 1995 gab der Architekt Hermann Czech die Pattern Language mit dem Titel MusterSprache auf deutsch heraus. Die Muster-Sprache umfasst 253 Muster (Patterns), die sich auf Dinge, räumliche Situationen, Aktivitäten, aber auch auf abstrakte Begriffe beziehen. Die Muster sind gegliedert in die Planungsbereiche Städte, Gebäude und Konstruktion. (Abb. 5.2.2 (1) Alexander) Jedes Muster wird in seinem Kontext mit Titel, Foto, Text und Skizzen sowie mit Verweisen auf andere Muster vorgestellt. Die Muster, für die eine allgemeine GülKapitel 5.2 113 tigkeit beansprucht wird, sind mit zwei Sternchen gekennzeichnet, weniger wichtige haben nur eines und mit den nicht gekennzeichneten Mustern fordern die Autoren ihre Leser auf, diese Muster zu optimieren. Dieses universell verstandene Vokabular sollte den Bauwilligen nicht nur die Möglichkeit geben, ihre Bedürfnisse zu identifizieren und zu kommunizieren, sondern diese auch tatsächlich baulich zu verwirklichen - ohne Architekten oder andere Planer. Alexander bündelt sein Fachwissen um den städtebaulichen und Abb. 5.2.2 (2) Christopher Alexander, Mustersprache Ausstecken architektonischen Entwurf sowie um die bauliche Konstruktion in einer Art Handbuch des Bauens, wobei er sehr genau darauf achtet, dass die Bauenden in ihrem Formwillen weder von außen noch durch die Bautechnik beeinflusst werden. Er selbst enthält sich allerdings nicht der Belehrung. Die allgemeinen, übergeordneten Texte, die sich grundlegend, fast auf philosophischer Ebene, mit dem jeweiligen Muster auseinandersetzen, sind durchsetzt von Anleitungen, mit denen er den Leser im Imperativ direkt anspricht. (Alexander et al, 1995 passim) Das Buch soll seine Leser in die Lage versetzen, aus den Mustern eine besondere Sprache für das individuelle Projekt zu entwickeln. Alexander erklärt im Detail, wie dies vor sich gehen kann. Aus den drei Kategorien Städte, Gebäude und Konstruktion sollen alle relevanten Muster Schritt für Schritt zusammengesucht und durch eigene ergänzt werden. Jede Ergänzung soll im Geiste laufend mit dem Entwurf abgestimmt werden und der Bau sehr eng mit dem Ort verbunden sein. Alexander empfiehlt deshalb, vor Ort zu arbeiten: „ ... lass Dir vom Bauplatz seine Geheimnisse erzählen“ (Alexander et al, 1995, S. 497), aber auch die Baukosten im Auge zu behalten und dafür Kontakt zu Bauunternehmen zu halten. (Alexander et al, 1995, S. 500) Christopher Alexander versucht mit seiner Muster-Sprache eine Alternative zu den technokratischen und starren Bauweisen aufzubauen, die er als Erbe des Maschinenzeitalters und der modernen Architektur ansieht (Alexander et al, 1995, S. 1010). Mit Hilfe der „Pattern Language“ soll jedes Gebäude einzigartig und auf seinen Bauplatz zugeschnitten sein. 114 Kapitel 5.2 Mit einfachen Konstruktionen, kostengünstigen und leicht erhältlichen Materialien soll Laien ermöglicht werden, die von ihnen geplanten Gebäude auch selbst zu bauen. Das ist das Wesen der Konstruktions-Muster. Alexander fordert seine Leser aber auf, bevor bauliche Details festgelegt werden, eine Philosophie der tragenden Konstruktion zu entwickeln und sich den Charakter des Hauses nicht durch die Bautechnik oder die Form des Hauses diktieren zu lassen. Dabei erklärt Alexander schrittweise den Bau eines Hauses, angefangen mit dem Abstecken des Abb. 5.2.2 (3) Christopher Alexander, Mustersprache Muster 238 Gefiltertes Licht Grundrisses auf dem Baugrundstück (Abb. 5.2.2 (2), Alexander), dem Bau der Fundamente, der Wände, Lage und Größe der Fenster. Er schreibt in diesem Zusammenhang von der „erfühlten Position der Fenster und Türen“ und von der atmosphärischen Wirkung der Räume. Er beschreibt gefiltertes Licht (Muster 238, S. 1192) und andere atmosphärische Elemente, wie warm anmutende Farben, die einen gemütlichen Raum erzeugen können. (Alexander et al, 1995, S. 1244) (Abb. 5.2.2 (3) Alexander) Als ein besonders gelungenes Projekt sieht Christopher Alexander die Mexicali-Arbeiterwohnungen, die zwischen 1975 und 1976 in Mexicali, Mexiko, entstanden sind. Es war „... letztendlich der Entstehungsprozess für die Gestaltung der Häuser verantwortlich.“ sagt Alexander im Rückblick auf das Projekt. (Alexander, 2008, S. 23) Für die Siedlung gab es ein einfaches, sehr klares bautechnisches Prinzip mit Materialvorgaben. Es wurden Formsteine und ein Gittergeflecht aus dünnen, biegsamen Holzlatten als Unterkonstruktion für die gewölbten Dächer eingesetzt. Durch das einfache Bausystem konnten die Bewohner die Häuser individuell an ihre Bedürfnisse anpassen, ohne dass ein einheitliches Gesamtbild dabei verlorenging. Durch leicht unterschiedliche Winkel, in denen die Wände zusammenstoßen (sie waren nicht exakt gemessen worden) und den nicht vorher festgelegten Grundriss (dafür mussten nur wenige Bedingungen erfüllt werden) entstanden verschiedene und einzeln identifizierbare Häuser. (Alexander, 2008, S. 23) Kapitel 5.2 115 Für Koolhaas besteht ein Widerspruch zwischen der „Reinheit des Prozesses“, den Alexander mit der Verwendung seiner Muster-Sprache und Bausysteme postuliert, und dem Ergebnis, das sehr heterogen ausfällt und unter Umständen nur noch wenig von der ursprünglichen Intention des Architekten enthält. Alexander sieht darin aber gerade seinen Anspruch erfüllt: „Menschen zu befähigen, gewisse Entscheidungen selbst zu treffen.“ Er nennt dies die „Eleganz des generativen Codes“. (Alexander, 2008, S. 23) In dieser Debatte wird der Konflikt zwischen einem herkömmlichen Top-Down-Entwurfsansatz, den Koolhaas hier vertritt, und einem partizipationsoffenen Vorgehen, das Alexander verfolgt, erkennbar. Alexander lässt dem Unvorhersehbaren und dem Unbestimmbaren in der Architektur Raum, was Koolhaas in letzter Konsequenz als „unrein“ erscheint. Alexanders Vorgaben sind trotz der genauen Definitionen, die die Patterns vorgeben, für die Bauentscheidungen vage formuliert. Der Architekturkritiker Christian Kühn betont deshalb, dass die Muster-Sprache „weit über das hinausgeht, was unter dem Begriff der Partizipation verstanden wird, also die Teilhabe der Nutzer an einem weiterhin vom Architekten verantworteten Entwurfsprozess. Aufbauend auf einem als universell verstandenen Vokabular von Archetypen sollte die „Pattern Language“ dem Nutzer ermöglichen, sowohl ihre Bedürfnisse auszudrücken, als auch in einen Diskurs über mögliche Lösungen einzutreten.“ Die Nutzer könnten so im Idealfall ohne Architekten und andere Planer auskommen. (Kühn, 2008, S. 27) Alexander setzt bei den Laien mehr voraus, was aus aus seiner Muster-Sprache nicht sofort erkennbar wird. Die Anordnung der Räume wird beispielsweise lediglich aus dem Grundriss und nicht dem Schnitt heraus erklärt. Die Raumhöhe gibt er lediglich zu bedenken, obgleich sie entscheidend zur Raumwirkung beiträgt. Die Pattern Language müsste sehr viel komplexer ausfallen, um den Architekten wirklich ersetzen zu können. So überfordert er den Laien auf der einen Seite, setzt auf der anderen aber auf dessen Unbefangenheit in Bezug auf das Erleben und Entwerfen von Räumen, und appelliert deshalb daran, dessen inneres Empfinden und seine Vorlieben in den Entwurfsprozess einzubringen. Mit dem besonderen Bezug des Entwurfs auf den Bauort nimmt dieser auch einen bestimmten Charakter an, wenn die für den Bau ausgewählten Muster in ihren Qualitäten erkannt und entsprechend übertragen werden. Alexander sieht sich selbst dabei weder als Architekt noch als Urheber des beschriebenen Charakters. Er schreibt 1979 in The Timeless Way of Building über die “Pattern”: „ ... and this character is not created willfully by me – it has been generated simply by paying serious attention to the pattern.“ (Alexander et al, 1979, S. 393) Die Pattern Language sieht er als eine Art Medium und weist ihr metaphysische Qualitäten zu. Seine Leser fordert er auf, der Sprache zu vertrauen, denn er ist davon überzeugt, dass so die korrekte Form aus der Überlagerung des Musters und der realen Situation geschaffen 116 Kapitel 5.2 wird. (Alexander et al, 1979, S. 397) Seine Leser werden so selbst zu einem Medium, wenn der „kreative Funke“ überspringt und dabei hilft die Welt, schöner zu machen. (Alexander et al, 1979, S.397) „Your mind is a medium within which the creative spark jumps between the pattern and the world can happen. You yourself are only the medium for this creative spark, not its originator.“ (Alexander et al, 1979, S. 397) und weiter: „If the pattern makes sense, you do not need to control the design“ (Alexander et al, 1979, S. 399). Den mystischen, fast religiösen Charakter seiner Überlegungen reflektiert Christopher Alexander 1984 in einem Interview mit der Zeitschrift Archplus: „Die Pattern Language hat schon etwas Beängstigendes an sich. Trotzdem ist sie erregend, weil nichts kontrolliert geschieht. Man ist nur das Medium der „Pattern“, die in einem lebendig werden und die Kraft ihres Willens etwas Neues hervorbringen“ (Alexander, 1984, S. 28). Im selben Heft sind Erfahrungsberichte von Beteiligten an einem Selbsthilfeprojekt zu lesen, die sich mit der Muster-Sprache ihrem Projekt genähert haben (Chambers et al, 1984, S. 60ff.): Für den Umbau eines Anwesens in Rolfshagen, in dörflicher Lage diskutierten die Bewohner angeleitet durch ihre Architekten, anhand von „Patterns“ über ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ideen. Während sie vor Baubeginn noch an das Versprechen Christopher Alexanders glaubten, dass durch die Pattern Language der eigentliche Entwurf sich schnell und problemlos ergeben würde, gaben sie später an: die Pattern Language sei „eine hervorragende Methode, um mit einer Gruppe von Leuten gemeinsame Zielvorstellungen und Vorbilder entwickeln zu können“ und sei damit insbesondere für Selbstbaugruppen geeignet. Man brauchte allerdings die Architekten, um alle Vorstellungen zu koordinieren und später, während der Ausführung, deren stetige Ermunterung. Der Entwurfsprozess wird durch Alexanders Systematisierung für den Laien sozusagen vorfabriziert. Der Nutzer kann so auf die Architektenleistung in konservierter Form zurückgreifen. Er emanzipiert sich allerdings, anders als es Alexanders erklärtes Ziel war, nicht davon. Der Architekt wird in seiner Kernkompetenz immer noch gebraucht. Die Rolle des Architekten ist eines der wesentlichen Themen in einem partizipativen Entwurfsprozess. Inwieweit und wie sich Architekten in den Prozess einbringen, ob sie manipulierend oder die Nutzerinteressen unterstützend eingesetzt werden oder werden können, wird auf verschiedenen Ebenen diskutiert und erprobt. Auch nach der Auffassung von Yona Friedman sollten sich Architekten weitgehend zurückKapitel 5.2 117 nehmen und lediglich ein Gerüst des technisch Notwendigen anbieten, mit dem sich dann die Bewohner einer Stadt selbst ihre Häuser und letztlich ihre Stadt bauen könnten. Denn Städte werden nach seiner Auffassung nicht geplant, sie entstünden von selbst. In einem Selbstplanungs-Projekt, das er mit den Nutzern durchführte, stellte er fest, dass ihre Logik eine ganz andere sei, als die der Architekten. Friedman veröffentlichte, resultierend aus diesen Erfahrungen 1974 ein Buch mit dem Titel Meine Fibel. (Friedman, 1974 passim) Es enthält Skizzen, die räumliche Prinzipien zeigen. Sie sollen nicht eine „beste Lösung“ zeigen, sondern das Spektrum auffächern, das in räumlichen Bezügen möglich ist (Abb 5.2.2 (4) Friedman). Es ging ihm darum, verständliche Informationen zu liefern, also die Abb. 5.2.2 (4) Yona Friedman, Meine Fibel. Wie die StadtbewohKommunikation der Bewohner untereinan- ner ihre Häuser und ihre Städte selber planen können, Düsseldorf 1974, Skizze der, und mit den Planern zu erleichtern. Als ein wesentliches Motiv der partizipativen Arbeit benennt Friedman die Identifikation der Bewohner oder Planungsbetroffenen mit der Planung, an der sie selbst beteiligt waren. Sie gäbe ihnen eher die Möglichkeiten, Qualitäten zu erkennen, als wenn ihnen die Planung von Architekten oder Stadtplanern offeriert würde. (Friedman, 2004, S. 141ff.) Die Diskussion um die Nutzerpartizipation in den architektonischen Entwurfsprozessen wird also besonders als ein Mitbauen verstanden. Der Planungsprozess soll im Vergleich zum konventionellen (geheimnisvoll kreativen) Schaffensprozess des Architekten über- und durchschaubarer gestaltet und verkürzt werden. Die Beteiligung der Nutzer verlagert sich stärker auf das Bauen, das die experimentierenden Architekten anleitend oder als Manager des Bauens begleiten. 5.2.3 Bausysteme partizipativen Entwerfens und Bauens Einer der bekanntesten Vertreter einer partizipativ entstehenden Architektur ist der belgische Architekt Lucien Kroll. Seine Arbeit soll als Beispiel für diese Art des partizipativen Bauens ausführlich vorgestellt werden. 118 Kapitel 5.2 Kroll hat zu Beginn der siebziger Jahre ein modulares Fertigteilbausystem entwickelt, das in seiner Kleinteiligkeit sehr anpassungsfähig und gestalterisch vielfältig ist. Wesentliche baukonstruktive und bauphysikalische Probleme konnten bereits in der Vorfabrikation bewältigt werden und ließen dadurch Freiräume beim Entwurf. Gleichzeitig ließ sich das baukastenartige System gut für die Partizipation der späteren Nutzer einsetzten, die ihre Bauten in verkleinerten Modellen vorab mit dem Architekten entwerfen und auch den späteren Bau bei veränderten Nutzungen im Rahmen des System verändern konnten. Die Kleinteiligkeit des Systems erlaubte dabei, individuelle Lösungen für die Nutzer zu finden. Durch den systematischen Ansatz des Entwurfs und des Bauens konnte Kroll bereits sehr früh von computergestützten Entwurfsprogrammen (CAD) profitieren. Er sah darin die Chance, die Vielfalt des Prozesses adäquat zu berücksichtigen. Kreativität sollte nicht eingeschränkt werden. (Kroll, 1987 passim) „Ich beteilige nicht nur die Bewohner an der Planung, sondern der ganze Prozess wird partizipatorisch: das Planen, das Bauen und die Baunutzung. Das ist eine Art kollektives Kunstwerk.“ (Kroll, 2004, S. 201) Kroll bezieht sich mit seinem Ansatz auf Arbeiten von Nicolaas John Habraken, der die Gestaltung von Wohnungsgrundrissen den Nutzern selbst überlassen will und eine solche partizipatorische Gestaltung vor allem durch eine industrielle Bauweise (und die entsprechende Planungsmethode) gewährleistet sah. (Habraken, 2004, S. 101ff.) Dafür entwickelte Habraken im Forschungszentrum Stichting Architecten Research (SAR) ein entsprechendes System flexibler Raumstrukturen, auf dem Lucien Kroll aufbaute (Fezer/Heyden, 2004, S. 200). Krolls vielleicht wichtigstes Projekt sind die Gebäude für die medizinische Fakultät in der belgischen Stadt Löwen (Leuven/Louvain) und hier insbesondere das Studentenwohnheim, Gebäude, die zwischen 1968 und 1979 entstanden (Abb. 5.2.3 (1) Hofmann). Die Studierenden haben sich gegenüber dem Bauherrn, der Universitätsverwaltung, ein Mitspracherecht an der Gestaltung der Universitätsbauten, insbesondere ihrer Wohnräume, erkämpft und die Beauftragung von Lucien Kroll durchgesetzt (Kroll, 2004, S. 200). Mithilfe des von ihm entwickelten modularen Systems entstanden verschiedene, oft widersprüchliche Entwürfe, die zu einer sehr komplexen, vielfach nutzbaren Struktur zusammengefügt wurden (Broadbent, 1979, S. 341). Kroll verstand die Partizipation nicht nur Abb. 5.2.3 (1) Lucien Kroll, La Meme, Leuven, Belgien, Blick auf das Studentenwohnheim Kapitel 5.2 119 bezogen auf die zukünftigen Nutzer, sondern auch auf die Handwerker, die sich ihren Vorstellungen entsprechend in der Fassade verwirklichen konnten. Im mehrstöckigen Dachbereich wurde, um die festgelegten Nasszellen (Küchen und Bäder) herum, eine gänzlich ungegliederte Holzkonstruktion errichtet, die mit partizipativer Arbeit ergänzt werden sollte. Jesko Fezer und MaAbb. 5.2.3 (2) Lucien Kroll, La Meme, Leuven, Belgien, thias Heyden erscheint das heterogene Er- Flexibles Fassadensystem scheinungsbild der daraus entstandenen Fassade als „bezeichnend für die antihierarchische Architektur“ (Fezer/Heyden, 2004, S. 228). Die Collage der Fassade entstand als eine direkte Ableitung aus den inneren, durch die Studierenden entwickelten, Strukturen, die zu einer Art architektonischem Sinnbild der Partizipation wurden. (Abb. 5.2.3 (2) Hofmann) Geoffrey Broadbent macht aber einige Schwächen des Projektes in Löwen deutlich: Die Schlafzimmer sind zu klein dimensioniert, und insbesondere die Fassade kann wesentlichen bautechnischen Standards nicht genügen, insbesondere ökologischen Ansprüchen wird sie nicht gerecht. Er wirft Kroll vor, sein Wissen als Architekt nicht genügend eingebracht oder durchgesetzt zu haben und bringt erneut die Rolle des Architekten zur Sprache, der sich hier eben nicht nur als Moderator einbringen dürfe, sondern auch als Fachmann für Baufragen präsent bleiben müsse. (Broadbent, 1979, S. 342) In einem aktuellen Projekt war Lucien Kroll aufgefordert, eine Grundschule in Bordeaux zu entwerfen. Er ließ sich dafür von der Stadtverwaltung aus dem Material, das zu einer Sitzung mitgebracht wurde, ein Modell der Schule bauen. Die Lehrer taten das Gleiche und die Schulkinder fertigten über 300 Blätter mit ihren Ideen für die neue Schule an. Im weiteren Entwurf ließ Kroll sich vor allem bei der Gestaltung der Fenster sehr von diesen Kinderzeichnungen inspirieren. Aus der Symbiose des ersten und des zweiten Modells entwickelte er ein drittes Modell, mit dem sich sowohl die Lehrer der Schule als auch die Vertreter der Stadtverwaltung identifizieren konnten. Der Entwurf wurde dann von einem ortsansässigen Architekten, den die Stadtverwaltung ausgesucht hatte, umgesetzt. Die Nutzergruppe fungierte hier als Ideengeber für den Entwurf, spielte bei seiner Umsetzung aber keine aktive Rolle. Kroll übernahm als Architekt in klassischer Manier die Verantwortung. (Interview Susanne Hofmann mit Lucien Kroll am 07.11.2008) Der österreichische Architekt Ottokar Uhl beruft sich bei seinem Ansatz der Nutzerpartizipation ebenfalls auf die von John Habraken entwickelte Planungsmethode eines kleinteiligen 120 Kapitel 5.2 Planungsrasters aus festgelegten Konstruktions- und variablen Ausbauelementen. Uhl verbindet diesen Planungsansatz mit einer stark am Gebrauch orientierten Auffassung der Architektur und der Raumgestaltung, mit der er vor allem Bewegungs- und Aneignungs- oder auch Kommunikationsmöglichkeiten anbieten will. Die Architekturtheoretikerin Christa Kamleithner spricht in diesem Zusammenhang von einer Ästehtik der Gebrauchs, der sich Ottokar Uhl bedient. (Kamleithner, 2011, S. 13ff.) Den hier vorgestellten Projekten von Alexander, Habraken, Kroll oder Uhl ist die Verwendung eines planerischen und konstruktiven Systems gemeinsam. Mit diesen Vorplanungen werden einige komplexe Probleme des Bauens, wie die Tragkonstruktion oder die Versorgung mit und Entsorgung von Wasser, Strom und dergleichen vorab bearbeitet. Die damit getroffenen Festlegungen lassen aber Spielraum für die Entfaltung baulich räumlicher Vorstellungen der Nutzer. Den Ausbau bestimmen sie selbst. Damit sind die Aufgaben des Architekten neu gestellt. Er entwickelt ein tragfähiges Trägersystem, der Ausbau ist nicht mehr seine Aufgabe, es sei denn, die Bewohner/Nutzer ziehen ihn oder einen Kollegen zu Rate. Die kritische Begleitung der Projekte von Lucien Kroll zeigt aber auch, dass Nutzer mit dem Ausnutzen der Freiräume überfordert sind und die Expertise des Architekten fehlt. Geoffrey Broadbent hat darauf hingewiesen. Die beschriebenen Probleme legen eine vertrauensvolle Begleitung der Projekte bis zur Fertigstellung und gegebenenfalls auch danach durch die Architekten nahe. Projekte dieser Art werden im nächsten Abschnitt behandelt. 5.3 Systematisiertes Bauen als partizipatives Modell Der Architekt Walter Segal und in seiner Folge Peter Sulzer und Peter Hübner haben partizipative Modelle des Bauens entwickelt, die eine kontinuierliche Begleitung des Bauens ermöglichen und insbesondere Walter Segal steht den Nutzern als Anwendern des von ihm entwickelten Bausystems auch auf der Baustelle beratend zur Seite. Sulzer und Hübner haben das System Segals übernommen und variiert. Hübner hat dabei in späteren Jahren die Partizipation der Nutzer wieder stärker auf die Mitwirkung am Entwurf verlagert, spricht aber von einer „Baufamilie“, in der der Architekt, aber auch die Nutzer beheimatet sind, und die den Bau dann bis zum Ende begleiten. 5.3.1 Partizipatives Bauen durch soziale Interaktion Bereits zehn Jahre vor den Arbeiten von Kroll, Alexander und anderen, zu Beginn der sechziger Jahre, entwickelte Walter Segal in Großbritannien ein klares, einfaches und sehr preisgünstiges Baukastensystem, mit dem Laien ohne Spezialkenntnisse ein Eigenheim bauen Kapitel 5.3 121 können. Den Impuls für diese Idee eines „Hauses für Jedermann“ gab ein kleines Haus, welches Segal 1962 für seine Familie als eine Übergangslösung gebaut hatte, in zwei Wochen, für nur 850£. Daraus entwickelte er ein eigenes Bausystem für eine HolzAbb. 5.3.1 (1) Walter Segal, Skizzen für die Anleitung zum Selbstbau Leichtbauweise, die auf Hölzern in handelsüblichen Abmessungen, Halbzeugen, wie Platten und Verbindungsteilen beruht, die ebenfalls leicht zu beschaffen sein sollten. (Blundell Jones, 2005, S. 130f) Das System beruhte auf einem Achsmaß von 60 cm (Broome, 1986, S. 40). Das möglichst geringe Gewicht der Bauteile sollte die Verwendung schweren Arbeitsgerätes, wie Kräne, Winden oder Flaschenzug und eine aufwändige Gründung vermeiden. Das System konzentrierte sich außerdem auf den Trockenbau, was ebenfalls die Handhabung und spätere Veränderungen der Gebäude erleichterte. Die Innenwände wurden alle als „nichttragend“ konzipiert, so dass die Raumeinteilung frei wählbar ist, wie auch die Anordnung von Türen und Fenstern in den Außenwänden, die sich allerdings nach der Holzständerkonstruktion richten musste. (Broome, 2005, S. 70ff.) Segal gab den Nutzern eine einfach zu verstehende Anleitung an die Hand (Abb. 5.3.1 (1) Broome). Sie beinhaltete handgezeichnete Grundrisses und das Konstruktionsprinzip, Regeldetails der Verbindungen, einen Katalog der Bauelemente, eine Materialliste und die statische Berechnung für die Baugenehmigung. Die Materialliste war so aufgestellt, dass das Material möglichst effizient und ohne Verschnitt eingesetzt werden konnte, um Kosten zu sparen. Ganz bewusst ordnete Segal dem Architekten weiterhin das Arbeitsfeld der Kostenkontrolle und ingenieurtechnische Berechnungen kleinerer Art zu. (Broome, 1986, S. 36ff.) Nach der Einschätzung von Jon Broome, einem ehemaligen Mitarbeiter Segals, generiert dieser Prozess Gebäude, die nicht monumental oder schwer sind, sondern ein Gefühl der Leichtigkeit und Optimismus vermitteln. Die Bauten sind anpassungsfähig und 122 Kapitel 5.3 Abb. 5.3.1 (2) Walter Segal, einfacher Holzrahmenbau erleichtert den Selbstbau einfach zu erweitern. Außerdem sei diese Methode flexibel: Sie produziere viele Arten von ein- oder zweigeschossigen Gebäuden, mit flachen oder geneigten Dächer, mit Höfen, im Split-Level-System oder mit doppelt hohen Räumen. Behaglichkeit und Nützlichkeit seien Segal bei dieser Arbeit ein besonderes Anliegen gewesen. Das Prinzip der Vorfabrikation dürfe über diese Qualitäten nicht hinwegtäuschen. Es sei nicht auf Massenfabrikation ausgelegt und könnte so auf die individuellen Wünsche der Bewohner abgestimmt werden. Er zog Parallelen zu mittelalterlichen Holz- bzw. Fachwerkhäusern, die nach einem ähnlichen Baukastenprinzip entstanden seien. (Broome, 1986, S. 33ff.) Auch hätten Segals Häuser erhebliche volkstümliche („vernacular“, Broome, 1986, S. 33) Qualitäten, die sich in der formalen Harmonie und der besonderen Alltagstauglichkeit der Bauten zeigt. Er betont aber, dass es sich nicht um eine Frage des Baustils handelte. (Broome, 1986, S. 33) In der Wohnungsnot der siebziger Jahre in England konnte Segal 1976 seine Methode zum ersten Mal umsetzen. Er ermöglichte es Laien, sich ohne Spezialkenntnisse mit seiner „Segal Methode“ aktiv an der Planung und Konstruktion ihres eigenen Hauses zu beteiligen. (Abb. 5.3.1 (2) Broome) Die Methode wurde so auch zu einem gesellschaftlichen Experiment. Der Bezirk Lewisham in Südost-London stellte Wohnungssuchenden ein nur schwer bebaubares, abschüssiges Gelände und Baumaterialien zur Verfügung. Da die Segal-Häuser generell aufgeständert sind, entfielen nicht nur aufwändige Geländearbeiten, es konnte auch die natürliche Vegetation erhalten werden. In einer ersten Bauphase entstanden zwischen 1977 und 1982 vierzehn ein- bzw. zweigeschossige Häuser an der, nach dem Architekten benannten, Straße Segal Close. Eine zweite Bauphase schuf dreizehn weitere zweigeschossige Häuser am Walter’s Way (ebenfalls nach Walter Segal benannt). (www.lewisham.gov.uk) Der Selbstbau von Wohnungen durch die späteren Nutzer hat in London, im Sinne eines Sozialwohnbaus, Tradition. Allerdings gaben die Behörden dafür die Planung vor und die Selbsthelfer waren zum Erscheinen auf der Baustelle verpflichtet. „Nichterscheinen“ wurde bestraft. Frauen und Kinder wurden auf den Baustellen nicht zugelassen. (Ellis, 1987/1, S. 78) Segal erarbeitete im Gegensatz dazu mit jedem Haushalt (mit jeder Familie) einen individuellen Bauplan. Zudem gab er Abendkurse für die Wohnungsanwärter, um ihnen Grundkenntnisse im Selbstbau, von Elektro- und Klempnerarbeiten zu vermitteln. Zusätzlich und vielleicht am meisten konnten die Selbsthelfer jedoch auf den Baustellen lernen, Abb. 5.3.1 (3) Walter Segal (links) leitet die Selbstbauer an, Baustelle in Lewisdie Segal mit dem Architekten Jon ham, ca. 1978 Kapitel 5.3 123 Broome führte (Abb. 5.3.1 (3) Blundell Jones). (Ellis, 1987/1, S. 78) Das einfach verständliche und flexible Bausystem hatte dabei den großen Vorteil, dass berufsfremde Selbstbauer nicht auf technische, für sie schwer verständliche, Zeichnungen angewiesen waren und die Lage von Türen und Fenstern auf der Baustelle direkt entscheiden konnten – beispielsweise nach der Aussicht oder nach dem Einfall der Sonne (Broome, 2005, S. 70). Segals Methode ermöglichte es, eine jeweils sehr individuell auf die Bedürfnisse der Familien direkt zugeschnittene Lösung zu finden, seine standardisierte Bauweise ließ die Bauten allerdings sehr einheitlich aussehen. Dennoch freute sich Segal über die Kreativität der Leute und kommentierte: „Wir haben uns befreit von der von Architekten entworfenen Fassade“ (Ellis, 1987/1, S. 81) Während eines Symposiums „Lernen durch Selbstbauen“ an der Universität Stuttgart stellt er die Rolle des autoritären Architekten in Frage: „Leider hat der Architekt immer noch Formvorstellungen“ (Segal, 1983, S. 224). Ähnlich wie Christopher Alexander, sieht auch Segal die Ästhetik der Architektur beiläufig aus dem Planungs- und Bauprozess heraus entstehen und belegt das „Formwollen“ der Architekten mit einem moralischen Bann. Die Gestaltung sollte den Bewohnern überlassen bleiben. Der Architekturhistoriker und Zeitgenosse von Walter Segal, Julius Posener, erinnert sich daran, wie vehement Segal die Selbstbauer in ihren Wünschen unterstützte. Er nahm es beispielsweise gelassen hin, dass sie in den von ihm entwickelten Holzrahmenbau eine aufgearbeitete viktorianische Haustür (Blundell Jones, 2005, S. 132) einbauten oder in einem Haus die Nachahmung von Tudor-Gitterfenster und statt der schlichten Türen eine mit Georgian-Style-Paneelen. Posener kam das sehr, wenn nicht zu großzügig vor, obwohl er wusste, dass Segal sich der Moderne sehr verpflichtet fühlte. (Posener, 1988, S. 41) Der britische Architekturkritiker Peter Blundell Jones interpretiert Poseners Bemerkung als eine Kritik an der mangelnden ästhetischen Kontrolle durch den Architekten, die er offenbar als dessen Pflicht und Beweis seiner Kompetenz ansah (Blundell Jones, 2005, S. 132). Man kann Segals Toleranz aber auch so interpretieren, dass er den von dem italienischen Architekten Giancarlo de Carlos so genannten „cultural and aesthetic class code“ der Leute (deren kulturelles und ästhetisches Werteverständnis) akzeptieren konnte und ihn in seine Überlegungen einbezog. (Blundell Jones, 2005, S. 132; de Carlos, 2005, S. 7) (vgl. Abschnitt 5.4.1) Walter Segal sah sich selbst als ein „Ermöglicher“, als „enabler“ (Blundell Jones, 2005, S. 131). Er akzeptierte, ja begrüßte die Komplexität und Widersprüchlichkeiten seiner Bauherren und wandte sich explizit gegen die autoritäre, stereotype Interpretation der Gesellschaft durch den Ansatz der modernen Architektur und der ihr nahe stehenden Experten: „Experts by themselves can be dangerous people with tendencies to try to impose their own ideas on others. The best judge of a house is the man who lives in it, and experts need the constant check and control of an informed public opinion“ (Ellis, 1987/2, S. 83). 124 Kapitel 5.3 Peter Blundell Jones deutet den Versuch, den Leuten die unmittelbare Erfahrung der Gestaltung ihrer Umgebung zu vermitteln, als ein kleines und isoliertes Experiment, im Rückblick aber als ein Zeichen jener Zeit (Blundell Jones, 2005, S. 131). Etwa gleichzeitig arbeitete Christopher Alexander an seiner Pattern Language. „Against the top-down paternalist provision of housing under the modernist orthodoxy with everything predetermined, he [Segal] offered a bottom-up self-realising pattern on its own scale and with its own logic rediscovering a certain spontaneity“ (Blundell Jones, 2005, S. 131). Hinter dieser außergewöhnlichen Herangehensweise verbirgt sich nach Blundell Jones‘ Einschätzung nicht nur eine andere Architektur, sondern vor allem ein anderer Lebensstil (Blundell Jones, 2005, S. 135). Jon Broome hebt hervor, dass die Familien der Selbsthelfer stets komplett in die Arbeit einbezogen waren. Der Bau der Häuser wurde zu einer „true family enterprise“. (Broome, 1986, S. 35) Charlotte Ellis betont in einem Beitrag für die britische Fachzeitschrift Architectural Review, dass Segal nicht nur auf die physischen, sondern auch auf die psychischen Bedürfnisse der Leute in seinem Partizipationsverfahren eingeht (Ellis, 1987/2, S. 85). Er selbst erklärte auf dem erwähnten Symposium an der Universität Stuttgart, dass die Form aus der psychologischen und physiologischen Wirkung der Architektur abgeleitet werden muss. Das könne nur durch den Beitrag der Nutzer erreicht werden. Ohne ihre Beteiligung entstehe eine „bedeutungslose Form“. (Sulzer et al, 1983, S. 224) Die Zusammenarbeit aller Beteiligten auf der Baustelle wecke außerdem nicht nur eine hohe Identifikation mit den Häusern, sondern auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl (Blundell Jones, 2005, S. 131), das sich, wie Jon Broome berichtet, bis heute nachhaltig, in einer robusten Nachbarschaft und jährlichen Straßenfesten erhalten hat (Broome, 2005, S. 72). 5.3.2 Der partizipative Entwurf und die Baufamilie Adaptiert und weiterentwickelt wurde Segals Partizipationsansatz unter anderem durch Peter Sulzer und Peter Hübner in Stuttgart. Sulzer führte das „System Segal“ weiter fort und hielt sich in den finalen ästhetischen Entscheidungen weitgehend zurück. Hübner verlagerte dagegen den Schwerpunkt der Partizipation von der praktischen Baubeteiligung wieder auf den Entwurf, für den er mit zunehmender Routine ein geordnetes und ständig wiederholtes, leicht variiertes Verfahren entwickelte. 5.3.2.1 Partizipative Konstruktion Walter Segal agierte als Architekt und als Hochschullehrer. Er unterrichtete an der Architectural Association School of Architecture in London (AA) (Blundell Jones, 2005, S. 130) und Kapitel 5.3 125 an der Universität Stuttgart. Der Architekt Peter Sulzer, der seit 1969 den dortigen Lehrstuhl 1 für Baukonstruktion und Entwerfen am Institut Baukonstruktion (ab 1979 gemeinsam mit Peter Hübner) innehatte, suchte nach Möglichkeiten, Segals Methode auf deutsche Standards zu übertragen Abb. 5.3.2.1 Prof. Peter Hübner, Prof. Peter Sulzer, Bauhäusle, Luftaufnahme und lud ihn 1976 ein, als Lehrbe- 1982, Studierende bauen ihr Studentenwohnheim im Rahmen ihres Architekturstudiums auftragter ein Kompaktseminar zu dem Thema „Experimentelles Bauen – Selbstbau” abzuhalten und dabei einen Prototypen im Selbstbau auf dem Versuchsgelände der Uni zu errichten. (Sulzer et al, 1983, S. 4) Dieses Projekt inspirierte Sulzer und Hübner dazu, das „Bauhäusle“, als studentisches Wohnprojekt in Stuttgart-Vaihingen mit Studierenden selbst zu bauen (Abb. 5.3.2.1 Blundell Jones). Julius Posener erinnert sich, dass Walter Segal dieses Projekt aufmerksam verfolgte und mehrmals dafür nach Stuttgart kam, um daran teilzuhaben (Posener, 1988, S. 41). Während die Lehrenden den Masterplan und das zentrale Gemeinschaftsgebäude, mit Küchen und Bädern, nach Segals Methode entwarfen, planten die Studierenden in kleinen Gruppen und unter Anleitung der beiden Professoren sowie neun wissenschaftlichen Mitarbeitern die einzelnen Zimmer in bewusst unterschiedlichen Stilen und Materialien (Blundell Jones, 2007, S. 138). Auch in diesem Fall waren die leitenden Architekten beglückt von der Kreativität der einzelnen Teilnehmer (Blundell Jones, 2007, S. 96) und deren starkem Drang zur Selbstverwirklichung (Blundell Jones, 2007, S. 20). Auch Hübner und Sulzer forderten keine ästhetische Konformität, sondern ließen Freiräume, in denen die Studierenden ihre Vorstellungen entfalten konnten (Blundell Jones, 2007, S. 16). Einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter, Jürgen Lecour, bemerkte dazu: „Ich habe festgestellt, dass die Studenten, die im ersten und zweiten Semester praktisch unbedarft auf die Baustelle gekommen sind, einen ziemlichen Erfindergeist entwickeln können, im Lösen von ganz praktischen Problemen ... [und] dass sie in ihrer Unbekümmertheit – wenn man sie unbekümmert lässt, oft ganz gute Lösungen zustande bringen“ (Letour zitiert nach Sulzer et al, 1983, S. 227). Sulzer und Hübner erkannten welchen hohen Wert die eigenhändige Fertigung von Dingen für das Selbstwertgefühl der Studierenden hat (Blundell Jones, 2007, S. 22), und stellten noch nach Jahren fest, dass der Geist der Partizipation und des Selbstbau auch in späteren Studentengenerationen, die in den Wohnungen wohnten, weiterlebt (Blundell Jones, 2007, 126 Kapitel 5.3 S. 20). Blundell Jones folgert daraus, dass das „Bauhäusle“, wie auch Walter Segals SelbstBauten, nicht nur ein Gebäude ist, sondern eine besondere Lebensweise verkörpert (Blundell Jones, 2007, S. 22). Das „Bauhäusle“ entstand in insgesamt 30.000 Stunden (Sulzer et al, 1983, S. 1) mit weit über 100 Studierenden und wurde nach drei Jahren Bauzeit 1983 fertiggestellt. Das Projekt hatte großen Einfluss auf die weitere Karriere der beiden Professoren. Beide hatten zuvor, vor allem im Systembau erfolgreich gearbeitet und wandten sich nach dem Erfolg des „Bauhäusle“, nach Segals Vorbild, verstärkt dem Selbstbau unter Nutzerbeteiligung zu. Sulzer plante 1985-1987 das Kulturzentrum einer Jugendchorgruppe in Landau. Nachdem das Gebäude als Gerüst gebaut war, also im Rohbau fertiggestellt war, bestimmten die ca. 80 Chormitglieder den weiteren Bauprozess stark in eigener Regie. Sie organisierten eigenständig das Baumaterial und bauten, unter Anleitung durch Sulzer, mit „ansteckenden Enthusiasmus“ (Blundell Jones, 1987, S. 73). Nach seinen Vorstellungen sollte, wenn die Hauptstruktur des Hauses erstellt und das Dach gedeckt ist, dem Laien-Selbstbauer eine Denkpause gewährt werden, um ihm die Chance zu geben, sich mit dem entstandenen Gebäude vertraut zu machen, damit er entscheiden kann, wie weiter gebaut wird, wo beispielsweise Öffnungen für Fenster und Türen vorzusehen sind und wie viele. Peter Sulzer zog daraus den Schluss, dass der Architekt maximal eine Organisationsstruktur vorgeben sollte, die die Nutzer dann auf eigene Weise füllen oder erweitern. Er sieht die Verantwortung der Architekten darin, die Baugenehmigungen einzuholen, für eine gesunde Struktur und architektonische Qualität zu sorgen. Schließlich sollen sowohl der Architekt als auch der Nutzer mit dem Endprodukt zufrieden sein. Partizipation bedeutet nach seinen Worten einen höheren Aufwand für den Architekten, da sie bei jedem Projekt anders verlaufe. (Sulzer, 2005, S. 149ff.) Diese Einschätzung teilt er mit Lucien Kroll. Ihre Projekte haben in ihren Ansätzen große Ähnlichkeit. 5.3.2.2 Planen und Bauen in der „Baufamilie“ Für Hübner wurde das Bauen nach dem „Bauhäusle“ vor allem zu einem sozialen Prozess. Mit diesem Schlagwort überschrieb er 2007 die Buchveröffentlichung seiner Bauten. Im Unterschied zu Peter Sulzer setzte er aber weniger auf das Selbstbauen der Nutzer , sondern konzentrierte sich auf einen gemeinsamen Entwurfsprozess mit den Nutzern. So entstanden seit 1983 eine ganze Reihe von Jugendclubs, Jugendherbergen, Kindergärten, Grundschulen, weiterführende Schulen und Sporthallen. (Blundell Jones, 2007, S. 38ff.) Für die Rolle, die der Architekt in einem solchen Prozess spielt, zog Peter Blundell Jones den folgenden Schluss: Kapitel 5.3 127 „Dann wird der Architekt nicht zum göttergleichen Schöpfer, sondern zu einer Art Hebamme bei der Geburt eines Bauwerks, indem er die Kräfte steuert, die nach Ausdruck verlangen, und Ihnen dann so eine konkrete Form verleiht“ (Blundell Jones, 2007, S. 98). In einem Interview mit der taz ergänzte Hübner: „Kinder sind es, die uns die Ideen geben. Wir sind allenfalls die Berater und diejenigen, die etwas umsetzen“ (Füller, taz, 12.2.2009). ... und kommt letztendlich zu der Aussage: die „Kinder bauen ihre Schule“ (Füller, taz, 12.2.2009). Nach den experimentellen Partizipationsprojekten der 1980er Jahre konzentriert Hübner das Beteiligungsverfahren der Nutzer auf meist zwei zweitägige Workshops. Der erste Workshop dient der Ideenfindung. Die Kinder sollen ein Verständnis für ihren Körper und dessen Bezug zum Raum entwickeln. Die Kinder vermessen sich gegenseitig, zeichnen ein maßstäbliches Abbild von sich selbst und bauen sich als Tonfigur im Maßstab 1:20. Nach der Sammlung von Wünschen für den Neu- oder Umbau ihrer Schule, werden deren Vor- und Nachteile gemeinsam mit Hübner abgewogen, und er diskutiert mit den Kindern die Größen, die Anordnung und die Ausrichtung der Räume nach der Sonne. Danach zeigt er den Kindern, wie die Räume konstruiert und die Schule aufgebaut werden könnte. Der Entwurf ihrer Schule findet also direkt vor ihren Augen statt. Dann bauen sie unter seiner Anleitung ein Holzmodell des Gebäudes aus standardisierten Holzelementen, die, mit Hilfe einer Schablone, von den Kindern angefertigt werden. Sie bauen mit den Anregungen des Architekten ihre zukünftige Schule im Maßstab 1:20 und können sich mit Hilfe ihrer Tonfiguren schon vorab in dem Gebäude bewegen, Situationen ausprobieren und Anregungen für Veränderungen geben. (Abb. 5.3.2.2 Hofmann) Aus den Ergebnissen dieses Workshops entwickelt Hübner mit seinem Architekturbüro (plus+ bauplanungen in Neckartenzlingen) den Entwurf bis zur Bauantrags- und Ausführungsreife. Die Räume werden genau gemessen und auf das Konstruktionssystem ausgerichtet, außerdem wird das Gebäude statisch berechnet. Danach treffen die Architekten wieder mit den Kindern zusammen, 128 Kapitel 5.3 Abb. 5.3.2.2 Prof. Peter Hübner veranstaltet mit Schülern einen Modellbau Workshop für die zukünftige Aula der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, 2008 und es entsteht wieder ein Modell im Maßstab 1:20, in dem die Kinder den Bau ihrer Schule, nach der Konkretisierung des Entwurfes ein zweites Mal nachvollziehen und entsprechend Anregungen geben können. Dominiert werden diese Workshops allerdings durch das konkrete Bauen des Modells und die damit verbundenen handwerklichen Probleme, deren Bewältigung die Kinder aber auch mit Stolz erfüllt. Nach seinen eigenen Äußerungen „ ... entsteht das Gefühl einer selbstbestimmten, maßgeschneiderten Entwurfslösung“ (taz, Füller, 12.2.2009), womit sich eine hohe Identifikation zwischen Nutzer und Gebäude, aber auch innerhalb der Gruppe der Beteiligten erreichen ließe. Peter Blundell Jones sieht das so: „die Gestalt der Schule in Verbindung mit dem erzieherischen Prozess entstehen zu lassen und so in der gesellschaftlichen Realität zu verankern“ (Blundell Jones, 2007, S. 98). Hübner sieht im Entwerfen und Bauen in der Gruppe eine wirksame soziale Methode, von der alle am Entwurf und Bau Beteiligten langfristig profitieren. Er ist überzeugt, dass „alle Beteiligten [der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck] das sichere Gefühl haben, dass auch die gebaute Umwelt wesentlichen Einfluss auf die hohe Lernbereitschaft, den liebevollen Umgang miteinander und das Gefühl von Zuhausesein und Heimat der neuen Schule hervorruft“ (Hübner, 2002, S. 10). Hübner folgt in seinem Partizipationsansatz treu dem Vorbild Segals. Seine Schulen tragen, auch wenn sie mit den Schülern entwickelt wurden, eine recht einheitliche architektonische Handschrift. Sie sind in der Regel als Holzskelettbau entworfen und gebaut worden und spiegeln Hübners Überzeugung, dass Schulen lebendige und anregende, kleinteilige, differenzierte und individuell nutzbare Orte sein müssen, unabhängig davon, ob diese Ziele an sich positiv oder negativ zu bewerten sind. Insofern ist für ihn das Bild der gewachsenen Stadt ein gutes Vorbild (Hübner, 2002, S. 9). 5.3.2.3 Architektonische Ästhetik, die Kreativität und der Stolz der Leute Peter Hübner, Peter Sulzer und auch Walter Segal stellten das ästhetische Erscheinungsbild ihrer Bauten als zweitrangig dar. Der Prozess des Planens und Bauens sollte im Vordergrund stehen, das Ergebnis könne in ihren Augen auch nicht „schön“ sein, wenn die Zufriedenheit der Bewohner oder Nutzer und deren Selbstverwirklichung, die Identifikation mit den Bauten und der Stolz über das selbst Geschaffene gegeben sei. Folgt man Segal geht es beim Bauen nicht so sehr um das Gebäude, als vielmehr um eine Lebensweise. Peter Blundell Jones resümiert: „An die Stelle eines Monologs des Entwerfers am Zeichentisch trat der Dialog – unvorhersehbar und unordentlich, aber voll Leben und faszinierend sowie in sozialer Hinsicht lohnend.“ (Blundell Jones, 2007, S. 96) und „Ein Bauwerk kann zum Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses werden, anstatt zu einem kühlen, ästhetischen Kunstwerk, das in Kapitel 5.3 129 seiner Ideologie gefangen bleibt“ (Blundell Jones, 2007, S. 22). Christopher Alexander, Lucien Kroll, Walter Segal, Peter Sulzer und auch Peter Hübner betonten, dass sie die Ästhetik ihrer Architektur nicht kontrollierten und ihren Formwillen zugunsten der Kreativität der zukünftigen Nutzer zurückstellten, um deren Identifikation und ihr daraus resultierendes Gemeinschaftsgefühl nicht zu stören. Diese Idee der Ästhetik hat ihre Wurzeln in den funktionalistischen Gestaltungsideen, die im ersten Drittel des Jahrhunderts entwickelt wurden: Nicht der Architekt soll die Form des Gebäudes bestimmen, sondern der Produktionsprozess. Das Funktionieren der Gebäude sollte eine höhere Priorität haben, als der „Formwillen“ des Architekten: Die Form folgt der Funktion. Segal, Sulzer und Hübner setzten an die Stelle der Funktion, den Prozess des Bauens mit den Nutzern. Doch trotz dieser Zurückhaltung sind ihre Bauten leicht durch ihr Erscheinungsbild zu identifizieren. Segal übersah unter Umständen, dass schon durch das Bausystem ästhetische Vorgaben gemacht werden. Und in den Workshops von Hübner ist zu beobachten, dass er den Kindern oftmals mehr erläutert, wie Architektur funktioniert, als dass er ihre räumlichen Vorstellungen und Bedürfnisse abfragt. 5.4 Partizipation durch Interaktion Alle bislang beschriebenen Partizipationsansätze halten ein System bereit, in das sich der Nutzer einbringt und damit die Vorgaben des Architekten akzeptiert und nicht mehr hinterfragt. Meist bedarf es einer weiteren Betreuung durch Architekten, auch in den Bereichen, die den Nutzern zur Selbstbestimmung überlassen bleiben sollten. Im Folgenden sollen partizipative Ansätze behandelt werden, bei denen Architekten mit ihren Kernkompetenzen offensiv auf die Laien zugehen. 5.4.1 Partizipation im Dialog der Expertisen Der italienische Architekt Giancarlo de Carlo hat mit seiner Publikation Architecture’s public bereits 1969 einen der Schlüsseltexte zum Thema Nutzerpartizipation verfasst. Er selbst war im Nachkriegswohnungsbau in Italien sehr aktiv. De Carlo geht von der These aus, dass sich die akademische Architektur zu sehr vom alltäglichen Leben entfernt und sich damit auch die Rolle des Architekten in der Gesellschaft verändert. Traditionell gab es nach seiner Einschätzung immer einen engen Kontakt der Menschen zu ihren Baumeistern. Handwerksmeister bezieht er dabei in seine Betrachtungen mit ein. Der moderne Architekt aber habe sich als Geschäfts- und Fachmann mit der ökonomischen oder politischen Macht verbunden (de Carlo, 2005, S. 5) und sich von den „kleinen Leuten“ entfernt. Er steht damit eher in der 130 Kapitel 5.4 Nähe des klassischen Bauherren, als in der des realen Benutzers von Wohnungen. Dies gelte auch für die Architektur der Moderne und ihre Protagonisten. Wenn die Architekten, mit dem sozialen Anspruch an ihre Arbeit, sozusagen die Seite wechselten und sich nicht mehr nach den Geldgebern richteten, sondern sich den „Überwältigten und Ausgeschlossenen“ (de Carlo, 2005, S. 13) zuwenden würden, dann könnte dies eine radikale Erneuerung der Architektur bedeuten. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass dafür die der Architektur „immanente Agression“ (de Carlo, 2005, S. 13) und die „Passivität der Nutzer“ (de Carlo, 2005, S. 13) zugunsten einer von Architekt und Nutzer gleichermaßen als wichtig erachteten Kreativität und Entscheidungsvollmacht weichen sollte. Das heißt, auch die Wünsche und die Ideen der Nutzer sollten gleichwertig und ungefiltert in den Entwurfsprozess einfließen. Wesentlich sei in diesem Prozess, dass auch der einmal gefundene Konsens nicht festgeschrieben werden dürfe, der Prozess müsse ständig offen gehalten werden. Die von ihm eingeführte „Kollektive Partizipation“ (de Carlo, 2005, S. 15) soll den Architekten in die Lage versetzen, die Bedürfnisse des Nutzers zu erkennen, und er sollte sich mit ihnen identifizieren können. Partizipation heißt für de Carlo nicht, für den Nutzer zu planen, sondern mit ihm. Zur besseren Erkenntnis von dessen Interessen schlägt auch er vor, eine wissenschaftliche Methode zu entwickeln. Eine Vielzahl komplexer Variablen sollte in die Beobachtungen, Vorschläge und Bewertungen einfließen und in einem prozessualen System bewertet und weiterentwickelt werden. Der Entdeckung der Nutzerbedürfnisse folgt nach seinen Überlegungen die Formulierung von Hypothesen und die Bewertung des Gebrauchs. Diese drei Phasen verlaufen nach de Carlo nicht einmalig von einem Punkt zum anderen, sondern sie wiederholen sich zyklisch: Sie stehen in einer kontinuierlichen Abfolge von Kontrolle, Feedback und Reformulierung. Das heißt, die Zielvorstellungen des Bauens werden erst während des Prozesses festgelegt und nicht durch den Architekten eingebracht. Die Entwicklung der Architektur endet nach den Vorstellungen von Gian de Carlo nicht mit der Fertigstellung des Gebäudes, mit dem der Nutzer sich dann mehr oder weniger arrangieren müsste, sondern der Architekt begleitet ihn auch durch die Ingebrauchnahme und korrigiert den Bau oder seine Einrichtung nach seinen Bedürfnissen. Eine herkömmlich autoritäre vorformulierte Architektur soll so durch eine prozessuale, mitbestimmt-entwickelte bauliche Umgebung ersetzt werden, die direkt im Zusammenwirken mit den zukünftigen Bewohnern entsteht. (de Carlo, 2005, S. 3ff.) Ein Beispiel für eine solche Art des Vorgehens ist die Arbeit des britischen Architekten Rod Hackney, der auf den von ihm betreuten Baustellen nur die Grundplatte der Gebäude betonieren lässt und den weiteren Entwurf mit den zukünftigen Bewohnern und den Handwerkern direkt auf der Baustelle verabredet. Er verzichtet bei seiner Arbeit auf Zeichnungen. Die Position der Wände, Türen und dergleichen werden direkt auf dem Beton markiert und nach weiteren mündlichen Verabredungen gebaut. (vgl. Abschnitt 4.3.2) Kapitel 5.4 131 Die Art und Qualität der Partizipation am architektonischen Entwurf hängt also auch sehr von der Haltung des Architekten selbst ab und davon wie gut das Vertrauen und das Kommunikationsverhältnis zwischen Entwerfer und Nutzer ist. In diesem Verhältnis wird dann auch festgelegt wie weit sich der Architekt mit seinen Kernkompetenzen, zu denen ja auch die Raumgestaltung und die Formfindung gehören, in diesem Prozess einbringen will, kann oder soll. Dieses von Architekt zu Architekt, Projekt zu Projekt sehr unterschiedliche Verhältnis soll in den folgenden Abschnitten exemplarisch erörtert werden. Ein aktuelles Beispiel für die von de Carlo geforderte Ausrichtung des Bauens ist die Arbeit des Architekturbüros BKK-3. Das Büro hat mit dem Projekt „Sargfabrik“ und dessen Erweiterung „Miss Sargfabrik“ einiges Aufsehen auf dem Gebiet der Nutzerpartizipation in der Architektur erwirkt, zumal gerade in der Gestaltung ein hoher Anspruch erkennbar ist, sie mit einer relativ großen Nutzergruppe von ca. 30 Personen umgegangen sind und das Gebäude ein breites Nutzungsspektrum abdeckt. In dem Gebäude sollte nicht nur gewohnt werden, es sollte auch eine gewerbliche Nutzung stattfinden und es ist ein Schwimmbad in den Komplex integriert worden. (Abb. 5.4.1 (1) BKK-3) Das Projekt wird von einer Gruppe engagierter privater Bauherren getragen, deren Mitglieder genaue Vorstellungen von der gebauten Realität hatten. Das machte den Architekten die Kommunikation mit den Nutzern relativ leicht, zumal auch die Abstimmungsprozesse gut strukturiert erschienen. Entwurfliche Entscheidungen wurden mit Hilfe räumlicher Simulationen und lebensgroßer Modellen (im Maßstab 1:1) getroffen, die den Bewohnern auch die Möglichkeit von Probeübernachtungen boten. Außerdem verwendeten die Architekten ein Achsensystem, das den Bewohnern die Bestimmung der Wohnungsgröße erleichterte. Wesentlich für das Projekt war auch die soziale Organisationsstruktur der Baugruppe, die nicht nur die Erstellung des Gebäudes, sondern auch dessen Betrieb managt. Interessant ist hier besonders der Betrieb des Schwimmbades, das als ein Club organisiert ist. Die Clubmitglieder können Freunde mitbringen. Es ist so extern, halböffentlich orientiert, wodurch keine Aufsicht notwendig ist und das Bad kann kostenneutral betrieben werden. (Winter, 2004, S. 187ff.) Ein weiteres Beispiel für die direkte, in diesem Fall sehr direkte, Kooperation von Architekten und Nutzern beim Planen und Bauen ist der Arbeitsansatz von Rural Studio in den USA. Das Rural Studio ist eine Außenstelle der Auburn University, Alabama (USA), in der Studierende für jeweils ein Jahr mit den etwa 200 Bewohnern des Ortes Newbern, im einkommensschwachen Randbezirk von Hale County zusammenleben und für die Bedürftigen Bauprojekte realisieren (Abb. 5.4.1 (2) Oppenheimer Dean). Die Studierenden entwerfen und bauen 132 Kapitel 5.4 Schnitt AA Ebene 1 Schnitt BB Ebene 5 Abb 5.4.1 (1) Bkk-3, Miss Sargfabrik, Wien, das Gebäude zum Leben, Wohnen und Arbeiten wurde gemeinsam mit den Nutzern geplant nicht alleine für die Leute, sie leben mit ihnen für eine bestimmte Zeit. Die Studierenden sind dabei in sehr engem Dialog mit den Klienten, erfahren deren Wünsche, Eigenarten und Gewohnheiten sehr konkret und können sie so auch in den Entwurf direkt umsetzen. Beispielsweise regte die starke Religiosität eines der Klienten den mit ihm arbeitenden Studenten dazu an, Fenster in sein Haus einzubauen, die stark an Kirchenfenster erinnern, womit so Kapitel 5.4 133 etwas wie ein unausgesprochener Wunsch erfüllt werden konnte. Die Studierenden lernen durch den engen Kontakt mit den Nutzern, ihre eigenen, vielleicht zu engen Gestaltungsvorstellungen auf die Bedürfnisse der Klienten zu beziehen und sich von ihren eigenen Lebens- und Klischeevorstellungen darüber, wie ihre Bauherren leben wollen, zu distanzieren. Das Einbeziehen der Nutzer in den Entwurf und den Bau ihrer Gebäude ist ein wesentliches Element der Arbeit im Rural Studio. (Freear, 2004, S. 215ff.) Sein Direktor Andrew Freear betont: „Je mehr sie einbezogen sind, emotional, physisch oder finanziell, umso mehr kümmern sie sich auch darum, die Sache in Schuss zu halten. Und umso mehr entspricht es ihren Wünschen“ (Freear, 2004, S. 219). (Abb. 5.4.1 (3) Oppenheimer Dean) Abb. 5.4.1 (2) Rural Studio, Lucy`s Haus steht isoliert, der einzige Nachbar ist der Wohnwagen eines Verwandten Abb. 5.4.1 (3) Rural Studio, das Haus für Music Man Die Mitwirkung der Nutzer führt also zu einer stärkeren Identifikation mit der Architektur. Von „Partizipation“ möchte Freear allerdings nicht sprechen, dafür hätten seine Klienten zu wenig Zeit. So bleibt den Architekten respektive den Studierenden der Architektur die Aufgabe, ihren Bauherren im klassischen Sinne genau und einfühlsam zuzuhören, um ihre Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen zu erfahren. (Gespräch Susanne Hofmann mit Freear, Dezember 2008) 5.4.2 Partizipation als Bricolage der Expertisen Ein partizipativer Entwurfsprozess sollte die Nähe von Nutzer und Architekten also betonen, aber in welchem Verhältnis stehen ihre Expertisen? Bestimmt der Nutzer den Entwurf, übernimmt der Bürger sozusagen die Kontrolle über das Baugeschehen? Sollte der Architekt die entwurflichen Entscheidungen weiterhin tragen und sich die letzte Entscheidung vorbe134 Kapitel 5.4 halten? Der amerikanische Architekturtheoretiker Henry Sanoff betont die Gegenseitigkeit des Partizipationsprozesses, von dem nach seinen Beobachtungen Architekten wie Nutzer profitieren. Der Nutzer hat so die Möglichkeit, das Wissen des Architekten aktiv zu transformieren und so auch auf den Entwurf Einfluss zu nehmen. (Till, 2005, S. 26) „The knowledge of the user-expert is necessary as to state the obvious and the commonplace in order to expand the narrowness of vision often found in highly trained people” (Sanoff zitiert nach Till, 2005, S. 38). Die Hochschullehrer Tim Richardson und Stephen Connelly am Department of Town and Regional Planning an der University of Sheffield betonen, dass es keinen idealen Konsens gibt. Bei einem konfliktreichen Planen, wie in einem partizipativen Prozess, müssen die bestehenden Unterschiede anerkannt werden. Nutzerbedürfnisse können nie direkt umgesetzt werden. Das würde bedeuten, Planer und Architekten entzögen sich ihrer professionellen Verantwortung. Es sollte stattdessen fachliche Ehrlichkeit vorherrschen und Verantwortung übernommen werden. Gleichzeitig stellen sie heraus, dass für die Nutzer das Gefühl der Beteiligung an sich schon sehr wichtig ist, um sich mit dem späteren Bauwerk identifizieren zu können. Der Grad der Beteiligung oder die Art des Einflusses sind nach ihren Beobachtungen zweitrangig. (Connelly/Richardson, 2005, S. 98f) Die französische Soziologin Anne Querien spricht in diesem Zusammenhang von einem abstrakten Plan, auf dem sich die Sehnsüchte und Wünsche der Leute abbilden. Der Austausch über die unterschiedlichen Vorstellungen, das Teilen und das Mitteilen des Wissens wird so zu einem kreativen schöpferischen Akt. Da die Akteure nicht denselben Hintergrund haben -sie alle haben ein unterschiedliches Wissen- lebt dieser Prozess von dem Dialog des Unterschieds. Das Fachwissen wird dabei nicht als höherwertig angesehen, als das Alltagswissen der Nutzer. Es reicht nach Auffassung von Querien nicht aus, die Wünsche, Vorstellungen und Interessen zusammenzutragen und sie auf einer „Agora“ zu präsentieren. Entscheidend ist der Dialog über die Unterschiede und die daraus resultierende gemeinsame Arbeit, die in einem gemeinsamen sozialen Raum, einem von ihr sogenannten „shared space“ zusammengetragen wird. (Querien, 2005, S. 113f) Die Stadttheoretikerin Katherine Vaughan Williams der interdisziplinären britischen Architekten- und Künstlergruppe Muf schlägt vor, die Arbeit von Künstlern im Prozess der Rekreation von urbanen Nachbarschaften einzusetzen, um einen kreativen Prozess der Gemeinschaftsbildung zu forcieren. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf eine gemeinsame Aktion mit Kürbissen, die einfach nur im städtischen Raum platziert wurden. Die geKapitel 5.4 135 meinsame Erinnerung in der Nachbarschaft an diese Aktion war so stark, dass sie schon ein Stück Gemeinschaft herstellte. (Vaughan Williams, 2005, S. 217) Der in London praktizierende niederländische Architekt Raoul Bunschoten hat mit dem „urban curating“ oder „urban curation“ (Begriff nach Architektin Meike Schalk), mit dem „städtischen Kuratieren“, ein neues Planungswerkzeug entwickelt: Der Architekt kümmert sich als städtischer Kurator um die Geschichten, Sehnsüchte, Wünsche und Vorstellungen der Leute, der „urban stakeholder“, also auch der städtischen Institutionen, der Bauherren sowie der Nutzer, und stellt sie in einen neuen urbanen Kontext. (Schalk zitiert nach Petrescu, 2005, S. 56f) Diese Methode stellt nach Einschätzung von Doina Petrescu die Partizipationsansätze, die auf eine konventionelle Rahmung setzen, infrage und öffnet den Beteiligungsprozess für eine höhere Heterogenität der Strukturen und einen stärkeren Austausch in der kreativen Praxis (Petrescu, 2005, S. 57). Für die Architektin und Architekturtheoretikerin Doina Petrescu ist das partizipative Entwerfen eine „kollektive Bricolage“, in der alle Beteiligten, wie der Bauherr, die Nutzer und die Entwerfer gemeinsam an einem Projekt arbeiten, mit all ihren heterogenen Bedingungen und Anforderungen, und es dabei weiter entwickeln (Petrescu, 2005, S. 45). Der Prozess erscheint ihr dabei wichtiger, als sein Ergebnis, denn Wünsche und Sehnsüchte der Beteiligten können eine stark wirkende Kraft der Veränderung sein. Deshalb sollten städtebauliche Planungen diese „mikrogesellschaflichen Einheiten“, wie Nachbarschaften, informelle Gruppen, Hausbesetzergruppen oder andere selbstverwaltete Organisationen etc. einbeziehen. Es sollten also nicht nur kommerzielle Werte der Stadtentwicklung, sondern auch existenzielle Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Sehnsüchte in die Entwicklung der Projekte einfließen. Die Rolle des reinen Nutzers vorgegebener baulicher oder städtebaulicher Strukturen sollte ausgetauscht werden gegen die eines intervenierenden und damit in den Prozess eingebundenen Bürgers. (Petrescu, 2005, S. 47) Partizipation sollte die Besonderheit eines jeden Projektes berücksichtigen. Deshalb schlägt Petrescu eine „transversale Partizipation“ (Petrescu, 2005, S. 49) vor, die alle gesellschaftlichen Schichten einbindet und auch fähig ist, nicht nur vorhersehbare Symptome aufzufangen, sondern auch unerwartete und sich ständig weiterentwickelnde Reaktionen aufruft und wieder einbindet. Ziel eines Partizipationsprojektes sollte deshalb auch nicht die totale Übereinkunft aller Beteiligten sein, sondern es sollte offen bleiben für unerwartete Ereignisse. (Petrescu, 2005, S. 49f) Wesentlich ist für Petrescu auch der Rahmen, in dem Partizipation organisiert wird. Er trägt sehr zum Ergebnis des Prozesses bei. Als Beispiele führt sie die Projekte „Ecobox“ in La Chappel, einem Vorort von Paris (Petrescu, 2005, S. 50ff.), und „Park Fiction“ in Hamburg-St. Pauli an (Petrescu, 2005, S. 56). Während „Ecobox“ ein sich ständig wandelnder, 136 Kapitel 5.4 selbstorganisierter Garten ist, an dem die Gemeinschaft, die sich um ihn bemüht, ständig weiterarbeitet und sich selbst dabei auch permanent verändert, war „Park Fiction“ ein einmaliges Projekt zur Durchsetzung und Gestaltung einer Parkanlage (Petrescu, 2005, S. 50ff.) in extrovertierter Lage, mit Blick auf den Hamburger Hafen (Abb. 5.4.2 (1) Park Fiction). Abb. 5.4.2 (1) Park Fiction, Dauerpicknick gegen Gentrifizierung, Hamburg Hier ging es sehr darum, auch Leuten Gehör zu verschaffen, die sonst wenig Berücksichtigung finden. Die Gruppe um die Künstler und Anwohner des Stadtteils Christoph Schäfer und Margit Czenki (Anm.: der außerdem, nach dem Katalog der Documenta 11, Günter Greis, Dirk Mescher, Thomas Ortmann, Klaus Petersen, Sabine Stoevesand und Axel Wiest angehörten) nahm einen im Stadtteil sehr präsenten und lange gehegten Wunsch nach einer Grünfläche, nach einem Park auf. Der sollte auf dem Dach einer neu gebauten Turnhalle und auf benachbarten Flächen mit freiem Elbblick, also einem für die Immobilienwirtschaft hoch attraktiven Grundstück, entstehen. 1997 beauftragte die Stadt Hamburg eine Gruppe von Künstlern und Anwohnern mit der Planung des Parks. Der Architekt Günter Greis arbeitete in der Gruppe mit, nahm dabei aber keine dominante Rolle ein. Die Gruppe aktivierte nicht nur ihre Nachbarn, sondern überzeugte auch Lehrer der nahe gelegenen Schule, Mitarbeiter und Teilhaber an sozialen Einrichtungen, holte Gastronomen und Clubbesitzer ins Boot und startete ein Planungsspiel mit sehr unterschiedlichen Komponenten, um die Wünsche der Bewohner erfassen und dokumentieren zu können. Sie zogen mit einem Planungskoffer, ausgestattet mit einem Tonbandgerät, Zeichenstiften, Knetmasse, Fragebögen und einem Modell der Elbuferbebauung von Haus zu Haus. Es wurde eine „Hotline für Ideen“ eingerichtet, die auch noch in der späten Nacht angerufen werden konnte. Das Entwickeln, das Formulieren der Wünsche, ihr Ausdruck und ihre Umsetzung wurden zum Herzstück des Projektes. Aus den Wünschen entstand ein „Wunscharchiv“ (Abb. 5.4.2 (2) Park Fiction). Für die Umsetzung in eine gebaute Realität wurde nicht nach einem Kompromiss gesucht oder um einen Mehrheitsbeschluss gerungen. Ziel war es vielmehr, die Vielstimmigkeit der Wünsche sichtbar werden zu lassen. Der offene Entwurfsprozess beförderte ein gemeinsames Filtern und Verschmelzen der Wünsche. Es ging um eine sehr direkte und bildliche Umsetzung der Anwohnerwünsche und nicht darum, Qualitäten zu diskutieren und sie mit Hilfe von Architekten umzusetzen. Die Rolle der Künstler und Architekten war hier programmatisch nicht differenziert. (Mennicke, 2002, S. 180) Für beide Projekte gilt, dass ihre Präsenz im öffentlichen Raum sehr zu ihrer Wirkung in die Kapitel 5.4 137 Stadtteile hinein beigetragen und ihre Bewohner zur Teilnahme ermutigt hat. In Hamburg steht den Bewohnern nun eine komfortable Parkfläche zur Verfügung, die von ihnen auch betreut wird. Die „Ecobox“ nahe Paris ist ein Ort der ständigen Interaktion und Partizipation. Petrescu sieht deshalb in landschaftsplanerischen Projekten der genannten Art den Vorteil, dass sie einfacher partizipativ organisiert werden können, wodurch eine schnelAbb. 5.4.2 (2) Park Fiction, Wunscharchiv lere, überschaubare und einfachere Abwicklung möglich wird (Petrescu, 2005, S. 58). Petrescu betont, dass bei einem derartig generierten Prozess der Partizipation die Leute ermächtig werden, ihre, vielleicht noch unbewussten, Wünsche zu formulieren, sie sozusagen sichtbar zu machen. Sie nennt diesen Prozess „imaginary production“ (Petrescu, 2005, S. 60). Die Einbildungskraft der Leute, egal welchen Alters, werde so zu einem Motor der Gestaltung. Architekten und Planer müssten dafür einen Teil ihrer Kontrolle aufgeben, um den Wünschen der Planungsbetroffenen Raum zu geben. „loosing control, keeping desire“. (Petrescu, 2005 passim) 5.4.3 Transformative Partizipation der Expertisen Jeremy Till hat sich in seinen Untersuchungen vor allem auf städtebauliche und auf die Stadtentwicklung bezogene Planungsprozesse konzentriert und ist dabei weniger auf Gebäudeentwürfe eingegangen. Seine Betrachtungen und die von ihm benutzte Dialektik von Begriffspaaren, wie inklusiv/exklusiv, demokratisch/autoritär oder bottom-up/top-down sind auch auf den Architekturentwurf übertragbar (Till, 2005, S. 37). Er weist, im Gegensatz zu Doina Petrescu, dem Architekten im partizipativen Entwurfsprozess eine bedeutendere Rolle zu. Er soll die wohl-recherchierten und ernsthaft abgewogenen Nutzerwünsche in seinem Entwurf mit Hilfe seiner Kernkompetenzen in gebaute Realität umsetzen. Till beschreibt die Partizipation als eine Bedrohung normativer Architekturwerte und fordert dazu auf, diese Irritation als eine Wiederbelebung der Architekturpraxis zu begreifen. Dabei zeigt er ein breites Spektrum von Partizipationsformen auf. Es reicht von einer wirklichen Kontrolle durch den Bürger bis zu solchen Beteiligungsformen, denen er lediglich einen Alibicharakter („token participation“, Till, 2005, S. 25) bescheinigt. Die Wahl, welche Form im Planungsprozess zum Tragen kommt, trifft nach seinen Beobachtungen in jedem Fall der klassische Entscheidungsträger, also der Bauherr, und oft wird den Betroffenen oder den 138 Kapitel 5.4 Nutzern der neu entstehenden städtischen oder baulichen Strukturen nur das Gefühl gegeben, den Entwurfsprozess zu beeinflussen. Damit kann die Akzeptanz des Entwurfs unter Umständen dennoch gesteigert werden, und solche Prozesse erziehen den Nutzer eventuell auch zu einem gefälligen Teilhaber des Prozesses, allerdings ohne, dass er seinen eigenen Bedürfnissen näherkommt. Das Fachwissen der Planer und Architekten und das von Jeremy Till so genannte „stillschweigende Wissen“ („tacit knowledge“, Till, 2005, S. 27) der Laien haben in der Regel keine gemeinsame Ebene. Die Kommunikation dieser beiden Gruppen beruht auf einseitig festgelegten Codes und Konventionen, die den Planern und Architekten auch bei bestem demokratischen Willen die Macht sichern würden. Eine ernsthaft betriebene Partizipation müsste aber gerade hier ansetzen und eine Ausgewogenheit des Wissens und der Macht anerkennen. (Till, 2005, S. 25ff.) Till sieht das in einer „transformierenden Partizipation“ („transformative participation“, Till, 2005, S. 27) gegeben, von der der Planer oder Architekt genauso profitiert wie der Nutzer. Darunter versteht er vor allem eine gegenseitige Teilhabe an dem auf beiden Seiten vorhandenen Wissen. Schließlich hilft es dem Nutzer nicht, wenn er das Expertenwissen des Architekten nicht anerkennt und ihn zu einem bloßen Techniker oder Manager degradiert, statt auf seine Hilfe zu bauen, um neue räumliche Visionen zu entwickeln. Der Nutzer könne sonst seine unausgesprochenen Wünsche und architektonischen oder räumlichen Vorstellungen nicht artikulieren beziehungsweise verwerten. Dafür reicht es nach Tills Auffassung nicht aus, das architektonische Wissen lediglich transparent zu machen, wie es das „Design Methods Movement“ (vgl. Abschnitt 3.1.2) ursprünglich vorgeschlagen hatte. (Till, 2005, S. 27f) Der fachliche Diskurs über Architektur hat sich nach Jeremy Till zu weit vom Alltag der Gesellschaft entfernt, als dass es den Architekten möglich wäre, direkt auf konkrete Wünsche und Bedürfnisse der Menschen einzugehen (Till, 2005, S. 31). Partizipation könnte, wenn sie einen wirklichen Austausch zwischen Architekt und Nutzer zur Grundlage hätte, Abhilfe schaffen. Architekten sollten dafür den Nutzer und das zu planende Gebäude nicht länger als „gegeben“ betrachten, sondern vielmehr integrativ ansetzen. Der Architekt wandert dann aus seiner Experten-Welt in die Alltagswelt des Nutzers und zurück. Wenn eine wirkliche Zweiseitigkeit besteht, kann der Architekt von den Nutzern lernen und ihr Wissen als Potenzial für die Entwicklung der Architektur nutzen. Die Grenzen und Zwänge, die das Fachwissen setzt, könnten so produktiv überwunden und an anderen Stellen neu definiert werden. (Till, 2005, S. 30ff.) Der Nutzer stört so die selbstgenügsam errichtete „Komfortzone“ („comfort zone“, Till, 2005, S. 1) des Allwissens und der Allmacht, die sich Architekten gerne vorbehalten, konstruktiv und kann neue Perspektiven eröffnen. (Till, 2005, S. 1) Till nennt diesen Prozess „Verhandlungen über den Ausblick in die Zukunft“ („negotiation of hope“, Till, 2005, S. 35). Kapitel 5.4 139 Die Architekten sollten das Verständnis des Entwurfes als ein Prozess zur Lösung von Problemen in ein Vorgehen wandeln, das architektonisches Wissen aus dem Kontext heraus und im gegenseitigen Verständnis von Architekt und Nutzer entwickelt. Dafür sind neue Kommunikationsmittel notwendig, die jenseits des üblichen Vokabulars und festgelegter Codes funktionieren. (Till, 2005, S. 35f) Die damit verbundene Ungewissheit, Unschärfe beinhaltet genau die Eventualitäten, die eine kreative Architekturpraxis braucht. (Till, 2005, S. 37) Die in London ansässige Gruppe „AOC“ (vgl. Abschnitt 4.5.1) arbeitet sehr intensiv mit der Nutzerpartizipation an ihren Entwürfen. „AOC“ steht für „Agent of Change“, was sich mit „Agent für Veränderung“ übersetzen ließe. Somit trägt die Gruppe ihr Konzept bereits im Namen. Die Mitgleider sehen sich selbst als Anwälte der Nutzerinteressen und sind deshalb nicht nur mit dem architektonischen und städtebaulichen Entwurf befasst, sondern auch mit dem Entwurf von Kommunikationsstrukturen und Beteiligungsverfahren. Von diesen Prozessen müssen vielfach auch die Bauherren überzeugt werden, die einen zu großen Aufwand durch die Nutzerbeteiligung befürchten. Es gilt also, entsprechend vorsichtig mit den auf das Projekt abgestimmten Methoden zur Informationsbeschaffung umzugehen. In der Gruppe arbeiten deshalb auch nicht nur Architekten und Urbanisten, sondern auch eine Kulturwissenschaftlerin als „kulturelle Dolmetscherin“. AOC sieht ihre Rolle aber nicht auf die Moderation der Nutzerwünsche und die Organisation des Bauens beschränkt. Der entwerfende Architekt spielt mit seiner kreativen und visionären Kraft in ihren Projekten eine wesentliche Rolle. Für sie ist Architektur zwingend mit dem Alltag verbunden, entsteht aus den Bedingungen des Umfeldes und wächst gleichzeitig in sie hinein. In einer an der TU Berlin 2009 gehaltenen Vorlesung beschrieb Daisy Froud (Kulturwissenschaftlerin im Team von AOC) den Ausgangspunkt ihrer Architektur als eine ungeordnete Folge von ausgedehnten Gesprächen, die schließlich eine gebaute Form generieren, wenn man sie mit dem Bauherrenvorgaben, den Bauvorschriften und dem Budget überlagert. Mit „Mess maximises Potential“ („Unordnung maximiert die Möglichkeiten“) beschrieb sie diesen Prozess. Die Unordnung des Alltags bereichert für sie den Entwurfsprozess und stellt den Architekten, als „Schöpfer neuer Welten“ keineswegs infrage. Das Bekenntnis zum partizipatorischen Entwerfen bedeutet hier nicht, auf einen professionellen Entwurfsansatz zu verzichten. Der Architekt liefert dabei mit seinen Fähigkeiten und seinem Wissen allerdings nur eine besondere Expertise, die mit der Expertise, den Fähigkeiten und dem Wissen der Leute vor Ort sowie dem Wissen anderer Berater und „Stakeholder“ (Interessensvertreter und Akteure) kombiniert wird. AOC ist davon überzeugt, dass Partizipation während des gesamten Entwurfprozesses zu einem insgesamt besseren Endprodukt führt. Der Architekt agiert dabei als Katalysator oder eben als Agent für Veränderungen. Es ist deshalb logisch, wenn AOC die Architektenarbeit nach der Fertigstellung eines Gebäudes nicht als beendet ansieht. Die Mitglieder versuchen, mit ihrer Architektur so etwas wie einen suggestiven Raum anzubieten, einen Raum, der 140 Kapitel 5.4 vieles ermöglicht und seine Nutzer zu unterschiedlichen Interpretationen inspiriert. Ihre Projekte und Methoden, unterschiedlichste Leute an der Veränderung ihrer Umwelt partizipieren zu lassen, haben deshalb eine große Bandbreite: Sie reichen von Ausstellungsprojekten, wie der „Operation Soapbox“ in der Royal Festival Hall in London, bis hin zu komplexen Informations- und Beteiligungsprozessen in der Entwurfsphase des mobilen Veranstaltungssaals „The Lift“, von stadtplanerischen Spielen, wie dem „Building Futures Neighbourhood Regeneration Game“ (vgl. Abschnitt 4.5.1), bis hin zu Partizipationsprozessen mit Kindern, wie für den Umbau der Charles Dickens Grundschule in London. Entscheidend für den partizipatorischen Entwurfsprozess ist für AOC die Auswahl der Werkzeuge und der Kommunikationsmethoden, die eine unterschiedliche Wahrnehmung der Realität durch die Leute aufnehmen und kommunizieren können. Es ist erklärtes Ziel, zu einer „gemeinsamen Realität“ oder „gemeinsamen Realitäten“ („shared realities“) zu gelangen. So werden Imaginationen und Ideen gesammelt, die dann eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Realität ergeben. Es geht ihnen allerdings nicht darum, einen Kompromiss, also den kleinsten gemeinsamen Nenner oder die kleinste übereinstimmende Schnittmenge zu finden, sondern aus den unterschiedlichen Wunschvorstellungen, den differenzierten „making best sense“ (Till, 2005, S. 39) zu entwickeln. Ein besonders komplexes Beispiel für einen von AOC durchgeführten Partizipationsprozess stellt zweifelsohne der Entwurf für „The Lift New Parliament“ dar. Es sollte ein innovativer Theater-/Performance- und Begegnungsraum für 200 Besucher entwickelt werden, der sich innerhalb von drei Tagen an jedem beliebigen Ort aufbauen und wieder abbauen lässt und dessen Bestandteile in zwei Eurocontainern Platz finden. Das Budget sah einen engen Kostenrahmen von nicht mehr als 400.000 Pfund vor. (Froud, Mitschnitt einer Vorlesung an der TU Berlin vom 16.01.2010) Der partizipatorische Prozess sollte nicht nur zu einem neuartigen Gebäude, sondern auch zu einem neuartigen Programm der Begegnung und des Austausches führen. Jeremy Till stellt als Besonderheit heraus, dass das Projekt weder von staatlichen Stellen noch von marktwirtschaftlichen Kräften getragen wurde, sondern allein aus einem zivilgesellschaftlichen Entwicklungsprozess heraus entstanden ist. Das „Lift New Parliament“ ist also per definitionem ein politisches Projekt. (Till, 2006, S. 2) Eine der wesentlichen Herausforderungen des Projektes war es also, die alternative demokratische Konstellation, die hinter dem Projekt steht, zu verräumlichen. Till betont weiter, dass dieses neue Parlament architektonisch nicht „repräsentieren“ (Till, 2006, S. 2) soll, sondern als ein räumliches Set neuer gesellschaftlicher Dynamik zu verstehen ist. Indem das „Lift New Parliament“ das „Andere“, die „Eventualitäten“ und die „Unterschiede“ (Till, 2006, S. 2) akzeptiert, gibt es die „Architekturbesessenheit mit stabiler Form und Technik Kapitel 5.4 141 auf“ (Till, 2006, S. 2). Startpunkt im Jahre 2006 war ein Wettbewerb, den AOC mit ihrem Konzept für sich entscheiden konnte. Bereits in der Wettbewerbsphase war eine sorgfältige Differenzierung der Partizipationsphasen notwendig: Wie kann ein Wettbewerbsbeitrag aussehen, der dem Auftraggeber eine Entscheidungsgrundlage bietet, aber eine nachfolgende Partizipation nicht ausschließt? Wann und wie kann der Nutzer beteiligt werden? Wer wird als künftiger Nutzer in den Partizipationsprozess eingebunden, für ein Gebäude, das keinen festen Standort hat und eine hohe Frequenz unterschiedlichster Besucher vorsieht? Der Wettbewerbsbeitrag von AOC gab die grobe Gebäudeform, das Baumaterial und das Konstruktionsprinzip sowie die Komponenten des Bauwerkes vor. Wobei die einzige, in dem engen Budgetrahmen realisierbare, Konstruktionsart eine Zeltkonstruktion darstellte. Das Bild eines Hutes, der auf mehrere Köpfe passen und durch leichte Modifikationen sein Aussehen verändern sollte, fungierte als gestalterische und konzeptionelle Leitidee. Der Hut illustrierte gleichzeitig den thematischen Rahmen des Gewinnerentwurfes von AOC. Die Details der einzelnen Komponenten sollten dann durch den Partizipationsprozess genauer definiert werden. Dafür wurden rund ein Dutzend repräsentativ ausgewählte Nutzergruppen mit insgesamt 200 Anwohnern aus der East London Regeneration Area, dem ersten für das Projekt vorgesehenen Standort aktiviert. Dabei wurde auf eine weit gefächerte Teilnehmerstruktur Wert gelegt, die nach Alter, Bildungsstatus, soziokulturellen Hintergründen etc. gut gemischt sein sollte. Sowohl Rentner als auch Kleinkinder, körperlich Behinderte sowie lernbehinderte Kinder, Menschen mit migrantischem Hintergrund und viel mehr nahmen an diversen Workshops und Gesprächsrunden teil. Eine wichtige, zeitraubende aber effektive Methode war das direkte Gespräch. AOC stellte dabei fest, dass die Art, in der man kommunizierte, sehr wichtig war. Die Art, über Architektur zu sprechen, schien genauso wichtig zu sein, wie das tatsächlich gebaute Objekt. Es galt, schon im Vorfeld eine Beziehung zu dem zukünftigen Gebäude aufzubauen. Die HutGeschichte erwies sich dabei als sehr erfolgreich, jeder Befragte konnte schnell einen Bezug zu dem geplanten Gebäude aufbauen. AOC vermied es aber, mit den Leuten zusammen das Haus direkt zu entwerfen. Das Team dachte mit ihnen vielmehr gemeinsam darüber nach, wie es sich anfühlen würde, wie es funktionieren sollte und welche Aktivitäten darin möglich sein sollten. Um die Vorstellungen über das Gebäude möglichst vage zu halten, sollte die Auseinandersetzung mit dessen Qualitäten möglichst abstrakt bleiben. Dadurch wollte AOC spätere Enttäuschungen verhindern, zumal für den Bau nur ein kleines Budget zur Verfügung stand. Auch dafür musste ein angemessener Rahmen gefunden werden. (Abb. 5.4.3 (1) AOC) 142 Kapitel 5.4 Abb. 5.4.3 (1) AOC, Lift Parliament, Lift Sharing Event Konfrontiert mit einer großen Bandbreite sich auch widersprechender Meinungen, Wünsche und Vorstellungen beschloss AOC, nicht ein einzelnes Gebäude zu entwickeln, das allen Ansprüchen gerecht wird oder ihrem Durchschnitt entspricht, sie suchten vielmehr nach den Gemeinsamkeiten der Wunschvorstellungen (vgl. „making best sense“, Till, 2005, S.39). Eine, nach vielen Workshops festgestellte, Gemeinsamkeit bestand zum Beispiel in dem scheinbaren Widerspruch, ein öffentliches, für jeden zugängliches Gebäude zu wollen, das gleichzeitig dieselbe Gemütlichkeit ausstrahlt wie Zuhause, also so etwas wie ein „öffentliches Wohnzimmer“. Nach der Sammlung von Wünschen galt es, Prioritäten zu setzen. Dafür gab es wiederum eine Vielzahl von Workshops, von denen drei Arbeitsabschnitte und drei Methoden hier exemplarisch vorgestellt werden sollen. In einem Workshop sollte eine Gewichtung und Zuordnung der einzelnen, als wünschenswert erachteten, Funktionen des Gebäudes festgelegt werden. Kinder stellten dafür lebensgroße Zeichnungen ihres Körpers her, indem sie ihre Umrisse auf großformatigem Papier nachzogen. Die einzelnen, bislang erarbeiteten, programmatischen Vorschläge, sollten nun von den Kindern auf einzelne Körperteile übertragen werden, sodass festgestellt werden konnte, welche das Herz, der Kopf oder das Rückgrat sein sollten. Durch diese Kartierungsmethode entstanden eindrucksvolle „Körpergrundrisse“. (Abb. 5.4.3 (2) AOC) Kapitel 5.4 143 Beispielhaft für diese Phase ist auch das „Kofferspiel“ zur Prioritätensetzung der vielen Wünsche für das Gebäude. Aus den gesammelten Gebäudekomponenten, wie Toiletten, Kochgelegenhei(2) AOC, Lift Parliament, Workshop mit Kindern, Kartierung Körperten, Bühne oder Computerarbeits- Abb. 5.4.3welche Körperteile oder Organe entsprechen welchen grundriss, plätze sollten die Workshopteil- Gebäudeabschnitten? nehmer je fünf auswählen, die sich ihrer Meinung nach im Gebäude wiederfinden sollten. Dazu hatte AOC Icons entwickelt, die die Teilnehmer in einen Koffer legten. Ein weiteres erfolgreiches Werkzeug war, die räumlichen Simulationen, der bis zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffenen Entwurfsentscheidungen, in einem lebensgroßen Modell nachzuvollziehen. Dabei wurden Deckenhöhen und Raumgrenzen getestet. Diese Veranstaltung diente nicht nur der unterschiedlichen räumlichen Erfahrung und deren Reflexion, sie war auch als ein gemeinschaftliches Ereignis wichtig. „Es fühlte sich ein bisschen wie eine Hochzeit an“ resümierte Froud. (Abb. 5.4.3 (3) AOC) Es wurde diskutiert, wie viel Macht die Leute bei der Entstehung, der Veränderung und der Inbetriebnahme des Gebäudes haben sollten. Interessanterweise war die vorherrschende Meinung, dass es Regeln geben müsste und es nicht nach dem Prinzip „anything goes“ gehen könnte. Auf dem letzten, den Prioritäten gewidmeten, Workshop wurden schließlich dreizehn Regeln und Anforderungen heraus gearbeitet, die für die Architekten in der anschließenden sechsmonatigen Planungsphase maßgebend sein sollten. Diese reichten von sehr konkreten Vorstellungen, wie der Notwendigkeit von natürlichem Licht im Gebäude, bis hin zu eher atmosphärischen Qualitäten, wie Gemütlichkeit, Wärme, Vertrautheit und dem schon erwähnten Widerspruch von Privatheit bei gleichzeitiger Öffentlichkeit. (Abb. 5.4.3 (4) AOC) Aus diesen Vorgaben entwickelte AOC das von Johanna Agerman so treffend beschriebene „trapezoid-shaped theatre covered in a magnified quilt pattern“ („trapezförmiges Theater, eingehüllt mit einer Riesen-Steppdecke) (Agerman, 2008, S.1). Im Innenraum hängen akustisch wirksame, in der Höhe verstellbare und aufgeblasene Leuchtkörper, die mit ihren Vorhängen an „ottoman tents“ 144 Kapitel 5.4 Abb. 5.4.3 (3) AOC, Lift Parliament, lebensgroße räumliche Simulation des zukünftigen Innenraums ��� �� � �� � �� �� ��� �� �� �� ���� ����� �������� � ��� � �� � �� � �� ��� �� ��� �� �� � � �� ��� �� �� � ��� � �� �� �� ��� �� � � �� � � � � �� �� � � ��� � �� �� �� �� � �� �������� ����� ������ � ��� �� �� � �� ���� ��� ��� �� �� ����� �� � � �� �������� ��� ���� �� �� �������� �� �� ���� ����� ��� �� �� � ��� � ����� �� �� � ��� � �� � � � � � � � �� � � � �� ��� �� � � � � � � � ����������� � � � � � � � � � � �� � � � � � � � � � �� � � � �� ��� �� � � � � � � � ����������� � � � � � � � � � � �� � � � � � � � � � �� � � � �� ��� �� � � � � � � � � � � � � ������ � � ���� �� �������� � � � � � �� � � � � � �� � �� �� � � � � � � � � � �� � � � �� � � � � � � � �� � � � �� ��� �� � � � � � � � ��� �� � � � � � � � ����������� � 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Der Raum kann ebenso gut mit der Bühne für große Veranstaltungen genutzt werden. Von �� Beteiligten wurde das Theater als „grant and cosy at the same time“ den beschrieben. (Agerman, 2008, S.1) ������������ � Für Till ist es eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Partizipationsprozess, dass die Architekten ihre Rolle in diesem Prozess überprüfen. Es sei wichtig, dass sie bereit wären, einen Teil ihrer Kontrolle über den Entwurf aufzugeben, ihre Fähigkeit Visionen zu erzeugen müssten sie aber behalten. (Till, 2006, S. 3) Froud kommentiert den Entwurfsprozess des „Lift New Parliament“ folgendermaßen: „Ein guter Partizipationsprozess setzt die Bereitschaft des Architekten voraus, einige Ideen, die er für richtig hält, aufzugeben und sicherzustellen, dass das, was Ideen hereinkommt, gut und beherzt zu verarbeiten. Wichtig ist die Bereitschaft, mit den Leuten zu besprechen, was man meint von ihnen verstanden zu haben und sicherzustellen, das man es richtig verstanden hat. Die eigenen Ideen sollte man dabei in einer verständlichen Sprache vermitteln, beispielsweise großmaßstäblichen Modellen. Als Architekt hat man so die Chance, seine eigenen Annahmen zu korrigieren und auch Dinge zu entdecken, die man sonst nicht erfahren hätte.“ (Froud, Mitschnitt einer Vorlesung an der TU Berlin vom 16.01.2010) Kapitel 5.4 145 Das „Lift New Parliament“-Projekt zeigte den Beteiligten Wege auf, wie sie tatsächlich Veränderungen in ihrer gebauten Umwelt erwirken könnten, anstatt wie so oft nur scheinbar daran teilzuhaben. In einem Vergleich der Ansätze von AOC und dem „Park Fiction Projekt“ in Hamburg lassen sich die Unterschiede in der Art, wie die gestalterische Expertise der Architekten und Künstler in die Projekte eingebracht werden, benennen. In Hamburg ging es um eine direkte und bildliche Umsetzung der Anwohnerwünsche und nicht darum, Qualitäten zu diskutieren und sie mit Hilfe von Architekten und Künstlern zu realisieren. Sie handelten als Vermittler und Präsentatoren der Anwohneranliegen. Die Rolle der Künstler und Architekten war hier programmatisch nicht so differenziert, wie in den AOC-Projekten, in denen Künstler und Architekten als Katalysatoren oder Agenten der Nutzervisionen agierten. 5.5 Qualifikation des Partizipationsprozesses Eine ernstzunehmende Partizipation im architektonischen Entwurfsprozess findet in der Skala der Arnsteinschen Leiter in den Kategorien der „Beteiligung“ also den Stufen: 6. Partnerschaft bis 8. Bürgerkontrolle, statt (vgl. Abschnitt 5.1). Die britische Architekten- und Künstlergruppe „Muf“, die intensiv an partizipativen Projekten im öffentlichen Raum arbeitet, gehen dabei ein Stück weiter als Arnstein und bescheinigen der Partizipation erst dann Erfolg, wenn die unterschiedlichsten „Stakeholder“ und Entscheidungsmächtigen ins Boot geholt werden konnten, beispielsweise für ihre Kunststrategie für die Gloucester Docks, die Stadtverwaltung, lokale Künstler, die Nachbarschaft und national agierende Künstler sowie das britische Wasserversorgungsunternehmen.Muf definiert in einem Diagramm Wurzeln und Früchte der Partizipation beziehungsweise deren Wirkung und deren Erfolg. (Abb. 5.5 Blundell Jones) Als Früchte oder als Partizipationserfolge kennzeichnen sie: • • • • • • • • • • • • 146 Wertschätzung des kulturellen Besitzes (assets) Erhöhtes Gefühl der Sicherheit Lokale Expertise sichtbar machen/entdecken Wertschätzung des lokalen Wissens Zugehörigkeitsgefühl Wertschätzung des öffentlichen Verkehrs Bedeutung (Gefühl, Wahrnehmung) von Eigentümerschaft Noch unbekannte Dinge Bürgerstolz Überbrücken von Generationen Vergnügen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft Kapitel 5.5 Abb. 5.5 Muf, Diagramm „Partizipationserfolge“ der Kunststrategie für die Gloucester Docks. Bei all diesen Kategorisierungen und Bewertungen der Prozesse bleibt die Rolle des Architekten offen. Aber auch der architektonische Entwurf ist Teil des Partizipationsprozesses. Er muss ebenso transformierend und kooperativ angelegt sein. Erstrebenswert ist es, dass der Nutzer / Bauherr seine Bedürfnisse als Anforderung in den Entwurfsprozess einbringt und der Architekt mit seiner Expertise und seiner professionelle Kompetenz Antworten findet. 5.6 Fazit: Der partizipationsoffene Entwurf Schon die von Sherry Arnstein 1969 aufgestellten Kriterien der Partizipation machen deutlich, dass eine reine Teilhabe der Nutzer an der Planung oder gar die alleinige Information über die Planung dafür nicht ausreicht. Dies betont auch Jeremy Till. Es genügt nach seiner Kapitel 5.6 147 Überzeugung nicht, allein den Planungsprozess für die Bürger transparent oder nachvollziehbar zu machen. Es ist also eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, also auch der Nutzer für eine erfolgreiche Partizipation notwendig. Yona Friedman forderte in diesem Zusammenhang einen radikalen Wechsel in der Berufsauffassung von Architekten. Sie sollten nach seiner Vorstellung zu „Übersetzern“ der Nutzerwünsche werden. Diese Rolle sah er im klassischen Verhältnis zwischen Architekt und Bauherr bereits vorgeprägt. Es ging ihm um die Übertragung der Rolle auf den anonymen Nutzer. Hier setzen auch die Bemühungen von Christopher Alexander, mit der von ihm entwickelten Pattern-Language, an. In den „Pattern“ finden die Nutzer die Überlegungen des Architekten kondensiert und vorformuliert, in ihrer konsequenten Anwendung hätten sie nach den Vorstellung von Alexander die weitere Arbeit eines Architekten in der Rolle des Entwerfers überflüssig gemacht. Was auch das erklärte Ziel Alexanders war. Er sah ihn eher als Organisator auf der Baustelle. Auch der belgische Architekt Lucien Kroll räumt den Nutzern weitreichende Kompetenzen bei der Gestaltung der von ihnen genutzten oder bewohnten Bauten ein. Er entwickelte bereits auf CAD-Basis ein Baukastensystem, das die wesentlichen bautechnischen Entscheidungen vorwegnimmt, die endgültige Gestaltung aber im Rahmen des Systems dem Nutzer überlässt. Kroll nimmt dabei für sich in Anspruch, die Bewohner nicht nur am Entwurfsprozess teilhaben zu lassen, er sieht das ganze Projekt als ein kollektives Kunstwerk an. Wie Christopher Alexander gibt auch Lucien Kroll dem Unvorhersehbaren, dem Unbestimmbaren oder auch dem Unkontrollierbaren beim Bauen Raum. Der für den Nutzer so geschaffene Freiraum ist in zweierlei Hinsicht zu relativeren: 1. Wesentliche bauliche Entscheidungen sind in die Entwicklung des Bausystems verlagert worden, über das allein der Architekt und die Baufachleute entscheiden. 2. Um den gewonnenen Freiraum auszufüllen, braucht der Nutzer die Kompetenz des Architekten, ohne die er nur bedingt seine baulichen und ästhetischen Wünsche verwirklichen kann. Für die Kritiker Geoffrey Broadbent und Reyner Banham liegt in diesem, nach ihrer Auffassung zu großen Freiraum, den die partizipationsorientierten Architekten ihren Anwendern lassen, gleichzeitig ein zu großer Rückzug der Profession aus ihrer Verantwortung für eine gute, eben auch gut nutzbare Architektur und für die gebaute Umwelt. Die Nutzer seien mit der ihnen übertragenen Aufgabe überfordert. Ein anderes Modell der praktischen Partizipation der Nutzer, in diesem Fall der „Bewohner“ auf der Baustelle entwickelte Walter Segal. Sein kleinteilig aufgebautes System vorfabrizierter Bauelemente und einer weitgehend vorgedachten Planung kann nach einem Bau148 Kapitel 5.6 kastenprinzip direkt auf der Baustelle umgesetzt werden. Der Architekt steht den Nutzern außerdem als Berater beim Bauen zur Verfügung. Ähnlichen Ansätzen gingen die deutschen Architekten Peter Sulzer und Peter Hübner nach und bauten dabei direkt auf das von Segal entwickelte Prinzip auf. Insbesondere Peter Hübner entwickelte im Nachgang dieses Projektes ein eigenes Beteiligungsverfahren. Er konzentrierte die Zusammenarbeit mit dem Nutzer auf den gemeinsamen Entwurf. Aus den Ergebnissen eines Workshops erarbeiten die Architekten den Entwurf des Gebäudes. Sachzwänge löst der Architekt mit seiner Kompetenz auf. Hübner hat seinen sozusagen akademischen Standort als Architekt verlassen, ohne dabei dessen wesentliche Kompetenzen aufzugeben, die ihn in die Lage versetzen, die Belange des Bauherren respektive des Nutzers verantwortlich zu vertreten. Peter Blundell Jones sieht den Architekten hier als eine Art „Hebamme bei der Geburt des Bauwerkes“. Seine Rolle bleibt aber dominant und Form bestimmend. Hier wird eine Art der architektonischen Arbeit deutlich, bei der den Architekten letztendlich die Gestaltaufgabe im Auftrag und im Vertrauen seiner Nutzer übertragen wird. Er übernimmt daraus die Aufgabe, dies zu ihrer Zufriedenheit und Identität fördernd zu tun. Hübner betont allerdings, wie auch Alexander, Segal oder Sulzer, die Notwendigkeit, die eigenen ästhetischen Ansprüche an die Architektur zugunsten der Kreativität der zukünftigen Nutzer zurückzustellen. Welche Rolle spielen diese Kompetenzen im Partizipationsprozess und welche Rolle sollten Architekten darin spielen? Wesentlich scheint dabei die Struktur und die Dynamik der Gruppe zu sein, die an den Entscheidungen für das Projekt oder den Bau mitwirkt. Die von Giancarlo de Carlo geforderte Nähe des Architekten zum Alltag ist in Baugruppen, wie sie in dem von den österreichischen Architekten der Gruppe BKK-3 betreuten Projekt „Sargfabrik“ in Wien praktiziert wurde, ein unabdingbarer Bestandteil der Planung. Die Architektengruppe Rural Studio leistet sich in den USA sogar mehrere Wochen gemeinsamen Lebens mit den Klienten, um sich in deren Bedürfnisse einzuleben und ihren Wünschen auf den Grund zu gehen. In dieser Intensität lässt sich die Nähe der Architekten zu ihren Klienten aber nicht immer aufbauen, so dass andere Strategien der Kommunikation entwickelt werden müssen, um ihre Wünsche in Erfahrung zu bringen und in Architektur umzusetzen. In der in jüngster Zeit in Großbritannien, insbesondere in London, aber auch in Frankreich, in Paris, geführten Debatte um die Partizipation fällt besonders die Betonung des gleichberechtigten Wissensaustausches zwischen Laien und Architekten auf. Theoretikerinnen wie Doina Petrescu oder Anne Querien betonen die Notwendigkeit, dem kreativen Potenzial aller Beteiligten, insbesondere den Wünschen und Sehnsüchten der Laien, große Entfaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten einzuräumen. Petrescu nennt diesen Prozess „imaginary poduction“. Querien spricht von einem abstrakten Plan der Wünsche und Sehnsüchte, die in einem gemeinsamen Raum, einem „shared space“ zusammengetragen werden. Der Planer Raoul Kapitel 5.6 149 Bunschoten beschreibt diesen Prozess als „urban curation“ Hier zeigen sich sehr deutliche Parallelen zu der von Helga Nowotny geforderten Agora, auf der das Modus-2-Wissen verhandelt wird. Die Wünsche und Sehnsüchte fließen in diesen Prozess ein, müssen im Dialog weitergegeben und von den Planern umgesetzt werden. Auch in diesem urbanen Kontext steht die Rolle des Architekten und des Stadtplaners in der Diskussion. Petrescu fordert weniger planerische Kontrolle und eine stärkere Berücksichtigung von Wünschen („loosing control, keeping desire“). Damit legt sie die Vermutung nahe, dass die kreative, Raum prägende Arbeit von Architekten und Stadtplanern verzichtbar ist. Die von ihr als beispielhaft vorgestellten Projekte „Ecobox“ in Paris und „Park Fiction“ in Hamburg sind ohne Architekten oder deren gestalterischen Input entstanden. Der Theoretiker Jeremy Till betont dagegen, dass Partizipation die Architekturpraxis beleben und erneuern kann. Er sieht die Notwendigkeit, das „stillschweigende Wissen“ („tacit knowledge“) der Laien mit dem Fachwissen der Planer und Architekten zu verbinden, und weist der kreativen Kernkompetenz des Architekten eine zentrale Rolle zu, wenn sie im Vertrauen auf den Nutzer eingesetzt wird. Beide Gruppen begegnen sich nach seinen Beobachtungen mit großen Problemen in der Kommunikation, die durch festgelegte Codes und das fachliche Vokabular erschwert wird. Den Entwurf von Kommunikationsmodellen stellt die Gruppe AOC „Agent of Change“, die sich in London intensiv der mit Nutzerpartizipation für den architektonischen Entwurf befasst, in den Vordergrund ihrer Arbeit. An den Projekten arbeiten nicht nur Architekten und Stadtplaner, sondern auch Kulturwissenschaftler, die als „kulturelle Dolmetscher“ fungieren. AOC sieht sich nicht allein als Moderator der Nutzerwünsche und Organisator des Bauens, sondern als Übersetzer der daraus entstehenden Anforderungen an Architektur. Die Gruppe arbeitet dabei nach der Devise „mess maximises potential“ („Unordnung maximiert die Möglichkeiten“). Partizipation bedeutet nach ihrer Auffassung nicht den Verzicht auf einen professionellen Entwurfsansatz. Der Architekt bleibt „Schöpfer neuer Welten“, die er im Verständnis der Nutzerwünsche und -vorstellungen und in deren Vertrauen schafft. Der Architekt agiert als ein Katalysator oder als ein „Agent für Veränderungen“ („Agent of Change“, AOC). Das architektonische Wissen sollte also aus dem Kontext heraus und im gegenseitigen Verständnis von Architekt und Nutzer entwickelt werden. Die damit verbundene Ungewissheit, und Unschärfe trifft genau auf die Eventualitäten, die eine kreative Architekturpraxis braucht. Betrachtet man die unterschiedlichen, in diesem Kapitel vorgestellten, Partizipationsformen unter dem Blickwinkel des architektonischen Entwurfes, lässt sich feststellen, dass hier nicht ein Rückzug oder eine Zurückhaltung der Expertise des Architekten beziehungsweise seiner professionelle Kompetenz angebracht ist, sondern eine vertrauensvolle Interaktion zwischen Bauherren beziehungsweise Nutzern und Architekten. 150 Kapitel 5.6 Fazit Theorie 6 6 6. Fazit: Theorie und Thesen Empirie Atmosphären sind, das zeigen die in Kapitel 2 herausgearbeiteten Erkenntnisse, Raum und damit Architektur bestimmend. Über und durch ihre Wirkung lässt sich auch kommunizieren. Die Erfahrung von Atmosphären ist ein Erkenntnisprozess (sie lassen sich erfassen, bestimmen und analysieren), den der Philosoph Gernot Böhme als Teil einer neuen Ästhetik (verstanden als sinnliche Erkenntnisform) sieht. Atmosphären sind nicht nur ein Produkt der Architektur, sondern auch ein Mittel der Erkenntnis für den Entwurf und ein Kommunikationsmittel. Kapitel 3 macht deutlich, dass der architektonische Entwurf als kreativer Prozess weder rein rational noch rein emotional entsteht, sondern er speist sich aus beiden Quellen und kommt deshalb vor allem intuitiv zustande. Das bedeutet: Der Entwurf ist im Wesentlichen ein Erkenntnisprozess, der auf einem möglichst breit gelagerten interdisziplinären, nicht linear strukturierten Wissen basiert sein sollte. Durch ständige Rückkopplungen der Entwurfsschritte wird er verfeinert. Durch intensiven Kontakt zu den potenziellen oder zukünftigen Nutzern der Bauwerke kann ein sozial robustes Wissen entstehen. Die von den Soziologen Helga Nowotny et al vorgeschlagene „Agora“ ist als ein sozialer Ort und Markt der Erkenntnis für den gleichberechtigten Austausch der Expertisen von Architekten, anderen am Bau beteiligten Experten und Nutzern eine wichtige Schnittstelle. Kapitel 4 zeigt, dass eine gut funktionierende Kommunikation zwischen Architekten und Nutzern eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Entwurf ist, sowohl im Sinne des dafür notwendigen Erkenntnisgewinns als auch im Sinne der Rückkopplung mit dem Nutzer. Für eine gute Verständigung zwischen Architekt und Nutzer ist eine interaktive Kommunikation notwendig, bei der sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen. Es konnte im Rahmen des Literaturstudiums nicht geklärt werden, wie diese Kommunikation konkret gestaltet werden kann und welche Kommunikationsmittel zielführend eingesetzt werden können. Denkbar wäre es, auf die kommunikativen Qualitäten von Atmosphären abzuheben und entsprechende Kommunikationsmittel zu erproben. Wie schon in Kapitel 3 und Kapitel 4 ansatzweise behandelt, spielt der umfassende Austausch von Expertisen und die interaktive Kommunikation zwischen Architekten und Nutzern eine wichtige Rolle im architektonischen Entwurf. Diese, an sich schon partizipativen, Formen des Erkenntnisgewinns und der Verständigung finden, das zeigt Kapitel 5, ihre optimale Anwendung in einer kooperativen und „transformierenden Partizipation“ (vgl. Abschnitt 5.4.3). Nutzer und Architekten sind gleichberechtigte Partner in diesem Prozess. Wobei der Architekt insbesondere seine gestalterische Kompetenz nicht zurückstellt, wie das von vielen 154 Kapitel 6 Partizipationstheoretikern und in diesem Bereich praktizierenden Architekten gefordert wird, sondern er bringt sie basierend auf dem Vertrauen des Nutzers in diesen Prozess ein. Dafür sind besondere Interaktions- und Kommunikationsformen notwendig. Eine Schlüsselfunktion hat die in Kapitel 4 behandelte Kommunikation zwischen den Parteien. Eine kooperative oder transformierende Partizipation ist in diesem Sinne kein Zugeständnis an die Nutzer, sondern ein notwendiges Instrument, in dem im Kapitel 3 behandelten Erkenntnisprozess des Entwurfs. Die in Kapitel 2 herausgearbeitete Bedeutung von Atmosphären für die Architektur, für deren Entwurf, ihre kommunikativen Qualitäten und ihre Bedeutung in einem partizipativen Entwurfsprozess konnten nicht auf der Grundlage einer Literaturrecherche behandelt werden. Sie waren bislang kein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Entsprechend liegen keine Ergebnisse in der Literatur vor. Hier bilden die in Kapitel 2 vorgestellten Arbeiten die Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema in dieser Arbeit. Dies wird im Kapitel 7 aufgrund empirischer Untersuchungen fortgeführt. Unbeantwortet blieb in der einschlägigen Literatur auch die Frage, wie Atmosphären als kommunikatives Mittel in diesem Prozess eingesetzt werden könnten, im Erkenntnisprozess beziehungsweise im kreativen Prozess des Entwerfens. Den in Kapitel 7 vorgestellten empirischen Untersuchungsergebnissen liegen also die folgenden Thesen zugrunde: These 1 Partizipative Entwurfsstrategien brauchen die Kommunikation über Raumatmosphären und deren Qualitäten zur Schaffung und zur Sicherung einer identitätsstiftenden Architektur. These 2 Die Kommunikation über Atmosphären sichert die Entwurfsrückkopplung mit dem Nutzer. These 3 Die Kommunikation über Atmosphären öffnet dem Architekten die Wunschwelt des Nutzers. Diese Erkenntnis versetzt ihn in die Lage, diese Wünsche zu abstrahieren und zu modifizieren und den rationalen Anforderungen der Richtlinien, Bestimmungen und Budgetforderungen ohne Substanz- und Identitätsverlust anzupassen. Eine direkte bildliche Umsetzung der Nutzerwünsche wird dadurch überflüssig. Kapitel 6 155 Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie in der Praxis 7 7 7. Atmosphären als partizipative Entwurfsstrategie in der Praxis Atmosphären begleiten uns alltäglich, unabhängig davon, ob sie natürlichen Ursprungs sind, weil das Wetter sie bestimmt, oder ob sie das Produkt menschlicher Arrangements in unserer Umgebung sind. Für die Architektur sind sie ein maßgebliches Element, sowohl für ihre Erfahrung, ihre Planung als auch in der Kommunikation über die gebaute Umgebung. Aus ihr ergeben sich Rückschlüsse für den Entwurf und seine Kommunikation, das hat die Auseinandersetzung mit diesem Thema in den Kapiteln 2 bis 5 in dieser Arbeit gezeigt. Obgleich die Phänomene der Atmosphären unser alltägliches Befinden wesentlich bestimmen, nehmen wir sie nur mehr oder weniger bewusst wahr. Der Frage, wie sie wahrgenommen, analysiert, kommuniziert und entworfen werden können, bin ich im Rahmen, verschiedener von mir an der TU Berlin und an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) durchgeführten, Seminare, in empirischen und entwerferischen Übungen nachgegangen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen werden im ersten Teil dieses Kapitels vorgestellt. Grundlagen, Übungen, Ergebnisse, Bewertung Die Arbeit mit Atmosphären ist auch ein wesentliches Element der Entwurfsarbeit im Studienmodell Die Baupiloten, das ich seit 2003 als freie Architektin und Hochschullehrerin an der TU Berlin in Kooperation mit der TU Berlin durchführe. Ziel des Modells ist es, eine enge Verzahnung der Architektenausbildung mit der praktischen Berufsausführung herzustellen. Studierende und Lehrende der Architektur arbeiten gemeinsam als Baupiloten an den Projekten. Gleichzeitig arbeiten die Lehrenden mit anderen erfahrenen Architekten im Büro Susanne Hofmann Architekten BDA zusammen. Diese Kooperation ist integraler Bestandteil des Studienmodells. Das Anforderungsprofil aus der Praxis bezieht sich vor allem auf die Leistungsphasen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Da die TU Berlin keine Haftung für Architektenleistungen übernehmen kann, ist per Vertrag eine Rechtsgrundlage für die Kooperation zwischen freier Architektin bzw. Architekturbüro und der TU Berlin geschaffen worden. Bei allen Projekten der Baupiloten bin ich als freie Architektin und Leiterin durch die Bauherren beauftragt und agiere mit meinem Architekturbüro entsprechend auch als verantwortliche und persönlich haftende Architektin. Nur ich bin, und nicht die Universität, durch meine Mitgliedschaft in der Architektenkammer legitimiert, diese Architektenleistungen zu erbringen. 158 Kapitel 7 Das Architekturbüro übernimmt die Projektleitung und das Controlling für die Realisierungsprojekte. Es akquiriert und überprüft, ob ein Projekt für das Studienmodell geeignet ist. Das Architekturbüro kann kurzfristig zeitgebundene Vorstudien und Gutachten erledigen, Auftragsschwankungen ausgleichen und damit weitgehend sicherstellen, dass den Studierenden zu Semesterbeginn immer ausreichend Realisierungsprojekte geboten werden können. Projekte, die für die Baupiloten ungeeignet sind oder nicht an das Curriculum der TU Berlin angepasst werden können, übernimmt das Büro Susanne Hofmann Architekten komplett oder in Teilleistung, so dass hier eine teilweise Mitarbeit der Baupiloten ermöglicht werden kann. Die Bauherren können so eine professionelle Durchführung erwarten, die nur in Kooperation mit dem Architekturbüro gewährleistet ist. Die Studierenden erleben bei den Baupiloten das Studium mit direktem Praxisbezug und erlernen dabei alle Planungs- und Bauphasen an einem Projekt. Ziel ist es aber auch, den Studierenden das soziale Engagement nahezubringen, das mit Architektur zu erreichen ist und ihnen die experimentellen Möglichkeiten zu eröffnen, die die architektonische Arbeit mit Atmosphären als Kommunikationsmethode und Entwurfswerkzeug sowie die Nutzerpartizipation bietet. Damit werden die Studierenden ermutigt, forschend und reflexiv zu entwerfen (Design by Research / Research by Design). Die Studierenden lernen nicht nur die vorhandenen Instrumente und Methoden dabei anzuwenden, sondern sie für den einzelnen Fall gezielt zu entwickeln. Dazu gehört die Aneignung von architektonischem Wissen über explorative, teilweise autodidaktische Lernformen, bei denen sich die Arbeiten „im Feld“ und „im Labor“ gegenseitig ergänzen. Es zeigte sich immer wieder, dass der konkrete Praxisbezug in der direkten Auseinandersetzung mit den Betroffenen vor Ort die Studierenden sehr stark motiviert. Basis der Entwurfsarbeit der Baupiloten sind ausführliche Workshops und Analysen der Nutzergewohnheiten, die mit den späteren Nutzern der zu entwerfenden Bauten und Umbauten durchgeführt werden. In diesen Workshops geht es darum, vor allem die unbewussten Bedürfnisse der Nutzer in Bezug auf die atmosphärischen Qualitäten des Gebäudes zu erfahren. Die so gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Entwurfsarbeit ein und werden gleichzeitig zur Grundlage der Kommunikation zwischen den Architekten und den Architekturstudierenden mit den Nutzern. In diesem Kommunikationsprozess und im Entwurf spielen die zu schaffenden Raumatmosphären eine wesentliche Rolle. Die aus den Projekten der Baupiloten gewonnenen Erfahrungen flossen wiederum in meine wissenschaftlichen Untersuchungen ein, deren Ergebnis im zweiten Teil dieses Kapitels (in den Abschnitten 7.2 bis 7.4) zu finden ist. Die in Abschnitt 7.1 behandelten Übungen decken das breite Spektrum der Empirie ab, von der Wahrnehmung der Atmosphären bis hin zur entwurflichen Konzeption von Atmosphären und Bauwerken. Sie nahmen dabei propädeutischen Charakter für die später, teilweise zeitKapitel 7 159 gleich oder leicht zeitversetzt durchgeführten Projekte der Baupiloten an. 7.1 Atmosphären wahrnehmen, analysieren und entwerfen Seit 1997 habe ich 11 Theorie- und Entwurfsseminare unter dem Titel „De-Kodierung“ an der TU Berlin und der HAW angeboten (siehe Anhang). Sie sollten den Studierenden einerseits die bewusste Wahrnehmung von Atmosphären und deren Analyse nahebringen, sie andererseits auch in die Lage versetzen, produktiv über Atmosphären zu kommunizieren und sie schließlich befähigen, räumliche Atmosphären zu entwerfen und zu inszenieren. Die Seminare dienten als theoretische Ergänzung und zur Klärung von Problemen, die bei Entwürfen aufgetaucht waren, oder sie bestanden selbst aus einem theoretisch-empirischen Teil und einem Entwurfsteil. Dabei stellten sich die folgenden grundlegenden Fragen: 1. Wie können atmosphärische Raumqualitäten bewusst wahrgenommen und analysiert werden? 2. Wie kann man sich über Atmosphären austauschen, und wie können Atmosphären zu einem Kommunikationsinstrument gemacht werden? 3. Wie können Atmosphären bewusst initiiert, also entworfen werden? 4. Wie kann eine erneute Analyse quasi als Evaluation der atmosphärischen Wirkung eingesetzt werden? Die Übungen sollten die Studierenden für Raumatmosphären sensibilisieren und motivieren, mit Spontanität und Intuition an ihre Entwürfe heranzugehen und ihre Einbildungskraft zu stärken. 7.1.1 Das Sensibilisieren für die Wahrnehmung von atmosphärischen Raumqualitäten und das Protokollieren von atmosphärischen Raumqualitäten Ein erster Schritt war es, die Studierenden für die Wahrnehmung von atmosphärischen Raumqualitäten zu sensibilisieren, und diese im Seminar zur Diskussion zu stellen. 7.1.1.1 Das Protokollieren von atmosphärischen Raumqualitäten Theoretischer Hintergrund und Grundlagen 160 Kapitel 7.1 Für eine Sensibilisierung zur Wahrnehmung von Atmosphären erschien es zunächst als sinnvoll, Orte zu wählen, die sich nicht in einem bekannten Kontext befinden. Es sollten Erfahrungen im Umgang mit unbekannten Orten eingebracht beziehungsweise gesammelt werden. Der Einsatz der menschlichen Sinne zur Orientierung sollte reflektiert und bewusst wahrgenommen werden. Angeregt wurde ich dabei durch die künstlerischen Arbeiten von Robert Smithson. Sein Projekt „Hotel Palenque“ basiert auf der Unkenntnis seiner Rezipienten von dem Ort, den der Künstler als Kunstwerk präsentiert. Fotos der verlassenen und vom Zahn der Zeit gekennzeichneten Hotelräume deutet SmithAbb. 7.1.1 (1) Richard Long, Full Moon Circle of Ground, Dartson als Kunstwerke bekannter Kollegen und moor, 1983 bezeichnet damit gleichzeitig seine persönliche Erfahrung mit den Räumen, die er in Form eines Exkursionsberichtes vorstellt. Für den Betrachter seiner Fotos waren sie aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgehoben und boten ihnen so die Möglichkeit, einer freien Interpretation. (Ursprung, 1996, S.148ff.) Ein wesentlicher Schritt zu bewusstem Empfinden von Raumatmosphären erschien das Protokollieren und die Kommunikation dieser Erfahrung. Der Künstler Richard Long hat eine dafür geeignete Methode entwickelt, mit den Assoziationen, die sorgfältig ausgewählte Worte bei ihren Lesern erzeugen, auch die Atmosphäre bestimmter Orte zu transportieren. Als ein Beispiel mag dafür das Projekt „Full Moon Circle of Ground“ (Abb. 7.1.1 (1) Fuchs) von Richard Long gelten. (Fuchs, 1986, S.197) Long bevorzugte in dieser Arbeit die Verwendung von Substantiven, die er ungerichtet in einem Kreis angeordnet hatte. Ein anderes Mittel, um über seine am Ort gemachten sinnlichen Erfahrungen zu berichten ist die Kombination dieser Wortzusammenstellungen mit Fotos von diesem Ort. (Abb. 7.1.1 (2) Fuchs) (Fuchs, 1986, S.40) Übung I Im Rahmen des Seminars „Das Unsichtbare sichtbar machen. Architektur als Klimaregler (De-Kodierung IV)“ haben die Studierenden im Sommersemester 2005 in Berlin zwei Räume besucht, die nicht für den dauernden Aufenthalt von Menschen gebaut worden sind. Dabei sollten sie angeregt werden, auf ihr spontanes Raumempfinden stärker zu achten, als dies in einer ihnen vertrauten Umgebung notwendig ist. Kapitel 7.1 161 Abb. 7.1.1 (2) Richard Long, I see a Lake as a Field, a Field as an Island, an Island as a Wood, a Wood as a Lake, 1972 Gegenstand der Übung waren zwei Räume: 1. Das Dach- und Technikgeschoss der Berliner Philharmonie (Entwurf: Hans Scharoun 1960-63). Dieser Raum entstand aus der expressiven Dachform und der zur akustischen Optimierung des Konzertsaals geformten Saaldecke. Es gibt keine Sichtverbindung nach außen, so dass es hier auch am Tage dunkel ist. Es existiert lediglich eine Notbeleuchtung, um die dort verlaufenden Leitungen zu kontrollieren und zu warten. 2. Der Stahlwassertank in dem 1874-1875 erbauten Wasserturm mit Beamtenwohnungen an der heutigen Knaakstrasse in Berlin-Prenzlauer Berg. Der Wassertank liegt seit 1952 brach. Er entstand als ein rein technisches Bauwerk. Die an seinem Schaft angebauten Wohnungen machen ihn aber zu einem Kuriosum. Der Aufstieg zum Tank erfolgt durch das Treppenhaus, über das auch die Wohnungen erreicht werden und das deshalb auch entsprechend wohnlich wirkt, hinein in den Tropfboden mit den stählernen Stützen des Tanks. Von dort führt eine geschwungene Holz-/Stahltreppe unter das Dach des Wasserturms. Durch eine kleine Luke gelangt man über eine Leiter auf den Boden des Wassertanks. Dieser Raum ist so sehr von der Außenwelt abgeschieden, dass selbst der Haumeister nichts von seiner Existenz wusste. Auch dieser Raum hat keine Fenster. Licht fällt nur durch den nicht ganz geschlossenen Deckel, so dass auch hier tagsüber nur eine dämmrige Beleuchtung existiert. 162 Kapitel 7.1 Beide Räume konnten als unbekannt gelten, obgleich die Bauten, in denen sie sich befinden, die Philharmonie in Berlin-Tiergarten und der Wasserturm in Berlin-Prenzlauer Berg, wiederum sehr bekannt sind. Es konnte also von einer Unvoreingenommenheit der Studierenden ausgegangen werden. Beide Räume sind, wie bereits gesagt, nur sehr spärlich beleuchtet. Sie sind geradezu unberührt. Im Halbdunkel konnte der Sehsinn nur marginal eingesetzt werden. Die Studierenden mussten sich mit allen Sinnen intensiv auf die Räume einlassen, um deren Form, das Material, aus dem sie gebaut sind, das in ihnen herrschende Licht, die erkennbare Farbe, die dort herrschenden Temperaturen und die Akustik des Raums zu erfahren und ihre Atmosphäre aufzunehmen. Die Dunkelheit, aber auch die Abgeschlossenheit der Räume sensibilisierte die Studierenden besonders, weil sie sich nicht allein auf das Sehen, der sonst als wesentlich empfundenen Sinneswahrnehmung, verlassen konnten. Das Protokollieren in unseren Übungen geschah vor allem durch die Wahl von Adjektiven. Die Studierenden sollten ihre Empfindungen in fünf Adjektiven möglichst präzise fassen. Die Zahl wurde beschränkt, um die Aussagekraft so zu stärken und die Aussagen zu präzisieren. Da Adjektive in unserer Sprache die Eigenschaften von Dingen oder eben Orten beschreiben lag die Wahl dieser Wortart nahe. Dazu sollte jeweils ein selbst erstelltes Foto ausgewählt werden, das die empfundene Atmosphäre des Raums darstellen konnte. Über diese „Protokolle“ wurde anschließend im Seminar gesprochen. So konnten unterschiedliche, aber auch gleiche Erfahrungen mit den Räumen ausgetauscht, kontrovers diskutiert oder bestätigt werden. Dabei wurden Übereinstimmungen in der Wahrnehmung festgestellt, aber auch Unterschiede. Ergebnisse Für den Wassertank waren die Ergebnisse sehr einheitlich. In der Bezeichnung der Atmosphäre häuften sich Worte wie „verschlossen“, „bezugslos“ oder „beklemmend“, „gedankenvoll“, „bedrückend“ oder „mystisch“. Die Bilder, die die Studierenden aus diesem Raum mitgenommen haben, zeigen die schmalen Lichtstreifen, nur selten gelang es mit Hilfe des Blitzlichtes, die Oberflächenstruktur der Wände und ihre Farbe einzufangen. (Abb. 7.1.1 (3) Die Baupiloten) schweigsameschweigsame kühle kühle schweigsame strenge einsame strenge einsame strenge schweigsame strenge zeitlose unheimliche zeitlose unheimliche zeitlose zeitlose geheimnisvolle geheimnisvolle ruhige geheimnisvolle ruhige geheimnisvolle intrigante intrigante schützende intrigante schützende intrigante kühle friedliche kühle friedliche kühle einsame geborgene einsame geborgene einsame kühle unheimliche einsame gedämpfte unheimliche gedämpfte unheimliche unheimliche ruhige wuchtige ruhige wuchtige ruhige ruhige schützende schützende beängstigende beängstigende schützende schützende friedliche friedlicheberauschende friedliche berauschende geborgene geborgene geborgene berauschende spannende spannende friedliche geborgene gedämpfte gedämpfte gedämpfte spannende befremdende befremdende gedämpfte befremdende wuchtige wuchtige(un)heimliche wuchtige (un)heimliche wuchtige (un)heimliche anziehende beängstigende beängstigende anziehende beängstigende beängstigende anziehende berauschende berauschende befremdliche berauschende befremdliche spannende spannende spannende geheimnisvolle geheimnisvolle befremdliche geheimnisvolle befremdende befremdendebefremdende feierliche feierliche feierliche (un)heimliche(un)heimliche wohlige (un)heimliche wohlige wohlige geborgene anziehende anziehende anziehende geborgene geborgene befremdliche befremdliche geheimnisvolle geheimnisvo feierliche feierliche wohlige wohlige geborgene geborgene Abb. 7.1.1 (3) De- Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Exkursion Off-Räume, Wasserspeicher, TU Berlin SoSe 2005 Atmosphäre Atmosphäre Atmosphär Atmosphäre Atmo Kapitel 7.1 Exkursion Off-Räume | Wasserspeicher De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als Klimaregler 1 163 Exkursion Off-Räume Exkursion Off-Räume Exkursion Off-Räume | Wa | Wasserspeicher | Wasserspeicher Exkursion De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als Klimaregler IV De-KodierungI IV I SoSe 200 De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als 2005 Architektur als De-Kodierung I SoSe Klimaregler De-Kodierun 1 1 Abb. 7.1.1 (4) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Exkursion Off-Räume, Dach- und Technikgeschoss der Berliner Philharmonie, TU Berlin SoSe 2005 Unterschiedlicher waren die Attribute, mit denen der Raum über dem Konzertsaal der Berliner Philharmonie bezeichnet wurde. Hier fielen Wort wie „weich, schmeichelnd, umschließend, dumpf drückend, beruhigend“, aber auch „dynamisch, belebend, aufmunternd, entspannt, warm“. Manche Studierende sprachen von einer gebirgsähnlichen Landschaft, die sich über dem Konzertsaal erhebt, andere verglichen den Raum mit einer Tiefgarage. (Abb. 7.1.1 (4) Die Baupiloten) Übung II Ein anderer, zu der ersten Übung konträrer, Weg wurde im Seminar De-Kodierung V beschritten, in dessen Rahmen der Beitrag „extrafantasies“ für die Ausstellung „Find the Gap“ in der Galerie AEDES im Wintersemester 2005/2006 vorbereitet wurde (vgl. Abschnitt 7.2.2.4). Zur Sensibilisierung der Studierenden für die atmosphärische Wirkung eines Raumes wurde ein Ort aufgesucht, der zu dieser Zeit im Mittelpunkt öffentlicher Debatten stand: Das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“, das nach Entwürfen von Peter Eisenman gebaut und im Frühjahr 2005 eröffnet worden war. Da das Bauwerk keine konkreten Bezüge auf die Ermordung der Juden in Europa im 20. Jahrhundert herstellt, sondern mit räumlichen Qualitäten einen Ort schafft, der individuell sehr unterschiedlich erlebt und empfunden werden kann, eignete sich das Denkmal besonders für unsere Übung. Sie sollte diesmal an einem bekannten Ort stattfinden, um den Studierenden, die Möglichkeit zu geben, ihre Wahrnehmung mit denen von anderen Besuchern zu vergleichen und zu schärfen. So konnte ihr eigenes Empfinden auch gut mit den in der Öffentlichkeit gemachten Äußerungen verglichen und bewertet werden. Dazu war zu Beginn des Seminars ein zuvor in der „tageszeitung (taz)“ (Schwab, 2005, s. Anhang) veröffentlichter Artikel ausgegeben worden, der das Erleben dieses Platzes durch einige Besucher schildert. Interessanterweise griff auch der Autor dieses Artikels auf die Verwendung einer Vielzahl von Adjektiven zur Beschreibung der örtlichen Atmosphäre zurück. Die Studierenden führten dazu Befragungen von Passanten durch und protokollierten ihr eigenes Empfinden wiederum mit Hilfe von Adjektiven. 164 Kapitel 7.1 Ergebnisse Eine der Studierenden fasste ihre Wahrnehmung des Mahnmals beziehungsweise die ihrer Kommilitoninnen nach der Lektüre der Fach- und Tagespresse, der Begehung vor Ort und dem Gespräch mit den Passanten so zusammen: „Vorher wussten sie, wovon sie sprechen – jetzt haben sie ein Gefühl dafür.“ (Brigitte Schultz) Die Studierenden waren so auch in der Lage, ihre Voreingenommenheit zu relativieren und eine eigene Position in der Debatte zu entwickeln, basierend auf ihrer eigenen sowie auf der reflektierten Raumerfahrung anderer. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen, vorab eingenommenen, Position und das Reflektieren der eigenen Empfindung an den Empfindungen andere Menschen am selben Ort (die nicht zur eigenen Gruppe, in diesem Fall der Seminargruppe, gehörten) konnten die Studierenden auch für diesen Ort die Empfindung der Atmosphäre benennen. Auffällig war bei beiden Übungen, dass die Studierenden in außergewöhnlichen Räumen, die empfundene Atmosphäre gezielt in Worte fassen konnten. Die Räume entsprachen keiner, den Studierenden bekannten oder schnell heranzuziehenden Kategorie oder Typologie. Sie waren also, wie die von Smithson oder Long in ihren Arbeiten thematisierten Orte, dekontextualisiert, aus dem Alltagszusammenhang herausgenommen. Die von den Studierenden untersuchten Räume konnten direkt in ihrer Atmosphäre erlebt und erfasst werden. Die Wortfindung in Form von Adjektivsammlungen und die Kombination mit Fotos gaben überdies einen Hinweis auf mögliche Formen des Erfassens von Atmosphären und ihre Kommunikation. 7.1.1.2 Visualisieren von atmosphärischen Raumqualitäten in Fotopaneelen Neben der bewussten Wahrnehmung von Atmosphären sollte in weiteren Schritten auch deren Visualisierung vorgestellt werden. Dafür mussten, über die verbale Erfassung hinaus und die Zuordnung eines einzelnen Bildes, wie in der vorhergehenden Übung beschrieben, geeignete Instrumente erprobt werden. Grundlage Auch bei der Entwicklung dieser methodischen Ansätze waren die künstlerischen Arbeiten von Robert Smithson, aber auch von David Hockney (Bragg, 1983 passim) hilfreich. In seiner Präsentation „Hotel Palenque“ zeigt Smithson ausschließlich Detailaufnahmen und vermeidet es, einen Überblick über das Ganze zu geben. Der Betrachter ist dadurch angeregt, sich ein eigenes Bild von dem dargestellten Ort und seiner Atmosphäre zu machen. Ähnlich geht auch David Hockney in seinen Bildcollagen, den „Joiner Photographs“ vor, bei denen Kapitel 7.1 165 er aus Detailaufnahmen eine ganzheitliche Darstellung, in diesem Fall von Personen formt. Mit dieser Darstellung transportiert er nicht nur ein Portrait der Personen. Er fügt mit den Detailbildern eine zusätzliche narrative Ebene hinzu. Dieses besondere Verhältnis der Details zueinander und der damit möglichen Darstellung eines Ganzen sollte auch die Grundlage zur Präsentation der am Ort durch die Studierenden empfundenen Atmosphäre sein. Die „Moodboards“ (mood (engl.) = Stimmung; board (engl.) = Tafel), die in Kommunikations- und Designberufen, beispielsweise im Setdesign in der Filmbranche, übliche Arbeits- und Präsentationsinstrumente sind, gaben einen weiteren Impuls zur Wahl der Erfassungsinstrumente. In diesen Berufen soll das „Moodboard“ mit Skizzen, Fotos und realen Materialien vorgesehene Anmutungsqualitäten für Designprodukte oder das Arrangement von Filmszenen vermitteln. Es transportiert eher einen unmittelbaren, intuitiv erfassbaren Gesamteindruck, als die Besonderheit von Details oder inhaltliche Vollständigkeit. (Denton/McDonagh, 2005, S. 35ff.) Die Studierenden waren in den Seminaren aufgefordert, atmosphärische Qualitäten, im Sinne des Baudelairschen Flaneurs oder eines Urban Drifters, seiner modernen Interpretation unter anderem durch Situationisten, wie Guy Debord oder Constant (Sadler 1998, S.11, S.77f), zu suchen und mit Hilfe von Fotopaneelen, ihre Eindrücke im Sinne der oben beschriebenen Ansätze zu benennen beziehungsweise festzuhalten. Übung Für die Übungen zum Entwurfsseminar „Sündenfall“ im Sommersemester 2001 (s. Anhang) entstanden die Fotopaneele in einem einheitlichen Format: Sechs mal vier Fotos, in einer Größe von 9 cm auf 13 cm, sollten auf einem Karton, von 52 cm mal 54 cm, zusammengestellt werden. Die Fotos sollten die erkannten Stimmungsqualitäten bewusst in Ausschnitten festhalten, auf dem Karton aber so angeordnet werden, dass ein atmosphärischer Gesamteindruck des Raumes oder des Ortes wiedergegeben werden konnte. Die Übungen waren der Auftakt für spätere, im Rahmen des Seminars erarbeitete, Entwürfe. Dabei setzten sich die Studierenden mit der Frage auseinander, wie sich die Atmosphäre eines Ortes zusammensetzt. Ob sie durch • • die bestimmenden Farben, • natürliches und oder künstliches Licht, • 166 die im Raum vorherrschenden Materialien, architektonische Dispositionen, wie die Höhe, die Enge oder Weite oder die Proportionen eines Raumes, Kapitel 7.1 • die Formen des Raumes oder in ihm befindliche Körper, • die Bezüge des Raumes zu seiner Umgebung, • seine Benutzung oder die Form des Lebens, die in ihm stattfindet, bestimmt wird. Es sollten dabei Formen der Bewegung im Raum, Spuren seiner Benutzung, gegebenenfalls Erinnerungen, also unsichtbare Parameter, in die Bestimmung seiner Atmosphäre eingebracht werden. Es stellten sich außerdem Fragen, wie: • Inspiriert der Ort zu bestimmten Aktionen oder zu einer Kommunikation? • Ist es für die Atmosphäre des Ortes entscheidend, wie die Nutzer mit ihm umgehen? • Spürt man den Nutzer am Ort überhaupt? • Spielen Passanten mit ihrer Gestik, Bewegung eine Rolle? Außerdem sollten die Studierenden feststellen: • Gibt es einen perfekten Zeitpunkt für die gesuchte Atmosphäre? • Hat das Wetter einen Einfluss auf den Ort oder den Raum? Der Auseinandersetzung mit dem Ort und seinem Charakter bzw. der dort vorherrschenden Atmosphäre sollte außerdem ein Titel gegeben werden, der gleichzeitig zu einem Motto für den späteren Entwurf werden könnte. Ergebnisse Die folgenden thematisch strukturierten Tag-Nachtpaneele zeigen die von den Studierenden selbst gewählten Orte in Berlin. Es wurden Stimmungsqualitäten gesucht, aufgespürt, gelesen und fotografisch bei Tag und Nacht dokumentiert und betitelt. Die Stimmungsqualität der ausgewählten Fotopaneele hat sich, sowohl programmatisch als auch architektonisch, in den Entwürfen niedergeschlagen: • Astrid Krumbholz sah auf dem Ernst-Reuter-Platz besondere „Laufstegqualitäten“ und fand für ihre fotografische Arbeit den Titel „Tanz der Eitelkeiten“ (Abb. 7.1.1.2 (1)). Daraus leitete sie für den Platz ihren Entwurf eines Schwimmbads ab, in dem man sich gern und gut zur Schau stellen kann. • Thomas Konsolke fand für seine Visualisierung der Atmosphäre am Verkehrsknotenpunkt Westkreuz den Titel „flüchtiger Barock“ (Abb. 7.1.1.2 (2)). Die Schnelligkeit und Flüchtigkeit der Bewegungen an diesem Ort erinnerte ihn an die Flüchtigkeit des Kapitel 7.1 167 Geldes in einem Casino, so dass er eine solche Nutzung an dieser Stelle vorsah. Dessen Architektur soll stark vom Licht bestimmt werden und in den nächtlichen Ort sozusagen einblendet sein. • Nina Pickert fand für ihre Beobachtung des Lustgartens, des Kupfergrabens und des Boulevards „Unter den Linden“ den Titel „Erinnerung an die Strasse unter den Linden“ (Abb. 7.1.1.2 (3)). Den hier vorherrschenden Klassizismus der Bauwerke assoziierte sie mit Romantik und Ruhe: Er ließ sie ein Wellnessbad im Kupfergraben entwerfen. Die Momente der Ruhe an diesem Ort sollten dadurch gestärkt werden. Bewertung der Übung Abb. 7.1.1.2 (1) Entwurfsseminar „Sündenfall“ Astrid Krumbholz, Fotopaneel „Tanz der Eitelkeiten“, TU Berlin SoSe 2001 Abb. 7.1.1.2 (2) Entwurfsseminar „Sündenfall“, Thomas Konsolke, Fotopaneel „flüchtiger Barock“, TU Berlin SoSe 2001 Abb. 7.1.1.2 (3) Entwurfsseminar „Sündenfall“, Nina Pickert, Fotopaneel „Erinnerung an die Straße unter den Linden“, TU Berlin SoSe 2001 168 Kapitel 7.1 Mit den Paneelen konnten sich die Studierenden in der Regel sehr gut an die atmosphärischen Qualitäten des Ortes annähern und seine sichtbaren und unsichtbaren Qualitäten aufspüren. Die Paneele stellten sich die Studierenden untereinander vor und überprüften dabei, ob sie die von ihnen empfundene Atmosphäre erfolgreich vermittelt hatten. Eine sehr gute Überprüfung der Wirkung einer präsentierten Atmosphäre konnte auch durch die Ergänzung der Fotopaneele mit einer bestimmten Anzahl von deskriptiven Adjektiven erreicht werden. Mit Hilfe dieser Methode wurden dann auch die architektonischen Konzepte initiiert, überprüft und differenziert. Auf diese Art konnte intensiv über Atmosphären kommuniziert werden. Die Medien „Bild“ und „Text“ konnten dabei zur intensiven Vermittlung und zur Kommunikation eingesetzt werden. Das war für meine spätere Entwurfsarbeit mit den Baupiloten und deren Kommunikation mit zukünftigen Nutzern einer Planung von entscheidender Bedeutung. 7.1.1.3 Visualisieren von atmosphärischen Raumqualitäten in einer Kartierung oder einer Mappierung Um die erfassten Atmosphären als Planungsgrundlage wieder verorten zu können, sollten zusätzlich zu den komplexen atmosphärischen Bildern, die sich mit Hilfe der Paneele ergaben, Kartierungen beziehungsweise Mappierungen erstellt werden. Dabei sollte der Ort sinnlich nachvollziehbar zeichnerisch mit seiner Atmosphäre dokumentiert werden. Grundlage Der Stadttheoretiker Kevin Lynch hat mit seiner Forschung über kognitive Karten (mental maps), die die subjektive Wahrnehmung von Räumen, insbesondere von Stadträumen abbilden, einen wesentlichen Beitrag zur Wahrnehmungsgeographie geleistet (Lynch, 1989 passim). Die geographische Darstellung des Raums wird so von einer Verortung der Empfindungen überlagert. Ähnlich geht auch Richard Long in seiner Arbeit „Full Moon Circle Of Ground“ mit der Verortung von Empfindungen um (vgl. Abschnitt 7.1.1.1). Er setzt nicht nur Worte zur Kennzeichnung der Atmosphäre ein, er setzt sie mit ihrer Anordnung auf dem Papier auch in einen räumlichen Bezug zu dem Ort. (Fuchs, 1986, S. 197) In einer anderen Arbeit „Wind Line, A Straight Ten Mile Northward Walk on Dartmoor“ verwendet Long zur Kennzeichnung der durch die Windrichtung bestimmten Atmosphäre einfache Symbole, wie Pfeile (Tiberghien, 1995, S. 179). Übung Die Studierenden sollten sich bei ihren Erkundungen zunächst möglichst ziellos im Sinne des „situationist drifters“, der situationistischen Interpretation des Baudelairschen Flaneurs (Sadler, 1998, S. 56), durch die Stadt treiben lassen, um die Orte mit besonderer atmosphäKapitel 7.1 169 rischer Intensität aufzuspüren. Auch hier ging es darum, neben den „hard facts“ einer Stadt auch deren „soft facts“ zu erfahren. (Sadler, 1998, S. 70) Daraus sollte so etwas wie eine Topografie der Stadt entstehen, die unabhängig von den architektonischen und geographischen Fakten des Ortes auch seine atmosphärischen und seine nicht sichtbaren Eigenschaften festhält. (Sadler, 1998, S. 76ff.) In den Entwurfsseminaren sollte das räumliche Protokollieren der wahrgenommenen Atmosphären eine Grundlage der Entscheidungen über den Entwurf und sein Konzept beziehungsweise seine Struktur werden. Dafür mussten entsprechende Darstellungen, Symbole oder Piktogramme entwickelt werden, durchaus analog zu den, auch in anderen Land- oder Wetterkarten, üblicherweise benutzten Darstellungsformen. Die zeichnerische „Kartierung“ (nur mit Hilfe von Zeichnungen zu erstellen) und die „Mappierung“ (für die unterschiedliche Medien zugelassen waren) wurden bei dieser Übung als unterschiedliche Instrumente eingesetzt. Dabei sollten objektive wie auch subjektiv empfundene Einflüsse auf die Atmosphäre des Ortes festgehalten werden. Insbesondere die Kartierung atmosphärischer Qualitäten stellte sich dabei als erfolgreiches, effektives Analyse- und Kommunikationsmittel heraus. Ergebnisse An den folgenden beiden Beispielen von studentischen Arbeiten wird das Spektrum der Analysen und ihrer möglichen Präsentierungen deutlich. Die Kartierung des Monbijouparks in Berlin-Mitte von Claudia Wheber stützt sich vor allem auf objektive Daten, um eine Atmosphäre zu beschreiben. Die „Route“ von Claudia Heger kartiert vor allem subjektive Beobachtungen der Studentin. Claudia Wheber: „das Wesen der Dunkelheit“ Ort: Monbijoupark, Entwurfsrojekt „Die heißen Quellen der Lust“ (Entwurfsseminar „Sündenfall“ Sommersemester 2001) Claudia Heger: „An blinden Flecken sieht man mehr“, Ort: Gebiet von der ehemaligen Amerikanischen Botschaft (Dorotheenstraße) über die Luisenstraße bis zur Charité, Entwurfsprojekt „ein Hotel“ (Entwurfsseminar „Himmel und Hölle“ Wintersemester 2000/2001) Die Kartierung von Claudia Wheber besteht aus drei einzelnen Karten (Abb. 7.1.1.3 (1) Wheber): Die erste Karte „Nachtleben“ gibt eine objektive Übersicht der historischen und heutigen erotischen Einrichtungen. Die Zeitschichten sind dabei von Weiß für heute, über Grau bis Schwarz für die vergangenen Zeiten markiert. Die zweite Karte „Das Wesen des Lichtes“ stellt die unterschiedlichen Arten und Intensitäten des vorhandenen Lichtes und der Beleuchtung in der Nacht dar. Die Karte gibt einen Überblick darüber, welche Orte in der Nacht dunkel bleiben und welche erhellt werden. Die dritte Karte thematisiert diese dunklen 170 Kapitel 7.1 Dunkelheit heraus. Die Farben Rot, Rosa und Orange stehen für Geborgenheit und Schutz, Sicherheit wird mit der Farbe Gelb dargestellt. Angst und Panik sind von den grün-schwarzen Mustern gekennzeichnet. Die blaue Farbe symbolisiert ein unwirklich entrücktes Gefühl. Die Karte verweist darauf, „[...] wo man sich nicht auf das Sichtbare verlassen kann, die Vorstellungskraft angeregt wird“ (Claudia Wheber) Abb. 7.1.1.3 (1) Entwurfsseminar „Sündenfall“, Claudia Wheber, Kartierung „Das der Dunkelheit“, „Nachtleben“ und Abb. 7.1.1.3 (1) Entwurfsseminar „Sündenfall“, Claudia Wheber, Kartierung „Das WesenWesen der Dunkelheit“, „Nachtleben“ und „Das Wesen des Lichts“, Ort: Monbijoupark, Projekt heißen Quellen der Lust“, TU Berlin SoSe 2001 „Das Wesen des Lichts“, Ort: Monbijoupark, Projekt „Die„Die heißen Quellen der Lust“, TU Berlin SoSe 2001 Orte und arbeitet die Flecken sieht man Wahrnehmungen in der Dunkelheit heraus. Die FarDie Karte „An blinden unterschiedlichen mehr“ (Abb. 7.1.1.3 (2) Heger) von Claudia Heger konzentriert sich auf dieOrange stehen fürAtmosphäre, beispielsweise die Assoziationen, Erinnerunben Rot, Rosa und subjektiv erlebte Geborgenheit und Schutz, Sicherheit wird mit der FargenGelb Phantasien, die durch den Ort ausgelöst den grün-schwarzen Mustern gekennzeichnet. be und dargestellt. Angst und Panik sind von werden können. In der Karte beschreibt Claudia Heger zum Farbe die Dichte der ein unwirklich entrücktesAtmosphäre: Hell bedeutet eine wenig Die blaue einen symbolisiert von ihr wahrgenommenen Gefühl. Die Karte verweist darauf, intensive Ausprägung, dunkel hingegen dichte Ausprägung der Atmosphäre. Sie dokumentiert au„[...] wo man sich nicht auf das Sichtbare verlassen kann, die Vorstellungskraft angeregt ßerdem, wie die Wheber) wird“ (Claudia Atmosphäre des Ortes die eigene Vorstellungswelt bestimmt, die wiederum die Wahrnehmung der beschreibbaren atmosphärischen Phänomene beeinflussen. Für diese Darstellung hat Heger das Bild einer porösen Fassade mehr“ (Abb. 7.1.1.3 (2) Heger) von Claudia Die Karte „An blinden Flecken sieht man gewählt, je durchlässiger sie ist, umso größer ist das Potenzial Atmosphäre, beispielsweise die AssoziaHeger konzentriert sich auf die subjektiv erlebte des Ortes ihre Vorstellungswelt anzuregen. „Blinde Flecken“ Ort ausgelöst werden können. In der tionen, Erinnerungen und Phantasien, die durch den bezeichnen die Orte, die hauptsächlich durch HegersDichte, der von ihr wahrgenommenen AtKarte beschreibt Claudia Heger zum einen die projizierte Vorstellungen bestimmt werden. In ihrem daraus mosphäre: Hell bedeutet eine wenig intensive Ausprägung, Dunkel hingegen eine dichte entwickelten Entwurf eines Hotels spielt sie genau mit Ausprägung der Atmosphäre. Sie dokumentiert außerdem, wie die Atmosphäre des Ortes dieser Bild: Das glamouröse Hotelinnenleben steht im die eigene Vorstellungswelt bestimmt, die wiederum die Wahrnehmung der beschreibbaren starken Kontrast zur spröden tarnenden Außenhülle des atmosphärischen Phänomene beeinflusst. Für diese Darstellung hat Heger das Bild einer poGebäudes. rösen Fassade gewählt, je durchlässiger sie ist, umso größer ist das Potenzial des Ortes, ihre Auch diese Arbeiten stellten sich die Studierenden unter- Abb.die Orte, die hauptsächlich durch Vorstellungswelt anzuregen. „Blinde Flecken“ bezeichnen 7.1.1.3 (2) Entwurfsseminar „Himmel und Hölle“, Claudia Heger, „An blinden Flecken sieht man mehr“, einander projizierte Vorstellungen bestimmt werden. In ihrem daraus entwickelten Entwurf Hegers vor und diskutierten, ob die von ihnen empfun- TU Berlin WiSe 2000/01 eines Hotels spielt sie genau mit diesem Bild: Das glamouröse Hotelinnenleben steht im starken Kontrast zur spröden tarnenden Außenhülle des Gebäudes. 175 Bewertung der Übung Auch diese Arbeiten stellten sich die Studierenden untereinander vor und diskutierten, ob die von ihnen empfundene Atmosphäre erfolgreich vermittelt worden ist bzw. wie tragfähig die Vermittlung über die Kartierung war. Die systematische Analyse verborgener Qualitäten Abb. 7.1.1.3 (2) Entwurfsseminar „Himmel und Hölle“, Claudia Heger, „An blinden Flecken sieht man mehr“, TU Berlin WiSe 2000/01 Kapitel 7.1 171 in den Stadträumen und städtischen Situationen ließ Unsichtbares sichtbar und neu interpretierbar werden. Durch die Mappierung oder Kartierung war eine neue Wirklichkeit entstanden, die Realität des Ortes wurde nicht einfach abgebildet oder projiziert. Diese neue Wirklichkeit konnte zum Ausgangspunkt eines präzisen architektonischen Entwurfsprogramms werden. 7.1.1.4 Fazit In den zuvor beschriebenen Übungen konnten verschiedene Untersuchungsmethoden von räumlichen Atmosphären und Instrumente zu deren Kommunikation erprobt werden. Dabei stellte sich heraus, dass zunächst eine bewusste Schärfung der sinnlichen Wahrnehmung notwendig ist. Dadurch, dass das Sehen in den Hintergrund tritt, werden die anderen menschlichen Sinne geschärft und die Wahrnehmung der Raumatmosphäre insgesamt gestärkt. Was für die Erfahrung von dunklen Räumen wesentlich ist, gilt analog für andere Räume. Die unter Umständen wechselweise Konzentration auf die Wahrnehmung durch bestimmte Sinne erhöht die Intensität der Gesamtwahrnehmung. Wesentlich für die Wahrnehmung von räumlichen Atmosphären ist auch deren Protokollierung, die mit steigender Intensität erprobt wurde: Am Anfang stand die Bestimmung der Atmosphären mit einfachen und wenigen Worten in Kombination mit einem Bild. Die „Moodboards“ aus Fotocollagen und Wortbeschreibungen verdichten und differenzieren das Protokoll mit unterschiedlichen Medien, und die Kartierung/Mappierung verortet die Wahrnehmung der atmosphärischen Wirkung. Das Protokollieren reflektiert Wahrnehmung und intensiviert sie gleichzeitig. Es legt außerdem die Grundlage für die Kommunikation von Atmosphären, die in den Seminaren erfolgreich praktiziert wurde. Hier zeigt sich der propädeutische Charakter für die entwurfliche Arbeit in den Seminaren und für die Entwurfsarbeit der Baupiloten besonders deutlich, die in den Abschnitten 7.2 bis 7.4 ausführlich behandelt wird. 7.1.2 Entwerfen von Atmosphären Wie in Kapitel 2 (Abschnitt 2.3) behandelt, sollte das bewusste Schaffen von Atmosphären ein wesentlicher Teil der architektonischen Arbeit sein. Dazu gehören in der Architekturlehre die entsprechenden Übungen zur Wahrnehmung und zur Komposition beziehungsweise zum Entwurf räumlicher Atmosphären. Aus den Erfahrungen, der im vorherigen Abschnitt behandelten Übungen, entstanden Seminare, in denen räumliche Atmosphären analysiert und ihr Entwurf thematisiert wurde. 172 Kapitel 7.1 Dabei wurde insbesondere an der Entwicklung von Instrumenten gearbeitet, die einen hohen kommunikativen Wert haben und zur einfachen Vermittlung von Raumatmosphären geeignet sind: wie Modelle, Collagen, räumliche Inszenierungen und Erfahrungsräume. 7.1.2.1 Atmosphärische Modelle als Entwurfswerkzeuge In einem dreitägigen Workshop mit dem Titel „Sichtbarmachen des Unsichtbaren ‚Achtung Affekt‘“ an der HAW im Sommersemester 2004 war es Aufgabe der Studierenden, einen Ort in Hamburg zu finden und zu wählen, der eine ihnen besonders erscheinende Atmosphäre hat, diese fotografisch und verbal zu erfassen und zu kommunizieren. Diese Suche sollte, wie in den vorhergehenden Übungen, nicht gezielt, sondern sozusagen als beiläufiges Produkt eines „Urban Driftings“ (vgl. Abschnitt 7.1.1.2) abfallen. Die bislang dargestellten Erfassungs- und Kommunikationsmethoden wurden hier ebenfalls eingesetzt, sollten aber durch die Erprobung haptisch gut wahrnehmbarer und atmosphärisch wirksamer Modelle erweitert werden, in denen die Studierenden ihre vor Ort gemachten Empfindungen konkretisieren und präzisieren sollten. Die Studierenden suchten zur Heraushebung ihrer Darstellung eine charakteristische Tageszeit, Wetterstimmung und Geschäftigkeit. Die Montagen der Fotografien geben eine Vorstellung vom Rhythmus und der Intensität des Ortes. Um ihre atmosphärischen Eindrücke zu kommunizieren, entwickelten die Studierende spezifische Parameter. So konnten den Orten unterschiedliche Attribute zugeschrieben werden, die jeweils aus der subjektiven Perspektive diskutiert wurden. Um die erkannten Atmosphären im Seminar zu vermitteln waren die Studierenden aufgefordert, innerhalb eines Tages aus den gewonnenen Erkenntnissen, konzeptionelle Modelle in der Größe eines Schuhkartons zu bauen, die die von ihnen erkannte Atmosphäre präsentieren konnten. Dafür waren optisch und haptisch gut wahrnehmbare Materialien sowie die bewusste Wahl des Lichteinfalls in das Modell besonders aufschlussreich. (Abb. 7.1.2.1 Nenadic/Warnholz) Abb. 7.1.2.1 De-Kodierung III, „Achtung Affekt“, Britta Warnholz, Daniela Nenadic, Modell „verlockender Raum“, HAW SoSe 2004 7.1.2.2 Atmosphärische Collage als Entwurfswerkzeug Ein anderer Workshop, ebenfalls in Hamburg an der HAW durchgeführt, hatte die atmosphärische Collage zum Thema. Sie wurde hier als direktes Entwurfsinstrument eingesetzt und erprobt. Damit sollte eine atmosphärische Vision für einen Ort konzipiert und gleichzeitig anschaulich kommuniziert werden. Kapitel 7.1 173 Grundlage Eine Collage bezeichnet eine künstlerische Technik, verschiedene Bildelemente auf einen festen Untergrund zu kleben. (www.pop-art-kunst.de ) Die Fotomontage ist eine Spielart der Collage, bei der vorwiegend fotografisches Material, wie zum Beispiel Zeitungsausschnitte oder Fotos verwendet werden. Durch das Zusammenfügen dieser Elemente entsteht eine neue Komposition und somit eine neue Aussage. Der Begriff sowie die Technik wurde um 1916 im Dadaismus entwickelt. (www.pop-art-kunst.de) Der Architekt Mies van der Rohe hat sich „deren Einsatz bei den Dadaisten abgeschaut“ (Stierli, 2011). Der Kunsthistoriker Martino Stierli zeigt am Beispiel der Fotomontage für den Entwurf des Bürohochhauses an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte (1921), wie Mies die Fotomontage „zugleich als Mittel der räumlichen-architektonischen Forschung und zur Darstellung seiner baukünstlerischen Visionen nutzte. Er führt weiter aus: Die „visuelle Rhetorik von Mies und seinem Büro beruhte in erheblichem Maße auf Fotomontage und Fotocollage, Medien, die er wie kein zweiter Architekt für seine Zwecke zu nutzen wusste.“ (Stierli, 2011). Übung Unser Workshop knüpft an den Titel „Hamburg will schöner werden“ in der Süddeutschen Zeitung an, mit dem die Tageszeitung einen Bericht über den spektakulären Entwurf von Jeff Koons für den Spielbudenplatz im Stadtteil St. Pauli überschrieb (Briegleb, 2003). Als Ort unserer Intervention wurde die, Ende der 1950er Jahre konzipierte, Bürostadt City Nord gewählt, die sich zum Zeitpunkt des Workshops 2003 als monofunktionale Wüste präsentierte und für die eine Aufwertung öffentlich gewünscht war. Wir konzentrierten uns auf das Einkaufs- und Geschäftszentrum der City Nord. In einer fotografischen Analyse setzten sich die Workshopteilnehmer mit Hilfe der bewährten Methode des Fotopaneels phänomenologisch mit dem Ort auseinander. Der gigantische Gebäudekomplex erscheint - trotz einer engagierten Zwischennutzung durch vielfältige künstlerische Aktivitäten - in den brachliegenden Ladenflächen, wie ein alterndes Raumschiff. Um die City Nord nachhaltig aufzuwerten, wurden die Studierenden herausgefordert, in einem großen Maßstab zu visionieren. Die provokativen Spekulationen sollten dem City Nord - Alltag eine spürbare Präsenz geben. Die Visionen sollten in Fotomontagen veranschaulicht werden. Die Teilnehmer waren aufgefordert, Bildmaterial aus der nicht-architektonischen Welt eingescannt mitzubringen, das sie zuvor in Magazinen gesammelt und allgemein zur Verfügung gestellt hatten. Es sollte, hinsichtlich gewünschter atmosphärischen Qualitäten, für die Transformation von City Nord gesichtet und dafür aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst werden. Auch wenn die digitale Montage und Bildbearbeitungsprogramme den Spielraum der Ar174 Kapitel 7.1 beitsweise erheblich erweitern, ist bei dieser analogen Klebetechnik von Vorteil, das Ausgangsmaterial hinsichtlich Perspektive, Beleuchtung, Schärfentiefe für die gewünschte Wirkung auszusuchen und zu experimentieren, um eine realistisch wirkende Montage zu erstellen. Die Studierenden waren angehalten, die Strukturen weitgehend unverfälscht zu nutzen, um die Überlagerung der bestehenden Stadtstruktur und gewünschte zukünftige Atmosphäre in Szenarien durchzuspielen. Dies ist ein Prozess des De-Kontextualisierens und des Neu-Kontextualisierens. Das Konzept für die Intervention wird dabei, in Anlehnung an das von Smithson praktizierte Verfahren (vgl. Abschnitt 7.1.1.1), zunächst unabhängig vom eigentlichen Zusammenhang bearbeitet und in die reale Situation hineincollagiert. Abb. 7.1.2.2 De-Kodierung „Hamburg will schöner werden“, Hamburg Einkaufs- und Geschäftszentrum City Nord, Linda Höser, Fotomontage „Lichtung“, HAW SoSe 2003 Bewertung der Übung Die Fotomontage gab den Studierenden ein Entwurfswerkzeug in die Hand, um schnell verschiedene Szenarien zu visualisieren: Die Fotomontage Lichtung, in der die Studierende Linda Höser aus dem ehemaligen Geschäftszentrum eine idyllische Wohnlandschaft in der Natur imaginiert, lässt den Unterschied zwischen Realität und Schein verschwinden. (Abb. 7.1.2.2 Höser) 7.1.2.3 Atmosphärische Inszenierung an einem zu beplanenden Raum Für den wichtigen Schritt, sich dem Entwurf räumlicher Atmosphären konkrekt zu nähern, sollte das Inszenieren atmosphärischer Wirkungen in der Realität erprobt werden. Grundlage Dabei sollte nach dem Prinzip vorgegangen werden, das der Fotograf Jeff Wall für seine Fotos verwendet. Dem flüchtigen oder auch beiläufigen Eindruck seiner Fotografien, den sie nicht nur beim oberflächlichen Betrachten machen, liegt eine aufwändige Komposition und Inszenierung mit zum Teil sehr vielen Personen zugrunde. Bilder, die wie Schnappschüsse wirken, wurden von ihm mit großem Aufwand inszeniert. Dabei greift er auch auf Beispiele aus der Kunstgeschichte zurück, die er dann interpretierend re-inszeniert. Das betrifft auch die Re-inszenierung und gleichzeitig die Übertragung der mit dem historischen Bild verbundenen Atmosphäre in die heutige Zeit. (Abb. 7.1.2.3 (1) Friedel, Tafel 6, S.48f) Kapitel 7.1 175 Abb. 7.1.2.3 (1) Jeff Wall, Originalgemälde und Reinszenierung Hokusai, „sudden gust“, 1993 Übung In einem dreitägigen Kompaktseminar (Sichtbarmachen des Unsichtbaren „Achtung HafenCity bebt“, an der HAW, Sommersemester 2004) war es die Aufgabe der Studierenden, einen Ort in einem eingegrenzten Gebiet (in diesem Fall in der HafenCity) zu finden, der einer vorher bestimmten Atmosphäre entspricht. Die Studierenden hatten konkret zur Aufgabe, eine Postkarte mit der Abbildung eines figürlichen Gemäldes auszuwählen und die bei der Betrachtung wahrgenommene Atmosphäre mit einer kleinen Zahl von Adjektiven zu bezeichnen. Mit den aus diesen Bildern gelesenen Atmosphären gingen sie in der HafenCity auf die Suche. Mit Hilfe einer fotografischen Analyse untersuchten sie die Orte ihrer engeren Wahl, am Tage und in der Nacht, nach atmosphärischen Qualitäten und machten sie für sich selbst damit neu interpretierbar. Die zu dieser Zeit noch brachliegende Stadtlandschaft der HafenCity, herumliegende Gegenstände und agierende Menschen bezogen die Studierenden in ihre neue Interpretation des Ortes mit ein. Dafür mussten sie genau hinschauen und präzise Entscheidungen treffen: welcher Ortsausschnitt, welche Figuren, welche Posen, welche Kleidung, welches Licht, welche Gegenstände zu welcher Tageszeit und Wetterstimmung die Gesamtkomposition ausmachten. Schließlich sollte nicht nur das Bild nachgestellt, sondern auch die damit verbundene Atmosphäre auf den Ort übertragen werden. An den so bestimmten Orten stellten die Studierenden das Gemälde in einer Präsentation in seiner atmosphärischen Ausstrahlung nach. (Abb. 7.1.2.3 (2) Riedel/Schulz), (Abb. 7.1.2.3 (3) Studentin HAW) Bewertung der Übung Diese Übung war nicht nur sehr unterhaltsam für die Studierenden, es ergab sich auch eine große Übereinstimmung in der Einschätzung beziehungsweise eine erfolgreiche Übertragung der 176 Kapitel 7.1 Abb. 7.1.2.3 (2) De-Kodierung III „Achtung HafenCity bebt“, Riedel/Schulz, Originalgemälde und Reinzenierung in der HafenCity Hamburg, HAW SoSe 2004 Abb. 7.1.2.3 (3) De-Kodierung III „Achtung HafenCity bebt“, Originalgemälde (Edward Hopper, hotel room) und Re-inzenierung in der HafenCity Hamburg, HAW SoSe 2004 Postkartenatmosphäre auf den ausgewählten Ort. Die Übung eröffnete neue Blickwinkel für die Studierenden auf das Gebiet der HafenCity. Die HafenCity war durch ihren hohen Bekanntheitsgrad auch in ihrer Wahrnehmung sehr weit vorgeprägt. Diese Vorprägung konnte durch die Übung aufgebrochen werden, und die Studierenden konnten sich dadurch von vorgefassten Architekturbildern lösen, eine differenzierte Sichtweise einnehmen und sich für innovative Entwurfsansätze öffnen. Gleichzeitig erkannten sie die Möglichkeit, Atmosphären nicht nur zu analysieren, sondern auch aktiv herstellen und diskutieren zu können. 7.1.2.4 Atmosphärischer Erfahrungsraum Die in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Werkzeuge konnten in dem Entwurfsseminar Nachtsensationen im Sommersemester 2001 an der TU Berlin zusammenfassend angewendet werden. Übung Ziel des Entwurfsseminars war es, eine für einen bestimmten Ort spezifische Atmosphäre zu schaffen und sie, sowohl für die anderen Seminarteilnehmer als auch für Passanten und Anwohner des Ortes, erlebbar zu machen. Hier war nicht nur der Ort des Seminars, außerhalb der Universität angeordnet, sondern auch der Zeitrahmen eines üblichen Seminarverlaufs verschoben worden. Der Stadtteil Neukölln sollte 24 Stunden lang, mit dem Wandel der Atmosphäre auf dem Boulevard der Karl-Marx-Straße, erfahren werden, um wiederum, mit atmosphärischen Interaktionen in Form kleiner baulicher Elemente, im Laufe des Seminars einzugreifen und seine Atmosphäre temporär zu verändern. Die Studierenden waren aufgefordert, in ihren Entwürfen auf die Stadtteilbewohner, aber auch auf temporäre Besucher, also Passanten, zu reagieren. Damit war zwar ein direkter Kontakt zu Architekturlaien gegeben, und es konnte eine direkte Reaktion auf die Arbeiten abgerufen werden, eine Beteiligung der Laien am Entwurf war aber nicht vorgesehen. Das Projekt war Teil der Aktion „Temporäre Gärten“, die in diesem Jahr unter dem Motto „Über die Lust an der Verschwendung“ stand Kapitel 7.1 177 (Begleitbroschüre zur Ausstellung „Über die Lust an der Verschwendung“, Temporäre Gärten in der City Neukölln, 5. bis 8. Juli 2001). Die Karl-Marx-Straße ist die Haupteinkaufsstraße Neuköllns, eines traditionellen Arbeiterbezirks. Letzerer ist heute geprägt von einer Vielfalt unterschiedlicher Bauten, von großen Kaufhäusern bis zu Currywurstbuden. Die Straße ist aber auch das soziale Zentrum des Stadtteils, in dem sich ein lebendiges Leben zeigt, für das auch entsprechende Abb. 7.1.2.4 (1) Entwurfsseminar „Nachtsensationen“ Sandra Grünwald, „Die Karl-Marx-Straße lädt zum Cruisen ein“, Lebens-, Bau- und Präsentations- TU Berlin SoSe 2001 formen gefunden wurden und gefunden werden. Die Studierenden sollten sich von der Atmosphäre dieses Boulevards und den Menschen, die ihn benutzen inspirieren lassen und den spontanen Eindruck seines Charakters in ihre Entwürfe einfließen lassen. Sie standen so in der Interaktion mit den Leuten, wurden durch die atmosphärischen Eigenschaften des Ortes, aber auch durch die beobachteten Phänomene inspiriert. Es ging auch hier zunächst darum, ein Gefühl für den Ort und für die Menschen aufzubauen, die ihn benutzen. Dabei kamen Fotopaneele und Fotomontagen zum Einsatz. Die Studierenden sollten sich eine Nacht lang einem Nachtschwärmer in Berlin-Neukölln anschließen, so zeitweise an seinem Leben teilhaben und für ihren „Klienten“ (Abb. 7.1.2.4 (1) Sandra Grünwald) ein Projekt im Rahmen der Ausstellung der „Temporären Gärten“ entwerfen und bauen. Sie entwickelten ihre Entwürfe direkt vor Ort also mitten im Geschehen und bauten sie auch dort 178 Kapitel 7.1 Abb. 7.1.2.4 (3) Entwurfsseminar „Nachtsensationen“, Sandra Grünwald und Jost Völkers, „Spoiler Show“, TU Berlin SoSe 2001 Lichtfänger der Anbandler die Spoiler Show der Sternengucker der zwielichtige Gast Circe Die Wolke goldenes Lichtbecken Abb. 7.1.2.4 (2) Entwurfsseminar „Nachtsensationen“ im Rahmen der temporären Gärten in der Karl-Marx-Straße in Berlin, Lageplan und Ansicht der einzelnen atmosphärischen Installationen, TU Berlin SoSe 2001 in atmosphärischen Modellen im Maßstab 1:1. Dadurch entstanden der Kontakt und ein intensiver Austausch mit den Passanten und Bewohnern der umliegenden Häuser, die sehr direkt auf die Entwürfe und die neuen räumlichen Möglichkeiten reagierten. (Abb. 7.1.2.4 (2) Die Baupiloten) Ergebnisse Die Studierenden fanden unterschiedlichste Anknüpfungspunkte. Sehr gut waren die folgenden Projekte gelöst, weil sie entweder authentisch das Lebensgefühl der Leute oder die Stimmungsqualitäten und Einzigartigkeiten des Ortes erfassten: Die Spoiler Show von Sandra Grünwald und Jost Völkers gab dem „leidenschaftlichen Cruiser“ von Neukölln eine Bespiegelungsfläche. Die „Lust an der Verschwendung“ wurde hier zur Lust am Cruisen. Gegen Abend wird die Straße von jungen Männern bestimmt, die herumfahren, um sich und ihr frisiertes Auto zu präsentieren. Die stolzen Fahrer bekommen mit dem spiegelnden Objekt (Abb. 7.1.2.4 (3) Die Baupiloten) die Möglichkeit, sich und ihr Auto voll zu genießen, das heißt zu spiegeln, solange sie an der roten Ampel warten. Gleichzeitig ermöglicht es den Passanten, unbemerkte Blicke auf die Szenerie zu werfen. Kapitel 7.1 179 Sternengucker Baugerüst 5,0m x 5,0m x 3,0m in Nord-Süd-Achse ausgerichtet, in vier Quadranten 2,5m x 2,5m unterteilt. 32 verzinkte Stahlrohre,l= 2,0m, Ø = 0,05m und Ø = 0,10m an Holzbalken befestigt und in mathematisch exakter Position mit Gewindestangen und Schraubschlössern gehalten, um vier Sternzeichen zu dem Zeitpunkt ihres höchsten Standes am Tageshimmel auf den Boden von Neukölln zu projizieren: 1. um 10:30 Uhr: Taurus: 59° Ost, Sonnenwinkel: 48° 2. um 12:00 Uhr: Orion: 28° Ost, Sonnenwinkel: 58° 3. um 13:00 Uhr: Zwilling: nach Süden ausgerichtet, Sonnenwinkel: 60,2° 4. um 17:00 Uhr: Großer Wagen: nach Westen ausgerichtet, Sonnenwinkel: 33° Wolke Rollbrett 0,90m x 0,86m und Sperrholzaufbau 0,86m x 1,20m mit einer Daunendecke und Baumwollwattierung bezogen, darüber an einem Acrylglasrahmen die Wolke gehalten: Baufolie 4,0m x 0,9m x 0,05mm mit Nylonfäden in bauschige Form gezogen, 2 blaue und rote Halogenleuchten von einer Autobatterie betrieben, seitlicher Rückspiegel 0,15m x 0,06m. Anbandler rote 0,16mm starke Plastikfolie zu 10 aufblasbaren Formen zusammengeklebt, h= 2,5 - 3,0m, w= 1,0m - 1,5m, Kontinuierlich mit Luft gefüllt von Axialgebläse VEB-DDR,180 Watt,1220 m/min, verbunden mit Dränagerohren Ø = 0,13m, Volumen von Innen mit Flutlichtern beleuchtet, befestigt auf Autoreifen Firestone F630 Ø =0,59m 185/70 R14, 2 Liebessitze, Stahlrahmen mit gleicherroter Plastikfolie bezogen und mit weichen Luftballons gefüllt. Der zwielichtige Gast oder der illegale Garten 48 grünen und roten Glühbirnchen mit 12V Spannung, die zwischen Spiegellamellen an dunklen Drahtstielen montiert auf zwei Ebenen 1,35m- 1,6m und 0,6m- 0,9m in zwei Holzrahmen mit Acrylglas (0,2m x 0,68m x 3mm) montiert, die Seitenfenster der Telefonzelle wurden mit Spionfolie bezogen Abb. 7.1.2.4 (4-7) Entwurfsseminar „Nachtsensationen“, Sigurd Buhr, der „Sternengucker“, Kian Lian und Sven Morhard, „Wolke“, Jan Moritz, Malte Scholl, „Der Anbandler“ und Vincent Taupitz, Jenny Witte, „Der zwielichtige Gast oder der illegale Garten“ TU Berlin SoSe 2001 Ein anderes Projekt war „der Sternengucker“ von Sigurd Buhr, der die Sternenbilder des Tageshimmels mit mathematischer Präzision auf den Boden von Neukölln holte (Abb. 7.1.2.4 (4) Die Baupiloten). 180 Kapitel 7.1 Ein weiteres Projekt, das in einer Reihe von Collagen und Fotomontagen entwickelt wurde, war „der zwielichtige Gast oder der illegale Garten“ (Abb. 7.1.2.4 (7) Die Baupiloten), das Vincent Taupitz und Jenny Witte entwickelten. Das Projekt knüpfte an einen aktuellen Zeitungsbericht über eine entdeckte Kannabisanpflanzung in einer Neuköllner Wohnung an: „Der zwielichtige Gast oder der illegale Garten“ sucht sich vorübergehend einen abgeschlossenen Raum, der im Vorhandenen besteht. Er besetzt einen Ort, der ihm nicht zusteht. Dort breitet er sich ins Unendliche aus, die endlose Wiederholung unterwandert räumliche Grenzen, schafft eine magische Atmosphäre und letztendlich eine Bühne der Imagination. Dazu bauten die Studierenden ein vielfach reflektierendes, sich sanft bewegendes Blumenfeld aus Licht in der Telefonzelle. Die Veränderung löste bei den Passanten erst Verwunderung, dann Wohlwollen aus. Kian Lian und Sven Morhard entwickelten den bequemen Wolkenwagen, der tagsüber zum Publikumsliebling bei Jung und Alt wurde (Abb. 7.1.2.4 (5) Die Baupiloten). Über einen seitlichen Rückspiegel konnte auf einer weichen Polsterung liegend, unbeobachtet die Umgebung unter einem leichten transparenten Schirm studiert werden. Nachts hingegen bildete die anrüchige Atmosphäre des „Anbandlers“ von Malte Scholl und Jan Moritz den Höhepunkt (Abb. 7.1.2.4 (6) Die Baupiloten). Ein hoher schmaler, aus leuchtenden, roten aufblasbaren Formen gebauter Raum lockte mit einen bequemen Liebessitz. Im Rahmen der Aktion „Temporäre Gärten“ verliehen die Installationen der Straße drei Tage und Nächte lang eine neue Präsenz und fanden eine rege Anteilnahme unter den Bewohnern und Passanten. 7.1.3 Atmosphäre zwischen Architekten und Laien kommunizieren Wie die über Atmosphären gewonnenen Erkenntnisse kommuniziert werden können beziehungsweise wie die Atmosphäre selbst mitgeteilt werden kann, wurde in den Seminaren sehr schnell und immer wieder Thema. Zunächst bezog sich die Frage der Vermittlung auf die Kommunikation unter den Seminarteilnehmern, die allerdings dadurch, dass sie in die Arbeit involviert waren, auch für die Kommunikation sensibilisiert waren. Anders stellte sich die Frage der Kommunikation mit Laien. Sind Fotos mit Adjektivcluster, an Moodboards angelehnten Fotopaneele, Kartierungen oder Mappierungen oder die Erzählung kleiner Geschichten für die Kommunikation zwischen Architekten und Laien geeignet? Diese, auch in der Literatur viel diskutierte, Frage der Architekten-Laien-Kommunikation (vgl. Kapitel 4) wurde im Rahmen mehrerer Seminare thematisiert und empirisch untersucht. Im Seminar „Das Unsichtbare sichtbar machen. Architektur als Klimaregler“ wurden im Kapitel 7.1 181 Sommersemester 2005 an der TU Berlin teilweise in Kooperation mit Prof. Dr. Hartmut Espe vom Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung an der Universität der Künste (UdK) in Berlin, die drei folgenden Übungen mit den Studierenden durchgeführt und ausgewertet: 1. Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten durch eine Mehrheitsabstimmung unter den Teilnehmern des Seminars 2. Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten über ein semantisches Differenzial durch Seminarteilnehmer und außenstehende, fachfremde Personen 3. Sortieren von fotografischen Darstellungen unterschiedlicher Räume, mit gleicher oder ähnlicher Nutzung, nach atmosphärischen Ähnlichkeiten durch Laien und Architekten 7.1.3.1 1. Übung: Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten durch die Mehrheitsabstimmung unter den Teilnehmern des Seminars Die in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Instrumente der atmosphärischen Paneele, der Kartierung und Mappierung wurden im Rahmen der Seminare zunächst unter den Teilnehmern, dann mit Mitstudierenden und mit Berufskollegen diskutiert. Übung/ Ausgangssituation Die Seminarteilnehmer erfassten atmosphärisch eindrucksvolle Raumwirkungen, wie „heiter“ und „bedrohlich“, mit fotografischen Mitteln. Sie spürten in Berlin jeweils einen „heiteren“ und einen „bedrohlichen“ Ort nach eigenem Ermessen auf. Dieser konnte groß, klein, verborgen, aber auch allgemein bekannt sein. Sie bestimmten die Parameter der am Ort erlebten Atmosphäre, das vorherrschende Material, Farben, die Eigenarten des Lichtes. Sie studierten die wesentlichen Bewegungen, die den Ort prägen. Sie beobachteten Aktivitäten und Lebensformen. Sie untersuchten die bestimmenden architektonischen Formen sowie die Geschichte des Ortes. Schließlich fotografierten sie die Orte zu den von ihnen als „perfekt“ bestimmten Zeitpunkten, genau in dem Augenblick, in dem er ihnen eindeutig „heiter“ beziehungsweise „bedrohlich“ erschien. Dabei achteten sie darauf, den Ort in Ausschnitten und Details fotografisch festzuhalten, um in einem Bilderpaneel die erkannte atmosphärische Wirkung des Ortes möglichst treffend zu präsentieren. Die Studierenden stellten einander ihre erarbeiteten Bilderpaneele vor. Anschließend diskutierten sie, welches Paneel und damit welcher Ort für sie am deutlichsten eine heitere oder bedrohliche Atmosphäre ausstrahlt. Die Auswahl war bei beiden Kategorien eindeutig. Um die Bedeutung, die die Worte „heiter“ und „bedrohlich“ für die einzelnen Seminarteilnehmer haben, zu differenzieren, wurden Eigenschaften anhand der Fotopaneele zusam182 Kapitel 7.1 mengetragen, die die Teilnehmer mit den Worten verbinden. Die Studierenden konnten sich schnell auf Adjektive oder mit den Worten assoziierte Verben sowie Substantive einigen. Es wurde in der Übung also erkennbar, dass eine Verständigung über die Wirkung von räumlichen Atmosphären möglich ist, wenn sie über ein Medium, wie die Fotopaneele, vermittelt werden. Es kann eine gemeinsame Bewertung und auch eine Hierarchisierung der atmosphärischen Wirkung vorgenommen werden. Da diese Übung im Zusammenhang mit einem Seminar stattfand, muss die Aussage über die Verständigungsmöglichkeiten über Atmosphären allerdings auf Studierende der Architektur beschränkt werden. In der folgenden Übung konnten hingegen auch Architekturlaien zurate gezogen werden. 7.1.3.2 2. Übung: Bewertung von auf ihre Atmosphäre hin untersuchten Orten über ein semantisches Differenzial Im Rahmen dieser zweiten Übung bewerteten sowohl Studierende der Architektur als auch Architekturlaien Texte und die zu den Orten in der 1.Übung erarbeiteten atmosphärischen Paneelen, mit Hilfe des von Charles E. Osgood entwickelten und von Suitbert Ertel (Ertel, 1965, S. 22ff.) an den deutschsprachigen Raum angepassten „Semantischen Differenzials“ (vgl. Abschnitt 4.2.1.1). Grundlage Ertel stellt fest, dass es bislang kein Instrument zur Erfassung emotionaler (affektiver) Aspekte gibt, das so vielseitig anwendbar ist und gleichzeitig so zahlreiche skalierungstechnische Güteeigenschaften besitzt, wie das semantische Differenzial. (Ertel, 1965, S. 23) Mit diesem Eindrucksdifferenzial können neben sprachlich formulierten Sachverhalten auch Kunstgegenstände, Geräusche, Farben u.a. als Beurteilungsgegenstände dienen, „kurz alles Wahrnehmbare, Vorstellbare, jeder phänomenale Sachverhalt“ (Ertel, 1965, S. 24). Um eine multiple Validität und Zuverlässigkeit zu erreichen, legt Ertel für das Eindrucksdifferenzial je 6 Skalen für die 3 Faktoren „Erregung“, „Valenz“ und „Potenz“ fest. „Eine Gewichtung der Einzelprofile durch die individuelle Konstante der Profilausdehnung erscheint bei interindividuellen Vergleichen notwendig“ (Ertel, 1965, S. 54) Hartmut Espe hat das semantische Differenzial im Feld der Architekturwahrnehmung angewendet. Er hat mit Hilfe des semantischen Differenzials architekturtheoretische Thesen, die den Stil des Nationalsozialismus als einen monumentalen und vereinfachten Neoklassizismus bezeichnen, überprüfen und bestätigen können. (Espe, 1981 S. 36) Dazu wurden die Adjektive aus architekturtheoretischen Schriften über die Naziarchitektur entnommen (Espe, 1981, S. 37). Kapitel 7.1 183 In unserem Falle sollte untersucht werden, ob Architekten beziehungsweise Architekturstudierende und fachfremde Personen Texte und die zu den Orten in der ersten Übung erarbeiteten atmosphärischen Paneelen unterschiedlich beurteilen und wie sich diese Unterschiede darstellen. Im Rahmen des Seminars wurden die polarisierten Adjektivpaare des standardisierten Semantischen Differenzials nach Ertel auf ihre Eindeutigkeit für eine Bewertung einer räumlichen Atmosphäre hin geprüft und angepasst. Auch Espe hatte darauf hingewiesen, dass die Adjektivpaare gegebenenfalls an den zu untersuchenden Gegenstand angepasst werden müssten. Zudem wandelt sich die Sprache, z.B. „finster“ (Urteilsdimension „Valenz“) ist nicht mehr so gebräuchlich, wie vor 30 Jahren. (Espe, 2010) Drei Wortpaare wurden so präzisiert: „fügsam – mächtig“, die Raumatmosphäre ist mächtig in dem Sinne, dass wir uns ihr nicht entziehen können. „Zurückhaltend - nachdrücklich“ wurde geändert zu „flüchtig - nachdrücklich“, nachdrücklich im Sinne einprägsam für das eigene Gefühl, das ein Raum auslöst. Das Wortpaar „überlegen - bescheiden“ wurde erklärt, im Sinne von wie „überlegen“ beziehungsweise „bescheiden“ empfinde ich den Raum. Zwei weitere Wortpaare „kühl - warm“, „zeitlos - modisch“ wurden ergänzt. Der Gedanke, für die Beurteilung von architektonischen Räumen spezifische Adjektive aus Fachveröffentlichungen zu filtern, wurde vorerst nicht weiter verfolgt. Übung: Anwendung des „Semantischen Differenzials“ bei Atmosphärischen Paneelen Mit dem angepassten semantischen Differenzial wurden aus der Kategorie „heiterer Raum“ beurteilt: • Treptower Park Aus der Kategorie „bedrohlicher Raum“: • Hinterhof Neues-Kreuzberger Zentrum • Blücherpark • Spreepark Plänterwald • Flakturm Humboldthain Bei der Beurteilung des Paneels „Hinterhof Neues-Kreuzberger Zentrum“ wurde außerdem noch unterschieden zwischen Architekten und Nicht-Architekten. Die Ergebnisse der Beurteilung durch die Studierenden und Architekturlaien wurden jeweils in einem einzigen „Semantischen Differenzial“ zusammengetragen, um ein zusammenfassendes Bedeutungsprofil und eventuelle „Ausreißer“ zu erkennen. Durch die Verbindung der angekreuzten Bewertungen einer Person entsteht eine grafische Abbildung der semantischen 184 Kapitel 7.1 Abb. 7.1.3.2 (1) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Auswertung semantisches Differential Treptower Park, TU Berlin SoSe 2005 Bewertung der Atmosphäre eines Ortes. Die Überlagerung dieser Bewertungen erlaubt objektivierte Rückschlüsse über atmosphärische Eigenschaften des Ortes sowie über die Eignung der verwendeten Begriffspaare. In der Gegenüberstellung der Eindrucksprofile (nach Ertel) der verschiedenen Orte bestätigt sich, dass sich je nach Ort unterschiedliche Begriffe eignen, um Atmosphären eindeutig zu beschreiben. Ergebnisse So ergaben sich große Übereinstimmungen in der Beurteilung des Paneels „Treptower Park „bei den Adjektivpaaren: „sympathisch - unsympathisch“, „hell - finster“, „lebhaft - bedächtig“, „klar - trübe“, „anziehend - abstoßend“, „freudig - freudlos“, „zeitlos - modisch“, Kapitel 7.1 185 „warm - kühl“, andere standardisierende Adjektivpaare wie „still - laut“ wurden verständlicherweise unentschlossen verwendet, weil sie bei der Betrachtung von Fotos keinen Sinn ergeben. (Abb. 7.1.3.2 (1) Die Baupiloten) Das Paneel zum „Hinterhof Neues Kreuzberger Zentrum“ wurde von Architekten und NichtArchitekten sehr ähnlich bewertet. Beide Gruppen waren sich darüber einig, dass der Ort eher „finster, hart, mächtig, stark, erregend“ erscheint, als „beruhigend, unsympathisch, abstoßend, freudlos, kräftig, dass er eher „ernst“ und „kühl“, im Gegensatz zu „verspielt“ und „warm“ war. Auch hier ergab das Adjektivpaar „still - laut“ eine unschlüssige Beurteilung. Auch das semantische Differenzial ergab, dass die Fotopaneele gute Kommunikationsmittel sein können, sowohl unter Architekturstudierenden als auch unter Architekturlaien. Übung: Anwendung des „Semantischen Differenzials“ bei Texten Für diese Übung suchte jeder Studierende zehn Zitate aus der zeitgenössischen Literatur, aus Tageszeitungen, Lifestylemagazinen, die in ihrer Kürze sehr anschaulich einen Innen- oder Außenraum beschreiben. Daraus wurden die fünfzehn atmosphärisch prägnantesten Kurztexte gewählt, die mit dem „Semantischen Differenzial“ von den Studierenden selbst und von Architekturlaien bewertet wurden. „Der Geruch alter Klamottenund alter Menschen, von Medikamenten, Katzen und feuchten Kellerräumen steigt einem in die Nase.“ „Die Erinnerung an meine Straße ist voller Geräusche. Das helle Geklingel unserer Fahrräder. Der Donner, wenn wir den Lederball gegen die Garage schossen. Unser Kreischen unterm Rasenspränger. Das Gemurmel der Eltern auf der Terasse, wenn wir schon im Bett lagen. Das Rattern der Rolläden, das mich man „Er bringt seine Bilder in die Nähe dessen, was nochmals aus dem Schlaf riss.“ sieht, wenn man eben noch eine Lichtquelle anschau(Die Zeit, Nr. 17, Leben in Utopia, Henning Sussebach) „Der Geruch alter Klamotten und alter Menschen, von „.. Alles is Medikamenten, Katzen und von feuchten Kellerräuabgepols (Neon, 12/04 „Flucht nach oben“, Alia Begisheva) men steigt einem in die Nase.“ te und nun die Augen schließt. Was danach auf der deutiges (Neon, 12/04 „Flucht nach oben“, Alia Begisheva) Innenseite an meine StraßeFlucht nach oben, Ali Alia „Die Erinnerungder Lider bleibt – er nennt es „das fortist voller Geräusche. „Mit (Frankfur einem he Abb. 7.1.3.2 (2-3) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Auswertung semantisches Differential Text laufende des Augenblicks“ –gleicht der Das helle Henning Susebach, TU Berlin SoSe 2005 Donner, den blan Begisheva und Auswertung semantisches Differential Text Leben in Utopia vonGeklingel unserer Fahrräder. Der Textur seiner traf an fremd Bilder. wenn wir den Lederball gegen die Garage schossen. ihn zu einem (TAZ, 21.04.05, Kultur, „Tigeraugen schauen dich an“, Joseph Roth Unser Kreischen unterm Rasenspränger. Das GeKapitel 7.1 186 Christina Nord) murmel der Eltern auf der Terrasse, wenn wir schon im Bett lagen. Das Rattern der Rolläden, das mich Ergebnisse Die Bewertung der Texte von Alia Begisheva „Flucht nach oben“ (Neon, 12/04): (Abb. 7.1.3.2 (2) Die Baupiloten) oder der Text von Henning Susebach aus dem Beitrag „Leben in Utopia“ aus der „Zeit“ (17/05) (Abb. 7.1.3.2 (3) Die Baupiloten) ergaben sehr klare Profilierungen, d.h. sie wurden atmosphärisch eindeutig und übereinstimmend eingeordnet: Seminarteilnehmer, Architekten und Nicht-Architekten waren sich in der Bewertung weitgehend einig, wenn auch die Auswertungslinien der Architekten viel gebündelter verlaufen. Die Linien der Nicht-Architekten sind weiter gefächert und gehen häufiger bis zu den Extremen (-3) und (+3). Auf verbaler Ebene und mit Hilfe von Geschichten lassen sich Atmosphären offensichtlich beschreiben und sind geeignet, auf breiter Basis zu kommunizieren. 7.1.3.3 3. Übung: Sortieren von fotografischen Darstellungen unterschiedlicher Räume mit gleicher oder ähnlicher Nutzung nach atmosphärischen Ähnlichkeiten durch Laien und Architekten. Dieser dritte Versuchsaufbau thematisierte die Einschätzung räumlicher Atmosphären in ihrem unterschiedlichen Verständnis von Laien und Architekten am konkretesten. Grundlage Dazu wurde mit Unterstützung von Herrn Prof. Dr. Espe eine Übung durchgeführt, deren Zweck die vergleichende Wahrnehmung von Atmosphären in Räumen gleicher oder ähnlicher Nutzung war. Die Übung basiert auf einer Sortierung von Fotos der Räume nach Ähnlichkeit. Diese Methode hat Hartmut Espe am Beispiel von Armbanduhren entwickelt. (Espe, Vortrag, 2005) Die Sortierung sollte nach dem Prinzip des „unconstrained“ or „free“ sorting (nach Miller) spontan und intuitiv und ohne Suche nach Begründungen und vermeintlich verborgenen Bedeutungen geschehen. (Miller 1969, S. 169f.) Übung Untersucht wurde der Raumtyp „Hotellobby“. Sie kann das Aushängeschild eines Hotels sein, und muss daher meist mehr ,als eine reine Funktionserfüllung bieten. Die Hotellobby wird bei der Gestaltung und in der Wahrnehmung bewusst oder unbewusst mit einem bestimmten Lebensgefühl verbunden, mit dem der Hotelier eine besondere Zielgruppe ansprechen will. Der Hotelgast oder der potentielle Hotelgast reagiert wiederum auf diese Signale und sucht sich sein Hotel, seinem Lebensgefühl oder seinen Ansprüchen entsprechend, aus. Oft betritt man daher in den Lobbies inszenierte Welten, manche Foyers fallen dagegen durch ihre betonte Nicht-Gestaltung auf. Daraus ergibt sich eine unvergleichliche BandbreiKapitel 7.1 187 te möglicher atmosphärischer Wirkungen. Basis für diese Untersuchung waren etwa zwei hundert Fotografien der Studierenden von Hotellobbies, die durch Aufnahmen aus Prospekten und dem Internet ergänzt wurden. Fünfzig Beispiele wurden in die engere Wahl genommen. Dabei wurde Wert auf ein möglichst weites Hotelspektrum gelegt, in dem Kleinst-, Familien- oder Besitzer geführte Hotels ge1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 1 61 2 3 5 2 3 1 4 2 3 9 41 22 2 0 2 2 19 10 10 4 4 3 3 26 15 16 16 20 9 6 3 21 17 34 12 7 29 5 3 10 32 4 2 7 1 10 5 11 21 2 61 26 30 36 28 15 23 33 13 8 2 3 29 34 41 43 5 19 1 1 3 3 1 1 2 2 4 1 11 29 22 2 0 4 6 12 0 2 31 5 1 13 8 8 2 5 24 1 2 3 61 20 28 22 27 28 26 21 6 3 2 23 24 21 17 7 14 6 1 11 2 4 4 2 1 4 2 4 26 26 2 0 3 8 14 2 2 19 4 2 27 5 6 1 4 21 0 2 4 61 24 30 14 17 27 16 10 4 2 26 26 26 30 12 20 2 0 5 1 3 6 6 3 3 4 10 24 17 4 2 6 5 15 3 9 23 6 4 11 9 11 5 3 23 1 3 5 61 30 21 28 21 19 3 1 0 31 39 35 37 2 22 2 0 4 1 2 3 4 3 1 1 7 34 31 0 1 4 3 10 1 4 21 4 2 15 5 4 2 4 25 0 1 6 61 10 18 34 15 11 2 0 21 26 32 26 12 30 0 1 3 1 1 0 2 6 2 2 11 29 20 2 2 2 8 16 1 4 18 5 2 9 9 11 3 7 24 1 3 7 61 25 10 19 4 0 4 20 25 14 13 3 6 3 5 13 6 6 0 4 2 0 3 2 18 25 0 1 2 2 6 1 7 17 9 1 21 3 3 4 2 16 2 1 8 61 19 36 2 2 4 22 28 28 26 2 11 4 5 15 7 2 2 1 1 0 2 4 27 31 1 1 2 2 6 0 3 15 8 2 30 5 2 3 0 24 4 0 9 61 17 13 2 0 24 28 30 35 9 30 1 2 3 2 4 1 1 2 4 1 10 28 20 3 1 3 5 14 1 4 25 3 1 11 4 14 4 5 33 0 2 10 61 3 2 6 11 17 17 17 3 14 8 12 26 12 1 4 3 0 0 3 3 19 23 1 2 1 4 7 0 3 8 12 3 32 2 3 2 0 20 10 1 11 61 13 4 1 2 6 3 24 17 3 3 0 1 11 5 4 7 15 3 20 5 3 18 9 14 18 22 4 8 7 3 8 4 28 36 16 18 12 4 9 12 61 22 1 1 1 1 18 7 12 7 1 4 6 24 10 16 22 21 8 4 3 21 17 21 12 6 33 3 2 7 37 2 6 9 1 11 6 9 17 13 61 2 0 1 1 5 1 17 22 15 23 1 23 11 9 11 25 6 1 6 10 8 18 11 5 28 3 2 14 26 5 6 3 0 7 2 25 12 14 61 29 29 34 4 8 2 1 5 2 4 1 3 2 3 1 6 23 24 2 0 3 4 5 2 13 27 6 2 13 5 5 5 3 13 0 0 15 61 34 40 4 17 0 0 6 1 1 0 2 2 1 1 3 31 26 1 1 0 2 6 1 2 28 4 0 18 5 5 4 3 28 2 1 16 61 50 5 22 0 0 3 1 2 0 3 1 2 1 10 32 25 3 1 4 2 9 1 2 29 6 0 14 6 4 3 2 24 1 0 17 61 2 20 1 0 3 1 2 2 3 2 2 1 7 33 30 1 0 2 4 7 0 3 28 5 1 14 4 4 3 4 26 0 1 18 61 24 7 4 2 2 5 11 8 3 17 10 23 8 3 11 7 20 12 14 16 4 2 6 13 3 17 21 5 16 15 6 10 19 61 0 4 2 4 2 7 5 2 6 4 13 23 10 6 1 10 7 16 7 2 10 6 6 9 12 16 4 7 28 4 3 20 61 32 24 33 2 20 17 1 11 24 5 1 3 5 6 15 4 4 15 2 1 18 11 7 2 4 0 4 4 30 7 21 61 37 56 2 11 6 1 7 15 1 2 4 1 3 5 2 2 12 0 0 16 12 6 1 2 0 1 5 37 2 22 61 36 1 6 4 1 3 12 1 6 10 1 3 4 3 3 4 3 2 18 7 20 3 3 3 1 6 28 1 23 61 3 11 5 0 7 14 3 2 5 1 2 4 1 2 7 3 1 17 9 6 2 2 1 1 5 41 2 24 61 1 5 9 7 1 5 1 4 7 9 2 5 10 4 26 7 3 3 4 9 13 39 8 2 0 6 25 61 17 11 14 27 9 2 4 13 14 22 14 8 32 6 3 15 27 1 4 3 3 9 2 20 19 26 61 9 5 22 7 4 2 8 17 26 6 6 14 12 3 18 10 2 4 6 10 6 2 11 17 27 61 25 5 17 2 2 28 34 8 26 8 7 7 3 4 12 0 12 12 8 31 1 3 25 28 61 7 14 2 2 30 12 9 21 7 14 2 4 6 16 2 14 12 2 23 5 5 17 29 61 3 2 1 8 15 31 6 5 33 5 2 17 21 2 2 5 1 3 2 24 16 30 61 5 5 16 9 15 20 18 7 9 5 6 4 1 24 24 6 31 5 2 18 21 23 31 61 27 4 0 3 2 12 3 3 17 4 3 17 6 3 3 3 32 2 3 32 61 3 1 3 7 6 1 4 21 5 4 20 6 3 2 1 15 4 1 33 61 20 12 20 4 15 5 1 4 21 2 14 19 3 28 13 7 28 34 61 20 13 13 10 13 1 8 10 2 7 12 12 15 0 9 27 35 61 11 12 24 8 6 11 21 2 7 10 3 11 3 14 25 36 61 13 6 6 6 8 15 4 22 16 5 26 4 3 18 37 61 4 11 10 8 5 9 23 16 16 10 11 2 9 17 38 61 2 2 12 33 0 1 6 1 9 3 26 16 16 39 61 9 10 6 6 12 11 31 6 2 2 6 40 61 8 3 12 7 6 7 2 9 0 2 41 61 13 12 4 5 7 0 6 12 8 42 61 2 5 6 1 7 3 18 17 43 61 5 5 5 0 20 4 1 44 61 30 15 22 4 1 13 45 61 12 20 11 3 13 46 61 5 3 0 5 17 2 47 61 3 5 32 48 61 2 1 49 61 8 50 61 Kempinski Hotel Atlantic I Hamburg De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Teresa Stillebacher Hotel du centre Francais I Müllerstr.74 I 13349 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Anna Heilgemeir Am Hermannplatz I Kottbusserdamm 24 I 10967 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Maria Scheicher Hotel du Palais I Paris De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Johanna Brunnner Esta I Mariannenplatz 26 I 10997 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Maria Scheicher Hotel du centre Francais I Müllerstr.74 I 13349 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Anna Heilgemeir Abb. 7.1.3.3 (1) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler,Atmosphärenquartett Hotellobbies, Similarity Matrix, gesamt 61 Personen, TU Berlin SoSe 2005 Atmosphärenquartett Hotellobbies I Similarity Matrix I gesamt (61 Personen) De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als Klimaregler Abb 7.1.3.3 (2) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Dendrogramm gesamt (61 Personen), TU Berlin SoSe 2005 188 Kapitel 7.1 3 nauso vorkamen, wie Billigsthotels, Grandhotels, Transit- oder Designhotels. Während der „Langen Nacht der Wissenschaften“ 2005 wurden Besucher im Foyer des Architekturgebäudes der TU Berlin gebeten, die auf Karten gedruckten Fotos der Hotellobbies nach Ähnlichkeiten ihrer Atmosphäre zu sortieren. Ergebnisse Insgesamt wurden 61 Sortierungen ausgewertet, davon sind 41 von Architekten und 20 von Nicht-Architekten vorgenommen worden (Abb. 7.1.3.3 (1) Die Baupiloten). Die Sortierdaten wurden in einer Ähnlichkeitsmatrix „Similarity Matrix“ zusammengefasst und mit den computergestützten Programmen „Hierarchical Clusteranalysis (HCA)“ und „Multidimensional Scaling (MDS)“ analysiert. Die in 50 x 50 Einheiten unterteilte „Similarity Matrix“ beschreibt, wie oft eine Hotellobby mit einer anderen in eine Ähnlichkeitsgruppe, also einen „Cluster“ sortiert wurde. Das MDS sucht nach Skalen, um einen Bedeutungsraum zu eröffnen. Daraus wurde ein „Dendrogramm“ (Abb. 7.1.3.3 (2) Die Baupiloten) erarbeitet, aus dem dann wiederum Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Atmosphärentypen erstellt werden konnten. Entstanden sind dabei fünf übergeordnete Atmosphären – Cluster. Diese Cluster wurden von den Studierenden mit charakteristischen Wortketten aus Adjektiven und Substantiven beschrieben. Ein Cluster erhielt dabei beispielsweise die folgenden Bezeichnung: „großzügig – prunkvoll – edle Materialien – pompös – konservativ – Kronleuchter – Säulen“ (Abb. 7.1.3.3 (3) Die Baupiloten). Ein anderes: „klein – dekoriert – home-made – improvisiert – billig – Wohnzimmer – privat“. Die MDS- und HCA-Ergebnisse wurde in einem dreidimensionalen Diagramm dargestellt. Jede „Dimension“ wurde durch ein Begriffsgegensatzpaar bestimmt, das einen positiven und einen negativen Pol beschreibt (Abb. 7.1.3.3 (4) Die Baupiloten). Das Beispiel „Dimension 2: Stil“ zeigt das: Dimension 1: Professionalität professionell geführt und gestaltet improvisiert, dilettantisch geführt und gestaltet Dimension 2: Stil traditionell luxuriös zeitgemäß-praktisch Dimension 3: Individualität individuell-zeitgeistig konventionell-klassisch Die an den Extremen der Dimension verorteten Beispiele wurden von den Studierenden auf ihre atmosphärischen Eigenschaften analysiert, die sie mit Adjektiv-Ketten bezeichneten und die zur Ausstattung verwendeten Materialien und Möbel bestimmten. Daraus konnten die Parameter der Gestaltung herausgearbeitet werden. Kapitel 7.1 189 Hotellobby Atmosphärische Eigenschaften Materialien, Ausstattung Traditionell luxuriös prunkvoll – warm – konservativ – elitär – gesittet – luxuriös – herrschaftlich Marmor – Gold – Kronleuchter – Teppichläufer – Saal – Stuck – Vitrine Zeitgemäß-praktisch Farbig – klar – modern – egalitär – jung – standard – funktional Gefliester Boden – kontrastreiche Farben – Halogenleuchter – amorphe Teppichinseln – Eingangsbereich – Geometrie – Tresen Kempinski Hotel Atlantic I Hamburg De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Teresa Stillebacher Kempinski Hotel Atlantic I Hamburg De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Teresa Stillebacher großzügig I prunkvoll I 23 Hotel du Palais I Paris De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Johanna Brunnner 21 Hotel Adlon Kempinski I Unter Den Linden 77 I 10117 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Christian Necker Hotel Adlon Kempinski I Unter Den Linden 77 I 10117 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Christian Necker 21 Hotel du Palais I Paris De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Johanna Brunnner 20 Hotel California I Kurfürstendamm 35 I 10719 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Maik Frommberg edle Materialien I pompös I 23 49 Westin Grand Hotel I Friedrichstraße 158-164 I 10117 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Christian Necker 22 Hotel California I Kurfürstendamm 35 I 10719 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Maik Frommberg 20 49 Westin Grand Hotel I Friedrichstraße 158-164 I 10117 Berlin De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Christian Necker 22 konservativ I Kronleuchter I Säulen Abb. 7.1.3.3 (3) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Atmosphärenquartett Hotellobbies, Cluster 1, TU Berlin SoSe 2005 Atmosphärenquartett Hotellobbies I Cluster 1 De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als Klimaregler großzügig I prunkvoll I edle Materialien I pompös I konservativ I Kronleuchter I 3 Säulen Atmosphärenquartett Hotellobbies I Cluster 1 De-Kodierung IV I SoSe 2005 I Architektur als Klimaregler Abb. 7.1.3.3 (4) De-Kodierung IV, Architektur als Klimaregler, Atmosphärenquartett Hotellobbies, Überlagerung von Multidimensional Scaling und Hierarchical Clusteranalysis, Cluster 3D-Raum, TU Berlin SoSe 2005 190 Kapitel 7.1 3 Mit diesen Parametern konnten innerhalb der untersuchten Beispiele atmosphärische Typologien erarbeitet werden, die in Wort oder Bild ihrerseits für die Kommunikation über räumliche Atmosphären hilfreich waren. Die Bewertung der Übung Die Sortierung zeigt sehr eindrucksvoll, dass sowohl Architekten als auch Nicht-Architekten die Hotellobbies hinsichtlich ihrer Atmosphäre eindeutig zuordnen. So haben z.B. von 20 Nicht-Architekten 17 das Foyer des Kempinski-Hotels „Atlantik“ in Hamburg und das Foyer des „Hotel du Paris“ in Paris, trotz der erheblichen Unterschiede ihrer einzelnen Architekturelemente, als atmosphärisch gleich eingestuft. Unter Architekten empfanden dies sogar von 41 Personen 39. 7.1.4 Fazit: Atmosphären wahrnehmen, analysieren und entwerfen Die in den vorangegangenen Abschnitten geschilderten Übungen haben gezeigt, dass die Wahrnehmung von Raumatmosphären gefördert und bewusst gemacht werden kann. Jede der Übungen basierte auch auf dem Austausch über räumliche Atmosphären, die zwar individuell erlebt wurden, auch unterschiedlich, aber durchaus auch in der gleichen Weise. Die im Laufe der Übungen dann verfeinerten Techniken des Erfassens, Protokollierens, der Kommunikation von Atmosphären über Fotopaneele und Adjektivketten oder das Anfertigen atmosphärisch wirksamer Modelle und Collagen verschafften den Studierenden nicht nur Klarheit über ihren Entwurfsansatz, sie schärften auch deren Bewusstsein darüber, welche atmosphärischen Qualitäten sie in ihren Entwürfen zu schaffen gedachten. Wesentlich war bei allen Übungen aber die Erkenntnis, wie der Austausch über Atmosphären funktioniert, und zwar im Seminar, genauso wie mit Laien. Es stellte sich heraus, dass nicht nur über Atmosphären gesprochen, geschrieben oder unterschiedlich kommuniziert werden kann, sondern, dass vielmehr die Atmosphäre selbst zum Kommunikationsmittel wird. Die Zeichnungen, Collagen, Adjektivketten, die Fotopaneele oder die atmosphärischen Modelle in den Seminaren schufen selbst eine Atmosphäre, die der Ansprechpartner als ebensolche wahrnahm, sodass er schnell wusste, worüber der Entwerfende sprach oder was dargestellt wurde. Diese Vermittlung funktionierte dabei nicht nur unter den Architekturstudierenden, sondern auch mit Passanten oder mit Architekturlaien. Diese Erkenntnis konnte auch aus den mit Hartmut Espe gemeinsam durchgeführten Übungen gezogen werden. Auch hier gab es gleiche Erfahrungen und Einschätzungen von Architekten und Architekturlaien in Bezug auf das Erleben von Atmosphären und die Kommunikation darüber, d.h. der Austausch über Atmosphären funktionierte auf einer Augenhöhe. Kapitel 7.1 191 Atmosphären sind in der Architektur also nicht nur ein beiläufiges Abfallprodukt, sie sind auch nicht nur bewusst im Entwurf einsetz- und herstellbar, sie sind auch ein Kommunikationsmittel, das aktiv dafür eingesetzt werden kann, eine Übereinstimmung über die zu schaffenden Qualitäten der Architektur zwischen Architekten und Nutzern herzustellen. Mit Hilfe dieses Verständigungsmittels wäre also auch umgekehrt für Architekten ein Zugang zu den Wunschwelten der Nutzer und/oder Bauherrn zu erreichen. Diese Kenntnis ermöglicht dem Architekt die Herstellung eines einvernehmlichen Entwurfes. Die These dieser Möglichkeit war eine Grundlage für meine Arbeit mit den Baupiloten und in meinem Architekturbüro, die im nächsten Abschnitt behandelt werden soll. 7.2 Interaktives Entwerfen mit Atmosphären Den im ersten Abschnitt 7.1 geschilderten Übungen zu atmosphärischen Raumwirkungen als Entwurfs- und Kommunikationswerkzeuge fehlte die Bestätigung durch eine konkrete Anwendung, in einem später zum Bau bestimmten Entwurf, und die Überprüfung dieser Wirkung im realisierten Bauwerk. Die theoretischen Übungen bezogen sich auf einzelne Aufgaben. Die Arbeit an den komplexeren Entwurfs- und Bauaufgaben boten auch die Möglichkeit eines konzeptionellen Ansatzes, der die atmosphärische Wirkung der Architektur zum zentralen Element hatte. Mit der Realisierungsperspektive fehlte aber die Nutzerpartizipation, die nur auf spekulativer Basis in die Entwurfsarbeit und in die Untersuchung des entsprechenden Instrumentariums hätte einbezogen werden können. Die mit den Baupiloten durchgeführten Planungs- und Bauprojekte boten diese Möglichkeit. Sie sollen in diesem und den folgenden Abschnitten detailliert vorgestellt werden. Wie schon am Beginn dieses Kapitels erwähnt, beruht die Arbeit der Baupiloten im Wesentlichen auf zwei Fundamenten: Sie ist in die universitäre Lehre und Forschung eingebunden und muss sich gleichzeitig in der Baupraxis bewähren. Es gibt reale Bauherren und Nutzer, denen die gebauten Räume und Häuser später dienlich sein sollen. Es müssen Bauordnungen und Richtlinien eingehalten werden. Es steht ein meist sehr begrenztes Budget zur Verfügung, aber nicht zuletzt soll eine gut brauchbare Architektur entstehen, die den Nutzern die Möglichkeit zur Identifikation bietet und in der sie sich wohlfühlen. Den Studierenden stehen ausgebildete Architekten zur Seite, die sie mit ihrer Erfahrung durch den Entwurfs- und Bauprozess begleiten. Die Verankerung des Studienprojektes Baupiloten in der universitären Ausbidlung erlaubt gleichzeitig einen experimentellen und reflexiven Arbeitsansatz. Das gilt vor allem für das analytische, entwurfliche und kommunikative Arbeiten mit Atmosphären und die Partizipation von potenziellen und von faktisch zukünftigen Nutzern der Bauten. Beide Ansätze werden in unseren Projekten verfolgt. 192 Kapitel 7.2 Zur Nutzerpartizipation werden Workshops veranstaltet, mit denen einerseits den Nutzerwünschen auf den Grund gegangen werden soll (Initialworkshops) und ihnen andererseits in Rückkopplungsverfahren die Möglichkeit gegeben wird, auf die Entwürfe der Baupiloten entscheidenden Einfluss zu nehmen. Die Initialworkshops werden in Abschnitt 7.2.2 behandelt, die Rückkopplungsverfahren in Abschnitt 7.2.4. 7.2.1 Nutzervorstellungen und Wunschwelten Als ein Prototyp des Arbeitsansatzes mit Realisierungsperspektiven kann ein Entwurfsseminar und Projekt gelten, das noch vor der Gründung der Baupiloten am Fachgebiet „Entwerfen und Innenraumplanung“ der TU Berlin bearbeitet wurde. Es handelte sich dabei um den Umbau des zentralen Vortragssaals des John-F.-Kennedy-Instituts der FU Berlin (JFK-Institut), dessen ungünstige atmosphärische Wirkung ein wichtiger Anlass für dessen Umbau war. Die Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL (27.02.2002) bescheinigte ihm vor dem Umbau die „Ausstrahlung eines Schullandheims“. Die Professoren des JFK-Instituts, die gleichzeitig als Bauherrenvertreter fungierten, wollten den Hörsaal zur Visitenkarte des Instituts machen. Der mit den Studierenden zu entwickelnde Entwurf sollte, anders als der Bestand, Frische und Lebendigkeit ausstrahlen, heiter wirken und den im Berliner Stadtteil Dahlem, in dem sich das Gebäude befindet, vorherrschenden Parkcharakter auch in seinem Inneren spürbar machen. Diese atmosphärische Vorstellung visualisierten die Studierenden in großen farbigen Kreideskizzen und Modellen. So konnten schon am Anfang des Entwurfsprozesses mit den Bauherren und den zukünftigen Nutzern Wunschvorstellungen der Raumgestaltung mit Hilfe von atmosphärischen Qualitäten präzisiert werden, bevor funktionale Belange diskutiert wurden. Diese Kommunikation erwies sich als eine vertrauensbildende Maßnahme,. Der Entwurf erreichte eine hohe Akzeptanz. Nach Fertigstellung erklärte ein Professor, dass für einen akademischen, ernsten Raum der unkonventionelle Vorschlag, mehrfarbige Stühle und einen altrosa-farbenen Vorhang über die gesamte Längsseite des Saals zu verwenden, nicht angenommen worden wäre, wenn es keine klare Verständigung über das atmosphärische Gesamtbild gegeben hätte. Aus dieser Erkenntnis heraus lag für das nächste Projekt, die Modernisierung der ErikaMann-Grundschule in Berlin-Wedding, der Schwerpunkt des konzeptionellen Entwurfsansatzes auf der Nutzerbeteiligung. Im Zentrum stand die Frage, wie die Nutzergruppen, in diesem Fall die Schulkinder, ihre Wünsche nach atmosphärischen Qualitäten in den Entwurfsprozess einbringen können. Wir waren also in der Lage, den Entwurf direkt an den Wunschvorstellungen der Nutzer zu orientieren. Der Schulleitung kam dieser Ansatz sehr entgegen. Sie wollte eine Beteiligung der Kinder an dem Umbau ihrer Lern- und Lebenswelt Schule aus pädagogischen Gründen, um den Schülern die Möglichkeit zu geben, SelbstwirkKapitel 7.2 193 samkeit zu erfahren, demokratisches Handeln zu üben und schließlich ein „Wohlfühlen“ und die Akzeptanz der Architektur zu erreichen. Auch wenn es von Seiten der Schulleitung klare funktionale und pädagogische Vorgaben für die Modernisierung gab, war die Richtung der atmosphärischen Transformation dieses Schulbaus aus der Kaiserzeit, mit seiner autoritär anmutenden Ausstrahlung, aber noch völlig offen. Der Wunsch der Schulleitung nach Beteiligung der Schüler an dem Entwurf kam unserem Interesse an einer nutzerorientierten Architektur einerseits entgegen, andererseits stellte er uns vor die Herausforderung, mit Verfahren zu experimentieren, die in der Lage sind, eine „Agora“, im Sinne von Helga Nowotny, (vgl. Abschnitt 3.4.2) herzustellen und so ein „sozial robustes Wissen“ zu erzeugen, auf dessen Grundlage wir als Architekten arbeiten konnten. Das in den Umbauprozess involvierte Quartiersmanagement verstand den Schulumbau als einen Motor für die Stadtentwicklung und entschloss sich, das Vorhaben im Rahmen des bundesweiten Förderprogramms „Soziale Stadt“ zu fördern. Indem das Projekt in die sozialen Prozesse im Stadtteil eingebunden wurde, konnte seine Architektur zu einem ihrer Katalysatoren werden. Eine der Voraussetzungen für dieses Verfahren war die Zurückhaltung der Architekten und der Architekturstudierenden, Lösungsansätze zu entwickeln, bevor die Nutzer überhaupt die Möglichkeit bekamen, sich mit ihren Wünschen und Vorstellungen zu beschäftigen und diese zu äußern. Die Nutzer sollten, unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht oder ihrem kulturellen Hintergrund, als Experten ihrer Lebenswelten ernstgenommen werden. Den Studierenden fiel diese Zurückhaltung schon deshalb leicht, weil sie nur wenig Erfahrungen mit dem Bau von Häusern hatten und die Untersuchung der Nutzerwünsche als eine Form der Grundlagenermittlung behandelten. Dieser Entwurfsansatz musste im Sinne der Partizipation also einen wesentlichen Schritt weiter gehen, als es die in Kapitel 5 vorgestellten partizipativen Entwurfsstrategien beziehungsweise die in Kapitel 5 behandelten Partizipationsstrukturen. Zu maßgeblichen Fragen wurden: Wie die Nutzer in den kreativen Prozess aktiv einbezogen werden könnten, ohne die Kreativität des Entwerfers einzuschränken, sondern sie im Gegenteil zu fördern? Wie kann der Entwurfsprozess von Anfang an inklusiv und nicht exklusiv (im stillen Entwurfskämmerchen), demokratisch und nicht autoritär, bottom-up und nicht top-down (vgl. Abschnitt 5.4.3) gestaltet werden? In den Übungen der Theorieseminare ist festgestellt worden, dass Atmosphären sowohl Experten als auch Laien die Möglichkeit geben, über Raumqualitäten zu kommunizieren (vgl. Abschnitt 7.1.4). Es lag die Vermutung nahe, dass Atmosphäre, vermittelt durch verbale Prozesse oder über Medien, wie die Bildcollage oder sinnlich nachvollziehbare Modelle, auch ein wesentliches Kommunikationsmittel für die Wünsche und Vorstellungen der Nutzer in 194 Kapitel 7.2 Bezug auf die Raumgestaltung sein könnte. Die Wunschvorstellungen, aber auch anderes Wissen der Nutzer sollten dabei nicht nur in den Entwurfsprozess einfließen, sondern auch gemeinsam interpretiert und reflektiert werden. Dafür brauchte es Entwurfswerkzeuge, die eine gemeinsame Kommunikationsebene beziehungsweise einen gemeinsamen Referenzrahmen für alle Beteiligten schaffen, und die sich gegebenenfalls auch für andere Gruppierungen öffnen ließen. Als entscheidend hat sich in diesem Verfahren herausgestellt, in welcher Art und Weise die Nutzer nach ihren Wünschen gefragt werden. Geschieht dies zu direkt, bilden die Antworten zu sehr ihre direkte Umwelt oder auch die Wunschwelt eines Warenhauskataloges ab. Sie orientieren sich an den bekannten Bildern. Haben wir Kinder auf diese Weise gefragt, bekamen wir Antworten, wie diese: „Unsere Schule soll bunter werden. Sie soll aussehen wie eine Ritterburg oder ein Zeltlager.“ Um die Wunschwelten der Kinder aber genauer zu erfassen, ist es notwendig, ihre Vorstellungen von den Umgebungsqualitäten zu erkunden, die sie sich für ihre Schule oder ihre Kindertagesstätte vorstellen. Ich habe sie deshalb gebeten, sich in eine Traumwelt zu begeben und uns daraus zu berichten. Dafür habe ich verschiedene Methoden entwickelt. Die Nutzer sollten, abhängig von der Zusammensetzung der Nutzergruppe, wie es Ariane Bischoff et al formulieren, zunächst für die Fragestellung sensibilisiert, ihre Wahrnehmung und ihr Blickwinkel sollten erweitert und damit ihre Fantasie angeregt werden, „[...] um über die alltägliche Erfahrungswelt hinaus Ideen zu entwickeln.“ (Bischoff 2007, S. 257) Dafür wurden unterschiedliche Ansätze vorbereitet und konnten in der Laborsituation der Universität getestet, analysiert und reflektiert werden. All diesen Workshops folgten nach den Entwürfen der Baupiloten wiederum Workshops zur Rückkopplung mit den Nutzern: Diese werden in Abschnitt 7.2.4 darlegt. 7.2.2 Initialworkshops als Fallstudien Seit 2002 wurden zahlreiche Workshops mit zukünftigen Nutzern durchgeführt (vgl. Steckbriefe der einzelnen Workshoptypen im Anhang). Dabei wurde auf unterschiedliche Weise untersucht, wie Atmosphären zur Kommunikation von Raumqualitäten eingesetzt und dann konkret zur Generierung eines Entwurfes herangezogen werden können. Dabei wurden vier Kategorien von Workshoptypen unterschieden: 1. Workshoptyp 1, in dem mit zwei- oder dreidimensionalen Collagen gearbeitet wurde. Die Entwürfe der Baupiloten wurden dann in mehreren „Rückkopplungsrunden“ den Kapitel 7.2 195 Nutzern präsentiert und verfeinert. (Dieser Prozess wird in Abschnitt 7.2.4 behandelt) Beispielhafte Projekte für dieses Vorgehen sind: Der Umbau der Erika-Mann-Grundschule und der Umbau der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Wedding. 2. Workshoptyp 2, in dem mit den gleichen Instrumenten gearbeitet wurde, aber Pädagogen einbezogen waren. Die Projektarbeit mit den Kindern war vorab mit den Betreuern diskutiert, aber ohne die Baupiloten durchgeführt worden. Die präsentierten Ergebnisse nahmen die Baupiloten dann zur Grundlage ihrer Entwürfe. Auf weiteren Veranstaltungen wurden die Entwürfe der Baupiloten in einer Rückkopplung diskutiert. Beispielhafte Projekte für dieses Vorgehen sind: Der Umbau der Kindertagesstätten „Traumbaum“ in Berlin-Kreuzberg, der Umbau der Kindertagesstätte „TakaTuka-Land“ in Berlin-Spandau und der Neubau einer Kindertagesstätte in Leipzig. 3. Workshoptyp 3, mit komplexer Aufgabenstellung und Vorgehensweise. Die Workshops fanden innerhalb einer Projektwoche statt, oder es gab eine kontinuierliche Partizipation über ein Studiensemester. Beispielhafte Projekte für dieses Vorgehen sind: die Wettbewerbsvorbereitungen zum Umbau der Evangelischen Schule Berlin Zentrum in Berlin-Mitte, sowie die Carlo-Schmid-Oberschule in Berlin-Spandau. 4. Workshoptyp 4, mit Interviews, also verbaler Kommunikation. Beispielhafte Projekte für dieses Vorgehen sind: Der Beitrag für die Ausstellung „Find The Gap“ für AEDES, Berlin, und das Projekt zur Sanierung und zum Umbau der Studentenwohnheimanlage Siegmunds Hof in Berlin-Mitte. In den folgenden Abschnitten werden die Workshoptypen im Einzelnen vorgestellt und diskutiert. Zu jedem der durchgeführten Workshops wurden einzelne Steckbriefe angefertigt, die im Anhang dieser Arbeit zu finden sind. 7.2.2.1 Workshoptyp 1 (zwei- oder dreidimensionales Collagieren) Im Workshoptyp 1 arbeiteten die Baupiloten direkt mit den Schulkindern. Dabei wurden zwei- oder dreidimensionale Collagen nach den in den Seminaren (vgl. Abschnitt 7.1.2.2) erprobten Prinzipien angefertigt und diese Prinzipien weiter verfeinert. Diese sahen zunächst vor, keine architektonischen Motive und keine starken Strukturmuster in den Collagen zu verwenden, um die Phantasie der Kinder nicht zu früh einzuschränken. Als wichtig wurden auch die verbale Kommunikation der Baupiloten mit den Schülern und das Protokoll des Gesprächs erachtet. 196 Kapitel 7.2 7.2.2.1.1 Erika-Mann-Grundschule, Berlin-Wedding, 1.Bauabschnitt Zur Vorbereitung des Workshops mit den Baupiloten hatte die Leitung der Erika-MannGrundschule alle Schüler (3. bis 6. Klasse) ohne weitere Anleitung gebeten, ein Bild von ihrem Lieblingsort in ihrer Heimat zu malen. Im Gespräch mit der Schulleitung hatten wir uns darauf geeignet, dass die Vielfalt der kulturellen Lebenshintergründe der Kinder genutzt werden sollte. Die Ergebnisse dieser Malaufgabe erwiesen sich allerdings als wenig hilfreich. Eine Vielzahl der Kinder stellte entweder ihr eigenes Zimmer dar, einen Fußballplatz oder andere Orte, mit denen sie so konkrete Vorstellungen verbanden, dass sie auf die Umwelt der Schule nicht übertragbar waren. Die Kinder mussten also weiter aus ihrer alltäglichen Welt „entführt“ werden, um ihre Fantasie anzuregen und zu entfesseln. Viele Kinder fühlten sich durch den Zwang, in der Gruppe reden und diskutieren zu müssen gehemmt. Die Bilder und Collagen wurden so zu einem wichtigen, ergänzenden und später hauptsächlichen Kommunikationsmittel. So konnte das assoziative schöpferische Denken der Kinder angeregt und ihre Gesprächsbereitschaft gefördert werden. Außerdem konnten Erfahrungen aus Entwurfsseminaren für Studierende der Architektur an der Universität eingebracht werden. Dort hatte es sich um die Studierenden von ihren klischeehaften Vorstellungen von Gebäudetypen zu lösen, als vorteilhaft herausgestellt, sie ausschließlich mit nicht-architektonischen Bildern collagieren zu lassen. (vgl. Abschnitt 7.1.2.2). Die Studierenden kamen durch diese „Lockerungsübungen“ unvoreingenommen zu treffenderen und frischeren Ideen, als wenn sie sozusagen nach Vorlage gearbeitet hätten. Der Entwurf war weitgehend über die gewünschten atmosphärischen Qualitäten entstanden. Die Studierenden waren aufgefordert, für diesen ersten Workshop gemeinsam mit den Schülern je zehn Bilder mit nicht-architektonischen Motiven zu sammeln. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Bilder keine flachen, zweidimensionalen Muster darstellten, sie sollten vielmehr eine starke räumliche Wirkung haben, und die Studierenden waren gebeten worden, atmosphärisch besonders ausdrucksstarke Bilder auszusuchen. Die Schüler bekamen die Aufgabe, über einen „Garten der Zukunft“ nachzudenken, in dem sie sich sehr gerne aufhalten wollten, und aus dem Bildmaterial entsprechende Collagen zu fertigen, mit deren Hilfe sie ihre Vorstellungen darstellen sollten. Die Idee einer Zukunft sollte dabei ihre Fantasie beflügeln; der Begriff „Garten“ spielt weniger auf eine funktionale, als auf eine sinnliche Umgebung an. Jedes der Kinder sollte sich fünf Bilder aus dem Pool auswählen, die sie besonders schön fänden und denen sie die atmosphärischen Qualitäten zuweisen könnten, mit denen sie sich besonders wohlzufühlen meinten. Diese waren dann für sie oft besser zu erkennen, wenn sie sie auf den Kopf drehten oder sie von der Seite betrachteten. Wir haben die Kinder dabei ermutigt, ihre derzeitige Realität auszublenden und sich in eine Fantasiewelt, eben in den „Garten der Zukunft“, hineinzubegeben. Die Studierenden sollten den Schülern dabei lediglich helfen, sie gegebenenfalls motivieren und ermutigen, die Entscheidungen für Kapitel 7.2 197 oder gegen bestimmte Bilder zu treffen, sie aber nicht zu steuern. Nachdem die Schüler ihre Bildauswahl getroffen hatten, wurden sie aufgefordert, daraus „einen Weg durch den Garten der Zukunft“ zu collagieren. Die Kinder entwickelten über die Collage einen persönlichen Zugang zum Thema und konnten schließlich, durch ihre Imagination mit allen zur Verfügung stehenden Sinnen (sinnliche Assoziationen), einen Zugang zu ihrer gebauten Umgebung finden, der über die funktionalen und sachlichen Zwänge hinausging. Die Studierenden waren aufgefordert, Gespräche mit den Schülern zu führen und insbesondere deren Hinweise auf das Dargestellte, Bemerkungen und Interpretationen dazu, zu protokollieren. Manche Schüler arbeiteten still vor sich hin oder sprachen nur mit ihren Mitschülern, andere erzählten den Studierenden die Geschichten, die sie mit den Bildern und ihren daraus gewonnen Collagen verbanden und was ihnen daran besonders gefiel. Am Ende des Workshops wurden die Schüler gebeten, ihre Collagen zu betiteln. Sie fanden Namen wie: Der heiße Garten oder der Feuergarten (Merwe und Achim) (Abb. 7.2.2.1.1 (1) Die Baupiloten), Der Paradiesgarten (Sarah und Yildiz), Der verzauberte Garten (böse verzaubert) (Anne und Goya), Buntester Blumengarten (zur Zeit der Bearbeitung ist Winter) (Ellen und Nora ), Der Abenteuergarten (Jacco und Martin ), Der Weltraumgarten (Andreas und Serge), Spurengarten (Pavel und Hussein), Der Insektengarten (Mirna und Helen), Das Rote Chamäleon auf der Suche nach Wasser (Yassmin, Ayse, Merwa und Dustin), Der Bunte Garten (Sibel und Max). Im Anschluss wurden die Schüler gebeten, den Studierenden ihre Collagen und die dazugehörigen Geschichten in einer Art Präsentation zu erklären. Die Ergebnisse wurden vorgetragen und von den Studierenden protokolliert oder von den Schülern selbst niedergeschrieben. Sie werden hier abgekürzt wieder gegeben: Der heiße Garten oder der Feuergarten (Merwe und Achim) „Da ist ein gemütlicher Platz im Garten, vielleicht ein Schlafplatz in der Mitte. Hier kann ich viele verrückte Dinge tun. Um mich herum dampft es neblig und ein riesiger Sandsturm kommt auf: Man sieht Lava aufsprühen – stachelig und heiß. Aber ich kann mich im kalten Wasser abkühlen. Nachdem ich durch das Feuer ge198 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.2.1.1 (1) Erika-Mann-Grundschule 1.BA, Initialworkshop, Merwe und Achim, beide 10 Jahre, „Der heiße Garten“, TU Berlin SoSe 2001 gangen bin, erscheint mir alles glühend rot aber auch kühl und blau. Nach einer Schatzsuche kann ich, ganz verschwitzt durch die Hitze, im Nebel schwimmen gehen. Ein Geheimgang führt mich durch das Wasser hindurch, in dem Delphine mit mir schwimmen und auf mich hören.“ Die Bildcollagen und die Erklärungen der Kinder wurden die Basis für die Entwurfsarbeit der Baupiloten. Wir achteten auf die atmosphärischen, aber auch auf die programmatischen Schilderungen in den Texten und in den Collagen, die die Studierenden dann in eigenen Bildcollagen und Modellen verarbeiteten. Dazu mehr im Abschnitt 7.2.4.1. Auffällig waren in den Formulierungen der Kinder die vielen atmosphärischen Schilderungen, die im Text zur besseren Anschauung gelb markiert sind. Grün markiert sind die programmatischen Attribute. „Da ist ein gemütlicher Platz im Garten, vielleicht ein Schlafplatz in der Mitte. Hier kann ich viele verrückte Dinge tun. Um mich herum dampft es neblig und ein riesiger Sandsturm kommt auf: Man sieht Lava aufsprühen – stachelig und heiß. Aber ich kann mich im kalten Wasser abkühlen. Nachdem ich durch das Feuer gegangen bin, erscheint mir alles glühend rot, aber auch kühl und blau. Nach einer Schatzsuche kann ich, ganz verschwitzt durch die Hitze, im Nebel schwimmen gehen. Ein Geheimgang führt mich durch das Wasser hindurch, in dem Delphine mit mir schwimmen und auf mich hören.“ Erkennen ließ sich in Bild und Text auch eine Vielzahl an Aktivitäten und eine gewisse räumliche Struktur, die sich die Kinder für ihre „Gärten der Zukunft“ vorstellten. Hier nochmals eine Analyse der Darstellung von Merwe und Achim: Der Ausgangspunkt der Geschichte liegt mittig: gemütlicher Platz, Schlafplatz Die Umgebung wird anschaulich beschrieben: • es dampft nebelig • riesiger Sandsturm • Lava aufsprühen (stachelig und heiß) Die Geschichte umfasst zahlreiche Aktivitäten: • Abkühlen (im kalten Wasser) • Durchs Feuer gehen, dadurch bin ich verwandelt: alles erscheint mir glühend rot oder auch kühl und blau • Schatzsuche, danach: verschwitzt (durch die Hitze) Kapitel 7.2 199 • Im Nebel (!) schwimmen gehen • Ein Geheim(!)gang führt mich durch das Wasser • In dem Delphine mit mir schwimmen • Und auf mich hören Es empfahl sich ein genaues Lesen der Vorstellungen. So sollte es beispielsweise nicht allein um das Schwimmen gehen, sondern darum, im Nebel schwimmen zu gehen oder es geht nicht nur ein Gang durch das Wasser (was schon schwer genug ist!), sondern ein Geheimgang. Die Vorstellungen der Kinder fielen naturgemäß sehr schillernd, vielfältig, vielleicht auch widersprüchlich aus, aber alle Kinder erzählten von ihren Collagen in Verbindung mit Aktivitäten, aus denen wir einen Gesamteindruck der Wünsche formen mussten, in denen alle Wünsche ihrem Wesen nach untergebracht werden konnten. Es ging darum, aus den schriftlichen und bildlichen sowie verbal-akustischen Äußerungen der Kinder einen Gesamteindruck der gewünschten Atmosphäre zu erhalten. Ein Weg dahin war es, alle Adjektive zusammenzustellen, die in den Vorträgen der Kinder vorkamen, um daraus einen atmosphärischen Gesamteindruck zu destillieren: In den theoretischen Seminaren „De-Kodierung“ (vgl. Abschnitt 7.1) konnten die Erkenntnisse, die mit den Kindern gewonnen wurden, nämlich Architektur mit Adjektiven atmosphärisch zu erfassen, angewendet werden. Die Adjektive der Schulkinder machten ihre, vor allem sinnliche, Wahrnehmung und ihr imaginiertes Empfinden deutlich. Alle Schulkinder brachten ihre Vorstellungen in einer Art zum Ausdruck, dass der Raum in der Diskussion mit den Studierenden, Lehrerinnen und Mitschülern (fast) leiblich spürbar wurde. Mit Hilfe der Geschichten konnte man sich in die von den Schülern geschilderten Räume direkt hineinfühlen. Die Collagen und Geschichten gaben allerdings keine direkten Hinweise darauf, wie die Schule umgebaut werden sollte, es wurde aber deutlich, in welche Art von Umgebung sich die Kinder gern hineinbegeben würden. In späteren Workshops, die teilweise auch andere Zielgruppen ansprechen sollten, wurde das in der Erika-Mann-Grundschule erprobte Vorgehen dann variiert. Hinzu kamen das Collagieren am Computer und das räumliche Collagieren. Dafür soll die Planung des zweiten Bauabschnitts der Erika-Mann-Grundschule und der Umbau der Carl-Bolle-Grundschule, hier ging es um den Einbau einer Freizeitlandschaft in einen bis dahin ungenutzten Gang, als Beispiele dienen. Beide Projekte wurden im Wintersemester 2006/2007 bearbeitet. 200 Kapitel 7.2 7.2.2.1.2 Erika-Mann-Grundschule, Berlin-Wedding, 2.Bauabschnitt Für den zweiten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule sollte die Architektur entsprechend den Altersgruppen der Kinder differenziert werden. Beteiligt waren wieder Schüler der dritten bis sechsten Klassen. Ausgangspunkt sollte aber, wie für den ersten Bauabschnitt, Bildmaterial mit nicht-architektonischen Motiven sein. Die Methode des Collagierens und die Aufgabenstellung wurden jedoch verändert. Für die Schüler der 5. und 6. Klasse wurde der Computer als Arbeitsmittel gewählt. Die Kinder der 3. und 4. Klasse waren aufgefordert, räumlich zu collagieren. Dies geschah auch in der Absicht, herauszufinden, ob man so noch besseren Aufschluss über die räumlich atmosphärischen Wunschvorstellungen der Kinder erhalten kann. Schüler der 5. und 6. Jahrgangsstufe wurden im Vorfeld des Workshops, im Rahmen des Schulunterrichts, an das Computerprogramm PAINT herangeführt. Der Workshop selbst gab ihnen in Einzelarbeiten dann die Möglichkeit mittels Verfremdung, Collagieren und Interpretieren des gelieferten digitalen Bildmaterials, am Computer einen fantastischen Ort zu kreieren. Die Aufgabenstellung lautete: „Stell´ Dir vor: Du bist ein Held, ein Alleskönner, ein Tausendsassa. Du kannst Orte erfinden, von denen andere nur träumen können. Der genialste Typ, der mit seinem Computer einen Ort zaubern kann, so fantastisch, wie ihn noch niemand gesehen hat. Also - Leg´ los!“ Die Ergebnisse waren nicht sehr befriedigend. Die Schüler konzentrierten sich wenig auf die Inhalte, da für Sie das Werkzeug im Vordergrund stand. Auch in der Aufgabenstellung stand der Computer im Vordergrund, es gab zu wenige Hinweise auf mögliche, neue Welten und zu wenig Motivation der Kinder zum Träumen. Erika-Mann-Grundschule, 2. Bauabschnitt, Workshop 1: Räumliche Collage „die Welt in der Box“ Kinder der Klassen 3 und 4 wurden gebeten, die Welt des „Silberdrachen-Forscher-Freundes“ in einem Schuhkarton zu erschaffen: Hier lautete die Aufgabenstellung: „Der Freund des Silberdrachens kommt heim. Euer Silberdrache hat einen Freund. Dieser Freund war während der letzten Jahre auf Entdeckungsreise. Die nächsten Jahre wird er erforschen - alles, was er gesehen und gesammelt hat. Baue sein Forschungslabor, seinen Entdeckergarten, seinen Neugierhimmel.“ Kapitel 7.2 201 Im Unterschied zu dem für den ersten Bauabschnitt veranstalteten Workshop mit Klebecollagen konnte nun das ausgewählte Bildmaterial in den drei Dimensionen eines Schuhkartons angeordnet werden und gegebenenfalls mit anderem Material, wie Holzstäbchen ergänzt werden. Nach Fertigstellung des Modells konnte mit Licht und Lichteinfällen, durch Öffnungen in der Kartonwand, experimentiert werden. Der Abb. 7.2.2.1.2 (1) Erika-Mann-Grundschule 2.BA, Initialworkshop, Enes und Mogtaba, beide 10 Jahre, „Die gemischte Welt Blick durch einen Türspion in das Innere von Sommer und Winter“, TU Berlin WiSe 2006/07 des Kartons, mit seiner neu geschaffenen atmosphärischen Welt, verstärkte deren räumliche Wirkung. Auch hier nutzten die Studierenden diese Zusammenarbeit als Möglichkeit, sich mit den Kindern auszutauschen, von Ihnen über ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren. Die Kindermodelle „Die gemischte Welt von Sommer und Winter“ (Abb. 7.2.2.1.3 (1) Die Baupiloten) und das „Wasserblumenlabor“ (Abb. 7.2.2.1.3 (2) Die Baupiloten) inspirierten mehrere Studierende bei ihrer Entwurfsarbeit. Auffällig war aber auch hier, dass es den Schülern teilweise schwerer fiel, in die imaginären Orte einzutauchen und sie sinnlich zu beschreiben, als in den für den ersten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule veranstalteten Workshops. Das Ergebnis des Workshops variierte aber auch mit der Kommunikationsfähigkeit der Studierenden. Je besser ihre Ansprache an die Schüler war, umso besser verwertbar waren auch die Ergebnisse des Workshops. Das gilt unter anderem für ein Beispiel der Schülerarbeiten: Wasserblumenlabor (Nasibe, 9 Jahre, Michael, 10 Jahre, Baupilotin: Andrea Caesar ) Aus dem Bericht der Schüler: „Auf seinen Reisen hat der Freund des kleinen Drachens jede Menge exotische Blumen gesehen … ... als er nach Hause kommt, hat er eine geniale Idee, er möchte in seinem Labor auch Pflanzen züchten, diese Pflanzen sollen allerdings nicht aus Samen sprießen, sondern sie sollen aus den Elementen bestehen. Er fängt damit an, Wasserblumen zu züchten, als er schon ein bisschen Erfahrung hat, 202 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.2.1.2 (2) Erika-Mann-Grundschule 2.BA, Initialworkshop, Nasibe und Michael, beide 9 Jahre, „Wasserblumenlabor“, TU Berlin WiSe 2006/07 gelingt es ihm sogar Feuerblumen zu erfinden.“ Die von den Kindern gefertigten Modelle wurden von den Baupiloten zur besseren Auswertung ihrer atmosphärischen Qualitäten fotografiert. Mit den Erfahrungen aus den für den zweiten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule veranstalteten Workshops wurden ähnliche Veranstaltungen modifiziert. Kurze Zeit nach den Workshops in der Erika-Mann-Grundschule fanden die Workshops für die Planungen zum Einbau einer Freizeitlandschaft in die Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Wedding statt. Hier wurde insbesondere die Aufgabenstellung variiert und der pädagogische Schwerpunkt „Sprache und Bewegung“ berücksichtigt. Hier sollte der Text die Kinder stärker ermuntern, in andere Welten einzutauchen, und er zeigte ihnen schon Möglichkeiten auf, die Welt mit anderen Augen zu sehen. 7.2.2.1.3 Carl-Bolle-Grundschule, Berlin-Moabit Aufgabenstellung Workshop Carl-Bolle-Grundschule: „Ich in Bewegung“ „Baue in dem Karton Deinen Bewegungs-Garten. Ist es ein Kletter-Wald, ein Kuller-Labyrinth, eine Schlitter-Wüste, ein Kick-Keller? Schwebst Du dort oder hängst Du oder stehst Du oder ...? Wohnst Du in der Decke, in der Wand auf dem Boden, unter dem Boden ...? was machst Du dort, was bewegt sich mit Dir, wohin bewegst Du Dich, wie fühlst Du Dich dort“? Für diesen Workshop wurde im Prinzip der gleiche Versuchsaufbau, wie im Workshop für den zweiten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule, „Räumliche Collagen“ verwendet. Allein die Aufgabenstellung wurde anschaulicher formuliert. Die Kinder fühlten sich von den möglichen Aktivitäten angesprochen und motiviert, eigene Welten zu basteln und sich in diese hineinzufühlen. Es entstanden Modelle mit Namen wie die „Schneezeit“ (Abb. 7.2.2.1.3 (3) Die Baupiloten) oder der „geheime Freizeitgarten“ (Abb. 7.2.2.1.3 (4) Die Baupiloten) Sie bestimmten maßgeblich die später umgesetzte Freizeitwelt „der Spion im schimmernden Deckmantel“. Aus den verschiedenen, herausgearbeiteten Stationen „des geheimen Freizeitgartens“ entstand dann das thematisch-architekto- Abb. 7.2.2.1.3 (3) Carl-Bolle-Grundschule, Initialworkshop, Philipp, 10 Jahre und Dilara, 9 Jahre, „Schneezeit“, TU Berlin WiSe 2006/07 Kapitel 7.2 203 Abb. 7.2.2.1.3 (4) Carl-Bolle-Grundschule, Initialworkshop, Burak, 9 Jahre und Jon, 8 Jahre, „Der geheime Freizeitgarten“, TU Berlin WiSe 2006/07 nische Gesamtkonzept des Umbaus, der Parcours „Spy on the Run“. Das Schimmern der „Schneewelt“ regte dazu an, dem wilhelminischen Schulbau einen neuen Glanz zu verleihen und sich mit „Schneepolstern“, ähnlich wie Schneewehen, dem denkmalgeschützten Gebäude markant und gleichzeitig behutsam zu nähern. 7.2.2.1.4 Erkenntnisse aus Workshoptyp 1 • Die Collagiermethode hat sowohl zweidimensional als auch dreidimensional gut funktioniert, solange die Kinder mit dem Medium vertraut waren, dieses nicht als Werkzeug zu stark im Vordergrund ihres Interesses stand und das Bildmaterial für die Kinder anregend war. • Die Betitelung der Collagen und ihre Kombination mit einer Geschichte, die die Kinder oft alleine, manchmal zusammen mit den Baupiloten dazu entwickelten, erleichterte den Baupiloten den Einstieg in die Vorstellungswelten der Kinder. • Es hat sich gezeigt, dass die Moderation, die Einführung und einzelne Gespräche mit Kindern wichtig waren, um sie dazu zu motivieren, das Alltägliche und das Gewohnte hinter sich zu lassen um so frei und fantasievoll zu arbeiten. • Die Gespräche lieferten außerdem wichtige Aufschlüsse über ihre Lebenswelten, ihre Familien, Erlebnisse und Träume. 7.2.2.2 Workshoptyp 2 (Vermittlung durch pädagogisches Personal) Weitere Projekte der Baupiloten bezogen sich auf den Umbau von Kindertagesstätten. Sie entstanden nach Abschluss des ersten Bauabschnitts der Erika-Mann-Grundschule. Auch hier war von Bauherrenseite eine Einbeziehung der Kinder in den Entwurfsprozess gewünscht. Ein grundlegender Unterschied zu den Schulworkshops bestand darin, dass die Workshops mit den Kindern nicht allein von den Baupiloten durchgeführt wurden, sondern die Erzieherinnen dabei eine aktive Rolle übernahmen. In Vorgesprächen mit dem Träger der jeweiligen Kindertagesstätte und deren Erzieherinnen wurden mögliche Themen und Herangehensweisen diskutiert. In den hier vorgestellten Fällen fiel das Thema der imaginären Welten mit dem Namen der Kindertagesstätte zusammen. Die Instrumente waren zum Teil die gleichen wie in Workshoptyp 1. 204 Kapitel 7.2 7.2.2.2.1 Kita Traumbaum in Berlin-Kreuzberg Im Fall der Kita Traumbaum in Berlin-Kreuzberg, wollten die Erzieherinnen sich in ihren Kita-Gruppen mit der Idee eines Traumbaumes spielerisch auseinandersetzen. Wir einigten uns darauf, die Kinder über das Thema des populären Geschichtenlieds „Traumzauberbaum“ aus dem Jahr 1979, von Reinhard Lakomy (Komposition), Monika Ehrhardt (Texte) zu unterrichten. Die Kita sollte mit dem Umbau auch den Namen „Kita Traumbaum“ tragen. Einbezogen waren auch Kinder des angeschlossenen Kinderhorts, der Schulkinder nach der Schule betreute. Die Erzieherinnen hörten sich gemeinsam mit den Kindern die Hörspielversion der Geschichte des „Traumzauberbaums“ an und lasen die Geschichten außerdem aus einem illustrierten Buch vor. Innerhalb der Gruppe wurde dann entschieden, ob die Kinder ihren Traumbaum oder Assoziationen dazu aufzeichnen, auf Papier mit unterschiedlichen Materialien kleben oder Modelle dazu bastelten sollten. Die beiden Protagonisten der Geschichte, die Waldgeister „Moosmutzel“ und „Waldwuffel“ inspirierten die Kinder auf vielfältige Weise, über einen Traumbaum nachzudenken: Viele zeichneten mit verschiedensten Träumen gefüllten Blasen oder Blätter. (Abb. 7.2.2.2.1 (1) Die Baupiloten) Manche thematisierten die Kommunikation der Träume, indem sie einen Brief in einen Baum oder in der Hand des Postbotens zeichneten (Abb. 7.2.2.2.1 (2) Die Baupiloten), andere wiederum bezogen sich auf die Idee von bösen und guten Geister in der Geschichte. (Abb. 7.2.2.2.1 (3) Die Baupiloten) Die Arbeit einzelner Gruppen oder Kinder präsentierten dann meistens nicht die Kinder selbst, sondern die Erzieherinnen. Die Erzieherinnen notierten auf den Arbeitsblättern der Kinder deren Erklärungen zu ihren Arbeiten. Die Hortkinder hatten einen Traumbaum aus Zweigen für die gesamte Kita zusammengestellt, an den die Kinder ihre Träume und Wünsche hängen konnten. Man spürte bei den Beteiligten die Begeisterung für das Thema. 7.2.2.2.2 Kita Taka-Tuka-Land, Berlin-Spandau In einer weiteren Kindertagesstätte des gleichen Trägers, der Kita „Taka-Tuka-Land“ in Berlin-Spandau hatten die Erzieherinnen entsprechend des Titels ihrer Kita mit den Kindern über Pippi Langstrumpf und ihren Vater gesprochen, der nach der Geschichte als König die Insel „Taka-Tuka-Land“ regiert. Hier hatten sich die Erzieherinnen auf individuelle Workshops konzentriert, z.B. baute eine Gruppe gemeinsam das Haus von Pippi (Abb. 7.2.2.2.2 (1) Die Baupiloten) aus Pappe, bemalte und beklebte es mit vielen Muscheln sowie einem, gegen Räuber schützenden, Netz. Kapitel 7.2 205 Abb. 7.2.2.2.1 (1) Kita Traumbaum, Initialworkshop, Zeah, „ein Baum mit Blättern und Träumen dran“, TU Berlin SoSe 2005 Abb. 7.2.2.2.1 (2) Kita Traumbaum, Initialworkshop, „ein Mensch mit Post in der Hand“, TU Berlin SoSe 2005 Abb. 7.2.2.2.1 (3) Kita Traumbaum, Initialworkshop, Basela, 4 Jahre, Zeichnung von Geräuschen des guten und des bösen Geists, TU Berlin SoSe 2005 206 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.2.2.2 (1) Kita Taka-Tuka-Land, Initialworkshoptyp 1, „Das Haus von Pippi“, TU Berlin SoSe 2005 Abb. 7.2.2.2.2 (2) Kita Taka-Tuka-Land, Initialworkshoptyp 1, Kinder präsentieren am Tisch ihre 3D-Inselkarten, TU Berlin SoSe 2005 Abb. 7.2.2.2.2 (3) Kita Taka-Tuka-Land, Initialworkshoptyp 2, Gruppenfoto mit Krone, TU Berlin SoSe 2005 Kapitel 7.2 207 Eine andere Gruppe stellte den Kindern jeweils einen DIN A2-großen Karton zur Verfügung, dazu Muscheln, Stäbchen, Korken, Blüten, Sand u.ä., woraus die Kinder ihre Vorstellungen vom „Taka-Tuka-Land“, mit „klingenden Brücken“, Hütten, einem „Blütenkarussell“ und dem „Muschelthron“ von Pippis Vater sowie kleinen „Muschelbetten“ zum Ausruhen für alle, bauten. (Abb. 7.2.2.2.2 (2) Die Baupiloten) Auch in diesem Verfahren notierten die Erzieherinnen die Hinweise der Kinder direkt nach deren Erläuterung innerhalb der Gruppe auf die Karten. Eine weitere Kita-Gruppe reagierte auf die Höhlen in der Geschichte von „Taka-Tuka-Land“ und baute aus Matratzen Höhlen. Schließlich wollte jedes Kind auch seine eigne Krone basteln und damit in die exotische Welt von „Taka-Tuka-Land“ eintauchen. (Abb. 7.2.2.2.2 (3) Die Baupiloten) 7.2.2.2.3 Kita Lichtenbergweg Leipzig Anders, als in den vorab beschriebenen Verfahren verlief der Workshop für den Neubau einer Kindertagesstätte in Leipzig, bei dem Kinder aus einem alten Gebäude ausziehen solllten. Hier gab es kein offensichtlich vorgegebenes Motto, stattdessen schickte uns ungefragt ,aus ungeduldiger Vorfreude heraus, die Vorschulgruppe Zeichnungen ihrer Wünsche für die neue Kita: Klettergerüste, Seilbahnen etc., alles Dinge, die die Kinder schon einmal irgendwo gesehen hatten und nun auch haben wollen. Diese Zeichnungen konnten uns keine Hinweise für die neue Architektur geben, da sie sich zu direkt und eindeutig auf ein Objekt bezogen. Bei unserem Besuch der Kita jedoch, als die Erzieherinnen und Kinder uns ihre Kita selbst, ihre Basteleien, ihre Zeichnungen zeigten und von unterschiedlichsten Experimenten sowie Ausflügen berichteten, fiel uns ein herausragendes Interesse an naturwissenschaftlichen Phänomenen und Experimenten auf. Nach Absprache mit der Kitaleitung haben sich die Kinder, auf unsere Anregung hin und auf der Grundlage unserer Bildauswahl zu Wetterphänomenen, im Rahmen einer Projektwoche mit ihren Erzieherinnen weiter mit den Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft beschäftigt. Dabei zeichneten sie diese nicht nur, sondern untersuchten in einfachen Experimenten die Wechselwirkung der Elemente und die verschiedenen Aggregatzuständen des Wassers, als Eis und Nebel. Zu diesen Themen fanden wir in der Kita sehr inspirierende Zeichnungen, wie eine „Gewitterwolke mit einem Schatz“ (Etienne), einen „Regenbogengarten“ (Nathalie) und viele unterschiedliche Zeichnungen von Vulkanen, manchmal als Kletterpyramide (Paul) (Abb. 7.2.2.2.3 (1) Die Baupiloten), zu denen die Kinder uns ausführliche Geschichten erzählen und immer 208 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.2.2.3 (1) Kita Lichtenbergweg, Paul, 5 Jahre, Zeichnung Kletterpyramide, 2009 „weiterspinnen“ konnten. Lina erklärt uns: „der Regenbogen führt in den Himmel und holt mich von der Wolke ab.“, Benno ergänzte: „da ist es weich und kuschelig, da kann man den ganzen Tag schlafen und nachts wach sein.“ Jakob wiederum sah sich dort mit seinen Freunden: „Ich und meine Freunde schauen vom Regenbogen. Da kann man mit Farben spielen und schwebt, wie ein Vogel“ Faszinierend war, dass hier die älteren Kinder der Kita ihre „Welten“ so anschaulich schilderten, dass sie gut nachspürbar waren. Nach dieser Erfahrung beschlossen wir, mit den Kindern Modelle von den Zeichnungen zu bauen. Die Kinder wählten die Zeichnung „Regenbogengarten“ und einen Vulkan aus (Abb. 7.2.2.2.3 (2) Die Baupiloten). Abb. 7.2.2.2.3 (2) Kita Lichtenbergweg, Modellbauworkshop Regenbogengärten und Vulkanlandschaften, Benno und Pascal, beide 5 Jahre, Raketenbasis mit Aussichtswolke, 2009 Die Modelle, die Geschichten und die Anmerkungen, die uns die Kinder während des Bastelns gaben, lieferten uns differenzierte Vorstellungen des Regenbogengartens und einer Vulkanlandschaft, aus denen wir atmosphärische Phänomene und räumliche Ideen ableiten konnten: Höhe, Luftigkeit des Raumes und Reflektionen für den Regenbogengarten, Hitze, Wärme, Schutz, Geheimnis, Geborgenheit für die Vulkanlandschaft. Im Unterschied zu den vorhergehenden Workshops für die Kitas Traumbaum oder TakaTuka-Land waren die Themen, zu denen die Kindern Modelle bauten, ihnen schon vertraut. Deswegen schienen sie unsere Aufgabe, ein Modell eines „Regenbogengartens“ oder eines „Vulkans“ zu bauen, als willkommene Gelegenheit zu verstehen, um ihre eigenen Vorstellungswelten dazu neugierig zu erforschen. Die Ideen sprudelten geradezu aus ihnen heraus. Auch hier beschrieben uns die Kinder anschließend detailliert ihre Vorstellungswelten. 7.2.2.2.4 Erkenntnisse aus Workshoptyp 2 • Pädagogische Schwerpunkte der Kindertagesstätten und Schulen, konzeptionelle Namen der Einrichtung und die damit verbundenen Geschichten können sehr gut die Themen für die Workshops liefern. Die Kinder können damit schnell bekannte Geschichten verbinden, die ihre Fantasie beflügeln. • Es bestätigte sich, dass die Kinder sehr gut auf vorbereitete Themen und Geschichten reagieren können. Die Einführung der Kinder in das Thema und ihre Motivation durch die Erzieher sind sehr wichtig. • Der Workshop in Leipzig stellt eine Variante zu den Workshops der anderen Kitas dar. Kapitel 7.2 209 Im Falle der Kita Lichtenbergweg gab die Experimentierfreude der Kinder den thematischen Rahmen für einen Modellbauworkshop. Damit waren die Kinder sehr gut vorbereitet und hoch motiviert, ein naturwissenschaftliches Thema zu „erforschen“. • • Die Mittlerposition der Erzieherinnen bringt eine weitere Vielfalt an Vorstellungen zutage, indirekt werden auch deren eigene Wünsche übermittelt. Es ergibt sich ansonsten kein Vorteil gegenüber den Schulworkshops. Die Beteiligung der Erzieherinnen ist einfach notwendig, da die Kinder zu ihnen fremden Personen, wie den Baupiloten, keine Beziehung haben und die Geborgenheit durch eine bekannte Person brauchen, um sich zu äußern. Die Erzieherinnen verhelfen, auch introvertierten oder zögerlichen Äußerungen zum Ausdruck. • Wenn festgestellt wurde, dass die kleinen Kinder mit der behandelten Thematik überfordert sind, wurden entsprechende Entscheidungen durch die Erzieher oder den Träger der Einrichtung getroffen. Klar war aber allen Beteiligten, dass Entscheidungen bezüglich der atmosphärischen Raumqualitäten und im Hinblick auf eventuelle Bedürfnisse soweit wie möglich den Kindern überlassen bleiben sollten. • Auch wenn es vorkam, dass die Kinder sich noch nicht so gut mit Worten artikulieren konnten, kamen ihre Vorlieben und Faszinationen in den Zeichnungen und Basteleien gut zum Ausdruck und legten so den Grundstein für die Entwürfe durch die Baupiloten. (Wie ich in Abschnitt 7.2.4 darlegen werde.). • Auch weniger abstrakte Workshopergebnisse wie in Leipzig können bspw. durch nachträgliche fotografische Untersuchungen atmosphärischer Phänomene und Qualitäten aus den Arbeiten der Kinder herausgearbeitet werden. • Direkte Fragen bringen den Partizipationsprozess nicht weiter: Der gebastelte Baum mit Wünschen zum Beispiel, wie im Fall der Kita Traumbaum war nichts weiter als ein einfacher Wunschzettel: „Ich möchte einen Fußball vom Traumbaum“ etc. Wenn die Kinder direkt nach ihren Wünschen gefragt werden, antworten sie oft mit Bekanntem. Damit erhält man nur bedingt Hinweise auf atmosphärische Raumerfahrungen, die die Kinder sich wünschen und die in der Architektur angestrebt werden könnten. • Jede Nutzergruppe, auch gleichen Alters, reagiert anders, ein wirkungsvoller Partizipationsprozess muss an die Teilnehmer angepasst und justiert werden. • 210 Auch Erzieherinnen müssen gelegentlich ermutigt werden, um ihren eventuellen Erfolgsdruck und Hemmungen zu nehmen. Die Kinder des Kita-Neubauprojektes in Leipzig trugen ihre Wünsche sehr selbstbewusst, in einem breiten Spektrum und ohne Aufforderung, vor. Es können Erfahrungen also nicht unbedingt verallgemeinert oder unbedacht auf andere Projekte übertragen werden. Die Einzelfälle sind stets genau zu prüfen und die Instrumente sind anzupassen. Kapitel 7.2 • Die Workshopergebnisse sollten nicht wortwörtlich gelesen und umgesetzt, sondern als Konzept interpretiert werden. (Wie ich in Abschnitt 7.2.5 darlegen werde.) 7.2.2.3 Workshoptyp 3 (kompakter Zeitablauf, Arbeit mit Jugendlichen) Die bisher geschilderten Workshops waren, bedingt durch die Stunden- und Lehrpläne der Schulen sowie die Zeitdisposition der Kita-Leitung, in ihrer Laufzeit auf wenige und einzelne Tage beschränkt. Die Kinder mussten immer wieder in den Prozess eingeführt werden, und nicht immer gelang ein direktes Anknüpfen an die Arbeitsergebnisse der vorherigen Termine. Ein demgegenüber weitaus intensiverer Partizipationsprozess ist dann möglich, wenn die Schüler sich innerhalb einer schulischen Projektwoche dem Umbau ihrer Schule widmen können, wie das bei einem Workshop in der Carlo-Schmid-Oberschule in Berlin-Spandau möglich wurde, der hier als Beispiel vorgestellt wird, oder wenn ein kontinuierlicher Partizipationsprozess über ein gesamtes Studiensemester eingerichtet werden kann, wie das im Fall der weiterführende Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ) in Berlin-Mitte geschah. Auch dieser soll hier beispielhaft erläutert werden. Im Gegensatz zu den bisher geschilderten Fällen waren die Schüler hier vierzehn bis sechszehn Jahre alt, so dass andere, dem Alter und den Vorlieben der Nutzer entsprechende Kommunikationsmittel, wie Film oder lebensgroße, gebaute Prototypen, eingesetzt werden mussten, als in den Grundschulen, in denen mit Kreide oder Malstiften erzeugte Zeichnungen, Collagen aus im Voraus gewählten Bildern oder gebastelte Modelle, sehr gut funktionierten. Um auch hier zu einem guten Ergebnis des Partizipationsprozesses zu gelangen, war nicht nur eine richtige Einschätzung der Gruppe und ihrer einzelnen Mitglieder wichtig, sondern es galt auch ein gutes Gespür für ihre persönlichen Vorlieben zu entwickeln. Der Workshop brauchte einen „Coolness-Faktor“, um die Beteiligten anzusprechen. Dies wurde in Vorgesprächen mit der Schulleitung ausführlich erörtert, und die technischen sowie materiellen Möglichkeiten wurden an die fachliche oder pädagogische Ausrichtung und Ausstattung der Schule angeglichen. 7.2.2.3.1 Carlo-Schmid-Oberschule, Berlin-Spandau Die Carlo-Schmid-Oberschule ist eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Sie organisiert jährlich eine jahrgangs- und fächerübergreifende Projektwoche, um einen intensiven Austausch der Schüler unterschiedlicher Altersstufen mit einem gemeinsamen Thema zu ermöglichen. Wunsch der Schule war es, den Jugendlichen aus den Klassenstufen 7 bis 11 eine Möglichkeit zur „Aneignung“ ihres Schulgebäudes zu geben. Die Schule wurde in den 1970iger Jahren als Schulzentrum gebaut. Ziel der Baumaßnahmen sollte die Schaffung Kapitel 7.2 211 von Lerninseln in den sonst wenig bis gar nicht für den Aufenthalt geeigneten Fluren und Gemeinschaftsflächen sein, die eingepasst werden mussten, um damit die entsprechenden Raumqualitäten zu erhöhen. Die Teilnehmer am Workshop hatten relativ wenig Erfahrung im Umgang mit Computern, ihnen standen aber ausgezeichnet ausgestattete Werkstätten zur Verfügung. In Abstimmung mit der Leiterin der Mittelstufe sollten die Potenziale der Schülerinnen und Schüler genutzt werden. Sie sollten so weit wie möglich in einen handwerklich kreativen Prozess eingebunden werden. Entsprechend der für eine Projektwoche an der Schule üblichen Struktur, gaben wir genau definierte Arbeitsschritte und Arbeitszeiten vor. Am Ende der Woche sollten die Projektergebnisse in einer Präsentation anderen Projektgruppen vorgestellt werden. Der Workshop startete mit dem erprobten Verfahren einer räumlichen Collage in einem Karton, um erste Ideen für eine Lerninsel zu entwickeln. Nach der Fertigstellung der Modelle untersuchten die Schüler sie fotografisch hinsichtlich ihrer Atmosphären. Ihre persönlichen Interpretationen, stellten sie in kurzen Geschichten mit einem charakteristischen Titel dar. Sie erprobten dazu verschiedene Körperhaltungen, in denen sie sich dann gegenseitig fotografierten. Sie collagierten sich selbst in der so bestimmten Körperhaltung in die Modellfotos, die ihre Wunschatmosphäre zeigten, um zu klären, wie sie sich die Bewegung und den Aufenthalt in der imaginierten Lernwelt vorstellten. Zum Beispiel: liegend lesen, schaukelnd reflektieren oder sich streng sitzend konzentrieren. Daraus entstanden so genannte „bodyextensions“, lebensgroße Modelle für maßgeschneiderte Lern-, Studier- und Rückzugsmöbel, die es ihrem Körper ermöglichen sollten, diese Haltungen in der dafür gewünschten Atmosphäre einzunehmen. (Abb. 7.2.2.3.1 (1) Die Baupiloten) Für den Bau der Modelle wur- Abb. 7.2.2.3.1 (1) Carlo-Schmid-Oberschule, Studierende und Schüler bauen gemeinsam eine body-extension, TU Berlin, WiSe 2008/09 212 Kapitel 7.2 den den Schülern beliebig viele 25 cm und 50 cm breite Streifen von OSB-Platten (d=10mm) und Kabelbinder zur Verfügung gestellt. Die Holzwerkstoffplatten konnten von den Jugendlichen mit Kreissäge, Stichsäge oder Handsäge zugeschnitten werden. Für zusätzliche Stabilität standen den Jugendlichen Dachlatten zur Verfügung. Innerhalb von drei weiteren Tagen entstanden die Modelle einer „Forsch-Kapsel“ (Volkan) (Abb. 7.2.2.3.1 (2) Die Baupiloten), die konzentriertes Studieren befördern sollte, einer „Beobachtungsliege“ (Charlotte und Rosi) oder eines „Bewegungskonzentrators“ (Enes und Ziggi) (Abb. 7.2.2.3.1 (3) Die Baupiloten) In den verschiedenen Geschichten der Schüler spiegeln sich deren Alltagsprobleme wider, aber auch ihr Wunsch nach Rückzug und konzentriertem Studieren wurde offensichtlich. Schließlich wurden die Schüler gebeten, die richtige Beleuchtung für ihre lebensgroßen Modelle zu finden und den besten Ort in der Schule zu suchen, um sie zu platzieren. Hierbei sollten jeweils mehrere Möbelstücke so aufgestellt werden, dass sie zueinander in Beziehung stehen und so einen Ort der Kommunikation schaffen. Manche Schüler entschieden sich bewusst für eine individuelle Abgrenzung und ließen nur wenige Einblicke in ihren Rückzugsort zu. Abb. 7.2.2.3.1 (2) Carlo-Schmid-Oberschule, Workshop body-extension, Volkan, die Forsch-Kapsel, TU Berlin, WiSe 2008/09 Abb. 7.2.2.3.1 (3) Carlo-Schmid-Oberschule, Workshop body-extension, Enes und Ziggy, der Bewegungskonzentrator, TU Berlin, WiSe 2008/09 7.2.2.3.2 Erkenntnisse Workshoptyp 3 (Carlo-Schmid-Oberschule) • Im Rahmen der schulischen Projektwoche konnten sich die Schüler in Zusammenarbeit mit den Baupiloten ausschließlich der Entwicklung ihrer zukünftigen Lernlandschaft widmen. So konnte der Workshop sehr effizient durchgeführt werden. • Den Schülern konnte, entsprechend ihren Vorlieben, die Möglichkeit gegeben werden, eine haptische Umgebung zu entwerfen und direkt zu bauen. Es ging hier weniger darum, eine Raumatmosphäre zu entwickeln, sondern eine direkte körpernahe Atmosphäre zu schaffen. Der Wohlfühlfaktor konnte im lebensgroßen Modell direkt erfahren, beurKapitel 7.2 213 teilt und verbessert werden. • Es gab sichtbare und greifbare Ergebnisse nach kurzer Zeit. • Mit den ausgewählten Materialien konnte sehr direkt, einfach und schnell gebaut werden. Schüler und Baupiloten konnten sich auf das Wesentliche des Entwurfs bzw. der Experimentes konzentrieren. • Die Entwurfsaufgabe war überschaubar. Es sollten Möbel zum effektiven Lernen entworfen werden. Der Entwurf konnte auf die eingenommene Lernhaltung abgestimmt werden. • Es wurde über die persönliche „body-extension“ nicht nur ein individuelles Möbel gesucht. Es sollten durch Lernlandschaften unterschiedliche Lerntypen angesprochen werden, so dass sie allgemein nutzbar sind. • Mit den eingenommenen und bei den Mitschülern beobachteten Körperhaltungen waren vielfältige Anregungen gegeben. • Die abschließende Ausstellung ermöglichte es der gesamten Schülerschaft, die entwickelten Wunschvorstellungen ihrer Mitschüler zu testen und gegebenenfalls zu verbessern. • In diesem Partizipationsprozess haben wir nicht nur von den Wunschvorstellungen der Nutzer etwas über ihre zukünftige Lern- und Lebensumwelt erfahren, sondern konkrete Hinweise auf eine körpergerechte Gestaltung der Lernlandschaften erhalten. 7.2.2.3.3 Weiterführende Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ), Berlin-Mitte Der Partizipationsprozess in der ESBZ richtete sich an Schüler einer ähnlichen Altersgruppe, wie in der Carlo-Schmid-Oberschule. Hier waren allerdings allein Schüler der Klassenstufe 7 beteiligt, da die Schule wenige Monate zuvor als private weiterführende Gemeinschaftsschule neu gegründet worden war. Es gab also noch keine älteren Schüler. Dem Schulträger stellte die Senatsverwaltung ein leer stehendes Ensemble von Schulgebäuden zur Verfügung, das in den 1960iger Jahren in Skelettbauweise (SK66 Berlin) errichtet worden war. Die Bauten sollten nicht nur für die Schule kreativ und nachhaltig umgestaltet werden, sondern auch gemeinnützig für den Stadtteil nutzbar sein. Von hier sollten auch Impulse für die Stadtteilentwicklung ausgehen. Der Komplex sollte als kulturelles Forum wirken. Die Bauten mussten dafür zum einen „wiederbelebt“ werden, zum anderen eine multifunktionale Aula erhalten, die auch dem Stadtteil zugute kommen sollte. Die Planung sollte ursprünglich in einen groß angelegten Umbau des Gebäudekomplexes einfließen, wurde später aber lediglich als Grundlage für die Ausrichtung eines Architektenwettbewerbes benutzt. Für den Initialworkshop und die damit erhoffte Erkundung der Nutzervorstellungen der Ju214 Kapitel 7.2 gendlichen von ihrer zukünftige Lern- und Lebensumwelt erschien uns der Einsatz der bisher verwendeten Kommunikationsmittel als wenig erfolgversprechend. Es musste der Eindruck vermieden werden, dass die Arbeit im Workshop zu kindlich und damit zu wenig herausfordernd sein würde. Die Schüler schienen mit sehr unterschiedlichen Medien vertraut zu sein. Als Kommunikationsmedium für den Interaktionsprozess wurde deshalb der Film gewählt. In sechs Wochen erarbeiteten die Schüler mit den Baupiloten Videos, die durch ihre Projektion die Wunschvorstellungen ihrer Autoren von einem bestimmten Ort zum Ausdruck bringen sollten: „Lichterzählungen“. Das Medium Film war zur Erfassung und für die anschließende Kommunikation von Atmosphären auch für die Baupiloten Neuland, das es zu erkunden galt. Atmosphäre mit dem Medium Film einfangen In einem ersten Schritt spürten die Schüler in Begleitung der Baupiloten Orte in der Stadt auf, an denen sie sich sehr gerne aufhalten und wohlfühlen. Das war beispielsweise das in der Nähe gelegene Einkaufszentrum Alexa am Alexanderplatz oder das verlassene und abgesperrte Bahngelände am Gleisdreieck. Sie setzten sich mit den dortigen Aufenthaltsqualitäten filmisch auseinander. Gleichzeitig baten wir die Jugendlichen die Atmosphären der von ihnen auserwählten Plätze zu erfassen. Lotta beurteilte das Alexa z.B. wie folgt: „Man fühlt sich wie woanders, wie in einer Villa, ein bisschen auch zuhause oder wie in einem Museum, wegen den vielen Bildern, in dem man aber alles anfassen darf.“ Die Gruppe um Lotta wollte diese Qualität gerne in die Transformation ihrer Schule mitnehmen. Die zehn Mädchen, die Baupilotin Laura Larraz in den Monbijoupark führten, fanden nicht nur bezeichnende Worte für den Monbijoupark selbst („gemütlich, geborgen, natürlich, schön, fröhlich, einladend, verwunschen, märchenhaft, verzweigt, fantasievoll, sanft, verträumt, erholend, entspannend, ausgelassen, ruhig“), sondern unterschieden atmosphärisch präzise zwischen den Stimmungen unter einer Platane („verwunschen, verzaubert, geheimnisvoll“), unter einer Kastanie („gemütlich, behaglich, angenehm, bequem und heimelig“) und unter einem Kirschbaum („sanft, weich, zart, mild und friedlich“). Ihr Thema „Verwunschen im Großstadtdschungel“ wollten sie räumlich für ihre Schule als Qualität weiter erforschen. Das so produzierte etwa fünfzehn Minuten lange Rohfilmmaterial mit verbalen atmosphärischen Beschreibungen, übergaben sie den Baupiloten, die es im Hinblick auf seine Aussagen über atmosphärische Qualitäten auswerteten und diese in einminütigen Clips zusammenfassten. Die Schüler konnten meist sehr gut die Atmosphären verschiedenster Orte fassen. Sie zeigKapitel 7.2 215 ten auch ein gutes Gespür für die von den Studierenden erlebten und in Fotopaneelen präsentierten Atmosphäre ihrer Schulnachbarschaft, übten konstruktive Kritik, wenn sie den Eindruck hatten, dass die zusammengefügten Fotos nicht mit der Auswahl der Adjektive korrespondierte (vgl. Abschnitt 7.1.1.2). Atmosphäre – Aktivität/ Programme Um einen möglichst direkten Austausch mit den Jugendlichen sicherzustellen, richteten die Baupiloten eine Werkstatt direkt im Schulgebäude ein. (Abb. 7.2.2.3.3 (1) Die Baupiloten) So konnten, in der Arbeit mit den Videoclips und den anderen Ausdrucksformen, die für die Schule und konkret für die Aula gewünschten atmosphärischen Raumqualitäten sehr direkt besprochen, hinterfragt, kritisch diskutiert, sozusagen verhandelt werden. Aus den Videos wurden gemeinsam die ausdruckstärksten Filmstandbilder ausgeschnitten. Eine weitere Annäherung bestand darin, dass die Schüler sich so inszenierten, wie sie sich selbst in der gewünschten Atmosphäre sahen, sich dann gegenseitig fotografierten und digital, mit Unterstützung der Baupiloten, in die Standbilder hinein montierten. Auch hier waren die Schüler den Baupiloten als Kritiker sehr willkommen: Lotta beurteilte eine Collage, die aus zwei unterschiedlichen Videobildern zusammengefügt war, als optisch gelungen, inhaltlich jedoch fragwürdig, da ein Teil „sehr warm und gemütlich“ erschiene, der andere jedoch „fabrikähnlich, fast industriell“. Damit war für sie auch klar, dass die Aktivitäten in den unterschiedlichen Atmosphären verschieden sein würden: in der fabrikähnlichen Welt würde sie sprinten wollen, klettern, in der anderen angenehm Gemütlichen nur liegen oder sitzen (Abb. 7.2.2.3.3 (2) Die Baupiloten). Die Thematik wurde konzeptionell und räumlich für die Erweiterung des Schulgebäudes um eine Aula weiterentwickelt. Abb. 7.2.2.3.3 (1) Evangelische Schule Berlin Zentrum, die Baupiloten richten sich in der Schule eine Werkstatt ein und entwickeln im kontinuierlichen Austausch mit den Schülern das neue „Herzstück“ der Schule, TU Berlin SoSe 2008 216 Kapitel 7.2 Gleichzeitig versuchten die Schüler, ihre Wunschvorstellungen von der Transformation ihrer Schule in Worte zu fassen. Sie konnten ihre Vorstellungen darüber, wie ihre Schule werden sollte, durch die vorher beschriebene Übung schärfen, - noch nicht als ein Bild, sondern als atmosphärische Wunschvorstellung. Schließlich haben sie sich mit den Baupiloten intensiv mit atmosphärischen räumlichen Qualitäten auseinandergesetzt. Schülerin Pauline Reichstin: „Es soll irgendetwas sein, wo man sich gerne trifft, was nicht so erschreckend auf einen wirkt, aber gleichzeitig auch irgendetwas Schönes hat, soll vielleicht so eine familiäre Stimmung oder so was haben“ Abb. 7.2.2.3.3 (2) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Kathrin du Hamel und Michael Hillmer, Zweiweltencollage, TU Berlin SoSe 2008 Lichterzählungen Aus der filmischen und fotografischen Auseinandersetzung und der atmosphärischen Untersuchungen entstand mit Unterstützung des Medienkünstlers Philipp Geist, im direkten und im übertragen Sinne, eine Projektion atmosphärischer Stimmungsbilder zu einer „Welt“, in der sich die Schüler gerne aufhalten würden und die sie sich jeweils für ihre Schule wünschten. Die Studierenden konnten so ein sehr gutes Gefühl für die Wunschvorstellungen der Jugendlichen über ihre zukünftige Schule entwickeln. Diese dann sogenannten Lichterzählungen wurden auf ausgewählte Ort auf dem Schulgelände und im Schulgebäude projiziert,wodurch temporär neue Räume entstanden, die aus den Wunschvorstellungen der Schüler abgeleitet wurden, sozusagen ein 1:1 Modell der gewünschten Lebensumwelt. Die Suche und die Auswahl dieser Orte ließ die Schüler, aber auch die Baupiloten, neue Räume innerhalb und außerhalb des Schulgebäudes entdecken und neu interpretieren. Das gab ihnen ein neues Verständnis für den Ort der Schule. Letztendlich wurden sehr verschiedene Orte, von der Gebäudenische bis zur Turnhalle, transformiert: Der Platz unter einem Baum wurde zu einem „Rendezvoustheater“, eine Turnhalle verwandelte sich zur „Kontaktstelle“ (Abb. 7.2.2.3.3 (3) Die Baupiloten), zwei Giebelwände erstrahlten als „Geheimer Garten“, in einem Flur wurde die Atmosphäre unter einer Kastanie nachempfunden (Abb. 7.2.2.3.3 (4) Die Baupiloten), und in einem Waschbecken versteckte sich eine „Kleine Welt“ (Abb. 7.2.2.3.3 (5) Die Baupiloten). (Abendveranstaltung am 29.5.2008) Kapitel 7.2 217 Abb. 7.2.2.3.3 (3) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Lichterzählungen, Margit Sichrovsky mit den Schülern Lisa Rux, Marie Seidel, Leo Jia, Tarik Budde, Nicolas Bussler, Anton Vogt, Anton Hügel und Henriette Ihde, Turnhalle als „Kontaktstelle“, TU Berlin SoSe 2008 Abb. 7.2.2.3.3 (4) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Lichterzählungen, Laura Larraz mit den Schülern Wynona Kudelko, Luise Hilgenfeld, Charlotte Helwig, Luise Kaulfuss, Luise Schoenfelder, Luca Maier, Elena Julie Bauer, Ana Lombe, Ina Dippel und Melena Pirskawetz, „Unter der Kastanie- Verwunschen im Großstadtdschungel“, TU Berlin SoSe 2008 Abb. 7.2.2.3.3 (5) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Lichterzählungen, Gaspard Van Parys mit den Schülern Arne Zerndt, Joshua Gärtner, Anne Marie Völlering, Jessica Fischer, Felix Petzold, Hans Völker und Amos Täuber, „Die kleine Welt“, TU Berlin SoSe 2008 218 Kapitel 7.2 7.2.2.3.4 Erkenntnisse Workshoptyp 3 (ESBZ) • Für das umfassende Bauprogramm (Umbau einer Schule, die in drei parallelen Gebäudezeilen erstellt worden war) musste zunächst ein hoher Grad der Abstraktion für die räumlichen Wunschwelten gefunden werden. • Die Jugendlichen waren sehr interessiert an der Herausforderung „Film“, die sie intensiv für die Erkundung und Präsentation ihrer Vorstellungen nutzten, womit sie eigene atmosphärische Welten aufbauen konnten, die außerdem für Dritte erlebbar gemacht wurden. • Sie erlebten eine hohe Wertschätzung ihrer eigenen Arbeit durch die Studierenden und durch die Tatsache, dass ein bekannter Videokünstler den Entwurfsprozess technisch und inhaltlich unterstützte. • Durch dieses Vorgehen konnte ein tiefes Vertrauen der Schüler zu die Baupiloten aufgebaut werden. • Durch die räumliche Übersetzung der eigenen Vorlieben und deren räumliche Erlebbarkeit konnten die an der Arbeit nicht beteiligten Schüler involviert und zum Kommentar eingeladen werden, ohne dass ein architektonischer Entwurf zur Diskussion stand. Es ging um rein atmosphärische Qualitäten. • So konnte über räumliche Qualitäten diskutiert werden, ohne dass es um konkrete Bauentscheidungen ging. • Das Medium Film erlaubte den ständigen Abgleich der Vorstellungen und Wünsche mit der realen räumlichen Situation. Lieblingsorte konnten gefilmt und mit Orten der Schule überlagert werden. Es konnte spekuliert darüber werden, wie sich die bis dahin nicht immer „geliebte“ Schule entwickeln würde. • Hier wurde, ähnlich wie im Workshop der CSO, so lange experimentiert, bis der atmosphärische Entwurf passte und die Schüler sich wohlfühlten. • Am Ende der Lichterzählungen hatten die Baupiloten innerhalb ihrer Gruppe ein sehr gutes Gefühl davon, was sich die Jugendlichen von ihrer Schule und für das Gebäude wünschten. • Die Lichterzählungen ließen als faktische Projektion der Vorstellungswelten ließ einen atmosphärisch erlebbaren Raum entstehen, der den Baupiloten und den Schülern zur Kommunikation über ihre Vorstellungswelten diente. Die Kommunikation der Wunschwelten über Atmosphären konnte hier eine neue Dimension erreichen. Kapitel 7.2 219 7.2.2.4 Workshoptyp 4 (Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe) Die Baupiloten untersuchten auch die Frage, wie man mit möglichst einfachen Mitteln den Wunschvorstellungen einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe über ihre Umwelt nahekommen könne. Wenn also keine abgeschlossene Nutzergruppe feststeht, die Fluktuation innerhalb der Gruppe hoch oder die Gruppe so groß ist, dass die oben beschriebenen sozialen Nebeneffekte der Workshops nicht zum Tragen kommen können, dann ist eine Befragung von potenziellen Nutzer hilfreich. 7.2.2.4.1 Projekt „extrafantasies“, Beitrag zur Ausstellung „Find the Gap“ Bei der Suche nach einem Instrumentarium zur Partizipation mit geringem Aufwand kam den Baupiloten eine Einladung des Architekturforums Aedes entgegen, sich im Rahmen ihres 25-jährigen Jubiläums an der Ausstellung „Find The Gap – Neue Köpfe und Wege in der Architektur“ zu beteiligen. Die Ausstellung wurde vom 11. November bis zum 11. Dezember 2005 in den Räumen der Galerie Aedes East in den Hackeschen Höfen in Berlin gezeigt. Die Baupiloten wurden von den Kuratoren gebeten, ihre Strategien des partizipativen Entwerfens und ihre dazu gewonnenen Positionen zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Ich nutzte mit den Baupiloten diese Möglichkeit, um Menschen nach ihren Vorlieben für Raumatmosphären in bestimmten Situationen zu befragen und nach den besonderen Phantasien, die sie mit der Beschaffenheit dieses Raums verbinden – ihren „extrafantasies“ (so der Titel des Ausstellungsbeitrags), die nicht einer bestimmten Gruppe oder Institution zugeordnet werden können, wie den Nutzern einer Schule, einer Kindertagesstätte, eines Altenheims oder eines Bürohauses. Als Zielgruppen wählten wir Jugendliche und Senioren. Die Befragten sollten einzeln interviewt werden. Es war weder das Ziel, einen Entwurf nach den Angaben der Befragten zu fertigen, noch ein Bauwerk zu errichten, es ging nur um die Raumphantasien und die Vorstellungen von einer bestimmten Raumatmosphäre. Es sollte um den Sinneseindruck der Leute von bestimmten Orten und ihre damit verbundene Wahrnehmung beziehungsweise die Erinnerung daran gehen. Da ich die Gruppe wegen ihrer Anonymität nicht vorher einschätzen konnte, wählte ich das Interview als Kommunikationsmittel. Das gesprochene Wort ist immer noch die am meisten verbreitete Art des Austausches. Ariane Bischoff et al schreiben dazu: „[...] gerade das Erzählen stellt eine alltägliche Kommunikationsform dar, die am besten geeignet ist, den Standpunkt der Befragten zum Ausdruck zu bringen“ (Bischoff, 2007, S. 75). Das Interview als Standardmethode der empirischen Sozialforschung ermöglicht differenzierte qualitative Erhebungen. Es ermöglicht ein Ausräumen evtl. Verständigungsschwierigkeiten. Sich zunächst ablehnend verhaltende Leute können ermutigt werden und das viel220 Kapitel 7.2 leicht Wichtigste: bisher unbekannte Interessen und Vorstellungen der Befragten können herausgearbeitet werden. (Bischoff, 2007, S. 75f) Für die Arbeit am Projekt „extrafantasies“ wurde der durch seine Interviews bekannte Journalist Henning Kober eingeladen, um seine Ansätze für ein gelungenes Interview zu erfahren. Er verwies insbesondere auf die Abhängigkeit des Gesprächsverlaufs von der Gesprächssituation sowie der Persönlichkeit und Interessen der Beteiligten. Das verlange nach seinen Ausführungen ein gewisses Einfühlen in die Interessen und Lebenslagen des Befragten. Dazu sei seitens des Fragenden eine zuhörende und zugleich ermutigende, Anstöße gebende Haltung notwendig. Ratschläge sollten allerdings vermieden werden. Auch eigene Sichtweisen und korrigierende Informationen sollten zurückgehalten werden. Damit, das stellen auch Ariane Bischoff et al in ihrer Abhandlung über „Aktivierende Befragung“ (Bischoff, 2007, S. 63f) heraus, kann für den Befragten und für den Gesprächsverlauf insgesamt eine behagliche Atmosphäre geschaffen werden. Die Befragung sollte nicht, als Abruf von Daten, sondern als soziale Interaktion, gestaltet werden. Ein solches sogenanntes faceto-face-Interview nimmt der Befragung den anonymen Charakter und die steife und verschlossene Gesprächsatmosphäre. (Bischoff, 2007, S. 57) Die Befragten sollten frei erzählen können (narratives Interview, Bischoff, 2007, S. 57). Vertiefende Fragen waren zugelassen. Kober regte weiter an, vor dem Start des Interviews mit dem jeweiligen Gesprächspartner zu plaudern, auch über den Zusammenhang des Projektes und dessen Forschungsansatz zu sprechen. Es gelte, ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Die Interviews wurden soweit standardisiert, dass Abfolge und Wortlaut der Fragen vorgegeben waren. Die Fragen sollten jedoch offen gestellt werden. Geschlossene Fragen würden Antwortalternativen vor wie „ja“ oder „nein“ oder „weiß nicht“ vorgeben (Bischoff, 2007, S. 56). In eigenen Worten können die Befragten ihre subjektive Erfahrungswelt anschaulich schildern. Es sollte auch nachgefragt werden, wenn auf die persönliche und sinnlich differenzierte Wahrnehmung eines Ortes oder auf die Wunschvorstellung davon zu wenig eingegangen wurde. So ließen sich je nach Interviewsituation unterschiedliche Aspekte vertiefen, und es entstand ein facettenreiches Bild der Wünsche. Auf Warum-Fragen wurde verzichtet. Sie hätten die Befragten unter Umständen zu langem Nachdenken angeregt. Bei den Antworten kam es auf Spontanität und Intuition an. Folgende fünf Fragen wurden schließlich ausgewählt und in einer Testbefragung auf ihre Tauglichkeit untersucht: 1. „Wo küssen Sie besonders gern?“ 2. „Wo schlafen Sie besonders gut?“ 3. „Wo denken Sie besonders gerne nach?“ 4. „Wo verspüren Sie gern Langeweile (im Sinne von Entspannen)?“ Kapitel 7.2 221 5. „Wie sähe Ihr Extrahaus aus?“ Die ersten vier Fragen sollten dabei auf die fünfte, zentrale Frage vorbereiten. Im Laufe der Befragung sollten sich die Befragten von ihren Klischeevorstellungen lösen, um aus der Erinnerung an das positive Erleben von Räumen Wunschvorstellungen für einen Lieblingsort, das Extrahaus, zu entwickeln. Das Extrahaus steht für etwas nicht unbedingt Notwendiges, sondern rein wünschenswertes. Uns interessierten dabei der Sinneseindruck, die atmosphärische Ausstrahlung und die Anmutung des Ortes beziehungsweise des Raumes, den sich die Befragten vorstellten. Es stellte sich auch heraus, dass die Fragen 1, 3, 4, 5, zu sehr gut sinnliche Beschreibungen der jeweiligen Orte führten, hingegen war die Frage 2 („Wo schlafen Sie besonders gut?“) nicht ergiebig. (Abb. 7.2.2.4.1 (1) Die Baupiloten) Es gelang den Studierenden, Senioren und Jugendlichen unterschiedlichenrsozialer Herkunft dazu herauszufordern, nicht nur über ihre Erfahrungen mit bestimmten Orten und Räumen zu berichten, sondern auch ihr Befinden, ihre Erfahrungen des Raumes mit all ihren Sinnen und vor allem ihre Wunschvorstellungen von einem Lieblingsraum oder Lieblingshaus konkret zu schildern. Zusammengefasst ergab sich folgendes Bild nach den Befragungen: Zur ersten Frage „Wo küssen Sie besonders gern?“ gab es, wohl aufgrund der angesprochenen Intimität, Irritationen aber auch Entzückungen. Letztlich wurde der gewünschte Effekt erzielt. Die Befragten verließen ihre Alltagswelt und begaben sich in eine träumerische Gedankenwelt. Die zweite Frage: „Wo denken Sie besonders gerne nach?“ war für alle wohl am einfachsten, ohne Zögern oder längeres Nachdenken, zu beantworten. Diese Frage war eindeutig und hatte einen klaren Bezugsrahmen. Die dritte Frage „Wo verspüren Sie gern Langeweile (im Sinne von Entspannen)?“ (Abb. 7.2.2.4.1 (2) Die Baupiloten) wurde hingegen nur zögerlich beantwortet. Das Wort „Langeweile“ war offenbar für viele nicht posiWo küssem Sie besonders gern? Wo können Sie besonders gut nachdenken? Wo verspüren Sie gern Langweile? Wie sähe Ihr Extrahaus aus? Bitte kreuzen Sie Frage(n), die sie Beantworten möchten, an! Die Baupiloten erforschen Vorstellungswelten und reflektieren diese in der Architektur. Sie ermutigen die zukünftigen Nutzerinnen an der Konzeption ihrer Bauten zu partizipieren. Bitte die Karte in das Glasgefäß „extrafantasies“ in der Galerie werfen oder an die Baupiloten schicken. Danke! Abb. 7.2.2.4.1 (1) Ausstellung „Find the Gap“, EXTRA 222 Kapitel 7.2 FANTASIES, Postkarte mit den 4 Interviewfragen, Aedes Berlin, 2005 tiv besetzt. Umso unmittelbarer wurde anschließend die vierte und zentrale Frage beantwortet: „Wie sähe Ihr Extrahaus aus?“. (Abb. 7.2.2.4.1 (3) Die Baupiloten) Für die Auswertung der Fragen wurde Wert auf eine umfangreiche Aufbereitung der qualitativen Ergebnisse gelegt (Interpretativ-explikative Auswertung, Abb. 7.2.2.4.1 (2) Ausstellung „Find the Gap“, EXTRA FANTASIES, vgl. Bischoff, 2007, S. 57), statt einer Galeriewand mit Zitaten zu der Frage „Wo verspüren Sie gern Langeweile?“Aedes Berlin, 2005 quantitativ-statistischen Auswertung, die eine wesentliche Reduzierung des Informationsgewinns bedeutet hätte. Im Hinblick auf die geplante Ausstellung wurden die Antworten auf die jeweiligen Fragen auf ihre atmosphärische Aussagekraft hin untersucht. Es wurden die fünfzehn Antworten herausgefiltert, die am stärksten auf die subjektive Wahrnehmung der Orte eingehen und diese sinnlich nachvollziehbar beschreiben. Darüber hinaus wurden die Porträts aller Befragten in der Größe DIN A4 randlos zu einer großen Bilderwand zusammengefügt. Ein offensichtlicher Unterschied zwischen den Antworten der Jüngeren und der Älteren war der, dass die Älteren sich in der Regel auf tatsächliche Situationen bezogen (keine Klischéevorstellungen), während die Jüngeren sich fiktive Orte imaginierten. Abb. 7.2.2.4.1 (3) Ausstellung „Find the Gap“ EXTRA FANTASIES, die Glasfassade des Ausstellungspavillions ist mit Zitaten zu der Frage „Wie sähe ihr Extrahaus aus?“ bedruckt, im Raum erkennbar, die Porträts der Befragten, Aedes Berlin 2005 Kapitel 7.2 223 7.2.2.4.2 Erkenntnisse Workshoptyp 4 (Aedes-Ausstellungsprojekt „extrafantasies“) • Für die angesprochene Zielgruppe anonymer Befragter konnte mit einfachen und prägnanten Fragen ein niedrigschwelliger1 Einstieg in das Interview gefunden werden. Nach anfänglichem Austarieren und einem gezielten Aufbau der Fragen konnte ein wirkungsvolles und gleichzeitig einfaches Instrument gefunden werden, um die Befragten auch für eine Wiedergabe von sinnlicher Wahrnehmung beziehungsweise Erinnerung und eine Vision angenehm empfundener Räume zu öffnen. • Die Stoßrichtung und die Abfolge der Fragen ermöglichte ein gezieltes Ansprechen allgemein bekannter emotionaler sinnlicher Befindlichkeiten, die leicht mit einem Ort und einem Raum zusammengebracht werden konnten. • Die Dramaturgie der Fragenabfolge mündete in der Frage nach den Vorstellungen von einem „extrahaus“, die die Antworten auf die vorhergehenden Fragen bündeln und in einen größeren Zusammenhang stellten konnte. • Es wurde deutlich, dass das Sprechen über atmosphärische Qualitäten geeignet ist, Wunschvorstellungen an das Lebensumfeld zu entwickeln und zu artikulieren. • Es entstand ein interessantes Gesamtbild der befragten Personen und ihrer atmosphärischen und emotionalen Vorlieben, das die Poträtfotos von Rosa Merk abrundeten. • Außerdem wurde entgegen den Erwartungen mancher Studierenden deutlich, dass auch Senioren Wunschfantasien entwickeln können und nicht nur von Erfahrungen berichten. • Als erfolgreich stellte sich auch die Spontanbefragung mit Hilfe der Antwortkarten in der Ausstellung heraus. Davon wurde viel Gebrauch gemacht. Das Setting der Ausstellung wirkte offenbar animierend. 7.2.2.4.3 Projekt Befragung Kotti 3000, Berlin-Kreuzberg Ein weiteres Projekt zur Untersuchung von Interessenlagen und Wunschvorstellungen in einer großen, nicht klar gefassten, eher anonymen Gruppe, war die Befragung der Bewohner am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, im Volksmund auch „Kotti“ genannt. Auch hier galt es, ein niedrigschwelliges Instrument zu entwickeln und damit eine möglichst breite Gruppe anzusprechen und zu erreichen. Da nicht alle Menschen, die am Kottbusser Tor wohnen, den gleichen Bildungsstand besit1 niedrigschwelliges Instrument, vgl wikipedia: Eine Einrichtung oder ein Angebot heißt im sozialen Kontext niedrigschwellig, wenn sie ohne große Hemmschwelle zu besuchen oder in Anspruch zu nehmen ist. 224 Kapitel 7.2 zen und zudem viele der Bewohner verschiedene Sprachen beziehungsweise kein Deutsch sprechen, haben wir eine Bildsprache entwickelt. Es sollten auch diejenigen zur gemeinschaftlichen Diskussion über die Planung und Gestaltung ihres Kiezes eingeladen werden, die bislang noch nicht in diesem Zusammenhang aktiviert waren. Es wurden Klebebilder hergestellt, die jeweils einen Aspekt einer wünschenswert erscheinenden Entwicklung im öffentlichen Raum des Quartiers zeigen. Sie konnten von der Karte abgelöst und auf einen größeren Plan geklebt werden. Unter dem Motto: Kleb Deinen Kiez! konnten insgesamt 3000 Punkte verteilt werden. Die Sticker waren mit unterschiedlicher Punktzahl dotiert. Ein Baum hatte z.B. 50, eine Achterbahn 500 Punkte. (Abb. 7.2.2.4.3 (1) Die Baupiloten) Zusätzlich konnten die Befragten auch eigene Aufkleber mitbringen und Farben, Stifte, Zeitungsausschnitte und dergleichen verwenden Auf spielerische und spaßige Art konnten Wunschvorstellungen und Visionen der Anwohner für ihren „Kotti“ entwickelt, anschaulich gemacht und kommuniziert werden. Die beklebten Spielpläne wurden in einer Ausstellung der Nachbarschaft präsentiert und diskutiert. 7.2.2.4.4 Befragung und Planspiel Studentenwohnanlage Siegmunds Hof, Berlin Einer ebenfalls großen Gruppe, mit einer hohen Fluktuation ihrer Mitglieder, begegneten die Baupiloten bei der Planung der Umbauten in der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof. Die 1961 errichtete Anlage mit insgesamt 614 Zimmern sollte modernisiert, energetisch saniert und so verändert werden, dass sich dort auch das soziale Klima verbessert. Die hohe Fluktuation der Bewohner, aber auch ihre sehr unterschiedliche Herkunft gestalten das Wohnen dort unpersönlich, die Bewohner können sich kaum mit dem Ort identifizieren und betrachten ihn vorwiegend als Zwischenstation, vor allem wenn sie aus dem Ausland kommen. Einheimische Studierende meiden die Anlage offenbar. Ihr Anteil an der Bewohnerschaft liegt bei 20,8%. Die Betreiber der Anlage, das Studentenwerk Berlin, sind bemüht diesen Anteil auf 50% zu erhöhen und möchten mit dem Umbau auch stärker auf die Bewohnerinteressen eingehen, um Abb. 7.2.2.4.3 (1) Kotti 3000, Kleb Dir deinen Kiez, ein Bogen eine höhere Akzeptanz der Ar- Klebe-Wunschsticker für den Initialworkshop Planspiel, TU Berlin SoSe 2009 Kapitel 7.2 225 chitektur zu erreichen sowie Identifikationsmöglichkeiten mit den Bauten zu schaffen. Es soll erreicht werden, dass sich die Bewohner wieder stärker als eine Gemeinschaft fühlen und verstehen. (Einführung Geschäftsführerin Studentenwerk Frau Mai-Hartung, Abteilungsleiterin Wohnwesen, Frau Heubach am 25.10.2007) Die Untersuchung von Nutzerwünschen wurde hier zweistufig durchgeführt. Zunächst wurde eine Befragung durchgeführt, die weitgehend auf dem Projekt „extrafantasies“ basierte. Insbesondere interessierte, welche Wunschvorstellungen und Träume Studierende an das gemeinschaftliche Wohnen mit vielen haben könnten und welche atmosphärischen, räumlichen Qualitäten sie sich für ihre Lern- und Lebenswelt wünschten. Es wurden sowohl „hard“ als auch „soft facts“ gesammelt. Auswertung der Antworten Die insgesamt 274 Interviews wurden auf zwei Arten ausgewertet. Zum einen mit einem Balkendiagramm, um daraus einen konkreten Handlungsbedarf zu erkennen. Zum anderen haben die Baupiloten aus den Interviewtexten alle dort genannten Tätigkeiten und die dazu abgegebenen atmosphärischen Beschreibungen herausgefiltert und auf einzelne Kärtchen geschrieben. Sie dienten als Grundlage für einen Workshop mit dem Architekturpsychologen Dr. Riklef Rambow, der sich auf die Erforschung von Verständigungsschwierigkeiten in der Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur spezialisiert hat (vgl. Abschnitt 4.1). Rambow referierte den Studierenden zunächst seinen Arbeits- und Forschungsansatz und diskutierte mit ihnen sowie der Seminarleitung in einem zweistündigen Workshop über eine nachvollziehbare Auswertung und Potenziale für die Weiterentwicklung der Umbauperspektive. Es sollte schließlich der Maßgabe Rechnung getragen werden, dass nur nachvollziehbare Befragungsergebnisse gewährleisten, dass sich Befragte ernst genommen fühlen. Gemeinsam sortierten Studierende und Seminarleitung mit Riklef Rambow die Kärtchen mit Tätigkeiten und die mit den atmosphärischen Begriffen bzw. Beschreibungen nach Themen, testeten Überbegriffe und Kombinationen und einigten sich in einer Diskussion darauf, dass sowohl die Tätigkeiten als auch die atmosphärischen Begriffe in je zwölf Kategorien unterschieden werden sollen. In der folgenden Woche berichtete ein weiterer Seminargast, Andrea Benze von der Gruppe offsea Architekten (vgl. Abschnitt 4.5.1), von ihrem Planspiel Kitchenshrine & Dogcomfort, in dem sie mit ihrer Kollegin, das tradierte Ensemble von Wohn-, Schlafzimmer, Küche und Bad in aktuell 287 Einzelelemente zerlegt und Teilnehmern zur beliebigen Kombination zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem referierte der Architekt Mathias Heyden über Theorien und Praktiken des selbst226 Kapitel 7.2 und mitbestimmten Planens und Bauens, im Sinne eines „antihegemonialen und pluralistischen, kooperativen und nachhaltigen Urbanismus“ (vgl. auch Kapitel 5 an diversen Stellen) Mit diesen Anregungen erarbeiteten die Baupiloten an mehreren gemeinsamen Arbeitsterminen eine Legespiel, mit dem Spieler ihre Wunschvorstellungen an ein gemeinsames Wohnen ermitteln und formulieren können. Planspiel „Spiel Deinen Wohntraum - Wohn Deinen Spieltraum“ (Abb. 7.2.2.4.4 (1) Die Baupiloten) Spielmaterial Die aus den Interviewantworten herausgefilterten Tätigkeiten wurden in Gruppen von je 8 bis 21 Tätigkeiten in zwölf Kategorien eingeteilt, denen Eigenschaften, wie häuslich, gemütlich, sportlich, musikalisch zugeordnet wurden. Die atmosphärischen Beschreibungen wurden ebenfalls zu je 6 bis 24 Beschreibungen in zwölf Kategorien wie „Gerüche“, „Stil“, „Licht“, „Wetter“ eingeteilt. Die Kategorien und Begriffe wurden auf Kärtchen, die Tätigkeiten auf transparentes dünnes Plexiglas, die atmosphärischen Beschreibungen auf farbige, durchscheinende Folie gedruckt. Wobei den Farben jeweils assoziative Bedeutungen gegeben wurden. Rot steht dabei beispielsweise für Gemütlichkeit, Grün für Natürlichkeit usw. In den dafür angefertigten Spielkästen wurden für die Kategorien jeweils Fächer eingerichtet und die Kärtchen mit den Tätigkeiten so gruppiert, dass sich Spieler, mit einer gewissen Selbsteinschätzung, orientieren konnten. Die Gruppen bekamen Bezeichnungen, wie „Ich bin ein häuslicher Typ“ oder „Ich bin ein Workoholic“. Die atmosphärischen Beschreibungen wurden in übergeordneten Gruppen mit Bezeichnung wie „Entspannung“, „Bewegung“, „Licht“ oder „Weite“ sortiert. Als Spielfeld diente ein 55 cm mal 38 cm mal 5,5 cm großer Leuchtkasten. Auf dem Spielfeld kombinieren die Spieler Aktivitäten des Alltags mit wünschenswerten atmosphärischen Qualitäten. Sie können dort erst einen privaten Bereich innerhalb eines größeren, gemeinsamen positionieren, dann die Basistätigkeiten „Schlafen“, „Duschen“, „Essen“ und „Lernen“ platzieren, diese um maximal 15 Aktionskarten aus den Tätigkeitsfächern erweiAbb. 7.2.2.4.4 (2) Siegmunds Hof, Spielabend, „Spiel Deinen Wohntraum - Wohn tern und schließlich atmosphäri- Deinen Spieltraum“, im Bierkeller von Siegmunds Hof, TU Berlin WiSe 2007/08 Kapitel 7.2 227 1. Wärm‘ Dich auf! 2. Dein Spielfeld Nimm Dir Zeit. Schau Dir die Regeln an. Lass Dir das Spiel erklären. Und dann viel Spaß. Was Du gerne alleine tust, lege in den Kreis, Aktionen mit vielen positioniere außerhalb. 3. Die Basiskarten 4. Was tust Du gerne? Was wolltest Du schon immer mal tun? Positioniere die 4 Basiskarten auf dem Spielfeld. Du kannst sie später durch andere Aktionskarten ersetzen. Ziehe Deine Aktionskarten, aber maximal 15. Je mehr die einzelnen Karten miteinander zu tun haben, um so dichter liegen sie zusammen oder überlappen sich. 5. Wie soll es da sein? 6. Joker Beschreibe phantastisch und wähle für jede Aktionskarte passende Atmosphärenkarten. Lege sie zu den entsprechenden Aktionskarten aufs Spielfeld. Wenn Du keine Dir passenden Aktions- oder Atmosphärenkarten entdeckst oder Du etwas ergänzen möchtest, beschrifte eine Jokerkarte mit Deiner Aktion oder Atmosphäre. 7. Nutze den Raum 8. Ein letzter Blick Lege den Dir wichtigen Raumbedarf der einzelnen Aktionskarten fest, markiere ihn mit m²-Chips, die in 4 unterschiedlichen Größen beiliegen. 228 Kapitel 7.2 Schau Dir Deinen Wohntraum noch einmal an, ändere vielleicht etwas, und dann: Wohn‘ Deinen Spieltraum! AKTIVITÄTEN ATMOSPHÄREN HÄUSLICH LICHT Wäsche waschen · baden · sauber machen · umziehen · aufräumen · frühstücken · strahlend · weiß · gesellig · hübsch · schimmernd · dumpf beleuchtet · nächtlich · glitzernd einkaufen · sortieren · Toilette gehen · Torte backen · kochen backen dunkel · unfassbar · warm · durchsichtig ZÄRTLICH GEMÜTLICHKEIT Freund treffen · masturbieren · flirten · Sex haben · zweisam sein · Freundin treffen kuschelig weich · idyllisch ∙ lieb ausgedacht ∙ flauschig ∙ nachbarschaftlich ∙ niedlich · Süssigkeiten essen ·kuscheln einladend ∙ vertraut ∙ bequem ∙ heimelig ∙ herzlich ∙ heimisch ∙ häuslich AKTIV lärmen · Billiard spielen · auf Bäume klettern · rumspringen · am Auto schrauben fernsehen · reisen · shoppen ·kickern · im Garten arbeiten · spazieren gehen ausgehen GEMÜTLICH ins Kino gehen · Lagerfeuer machen · Yoga · grillen · sammeln · umgestalten Buch lesen · genießen · faulenzen · kochen · Essen gehen · Käffchen trinken WEITE geräumig ∙ offen ∙ losgelöst ∙ sehr groß ∙ endlos ∙ abgehoben ∙ nicht zu groß ∙ frei unabhängig ∙ erhaben ∙ hoch ENTSPANNUNG angenehm ∙ fließend ∙ locker ∙ ungezwungen ∙ schwebend ∙ erholsam ∙ sorgenfrei ∙ lässig leicht ∙ unbefangen ∙ ausgeglichen RÜCKZUG KREATIV ungestört ∙ abgeschottet ∙ anonym ∙ wie eineGebärmutter ∙ zurückgezogen zeichnen · basteln · Sachen reparieren · renovieren · werkeln · Kunst machen malen · romantisch ∙ labyrinthisch ∙ eng ∙ höhlenartig ∙ einsam ∙ verschachtelt dichten · streichen kuschelig beschützt ∙ isoliert ∙ mysteriös ∙ melancholisch ∙ verborgen SPORTLICH GERÜCHE angeln · schwimmen · tauchen · Fußball spielen · Tisch-Tennis · Badminton Zigarettengeruch ∙ wie Seeluft ∙ Kaffeeduft ∙ nach Zimtröllchen riechend Kanu fahren · VolleyBall · Tennis spielen · Autorennen fahren · Bergsteigen Waldgeruch ∙ Essensduft fliegen MUSIKALISCH richtig laut Musik hören · Musik hören · singen · Geige spielen · Flöte spielen ins Konzert gehen · performen · voll abgehen · Gitarre spielen ·komponieren Heavy Metal hören PARTY viel trinken · derbe abfeiern · einladen · Cocktails trinken · rocken · feiern Geburtstag feiern · weggehen · Exzess feiern · sich amüsieren · Sommerfest feien · Bierchen trinken Stil wie im Skyroom ∙ türkischer Markt ∙ industriell ∙ märchenhaft ∙ wie Gummi dekorationsreich ∙ feenhaft ∙ mittelalterlich ∙ windschiefe Treppe ∙ städtisch kitschig ∙ alternativ ∙ burgähnlich ∙ lichtdurchflutet ∙ nostalgisch ∙ Cocktailbar ∙ Lounge dörflich ∙ historisch LUXUS klassisch ∙ opulent ∙ teuer ∙ alt ∙ leer ∙ trendy ∙ neu ∙ kahl ∙ imposant ∙ antik königlich ∙ schlicht ∙exotisch UN-ORDNUNG WORKAHOLIC praktisch ∙ sauber ∙ kontrollierbar ∙ gepflegt ∙ strukturiert ∙ klar ∙ geordnet unordentlich ∙ jobben ∙ studieren ∙ Diplomarbeit schreiben ∙ studieren ∙ arbeiten ∙lernen, wenn man solide ∙ unfertig ∙ übersichtlich ∙ chaotisch ∙ zufällig ∙ gemischt sicher ∙ streng ∙ erschöpft ist ∙ sich konzentrieren anarchistisch ∙ organisiert NACHDENKLICH NATUR lesen ∙ versinken ∙ Fotos durchgehen ∙ nachdenken ∙ schaukeln ∙ grübeln ∙ erholen ∙ Ruhe wie ein Weizenfeld ∙ Vogelgezwitscher ∙ blumig ∙ saftig ∙ roh ∙ organisch finden ∙ abtauchen ∙ Zeit lassen ∙Abstand nehmen ∙ abschalten ∙ auf die Wiese setzen frisch ∙ felsig ∙ farbenfroh ∙ herbstlich ∙ Meer ∙ wie Wellen ∙ grün ∙ sandig Käseglocke aufsetzen ∙ träumen ∙ sich sammeln ∙ traurig sein ∙ unter einem Baum sitzen Strand ∙ dem Himmel sehr nah ∙ naturfarben ∙ Berglandschaft ∙ hügelig Tagebuch schreiben ∙ meditieren ∙ durchatmen verwildert ∙ rauh SPIELER Gesellschaftsspiele spielen ∙ Karten spielen ∙ Spieleabend machen ∙ Brettspiele spielen Computer spielen ∙ puzzeln KOMMUNIKATIV blödeln ∙ sich austauschen ∙ debatieren ∙ sich unterhalten ∙ diskutieren ∙ sich treffen surfen ∙ quatschen ∙ telefonieren ∙ rein reden ∙ kennen lernen ∙ small talken ∙ E-Mails schreiben WETTER gewittrig ∙ leichter Sommerregen ∙ windig ∙ luftig ∙ sonnig ∙ über den Wolken ∙nicht zu kalt nicht zu heiß ∙ schneebedeckt ∙ frisch ∙ kalt ∙ stürmisch ∙ Meeresbrise BEWEGUNG überraschend ∙ aktiv ∙ lustig ∙ laut ∙ kitzelnd ∙ verrückt ∙ tanzend ∙ lebendig ∙ belebt spielerisch ∙ bezaubernd ∙ zappelig ∙ angeregt ∙ kreativ ∙ anspornend ∙ hüpfend ∙ spannend rockig ∙ wild ∙ aufregend ∙ überwältigend ∙ spontan ∙ freudestrahlend ∙ betörend inspirierend WIE MÖCHTEST DU MIT VIELEN WOHNEN? Abb. 7.2.2.4.4 (1) Siegmunds Hof, Spielanleitung, „Spiel Deinen Wohntraum - Wohn Deinen Spieltraum“, Vorderseite und Rückseite, TU Berlin WiSe 2007/08 Kapitel 7.2 229 sche Begriffe dazu arrangieren. Sollten sie Tätigkeiten oder Atmosphären in den Karten vermissen, können sie Jokerkarten mit eigenen Tätigkeiten oder atmosphärischen Qualitäten ergänzen. Am Ende eines Spiels wird das Spielfeld fotografiert, aus den Fotos werden die sogenannten Wohnkarten erstellt. Spielen können Bewohner des Studentenwohnheims, aber auch andere junge Leute. Die Spiele fanden in lässiger Atmosphäre, im Bierkeller des Studentenwohnheims, statt. (Abb. 7.2.2.4.4 (2) Die Baupiloten) Die Spielrunden ergeben 42 „Wohnkarten“, die selbst schon als eine Art Bubble-Diagramm für die Konzeption der Wohnungen und der Häuser dienen könnten. Sie werden zur Entwurfsgrundlage. (Abb. 7.2.2.4.4 (3) Die Baupiloten) 7.2.2.4.5 Erkenntnisse Workshoptyp 4 Kotti 3000: • Hier konnte von Nutzern ausgegangen werden, die viele unterschiedliche Sprachen, zum Teil aber nicht genügend Deutsch sprachen, um sich über komplexe Sachverhalte der Stadtentwicklung zu äußern. • Die direkte Ansprache im Interview war erfolgreich. • Die Bildsprache der Sticker erleichterte den Befragten den Zugang zum Problemfeld. • Spielerische Elemente der Befragungsart lockerten die Stimmung in den Workshops und ermöglichten so angeregte Diskussionen unter den Planenden, den Befragten und den anderen Teilnehmern. • Das visuelle Ergebnis ist auf dem Spielplan auf einen Blick zu erfassen, auszuwerten und mit anderen Spielplänen vergleichbar. • Die vereinfachte Darstellung der Wünsche durch die Sticker ermöglichte es auch eine Art Statistik zu führen und beispielsweise Häufungen von Wünschen nach mehr Grün oder mehr Spielflächen festzustellen. • Die Symbole waren von vornherein stark abstrahiert, so dass das Ergebnis leicht als konzeptionelle atmosphärische Struktur im Sinne einer Kartierung (vgl. Abschnitt 7.1.1.3) zu lesen war. Siegmunds Hof: • 230 Für dieses Projekt konnte ein vielfältiges Instrumentarium entwickelt werden. Kapitel 7.2 Abb. 7.2.2.4.4 (3) Siegmunds Hof, Die Spielrunden ergeben 42 individuelle „Wohnkarten“, Auswahl, TU Berlin WiSe 2007/08 • Durch die Befragung konnten grundlegende Fakten über Vorstellungen und Ansprüche an funktionale und atmosphärische Qualitäten erhoben werden, die statistisch in Balkendiagrammen ausgewertet werden konnten. • Sie wurden außerdem Grundlage des Planspiels, das wiederum so angelegt war, dass weitere Antworten auf die zuvor gestellten Fragen gegeben werden konnten. • Das Planspiel war so konzipiert, dass die Spieler ermutigt wurden, gewohnte Denkmodelle und Vorstellungen zu verlassen und ihre persönlichen, sonst „geheim gehaltenen“ Wunschvorstellungen zusammenzustellen, die auf den ersten Blick vielleicht unwahrscheinlich anmuten, aber für den Architekten eine wichtige Inspiration sind, um im besten Falle ein innovatives Wohnmodell zu entwickeln. • Durch die Verwendung der Antworten aus den Interviews im Planspiel entstand zunächst eine Anonymisierung, die im Planspiel wieder personalisiert wurde. Durch die Abstraktheit des Spiels und die Vielzahl der Wohnkarten entstand aber dennoch ein umfassendes Bild der Nutzervorstellungen, die dann prototypisch verarbeitet werden konnten. • Beim vorliegenden Planspiel handelt es sich um ein dem Alltag enthobenen Spiel auf abstrakter Ebene, durch die Kreativität ausgelöst wurde. Es hat allen Beteiligten Spaß Kapitel 7.2 231 gebracht, und eine gewisse Faszination über die Ergebnisse ausgelöst. Das brachte Neugierde und Vertrauen in die nächsten Schritte. 7.2.2.5 Fazit aller Workshoptypen Die ersten drei der hier beschriebenen Workshoptypen bezogen sich auf den Umbau und den Neubau von Schulen und Kindertagesstätten. Von Seiten der Bauherren bzw. der Schul- oder Kitaleitung war stets eine intensive Auseinandersetzung mit den Wünschen der Kinder und Jugendlichen als die künftigen Nutzern gewünscht, weil man sich schon durch den Partizipationsprozess positive Auswirkungen erhoffte: Selbstwirksamkeit durch die damit verbundene Wertschätzung durch Dritte (in diesem Fall die Architekten und Studierenden), das Üben von demokratischem Handeln sowie das Erlernen sozialer Kompetenz. Der Neubau in Leipzig war insofern eine Ausnahme, da erheblicher Widerstand gegen jegliche Partizipationsform von Seiten der Bauherren überwunden werden musste. Der Partizipationsprozess konnte nur eingeschränkt durchgeführt werden und kam überhaupt nur durch die Aufgeschlossenheit des Kitabetreibers zustande. Auf Bauherrenseite befürchtete man, dass die in der Partizipation formulierten Wünsche eventuell unerfüllt bleiben müssten und dies zu Forderungen und vor allem zu Unzufriedenheit führen könnte. Der vierte Workshoptyp bezog sich auf das Erfragen von Wunschbildern von Nutzern, die einer großen, schlecht überschaubaren oder teilweise anonymen Gruppe angehören. Hier wurden die Werkzeuge des Interviews und des Planspiels (vgl. Abschnitt 4.5) eingesetzt. Wie in den ersten beiden Workshops zeigte sich auch hier, dass die Instrumente möglichst präzise auf die Gruppe eingestellt werden müssen. Während die Workshoptypen 1 bis 3, die sich an Kinder oder Jugendliche richteten, von der Altersgruppe sowie einer emphatischen Einschätzung der Vorlieben bestimmt waren, mussten die Werkzeuge für den Workshoptyp 4 möglichst universell eingesetzt werden. Die Partizipationsprozesse müssen hier, je nach Nutzergruppe, dem Alter ihrer Mitglieder, ihren sozialen und kulturellen Hintergründen, ihren Lebenslagen und ihren Interessen entwickelt, aber auch der Gruppengröße und dem vorhandenen, finanziellen Budget entsprechend sowie in Übereinstimmung mit dem vorgegebenen Zeitrahmen konzipiert werden. Die Partizipationsprozesse sollen sich an Interessen und Lebenslagen der Befragten orientieren. Gute Vorbereitung entscheidet über die Atmosphäre und den Verlauf der Zusammenarbeit. Die Kommunikation über gesprochene oder geschriebene Sprache sowie über Bildsymbole erwies sich für den Workshoptyp 4 als besonders tragfähig. Dabei ist eine möglichst genaue Ausrichtung auf die Zielgruppe notwendig, in die Erfahrungen mit ähnlichen Gruppen einfließen können, die aber nicht unkritisch, sondern reflexiv übernommen werden sollten. Wesentlich war es bei jedem Partizipationsansatz, keine direkten Fragen zu stellen, sondern die Wunschvorstellungen der Nutzern auf einem Umweg, über die atmosphärischen 232 Kapitel 7.2 Wunschwelten und Wunschvorstellungen, zu erfahren, die sich zwar prinzipiell auf den Planungsgegenstand beziehen, aber zunächst einmal nicht die Fragen der architektonischen Form, der Farben oder Materialien stellen, sondern die einer wünschenswerten räumlichatmosphärischen Befindlichkeit bei bestimmten Tätigkeiten (vgl. Abschnitt 2.1 und 2.4). Bei Workshopveranstaltungen kommt es deshalb nicht nur auf das Arbeitsergebnis an, sondern auch auf die vielen Gespräche zwischendurch. Es muss also auch zwischen den Zeilen gelesen werden. Entscheidend für den Erfolg aller Workshops und Befragungen war, inwieweit es den Teilnehmern gelang, ihre Klischeevorstellungen, ihre Voreingenommenheiten oder bereits getroffene Vorentscheidungen zu verlassen, sich also ein Stück weit aus ihren Alltagswelten heraus zu begeben und sich einer möglichst freien Inspiration zu öffnen. Klar wurde auch, dass die Kreativität der Workshopteilnehmer gezielt angeregt werden muss. Das konnte in den Collageworkshops über eine bestimmte Motivauswahl gelingen, im Fall der kombinierten Befragungen und Planspiele konnte durch die Fragen selbst, aus denen die Planspielgrundlagen entwickelt wurden, eine Vorsortierung der Ideen gewonnen werden, die dann spielerisch verfeinert wurden. Die Inspirationen regten dann sowohl die Kreativität unter den Baupiloten bzw. den Architekten als auch bei den Nutzern an. Um die nach Rambow gestörte Kommunikation zwischen Experten (in diesem Fall Architekten) und Laien zu verbessern, müssen sich also beide Seiten auf eine gemeinsame Suche nach unter Umständen verborgenen Wünschen machen. Eine ausschließliche, zum Teil sehr direkte Befragung durch Interviews oder mit Hilfe von Fragebögen (vgl. Rätzel und Walden) kann sich immer nur auf eine Zielgruppe beziehen. Damit kann eine Vertrauensbasis für eine erfolgreiche Entwurfsarbeit der Architekten geschaffen werden, die Kinder oder Jugendliche nicht zu „kleinen Architekten“ und Laien nicht zu „Laien-Architekten“ macht, sondern die Architekten in ihre Kernkompetenz zurückführt. (vgl. Abschnitt 5.2.2) 7.2.3 Der Entwurf atmosphärisch-räumlicher Strukturen als Entsprechung der Nutzerwünsche Der zweite Schritt im Entwurfsansatz der Baupiloten ist die Entwicklung räumlicher Strukturen, die den Wunschwelten oder Wunschvorstellungen der Nutzer atmosphärisch entsprechen. Es handelt sich dabei zunächst noch nicht um konkrete, direkt baubare Entwürfe. Die atmosphärisch-räumlichen Strukturen, die die Baupiloten entwerfen, nehmen in erster Linie die Vorstellungen der Nutzer auf, die aus den Initialworkshops kristallisiert werden konnten. In einer Reihe von Rückkopplungen mit den Nutzern werden daraus Schritt für Schritt Kapitel 7.2 233 konkrete baulich-architektonische Entwürfe entwickelt, die die Baupiloten dann mit Hilfe der am Bau beteiligten Fachingenieure und Handwerker baubar gestalten (vgl. Abschnitt 7.4.1). Die Studierenden und die Architekten der Baupiloten sind aufgefordert, aus der Fülle von Hinweisen, die die Workshops und die Befragungen ergaben, architektonische Schlüsse zu ziehen, die Texte, Bilder und Kommentare aufzugreifen, atmosphärisch, aber auch konzeptionell zu analysieren und eine erste Idee des Ortes, des Raumes oder des Gebäudes beispielhaft zu entwickeln. Dabei sollen sie sich möglichst unvoreingenommen und losgelöst von Bekanntem auf die Vorstellungen der Nutzer einlassen. Um eine Entsprechung mit den Nutzerinteressen und -vorstellungen sicherzustellen, wird ein weiterer Workshop abgehalten, der eine Rückkopplung des Entwurfs mit den Nutzern ermöglicht. Diese Rückkopplung ist integraler Bestandteil des Entwurfsinstrumentariums der Baupiloten. Das entspricht hier sowohl dem Prinzip des von Horst Rittel beschriebenen „argumentativen Prozesses“ (vgl. Abschnitt 3.3.1; 5.2.1) als auch der von Donald Schön eingeforderten „reflexiven Praxis“ (vgl. Abschnitt 3.3.2) in der Entwurfsarbeit des Architekten sowie der von Rainer Bromme und Riklef Rambow empfohlenen Einbeziehung des Nutzers in den Rückkopplungs- bzw. den Entwurfsprozess (vgl. Abschnitt 3.3.2). Die Praxis der Baupiloten sieht an dieser Stelle des Partizipationsprozesses aber nicht die Diskussion des fertigen Entwurfs vor, sondern die Präzisierung seiner Grundlagen. Es soll dabei möglichst sichergestellt werden, dass die atmosphärischen Vorstellungen der Nutzer getroffen wurden. Gespiegelt an den in vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Workshoptypen werden im Folgenden die Entwurfswerkzeuge dargestellt, mit deren Hilfe die Baupiloten mit dem Nutzer während der Rückkopplungen kommunizieren. Wie in Abschnitt 4.3.1 dargelegt, sind konventionelle Zeichnungen für ein Partizipationsverfahren wenig hilfreich. Ihr Wesen entspringt zu sehr den üblichen Werkzeugen eines Architekten, als dass sie für Laien ausreichend verständlich sein können. Wie in Abschnitt 4.1 dargelegt, sollten Laien nicht als „kleine Architekten“ oder „Laien-Architekten“ betrachtet werden, wie es der Architekturkritiker Christian Kühn ausführt. Ihnen sollte vielmehr die Entwicklung eines eigenen Raumverständnisses ermöglicht werden. Die Laien oder auch die direkten Nutzer der Bauten sollten aus der unmittelbaren Raumerfahrung in den Dialog mit den Architekten treten können, wie Anette Sommer (Abschnitt 4.1.2) ausführt. An dieser Stelle des Entwurfsprozesses wird deutlich, dass partizipative Entwurfsverfahren auch für Architekten zu einem Erkenntnisgewinn, in dem von Horst Rittel (Abschnitt 3.3.1), und Donald Schön (Abschnitt 3.3.2) beschriebenen Sinne, führen können. Die Arbeit mit diesen Entwurfswerkzeugen und Kommunikationsmitteln verwenden die Baupiloten nicht allein in der Kommunikation mit den Nutzern, sondern auch im internen 234 Kapitel 7.2 Austausch und im Austausch mit anderen, am Bau Beteiligten, wie Behörden, Handwerker und Bauherren (wenn diese nicht gleichzeitig Nutzer sind). 7.2.4 Entwurfswerkzeuge in Rückkopplung mit dem Nutzer Reflektierend aus der ersten Entwurfsphase stellen sich folgenden Fragen: 1. Wie werden aus den Ideen der Nutzer Räume und Gebäude, ohne dass diese die fantastische und atmosphärische Kraft verlieren, die den Architekten in den ersten Workshops von den Nutzern und Laien mit auf den Weg gegeben wurden und in denen letztlich auch ein Nutzerwissen im Sinne von Achim Hahn (Abschnitt 4.2.2.1) zu finden ist. Für die Architekten stellt sich gleichzeitig die Frage, wie diese Strukturen grundsätzlich baubar werden und wie sie auch durch das zum Teil enge Nadelöhr der Bauordnungen, Baubestimmung und Verordnungen gebracht werden können, ohne ihren atmosphärischen Reiz zu verlieren. 2. Wie können aus den Erkenntnissen der Workshops, also aus den Wünschen, Vorstellungen und atmosphärischen Anliegen der Nutzer, Entwurfsparameter entwickelt werden? 3. Wie geht man mit unterschiedlichen oder konträren Workshop- bzw. Befragungsergebnissen um? 4. Mit welchen Medien können Architekten arbeiten, damit der Nutzer die entwurfliche Interpretation seiner eigenen Vorstellungen versteht und darauf reagieren kann? 5. Wie kann die Rückkopplung mit dem Nutzer in Sinne von Bromme und Rambow (Abschnitt 3.3.2) praktisch erfolgen, und wie können diese festgehalten und weiter entwickelt werden? Angelehnt an die Typologie der Initialworkshops wurden für die Rückkopplungsworkshops dieselben vier Kategorien übernommen. Diese Typologie bildet auch in diesem Abschnitt die Gliederung. 7.2.4.1 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 1 Wesentlich für die Arbeit in den Rückkopplungsworkshops war, dass die Studierende aus den in den Initialworkshops erarbeiteten Welten Inspirationen für ihre Entwürfe destillierten und daraus schließlich ein architektonisches Konzept entwickelten, das sie den Kindern auch mit den dafür vorgesehenen atmosphärischen Qualitäten vorstellten. Entscheidend waren dafür die Formen und die Mittel der Kommunikation. Es musste sichergestellt werden, dass Kapitel 7.2 235 die geforderten Qualitäten des mit den entwickelten Lebenswelten skizzierte räumliche Gefühl auch durch die architektonischen Entwürfe vermittelt wird. Wie der Initialworkshoptyp 1 bezieht sich auch der Workshoptyp 1 im Rückkopplungsprozess auf Grundschulkinder, die ohne Vermittlung ihrer Lehrer an dem Prozess teilnehmen. Beispielhaft ist hier der Partizipationsprozess der Erika-Mann-Grundschule für ihren ersten und zweiten Bauabschnitt erläutert, da hier die einzelnen Workshops mit der Schulleitung am differenziertesten ausgearbeitet wurden. 7.2.4.1.1 Entwurfsprozess Erika-Mann-Grundschule, 1. Bauabschnitt Bei unserem ersten Partizipationsprozess an der Erika-Mann-Grundschule war den Studierenden die Methode, mit der sie auf die Arbeiten der Kinder reagieren könnten, zunächst nicht spezifiziert worden. Viele Studierende fügten die Ideen der Kinder nur dekorativ mit dem funktionalen Programm zusammen. Dabei entstanden beispielsweise Zeichnungen und Modelle, in denen eine eigentlich übliche Möblierung zusehen war, für die lediglich die geforderten Schränke und Sitzmöglichkeiten in den Farben gehalten waren, die die Studierenden den Klebecollagen der Kinder entnommen hatten. Die komplexen fantastischen Welten, die die Kinder entworfen hatten, fanden dabei keine ausreichende Berücksichtigung. Im Gegenteil blieb das Potenzial, diese Welten inspiriert aufzunehmen und architektonisch auszuformulieren und nutzergerecht, in diesem Fall kindgerecht zu gestalten, umzubauen oder zu bauen, ungenutzt. Die Baupiloten hatten in dem Workshop die Erfahrung machen können, dass Kinder meist viel freier, direkter und spontaner auf ihre Umwelt reagieren als Erwachsene, die sie oft mit relativierenden Erfahrungen wahrnehmen. Kinder be-greifen ihre Welt mit allen Sinnen. Ihre imaginären Landschaften kommunizierten sie mit anschaulichen Worten, Gesten, Zeichnungen oder Modellen. Ihre Vorstellungswelten lassen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität fließen. Ihre Äußerungen hatten gezeigt, dass sie vor allem auf die sinnliche Wahrnehmung und ihr imaginiertes Empfinden eingingen. Die Studierenden forderte ich deswegen auf, diesen lebhaften Schilderungen nachzugehen, um die Sinneswahrnehmungsqualitäten und atmosphärischen Wunschvorstellungen herauszuarbeiten und sie in eigenen Collagen und räumlichen Modellen zu präzisieren. Dabei war es ausschlaggebend, dass die Studierenden, bevor sie sich mit den pragmatischen Anforderungen und der Funktionalität des Entwurfes auseinandersetzten, auf einer noch abstrakten Ebene ein Konzept für ihren Entwurf entwickelten. Zu Beginn dieser Konzeptfindung stand die Auseinandersetzung mit dem Ort, in diesem Fall mit dem Schulgebäude der Erika-MannGrundschule, dem Charakter, dem Wesen des Gebäudes und seiner Atmosphäre. Dabei stand zunächst noch der geometrische Raum mit seinen Abmessungen im Hintergrund. Schritt für Schritt gelang es den Studierenden aber auch, sich über die ephemeren Eigenschaften 236 Kapitel 7.2 des Gebäudes, die Auswirkung von Licht, Luft, Hitze und Klang, einem Konzept zu nähern, mit dem das Schulgebäude von 1914 (Architekt: Ludwig Hoffmann) seine autoritäre Ausstrahlung verliert und zumindest in den Innenräumen eine spielerische Leichtigkeit annehmen kann. Zur Veranschaulichung der für die erste Bauphase der Erika-Mann-Grundschule angewendeten Entwurfsmethodik greife ich das Teilprojekt „Der Thron für den Augenblick eines Flügelschlags“ heraus, das der Baupilot Urs Walter erarbeitet hat. Auch wenn die Teilprojekte nicht isoliert, sondern im Wechselspiel mit den anderen Teilprojekten entstanden (vgl. Abschnitt 7.2.5) lassen sich hier die einzelnen Entwurfsschritte sehr gut veranschaulichen. Abb. 7.2.4.1.1 (1) Erika-Mann-Grundschule 1.BA, Urs Walter, Collage Innen-Außen, Verborgen-Verbergend, TU Berlin SoSe 2001 Entwurfsschritte „Der Thron für den Augenblick eines Flügelschlags“ Aus der Klebecollage „das rote Chamäleon auf der Suche nach Wasser“ (Yassmin, Ayse, Merwe, Dustin) entwickelte Urs Walter zwei Fotocollagen, mit den Titeln „Innen-Außen“ und „Verborgen-Verbergend“, die nach der Art eines Chamäleons Abb. 7.2.4.1.1 (2) Erika-Mann-Grundschule 1. BA, Urs Walter, die Verwandelbarkeit des Flures zeigen. Er Modellaufnahme „Der Glücksdrache wirbelt durch die Schule“, TU Berlin SoSe 2001 hielt zwei Zustände fest, zwischen denen sich die Flure verändern sollten: Der äußere Zustand entspricht einer harten schützenden Schale, die im Inneren etwas zartes Schaumartiges schützt. (Abb. 7.2.4.1.1 (1) Die Baupiloten) Er hat für den Entwurf zunächst ein ortsunabhängiges Modell entwickelt, um das Schwergewicht der Arbeit auf die atmosphärischen Zustände zu legen und sie entsprechend zu begreifen. Es entstand ein aus Wattestäbchen zusammengefügtes, fedrig und fragil wirkendes Modell. Das Modell wurde dann mit unterschiedlicher Beleuchtung fotografiert. Bei der Rückkopplung mit den Kindern stieß gerade dieses ungewöhnliche Modell auf besonderes Kapitel 7.2 237 Abb. 7.2.4.1.1 (3) Erika-Mann-Grundschule 1. BA, Urs Walter, 4 Modellstudien „Flügelschlag des Drachens“ im Flur des 2. Obergeschosses im Tagesverlauf, TU Berlin SoSe 2001 Interesse und weckte ihre Neugierde (Abb. 7.2.4.1.1 (2) Die Baupiloten). Einige fühlten sich an einen Drachen erinnert. Die in verschiedener Farbigkeit ausgeleuchteten Modellaufnahmen, nennen sie den Glücksdrachen, der durch die Schule wirbelt. Aus dieser Idee entwickelten die Studierenden mit den Kindern das tragende Konzept für den Umbauentwurf. Die Bildreihe eines nächsten, lang gestreckten fedrigen Modells, das sich in einem langen Flurraum an einer Wand entwickelte, zeigte die sich über den Tag verändernden Stimmungen. Für die Kinder hatte das den Anschein, als lebte der Drache. Der Drache wird damit sozusagen zum Geist des umgebauten Schulhauses (Abb. 7.2.4.1.1 (3) Die Baupiloten). In mehreren Schritten, die den Kindern jeweils in immer präziser gearbeiteten Modellen vorgestellt wurden, bis hin zu einem lebensgroßen Prototypen (Abb. 7.2.4.1.1 (4) Die Baupiloten), präzisierten Urs Walter und seine Kommilitonen, die an äquivalenten Bauabschnitten arbeiteten, ihre Projektideen, die immer stärker von der atmosphärischen Präsenz des Glücksdrachens geprägt wurden. Gleichzeitig mussten die Studierenden beim Entwurf die Erfüllung des Nutzungsprogrammes mitdenken. Es waren Garderobenschränke für die Kinder und die Einrichtung von Sitznischen sowie Gruppenarbeitsmöglichkeiten vorgesehen. In einer Seminardokumentation beschreibt Walter den Entwurf folgendermaßen: Abb. 7.2.4.1.1 (4) Erika-Mann-Grundschule 1. BA, Rückkopplung mit den Schülern, Urs Walter, lebensgroßer Prototyp des „Throns im Augenblick des Flügelschlags“, TU Berlin SoSe 2001 238 Kapitel 7.2 „Hier ist der Ort, an dem die Anwesenheit des Glücksdrachens am deutlichsten und zum Greifen nahe wird: Von beiden Seiten des Flures lassen sich Flügel ausklappen, die den Raum in viele einzelne Bereiche unterteilen und einen Blick auf die verborgenen Seiten des Drachen freilegen. In geschlossenem Zustand fügt sich die harte Oberfläche des Flügels aus getönten, waagerechten Aluminiumprofilen in die Gesamtstruktur der Wand ein, die unter der hoch aufsteigenden Linie des Flügels Wandgarderoben und Fußbänke aufnimmt. Wird der Flügel aufgeklappt, spannt sich hinter ihm ein langer, nach oben ansteigender fedriger Raum auf, der die äußerst bequem Thronenden von der Geschäftigkeit des Flurs gebührend abschirmt.“ (Seminardokumentation, Entwurfsbeschreibung Urs Walter, 2002) Lehrer und Schüler waren von diesem und weiteren acht Teilprojekten der inzwischen gemeinsam mit den Kindern überarbeiteten und dann so genannten „Silberdrachenwelten“ so begeistert, dass die Schulleiterin Fördergelder für die Umsetzung beantragte und zugesprochen bekam. Erkenntnisse Erkenntnis 1: Der partizipative Entwurf ist kein geradliniger Prozess der Problemlösung Es hat sich gezeigt, dass nicht nur bei der Befragung der Nutzer und der Untersuchung ihrer Interessen, sondern auch bei der Umsetzung ihrer Wunschvorstellung in den architektonischen Entwurf kein gradliniger Weg möglich ist, sondern Umwege gegangen werden müssen, um zum Ziel zu kommen. Der Entwurf ist, wie von Horst Rittel (Abschnitt 3.3.1), Jeremy Till (Abschnitt 5.4.3) und anderen bereits festgestellt kein gradliniger Prozess der Problemlösung. Gerade bei den Entwurfsansätzen für die Erika-Mann-Grundschule wurde deutlich, dass die direkte Umsetzung der Erkenntnisse aus der ersten Phase der Nutzerbeteiligung nicht zum Ziel führt, sondern der Entwurf über eigene Collagen und Modelle angefertigt und in wiederholter Rückkopplung mit den Nutzer, in diesem Fall den Schulkindern, und ihrer „Bauherrenkritik“ präzisiert werden muss. Die Entwerfenden hatten so die Möglichkeit, sich ihrem Entwurf schrittweise zu nähern und mussten nicht „den großen Wurf über Nacht“ machen. Erkenntnis 2: Der Entwurf ist nicht allein über Zeichnungen kommunizierbar Die Kommunikation mit den Kindern in den Rückkopplungsworkshops während der Arbeit an den Entwürfen für die Erika-Mann-Grundschule machte deutlich, dass es besonderer Darstellungen der entworfenen Architektur nötig sind, um sich über die atmosphärischen Qualitäten zu verständigen. Zeichnung und Modell können dafür grundsätzlich eingesetzt werden, sie müssen aber in der Lage sein, atmosphärische Qualitäten zu transportieren. Wenn die Kinder sich besonders gut in die Welt der Modelle hineinversetzen konnten, lag Kapitel 7.2 239 das einerseits an der mit den Baupiloten gefundenen gemeinsamen Basis, aber auch an den betont haptischen Qualitäten der produzierten Modelle. Die waren für sie eine Einladung, sie anzufassen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. So waren die Modelle geeignet, die Fantasie der Kinder anzuregen und auch konkrete Fragen wie die nach den Baumaterialien zu stellen. Erkenntnis 3: Das Projekt wird über eine Geschichte zugänglich Die Kinder fanden den besten Zugang zu den Projekten, die ihnen eine Geschichte und atmosphärische Qualitäten vermitteln können. Die lösten wiederum Assoziationsketten bei ihnen aus, und so konnte die Geschichte verfeinert und zu einem Konzept ausgebaut werden. Erkenntnis 4: Der bewusste Umgang mit der Kommunikation vermeidet die Verwendung unverständlicher Codes Die Arbeit mit atmosphärischen Collagen der Kinder und die von den Baupiloten auf der gleichen Ebene entwickelten Antworten, die ebenfalls stark auf Bildern und Collagen aufbauten sowie der sprachliche Austausch ermöglichten es, die festgelegten Codes der Architektenkommunikation über Zeichnungen, Pläne oder Modelle zu umgehen. Es konnte so direkter über Architektur und ihre Qualitäten sowie über nur schwer zu vermittelnde Bedürfnisse und Wünsche kommuniziert werden. Auch Sprachbarrieren, die durch unterschiedliche Sprachen, Kulturen oder Altersunterschiede entstehen, konnten so umgangen oder überwunden werden. Über die Bild- und Einbildungskraft konnten Vorstellungen von atmosphärischen Qualitäten entwickelt werden. Dazu waren Modelle oder 1:1 Prototypen, die sinnlich-haptisch wirken, besonders gut geeignet. Der Erfolg dieser Methode wurde daran erkennbar, dass die Kinder in später folgenden Präsentationen bereits hohe Ansprüche an die Architektur entwickelt hatten und sehr klar formulieren konnten, was ihnen gefiel und was nicht. 7.2.4.1.2 Entwurfsprozess (Erika-Mann-Grundschule, 2. Bauabschnitt) Für den etwa fünf Jahre später bearbeiteten, zweiten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule sollte der Partizipationsprozess vertieft und weitere Formate möglicher Rückkopplungen der Entwurfsansätze mit den Nutzern, also den Schulkindern, getestet werden. Zeitgleich mit dem zweiten Bauabschnitt der Erika-Mann-Grundschule bearbeiteten die Baupiloten im Wintersemester 2006/2007 den Einbau einer Freizeitlandschaft für die CarlBolle-Grundschule in Berlin-Moabit und die Modernisierung der Galilei-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Je sechs Studierende arbeiteten an je einem Projekt, bildeten aber zusammen eine gemeinsame Gruppe, die für alle Schulen die Initialworkshops „räumliche Col240 Kapitel 7.2 lage“ (vgl. Abschnitt 7.2.2.1 Workshoptyp 1) erarbeitete und betreute. Nach diesen Workshops war es den Studierenden freigestellt, sich für eines der Projekte bzw. eine der in den Workshops erarbeiteten Kinderwelten zu entscheiden. Für die Erika-Mann-Grundschule wurde die Geschichte der Silberdrachenwelten weiter entwickelt. Abb. 7.2.4.1.2 (1) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Initialworkshop Wunschvorstellungen, Mouna, 9 Jahre, Sinan, 8 Jahre räumliche Collage „Simou auf der Suche nach den goldenen Steinen“, Foto Fee Kyriakopoulos, TU Berlin WiSe 2006/07 Der Entwurfsprozess für den zweiten Bauabschnitt der Erika-MannGrundschule und die damit verbundene Rückkopplung mit den Nutzern wurde hier intensiver eingesetzt, als im Prozess für den ersten Bauabschnitt. Stand hier, neben dem Prinzip der Rückkopplung, die Arbeit mit atmosphärischen Wirkungen der Architektur im Vordergrund, so konnten im zweiten Bauabschnitt die Workshopformate stärker differenziert, womit ein noch stärkerer Austausch zwischen Nutzern und Baupiloten bzw. Architekten beabsichtigt war. Angestrebt wurde auch ein stärkerer Austausch der Studierenden untereinander. Es sollte allerdings kein Wettbewerb unter den Studierenden veranstaltet werden. Es galt vielmehr, die Arbeit in einem Team zu pflegen. In diesem Sinne sollte hier der Gedanke der „open source“ (vgl. Abschnitt 7.2.5) verfolgt werden: Die Studierenden geben ihre Erkenntnisse und Ideen in einen Pool, aus dem sich die ganze Entwurfsgruppe dann bedienen kann. Grundlage der gemeinsamen Arbeit sollte der fiktive Geist des Silberdrachens sein, der alles verbindet. Auch resultierend aus den guten Erfahrungen mit der fotografischen Präsentation des Projektes von Urs Walter und Kommilitonen für den ersten Bauabschnitt, hatten die Studierenden diesmal zuerst die Aufgabe, die räumlichen Collagen der Schulkinder fotografisch zu untersuchen. (Abb. 7.2.4.1.2 (1) Die Baupiloten) Sie sollten sich daraus Themen erarbeiten und mit Hilfe der konzentrierten Fotografien, Abb. 7.2.4.1.2 (2) Erika-Mann-Grundschule 2.BA, Workshop Ideenauswahl, Fee Kyriakopoulos stellt ihre Konzeptmodelle und -collagen den Schülern zur Diskussion, TU Berlin WiSe 2006/07 Kapitel 7.2 241 Fotoreihen oder Fotomontagen ein maßstabsloses Konzeptmodell bauen. Dies sollte dann wiederum, im Sinne der imaginierten Kinderwelt atmosphärisch, untersucht und fotografiert werden. Schließlich sollte durch das Hineincollagieren der Kinder, in einer passenden Nutzung oder einer bestimmten Pose, ein dort mögliches Verhalten der Nutzer untersucht werden. Knapp vier Wochen nach dem Initialworkshop zum zweiten Bauabschnitt der Erika-MannGrundschule (Abschnitt 7.2.2.1.3) wurden die Konzeptmodelle und -collagen der Studierenden den Schülern zur Diskussion gestellt (Abb. 7.2.4.1.2 (2) Die Baupiloten). Die Baupiloten hatten drei der von den Kindern angefertigten Collagen ausgewählt und erwiderten die darin entdeckten atmosphärischen Qualitäten mit eigenen Konzeptcollagen und Konzeptmodellen, die den Kindern eine atmosphärische Wahrnehmung auch in drei Dimensionen ermöglichen konnten: • „Die gemischte Welt von Sommer und Winter“, von Enes, 10 Jahre, und Mogtaba, 10 Jahre (vgl. Abb. 7.2.2.1.3 (1) Die Baupiloten) • „Simou auf der Suche nach den goldenen Steinen“ von Mouna, 9 Jahre, und Sinan, 8 Jahre (Abb. 7.2.4.1.2 (1) Die Baupiloten) • Kindercollage „Wasserblumenlabor“ von Nasibe, 9 Jahre, und Michael, 10 Jahre Abb. 7.2.2.1.3 (2) Die Baupiloten) (vgl. Auf besonderes Interesse stieß bei den Kindern das Phänomen von Gegensätzen. Beispielsweise von Winter und Sommer, wie dies in der Collage von Enes und Mogtaba „Die gemischte Welt von Sommer und Winter“ deutlich wird. Der Baupilot Thilo Reich entwickelte dazu eine räumlichen Collage, in der die Schule mit der Außenwelt gut vernetzt wird und so eine winterliche Welt während des Sommers und eine Sommerwelt während des Winters denkbar werden konnte. Er konzipierte außerdem eine Erfahrungsbox, (Abb. 7.2.4.1.2 (3) Die Baupiloten) in der die Kinder mit ihren Händen warm und weich beziehungsweise kalt und hart anmutende Materialien erspüren konnten und so die Gegensätze leiblich erfahren und damit eine winterliche oder sommerliche Assoziation verbinden konnten. Er fertigte außerdem ein flaches Materialmodell an, das diese Gegensätze deutlich macht. Es beAbb. 7.2.4.1.2 (3) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Thilo Reich, Konzeptmosteht auf der einen Seite aus einer dell Erfahrungsbox „Sommer - Winter“, TU Berlin WiSe 2006/07 242 Kapitel 7.2 Latex-Folie, auf die einseitig linear fragmentierte Metallbleche geklebt wurden. Das Modell war dadurch dreidimensional zu verformen und konnte so die Kinder in ihrer Fantasie über räumliche Strukturen anregen. (Abb. 7.2.4.1.2 (4) Die Baupiloten) Gleichzeitig stand der Materialgegensatz für die SomAbb. 7.2.4.1.2 (4) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Thilo Reich, Konzeptmomerwelt (warm und weich) gegen dell „Sommer - Winter“, TU Berlin WiSe 2006/07 die der Winterwelt (hart und kalt), die mit dem Modell form-, also veränderbar wurde. Die Kinder fanden in den Modellen ihre entworfenen Welten wieder, konnten sich mit den Ansätzen der Baupiloten identifizieren. Sie hatten dadurch eine gute Basis für die weitere Arbeit gefunden. Die Baupilotin Fee Kyriakopoulos nahm die Collage „Simou auf der Suche nach den goldenen Steinen“ von Mouna, 9 Jahre, Sinan, 8 Jahre, zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Die Kinder haben die Figur „Simou“ erfunden, die mit pinken Schuhen und schwarzem Haar durch den Weltraum fliegt und nach brennenden Weltraumsteinen sucht, die er für den Silberdrachen mit einem Kescher sammelt. Simou selbst ist kein Drache, er kann aber fliegen und Feuer speien. Fee Kyriakopoulos entwickelte aus der Geschichte und aus der Kindercollage ein „Schirmfedermodell“, ein aus einem alten Schirmgestell und langen Vogelfedern geschaffener Gegenstand, der an Simous „Flügel-Krallen“ erinnerte und der die Kinder auf eine imaginären Fahrt durch den Weltraum mitnehmen sollte. (Abb. 7.2.4.1.2 (5) Die Baupiloten) Im Gespräch mit allen Kindern entstand daraus die Idee einer „Weltraumsause“, die sich die Kinder gerne in einer abgeschlossenen, weil geschützten Kapsel vorstellen wollten, aus der sie aber hinaus schauen wollten. (Abb. 7.2.4.1.2 (6) Die Baupiloten) Die Kindercollage „Wasserblumenlabor“ von Nasibe, 9 Jahre ,und Michael, 10 Jahre, (vgl. Abb. 7.2.2.1.2 (2) Die Baupiloten) nahmen sich zwei Baupilotinnen vor und fanden dafür wiederum im Gespräch mit den Kindern zwei unterschiedliche Interpretationen. Abb. 7.2.4.1.2 (5) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Fee Kyriakopoulos, Konzeptmodell „Schirmfederflügel“, TU Berlin WiSe 2006/07 Kapitel 7.2 243 Die Baupilotin Irmtraut Schulze interpretierte die Schüleridee des Wasserblumenlabors als ein Kaleidoskop, in dem man durch Bewegung immer wieder neue (Blumen-)Bilder erzeugen kann. Bei der Kaleidoskopidee zeigten die Kinder Mut zur Größe, dieses ma- Abb. 7.2.4.1.2 (6) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Fee Kyriakopoulos, Konzeptcollage „Weltraumsause durch Flügel-Krallen“, gische Spiel wollten sie am ganzen TU Berlin WiSe 2006/07 Leib erleben: es sollte begehbar sein. Die Baupilotin transformierte schließlich den Raum des Flures im höchsten Geschoss der Erika-Mann-Grundschule mit Spiegelflächen und deren Reflektionen in eine unendlich erscheinende Weite. Durch die unzähligen Spiegelungen von ausgestellten Bildern können so immer neue Eindrücke gewonnen werden. Ihre Kommilitonin Andrea Caesar blieb bei ihrem Entwurf näher an dieser Kindergeschichte und dem dazu gebauten Modell. Die Collage der Studierenden, die ihre architektonische Interpretation von vergänglichen „Feuerblumen“ (Abb. 7.2.4.1.2 (7) Die Baupiloten) zeigte, regte die Fantasie der Kinder sehr an. Dazu trug offenbar besonders die Aussicht auf eine ephemere Veränderung des Ortes besonders bei. Die zauberhafte Verbindung von scheinbaren Gegensätzen, wie Wasser und Feuer, hatte es ihnen besonders angetan. Dazu waren ihre Vorstellungen sehr präzise und konnten sie genau sagen, wie viele Kinder gleichzeitig in einer dieser imaginären „Feuerblumen“ Platz finden sollten. Offenbar war ihnen der Austausch in kleinen Gruppen von zwei bis drei Kindern (mit der besten Freundin oder dem besten Freund) sehr wichtig. Sowohl in dem Wunsch nach Rückzug in kleinteilige Räume wie die „Feuerblumen“, als auch in der Idee eines unendlichen Raums kommt wohl auch die räumliche Enge der Schule zum Ausdruck, die die Schulleitung beklagt. Aus den in den Workshops zur Annäherung an die Wunschwelten erarbeiteten Entwurfsstudien wählten die Kinder nun ihre Favoriten aus. Daraus entwickelten die Baupiloten im weiteren Entwurfsprozess eine Konzeptgeschichte, die die einzelnen Ideen für neue Welten in einen Zusammenhang stellte. Daraus entstand die Geschichte vom „Schnauben des Sil244 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.1.2 (7) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Andrea Caesar, Konzeptcollage „veränderbare Feuerblumen“, TU Berlin WiSe 2006/07 berdrachens“, eine Fiktion, die sich auf die Silberdrachenwelten bezieht, die für die erste Modernisierung zugrunde gelegt wurden und die sich in einem benachbarten Flügel des Schulhauses befindet. Diese Geschichte entwickelten die Baupiloten dann zum konzeptionellen Bezugspunkt im weiteren architektonischen Entwurf. Nach drei weiteren Wochen (Abb. 7.2.4.1.2 (8) Die Baupiloten) stellten die Baupiloten, in einem zweiten Rückkopplungsworkshop, kleinen Gruppen von jeweils sechs Kindern, die weiterentwickelten atmosphärischen Modelle ihrer Entwürfe, in verschiedenen Maßstäben und Alternativen, im Kontext der alle Projekte verbindende Konzeptgeschichte, vor. Die Kinder sollten die nach ihrer Auffassung am besten geeignete Varianten auswählen, konstruktiv kritisieren und mögliche Nutzungen mit den Baupiloten diskutieren. • „Feuerblumen“ im dritten Obergeschoss Die Baupilotin Andrea Caesar stellte Modelle ihrer Feuerblume vor. Diese waren als Modelle im Maßstab 1:20 in einem ehemaligen Klassenzimmer angeordnet, das zu einem Freizeitraum umgestaltet werden sollte. Außerdem waren Modelle der Blumen im Maßstab 1:10 aufgebaut, mit denen die Funktionen der Blume, aber auch ihre atmosphärische Qualität dargelegt werden sollten. Die Klappen der „Feuerblumen“ dienten als transparente Ausstel- Abb. 7.2.4.1.2 (8) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Workshop Projektszenarien, Fee Kyriakopoulos und Andrea Caesar entwerfen mit den Schülern Projektszenarien, TU Berlin WiSe 2006/07 Kapitel 7.2 245 lungsfläche für die Kinder, sie konnten mit eigenen Kunstwerken bestückt werden. Gleichzeitig ermöglichten sie es den Kindern, ihre Welt immer wieder zu verändern, die Fenster im Inneren der Kugel waren als Kaleidoskop ausgeführt, auch sie konnten durch das Hinzufügen unterschiedlicher Materialien, immer wieder neue Eindrücke hervorrufen und dadurch die Fantasie der Kinder anregen. Durch das Hinzufügen von unterschiedlichen Materialien konnten die Kinder immer wieder neue Eindrücke und atmosphärische Qualitäten ihrer Mini-Environments schaffen. Dazu einige Stimmen der Kinder: „Ich kann es mir gut vorstellen dort zu lesen, das ist nämlich meine Lieblingsbeschäftigung, ein Buch mit 100 Seiten lese ich in zwei Tagen. Es ist auch sehr gut, dass man die Blumen zumachen kann, da ist man ungestört, wenn man sich mit seiner Freundin besprechen will.“ (Ein Mädchen ca.10 Jahre) „Also in den Feuerblumen stelle ich es mir ganz gemütlich und warm vor, der Bereich der Wasserblumen sieht sehr lebendig und abwechslungsreich aus, so als ob man da ´ne Menge Spaß haben kann.“ (Mario, 10 Jahre) „Ich könnte mir vorstellen, dass wir unsere eigene Musik mitbringen und sie unseren Freunden vorspielen - wir könnten hier zusammen tanzen.“ (Ein Junge ca. 10 Jahre) • „Feuerkrallen“ zweiten Obergeschoss Andere Baupiloten, wie Fee Kyriakopoulos, reagierten abstrakter auf die Kinderwelt: Mouna, 9 Jahre alt, und Sinan, 8 Jahre alt, haben „Simou auf der Suche nach den goldenen Steinen“ erfunden. Die feurig anmutende Kinderfantasiewelt (Abb. 7.2.4.1.2 (9) Die Baupiloten) inspirierte maßgeblich die Konzeptidee des „Schnaubens des Silberdrachens“ und die Idee der Partikeln „die (wie) brennende Weltraumsteine fliegen“ und fanden ihre Weiterent- Abb. 7.2.4.1.2 (9) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Fee Kyriakopoulos, Arbeitsmodell Freizeitraum mit Privatbereichen, die je nach Wunsch auch zusammengeschaltet werden können, M 1:20, TU Berlin WiSe 2006/07 246 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.1.2 (10) Erika-Mann-Grundschule 2.BA, Schüler als Gastkritiker an der TU Berlin, Schülerinnen rangieren die Flügelkrallen im 1:20 Modell und testen die Zonierung von Privatheit, TU Berlin, WiSe 2006/07 wicklung nicht nur in der Projektgeschichte, sondern auch in den „Feuerkrallen“ oder in den „Feuerflügeln“, die auf Anregung der Kinder später in einem Freizeitraum so platziert wurden, dass sie den Kindern ebenfalls sehr unterschiedliche Privatbereiche anbieten konnten. Der Wunsch nach einem geschützten Rückzugsort wurde in vielen Bemerkungen der Kinder deutlich. „Ich mag so eng sein“ (Fatma, 10 Jahre) „verstecken [...] und man würde nicht gesehen werden“ (Yvonne, 10 Jahre) „wir könnten da nach der Stunde lesen üben mein Freund und ich“ (Enes 10 Jahre). Die letzte Bemerkung ist insofern interessant, als dass der aus dem Entwurf entwickelte „Schnaubgarten“ zum Lieblingsraum der Lesepaten wurde. Für die nächste Stufe des Austausches und der Rückkopplung kamen die Schüler in einem dritten Rückkopplungsworkshop zu den Baupiloten in die Universität. In der Zwischenzeit hatte die Baupiloten so gearbeitet, dass die aus den Fantasien der Kinder erarbeiteten Teilprojekte bestimmten Orten im Schulgebäude zugeordnet waren. Der Zusammenhang zum Schulgebäude war hergestellt worden. (Abb. 7.2.4.1.2 (10-11) Die Baupiloten) Das Projekt „Kaleidoskop“ wurde beispielsweise mit vielen verschiedenen Modellstudien in unterschiedlichen Maßstäben gezeigt, um die Erfahrung eines (teilweise) verspiegelten Raumes zu vermitteln. Ergänzend wurde in einem digitalen Modell die unterschiedliche Wirkweise von Wandbildern und die Anordnung der Spiegelflächen zueinander getestet, um eine maximale Reflektion zu erreichen. Die besondere Arbeitsatmosphäre der Universität war für Schüler wie auch für die Studierenden eine besondere Situation. Zufällig vorbeikommende Studierende folgten neugierig den Besprechungen und waren von den Schülerkritiken sehr beeindruckt. Ein Schüler diskutierte mit großer Ernsthaftigkeit die sinnliche Qualität eines vom Wetter abhängigen Lichtschleiers. (Abb. 7.2.4.1.2 (12) Die Baupiloten) Sie testeten Modelle und versuchten, ihre damit gemachten Erfahrungen auf ihren Schulalltag zu übertragen und machten Vorschläge zur Weiterentwicklung der Projekte, die die Studierenden protokollierten, um sie in ihre Entwürfe aufzunehmen. Vier Wochen lang wurde das „Schnauben des Silberdrachens“, Ergebnis der Umbauplanungen für die Erika-Mann-Grundschule, in der KinderKunstGalerie MuGa der Öffentlichkeit vorgestellt, alle Teilprojekte, wie die „Feuerschollenlandschaft mit Leuchtkäfern“, die „Feuerkrallen“, die „Feuerblumen“ und das „Kaleidoskop“, wurden mit dem gesamten partizipativen Entwurfsprozess unter dem Titel „Kinder sind Gestalter ihrer eigenen Welten“ Kapitel 7.2 247 Abb. 7.2.4.1.2 (11) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Schüler als Gastkritiker an der TU Berlin, Junge schaut durch eines der vielen Kaleidoskop-Studienmodelle, die die Erfahrung der Idee eines begehbaren Kaleidoskops beschreiben soll, TU Berlin WiSe 2006/07 Abb. 7.2.4.1.2 (12) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Schüler als Gastkritiker an der TU Berlin, Woj Wojakowski, Lichtstudien, Junge diskutiert differenziert die Art und Farbe der Lichtschleier, TU Berlin WiSe 2006/07 dokumentiert. In der Ausstellung wurden die präzisierten großen atmosphärischen Modellen im Maßstab 1:50 und 1:20 sowie Fotomontagen oder andere räumliche Darstellungen für einen vierten Rückkopplungsworkshop gezeigt, die die Wirkungen der transformierten Schulräume darstellen konnten. Dazu wurde ein knapper Entwurfstext präsentiert. Die Schüler organisierten und machten Führungen durch die Ausstellung. (Abb. 7.2.4.1.2 (13-15) Wojakowski) Die Arbeit wurde in dem aufgezeigten Rhythmus weiter verfolgt. Mit Hilfe der Rückkopplungen wurde die Spezifizierung der Entwürfe vorangetrieben. Praktikabilität der Einbauten und ihre konkrete Nutzbarkeit an lebensgroßen Prototypen, fast im Sinne einer Maßanfertigung, getestet. Das Prinzip der Rückkopplung hat eine hohe Identifikation mit den Entwürfen und den Projekten hergestellt, so dass die Arbeit mit den Kindern auch dann kontinuierlich fortgesetzt werden konnte, als das Team der Baupiloten teilweise ausgetauscht wurde. Das Projekt „Feuerkralle“ wurde nach einem Semester von Fee Kyriakopoulos an einen „neuen“ Baupiloten, Ansgar Schmitter, übergeben. Auch wenn die Schüler ein starkes Vertrauensverhältnis, insbesondere zu Fee Kyriakopoulos, aufgebaut hatten, war es für die Schüler kein Hindernis die „Feuerkralle“ mit Ansgar genauso engagiert weiterzuentwickeln. Sie haben sich sehr mit dem Entwurf und ihren Projekten identifiziert und brauchten keine persönliche Bindung an den Architekten. In dem dann realisierten Umbau versinnbildlichte sich das „Schnauben des Silberdrachens“ in einer Sitzlandschaft im ersten Obergeschoss, die sich auch über das zweite, bis in das dritte Obergeschoss zieht. Dort veränderte das Modul der Sitzlandschaft zum Teil auch die Wände und Fußböden. In die Sitzlandschaft wurden Öffnungen eingebracht, in denen die Kinder warme und weiche Materialien finden, auf denen sie es sich im Sitzen, Liegen oder in anderen Positionen bequem machen können. (Abb. 7.2.4.1.2 (16) Die Baupiloten) Im 248 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.1.2 (16) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Thilo Reich, Konzeptcollage „Lernlandschaften Sommer-Winter“, TU Berlin WiSe 2006/07 Abb. 7.2.4.1.2 (17) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Andrea Caesar, Konzeptmodell Rückzugsorte „Laborkugel“ in den Lernlandschaften, TU Berlin WiSe 2006/07 „Schnauben des Silberdrachens“ schweben „Partikel“: Eines dieser „Partikel“ ist die „Feuerkralle“. Sie findet sich vor allem in den Räumen des zweiten Geschosses, die „Feuerblume“ ist ein weiteres solches „Partikel“. Diese Partikel bilden die räumlichen Strukturen, in die sich die Kinder zurückziehen können. (Abb. 7.2.4.1.2 (17) Die Baupiloten) In ehemaligen Klassenzimmern, die direkt von den so umgestalteten Fluren abgehen, wurden Freizeiträume für die Kinder, nach den mit ihnen entworfenen Welten, eingerichtet. Erkenntnisse • Im Wesentlichen wiederholten sich die in den Rückkopplungsverfahren des Projektes Erika-Mann-Grundschule BA1 gewonnen Erkenntnisse 1-4. Neu war aber, dass dieselbe Kinderwelt auch zu unterschiedlichen Entwürfen führen kann, ohne dass sich die Kinder von ihrer ursprünglichen Idee entfremden. • Die Inhalte der Kinderwelten bilden unterschiedliche Schwerpunkte und Bausteine in der Geschichte bzw. im Konzept des Umbaus und in seiner baulichen Transformation. • Die Schüler hatten sichtlich Spaß daran, ihre Ideen in die gebaute Realität ihrer Umwelt umzusetzten. • Die Baupiloten und die Schüler waren ein gutes Team. Die Schüler freuten sich auf die Besuche der Studierenden, es bereitete ihnen Freude an der Gestaltung ihres zukünftigen Lern- und Lebensraums mitzuwirken. Sie waren gleichzeitig mit großer Ernsthaftigkeit und Unvoreingenommenheit bei der Sache. Alle Beteiligten zogen an einem Strang, so dass sich fast zwangsläufig Synergien zwischen Architektur und Pädagogik ergaben. • Die Kinder waren im Partizipationsprozess sehr aktiv und konnten sich konstruktiv einbringen. Das betraf die großen Plenen, wie auch die Treffen mit den Baupiloten in kleinen Gruppen. Kapitel 7.2 249 Abb. 7.2.4.1.2 (13) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Ausstellung des Entwurfsprozesses „Kinder sind Ideengeber ihrer eigenen Welten“, in der KinderKunstGalerie MuGa, hier: Eingangsbereich der Galerie mit Schuhkartons, in denen die Kinderwelten gebaut wurden, TU Berlin WiSe 2006/07 Abb. 7.2.4.1.2 (14) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Ausstellung des Entwurfsprozesses, hier: Formfindungsprozess, programmatische Diagramme und atmosphärische Untersuchungen der „Feuerschollenlandschaft - Sitzlandschaft, TU Berlin WiSe 2006/07 Abb. 7.2.4.1.2 (15) Erika-Mann-Grundschule 2. BA, Ausstellung des Entwurfsprozesses, hier: Atmosphärische und programmatische Studien „Feuerschollenlandschaft“ und „Kaleidoskop“, TU Berlin WiSe 2006/07 250 Kapitel 7.2 • Die Kinder nutzten die Möglichkeit, Modelle ausführlich in verschiedener Hinsicht zu testen, und hinterfragten die Entscheidungen mit Neugierde und Unvoreingenommenheit. Modelle wurden gedreht, auf den Kopf gestellt, neuartig kombiniert, mit verschiedenen Lichtquellen ausgeleuchtet, mit Licht und Schatten wurde experimentiert, Schwerpunkte gesetzt. Es wurde gemeinsam überlegt, wohin die Aktivitäten führen, es wurden Bewegungsabläufe ersonnen, Nutzungszeiten bestimmt (Freizeit oder Leseübungen, Rückzug, Toben etc.) und die Bedeutungen für den Schulbetrieb abgewogen. • Die intensiven Kontakte zu den Kindern inspirierten wiederum die Baupiloten, öffneten ihnen neue Blickwinkel (im wahrsten Sinne des Wortes). Es entstand durch die Partizipation ein kreativer Entwurfsprozess. Er wurde von Seiten der Pädagogen nicht eingeschränkt, sondern eher erweitert und angespornt. 7.2.4.2 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 2 Die Arbeit mit Kindern im Kindergartenalter bedurfte, wie schon im Abschnitt 7.2.2.2. beschrieben, anderer Mittel, als die Arbeit mit Schulkindern oder Jugendlichen. Eine „Übersetzung“ durch Erzieherinnen und Erzieher brauchte es bei den Rückkopplungsworkshops nicht. Die Kinder mussten aber anschaulich in die Lage ihrer zukünftigen Lebenswelt eingeführt werden, beispielsweise durch atmosphärische Collagen, in die sie oder ihre Freunde auch maßstäblich eingepasst sind. Oder es kamen großmaßstäbliche, sinnlich nachvollziehbare Modelle dafür zum Einsatz. Das sollte ihnen die Möglichkeit geben, an der Schaffung einer neu-gebauten Umwelt unmittelbar mitzuwirken. Sie sollten sich selbst sozusagen in einer neuen Welt betrachten und dafür die Fantasie entwickeln, die uns wiederum die Grundlage gab für eine architektonisch-atmosphärische Reaktion. Dabei wurde keine direkte Kritik geäußert. Die Äußerungen der Kinder mussten mit großer Sorgfalt beobachtet und interpretiert werden. Ein weiterer Schritt, zur Entwicklung dieser Fantasien mit den Nutzern, waren Rückkopplungen beziehungsweise das Feedback auf die Entwürfe der Baupiloten. Dafür wurden Prototypen des Entwurfes als 1:1-Modelle direkt in der Benutzung getestet. Der Workshoptyp 2 soll hier an zwei Bespielen gezeigt werden. 7.2.4.2.1 Kita Traumbaum, Berlin-Kreuzberg In unserem Projekt für die Kita Traumbaum in Berlin-Kreuzberg konnten wir feststellen, dass auch schon mit für Kleinkindern, im Alter von drei bis vier Jahren, eine einfache Kommunikation über ihre eigenen Zeichnungen und die späteren atmosphärischen Collagen und Modellen der Studierenden zustandekommt. Den Kinderzeichnungen und den dazu protokollierten Kommentaren der Kinder hatten die Baupiloten sich in eigenen Collagen genähert. Sie zeigten die reale räumliche Situation in Kapitel 7.2 251 der Kita, von Fantasiewelten überlagert. Die Fotos der Kinder waren dort als maßstabsgerechte Figuren hineinkopiert. Das regte die Kinder an, diese Welten und ihre Rolle darin zu hinterfragen und in diesem Rahmen weitere Fantasien zu entwickeln. Dabei reagierten die Kinder unterschiedlich auf die Vorschläge der Baupiloten. Es gab eifrige Debatten und heftige Reak- Abb. 7.2.4.2.1 (1) Kita Traumbaum, Uta Schrameyer, Konzeptcollage „Zaubertionen, aber auch Zurückhaltung. früchte“, die die Kinder der Kita erkunden TU Berlin SoSe 2005 Die Tendenzen dieser Reaktionen nahmen wir als Hinweis auf die Zustimmung oder die Ablehnung der Entwurfsideen, die dann entsprechend weiter verfolgt oder zu den Akten gelegt wurden. Die Baupilotin Uta Schrameyer hatte sich für ihre weitere Arbeit bestimmte Zeichnungen der Kinder herausgesucht. Sie stellten eine Art Traumblase dar und sie entwickelte daraus so genannte Zauberfrüchte, in denen sich die Kinder aufhalten könnten, was sie in ihren Collagen auch so darstellte. (Abb. 7.2.4.2.1 (1) Die Baupiloten) Das war deshalb erfolgreich, weil die Kinder sich gut in die räumlichen Collagen hineinversetzen konnten. Der Baupilot Daniel Hülseweg startete seinen Entwurf mit einer Recherche von möglichen Geräuschen eines Traumbaums. Er bezog sich dabei auf die Zeichnung eines Mädchens von etwa 4 Jahren (vgl. Abb. 7.2.2.2.1 (3) Die Baupiloten), das Geräusche gezeichnet hatte. Daraus entstand eine Art Bildergeschichte möglicher Geräusche, die beim Leben mit dem Traumbaum entstehen können. (Abb. 7.2.4.2.1 (2) Die Baupiloten) Der Baupilot Nikolai Erichsen bezog sich auf Zeichnungen, in denen Kommunikation eine Rolle spielte, und entwickelte daraus „Flüsteräste“ (Abb. 7.2.4.2.1 (3) Die Baupiloten) und die Idee von Reflektionen, die den Kindern die Möglichkeit geben sollten, mit dem Baum oder miteinander zu kommunizieren. Aus diesem Rückkopplungsprozess entstanden drei konkretere Projekte: Der Bau von leuchtenden 252 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.2.1 (3) Kita Traumbaum, Nikolai Erichsen, Flüsteräste, mit denen die Kitakinder untereinander kommunizieren können, TU Berlin SoSe 2004 TraumBaumGeräusch TraumBaumGeräusch TraumBaumGeräusch TraumBaumGeräusch imBaumklettern imBaumklettern imBaumklettern imBaumklettern denBaumschütteln denBaumschütteln indenÄstenhängen indenÄstenhängen denBaumschütteln indenÄstenhängen denBaumschütteln indenÄstenhängen imBaumverstecken imBaumverstecken imBaumverstecken imBaumverstecken denBaumumarmen denBaumumarmen denBaumumarmen denBaumumarmen denBaumstreicheln denBaumstreicheln denBaumstreicheln denBaumstreicheln Bewegung Bewegung IchbewegedenBaum Bewegung IchbewegedenBaum IchbewegedenBaum Bewegung IchbewegedenBaum spielen spielen spielen spielen kitzeln kitzeln kitzeln kitzeln andenStammlehnen untermBaumträumen andenStammlehnen untermBaumträumen andenStammlehnen untermBaumträumen andenStammlehnen untermBaumträumen derBaumbewegtMich derBaumbewegtSich derBaumbewegtMich derBaumbewegtSich derBaumbewegtMich derBaumbewegtSich derBaumbewegtMich derBaumbewegtSich spielen/kitzeln spielen/kitzeln spielen/kitzeln spielen/kitzeln beschützenlassen beschützenlassen beschützenlassen beschützenlassen schmusen schmusen schmusen schmusen streicheln streicheln streicheln streicheln ausruhen ausruhen ausruhen ausruhen nachdenken nachdenken nachdenken nachdenken träumen träumen träumen träumen lachen lachen lachen lachen fauchen fauchen fauchen fauchen seufzen seufzen seufzen seufzen schnurren schnurren schnurren schnurren flüstern/atmen flüstern/atmen flüstern/atmen flüstern/atmen flüstern flüstern flüstern flüstern schnarchen schnarchen schnarchen Geräusch Geräusch Geräusch Geräusch jauchzen / grummeln kichern jauchzen / grummeln kichern jauchzen / grummeln kichern jauchzen / grummeln kichern indenÄstensitzen indenÄstensitzen indenÄstensitzen indenÄstensitzen schnarchen Abb. 7.2.4.2.1 (2) Kita Traumbaum, Daniel Hülseweg, „Traumbaumgeräusche“ Geräusche, die beim Leben in einem Traumbaum entstehen, TU Berlin SoSe 2004 „Traumblüten“, in die sich die Kinder einzeln, zu zweit oder in kleinen Gruppen zurückziehen können, der „Blätterwald“, der in dem hohen Kitaatrium in Form eines „Blätterdachs“ aus reflektierenden Metallflächen eingezogen wurde und der einerseits Licht in dessen dunkle Zonen transportieren und den Kindern gleichzeitig die Möglichkeit zur Kommunikation geben sollte, sowie weitere Instrumente der Kommunikation, wie das „Blütentelefon“, über das die Kinder miteinander, aber auch mit dem Baum sprechen konnten. Auf dieser Stufe der Rückkopplung konnten für den Umbau konkrete Teilprojekte und detaillierte Planungen abgeleitet werden, die die architektonische Umsetzung der „Traumbaum-Welt“ ermöglichten. Dafür waren zunächst weitere Recherchen notwendig. Da der „Blätterwald“ das Licht in den Raum und im Raum leiten sollte, untersuchte Erichsen die Lichtverläufe im Raum, nach den gegebenen, über das Jahr sehr unterschiedlichen Auswirkungen. Das ergab, wie viele Flächen zur Reflektion notwendig sind und wie groß sie sein sollten. Die „Blätter“, die „Traumblüten“ und das „Blütentelefon“ wurden als Prototypen im Maßstab 1:1 hergestellt und mit den Kindern getestet. (Abb. 7.2.4.2.1 (4) Die Baupiloten) Dabei wurden die Größen der „Traumblüten“ (Abb. 7.2.4.2.1 (5) Die Baupiloten) modifiziert, ein Mechanismus erprobt, der den „Traumbaum“ „schnarchen“ lässt, das „Blütentelefon“ optimiert und so entwickelt, dass es auf einem einfachen naturwissenschaftlichen Phänomen aufgebaut werden konnte. Erst nach der erfolgreichen Erprobung dieser Komponenten wurde entschieden, sie in den Entwurf aufzunehmen. Beim Test des „Blätterwaldes“ konnte auch das Material für die Reflektionen optimiert werden. Die harten Oberflächen von Kapitel 7.2 253 Abb. 7.2.4.2.1 (4) Kita Traumbaum, Kinder testen verschiedene Prototypen, hier: „Blütentelefon“, TU Berlin SoSe 2004 Abb. 7.2.4.2.1 (5) Kita Traumbaum, Kinder testen die Größe und Bequemlichkeit einer „Traumblüte“, TU Berlin WiSe 2004/05 Abb. 7.2.4.2.1 (6) Kita Traumbaum, 3 Baupiloten bauen ein 1:1 Test-Modell der beweglichen „Schnarchblüte“ und Blätter, TU Berlin WiSe 2004/05 254 Kapitel 7.2 Kristallglasspiegeln erzeugten Reflexe und Schlagschatten, die die Kinder eher verängstigten, während die weicheren Oberflächentexturen, die beispielsweise dünnes Edelstahlblech aufweist, weniger harte Schattenkonturen erzeugt und von den Kindern entsprechend freudiger aufgenommen wurden. Dies gab dann auch den Ausschlag für die Materialwahl. Die Arbeit mit den Prototypen diente den Studierenden gleichzeitig zur besseren Detaileinschätzung und Konstruktionsplanung ihrer Entwürfe. (Abb. 7.2.4.2.1 (6) Die Baupiloten) Besonders die sinnlich nachvollziehbaren Modelle im Maßstab 1:1, die als „Traumblütensitze“ im Bereich des Flurs beziehungsweise des Foyers erprobt wurden, funktionierten sehr gut. Den Kindern gefielen die hinterleuchteten farbigen Sitzmöglichkeiten. Große Freude hatten sie auch am Erkunden und Verstehen des „Schnarch-Blüten“-Mechanismusses. 7.2.4.2.2 Neubau Kita Lichtenbergweg, Leipzig Für den Neubau der Kita in Leipzig musste der Bauherr auf allen Ebenen der Verwaltung erst von den Vorzügen einer partizipativen Planung überzeugt werden. Wir begannen deshalb zunächst einen Vorentwurf, in dem grundsätzliche Fragen, wie die Lage des Gebäudes auf dem Grundstück, seine Positionierung im zu erhaltenden Baumbestand, die Ausrichtung nach den Himmelsrichtungen und eine grobe Aufteilung der Nutzungen im Gebäude geklärt wurden. Erst dann wurden sowohl Workshops mit den Entscheidungsträgern und Pädagogen, als auch mit den Kindern durchgeführt. Mit Ersteren musste geklärt werden, wie die pädogogischen Leitideen des Sächsischen Bildungsplans (2007) und die gewünschten Kitaaktivitäten mit den Diskussionen über die besonderen Anforderungen der Bauherren an die Architektur und Grundstück sowie Grundüberlegungen zur atmosphärischen Wirkung des Gebäudes zur Übereinstimmung gebracht werden können. Diese Abstimmung wurde im Rahmen eines von uns entwickelten „integrativen Verhandlungsverfahren“ geführt (vgl. Abschnitt 7.3.2.2.1). Die kompakten Workshops mit den Kindergartenkindern fanden gleichzeitig als Initialworkshop und als Rückkopplungsprozess statt. In Vorbereitung dieser Workshops waren grundlegende Ideen der Kinder erarbeitet worden, die nun eine Umsetzung erfahren sollten. Sie konnten so direkt in die mit dem Bauherrn durchgeführten Abstimmungen eingebracht werden. Direkt im Anschluss an den Initialworkshop (vgl. Abschnitt 7.2.2.2) platzierten wir gemeinsam mit den Kindern die dabei entstandenen Modelle im Garten der Kita und fotografierten sie dort, um einen direkten Bezug der Ideen zum Ort herzustellen. Dabei sollten sie auf ihre Qualitäten in der sinnlichen Wahrnehmung untersucht werden. (Abb. 7.2.4.2.2 (1) SHA) Zusätzlich versuchten wir die Modelle der Kinder fast „wortwörtlich“ in bauliche StruktuKapitel 7.2 255 Abb. 7.2.4.2.2 (1) Kita Lichtenbergweg, fotografische Untersuchung des Modells „Raketenbasis mit Aussichtswolke“ von Benno und Paul im Garten der Kita, 2009 ren zu übersetzen. Dafür legten wir zeichnerisch gedankliche Schnitte durch die Modelle und entwarfen dafür so etwas wie „architektonische Situationen“, um so nah wie möglich an den Vorstellungen der Kinder zu bleiben, um das wesentliche von deren Interpretation eines „Regenbogengartens“ und eines „Vulkans“ zu begreifen. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Das Modell „Raketenbasis mit Aussichtswolke“ war vor allem durch hoch über dem eigentlichen Gebäude angelegte Kapseln geprägt, die den Kindern eine Aussichtsplattform in oder über den Wolken bieten sollten. Dieser Gedanke wurde in den Entwurf einer vielfältig zu erlebenden und abwechslungsreichen Treppenanlage übersetzt, an deren Ende eine Aussichtplattform bzw. eine Aussichtskapsel liegen sollte. Dahinter stand die Idee der Kinder, dass aus einem „Regenbogengarten“ „Raketen wie Pilze“ hoch in „Aussichtswolken“ schießen sollten. Der „Regenbogengarten“ scheint leicht und farbenfroh über Ihnen zu schweben. (Abb. 7.2.4.2.2 (2) SHA) Ein zweites Modell, das „Vulkanwelten“ beschrieb, und sich auf die Zeichnung eines Kletterberges als Schrank „für lauter tolle Sachen“ von dem Vorschulkind Paul berief, inspirierte die geschützten und gemütlicheren Orte der Kita, wie einen Schlaf- und Ruhebereich. Die Kinder hatten dazu überlegt: „Wenn der Vulkan zur Ruhe kommt, ist alles in Dunkel gekleidet, dann leuchten die warmen Steine und laden zum daraufliegen und ausruhen ein. In ihnen „Regenbogen“ führt in den Himmel und holt mich von der Wolke ab mobile Wand auf dem Regenbogen sein Abb. 7.2.4.2.2 (2) Kita Lichtenbergweg, zeichnerische Untersuchung des Modells „Raketenbasis mit Aussichtswolke“ von Benno und Paul, Ansicht und Querschnitt „Regenbogengarten“ und Treppenanlage, 2009 256 Kapitel 7.2 Wärmestrahlung Feuerplatz Kuschelig im Vulkan mollig warme Kuschelorte Kinderküche Abb. 7.2.4.2.2 (3) Kita Lichtenbergweg, Modell „Vulkanlandschaft“ und zeichnerische Interpretation im Schnitt, 2009 sind tolle Sachen verstaut und versteckt.“ Der Kletterberg sollte dabei mit seinen Gesteinsformationen bis in die Bäume wachsen. Sie stellten sich einen abenteuerlicher Erlebnis- und Lernort vor. (Abb. 7.2.4.2.2 (3) SHA) In alternativen Studienmodellen im Maßstab 1:200 wurden die aus den Kindermodellen gewonnenen Erkenntnissen untersucht: Die „Regenbogenwelt“ im Bezug auf ihre Höhe und Luftigkeit, es wurden Möglichkeiten gesucht, die, von den Kindern gewünschten ephemeren oder flüchtig temporären Qualitäten, wie Hitze und Wärme oder Kälte in der Architektur zu berücksichtigen. Weiter wurden architektonischen Ausformulierungen für Schutz, Geborgenheit oder Geheimnis, die mit einem Vulkan zu verbinden sind, getestet. Entwurfsvariante 1 „Regenbogenschlucht“: Der Regenbogen sprengt die Vulkangesteine auf und bricht durch sie hindurch. (Abb. 7.2.4.2.2 (4) SHA) Entwurfsvariante 2 „Vulkanlandschaft“: Der „Regenbogengarten“ breitet sich zwischen den lebendigen Gesteinsformationen aus und bespielt durch Licht, Farbe und Reflexionen die Umgebung. Bestimmender Teil ist das Spiel der Felsformationen. (Abb. 7.2.4.2.2 (5) SHA) Schließlich entwickelten wir aus dieser variantenreichen Untersuchung das Grundkonzept des Entwurfes. Dabei schlugen sich einige aus dem Workshop gewonnene Ideen in unseren Überlegungen zur Grundkonzeption des Baukörpers nieder. Die Idee einer „Vulkanlandschaft“ und eines „Regenbogengarten“ ließ uns beispielsweise einen massiven Bauteil als Mauerwerksbau und einen leichteren, auf Holzbau basierenden Bauteil entwerfen. Das Gebäude wird mehrmals von einem „Regenbogenelement“ beziehungsweise von Holzfassadenelementen durchbrochen. In dem massiven Baukörper sind, neben dem besonderen programmatisch räumlichen Angebot für die Kinder, wie Kinderküche, Atelier, Schauspielraum usw., auch alle Serviceräume (Küche, Personalraum, Hausmeister) und Nebenräume untergebracht. Die Gruppenräume, die für den alltäglichen Aufenthalt eine wichtige Rolle spielen sind dagegen im Holzbau zusammengefasst, ein sogenannter Multifunktionsraum ist, sowohl an den Wänden als auch Kapitel 7.2 257 Abb. 7.2.4.2.2 (4) Kita Lichtenbergweg, Studienmodelle und Inter- Abb. 7.2.4.2.2 (5) Kita Lichtenbergweg, Studienmodelle und Inpretation der Kindermodelle, „Regenbogenschlucht“, der Regenbo- terpretation der Kindermodelle, „Zwei Felsen durch den Regenbogen sprengt die Vulkansteine auf und bricht durch sie durch, 2009 gengarten verbunden“, die Felsformationen werden mit dem leicht anmutenden Regenbogen umspielt, 2009 am Dach, mehrfach durchbrochen, so dass dort der von den Kindern formulierte Regenbogengarten erlebbar wird. Es gibt erdig-warme, aber auch luftige und bunte, helle Lichterwelten in dem Gebäude. Sie gehen auf Beobachtungen zurück, die wir bei unseren Besuchen in der Kita, aber auch bei der Beobachtung der Modelle machen konnten. Die Kinder waren sehr an Spiegelungen, Reflektionen, aber auch der Veränderlichkeit von Welten oder Umgebungen interessiert. Die Faszination für das farbige, sich verändernde und reflektierende Licht war in der Vorschulklasse deutlich spürbar. Wir haben versucht, die Begeisterung der Kinder aufzunehmen, und da sie ein essenzieller Teil der Architektur und ihrer Atmosphäre ist, haben wir dazu einen eigenen Workshop veranstaltet. Die dabei entstandenen Apparaturen haben wir mit zwei Kitagruppen getestet, die aus einer Gruppe Vorschulkinder und einer Gruppe jüngerer, drei- und vierjährigen Kinder bestanden. Es entstanden Modelle und Spiegelkästen, Kaleidoskope, ein Reflektorhelm. (Abb. 7.2.4.2.2 (6) SHA) Sie studierten die Veränderungen des Lichtes, wenn es transparente Materialien durchscheint oder Reflektionen entstehen, deren Ort und Verlauf sie selbst bestimmen konnten. Auch die Spreizung des Lichtes in das Spektrum des Regenbogens war ein Thema. Die älteren Kinder reagierten mit Verständnis und Experimentierlust auf die Apparaturen, während die Jüngeren sich einfach über die farbigen Reflektionen freuten. (Abb. 7.2.4.2.2 (7) SHA) Die Ergebnisse dieses Workshops bestärkten uns darin, das Lichtspiel zu einem zentralen architektonischen Element des Entwurfs weiterzuentwickeln: 258 Kapitel 7.2 Es entstand daraus die „Regenbogenblume“, als ein sinnlicher Effekt, der durch das Sonnenlicht entsteht, das direkt durch Dachöffnungen oder Wandöffnungen in das Gebäude einfällt. Im Zentrum des neuen Kindergartens liegt der Multifunktionsraum, welcher mit Foyer und Theater verbunden ist. Dieser Raum ist durch das zentrale Element der „Regenbogenblume“ Abb. 7.2.4.2.2 (6) Kita Lichtenbergweg, Workshop Lichtexperimente, Kinder der Vorschulklasse experimentieren mit einem Lichtklavier, 2009 geprägt – einer vielfarbigen Blume aus Licht, die im Multifunktionsraum und Foyer auf- und abblüht, d.h. sich mit den verschiedenen Sonnenständen der Tages- und Jahreszeiten, verändert. Die beschichteten spiegelnden Reflektionsflächen in den Oberlichtern oder Fenstern färben das Tageslicht ein, bevor es auf den Fußboden oder die Wände trifft. Im Laufe des Tages wandern dann ruhige Abbildungen durch den Raum. Im Jahresverlauf blüht der Regenbogen im Garten auf, bietet sich in voller Pracht dar und blüht dann langsam wieder ab. Er schafft eine enge Verknüpfung zwischen den Raumelementen und bietet für die Kinder in ihrem Alltag ein sinnliches Schauspiel. Ähnlich sind die Elemente des „Baumlabors“ und des „Lichtwasserfalls“ entstanden. Erkenntnisse aus dem Rückkopplungsprozess Neubau Kita Leipzig: • Die intensive Arbeit mit den Modellen der Vorstellungswelten, die die Kinder in dem Workshop in dieser Altersgruppe bauten, war in unserer Entwurfsarbeit ein neues Experiment der Partizipation. Durch Materialmodelle konnten wir direkt mit den Kindern im Vorschulalter, ohne die Vermittlung durch die Erzieherinnen arbeiten. Die Zusammenarbeit funktionierte dann besonders gut, wenn es sich um besonders aufgeweckte Kindern handelte. Die kleineren Kinder brauchten hingegen die Unterstützung der Erzieherinnen. Die Modelle hatten hohe Mitmach-Qualität und waren für Vorschulkinder einfach verständlich. Bei der Arbeit mit den Modellen entstanden 1:1 Effekte, die die atmosphärische Wirkung der Abb. 7.2.4.2.2 (7) Kita Lichtenbergweg, Workshop Lichtspiele, die jüngeren Ideen, Vorstellungen und Ent- 3-4 jährigen beobachten die sich verändernden farbigen Reflexionen, 2009 Kapitel 7.2 259 würfe räumlich demonstriert. Für diesen Workshop waren dies vor allem Lichteffekte. • Die Materialität der Modelle erlaubte uns andere Rückschlüsse, als die dreidimensionalen Papiermodelle, die mit den Grundschulkindern entstanden waren. Es war das erste Mal, dass die Kinder so starke räumlich expressive Modelle bauten. Es konnten ausgehend von den Modellen räumlich interpretierende Schnitte gezeichnet werden, die eine direkte architektonische Reflexion der Vorstellungswelten erlaubten. In den früheren Berliner Kinderworkshops haben die Grundschüler eher dreidimensionale Papiercollagen in einen Schuhkarton gebastelt, die sehr bildhaft und wenig räumlich waren. In Leipzig haben die Kinder mit den unterschiedlichsten Materialien gearbeitet und sich daraus ihre Vorstellungswelten gebaut. Sie haben sich die entsprechende Materialien ausgesucht und die Welten umgesetzt, die sie vorher beim Basteln entdeckt hatten. Damit hatten die Modelle schon eine räumliche Struktur angenommen, die wir mit den Schnitten leichter räumlich interpretieren konnten. So wurden die ursprünglichen Zeichnungen und Ideenwelten der Kinder mit jedem Schritt für uns greifbarer. Damit konnten atmosphärische Stimmungsqualitäten ermittelt werden, die den Vorstellungen der Kinder, aber auch der beteiligten Erwachsenen (vor allem des Kitapersonals) entsprachen. • Das relativ geringe Zeitbudget war dabei kein Nachteil. Wir konnten schon vorab durch die Hospitation, also die Beobachtung des täglichen Lebens und der Tagesabläufe in der Kita, ein gutes Gefühl für deren Nutzung und die Kinder selbst und ihre Interessen entwickeln. (vgl. Abschnitt 7.3.1.1) Die Modellworkshops konnten so sehr auf die Themen der Kinder zugeschnitten werden. 7.2.4.3 Fazit Rückkopplungsworkshoptyp 1 und 2 Die Rückkopplungsprozesse in beiden Workshoptypen bestätigten die These, dass der partizipative Entwurf kein gradliniger Prozess, einer wie auch immer gearteten, Problemlösung ist, sondern ein Prozess der intensiven, vielschichtigen Kommunikation und der Erkenntnis auf Seiten der Entwerfenden. Die, in Form von Entwürfen gegebenen, Antworten auf die Wünsche der Nutzer brauchen mehrere Schritte zur Präzision. Diese Kommunikation geschieht nicht allein über Zeichnungen, sie muss multimedial sein. Medien, wie der verbale Austausch über Schrift und gesprochene Sprache, über Zeichnungen, Modelle oder das Erzählen von Geschichten, müssen je nach Altersstufe, Bildungshintergrund oder kulturellem Hintergrund, variiert werden. Dabei ist eine genaue Beobachtung der Gruppe notwendig. Eine routinierte oder schematische Anwendung der Instrumente muss vermieden und gegebenenfalls müssen eigene Instrumente gefunden werden. Das zeigt vor allem der Vergleich zwischen den Workshops an den Kindertagesstätten Traumbaum sowie Taka-Tuka-Land und der Kitagruppe in Leipzig. Der bewusste Umgang mit der Kommunikation vermeidet die 260 Kapitel 7.2 Verwendung unverständlicher Codes. Gleichzeitig baut dieses Verfahren ein hohes Vertrauen zwischen Entwerfenden und Nutzern auf. Ein entscheidendes Instrument der Verständigung ist die gemeinsame Entwicklung einer Geschichte, die die Entwerfenden in die Lage versetzt, ein entsprechendes architektonisches Konzept zu entwickeln. Die wohl wichtigste weitergehende Erkenntnis aus der Arbeit in dem Workshoptyp 2 ist es, dass auch die Arbeit mit kleinen Kindern eine entwurfsrelevante Partizipation ermöglicht. Für eine Rückkopplung der architektonischen Entwürfe mit den kleinen Nutzern war zum Teil eine Vermittlung durch vertraute Erwachsene notwendig (in der Regel die Erzieherinnen). Es gelang uns jedoch im Laufe der Arbeit und mit fortschreitendem Austausch über die Rückkopplungsarbeit eine Kommunikationsebene zu finden, auf der ein vertrauter Austausch über die Vorstellungen und ihre architektonische Entsprechung möglich war. Ganz wesentlich war es auch hier, die von den Kindern entwickelten Vorstellungswelten in eine fiktive Geschichte zu übersetzen und damit eine komplexe Welt aufzubauen. Diese konnten wir als Architekten wiederum in ein architektonisches Konzept übersetzen, um auf dessen Grundlage konkrete bauliche Entscheidungen über die Baustruktur, das zu verwendende konstruktive Material und das Ausstattungsmaterial, die Lichtführung und so weiter zu treffen. Wichtig war es auch hier, auf jeder der Entscheidungsebenen eine Rückkopplung mit dem Nutzer einzuplanen. So konnte deren Identifikation mit dem Entwurf und dem Bauwerk immer weiter intensiviert werden. Entscheidend war aber auch auf diesen Ebenen, der Fantasie der Laien großen Spielraum zu lassen. 7.2.4.4 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 3 Einerseits erforderte der Umgang mit Jugendlichen, wie in den Initialworkshops, auch bei den Rückkopplungsverfahren andere Mittel der Kommunikation, als bei Kindern im Kindergarten- oder Grundschulalter, andererseits war die Komplexität der Arbeiten jeweils unterschiedlich. Für die Carlo-Schmid-Oberschule sollte ein spezielles Mobiliar zum Lernen entwickelt werden. Hier brachte die besonders ausgeprägte handwerkliche Kreativität der Schüler auch ein schnell greifbares, bauliches Ergebnis. Für die Weiterführende Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ) war die Aufgabenstellung sehr viel komplexer, es war ein tiefgreifender Umbau des Schulgebäudes geplant, der einen umfangreicheren Abstimmungsbedarf verlangte. Außerdem wandelte sich während der Bearbeitung die Aufgabenstellung. War der Partizipationsprozess zunächst darauf beschränkt, den Umbau mit den Schülern zu planen und baulich umzusetzen, wurde während des Prozesses die Aufgabe gestellt, die Partizipationsergebnisse für die Vorbereitung eines Architektenwettbewerbes zu nutzen. Dennoch konnten Rückkopplungen auf die entwurflichen Arbeiten der Baupiloten mit den Schülern konstruktiv diskutiert werden. Die Ergebnisse der Rückkopplungsverfahren fielen entsprechend heterogen aus. Kapitel 7.2 261 7.2.4.4.1 Carlo-Schmid-Oberschule, Berlin-Spandau In dem konzentrierten viertägigen Partizipationsprozess haben die Jugendlichen uns mit den im Workshop entwickelten Sitz- und Liegemöbeln konkrete Hinweise für eine körpergerechte Gestaltung, auf die Art der von ihnen gewünschten Rückzugsmöglichkeiten, den dafür notwendigen Grad der Abschirmung und ihre Wünsche nach Kommunikation geben können. Daraus haben die Baupiloten eine Reihe von Modulen entwickelt, die eine Variation von Lernsituationen anbietet. Für einen weiteren halbtägigen Workshop haben die Baupiloten sowohl eine Schulhalle, als auch Module im Maßstab 1:20 gebaut. Die Schüler konnten so Varianten zusammenstellen, die möglichen Lern- und Kommunikationsorte im Schulgebäude diskutieren und abwägen. Die dabei herauskristallisierten Themen „Gedankenfluss“, „Lernwiese“, „Lernoase“ und „geballte Kommunikation“ spiegeln die unterschiedlichen Situationen wider, mit denen sie die Orte der Lerninseln in den vier Hallen des Schulgebäudes assoziiert sehen wollen. Aus dem Workshop gewonnenen Angaben konnten die Module für die Lerninseln und die gewünschten Lernsituationen zügig weiterentwickelt und gebaut werden. 7.2.4.4.2 Weiterführende Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ), Berlin-Mitte In sechs Wochen entwickelten die Baupiloten aus den atmosphärischen Qualitäten, die in den vorhergehenden Workshops erarbeitet worden waren, und den programmatischen Vorgaben der Schule und ihrer Verwaltung Entwurfsideen für die Aula und/oder Mensa als dem „Herzstück“ des zukünftigen Schulgebäudes, das etwa 350 Jugendliche aufnehmen sollte. Die Baupiloten setzten sich mit den örtlichen Gegebenheiten auseinander, erprobten unterschiedliche Positionierungen, testeten die Öffnung der Schule und die Ausstrahlung des Gebäudes in den Kiez hinein. Aus den dann folgenden Rückkopplungsworkshops entwickelte sich ein nahezu gemeinschaftlicher Entwurfsprozess mit den Jugendlichen. Der Prozess nahm eine Qualität an, die sonst nur aus einem sehr vertrauensvollen Verhältnis von Architekt und Bauherr entsteht. Entscheidend war, dass wir Entwurfswerkzeuge einsetzten, mit denen die Jugendlichen umgehen konnten, die sie verstanden. Dazu gehörte auch die Weiterentwicklung der Lichterzählungen. Die Baupiloten entwickelten eine Reihe von Modellen (Abb. 7.2.4.4.2 (1) Die Baupiloten), die an ihre Lichterzählungen anknüpften. In der Lichtprojektion „Geheimnisse im Blätterlicht“ war das Spiel des Lichts, wie es zwischen Blättern hindurchscheint und aufblitzt und dabei eine fröhlich warme Leichtigkeit verbreitet, wichtig für die weiteren Entwurfsmodelle. 262 Kapitel 7.2 Die Studierenden arbeiteten an Studien, um herauszufinden, wie in der Architektur das Gefühl erzeugt werden kann, in einem Baum zu sitzen, wie sozusagen „Blättrigkeit“ hergestellt werden kann. Daran sollte sich die Lage der Aula in der Schule ori7.2.4.4.2 (1) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Donat entieren. Sie sollte sich zwischen den Abb.Sonja Winkler, Modellstudien „zwischen den Bäumen“, Kirschner und Bäumen auf mehreren Geschossen die untersuchen wie können die Aula und Mensa zwischen den Bäumen und im Gebäude sitzen, TU Berlin SoSe 2008 entfalten, und ihr Innenraum sollte mit dem Außenraum verquickt sein. Die Schüler konnten anhand der Modelle und Fotocollagen ihre Bedürfnisse und Wunschvorstellungen zu diesem Thema konkretisieren. Sie präsentierten den Entwurf auch ihren Mitschülern, woraus deutlich wird, dass die Schüler durchaus fähig sind, einen räumlichen Entwurf zu verstehen. (Abb. 7.2.4.4.2 (2) Die Baupiloten) Die Lichterzählung „Kontaktstelle“ inspirierte die Baupilotin Margit Sichrowsky dazu, die Aula als einen „Knotenpunkt der internen Schulwegnetze“ im Schulhof zu planen, an dem vielfältige Verknüpfungen mit dem Schulgebäude vorgenommen werden können. Der Entwurf „Kontaktstelle“ basierte auf Weg- und Sichtachsen: Der Schulhof wird hier Abb. 7.2.4.4.2 (2) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Schüler präsentieren den Entwurf ihren Mitschülern, was deren Verstehen des räumlichen Entwurfs zeigt, TU Berlin SoSe 2008 Kapitel 7.2 263 Abb. 7.2.4.4.2 (3) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Margit Sichrowsky, Entwurfscollagen „Kontaktstelle“ Schulhof und Sitz-, Arbeits-, Ess-, und Bühnenlandschaft, TU Berlin SoSe 2008 durch eine Landschaft aus Stufen, Schrägen, Treppen und Ebenen geprägt. Ein begehbares Dach auf ein begehbares Dach, das sich aus dem Boden heraus auffaltet. Die Glasfassade kann großflächig geöffnet werden, um die Grenze zwischen „Außen“ und „Innen“ zu minimieren. Die Landschaft durchfließt dann den Raum, es gibt Sitzmöglichkeiten drinnen und draußen. Die Landschaft fungiert so gleichzeitig als Aula, Mensa, Marktplatz, Open-AirBühne und Schulgarten. (Abb. 7.2.4.4.2 (3) Die Baupiloten) Aus der Lichterzählung „Wunderhaftmärchenautomatensammlungsmaschine“ entstand ein zirkusartiger Marktplatz umringt, von Sitzmöglichkeiten und anderen Funktionsbereichen. Die aus der Lichterzählung „Verwunschen im Großstadtdschungel“ gewonnenen Erkenntnisse fanden ihre Entsprechung in dem Entwurf eines Gebäudes, das sich mit den Jahreszeiten wandelt. (Abb. 7.2.4.4.2 (4) Die Baupiloten) Im Sommer erweitern sich die Räume in die Landschaft des Hofes. Das „Sommerschaukelgefühl“ aus der gleichnamigen Lichterzählung sollte auf dem Dach mit einer leichten Holzkonstruktion, die sich den Bäumen öffnet, umgesetzt werden. Der Entwurf „Falling Water und Widerschein“ (er basierte auf gleichnamigen Lichterzählungen, von denen zwei zu einen Entwurf zusammengeführt wurden) hingegen präsentiert sich mit einem großen Schaufenster der Schulaktivitäten dem Straßenraum und somit dem Kiez. Abb. 7.2.4.4.2 (4) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Laura Larraz, Entwurfscollagen „Verwunschen im Großstadtdschungel“, Winter- und Sommerzeit, TU Berlin SoSe 2008 264 Kapitel 7.2 Hinter der aufgebrochenen Straßenfassade breitet sich die künstliche Landschaft aus „Aktionsstreifen“ aus, die vielfältig benutzt werden können und Sitzebenen beinhalten. Der Lichteinfall durch bunte Glasscheiben im darüber angeordneten Dach lässt eine fröhlich glitzernde Atmosphäre entstehen, Photovoltaikelemente sorgen für Licht in den Abendstunden. Abb. 7.2.4.4.2 (5) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Sommerfest, Schüler und Eltern nehmen die Entwürfe genau unter die Lupe, TU Berlin SoSe 2008 Ziel der studentischen entwurflichen Arbeit war es an dieser Stelle, eine Vielfalt an Ideen zu sammeln und einen Ideenpool zu eröffnen, um dem Bauherrn, in diesem Fall der Schulleitung und der die Schule finanziell tragenden Stiftung, Varianten eines interaktiven Lernraumes für ein innovatives Lernkonzept als Anregung vorzustellen. Es sollte keinen Wettbewerb zwischen den Projekten geben, diese sollten sich vielmehr durch den offenen Entwurfsprozess gegenseitig befruchten, um Stärken auszutauschen. Es sollte nicht im „stillen Kämmerlein“ entworfen werden. Die Rückkopplung mit den Schülern lief in dieser Phase sozusagen informell, es fand ein intensiver Austausch statt. Im Sinne der reflexiven Praxis unterstützten die Schüler die Studierenden beim Hinterfragen ihrer Ideen und beim Setzen der Bezugsrahmen. (vgl. Ansatz Schön, Abschnitt 3.3.2) Eine weitere Rückkopplung fand während des Sommerfestes der Schule statt. Hier hatten Eltern und andere Interessierte Gelegenheit, die verschiedenen Modelle, Zeichnungen und Fotomontagen, welche die Baupiloten mit den Schülern aus den atmosphärischen Lichterzählungen entwickelt hatten, kennenzulernen. In dieser Phase des Entwurfs gab es eine große Bandbreite an Ideen, um den Betrachtern die Möglichkeit zu geben, unterschiedlichste Aspekte des zukünftigen Baus abzuwägen. In Gesprächen mit den Besuchern des Sommerfestes zeigte sich große Begeisterung für die aus dem Partizipationsprozess resultierende Kreativität und die Vielfalt der Entwurfsansätze. Es konnte wertvolles Feedback zu den einzelnen Ideen gesammelt werden, zu dem neu entstehenden Gebäudes sowie zu den in den einzelnen Entwürfen veranschaulichten Atmosphären. (Abb. 7.2.4.4.2 (5) Die Baupiloten) Mit diesen Erkenntnissen konnten die Baupiloten ihre Entwürfe weiter verfeinern und im Rahmen ihres architektonischen Konzepts an die Wunschvorstellungen anpassen. In einem weiteren Rückkopplungsschritt sollten die Entwürfe der „Baufamilie“, in diesem Fall den Vertretern des Bauherrn, des schulischen Fördervereins, des Lehrerkollegiums, der Eltern, der Schüler und der Schulleitung, vorgestellt und mit ihr diskutiert werden. Für die Bewertung wurde dabei ein mit der Schulleitung abgestimmter Kriterienkatalog zugrunde gelegt: Kapitel 7.2 265 1. Hat der Entwurf das Potenzial, das „Herzstück“ der Schule zu bilden? 2. Hat die gewünschte Bühne den Stellenwert, den man für das „Herzstück“ der Schule erwarten kann? 3. Sind die atmosphärischen Qualitäten des Entwurfs ansprechend? 4. Wertet der Entwurf den Schulhof auf? 5. Hat der Entwurf Ausstrahlung? 6. Hat der Entwurf das Potenzial, die Schule zum Kiez zu öffnen? Dieser Kriterienkatalog wurde ergänzend zu den zwölf Baupiloten-Projekten aufgehängt. Jede der oben genannten sechs Statusgruppen bekam pro jede Frage sechs Klebepunkte einer festgelegten Farbe, mit denen sie die einzelnen Ideenentwürfe differenziert „bepunkten“ konnte. Die Projekte wurden den Juroren durch die Studierenden (die Entwurfsverfasser) vorgestellt. Besonders viel Anklang fand das Projekt „Zwischen den Bäumen“. Es bekam mit Abstand die meisten Punkte für atmosphärische Qualitäten, man bescheinigte ihm eine hohe Strahlkraft und das Potenzial, zum Herzstück der Schule zu werden. Den Studierenden ist es in der Präsentation gelungen, auch den Nicht-Architekten mit ihren Modellen, Zeichnungen und Collagen eine besonders frische, atmosphärische Raumqualität anschaulich zu vermitteln. Das gewünschte Gefühl, zwischen den Bäumen zu lernen und einfach zu sein, konnte ihr Entwurf weitgehend erfüllen. Ihre Vision bot differenzierte Flächen auf verschiedenen Ebenen in einem großen räumlichen Gefüge. Damit ist kleinen Gruppen ein Rückzug für gemeinsames Arbeiten oder Zusammensein ermöglicht, und gleichzeitig der gesamten Schulgemeinde ein neuer Veranstaltungsraum gegeben. Manche Projekte bekamen wenige Punkte, vor allem, weil sie in der Präsentation weniger gut kommuniziert wurden oder in der Darstellung - im Modell oder in der Collage - nicht anschaulich genug waren oder weil sie generell keine klare Idee und Ausarbeitung aufwiesen. Fünfzehn Entwurfsparameter Ein wesentliches Ergebnis des Partizipationsprozesses, der ursprünglich als Basis für den Entwurf eines Umbaus und einer Erweiterung der Schule angelegt war, war die Erarbeitung von Parametern, die der weiteren Entwurfsarbeit zugrundegelegt werden sollten: (Abb. 7.2.4.4.2 (6) Die Baupiloten) Dafür wurden die wesentlichen Entwurfsansätze herauskristallisiert und in Piktogrammen 266 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.4.2 (6) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Entwurfsparameter als Piktogramme, Empfehlungen für den Neubau der Aula und Mensa, TU Berlin SoSe 2008 markant zusammengefasst. Die individuell zugeschnittenen Lichterzählungen und die dadurch inspirierten Entwürfe der Studierenden konnten in den verschiedenen Rückkopplungsprozessen, in dem Austausch der Schüler untereinander und im Rahmen der Diskussionen konkretisiert und so als eine grundlegende Forderung an den Entwurf formuliert werden. Interessant war an diesem Prozess, dass aus den Entwürfen jeweils sehr unterschiedliche Kriterien abgeleitet werden konnten. Jede Idee setzte eine andere Priorität, die als Empfehlung weitergegeben werden konnte. Diese Prioritäten widersprachen sich nicht, sondern im Gegenteil, ergänzten sich gegenseitig. Nach einem Konsens musste also nicht gesucht werden. Die Baumaßnahme wurde von dem Büro plus+bauplanungen übernommen. Es muss offen bleiben, ob durch die Auftragsvergabe an ein anderes Büro eine ähnliche Komplexität erreicht werden konnte, die bei einem sich direkt an den Partizipationsprozess anschließenden Entwurf beziehungsweise seine weitere Bearbeitung durch die Baupiloten möglich gewesen wäre. Erkenntnisse Rückkopplungsprozess ESBZ • Die Jugendlichen konnten sich in die Projekte (dargestellt in Modellen, Collagen, Schnitten) gut einbringen und sich mit ihren Projekten identifizieren. Sie waren offen genug für einen Austausch, aber auch von ihrer Idee überzeugt, und stellten diese nicht sofort infrage (was bei Jugendlichen dieser Altersgruppe durchaus häufig passiert). Es gab einen maximalen kreativen Austausch • Die Jugendlichen waren auch selbstbewusst genug, nachzuhaken und immer wieder zu fragen, wie die Idee denn funktioniere, welche Materialität von den Studierenden vorgesehen sei und ähnliches. • Es konnte von den Jugendlichen und von den Studierenden ein empathisches Einfühlen und ein hohes Vertrauen aufgebaut werden. Kapitel 7.2 267 • Die Bewertung durch Laien in der Endevaluation des Partizipationsprozesses war für die Studierenden besonders aufschlussreich. Sie konnten gut nachvollziehen, wie atmosphärisch angelegte Collagen, Modelle und Zeichnungen funktionieren. • Mit Hilfe des Kriterienkatalogs war es möglich, gemeinsame Prioritäten herauszuarbeiten. • Aus dieser Auseinandersetzung entstanden Entwurfsparameter, die in leicht lesbaren Piktogrammen zusammengefasst wurden. Sie wurden zur Grundlage der weiteren Entwurfsbearbeitung. 7.2.4.5 Fazit Rückkopplungsworkshoptyp 3 Auch in dem Workshoptyp 3 hat sich noch einmal bestätigt, dass der Partizipationsprozess nicht gradlinig ist und über Umwege funktioniert. Die Kommunikationsmedien, auch das bestätigt sich noch einmal, sind für diesen Prozess entscheidend. Sie müssen sehr direkt auf die Gruppe abgestimmt werden. Wesentlich ist, dass die Nutzer ein Gefühl für die Umgebung entwickeln, die sie in dem geplanten Bauwerk erwartet, dieses aber so abstrakt sein muss, dass für die Planung genügend Spielraum bleibt, um auch anderen Gesetzmäßigkeiten des Bauens, wie Konstruktion, Kostenkalkulation, Bestimmungen verschiedenster Art, gerecht werden zu können. Die lebensgroßen Modelle für die „body-extensions“ oder die Projektionen „Lichterzählungen“ haben dabei eine ähnliche Unmittelbarkeit und Bedeutung, wie die mock-up-Modelle (Prototypen), mit denen wir in den Workshoptypen 1 und 2 gearbeitet haben. Sie haben auch die Funktion, den Nutzer in das Zentrum seiner Vorstellungswelt zu stellen, damit er aus seiner eigenen Identifikation mit dem Entwurf heraus, Entscheidungen über die Zukunft seiner Umwelt fällen kann. 7.2.4.6 Entwerfen Rückkopplungsprozess Workshoptyp 4 Die Erkenntnisse, die sich aus dem Workshoptyp 4 ergaben und die daraus zu erarbeitenden Rückkopplungsprozesse, mit einer heterogenen Gruppe von hoher Fluktuation, stellten eine neue Herausforderung dar. Ein anschauliches Beispiel für diese Arbeitsweise ist der Entwurfsprozess für die Studentenwohnanlage Siegmunds Hof. 7.2.4.6.1 Entwurfsprozess Studentenwohnanlage Siegmunds Hof, Berlin Auswerten der Wohnkarten Die 42, an den vier Spielabenden erarbeiteten (erspielten), Wohnkarten bildeten für die wei268 Kapitel 7.2 tere Entwurfsarbeit eine unerwartet gute und tragfähige Grundlage. (vgl. Abb. 7.2.2.4.4 (3) Die Baupiloten) Auf die Nennung der vier Basistätigkeiten (Schlafen, Duschen, Essen, Lernen), die am häufigsten gewählt wurden, folgten in der Häufigkeit der Auswahl durch die Studierenden Tätigkeiten, wie Kochen, Musik hören (19 Nennungen), Kuscheln, Schwimmen, Feiern, sich unterhalten, ein Bierchen trinken und Tanzen, mit jeweils mehr als 10 Nennungen. Keine der oben aufgeführten Tätigkeiten wurde überwiegend im privaten Bereich angesiedelt. Nur zwei sollten sich auf den halbprivaten Bereich beziehen: Musik hören und Kuscheln (das überraschenderweise zwischen Privatheit und Öffentlichkeit angeordnet wurde). Es gab lediglich drei Tätigkeiten von den insgesamt 22, als am wichtigsten angesehenen Tätigkeiten, die im Privaten stattfinden sollten: „Träumen“, „Zweisamsein“ und „Singen“. Alle anderen Tätigkeiten wurden gemeinschaftlich gewünscht. Bei der Zuordnung der gewünschten Atmosphären zu den einzelnen Tätigkeiten wurden als Eigenschaften, die Bewegungen eigen sind, solche genannt, wie „überraschend, aktiv, lustig, laut, kitzelnd, verrückt, tanzend, lebendig, belebt, spielerisch, bezaubernd, zappelig, angeregt, kreativ, anspornend, hüpfend, spannend, rockig, wild, aufregend, überwältigend, spontan, freudestrahlend, betörend, inspirierend“. und die üblicherweise der „Natur“ zugeordnet werden, wurden solche genannt, wie: „wie ein Weizenfeld, Vogelgezwitscher, blumig, saftig, roh, organisch, frisch, felsig, farbenfroh, herbstlich, Meer, wie Wellen, grün, sandig, Strand, dem Himmel sehr nah, naturfarben, Berglandschaft, hügelig, verwildert, rau wurden am häufigsten genannt. In der Ausstellung, die alle Wohnkarten präsentierte, bestätigte sich dieses Ergebnis noch einmal. Bei all den individuellen Unterschieden gab es Gemeinsamkeiten beziehungsweise gemeinsame „scheinbare Widersprüchlichkeiten“, die die Vision eines gesunden, umweltbewussten, naturnahen und natürlichen Lebens inmitten einer pulsierenden Stadt spiegelte. Die Seminarteilnehmer waren nun aufgefordert, sich bei der Auswertung der Karten einen Überblick über das Spektrum der dort gemachten Aussagen zu verschaffen und gleichzeitig die relevanten Vorstellungen herauszuarbeiten. Ein weiterer Schritt der Auswertung war es, die Wohnkarten als eine Geschichte zu lesen, die Aufschluss über den Tagesablauf eines potenziellen Bewohners gibt. Entwurfsprozess: Geschichte eines potenziellen Nutzers entwerfen und aufschreiben Um der Heterogenität und der Fluktuation in der Gruppe begegnen zu können, entwickelKapitel 7.2 269 ten die Baupiloten das Verfahren, für einen prototypischen Nutzer zu entwerfen. Die Entwicklung dieser Prototypen basierte auf den Ergebnissen des Initialworkshops, auf der intensiven Befragung der Bewohner mittels Fragebögen und den Ergebnissen des auf dieser Grundlage entwickelten Planspiels, die sich in den Wohnkarten niederschlugen. Die Wohnkarten Abb. 7.2.4.6.1 (1) Siegmunds Hof, Wohnkarte 24, Sofia S., 23 Jahre, Nähekonnten also für einen prototypischen rin, TU Berlin WiSe 2007/08 Nutzer stehen und wurden entsprechend im seminaristischen Entwurfsprozess eingesetzt. Aus der Wohnkarte no. 24 (Abb. 7.2.4.6.1 (1) Die Baupiloten) las der Baupilot Donat Kirschner beispielsweise das Folgende: „Der Lernbaum im saftigen Weizenfeld mit luftiger Schlafkrone und Duschstamm. Erhaben schlafen, isoliert kuscheln können in frischer Höhe und ungestört telefonieren. [...] Der angedockte königliche Speisesaal - der Lernbaum streckt seine Äste in den Königssaal, wo der Essenduft nach Frühstück ruft. Die Freunde kommen spontan dazu, lustig kochen und essen zusammen. [...] Stürmisch ist es, die Nachbarn stoßen dazu. Ein kühles Bier in die Hand und bequem zurück gelehnt - Erholung. Von draußen hört man die anderen beim Tisch-Tennis spielen [...]“ Für die Wohnkarte vergab er den Titel „WasserBaumWolken“ Die Entwicklung einer Geschichte aus den Wohnkarten half auch den anderen Studierenden, sich in die manchmal widersprüchlichen Wunschvorstellungen der Spieler hineinzudenken und hineinzufühlen. Die Lesarten der Wohnkarten und die darin zu erkennenden Interessen der befragten Studierenden wurden im Seminar ausführlich diskutiert. Es kristallisierten sich drei übergeordnete Themen heraus, in die jeder Baupilot seine eigene Entwurfsidee einordnen konnte. Dabei behielten sie ihre „Patenschaften“ für die jeweiligen Wohnkarten, zogen aber auch Schlussfolgerungen aus Quervergleichen. Im Folgenden werden die jeweils in dieser Konstellation entstandenen Entwurfsansätze vorgestellt. Den drei Entwurfsthemen wurden wiederum mehrere Entwurfsarbeiten zugeordnet. 1. Entgrenzung von Siegmunds Hof Diese Gruppe empfand die Wohnanlage Siegmunds Hof vor allem als einen Ort der Barrieren, der Regeln, der Ge- und Verbote, der ohne die geographisch nahe Verbindung zum 270 Kapitel 7.2 attraktiven Uferbereich der Spree auskommen muss. Sie erkannten für sich: Der Ort Siegmunds Hof schottet sich ab, verschließt sich und kann seine Qualitäten nicht entwickeln. Das Leben findet hinter verschlossenen Türen statt. Die wichtigste gemeinsame Idee der vier Projekte dieser Gruppe war es daher, das Gebiet zur Spree und die Gebäude zum Außenraum zu öffnen. Abb. 7.2.4.6.1 (2) Siegmunds Hof, Niklas Kuhlendahl, Entwurfscollage Sauna auf dem Dach von Haus 11, TU Berlin WiSe 2007/08 Der Außenraum sollte sich nach Meinung der Gruppe dem Wasser der Spree und der Weite des Himmels öffnen und dabei Räume der Kommunikation und des Austausches schaffen. 2. Aktivierung der brachliegenden Freiflächen Die Interviewfrage nach einem Ort, der den Befragten beflügelt, wurde sehr häufig mit landschaftlichen Bildern beschrieben. Das nahm die zweite Gruppe zum Anlass, die brachliegenden, recht großen Freiflächen um die Häuser herum attraktiver zu gestalten. Außerdem sollte eine Sauna auf dem Dach eines der Häuser mit einem attraktiven Blick über das Gelände der Wohnanlage und über Berlin (Abb. 7.2.4.6.1 (2) Die Baupiloten) geschaffen werden. Ein bekletterbarer „Wasserberg“ wurde an der Frontseite des zwölfgeschossigen Hochhauses geplant. (Abb. 7.2.4.6.1 (3) Die Baupiloten) Eine weitläufige „Sprinklerdusche“, die das gesamte Gelände in eine Art Wasserspiel einbindet, wurde vorgesehen, um damit gleichzeitig große Räumlichkeiten für Veranstaltungen zu schaffen, die das Gelände beleben sollten. 3. Freiraumkommunikation Aus der Bestandsanalyse ging hervor, dass Sichtverbindung zwischen den Gebäuden auf der westlichen Seite der Wohnanlage besteht, dass diese zwischen den Gebäuden auf der östlichen Seite jedoch kaum vorhanden ist, und dass die zuletzt genannten Häuser auch anderweitig nicht viel miteinander zu tun haben. Sie stehen isoliert. Diesen Mangel woll- Abb. 7.2.4.6.1 (3) Siegmunds Hof, Carolin Ehrig, Entwurfscollage Wasserberg, TU Berlin WiSe 2007/08 Kapitel 7.2 271 ten die die Studierenden, die in dieser dritten Gruppe arbeiteten, beheben und den Wunschvorstellungen der Befragten nach geminsamkeiten nachkommen: Besondere, attraktive oder auch täglich notwendige Aktivitäten wurden mit Zusatzfunktionen versehen und so symbiotisch zu einem Modul „Extraraum“ verwoben, das dann in der Anlage ergänzt werden Abb. 7.2.4.6.1 (4) Siegmunds Hof, Konzeptcollage „Extraräume“, Erweiterung der Gebäude, sollte (Abb. 7.2.4.6.1 (4) Die Baupilo- links alsTU Berlin WiSe 2007/08 rechts als eigenständige Gebäudekörper, ten). Das konnte ein Studentenclub mit Kanuverleih sein (Abb. 7.2.4.6.1 (5) Die Baupiloten) oder ein Waschraum, erweitert um die Möglichkeit, Kaffee zu trinken, ein Briefkasten mit Musikraum oder anderes. Diese Aktionen wurden aus dem aktuellen Angebot der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof und aus den auf Wohnkarten notierten Wünschen der Bewohner heraus entworfen. Die Arbeitsgruppe „morbides Märchen“ ließ in ihrem Entwurf nach dem Motto „Die Natur erobert den Stadtraum zurück“ das Gebäude mit der Natur zu neuen Räumen verwachsen. Eine „gemeinschaftliche Mischung“ schlägt José Ignacio in seinem Entwurf vor, der sich auf alle Wohnkarten 1 - 42 und auf die gewünschte Vielseitigkeit bezog, indem er jedes der zwölf Hochhausgeschosse jeweils einem Thema zuordnet und dafür eine besondere Atmosphäre herausarbeitete. Der umgebende Außenraum sollte durch landwirtschaftliche Nutzung das gewünschte „Selbstversorgerfrühstück“ (Abb. 7.2.4.6.1 (6) Die Baupiloten) ermöglichen. Das gemeinschaftliche System sollte dynamisch sein und immer wieder durch die dort wohnenden Studenten (partizipativ) verändert werden können. Die Arbeit „Social Private Space“ beschäftigte sich im kleinsten Maßstab mit den einzelnen Zimmern und schlug vor, diese mit einer Falt-Schiebetür zum Balkon und damit zum Außenraum und für den Blick ins Grüne zu öffnen. Eine drehbare Wand ermöglichte das Zusammenschalten von Nachbarzimmern mit dem Gang, um auch ein gemeinschaftliches Wohnen einzurichten. Die Arbeiten der dritten Themengruppe „Freiraumkommunikation“ bezogen sich alle auf einen Querschnitt der Wohnkarten und schufen damit einen prototypischen Nutzertyp. Die Entwürfe der Baupiloten wurden mittels Zeichnungen und Collagen, die 272 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.6.1 (6) Siegmunds Hof, José Ignacio Rejas Fernández, die gemeinschaftliche Mischung, Entwurfscollage „Selbstversorgerfrühstück“, TU Berlin WiSe 2007/08 Abb. 7.2.4.6.1 (5) Siegmunds Hof, Agnes Thöni, „Extraraum“, Entwurfscollagen, Club und Kanuverleih verbinden Spree und die Anlage, TU Berlin WiSe 2007/08 die beabsichtigte atmosphärische Wirkung wiedergaben, dem Bauherrn, also dem Träger der Einrichtung, vorgestellt. Das Feedback fiel weitgehend positiv aus. Besonders geschätzt wurden die Schwerpunkte in den Gemeinschaftsbereichen. Eine Änderung der Zimmerstrukturen fand hingegen weniger Aufmerksamkeit. Weiterentwicklung der studentischen Entwurfsansätze durch das Architektenteam Susanne Hofmann Architekten Eine Besonderheit dieses Projektes war der Wunsch des Bauherrn, die konkrete Entwurfsplanung, die Ausführung und Bauleitung ohne die Studierenden durchzuführen. Das Auftragsvolumen und die Komplexität der Bauaufgabe ließ in seinen Augen eine solche Bearbeitung im Rahmen des Studienprojektes Die Baupiloten nicht zu. Es galt, den Aufwand einer energetischen Sanierung, unter Berücksichtigung des bestehenden Ensembleschutzes, zu berechnen, und gleichzeitig die Entwurfsprinzipien für das gesamte Areal der Studentenwohnanlage abzustecken. Hier erwies sich die besondere Struktur der Baupiloten als vorteilhaft. Die Studierenden konnten den Partizipationsprozess, wegen ihrer Nähe zum Nutzer sehr gut entwickeln und begleiten. Das Architektenteam, das die Partizipationsphase und die studentischen Entwürfe begleitete, übernahm die Ansätze in den oben beschriebenen studentischen Entwürfen, formte daraus einen gemeinsamen Entwurf und stimmte dies mit den Anforderungen aus den baurechtlichen Bestimmungen, den DIN-Normen, den Anforderungen an den Brandschutz und an den Denkmalschutz usw. ab und stellte das Projekt nicht zuletzt in den Rahmen des Kostenplans (vgl. Abschnitt 7.4.1). Wesentlich war dabei die weitgehende Übernahme der studentischen Ideen und ihr Bezug auf die Ergebnisse des Partizipationsverfahrens, insbesondere die Wohnkarten. Damit konnte die Komplexität des Entwurfsansatzes mit seinen partizipativen Grundlagen, weiter verfolgt werden. (Abb. 7.2.4.6.1 (7-10) SHA) Die kommunikativen, nach außen wirksamen sowie die gemeinschaftlichen Entwurfselemente der studentischen Entwürfe wurden dabei besonders berücksichtigt. Außerdem wurKapitel 7.2 273 Abb. 7.2.4.6.1 (7) Ökopop, Siegmunds Hof, Präsentationscollage, Freiluftwohnzimmer Dämmerung, 2008 Abb. 7.2.4.6.1 (8) Ökopop, Siegmunds Hof, Präsentationscollage, Schwimmteich, 2008 274 Kapitel 7.2 Abb. 7.2.4.6.1 (9) Ökopop, Siegmunds Hof, Präsentationscollage, Stadtplatz, 2009 Abb. 7.2.4.6.1 (10) Ökopop, Siegmunds Hof, Präsentationscollage,Freiluftwohnzimmer, 2009 Kapitel 7.2 275 den Häuser für individuelle Lebensstile entwickelt: ein Haus für Kunst- und Gartenliebhaber, je ein Gemeinschaftshaus für Sportfans und Workaholics, für Partygänger und Kaffeetrinker, für Saunaenthusiasten und Waldliebhaber sowie für Eremiten und Einzelgänger. Über Sphären der Privatheit hinaus, entstanden in und außerhalb der Häuser Räume des alltäglichen gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Sportliche oder andere Freizeitaktivitäten bekommen einen, im direkten und übertragenen Sinne, klimagerechten Ort, der sich in den Häusern und in den parkähnlichen Bereichen zu einer Art grünem Gemeinschafts-Wohnzimmer entfaltet. Einige Wohnungen haben auch Zugang zu „Baumterrassen“, Winter- oder Kleingärten. Dem kompletten Entwurf lag in diesem Fall kein Konzept in Form einer Geschichte zugrunde, wohl aber der Gedanke an den prototypischen Nutzer, dem jeweils eine eigene Geschichte zugedacht wurde. Der Gesamtentwurf der Anlage folgt dem Leitbild einer fantastischen ökologischen und gemeinschaftlichen Landschaft, die die Häuser einbindet, und dem Prinzip eines scheinbar bipolaren Ideals, des pulsierenden Lebens in der Großstadt und dem Bedürfnis nach einem gesunden und ruhigen Leben in der Natur. Daraus konnte ein sichtbares und umweltbewusstes Energie- und Modernisierungskonzept entwickelt werden. (Abb. 7.2.4.6.1 (11) SHA) 21 23 10 18 9 22 19 16 25 7 20 8 17 12 13 5 6 22 2 15 25 1 11 , 6 2 0 , 6 2 0 14 , 0 3 6 3 , 0 3 6 4 , 6 2 0 , 6 2 0 24 KI A T 25 , 6 2 0 , 5 1 8 , 5 1 8 , 6 2 0 , 5 1 8 , 5 1 8 , 6 2 0 / 3 T 7 3 7 1 S1 , 2 , 5 1 8 1 Gemeinschaftshaus für Partytiger & Kaffeetrinker Mobiles Waschcafe Studentische Selbstverwaltung Bierkeller Stadtplatz: Sitzen, Auftreten, Skaten 2 3 4 5 6 Apartmenthaus für Kunst- und Gartenfreunde 7 Arbeiten / Künstlern am Stadtplatz 8 Galerie 9 Gärten 10 Wohnzimmer: Terrassen + Pflanzen 11 Gemeinschaftshaus für Sportfreaks & Workaholics 12 Arbeiten im Grünen: Terrassen 13 Auskragende Carrels 14 Wasserberg: Klettern + Skaten 15 Windräder 16 STG 17 ,4/27 www.ökopop.com: Lageplan der 614 Studentenapartments zwischen Spree u. Tiergarten / Site plan of 614 student flats between Spree & Tiergarten Die abschließende Präsentation des Architektenentwurfs „Ökopop“ vor den Baupiloten und Bewohnern der Wohnanlage ergab eine allgemeine Zustimmung. Die Bewohner sind begeistert von der Neugestaltung des Wohncampus. Nachhaltigkeit ist ausdrücklich erwünscht. Sie preferieren das gemeinschaftliche Wohnen in den vorgeschlagenen, kleineren Einhei- 13 STG 18 .08 / 27 16 Wohngemeinschaft für Sauna- und Waldliebhaber Fitnessstudio und Sportgeräteverleih See mit Duschen, Steg + Terrassen Baumterrassen im Wald Sauna auf dem Dach 17 18 19 20 21 Ruhige Wohngemeinschaft Wohnen am Wäldchen Terrassenwohnen Wintergärten Steg für Kanus Riesensitzmöbel auf der Wiese 22 23 24 25 Abb. 7.2.4.6.1 (11) Ökopop, Siegmunds Hof, Lageplan der 614 Studentenapartments zwischen Spree und Tiergarten, 2008 276 Kapitel 7.2 ten. Wohngemeinschaften mit drei bis vier kosmopolitischen Bewohnern sind gewünscht, dadurch soll sich die Anonymität stark verringern. Gemeinschaftswohneinrichtungen und gemeinschaftliche Einrichtungen sind auch im Außenraum willkommen. Direkter Zugang zur Spree wird begrüßt. Die ehemaligen Seminarteilnehmer haben ihre Ideen im Gesamtentwurf „Ökopop“ wieder und gut aufgehoben gefunden. Erkenntnisse: • Der hohen Fluktuation der Bewohnergruppen und der damit verbundenen Anonymität konnte mit einer Befragung und dem Planspiel adäquat begegnet werden. • Es konnten so übergreifende, eventuell allgemein gültige Qualitäten bestimmt werden, die unter Umständen auch generell auf das gemeinschaftliche Wohnen übertragbar sind. • Die aus den Spielergebnissen gewonnene Abstraktion der Wünsche nach atmosphärischen Qualitäten und übergeordneten Entwicklungszielen waren gut geeignet ein tragfähiges und ausbaufähiges Leitbild und Entwurfskonzept zu entwickeln, mit dem sich auch weitere „Generationen“ von Bewohnern identifizieren können. • Die aus diesen übergeordnet festgestellten Bewohnervorlieben entwickelte Architektur fordert darüber hinaus zur Mitwirkung, zur Aktivität, vor allem zur gemeinschaftlichen sportlichen Aktivität, auf und kann so zur weiteren Identifikation der Bewohner beitragen. 7.2.4.7 Fazit aller Rückkopplungsprozesse Mit den vier Workshoptypen konnte ein ganzes Spektrum von Kommunikationsinstrumenten erarbeitet werden, die jeweils mit und für die entsprechenden Nutzergruppen entwickelt wurden. Mit einer bekannten und geschlossenen Gruppe kann am effektivsten gearbeitet werden, wie die Workshoptypen 1 bis 3 zeigen. Die Kommunikationsmethoden werden nach Alter, aber auch nach dem besonderen Hintergrund der Gruppen eingesetzt und stets so variiert, dass sie optimal zugeschnitten sind. Die Rückkopplung führt zu einer Präzisierung der Entwürfe. Man kann fast von einem „Maßschneidern“ sprechen, auch wenn sie nicht persönlich zugeschnitten werden und so übertragbar bleiben. Sie bauen aber auch eine gute Vertrauensbasis zwischen Nutzern und Entwerfenden auf, die die Qualität der Entwürfe maßgeblich beeinflusst. Ein entscheidendes Element ist die gemeinsame Entwicklung einer Geschichte, die die Entwerfenden in die Lage versetzt, ein entsprechendes architektonisches Konzept zu entwickeln. Dieses Konzept funktioniert wie eine gemeinsame Rahmensetzung für Wünsche und Vorstellungen. Es ist gleichzeitig Hintergrund für architektonisch-bauliche Entscheidungen, die bis zur Klärung der Materialwahl gehen können. Kapitel 7.2 277 Insbesondere der Workshoptyp 3 hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Nutzer ein Gefühl für die atmosphärische Umgebung entwickeln, die sie in dem geplanten Bauwerk erwartet beziehungsweise erwarten soll. Sie müssen daran ihre Vorstellungen präzisieren können. In den Workshops mit Kindergarten- und Grundschulkindern gelang das über 1:1 Modelle der geplanten Einrichtungen. In den Workshops an der Carlo-Schmid-Oberschule und an der ESBZ funktionierte ein wichtiger Teil der Kommunikation über das Schaffen und das Erfahren konkreter Atmosphären, die entweder als „body-extension“ oder als „Lichterzählungen“ inszeniert wurden. Es handelt sich dabei um ein ähnliches Verfahren wie es im Seminar „Nachtsensationen“ angewendet wurde. (vgl. Abschnitt 7.1.2.4) Wesentlich bei allen Rückkopplungsverfahren der Workshoptypen 1 bis 3 war es, dass die Nutzer sich im direkten Sinn in den Entwürfen wieder finden können und sich so mit dem entwurflichen und atmosphärischen Konzept des Entwurfs und mit der Geschichte, die dahinter steht, identifizieren können. Dies ist die Grundlage für die Fähigkeit, sich später auch mit dem fertigen Bauwerk zu identifizieren und es für sich anzunehmen. Im Workshoptyp 4, der sich auf eine weitgehend anonyme Nutzergruppe bezog, war eine Rückkopplung weitaus schwieriger als in den Workshoptypen 1 bis 3. Hier galt es, möglichst übergeordnete Parameter zu entwickeln und auf diese Weise sozusagen eine allgemein verständliche Geschichte zu erzählen, in die sich auch Nutzer hineinversetzen können, die nicht am Partizipationsprozess teilgenommen haben. 7.2.5 Erzählungen als architektonische Konzepte Neben den partizipativen Ansätzen im Entwurfsprozess spielte für die Baupiloten die Umsetzung der so gewonnen Erkenntnisse in den architektonischen Entwurf eine entscheidende Rolle. Um hier ein Abkoppeln von den Nutzerwünschen zu verhindern, wurden die Rückkopplungsverfahren eingeführt, die in den vorhergehenden Abschnitten behandelt wurden. Eine Entkopplung kann aber auch dadurch nicht ausgeschlossen werden. Als eine Art Verständigungsbasis fungiert die in diesen Prozess zumeist entwickelte Geschichte, die für alle Beteiligten stets als Bezug dient. Die Baupiloten entwickeln darauf basierend ein architektonisches Konzept, das dem Entwurf als Grundlage und Richtschnur, für die in diesem Zusammenhang zu fällenden Entscheidungen, dient. Für den britischen Architekturtheoretiker Eric Lum gehört das Konzept als wesentliches Element zur Architektur. Er sieht einen vermeintlichen Bruch zwischen den funktionellen, technischen oder auch monetären Anforderungen und denen eines architektonischen Konzeptes, die es in Wahrheit aber zu einer Einheit zu bringen gelte. Als Vertreter einer „Conceptual Architecture“ sieht er die Architektengruppen Archigram, Superstudio, Bernhard Tschumi, Peter Eisenmann, Daniel Libeskind und andere. (Lum, 2003, S. 1) Aus der britischen Szene 278 Kapitel 7.2 wäre außer Archigram auch Will Alsop zu nennen, der über viele seiner Arbeiten den Slogan „No Style No Beauty“ (Alsop, 2003) stellte und daraus die konzeptionelle Grundlage seiner Architektur schuf. In den vorhergehenden Abschnitten wurde dargestellt, wie mit den Nutzern (seien es direkte Nutzer wie Kindergarten- und Schulkinder, Jugendliche und junge Erwachsene oder auch Erzieher und Lehrer oder auch indirekte Nutzer wie die Eltern im Projekt für die ESBZ) mit unterschiedlichen Methoden eine Kommunikation über die Vorstellungen einer neuen gebauten Umwelt und die Wünsche ihrer atmosphärischen Qualität aufgebaut werden kann, um deren Ergebnisse in den architektonischen Entwurf einzubringen. Es konnte auch gezeigt werden, dass ein entscheidendes Erfolgsmoment dieser partizipativen Entwurfsarbeit eine stete Rückkopplung und ein Austausch der unterschiedlichen Expertisen der Architekten mit den direkten Nutzern ist, soweit diese bekannt sind. Für die anonymen Nutzergruppen konnte durch eine gezielte Befragung sowie über die Planspiele eine Annäherung an die Vorstellungen potenzieller Nutzer erreicht werden. Der partizipative Prozess eröffnete nicht nur den Nutzern die Möglichkeit, am Entwurf mitzuwirken und damit über die Zukunft ihrer gebauten Umgebung mitzuentscheiden. Auch die Architekten beziehungsweise die Studierenden der Architektur lernten vieles über die Wunschvorstellungen der Nutzer, ihre Bedürfnisse und ihren Alltag kennen, was entweder direkt in den Entwurf einfloss oder durch stete Rückkopplungen, im Sinne Donald Schöns (vgl. Abschnitt 3.3.2), ihren Entwurf präzisierte und dem Nutzer nahe brachte. Sehr anschaulich zeigte sich dieses Verfahren bei der Modernisierung der Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding. Daraus ergeben sich folgende grundsätzliche Fragen an den Entwurfsprozess: • Welches sind die gemeinsamen Ergebnisse und wie werden diese zusammengeführt und festgehalten? Wie fließen sie in den weiteren Entwurfsprozess ein? • Gibt es einen Zeitpunkt, von dem ab der Architekt alleine weiterarbeitet? Also eine Grenze der Nutzerpartizipation, nach deren Überschreiten der Nutzer auf die Arbeit des Architekten vertrauen kann? • Gibt es einen Abschluss der Beteiligung? Am Anfang des partizipativen Entwurfsprozesses stehen sowohl die aus den Workshops gewonnenen Ergebnisse, als auch die ersten räumlichen Interpretationen der Architekten (beziehungsweise die Studierenden der Baupiloten) zur Debatte. Durch gemeinsame Präsentationen und Kritiken werden die Stärken und Potenziale der einzelnen Wunschvorstellungen und Auslegungen diskutiert und herausgearbeitet und miteinander ins Verhältnis gesetzt. Einzelne Wunschvorstellungen und Workshopergebnisse oder auch Entwurfsvarianten könKapitel 7.2 279 nen unter den Tisch fallen, wenn sie in der Diskussion nicht als relevant betrachtet werden. Mit den Nutzervorstellungen und den Ideen der Architekten ergibt sich eine Sammlung von Möglichkeiten, die im Sinne einer „open source“ allen, am Prozess Beteiligten zur Verfügung stehen. Martin Kohler und Andreas Fritzen sehen im Offenlegen der Quellen (open source) die Chance für eine neuartige Zusammenarbeit bei der Lösung komplexer Aufgaben, die „leistungsfähig und schnell sein kann, individuelle Lösungen ermöglicht, den Nutzern eine hohe Kontrolle gibt  und deren Mitarbeit einfordert.“ Der Begriff „open source“, ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammend, meint die Idee des öffentlichen und freien Zugangs zu Information. (Fritzen/Kohler, 2011, S. 56) In unserem Sinne ist damit eine neue kooperative Arbeitsweise im Entwurf verbunden, bei der alle Informationen, Erkenntnisse über Nutzerwünsche, Atmosphären oder besondere Phänomene, aber auch alle Entwurfsansätze allen Teilnehmern des Projekts zur Verfügung stehen, die diese dann weiter entwickeln. In einem Prozess des „samplings“ werden die Elemente verhandelt, getauscht, wieder verwendet und weitergegeben. Das Arbeits- und Entwurfsprinzip „open source“ ähnelt dem von Ariane Bischoff und ihren Mitautoren beschriebenen Kooperationsverfahren „open space“, das sich auf die Entscheidungsfindung für komplexe Planungs- und Entwicklungsprozesse in Großgruppen bezieht, in denen ein freier Austausch über Interessen und Ideen zu einer Positionierung der Gruppe führen soll. Das Potenzial jedes Einzelnen wird genutzt und in einem offenen Gruppenprozess kreativ verhandelt. (Bischoff, 2007, S. 191ff.) Die Autoren beschreiben den Entscheidungsprozess als einen, in dem „... jede Person in freiem Wechsel potenziell eine initiierende, referierende, teilnehmende, lernende oder lehrende Funktion übernehmen kann“ (Bischoff, 2007, S. 193f). Als Ergebnis der Partizipations- und Entwurfsworkshops wird die gemeinsame Entwicklung einer Geschichte, einer Fiktion angestrebt, die gleichzeitig zur konzeptionellen Grundlage der Architektur wird. Jeremy Till empfiehlt Architekten und Stadtplanern, mit den Nutzern ihrer Bauten und städtebaulichen Arrangements über das Erzählen von Geschichten ins Gespräch zu kommen. Er nennt dies „urban story telling“. Über das Erzählen von Geschichten sollen sich nach seiner Auffassung auch räumliche Visionen und Vorstellungen räumlicher Konzepte klären lassen. (vgl. Abschnitt 4.5.1) Den Planern legt er außerdem nahe, den Entwurf über die Geschichten zu entwickeln. Das „urban story telling“ wird so zu einem Kommunikationsmittel und macht den verinnerlichten und exklusiven Entwurfsprozess transparent und für Laien nachvollziehbar. Es bringt aber auch das Unbestimmte, das Eventuelle in den Planungsprozess und hält so Freiräume 280 Kapitel 7.2 für spontane Entwicklungen offen. (Till, 2005, S. 37ff.) Das Prinzip des „story telling“ ist im Kommunikationsmanagement ein wichtiges Instrument. In ihrem Buch Storytelling. Mit Geschichten Abstraktes zum Leben erwecken beschreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Tanja Faust die Wirkungsweise dieses Instrumentes. Indem nicht nur Fakten, sondern Geschichten vermittelt werden, lässt sich sozusagen auch zwischen den Zeilen schreiben und lesen. Damit kann, wie sie schreibt, Abstraktes zum Leben erweckt oder Unausgesprochenes greifbar gemacht werden, unter Umständen können auf diese Weise auch lange verborgene, unter Umständen geheime oder unbewusste Wünsche benannt werden. (Faust, 2006 passim) Der Prozess ist also für die Konzeptfindung der Architektur hilfreich. Für Louis Kahn ist das Konzept die Grundlage der Architektur und nicht allein die Funktion, der sie dient: „Ich behaupte, dass hier die Architektur anfängt, beim Konzept.“ (Kahn zitiert nach Frampton, 1983, S. 210) Die Entwicklung der einzelnen Fiktionen und der daraus abgeleiteten Architekturkonzepte soll im Folgenden an einzelnen Projekten verdeutlicht werden. 7.2.5.1 Fiktion Erika-Mann-Grundschule: „Die Silberdrachenwelten“ Schon bei unserem ersten Partizipationsprozess an der Erika-Mann-Grundschule ergab das Geschichtenerfinden auf der Grundlage der Kinderwunschvorstellungen ein gutes Werkzeug, um auch sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche zu einer gemeinsamen Idee zusammenzubringen. Die Erkenntnis dieses Werkzeuges entstand eher beiläufig, aus der Diskussion der studentischen Arbeiten mit den Schülern, über die Entwurfsansätze und deren Vereinigung zu einem Projekt. Eine reine Addition der Ansätze erwies sich dabei als nicht tragfähig. Die Idee einer für Kinder „lebendigen“ Architektur führte maßgeblich dazu, über etwas wie einen „Geist“ nachzudenken, der in der Schule lebt und sich mit den Kindern und ihren Aktivitäten verändert. Aus den vielen Hinweisen und Kommentaren der Kinder haben die Baupiloten die Fiktion der „Silberdrachenwelten“ entwickelt, die die Journalistin Völkers im Berliner Abendblatt folgendermaßen schilderte: „Ein Silberdrachen kommt in die Schule auf der Suche nach einem Schlafplatz. Er wandert durch die Flure im ersten, zweiten und schließlich im dritten Stock. Überall wo der Drache gewesen ist, verändern sich die Gänge. Am Anfang sieht man es flimmern und schimmern, als hätten die glitzernden Schuppen der Drachenhaut abgefärbt, aber nach und nach wird die Schule immer mehr zur Zauber-Drachenhöhle.“ (Berliner Abendblatt, 17.7.2002) Der Silberdrache ist ein „freundlicher Geist“ der Schule, ganz im Gegensatz zu dem preußisch-spartanischen „Geist“, in dem das Schulgebäude einst entstanden ist. Kapitel 7.2 281 Die Geschichte des „Silberdrachens“ beschreibt eine fiktive Welt, die in der Fantasie der Kinder besteht, und den Studierenden bei ihren Entwürfen Orientierung gibt. Sie kann von den Kindern, aber auch von den Studierenden weiterentwickelt oder verfeinert werden. Sie ist noch nicht konkret und im Moment der Ideenfindung zunächst noch unabhängig vom Gebäude oder von anderen äußeren einschränkenden Parametern. Die Architektur soll dieser Fiktion in ihrer Ausformulierung folgen („form follws fiction“). In diesem, vorentwurflichen Stadium besteht sie erst als ein atmosphärisches Gefüge, das in späteren Entwurfsstadien an der Realität der physischen Gesetzmäßigkeiten gespiegelt werden soll. Die Geschichte bringt als Konzept schließlich nicht nur die einzelnen Entwurfsansätze der Studierenden zusammen, sondern schärft auch deren einzelne Konzeptionen. Sie liefert ihnen den Bezugsrahmen für die weitere Ausformulierung als Untergeschichte, die sich dann auch auf das Gebäude und seine räumliche Struktur bezieht. Der „Riesenbrumsel“ beispielsweise ist im dreigeschossigen Treppenhaus der Schule, aus Monochorden und einzelnen melodischen Harfen, ohne Resonanzkästen, in Zusammenarbeit mit dem Musikinstrumentenbauer Bernhard Deutz entwickelt worden. Die Komposition folgte nicht nur harmonischen Gesetzmäßigkeiten, sondern der Gebäudegeometrie des Treppenhauses: Die Treppenabsätze werden in den oberen Geschossen kleiner, und damit werden auch die Saiten der Harfe mit jedem Geschoss kürzer und ihre Töne höher. Für die „Silberdrachengeschichte“ heißt das: Im Erdgeschoss hat der „Drache“ seinen Schlafplatz, hier ruht er. Dafür stehen die tieferen Töne. Nach oben hin wird er immer munterer und beschwingter. Im Entwurfsprozess wurden die Geschichte und die Architektur immer wieder aufeinander abgeglichen und gestärkt. Im „Riesenbrumsel“ wurde der „Silberdrache“ für die Kinder haptisch direkt spürbar. Im untersten Geschoss war eine Saite, auf kurzem Abstand, versteckt am Handlauf montiert worden, so dass er beim Zupfen der Saite selbst in Schwingungen gerät und spürbar vibrierte. Im obersten Geschoss konnten die Kinder mit dem „Drachen fliegen“. In einer der frühen Klebecollagen, dem „Weltraumgarten“, sehnten sich die Kinder nach einer Welt, in der alles fliegt. Dieser Wunsch war für das Konzept der Baupilotin Gordana Jakimovska eine wichtige Hilfestellung, um im obersten Geschoss einerseits das Gefühl des Fliegens zu erzeugen und es andererseits in die übergeordnete Geschichte, in das Konzept einzubinden. Sichtbar wurden im dritten Geschoss nur die Schweife des Drachens - als geschwungene Sitzbänke und Leuchtkörper an der Decke, die je nach Wunsch nur weiß sind oder auch in warmen Farben strahlen. An keiner Stelle ist der „Drachen“ als Bild oder Plastik zu sehen. Die abstrakten architektonischen Entsprechungen der Geschichte helfen den Kindern, diese für sich selbst zu entwickeln oder weiter zu spinnen. Ihre neue Lebensumwelt gibt ihnen, mit ihren architektonischen Elementen die Möglichkeit, über sie zu kommunizieren. Die Geschichte und die Architektur machen die Schüler sprachfähig. 282 Kapitel 7.2 7.2.5.2 Carl-Bolle-Grundschule: „Der Spion im schimmernden Deckmantel“ Für den Einbau eines Freizeitbereichs im Erdgeschoss der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit, eines Gebäudes, das von dem Architekten Ludwig Hoffmann zur selben Zeit gebaut wurde, wie das Gebäude der Erika-Mann-Grundschule, entstand schon während der ersten Präsentation der Konzeptideen durch die Baupiloten die Begeisterung der Schüler für die Geschichte eines Spions, der sich in der Schule bewegt. Die Anregung zu der Idee des „Spionierens“ entstand aus einem Konzeptmodell der Baupiloten, mit dem Titel „Weltumwandlerhelm“ (Autor Daniel Theiler, vgl. Steckbrief Carl-Bolle-Grundschule), bei dem es um einen besonderen Helm ging, den die Kinder aufsetzen konnten. Durch einen mit Folien bedeckten Beobachtungsschlitz konnten sie die Welt um sich herum unterschiedlich wahrnehmen. Diese Konstruktion regte die Schüler an, lauter geheime Dinge zu tun: sich zu verstecken, Schulkameraden zu beobachten, zu belauschen, oder auch sich einfach zurückzuziehen und in kleinen Gruppen über Geheimes zu flüstern. Die ursprünglich spontane Lust hielt an, und die Idee des Spions im Hause konnte zu einer tragenden Geschichte und zu einem grundlegenden Entwurfskonzept werden. Nach weiteren räumlichen, atmosphärischen Untersuchungen an Modellen, Fotomontagen und Zeichnungen wurde die Figur im Rahmen der Arbeit mit den Kindern zum „Spion mit dem schillernden Deckmantel“. Auch hier wurde es zum architektonischen Prinzip, den Spion nicht als Bild oder plastische Figur zu gestalten, sondern räumliche atmosphärische Qualitäten zu entwickeln, die das Verstecken und das Entdecken, das Sehen und das Gesehenwerden, das Suchen und das Finden und Ähnliches ermöglichen und atmosphärisch begleiten. Die Architektur der Einbauten lässt den Kindern genügend Freiraum zur eigenen Interpretation. (Abb. 7.2.5.2 (1) Die Baupiloten) Die Geschichte des „Spions im schillernden Deckmantel“ konnte hier noch detaillierter entwickelt werden als die Geschichte des „Silberdrachens“ in der Erika-Mann-Grundschule. Die Einrichtung des Freizeitbereiches konnte unmittelbar dem naturwissenschaftlichen Unterrichtsschwerpunkt an der Schule zugute kommen. An den einzelnen Stationen der neuen Freizeitlandschaft, die in den bis dahin unzugänglichen, geräumigen Flurbereich eingebaut wurden, konnten sich die Kinder nun an Kletterwänden bewegen, den Raum aus immer unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen, sich in Leseluken zurückziehen und spielerisch auch ernsthafte naturwissenschaftliche Beobachtungen machen. Die „schimmernde Tarnwand“ wurde von einem Kind, das nicht mit der Geschichte vertraut war, als Segel eines Piratenschiffs interpretiert, die Kletterwand dahinter galt entsprechend als Schiffsbug, die „Spionzelle“ als Ausguck, wie er als Mastkorb auf alten Segel-, insbesondere Piratenschiffen zu finden ist. Diese Art von Architektur ist so angelegt, dass auch andere Interpretationen zugelassen werden. (Abb. 7.2.5.2 (2) Die Baupiloten) Kapitel 7.2 283 „Der Spion im schimmernden Deckmantel“ 1 Eingangsgalerie „Schärft eure Sinne! Ein Spion ist in der Schule! Er will Kindergeheimnisse ausspionieren. Seine Schwachstelle: sein schimmernder Deckmantel. Eine auffällige Bewegung, der Deckmantel beginnt verräterisch zu schimmern.“ In der Eingangsgalerie stellen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Bildern und Modellen vor. 2 Blinzelschleuse „Angelockt von einem geheimnisvollen farbenfrohen Schatten beginnt er zu spionieren. Ein Begrüßen. Ein Wächter, verborgen. Der Spion fährt herum: sein Mantel beginnt zu schimmern!„ Das an den Paneelen reflektierte Licht ist in seiner Farbe komplementär zu dem transmittierten Licht. So kann der Farbkreis kennengelernt und unterschiedliche Atmosphären erfahren werden. Spielend lässt sich die Funktionsweise des Periskops erlernen, räumliche Vorstellungen hinterfragen, Grenzen überwinden, das Gesichtsfeld erweitern. Im Nachschimmern kann man die Wirkung von farbigem Licht spüren. 3 Lauschwand „Heimlich um die Ecke gelugt – er spitzt die Ohren – nichts. Nun doch, er lauscht. Die hohen Tasten bewegen sich. Stimmen, Lieder“ Durch Bewegung lassen sich Töne auslösen, Hebelkräfte können erfahren werden und das fühlende Hören wird möglich. 284 Kapitel 7.3 Carl-Bolle-Grundschule|Berlin 4 Tarnwand „Sein Deckmantel bleibt tückisch. Er legt ihn ab, mischt sich unter die Kindermenge und verharrt regungslos am Spionspiegel. Er mustert die Reflexionen. Von hier aus hat er alles genau im Blick. Geheimnisvolle Codes?“ Die Paneele sind frei drehbar, damit die Farbigkeit des Lichts manipuliert werden kann. Es können Codes entwickelt werden, um sich mit anderen zu verständigen. Alle Farben des Regenbogenspektrums lassen sich entdecken. Additive und optische Farbmischungen kann man erproben, die Gesetzmäßigkeiten des Lichts erlernen und sich mit dem Licht tarnen. Der Venezianische Spiegel ist je nach Lichtverhältnissen spiegelnd, verbergend oder durchsichtig. 5 Spionwand „Er schnellt um die Ecke und: hinter ihm, vor ihm, über ihm überall Kinder! Er rennt los, klettert. Spionzelle. Pusteblitze. Die Kinder haben ihn schon lange im Visier! Ein drunter und drüber!“ Parallelogrammförmige Öffnungen fungieren als Leitersprossen und stärken das Körpergefühl. Die Pusteblitze setzen durch unsichtbare und unhörbare Luftströme Teile in Bewegung. Die zufälllig entstandenen Lichtblitze und Reflexionen können bestaunt werden. In der Spionzelle werden die Sinne geschärft, mit optischen Sehhilfen lässt sich das eigene Sehfeld erweitern. Der erhöhte Beobachtungsstandpunkt ist als Veranschaulichung der Vogelperspektive für den Erdkundeunterricht von Bedeutung. 6 Gretelspionage „Er rennt weiter, legt falsche Fährten und verschwindet. Das Periskop befragen? Ist er entkommen? Wer fängt nun wen?“ Spielend lässt sich die Funktionsweise des Periskops erlernen. Räumliche Vorstellungen hinterfragen. Grenzen überwinden. In den Lesebändern kann man sich konzentriert zurückziehen. Abb. 7.2.5.2 (2) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, TU Berlin 2008 Kapitel 7.3 285 Abb. 7.2.5.2 (1) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, Grundriss der die verschiedenen Stationen des Spions zeigt, TU Berlin WiSe 2006/07 7.2.5.3 Kita Taka-Tuka-Land: „Sieben Stationen im Limonadenfluss“ Für die Kita „Taka-Tuka-Land“ wurde Astrid Lindgrens Geschichte von Pippi Langstrumpfs “Taka-Tuka-Land“ nicht nur zum Namen, sie stand auch für die Renovierung und den Umbau des Gebäudes Pate. So konnte der provisorische Holzständerbau in der Fantasie der Kinder zu Pippis alter Eiche werden, in deren Innerem Limonade zu wachsen und zu fließen scheint. Es entstanden dabei gleichzeitig neue Garderobenschränke als „Limonadentropfen“, eine Tobeinsel, gruppenübergreifende kommunikative Räume und eine bespielbare Fassade. Die Geschichte der sieben Stationen des Limonadenflusses setzte die Prioritäten für den Umbau im Rahmen eines sehr knappen Budgets. (Abb. 7.2.5.3 (1) Die Baupiloten) Die verwitterte Fassade wurde nicht, wie ursprünglich vom Bauherrn gewünscht, vollständig durch eine neue Holzfassade ersetzt, sondern lediglich mit einfachsten Mitteln saniert, um sich dann auf räumlich relevante Orte zu konzentrieren, wie das Panoramafenster „Limonadenglitzern im Sonnenlicht“ oder das verbindende Element zwischen Haus und Garten „Das Aufbrechen der Borke“. Dieser Durchbruchwurde mit Blick auf die Geschichte entwickelt. In mehreren Modellstudien erforschten die Studierenden mit welcher architektonischen 286 Kapitel 7.3 Konstruktion „das Aufbrechen der Borke“ überzeugend (auch für die Kinder) umgesetzt werden könnte. (Abb. 7.2.5.3 (2) Die Baupiloten) Die Ideenfindung, die Entwicklung der Geschichte und ihre Übersetzung in Architektur funktionierten nach ähnlichen Prinzipien, wie in den zuvor geschilderten Fällen. Wie die Geschichte als Konzept der Architektur funktioniert, macht zum Beispiel die Erörterung des konstruktiven Materials deutlich. Aus der Geschichte heraus war es den Studierenden klar, dass nur Holz in Frage kommt, um eine Zwischenwelt zwischen Haus und Garten aufzubauen. Das von den Tragwerksplanern vorgeschlagene Stahlraumfachwerk wurde deshalb von ihnen mit der Begründung abgelehnt: „Pippi macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt“. Eine präzise Stahlkonstruktion gehört nicht in diese Welt, wohl aber einfache Holzmodule, die „wild“ zusammengesetzt werden. Diese Entwurfsmethodik funktioniert in mehreren Dimensionen: Der städtebauliche Entwurf für die Studentenwohnanlage Siegmunds Hof „Ökopop“ spannt sich zwischen zwei Extremen auf: auf der einen Seite die fantastische, ökologische Landschaft, die den heutigen Vorstellungen eines gesunden, umweltbewussten Zusammenlebens und -wohnens entspricht und auf der anderen Seite das Leben im Zentrum einer pulsierenden Großstadt. Hier stand weniger eine Geschichte im Vordergrund als eine Bipolarität der Lebenswünsche, die die Baupiloten zur Grundlage ihrer Konzeption machten. Abb. 7.2.5.3 (1) Kita Taka-Tuka-Land, das architektonische Konzept der gezielten Eingriffe folgt der Geschichte der „7 Stationen des Limonadenbaums“, Grundriss, TU Berlin SoSe 2006 Kapitel 7.2 287 Die Sanierung der Kindertagesstätte „Nido Piccolo“ (kleines Nest): Die rein energetische Fassadensanierung wurde nach den Vorstellungen der Kinder um kleine Nester erweitert, die nach ihren Vorstellungen wie Baumhäuser wirken sollten und eine eigene Mikroatmosphäre schaffen sollten. Hier war wie in den Projekten für die Kindertagesstätten „TakaTuka-Land“ und „Traumbaum“ der Name der Einrichtung das Programm, der jeweils für eine Geschichte oder ein starkes Bild stand und so zur narrativen Grundlage des architektonischen Konzeptes wurde. Die entwurflichen Entscheidungen konnten auf dieser Basis mit der Kitaleitung, den Erzieherinnen und mit den Kindern kommuniziert werden und wurden so zu auch einem Leitfaden der entwurflichen und konstruktiven Entscheidungen. Abb. 7.2.5.3 (2) Kita Taka-Tuka-Land, Studienmodelle, die die Öffnung der Fassade zum Garten untersuchen, TU Berlin SoSe 2006 Der Neubau der Kindertagesstätte in Leipzig bestätigt die Partizipations- und Entwurfspraxis, auch wenn die Architekten ohne Mitwirkung von Studierenden arbeiteten. Grundsätzliche Erkenntnisse: Je klarer die fiktive Welt ausformuliert ist, auf die sich die Beteiligten verständigen, und je größer die Übereinkunft über diese „Welt“ ist, umso einfacher ist die Kommunikation und erübrigt so manchen, sonst notwendigen Verständigungsprozess. Der Architekt kann den Nutzer so während des gesamten Entwurfsprozesses einbeziehen, ohne ihn zu überfordern, und damit sind beide vor unerwünschten Überraschungen geschützt. Der Partizipationsprozess erhält damit eine höhere Effektivität. Mit dem Weitererzählen der Geschichte durch die an der Planung beteiligten Nutzer an Nachnutzer, lebt die Fiktion, die der Architektur zugrundeliegt weiter, auch oder gerade, wenn sie durch die Architektur abstrahiert wird. Die Abstraktion gibt den Nutzern (vor allem wenn sie Kinder sind) einen Interpretationsspielraum in der Fiktion (und in der Nutzung der Architektur) ohne, dass die Verständigungsbasis verlorengeht. Das Prinzip der „Geschichte“ als Konzept hinter einem Entwurf war nicht nur in den Studienprojekten hilfreich, sondern auch in der professionellen Auseinandersetzung im Architekturbüro. 288 Kapitel 7.2 Entwurfsentscheidungen können immer wieder auf das Konzept, auf die Geschichte, zurückgeführt und mit ihr abgeglichen werden. 7.2.6 Fazit: Form follows fiction Als Ergebnis der Partizipations- und Entwurfsrückkopplungsverfahren wird die gemeinsame Entwicklung einer Geschichte, einer Fiktion angestrebt, die gleichzeitig zur konzeptionellen Grundlage der Architektur wird. Die Geschichte ist eine Art orchestrierter Erzählung der Nutzer (vgl. Nowotny, Abschnitt 3.4). Sie ist gleichzeitig Ergebnis eines intensiven Austausches zwischen Nutzer und Architekt über die Vorstellungen atmosphärischer Raumqualitäten und Strukturen. Dieses Verfahren setzt auf die Kraft einer Geschichte, Atmosphären zu initiieren, wie Gernot Böhme dies am Beispiel des Grimm’schen Märchens von Jorinde und Joringel oder anhand der Schilderungen von Hirschfeld über die „sanftmelancholischen“ Garten beschreibt. Eine solche „Erzählung“ erreicht die Nutzer allerdings nur, wenn sie auf eine ihnen adäquate Art angesprochen werden. Das heißt: Für die Initialworkshops muss die richtige Kommunikationsmethode gefunden werden. Sie muss die Fantasie der Workshopteilnehmer anregen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit geben, sich abstrakt in die gewünschte Umgebungswelt des zu planenden Bauwerk hineinzufühlen. Erfolgreich sind Methoden, die auf eine besondere atmosphärische Wirkung abheben, die von den Nutzern, aber auch von den Architekten verstanden oder besser nachempfunden werden kann. Die vier im Abschnitt 7.2.2 behandelten Typen boten den Baupiloten eine gute Möglichkeit der Nutzeransprache und der Nutzerkommunikation, die aber in andern Projekten modifiziert und gegebenenfalls erweitert werden muss. Mit den Ergebnissen dieser Workshops beginnt die eigentliche Entwurfsarbeit, mit der Schritt für Schritt und Rückkopplung für Rückkopplung die architektonische Entsprechung der Wunschwelten entwickelt und verfeinert wird. Dabei entsteht einerseits die Fiktion, andererseits das architektonische Konzept. Auch für die Rückkopplungsverfahren, die in dem Abschnitt 7.2.4 behandelt werden, sind, je nach Art der Nutzergruppe unterschiedliche Kommunikationsmethoden notwendig. Die Baupiloten haben entsprechend den vier Initialworkshoptypen unterschiedene Verfahren entwickelt und erprobt. Wesentlich war für diese Verfahren, dass nicht nur eine gute Verständigung zwischen Architekten und Nutzern bestand, sondern dass ein gegenseitiges Vertrauen in die Expertisen der Partner und in das Entstehen der gewünschten baulichen Umgebung entstehen konnte. Fiktion und architektonisches Konzept können so zu einer unter Umständen auch variablen Grundlage werden, auf der die formalen Entscheidungen des Architekten beruhen. Diese Entscheidungen werden im Rahmen des Konzeptes getroffen und sind Teil der Nutzer-/Architektenerzählung, also Teil der Geschichte. Insofern folgt die Form und ihr Konzept der Geschichte: form follows fiction. Kapitel 7.2 289 7.3 Das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität In den vorangegangenen Abschnitten ging es vornehmlich darum, den Wünschen der Nutzer auf den Grund zu gehen, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Wünsche zu reflektieren und zu vertiefen, und schließlich eine Geschichte, ein Konzept zu entwickeln, das die Vorstellungen zusammenfasst und den Architekten eine Grundlage für die Entwurfsarbeit bietet, die eng an den Vorstellungen der Nutzer orientiert ist. Daraus entstehen zunächst noch keine konkreten Entwürfe. Es sind Grundlagen, die dem Entwurf zugrundegelegt werden. Weiter ist es Prinzip der Arbeit bei den Baupiloten, den Nutzer in seinem Alltag beobachtend zu begleiten, die Tagesabläufe zu verfolgen, um daraus Rückschlüsse auf die entsprechende Architektur ziehen zu können. Das kann zu einem „Probewohnen“ in einer umzubauenden Wohnanlage oder zu einer „Langzeitbegleitung“ führen, um auch Aufschluss über private Vorlieben der Nutzer zu gewinnen. Den Erkenntnissen aus den Workshops mit den Nutzern stehen programmatische Forderungen Dritter gegenüber. Für Schulen und Kindergärten sind zum Beispiel pädagogische Programme der Landesverwaltungen zu berücksichtigen. Es gibt Bauvorschriften des Brandschutzes und zur Energieeinsparung, Vorgaben von Versicherungen, unter Umständen auch Sanktionen durch den Denkmalschutz und nicht zuletzt die Bauordnungen, die beim Entwurf eingehalten werden müssen. Auch die von Bauherren an die Architekten herangetragenen programmatischen Anforderungen werden als Datengrundlage für die Entwürfe festgehalten. Dazu kommen, oft enge Budgetvorgaben und Terminpläne. Um all diese Anforderungen zu berücksichtigen, sind eventuell besondere Kommunikationsformen notwendig. In einigen Fällen empfiehlt sich auch hier eine kooperative, partizipative Vorgehensweise. Die Vorstellungen von Nutzern und Architekten über das neue Bauwerk werden einer ersten Probe auf ihre Realitätstauglichkeit unterzogen. Diese Thematik behandelt der Abschnitt 7.3. Die genannten Parameter fließen parallel mit den Nutzerinteressen in die Entwurfsarbeit ein. Dabei soll es nicht darum gehen, die Nutzerwünsche an die Realität anzupassen, sondern sie in die Realität zu „übersetzen“. Ein selbstverständlich wesentlicher Aspekt ist die Orientierung des Entwurfes an den Baugesetzen, Verordnungen, Richtlinien und nicht zuletzt auch an dem Budgetrahmen, der für den Entwurf essentiell ist und unter Umständen dazu führt, den einen oder anderen Nutzerwunsch zu relativieren oder zu enttäuschen. Dazu ist im Abschnitt 7.3.2 mehr zu lesen. An dieser Stelle ergibt sich folgendes Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität: Die konzeptionellen Ansätze sind auf der baulichen Ebene sehr abstrakt gehalten, während sie auf der fiktionalen Ebene sehr konkret sind. Dadurch findet ein permanenter Übersetzungsprozess zwischen fiktionalem Konzept und baulicher Realität statt, der dem Nutzer 290 Kapitel 7.3 dann in einer mit den Rahmenbedingungen abgestimmten Form präsentiert wird. Der entscheidende Schritt zur Umsetzung der partizipativ entwickelten Planungen ist dann selbstverständlich die bauliche Umsetzung. Sie konnte im Fall der Erika-Mann-Grundschule als Gegenstand eines evaluativen Feedbacks, das im Abschnitt 7.4 behandelt wird, untersucht werden. 7.3.1 Alltagsprotokolle der Nutzung Ein wesentliches Element der Entwurfsarbeit ist die Beobachtung der Nutzung beziehungsweise der Art, in der die Nutzung stattfindet. Dies geschieht als „Teilnehmende Beobachtung“, einer Methode, die in der Feldforschung der Sozialwissenschaften angewendet wird (Hauser-Schäublin, 2003, S. 33ff.). Die Baupiloten nehmen so persönlich am Alltag der zukünftigen Nutzer teil und ergänzen, vertiefen oder präzisieren mit diesen Beobachtungen deren vorab festgestellten Bedürfnisse und Wünsche. Mit den Instrumenten der Alltagsprotokolle und Fotopaneele wird das festgehalten. Solche Beobachtungen wurden in Kindertagesstätten und Schulen über einige Stunden oder mehrere Tage hinweg gemacht. Das war auch der Fall beim Probewohnen in einer Studentenwohnanlage. Die Baupiloten nehmen dabei am Alltag der Nutzer teil beispielsweise während des Unterrichts oder beim Aufenthalt in der Kindertagesstätte, begleiten sie aber auch in ihrer freien Zeit. 7.3.1.1 Das Erfassen von Tagesabläufen und Ritualen Das zur Erfassung von atmosphärischen Raumqualitäten entwickelte Instrument des Fotopaneels (vgl. Abschnitt 7.1.1.2) eignet sich prinzipiell auch zum Erfassen von Tagesabläufen, um dabei programmatische Schwerpunkte für den architektonischen Entwurf herauszuarbeiten. In Aufnahmen, die die Baupiloten von einzelnen Kindern und ihren Aktivitäten machten, hielten sie deren Bewegungen, ihre Kommunikation und ihre Tagesabläufe fest. Sie sind damit zugleich Beobachter und Teilhaber. Sie studieren das Verhalten der Kinder, ihre Eigenarten, die Art wie sie sitzen, spielen, lernen, untereinander kommunizieren und erfahren dabei die Routine ihres Tagesablaufs. Die Fotografien werden anschließend nach Themen, die sich beim Sortieren ergeben, angeordnet. Daraus entstehen die Fototafeln, die Paneele. Für die Themen werden dann den Alltag bezeichnende, Imagination anregende Titel gesucht. Für die Themenpaneele der Untersuchungen in der Kita Traumbaum ergaben sich beispielsweise Titel wie „Fastwegsein“, „SichOrteErfinden“, „Raufundrunter“, „UmsichherumerzähKapitel 7.3 291 Abb. 7.3.1.1 (1) Kita Traumbaum, Alltagsprotokoll, Fotopaneele „Drunterdrüberdrinnendrauf“, „Umsichrumerzählen“ und „VonHändenlernen“, TU Berlin SoSe 2004 len“, „Sitzenlernen“, SichPlatzEbnen“. Mit Hilfe dieser Paneele erfassten die Baupiloten die für diese Kinder charakteristischen Bewegungsabläufe und fanden darin wichtige Inspirationen für die Entwürfe der „Sitzblüten“. (Abb. 7.3.1.1 (1) Die Baupiloten) Noch komplexer waren diese Untersuchungen für das Projekt der Kita Taka-Tuka-Land. Die dort beobachteten Eigenarten der Kinder führten zu der Überlegung, den Kindern besondere Freiräume anzubieten. Eines der Paneele wurde beispielsweise mit dem Titel „Sachensucher sein“ (Abb. 7.3.1.1 (2) Die Baupiloten) überschrieben. Die Baupiloten hatten beobachtet, dass viele Kinder sehr gezielt ihren Interessen nachgehen und dabei auch gerne tief in ihre Fantasiewelten „abtauchen“. Daraus wurde ein Konzept für möglichst offene und vielschichtige Räume entwickelt, die entdeckt werden können und die Rückzugsbereiche bilden. Ein anderes Paneel „Alleine Gemeinsam sein“ zeigte, dass es Zeiten und Räume für gemeinsames Spiel gibt, aber auch immer wieder Phasen, in denen die Kinder das Bedürfnis haben, alleine ihren Interessen nachzugehen. Auch daraus konnten besondere Rückschlüsse für den architektonischen Entwurf gezogen und viele individuelle Bereiche geschaffen werden. Die auf den Fotopaneelen festgehaltenen und thematisch strukturierten Beobachtungen wurden an den Geschichten gespiegelt, die sich aus den Initialworkshops ergeben hatten. Auch hier hatte sich schon ein besonderes Bedürfnis nach Räumen für das Alltagsverhalten gezeigt, für ausgelassenes Toben, Klettern, geheime Verstecke oder nach einem ruhigen Ort, an dem man sich zurückziehen kann. Diese Überschneidung bestätigte dann einen entspre- Abb. 7.3.1.1 (2) Kita Taka-Tuka-Land, Alltagsprotokoll, Fotopaneel, „Sachensucher sein“ und „Unsichtbar Dasein“- gibt man den Kindern Freiräume sich mit ihren eigenen Interessen zu beschäftigen, tauchen sie ein in eigenene Phantasiewelten, TU Berlin SoSe 2005 292 Kapitel 7.3 chenden Ansatz für den Entwurf. Konkret entstand daraus das Entwurfskonzept: „In Kletterblättern Sachensucher sein“. (Abb. 7.3.1.1 (3) Die Baupiloten) Die Entwerferin bezieht sich dabei auf das Modell von Pippi’s Haus, das die Kinder einer Spielgruppe aus Pappe gebaut hatten, und das mit vielen Muscheln beklebt wur- Abb. 7.3.1.1 (3) Kita Taka-Tuka-Land, Annika Köster, Konzeptcolde, und dann beklettert werden sollte. Zu lage „In Kletterblättern Sachensucher sein“, TU Berlin SoSe 2005 diesem Zweck war es von den Kindern außen mit einem Netz umzogen worden, das es, nach Meinung der Kinder, außerdem vor Räubern schützen sollte. In den daraus entworfenen „Kletternblättern“ können die Kinder nicht nur klettern oder hangeln, sie können sich auch darin verstecken und von weit oben die Welt aus einer neuen Perspektive betrachten. 7.3.1.2 Wohnen in der Nutzerwelt Um die mit dieser Methode gewonnenen Erkenntnisse auch bei umfangreicheren Projekten zu erhalten, zum Beispiel bei der Sanierung der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof, gingen wir noch ein wenig weiter. Wir schlüpften temporär in die Rolle des Nutzers. Hier erschien es als effektivster Ansatz, um dem Leben in einem Studentenwohnheim nahezukommen, ein Gefühl für den Ort und den Alltag der Nutzer zu entwickeln, dass die Baupiloten ein paar Tage lang in dem Heim selbst wohnten. Ähnlich den Erfahrungen, die das Team von Rural Studio macht, wenn die Mitarbeiter mit ihren Klienten eine Zeit lang gemeinsam leben, um deren Bedürfnisse kennenzulernen, übernahmen die Studierenden der Baupiloten die Rolle von Studentenwohnheimbewohnern (wenn sie es nicht ohnehin schon selbst waren). Sie konnten so diese Lebensform besser nachvollziehen und tiefer in die Problematik einsteigen als bei einer einfachen Beobachtung der Lebensabläufe oder bei hypothetischen Überlegungen über den Funktionsablauf. Ein wenig ähnelt dieser Ansatz auch den Recherchen von Schauspielern, die sich auf ihre Rolle im Film vorbereiten, indem sie in die Haut der Person schlüpfen, die sie darstellen, indem sie eine Zeitlang als Taxifahrer arbeiten, weil sie, wie beispielsweise Robert de Niro einen Taxifahrer („Taxi Driver“, 1975) spielen sollen, oder Ballettstunden nehmen, um eine Prima Ballerina zu geben. Sie schützen sich auf diese Weise davor, die Rollen nach klischeehaften Vorstellungen zu spielen. (www.whoswho.de) Vorab wurden im Rahmen des Seminars von allen 38 Wohnheimen des Berliner Studentenwerks Profile erstellt, die deren Lage, die Anzahl der Wohneinheiten, die Anzahl der Kapitel 7.3 293 Wohnplätze, die Wohnformen, die Ausstattung, die Miete, die Bewohnerstruktur, den durchschnittlichen Leerstand und die Fluktuation protokollierten. Die Seminarteilnehmer übernachteten jeweils ein Wochenende lang in Studentenwohnheimen und hielten ihre Erfahrungen in sogenannten Wohntagebücher, in der Form von Karteikarten mit Fotos, fest. Es wurden Fotos von den Gemeinschaftsräumen angefertigt. Die Studierenden waren des Weiteren aufgefordert die Atmosphäre der verschiedenen Wohngebäude mit einer Vielzahl von Adjektiven zu beschreiben. Die Auswahl der Adjektive führte den sehr unterschiedlichen Charakter der einzelnen Wohnheime deutlich vor Augen und schärfte die Entwurfsentscheidungen. Sowohl die Daten als auch die persönlichen Berichte wurden allen Teilnehmern in 2 Karteikästen, nach Heimen alphabetisch sortiert, und zur Verfügung gestellt. Nur wenige Studierende fühlten sich im „Heim ihrer Wahl“ wohl, viele empfanden die vielen Reglementierungen, sei es durch den Hausmeister oder durch diverse Aushänge als einschränkend und negativ für ihr Wohlbefinden. Viele Häuser empfanden sie als „ausgestorben“, obgleich sie als ausgelastet galten. Diese Studien erwiesen sich als sehr effektiv, weil die Studierenden auch genau diese Themen die Reglementierung und die fehlende Gemeinschaft, in ihren Entwürfen für Siegmunds Hof einbringen konnten. Sie diskutierten, inwieweit Architektur vorgebeugen kann. In verschiedenen Maßstäben suchten sie nach Möglichkeiten, wie Räume gebaut und gestaltet werden können, in denen Gemeinschaft entsteht. Erkenntnisse aus dem Wohnen in der Nutzerwelt (Studentenwohnanlage Siegmunds Hof) • Durch das „Probewohnen“ konnten die Baupiloten persönliche Vorstellungen vom Leben in einem Studentenwohnheim entwickeln und dadurch mögliche Klischeevorstellungen relativieren, ablegen oder gar nicht erst entstehen lassen. • Durch den Kontakt zu ihren Nachbarn in dieser Zeit konnten sie auch deren Wunschvorstellungen über das Wohnen im Wohnheim näherkommen. • Ihre Analyse konnte durch die Erarbeitung des Protokolls und der Kartierung geschärft werden. 7.3.1.3 Gemeinsamer Museumsbesuch mit Grundschulkindern Die entwurfliche Horizonterweiterung über die Auseinandersetzung mit dem Leben und den persönlichen Vorlieben der Nutzer bezieht sich nicht allein auf die Beobachtung der Nutzungsabläufe oder die privaten Interessen der Nutzer, sie betrifft unter Umständen auch die 294 Kapitel 7.3 Beobachtung zur Art des Lernens und der Wissensaneignung der Nutzer. Während des Entwurfsprozesses für die Freizeitlandschaften der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit hat sich gezeigt, dass durch die Verwendung bestimmter Materialen optische und akustische Phänomene in die Gestaltung einbezogen werden können und dadurch auch Prinzipien der Wahrnehmung und der Kommunikation beim Umbau besonders nutzund erfahrbar gemacht werden können. (vgl. Kap.7.2.5.2) Die Architektur der Schule sollte die Sinne und die Sinnlichkeit der Kinder ansprechen und ihnen auch im Spiel die Unterrichtsinhalte der Naturwissenschaften vermitteln. Um die spezifischen Interessen der Kindern in diesem Zusammenhang zu erfahren, besuchten die Baupiloten (am 4.5.2007) gemeinsam mit einer Klasse der Schule das „Science Center Spectrum“ des Deutschen Technikmuseums Berlins mit seinen rund 250 Experimentierstationen, die den Kindern die Möglichkeit geben, sich „spielerisch und selbstbestimmt“ mit naturwissenschaftlichen Phänomen auseinanderzusetzen. (www.sdtb.de) Abb. 7.3.1.3 (1) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, Kinder spielen an der „Tarnwand“, spielerische Erfahrung naturwissenschaftlicher Phänomene, 2008 Den Kindern gefiel es besonders, selbst in Aktion zu treten und beispielsweise durch eigene Bewegungen elektronische Klänge zu erzeugen (Experimentierstationen: Xylophon, elektronisches Feld/ Musik). Sie fanden es interessant, Lichtphänomene (Experimentierstationen: Lasergitarre, Plasmakugel, Lasertelefon) selbst zu Abb. 7.3.1.3 (2) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im steuern und andere Kinder dabei einzubezie- schimmernden Deckmantel“, Kind lehnt an der „Lauschwand“, 2008 hen. Besonderes Interesse fand beispielsweise die „Lichtumlenkung“, weil hier eine direkte Reaktion sichtbar wurde. Je bunter es zuging, desto besser war es. Auch Spiegelexperimente waren sehr beliebt, auch hier konnten die Kinder selbst Teil des Experimentes werden. Außerdem fand die raumgroße Station „Hexenhaus“, in die die Kinder eintreten und einen ständigen Perspektivwechsel erfahren können, Kapitel 7.3 295 großen Anklang. Von Effekten, die kompliziert erklärt werden, fühlten sich die Kinder dagegen weniger angezogen. Erkenntnis Diese Beobachtungen haben die spielerische Erfahrbarkeit der naturwissenschaftlichen Phänomene in der architektonischen Ausformulierung des Freizeitbereichs bestimmt: • Perspektivwechsel an mehreren Stationen, wie an der erhöhten Plattform „Wächter“, „Spionzelle“, oder durch das Periskop an dem Geheimausgang „Gretelspionage“, • Lichtbrechung, Lichtreflektion, Lichtfarben und komplementäre Farben an der „Tarnwand“, (Abb. 7.3.1.3 (1) Die Baupiloten) • die Erfahrung, durch Bewegung Töne auszulösen und Hebelkräfte zu erfahren, beispielsweise an der „Lauschwand“ (Abb. 7.3.1.3 (2) Die Baupiloten) 7.3.1.4 Gemeinsame Stadtspaziergänge mit Jugendlichen Das im vorhergehenden Abschnitt behandelte Verfahren lässt sich grundsätzlich übergeordnet für alle Altersstufen einsetzen. Bei der Arbeit mit Jugendlichen bietet sich aber, wie auch schon bei der Behandlung der Partizipationsworkshops beschrieben, eine Modifikation an. Die „Teilnehmende Beobachtung“ wird hier zu einer aktiven Interaktion der Beobachter mit den Nutzern und deren Lebenswelt. Was diese Untersuchung dem klassischen, wissenschaftlichen Muster der teilnehmenden Beobachtung enthebt. Die sehr intensive „Betreuung der Nutzer“ wird gleichzeitig zu einem Handlungsfeld. Die gewonnenen Anregungen werden beispielsweise in entwurfliche Studien umgewandelt. Diese Praxis wird treffend mit dem Begriff der „Participatory Action Research (PAR)“ beschrieben (O‘Brien 1998, S. 2). Der Ansatz umfasst die aktive Zusammenarbeit von Forscher und Nutzer und betont die Wichtigkeit des gemeinsamen Lernens, als den Hauptaspekt des Forschungsprozesses. Im Hinblick darauf, dass man am besten lernt und das anwendet, was man selbst erarbeitet hat, wird der Nutzer selbst zum Forscher. Die Forschung findet in konkreten Situationen statt und versucht, reale und keine hypothetischen Probleme zu lösen. Ein weiterer Aspekt dieser Methode ist, dass der Forscher sich seiner subjektiven Betrachtungsweise bewusst ist und gezielt für die Untersuchung einsetzt. (O’Brien 1998, S. 3) Der Ansatz setzt außerdem darauf, dass jeder Mensch ein Experte seiner eigenen Erfahrungen ist und viele verschiedene Möglichkeiten hat, um Informationen über seine eigenen Verhältnisse zu sammeln. (www.incite-national.org) 296 Kapitel 7.3 In den Projekten und Untersuchungen der Baupiloten haben sich Stadtspaziergänge, gemeinsame Ausflüge zu den Lieblingsorten der Jugendlichen in der Stadt sowie die Begleitung der Jugendlichen in ihrem Alltag, zum Beispiel an einem Nachmittag, als ein geeignetes Werkzeug dafür erwiesen, ihre bevorzugten beziehungsweise auch weniger beliebten Lebenswelten kennenzulernen oder sie gemeinsam mit ihnen zur erforschen. Die Tragfähigkeit eines solchen Ansatzes haben mehrere Projekte bestätigt, die hier exemplarisch aufgeführt sind: In ihrem Aufsatz „Kartographie des Alltags“ beschreiben der Architekt und Stadtplaner Bernd Kniess und der Stadtwissenschaftler Leonhard Lagos, wie sie die Bewegung von Migranten, Kindern oder Jugendlichen im Ruhrgebiet, beobachtet und analysiert haben, um neue Einsichten in die Realität des suburbanen Lebens zu gewinnen. Sie versuchten, ihren eigenen Blick zu erweitern, indem sie 2005 mit Kindern in dem Projekt „Explore: Playground“ arbeiteten, da diese in ihrem Forschungs- und Entdeckerdrang aktiv, experimentell und unbefangen mit ihrer Umgebung umgehen und städtische Strukturen intuitiv und routiniert nutzen. Davon versprachen sich die Autoren ein neues Verständnis des öffentlichen Raums und aktuelle Formen der Produktion des Öffentlichen, aber auch eine Schärfung ihrer eigenen Analysewerkzeuge. Ihre Methoden erinnern an die, derer sich schon die Surrealisten bedient haben und 1924 in ihren Manifesten zum Ausdruck brachten: „[...], was uns wieder einmal nach Jahrhunderten der Zähmung des Geistes und irrsinnigen Resignationen zu den Versuch bringt, die Einbildungskraft ein für allemal zu befreien“ (Breton, 1974). Die Situationisten haben ähnliche Mittel benutzt (psychogéographie, détournement vgl. the Situationist City, S. 11f und Abschnitt 7.1.1.2). Auch sie wollten den fremden Blick nutzen, um sich einer anderen Realität anzunähern. So argumentieren auch Kniess und Lagos für ihren Untersuchungsansatz. (Kniess/Lagos, 2006, S. 50) Ein weiteres Beispiel für diese Arbeitsweise ist das an der Uni Hannover mit Unterstützung der Wüstenrot Stiftung durchgeführte Forschungsprojekt „Stadtsurfer, Quartiersfan & Co – Stadtkonstruktionen Jugendlicher und das Netz urbaner öffentlicher Räume“. Im Rahmen dieses Projektes wurde untersucht, wie Jugendliche ihre Stadt benutzen, wahrnehmen und sich in ihr bewegen. Ein Ziel des Projektes war es, zu zeigen, welche eigenen Impulse Jugendliche für die Stadtentwicklung setzen können, die ihre Bedürfnisse besser erkennen und berücksichtigen können. Die Recherche umfasste eine Kartenabfrage mit Kurzinterviews und Tagesprotokollen sowie einen Modellbauworkshop, der (Wüstenrotstiftung 2009, S. 21) „ein entwerferisches Vorgehen [impliziert], weil diese hochkomplexen und zum Teil unbewussten Zusammenhängen mit ästhetisch-bildhaften Mitteln überhaupt erst ganzheitlich erfasst und ausgedrückt werden können.“ (Wüstenrotstiftung 2009, S. 9) Das Projekt beinhaltete als einen wesentlichen Aspekt den entwurflichen Ansatz über den die Jugendlichen ihre Vorstellungen entwickeln und äußern konnten. Kapitel 7.3 297 Ein im Rahmen des Forschungsprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) initiierten Modellvorhaben mit dem Titel „Jugendliche im Stadtquartier“ erprobte die Beteiligung von Jugendlichen an Fragen der Stadtplanung in unterschiedlichen Aktionen wie z.B. Fotostreifzüge durch das Quartier, um deren Bedürfnisse an die Stadt kennenzulernen, z.B. Weg zur Schule oder die Freizeitgestaltung. Hier stellten die Akteure (in diesem Fall Behörden und Stadtplaner) insbesondere fest, dass es wichtig ist, eine altersgerechte Methode zu wählen und das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. Beispielsweise sollten Themen, die ihre Interessen berühren, im Mittelpunkt der Arbeit stehen. (vgl. Weidner 2011/1) Als entscheidend wurde erachtet, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Stadtplanerin Bettina Schlomaka äußerte sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen: „das wirkt glaubwürdiger als ein Erwachsener, der von der Erlebniswelt der Jugendlichen schon zu weit weg ist.“ (Weidner, 2011/2) Ein wesentlicher Aspekt dieses Projektes ist das Schwergewicht auf die Vertrauensbildung, die dafür aufgebaut wird, um Kontakt zu den sonst der Ewachsenenwelt gegenüber eher verschlossenen Jugendlichen aufzubauen. Erkenntnis Diese Projekte zeigen, dass 1. die Kartierung des Alltags, ein effektives Werkzeug sein kann, die Stadt mit den Augen von Laien und von direkt Betroffenen, in diesem Fall von Jugendlichen, zu sehen und dabei Qualitäten und Defizite für ihre Nutzung und Aneignung zu erkennen. 2. es wichtig ist, kreative Methoden zu nutzen, die allen Beteiligten Spaß machen. 3. es wichtig ist, ein ernst gemeintes Vertrauensverhältnis aufzubauen. Der Ansatz, den die Baupiloten bei der Recherche der Nutzerinteressen anwenden, hat mit den vorher beschriebenen Projekten in einigen Punkten Ähnlichkeiten. So war es bei verschiedenen Projekten durchaus auch ein Ziel, über die Workshopsituation hinaus auch eine persönliche Vertrauensbeziehung aufzubauen und so an dem Leben der Nutzer teilzuhaben, und mit ihnen ihre Lieblingsorte aufzusuchen, aber auch ihren Alltag aus eigener Anschauung kennenzulernen. Über eine Begleitung zu den Lieblingsorten hinaus waren diese Aktionen von intensiven Gesprächen begleitet. Die Recherchen sind allerdings für jedes Projekt als Bausteine eines umfassenderen Entwurfs- oder Bauprojektes konzipiert, so dass die Mitwirkenden nicht nur eine Position in ihrer Umwelt entwickeln, sondern sie auch mitgestalten und dabei von Architekten oder Studierenden der Architektur als Fachleute der Raumgestaltung beraten werden. Konkret arbeiten die Baupiloten daran, die Vorstellungen der Jugendlichen in gebaute Realität umzusetzen. 298 Kapitel 7.3 Im Unterschied zu dem partizipatorischen Arbeiten mit Kindern ist die Arbeit mit Jugendlichen sehr wesentlich von deren Erfahrungen im öffentlichen Raum geprägt. Jugendliche eignen sich den öffentlichen Raum wesentlich umfangreicher an, als dies Kinder tun. Bei der Arbeit mit Jugendlichen entsteht, wie bei der Arbeit mit Kindern, auch ein Lerneffekt für die Baupiloten. Er findet allerdings auf einer anderen Ebene statt. Jugendliche entwickeln ganz eigene Strategien im Umgang mit dem öffentlichen Raum, den sie sich auch mit moderner Telekommunikationstechnik aneignen. (Kniess/Lagos, 2006, S. 52) Dieser Arbeitsansatz der Baupiloten soll an zwei Projekten beispielhaft deutlich gemacht werden: Im Rahmen des Entwurfsseminars „SCHULE FINDET STADT!“ haben die Baupiloten gemeinsam mit den Schülern der Nikolaus-August-Otto-Oberschule (NAO) Zukunftsvisionen für eine Lernlandschaft, die die strenge Struktur der Klassenräume auflöst, entwickelt. In mehreren Workshops und Aktionen konnten die Baupiloten sich mit den Jugendlichen und Lehrern der NAO austauschen, um deren Wunschvorstellungen über einen Lern- und Lebensraum, aber auch Anforderungen an die Erweiterung der Schule zu erfahren. Mit der Schulleitung wurden mögliche Synergieeffekte von Architektur und Pädagogik diskutiert. Es sollte ein zukunftsweisendes Konzept für die Schule entwickelt werden, das nicht nur eine soziale Nachhaltigkeit durch Partizipation, sondern auch die ökologische Nachhaltigkeit ausweist. An einem entsprechend geplanten Gebäude können die Schüler ökologisches Den- Kiezrundgang mit Mario „Der Superchiller“ Abb. 7.3.1.4 (1) Nikolaus-August-Otto-Oberschule, Benedikt Bogenberger, Kiezrundgang mit Mario, Kartierung „Der Superchiller“, TU Berlin SoSe 2009 Kapitel 7.3 299 Kiezrundgang mil Julian NikolausAugust-OttoOberschule Grillen Zwischen berankten Bäumen gehen wir auf einer schmalen Treppe die Uferböschung hinunter auf ein kleines Plateau, das direkt am kanalisierten Wasser gelegen ist. Oskar angelt hier hin und wieder. Die Fische kann man aber nicht essen. Meistens hat man Rapfen am Haken - aber die werden auch immer weniger. Wassereis kaufen allein angeln Basketball spielen Wir klettern über einen kleinen Wall und hinter drei Bäumen springen wir über die Steine in einem Teich ans andere Ufer. Wir stehen am „Hintereingang“ zu der idyllischen Wohnanlage, in der Oskar wohnt. Drei Mehrfamilienhäuser sind hier in einem parkähnlichen Areal angeordnet. Durch haushohe Hecken kann man in dem Haus an der Straße das Fenster zu seinem Zimmer sehen. Zwischen Heizkraftwerk der Rückseite von Mehrfamilienhäusern schlingt sich ein einsamer von wuchernden Gebüschen und knorrigen Bäumen gesäumter Weg entlang. Nachts ist es hier sicher ganz unheimlich. Freunde treffen/abholen Hier im ruhigen Garten der Wohnanlage trifft sich Oskar mit Freunden, um loszuziehen. ril len Oskars Zuhause G Wir verlassen den asphaltierten Weg und schlüpfen durch zwei Gebüsche. Eine Lichtung tut sich auf, auf der gerade ein Schäferhund tollt. Die wilde Wiese ist Oskar‘s Lieblings-Grillplatz. Auf dieser kleinen inselhaften Grünfläche trifft man sich manchmal zum Basketballspielen. An der benachbarten Tankstelle gibt es Wassereis für 10 Cent. Skaten Fastfood essen Getränke kaufen Fastfood essen Vorbei an einer zerstörten Sitzbank (auch ein ehemaliger Treffpunkt) schlüpfen wir wieder aus dem Gebüsch heraus und landen auf dem rückseitigen Lade-Platz eines Einkaufszentrums. Hier trifft man sich oft mit seinen Freunden, um ungestört skaten zu können. Vorn an der Straße im Supermarkt kann man dann prima Getränke kaufen, wenn man durstig ist. Dort vorn bekommt man von dem, was hinten auf dem asphaltierten Skateplatz im Verborgenen passiert, nichts mit. S-Bhf. Osdorfer Straße Freunde treffen DER AUFTAUCHENABTAUCHENDSCHUNGEL KIEZRUNDGANG MIT OSKAR im Mai 2009 0m 100m 200m N Abb. 7.3.1.4 (2) Nikolaus-August-Otto-Oberschule, Martin Hartwig, Kiezrundgang mit Oskar, Kartierung „Der Auftauch-AbtauchDschungel“, TU Berlin SoSe 2009 ken und Handeln lernen, erleben und weiterentwickeln. Die Schüler und „ihre“ Baupiloten haben verschiedene Interessensschwerpunkte gewählt und zum Beispiel die Lernlandschaft mit offenen und geschlossenen Lernräumen, das „school farming“, eine Mensa, Gärten mit Selbstanbau und Verkauf, ein „Lichtlabyrinth“ oder die „Science School NAO“entworfen. Die Ergebnisse dieser Arbeit und die herausgearbeiteten Prioritäten sollten zum Ausgangspunkt einer Gebäudeplanung für einen Pavillon auf dem Schulgelände werden. 300 Kapitel 7.3 Die Baupiloten verbrachten mit „ihren“ Schülern außerdem einen gemeinsamen Nachmittag, um mit den Interessen und alltäglichen Aktivitäten der Jugendlichen vertraut zu werden. Aus den Beobachtungen erstellten sie Karten der Bewegung von Jugendlichen durch ihren Kiez. (Abb. 7.3.1.4 (1) Die Baupiloten) Dabei wurde deutlich, dass viele Schüler ihren Nachmittag nicht in der Umgebung der NAO, sondern in anderen „coolen“ Teilen der Stadt verbringen. Die Erstellung einer Quartierskarte zeigte, dass in dem Wohngebiet mit seinen Grünflächen nur wenige Einrichtungen für Kinder und Jugendliche existieren. Der Baupilot Martin Hartwig hielt in der Kartierung „Auftauchen-Abtauchen-Dschungel“ einen Kiezrundgang mit dem Schülern Oskar im Mai 2009 fest, nachdem beide schon in einem Workshop zusammengearbeitet hatten und erste Projektideen an Modellen und Collagen von Hartwig diskutiert wurden waren. (Abb. 7.3.1.4 (2) Die Baupiloten) Oskars Lieblingsorte konzentrierten sich auf Naturorte in der Nähe seiner elterlichen Wohnung, wohin er sich manchmal, alleine aber auch mit Freunden, ungestört zurückziehen und auch toben konnte. Die Zugänge lagen im Verborgenen. Die mit den Schülern angefertigte Karte gleicht einem Versteckspiel, in dem sich Oskar durch seinen Heimatkiez bewegt. Immerfort „taucht“ er aus dem öffentlichen Stadtraum in seine eigenen, verborgenen Räume ab. Wie in einem Dschungel verschwindet er plötzlich in dichtes Gebüsch, wo sich geheime Treffpunkte oder einsame Rückzugsräume befinden. Hartwig folgte dem „Auf- und Abtauchens“ in der Kartierung und entwickelte seinen Entwurf aus der gemeinsamen Begehung mit dem Schüler und in Überlagerung mit den Collagen aus dem Initialworkshop. Entsprechend dem „Auf- und Abtauchens“ sollen unterschiedliche Raumsituationen, als neue Treffpunkte in der Schule, angeboten werden. Konkret sieht er folgende Raumsituationen vor: Mit Hilfe von „Lichtstrahlen“ und „Wasserfällen“ sollen natürlichen Elemente in die Schulerweiterung eingebracht werden. „Kletterbäume“ und „AbhängDschungel“ laden zum Bewegen oder zum Entspannen ein. Das Dach dient als Freiraum für die Schüler: Eine offene, nicht überdachte Landschaft aus In den „Blüten-chillern“ kann man sich in der Sonne aalen oder ganz Martin Hartwig, Abb. 7.3.1.4 (3) Nikolaus-August-Otto-Oberschule, privat chillen. Zeichnung „Blütenchiller“, Rückzugsräume auf dem Dach, verschiedenen Materialien und Ebenen In denBerlin SoSe 2009 man sich in der Sonne aalen oder ganz privat chillen. TU „Blüten-chillern“ kann Kapitel 7.3 AuftAucheN-A AuftAucheN-A Wie in einem Versteckspiel b Immerfort „tauchen“ sie aus Räume ab. Wie in einem Ds gebüsche, hinter denen sich Wie in einem Versteckspiel b befinden. Immerfort „tauchen“ sie aus Der Auftauchen-AbtauchenRäume ab. Wie in einem Ds Raumsituationen neue treff gebüsche, hinter denen sich Klassen schmiegt sich diese befinden. Klassengebäude am tietzen Der Auftauchen-Abtauchenverschiedenartige Durchläss Raumsituationen neue treff der Schule und des Hofes h Klassen schmiegt sich diese zentrale funktionen wie We Klassengebäude am tietzen offenen und gut miteinander verschiedenartige Durchläss Über „lichtstrahlen“ und „Wa der Schule und des Hofes h Schule geholt. „Kletterbäum zentrale funktionen wie We zum Entspannen ein. Das D offenen und gut miteinander nicht überdachte Landschaft Über „lichtstrahlen“ und „Wa Möglichkeit für selbstgewähl Schule geholt. „Kletterbäum durch und entwickeln sich z. zum Entspannen ein. Das D auf- oder zuklappen kann. D nicht überdachte Landschaft allein und abgeschottet sein Möglichkeit für selbstgewähl geöffneter Zwiebelhaut zusa durch und entwickeln sich z. auf- oder zuklappen kann. D allein und abgeschottet sein geöffneter Zwiebelhaut zusa NA 301 NA bietet die Möglichkeit für selbst gewählte Aktivitäten. Die Erlebnis-Inseln durchbrechen das Dach und entwickeln sich beispielsweise zu „Blüten-Chiller“-Pavillons, deren Fassade man auf- oder zuklappen kann. Die Schüler bestimmen selbst, ob sie mit ihren Freunden allein und abgeschottet sein möchten, indem sie die „Zwiebel“ schließen oder ob sie bei geöffneter Zwiebelhaut zusammen mit Anderen in der Sonne liegen möchten. (Abb. 7.3.1.4 (3) Die Baupiloten) Für das Projekt der ESBZ haben die Baupiloten die Jugendlichen nicht nur während ihres Schulalltags begleitet (Abb. 7.3.1.4 (4+5) Die Baupiloten), sondern auch in der Freizeit, um ihre Vorlieben für die Lebensumwelt außerhalb des Schulraums zu erfahren. (vgl. Abschnitt 7.2.2.3.3) Dabei fand ein noch intensiverer Austausch statt, als im Projekt der NAO. Erkenntnis Stadtspaziergänge • Das Verfahren der begleiteten Stadtspaziergänge ermöglicht ein vertieftes Kennenlernen des Nutzeralltags, aber auch des Nutzers persönlich. Er wird dadurch nicht mehr als anonyme Größe wahrgenommen. Daraus können Rückschlüsse für den Lern- und Lebensraum getroffen werden, die wiederum neue Bilder des Nutzeralltags schaffen und abseits von Klischeevorstellungen liegen. • Das Vertrauensverhältnis von Architekten beziehungsweise Studierenden und Nutzern kann ohne Autoritätsgefälle aufgebaut werden. Dabei kommen auch private Einschätzungen der Nutzer zum Tragen, die entwurfsrelevant werden können. Beispielsweise das Bild der Schüler von ihrer eigenen Schule und ob sie sich mit der Ausstrahlung ihrer Schule identifizieren können oder nicht. • Studierende sind in einem ähnlichen Alter wie Jugendliche und teilen damit auch noch deren Erlebniswelten. Die Studierenden könnten den Architekten, die keinen direkten Kontakt zu den Jugendlichen haben, die jugendlichen Stadtvisionen vermitteln. Abb. 7.3.1.4 (4) Evangelische Schule Berlin Zentrum, Die Baupilo- Abb. 7.3.1.4 (5) Evangelische Schule Berlin Zentrum, die Schüler ten begleiten die Jugendlichen im Alltag, TU Berlin SoSe 2008 der 7. Klasse stellen sich dar, TU Berlin SoSe 2008 302 Kapitel 7.3 7.3.1.5 Fazit Alltagsprotokolle Die Alltagsbeobachtungen der Nutzer und ihr Protokoll bilden, wie die begleiteten Stadtspaziergänge und das Probewohnen, eine zweite Ebene der Grundlagenerarbeitung für den Entwurf. Sie können als Bestätigung für die Erkenntnisse aus den Initialworkshops und den Rückkopplungsprozessen dienen oder auch als deren Korrektiv. Sie helfen auch, eventuelle Klischeevorstellungen abzulegen. In jedem Fall sind sie für die Entwerfenden eine Erkenntniserweiterung. Insbesondere die Stadtspaziergänge und das Probewohnen in Siegmunds Hof führen zu intensiveren Nutzerkontakten und stärkten das Vertrauen zwischen Nutzer und Architekten. Eine Herausforderung für die Entwerfer war es hier jedoch, die gewonnenen persönlichen Erkenntnisse zu verallgemeinern, um eine breite Basis für den Entwurf herzustellen. 7.3.2 Das Zusammenfügen von Nutzerwünschen und baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Grundlagenermittlung für den Entwurf ist eine genaue Analyse der baulichen Vorstellungen, die von Bauherrenseite (beispielsweise durch Einrichtungsträger oder behördliche Vorgaben) in das Projekt eingebracht werden. Sie ergeben im besten Fall zusammen mit den Erkenntnissen über die Nutzervorstellungen (vgl. Abschnitt 7.2), den Erkenntnisse der Beobachtungen, den noch zu behandelnden baurechtlichen, bauphysikalischen, versicherungstechnischen Bestimmungen, den Vorgaben des Brandschutzes usw. eine gut abgestimmte Grundlage für den Entwurf. Die Wunschwelten der Nutzer, als eine zunächst von der Realität losgelöste Fiktion (vgl. Abschnitt 7.2.5), und die Erkenntnisse aus den analytisch-teilnehmenden Beobachtungen sowie den daraus erarbeiteten Alltagsprotokollen (vgl. Abschnitt 7.3.1) stehen faktische Anforderungen gegenüber aus a. der Bauordnung, b. den für eine Baugenehmigung und den dafür notwendigen Abstimmungen mit dem Brandschutz und/oder der Unfallversicherung des verantwortlichen Bauamtes, c. den funktionalen, vom Nutzer bzw. Bauherrn konkret formulierten, Anforderungen an den Entwurf, d. den Empfehlungen der Schulbaurichtlinien, e. dem relevanten Schul(bau)programm beziehungsweise dem geltenden Lehrplan der Kapitel 7.3 303 Bildungsbehörde und/oder f. den für den Bauherrn, den Träger beziehungsweise den Leiter der Einrichtung wesentlichen pädagogischen Konzepten. Diese Koordinaten müssen in Deckung gebracht werden. Das geschieht in bewährte Weise nicht in einem Kompromiss, sondern in einer Einigung auf die beste Lösung (vgl. Till, „making best sense“, Abschnitt 5.4.3). Diese Gegenüberstellung von Wünschen und Anforderungen ist eine im Planungsprozess übliche Konstellation, die zu synergetischen Effekten, aber zu auch Blockaden führen kann. Die in den beschriebenen partizipativen Prozessen entwickelten Fiktionen und architektonischen Konzepte können sich im Sinne der transformativen Partizipation (vgl. Abschnitt 5.4.3.) insofern als tragfähig erweisen, als dass sich aus ihnen integrierbare Ansätze ergeben können. 7.3.2.1 Potenzielle Synergieeffekte aus Nutzerwünschen und den baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen Die in den Nutzerworkshops erarbeiteten Fiktionen werden kontinuierlich an den oben aufgeführten Punkten a – f gespiegelt und weiterentwickelt. Sie können so konkret auf die dadurch gesetzten Realitäten bezogen werden. In diesem Prozess gewinnen die Entwürfe erst ihre konkrete Form. Wesentlich ist aber auch in dieser Phase die ständige Rückkoppelung mit dem Nutzer. (vgl. Abschnitt 7.2.4.) Das Konzept „der Spion im schimmernden Deckmantel“, das für den Umbau der Carl-BolleGrundschule entwickelt wurde, und die damit verbundene Auseinandersetzung der Nutzer mit optischen und akustischen Phänomenen sowie die entsprechenden Formen der Wahrnehmung und der Kommunikation, die nach den Workshops den architektonischen Entwürfen zugrundegelegt werden sollten, deckten sich beispielsweise zufällig mit dem pädagogischen Prinzip des „Entdeckenden Lernens“ (Hellberg-Rode, 2004, S. 99ff.) der Naturwissenschaften, das sich die Schule zu eigen gemacht hatte. Diese Parallelität beflügelte die weitere entwurfliche Arbeit. Dem Wunsch der Schulleitung, ein eigenaktives Lernen der Schüler zu motivieren, begegneten die Baupiloten mit einem architektonisches Konzept, das den Kindern Kommunikations-, Bewegungs- und Forschungsräume bietet und unterschiedliche Aufenthaltsqualitäten schafft. (Abb. 7.3.2.1 (1) Die Baupiloten) Ein Beispiel dafür ist die „Tarnwand“. Die Schüler können hier spielerisch naturwissenschaftliche Beobachtungen machen, beispielsweise den Farbkreis anhand komplementärer Farben verstehen oder das Spektrum des Regenbogens erkennen und optische Farbmischungen erproben. (Abb. 7.3.2.1 (2) Die Baupiloten) Gleich304 Kapitel 7.3 Abb. 7.3.2.1 (1) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, Daniel Theiler, Zeichnung der naturwissenschaftlichen Phänomene die im neuen Freizeitbereich spielerisch entdeckt werden können, TU Berlin SoSe 2007 zeitig können sie durch die Benutzung der „Tarnwand“ die Farbigkeit und Intensität der Lichtstimmung im Raum verändern. Sie können sich außerdem verstecken, beobachten oder sich beobachten lassen. Der Raum wird so zu einem Forschungs- und Experimentierfeld, in dem sich die „Kinder mit allen Sinnen ein Bild von sich selbst, von den anderen und von der Welt entwickeln können“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2004, S. 36). Ein anderes Beispiel ist das pädagogische Konzept der Kita in Leipzig. Es bezieht sich auf die Reggiopädagogik, nach dem norditalienischen Ort Reggio Emilia benannt. Ihr wichtigster Vertreter war der Pädagoge und Psychologe Loris Malaguzzi (1920-1994), dessen bekannteste Einschätzung, der Raum sei, nach den Lehrern und den Mitschülern, der „dritte Pädagoge“, für die Architektur von Schulen, Kindertagesstätten und anderen pädagogischen Einrichtungen zentrale Bedeutung hat (Knauf, 2005 passim). Wie die erwachsenen Erzieher erfüllt der Raum für die Kinder zwei Hauptaufgaben: Er gibt den Kindern Geborgenheit und ist andererseits für sie eine Herausforderung. Im Mittelpunkt dieses pädagogischen Ansatzes steht das Kind als forschendes Wesen, das in seiner Abb. 7.3.2.1 (2) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, Kinder können durch das Wissbegierde angeregt werden soll (www.kita. Drehen der beschichteten Paneele die Farbstimmung im Raum bestimmen und gleichzeitig über Lichtreflektionen de). Die Reggiopädagogik hat deshalb gerade für und komplementäre Farben lernen, TU Berlin 2008 Kapitel 7.3 305 das Prinzip „Entdeckendes Lernen“ elementare Bedeutung. Daraus bekamen wir viele Anregungen für die Architektur. Die Begeisterung der Kinder für die farbigen Lichtreflektionen und die wandernden Lichtpunkte der Lichtapparaturen, die wir ihnen zum Spiel überlassen hatten, sowie die damit geweckte Neugierde ließen sich sehr gut mit dem humanistischen Grundverständnis der Reggiopädagogik vereinbaren. Architektonisch wurde das mit der Installation einer zentralen „Regenbogenblume“ umgesetzt, die den Kindern eine alltägliche Erfahrung solcher Phänomene bietet sowie einen sinnlichen Zugang zu dieser Welt und ihre Aneignung. Der reggiopädagogische Ansatz ließ sich auf diese Weise gut mit den Ergebnissen aus den mit den Kindern abgehaltenen Workshops verbinden. Die „Regenbogenblume“ besteht aus beschichteten Plexiglaspaneelen in den Oberlichtern, die durch den Lichteinfall farbig reflektieren oder spiegeln. Die „Regenbogenblume“ verändert sich mit den verschiedenen Sonnenständen der Tages- und Jahreszeiten, der Verlauf der Gestirne wird direkt in ihre Aufenthaltsbereiche übertragen und kann beobachtet werden. Damit kann ein naturwissenschaftliches Verständnis, im Rahmen eines „Entdeckenden Lernens“ des pädagogischen Programms, die Architektur beflügeln. Ähnliches kann auch für die Übereinstimmung mit den Bildungsprogrammen der Länder gelten. In einigen Länderbildungsprogrammen spielt „Raum“ eine wichtige Rolle. Der Sächsische Bildungsplan (Sächsisches Staatsministerium für Soziales 2007, S. 138) hebt beispielsweise hervor: „Die ansprechende Gestalt des Raumes ist ein entscheidender Faktor für das Wohlbefinden von Erzieher, Mädchen und Jungen und für die Anreize gemeinsamen Handelns, Interagierens und Tätigwerdens.“ Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport schreibt in ihrem Bildungsprogramm (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2004, S. 36): „Eine differenzierte Raumgestaltung regt die Wahrnehmung der Kinder an. Durchdacht gestaltete Räume fördern Eigenaktivität, Orientierung, Kommunikation, soziales Zusammenleben, Körpererfahrungen und ästhetisches Empfinden.“ 7.3.2.2 Die Verhandlung von Nutzerwünschen und von baulichen, funktionalen sowie pädagogischen Anforderungen Das Zusammentreffen der oben beschriebenen Wünsche und Anforderungen geschieht selbstverständlich nicht immer harmonisch. Es können sich Widersprüche auftun, die sich unter Umständen aber auch wieder auflösen und ein synergetisches Potenzial ergeben. Die Baupiloten haben dafür aus den Erfahrungen mit den Planspielen (beispielsweise für die Planungen der energetischen Sanierung der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof, vgl. 306 Kapitel 7.3 Abschnitt 7.2.2.4; 7.2.4.6) ein Werkzeug entwickelt, das dabei hilft, das komplexe Aufeinanderstoßen von Anforderungen, Bedürfnissen und anderem zu moderieren. Erstmalig wurde dieses Instrument in den Verhandlungen mit dem Hochbauamt in Leipzig, dem dortigen Jugendamt, dem Träger der Kindertagesstätte und der Kitaleitung angewendet. 7.3.2.2.1 Entwicklung eines integrativen Verhandlungsverfahrens Für SHA war diese Arbeitsweise ein neues Thema, da bei anderen Projekten die Leitung und der Träger der entsprechenden Einrichtung oder die Lehrer beziehungsweise Erzieher die Beteiligungsverfahren entweder selbst angeregt oder getragen haben. Sie waren insofern auch direkt am Prozess beteiligt. Im Falle des Projektes in Leipzig gab es von Seiten des Hochbauamtes, aber auch des Einrichtungsträgers nur wenig Vertrauen in die Teilhabe von Laien im Planungsprozess und in die Bedeutung der Nutzer-Expertise beziehungsweise die Expertise anderer Beteiligter. SHA haben deshalb für die Verhandlung mit dem Bauherrn und anderen Interessenvertretern ein Verfahren nach dem Vorbild ihrer Partizipationsworkshops entwickelt. Konkreter Ausgangspunkt war dabei das für die die Planung der Wohnanlage Siegmunds Hof entwickelte Planspiel. Ablauf des Verhandlungsverfahrens: Auf dem schematischen Grundriss der Kita und ihrer Umgebung sollten nacheinander Karten der vier Themenbereiche „Pädagogik“, „Aktivitäten der Kinder“ sortiert nach unterschiedlichen Bildungsbereichen, „räumliche Atmosphären“ und „Architektur beziehungsweise Bauen“ angeordnet werden. 1. Planungsfeld Das Planungsfeld bestand aus einem Grundriss- und Schnittschema des neuen Gebäudes, des Baugrundes und seiner direkten Umgebung im Maßstab 1:100 auf einer Plangröße DIN A0. Im Vorfeld hatten wir Alternativen untersucht, wie der Gebäudekörper auf dem Grundstück platziert werden könnte, um den Waldcharakter zu erhalten und den Gruppenräumen, trotz des großen Baumbestands genügend Sonneneinstrahlung zu gewähren. Es fand allgemeine Zustimmung, den Baukörper im Zusammenspiel mit dem Baumbestand in einen ein- und zweigeschossigen Abb. 7.3.2.2.1 (1) Kita Lichtenbergweg, Initialworkshop Verhandlung zur Setzung von Prioritäten beim Bau der Kita, Bauteil zu gliedern, um differenzierte Zo- Alltagskarte, 2009 Kapitel 7.3 307 nen am Gebäude entstehen zu lassen. Auch die einzelnen Räume waren in den geforderten Größen, in einer Art Prinzipienskizze an- und zugeordnet. Diese räumliche Zuordnung sollte gemeinsam auf Eignung überprüft werden. 2. Alltagskarten Um den Beteiligten ein Gefühl für den Kitabetrieb zu geben, wurden Karten angefertigt und am Rand des Planfeldes platziert, die auf Fotos wesentliche Momente des Kitaalltags, festhalten: Kinder als Raumgestalter, als Forscher, als Schauspieler, als Beobachter oder auch Elterntreffpunkt. (Abb. 7.3.2.2.1 (1) Die Baupiloten) 3. Die Verhandlungskarten beziehungsweise Wortkarten beinhalteten: a. Pädagogische Leitideen - sie wurden aus dem pädagogischem Konzept der Kita und dem Sächsischen Bildungsplan (2007) entnommen und thematisch nach Kategorien geordnet, die für die räumliche Programmierung relevant sind: 1. Raum, 2. Methode, 3. Wirkung und 4. Qualitätsmanagement. b. Aktivitäten - die in dem neuen Kitagebäude stattfinden sollen.Diese wurden aus dem pädagogischem Konzept der Kita und dem Sächsischen Bildungsplan (2007) zusammengestellt und wie dort in somatische, soziale sowie kommunikative, ästhetische, mathematische und naturwissenschaftliche Bildung unterteilt. c. Atmosphärische Begrifflichkeiten, - diese wurden ebenfalls aus dem Sächsischen Bildungsplan (2007) und dem pädagogischen Konzept des Kitaträgers entnommen sowie aus den in der Aufgabenstellung des Gebäudeentwurfs formulierten und in der Beauftragung durch den Bauherren gegebenen Anforderungen. Sie wurden nach den Themen Gefühl, Identität, Licht, Raum, Klima, Haptik und Geräusche geordnet. d. Bauliche Randbedingungen - sie wurden aus der Aufgabenstellung des Hochbauamtes entnommen und in die Themen Umfeld, Ökologie und Gebäudekonfiguration eingeteilt. 7.3.2.2.2 Verhandlungsverlauf Die Verhandlungen wurden von den Architekten (Marlen Weiser, Stefan Haas und Susanne Hofmann) moderiert. Zu Beginn erläuterten die Pädagogen mit Hilfe der entsprechenden Wortkarten pädagogische Leitideen, diskutierten diese und entschieden sich für zwölf relevante Themen ihrer pädagogischen Arbeit, wie zum Beispiel die „Kita als Lebens- und Lernort“ oder Erziehungspartnerschaften, Kinderbeteiligung und „Aneignung von Welt“. (Abb. 7.3.2.2.2 (1) SHA) Im nächsten Schritt wurden erst Kernaktivitäten, wie Schlafen, Essen, Aufbewahren dem Grundrissschema zugeordnet. Wichtig war, aus pädagogischer Sicht und Erfahrung des Nutzers, weitere Aktivitäten einzuordnen und den anderen Teilnehmern Zusammenhänge der 308 Kapitel 7.3 pädagogischen Bildungsbereiche aufzuzeigen. Auch hier wurden durch die Karten Diskussionen und Erklärungen ausgelöst, die schließlich dazu führten, dass alle Beteiligten die wesentlichen Zusammenhänge und Besonderheiten der Kitaabläufe verstanden. Während der Zuordnung der Aktivitäten zu den einzelnen Räumen stellte sich heraus, dass eine große Zahl der Aktivitäten weitgehend orts- und raumunabhängig stattfindet. Die Schlussfolgerung war daraus, dass auch im Inneren des Gebäudes Zonen geschaffen werden sollten, die raumübergreifend funktionieren. Die Kinder sollten sich frei im Haus bewegen, sich auch gruppenübergreifend besuchen können und dergleichen mehr. Vor der Verhandlung wurden diese Zusammenhänge nie so thematisiert, obwohl genau diese Informationen für die Raumkonzeption entscheidend waren. Nur so konnte zum Beispiel von allen Entscheidungsträgern die Wichtigkeit einer gruppenübergreifenden pädagogischen Zone verstanden werden, die möglichst auch noch eine differenzierte Raumerfahrung erlauben sollte. In der nächsten Diskussionsrunde wurden Vorstellungen über räumliche Atmosphären des Gebäudes diskutiert. Die für die gewünschte atmosphärische Wirkung ausgewählten Wortkarten wurden nicht im schematischen Grundriss verortet. Sie sollten eine allgemeine Re- Abb. 7.3.2.2.2 (1) Kita Lichtenbergweg, Verhandlung zur Setzung von Prioritäten beim Bau der Kita, Diskussionspaneel mit einem Grundriss M 1:100, Karten für pädagogische Leitideen, Aktivitäten, atmosphärische Beschreibungen und bauliche Randbedingungen, 2009 Kapitel 7.3 309 levanz für das Gebäude haben. Eine Ausnahme bildeten die spezifischen atmosphärischen Vorstellungen von dem Multifunktionsraum, der geräumig, hoch und veränderbar sein sollte. Die atmosphärischen Ansprüche an das Gebäude wurden dann folgendermaßen formuliert: Grundsätzlich sollte das Kitagebäude sowohl eine bergende Umgebung als aber auch lichtdurchflutet und luftig sein. Die Räume sollten veränderbar sein und so verschiedene Atmosphären annehmen können. Identitätsstarke und unterschiedliche Gruppenräume waren wünschenswert, da die Kinder einmal im Jahr im Gebäude in eine neue, andersartige Umgebung umziehen sollten. Desweiteren waren sowohl ruhige als auch bewegte Räume gewünscht, bequeme, aber nicht nur bequeme Raumsituationen, und die Erfahrung unterschiedlicher Höhen. Im letzten Durchgang wurden die einzelnen baulichen Randbedingungen in ihrer Bedeutung für das Projekt diskutiert. Die entsprechenden Wortkarten wurden im schematischen Grundriss wiederum nicht verortet, da sie allgemeine Relevanz hatten. Hier sei nur der Themenschwerpunkt „Umfeld“ herausgegriffen: Die Beibehaltung der vorhandenen Kleinteiligkeit und des Parkcharakters wurde als wichtig erachtet, der Baumbestand sollte berücksichtigt werden. Das im Verlaufe der Verhandlung immer dichter werdende Planungsfeld wurde nach jeder Runde fotografisch festgehalten. Im Nachgang konnten die Diskussionen so zusammengefasst, dokumentiert und als verbindliche Grundlage für die weitere Planung aufbereitet werden. Im Rahmen der moderierten Diskussion konnten für eine Vielzahl von Themen Präferenzen festgelegt und viele räumliche Anforderungen überhaupt erst erkannt werden. Erkenntnis aus dem integrativen Verhandlungsverfahren von Leipzig • Es ist gelungen, den spielerischen Umgang mit faktischen Themen aus den Planspielen auf eine komplexe Verhandlungsebene zu übertragen. • Durch den Aufbau des Diskussionspaneels konnten die Anforderungen an das Gebäude immer präsent gehalten werden. Alle Optionen lagen bildlich gesprochen stets auf dem Tisch. So konnte im konkreten Kontext diskutiert werden, welchen Stellenwert und welche Priorität die jeweilige Option im Vergleich mit den anderen hatte. 7.3.2.3 Bau der Fiktion Architektur wird nicht allein durch die Wünsche der Nutzer geprägt. Im vorherigen Abschnitt wurde erläutert, wie die programmatischen Belange des Bauherren, des Einrichtungsträgers oder die Bestimmungen aus Bildungsprogrammen in den Entwurf einfließen und dort mit 310 Kapitel 7.3 den Vorstellungen der Nutzer zusammen, zur Grundlage der entwurflichen Arbeit der Architekten gemacht werden können. Ein ganz wesentliches Element des Bauens sind auch die harten Fakten, die durch Bestimmungen der Bauordnungen, des Denkmalschutzes, des Brandschutzes, der Unfallkasse, durch Wärmeschutzbestimmungen und dergleichen sowie durch die Gebäudestatik, die Bauphysik oder auch durch haustechnische Anforderungen und nicht zuletzt durch das monetäre Budget geschaffen werden. Hier kommt es oft zur Nagelprobe für den Entwurf, hier könnten einige spielerische Elemente der Architektur verloren gehen, wenn die Architekten keine Wege fänden, die Ideen unter Berücksichtigung aller Bedenken umzusetzen. Entscheidend im entwurflichen Prozess sind die Konkretheit der Nutzervorstellungen bzw. der Grad ihrer Abstraktion. Als ein wesentliches Element der Workshoparbeit habe ich weiter oben die Entwicklung einer Geschichte, einer Fiktion, dargestellt, die die Fantasie der Nutzer beflügelt und ihre Vorstellungen von der atmosphärischen Qualität ihrer architektonischen Umgebung beschreibt. Auf der Ebene der Fiktion sollten die Vorstellungen der Nutzer sehr deutlich herausgearbeitet und auch sehr konkret formuliert sein. Je konkreter sie aber auf der baulichen Ebene formuliert sind, umso komplizierter sind sie in die Realität umzusetzen. Wünschen sich die Kinder beispielsweise einen „Drachen“ oder einen „Traumbaum“, der sie als Freund durch den Alltag begleitet, kann er auf sehr unterschiedliche Art und Weise materialisiert und in Architektur umgesetzt werden. Die Architekten haben dann eine entwurfliche Freiheit, die sie eng mit den Nutzern abstimmen sollten, und sie haben auch eine hohe materielle und konstruktive Freiheit, um den oben beschriebenen Anforderungen an Brennbarkeit, Absturzsicherung oder Verletzungsgefahr zu begegnen. Der konkrete Wunsch beispielsweise nach einer „roten Metallrutsche“ oder einer „Schaukel im Treppenhaus“ könnte beispielsweise so nicht realiserbar sein und zu Enttäuschungen der Nutzer führen. Je klarer also die nicht bauliche, aber atmosphärische Vorstellungswelt der Nutzer entwickelt ist und je offener ihre Vorstellungen auf der architektonischen Ebene bleiben, umso größer ist der Spielraum, der den Architekten bleibt, um alle (auch die eigenen) Vorstellungen im Entwurf unterzubringen. Die konkreten Materialvorstellungen können so mit den Bestimmungen des Brandschutzes, der Unfallkasse und anderer relevanter Anforderungen koordiniert und zu einer alle befriedigenden Lösung gebracht werden. Der Architekturtheoretiker Eric Lum führt aus, dass Ideen auch auf dem harten Boden der Realität bestehen können, wenn das Konzept der Architektur nicht mit der Ideenfindung aufhört, sondern auch an den Fragen der Struktur, der Tektonik, der Witterung und den Materialien gestärkt wird. Sonst können die Wirkungsmöglichkeiten der Architektur nicht voll ausgeschöpft werden (Lum, 2003/4, S.5) Das setzt natürlich voraus, dass man als „konzeptioneller Architekt“ Interesse für die charakteristische Materialisierung des Projektes zeigt und dies nicht Anderen, beispielsweise Technikern, überlässt und damit die Idee der Gefahr aussetzt, von den Ausführenden falsch gedeutet zu werden. Lum diskutiert dies bis in die Kapitel 7.3 311 Abb. 7.2.3.2 (1) Kita Lichtenbergweg, Entwurfscollage „Straßenansicht“, 2010 Ausführungsdetails. Er gibt zu bedenken, dass wenn eine Idee für ein Gebäude rigoros verfolgt würde, sich dies auch durch das Verschwinden von traditionellen baulichen Details, wie Tropfnasen, Abdeckbleche, Dehnfugen, Fensterrahmen zeigen müsse. (Lum, 2003/4 passim) Am Beispiel der Kindertagesstätte in Leipzig lässt sich die von Lum vorgetragene Theorie wie folgt konkretisieren: Baulich knüpften wir an die, von den Kindern imaginierten, Vulkanlandschaften an, indem wir einen massiven Baukörper, mit 36,5 cm dicken Außenwänden aus Porotonmauerwerk, konzipierten, um die ENEV 2009 zu erfüllen. Wir legten großen Wert darauf, dass die Öffnungen möglichst nicht den Vorstellungen eines Standardfensters entsprachen, sondern den Kindern die Möglichkeit gaben, darin vor allem Öffnungen ihrer Vulkanlandschaft zu sehen. In der Praxis bedeutete das, quadratische Öffnungen (in den Größen 100, 125, 150 cm), tiefe Leibungen und ein Fensterblech vorzusehen, das weitgehend in einer Umrandung der Fenster aufgeht. Anfangs haben wir eine umlaufende gedämmte Verblechung, mit außen sitzender Fensterscheibe, vorgeschlagen. Der Bauherr befürchtete allerdings, dass auf diese Weise Wasser in die Fassade eindringen könnte und verlangte, die Lage des Taupunkts neu zu berechnen. Diesen planerischen Mehraufwand wollte der Bauherr allerdings nicht tragen. Bauphysikalisch machte für die Porotonwand eine eingerückte Scheibe mehr Sinn. Den vorgesehenen Eindruck bewahrten wir, indem wir die Öffnungen mit einem kostengünstigen dicken Putzrahmen betonten, in den wir die Fensterbleche unauffällig integrirten. Diese optische Wirkung wurde dadurch weiter verstärkt, dass die Fenster, wo sinnvoll, nicht auf einer einheitlichen Höhe lagen, wie z.B. im Treppenhaus. Die drei unterschiedlichen Fenstergrößen waren entsprechend der Funktion der dahinterliegenden Räume und in Übereinstimmung mit der ENEV verteilt. (Abb. 7.3.2.3 (1) SHA) Ein weiteres anschauliches Beispiel der Überlagerung von Konzept und Baukonstruktion war die Entscheidung, im Rahmen des Umbaus der Kita Taka-Tuka-Land, in Anlehnung an die Figur der Pippi Langstrumpf, für eine robuste Holzrahmenkonstruktion und gegen ein filigraneres Stahlraumfachwerk, das nur von Fachleuten ausgeführt werden kann. (vgl. Abschnitt 7.2.5) 312 Kapitel 7.3 In unseren Projekten für Schulen und Kindergärten mussten wir uns oft mit den Rettungswege beschäftigen. Wenn überhaupt eine Einigung mit der Bauaufsicht zustande kann (was in einigen Fällen, in denen insbesondere die Schulflure für den Schulalltag aktiviert werden sollten, das Projekt schon scheitern ließ), musste der Entwurf nicht nur im Rahmen der Bauordnung, der DIN Normen und des Brandschutzes entwickelt werden, sondern auch nach den Regeln der Unfallkasse. Die meisten Herausforderungen stellte aber der Brandschutz: Wir erarbeiteten daraus aber auch hier keine Kompromisse, sondern Modelle, um die Nutzerwünsche in die Bedingungswelt des Brandschutzes zu übersetzen. So durften beispielsweise die Einbauten in den Schulfluren, aus Gründen des Brandschutzes, nicht brennbar und mussten so angeordnet werden, dass im Brandfall, wenn Kinder aus den Klassen stürzen, keine Einbauten im Weg sind, sondern diese im Gegenteil den Weg zum Notausgang leiten. Die Mindestrettungswegbreite musste, auch bei ausgeklappten Bauteilen, eingehalten werden und alle Bauteile mussten am Gebäude unverrückbar befestigt werden. Die Berliner Unfallkasse verlangte zusätzlich, dass alle Kanten 3 mm abgerundet werden. Ein weiteres Beispiel, wie die unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Anforderungen des Unfallschutzes und Brandschutzes umgesetzt wurden war die Spiegelgalerie „Kaleidoskop“ im Projekt „Silberdrachenschnaubwelten“. Nach den Bestimmungen des Brandschutzes hätten Kristallspiegel, die gleichzeitig den besten optischen Effekt boten, eingesetzt werden können, die Unfallkasse verlangt jedoch eine Unzerbrechlichkeit, und plädierte für eine hochreflektierende Folie, die außerdem kostengünstig war, aber nicht in nicht in einer brennbaren Qualität zur Verfügung stand. Deshalb wurde die teuerste Option, hoch reflektierendes Edelstahlblech, gewählt, um alle baurechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Die Kenntnis dieser Regeln gehört zur Expertise der Architekten, die sie mit den Fantasie- Auf die Eltern warten Eingang Überstand Attika 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 15 16 Heizung In den Blättern klettern Gruppenraum 1 Gruppenraum 2 Büro Gruppenraum 3 Gruppenraum 4 14 Abst. M Sitz Sitz Sitz Flur Limonadeninsel 12 Spinde Sitz 7 Spinde 17 Sitz Duschen M 21 Küche WC/Waschraum WC D 1 4 5 6 7 8 Toberaum 24 26 Glitzerhöhle Sitz 28 27 29 30 Die Borke bricht auf Fensteraufschlag 2 3 22 23 5 Spinde 25 Podest mit Kissen und Stauraum Sitz 19 20 Sitz Geheimgang (innen) 5 Spinde WC H Schlafen 18 Sitz 6 Spinde Sitz M 6 Spinde Gruppenraum 5 Höhe: 0,0m Oberlicht 8 Spinde M Sitz 10 Spinde 5 Spinde 4 Spinde 14 Spinde Oberlicht 31 32 Überstand Attika Waschküche Unter dem Apfelbaum träumen In LImonade eintauchen Abb. 7.3.2.3 (2) Kita Taka-Tuka-Land, durch das Verschieben der entscheidenden rauchdichten Türen konnte der Fluchtweg mit entsprechenden Anforderungen reduziert werden, Grundriss 1:200 verkleinert (ca. 1:280) Kapitel 7.3 313 und Wunschwelten der Nutzer in Einklang bringen müssen. Nur durch die Kenntnis der technischen und rechtlichen Regeln konnte das bestehende Brandschutzkonzept für das ebenerdige Gebäude der Kita „Taka-Tuka-Land“ zum Vorteil unseres Auftragebers kostengünstig verändert werden: Durch das Verschieben der entscheidenden rauchdichten Türen, konnte der Fluchtweg erheblich reduziert und die strenge Gruppenstruktur aufgebrochen werden, zugunsten luftiger Räumlichkeit und die Garderobenschränke wurden statt aus Metall, aus kinderfreundlichem Textil für das es keine baurechtliche Auflagen gab, ausgeführt. (Abb. 7.3.2.3 (2) Die Baupiloten) Abb. 7.3.2.3 (3) Carl-Bolle-Grundschule, „Der Spion im schimmernden Deckmantel“, denkmalgerechte Sanierung, die ehemalige Durchfahrt wird zum Aufenthaltsraum, TU Berlin 2008 Bei unseren Umbauten agierten wir auch sehr oft im Kontext des Denkmalschutzes. Für das Projekt der Galilei-Grundschule nahmen wir die konzeptionellen Ideen des von dem italienischen Architekten Gino Valle entworfenen Gebäudes auf und entwickelten diese mit Genehmigung des Sohnes von Gino Valle weiter. Für den Bau der Freizeitlandschaften in der Carl-Bolle-Grundschule leiteten wir aus den Kinderarbeiten das Konzept für den Umgang mit dem Denkmalschutz ab: Wie Schneewehen „schmiegen“ sich die Einbauten in den denkmalgeschützten Bereichen an die Wände in der Durchfahrt, die vor allem durch ein gekreuztes Tonnengewölbe geprägt wird. Die geforderte akustische Dämmung erreichten wir durch den Einbau von Sitzbänken und Ausstellungsvitrinen. Eine Schallschutzdecke hätte den Raum erheblich beeinträchtigt. Die Gestaltung animierte die Besucher außerdem, sich in dem Raum eher aufzuhalten, als durch ihn hindurch zu laufen. Damit ist der Raum erheblich ruhiger geworden. (Abb. 7.3.2.3 (3) Bitter) Erkenntnis • 314 Ein konzeptioneller Entwurfsansatz bedeutet, dass die Wunschvorstellungen der einzelnen Nutzer auf einer abstrakten Ebene vereinigt werden, um dann auf der architektonisch-baulichen Ebene konkretisiert zu werden. Kapitel 7.3 • Es gilt also das Leitbild, das Konzept oder die Geschichte im Kopf zu behalten und danach Entscheidungen zu fällen oder Alternativen dazu zu entwickeln 7.3.3 Fazit: Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität In die Entwurfsgrundlagen fließen die Erkenntnisse über die Wunschwelt der Nutzer, die Alltagsbeobachtungen durch die Baupiloten und die faktischen, programmatischen Anforderungen an das Bauwerk, wie sie von den Bauherren, den Einrichtungsträgern oder durch das Bauamt an das Projekt herangetragen werden, ein. Auch hier gilt es, weniger einen Konsens zu finden oder einen Kompromiss herzustellen, als eine einvernehmliche Basis für alle Beteiligten zu finden. Zumal diese nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen müssen. Um eventuelle Reserviertheiten oder auch Voreingenommenheiten, die bestimmte Professionen gegeneinander hegen, aufzulösen, empfiehlt es sich, ab und zu auch andere Wege der Zusammenarbeit zu gehen. Das in Leipzig angewendete, spielerische und integrative Verhandlungsverfahren, das wir in seinem Aufbau aus dem partizipativen, für das Projekt Siegmunds Hof entwickelten Planspiel abgeleitet haben, ist dafür ein positives Beispiel. Es hat gezeigt, dass Differenzen überwunden und produktiv umgesetzt werden konnten. Eine vertrauensvolle Einstellung und eine positiv ausgerichtete Haltung der Beteiligten und deren kontinuierliche Teilhabe am Prozess sind dafür eine Voraussetzung. Ist diese nicht gegeben, kann ein solches Verfahren beziehungsweise der ganze Partizipationsprozess scheitern. Die Wunschwelten der Nutzer und die programmatischen sowie faktischen Anforderungen an ein Bauwerk müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen, sie können sich auch gegenseitig beflügeln. Die daraus entstehenden Synergieeffekte sollten genutzt werden, um eventuelle Gegensätze zu überwinden oder Widersprüche aufzulösen. 7.4 Feedback und Evaluation der verwirklichten Welt In der Regel ist die Arbeit eines Architekten mit der Fertigstellung eines Gebäudes beendet. Ab und zu werden noch Mängel beseitigt, aber dann ist er aus seiner vertraglichen Verantwortung entlassen. Feedback kommt höchstens von der Tages- und Fachpresse. Dem Architekten werden darüber hinaus persönlich zustimmende Worte, manchmal auch Kritik zugetragen. Darüber hinaus wird er kaum noch mit den Folgen seiner Arbeit konfrontiert. Wie werden die fertiggestellten Räume erlebt? Wie werden sie angenommen? Eine Überprüfung der Nutzung im Gebrauch des Gebäudes findet in der Regel nicht statt. Kapitel 7.4 315 Für eine Optimierung der Planung wäre das aber sinnvoll und hilfreich. Hier stellt sich letztendlich die Frage, inwieweit Architekten an die Untersuchungsmethoden und das Instrumentarium von Post-Occupancy-Evaluations“ (POE) anknüpfen können, die Architekturpsychologen durchführen, um den Kommunikationsaustausch zwischen Nutzern und Planern hinsichtlich ihrer Architektur zu verbessern und damit auch ein Feedback für Architekten zu geben (Walden, 2008, S. 2f). Besonders wertvoll sind Reaktionen von Abb. 7.4 (1) Erika-Mann-Grundschule 2.BA, die EvaluaKindern. Sie sind oft direkter und unver- tion von 2010 ergab, dass der „Chillroom“ der„Chillroom“,Aufenthaltsbeliebteste fälschter, als die von Erwachsenen. Die raum nach dem Schulhof ist, 2008 Baupiloten haben die Reaktionen der Kinder zu vielen ihrer Projekte zusammengetragen. Einige der Reaktionen werden mit folgenden Fragenstellungen diskutiert: • Wie wird die in der Architektur verwirklichte Welt erlebt? • Entspricht sie den von den Nutzern vorgetragenen Wunschvorstellungen, die die Baupiloten zur Grundlage ihrer Planungen gemacht haben? Aufgrund der intensiven partizipativen Planung stellt sich bei den Projekten der Baupiloten insbesondere die Frage: • Was passiert, wenn eine neue Schüler- beziehungsweise Nutzergeneration kommt? Sehr aufschlussreich für die Frage, ob eine verwirklichte Architektur auch den Nutzerwünschen entspricht, war eine an der Erika-Mann-Grundschule durch die Schulleitung im März 2010 durchgeführte Evaluation der Baumaßnahmen der Baupiloten. Die Kinder sollten sie hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte einschätzen. Im 7. Jahr der „Silberdrachenwelten“ (erster Bauabschnitt) und im dritten Jahr der „Silberdrachenschnaubwelten“ (zweiter Bauabschnitt) wollte die Schulleitung herauszufinden, wie die Kinder die „ästhetische Alphabetisierung“, die sich die Schulleitung zum Ziel gesetzt hatte, mit ihrem Leben und Lernen in der offenen Ganztagsschule zusammenbringen (Babbe, 2010). Es wurden im März 2010 die Schüler der Erika-Mann-Grundschule mit der größten Raumerfahrung, mit Hilfe eines verteilten Fragebogens, befragt. 316 Kapitel 7.4 Es wurden fünf Fragen gestellt: 1. „An welchem Ort in Deiner Schule hältst du Dich am liebsten auf?“ 2. „Gibt es einen Ort, an dem Du gerne noch was verändern möchtest?“ 3. „Was macht Deine Schule für Dich besonders?“ 4. „Hast du irgendwo in der Schule Spuren hinterlassen können oder über die Gestaltung mitentscheiden dürfen?“ 5. „Hat sich der Aufwand gelohnt?“ Von insgesamt 192 Kindern antworteten 141 (73,4%) (Babbe, 2010) Als Antwort auf die erste Frage nannten die Kinder den Chillroom (34,7%) (Abb. 7.4 (1) Bitter), an zweiter Stelle nach dem Schulhof (48,9%), der Flur folgte an fünfter Stelle (14,5%), der Schnaubgarten folgte mit 14,2%. „ Der Ort, an dem ich bin, an dem die Kinder sich in ihren Bedürfnissen ausleben, sie ihren Interessen nachgehen können, sind dominiert vom Schulhof und dem Chillroom“ (Babbe, 2010). Als Antwort auf die dritte Frage, was die Schule für die Kinder besonders macht, wählten die meisten Kinder (19,8%) den Chillroom. Die vielen unterschiedlichen Antworten zeigen, dass die Kinder sehr viele verschiedene Identifikationspunkte in der Schule haben. Auf die vierte Frage antworten 39,7% einfach mit ja, sie haben Spuren hinterlassen können, spezifiziert wird am häufigsten die Bildergalerie (21,3%). „In jedem Fall erleben die Kinder sich sehr deutlich selbstwirksam. Und das bedeutet Identifikation mit dem Ort, an dem ich bin“ (Babbe, 2010). 81,6% der Kinder glauben, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Erkenntnis • Aufgrund dieser Befragung kann festgehalten werden, dass der Umbau der Schule von den Kindern angenommen wurde und sie viele ihrer Wunschwelten wiederentdecken konnten. Manche Räume, wie den „Chillroom”, sogar in erheblichem Maße. • Da an der Befragung auch Kinder teilnahmen, die nicht an den Planungen beteiligt waren, lässt sich feststellen, dass auch die Schule mit ihren umgebauten Räumen für sie einen hohen Identifikationsgrad hat. • Viele Kinder haben sich schon nach der ersten Transformation der Schule, nach der Schaffung der “Silberdrachenwelten” 2003 (Abb. 7.4 (2) Die Baupiloten) geäußert. Sie Kapitel 7.4 317 Abb. 7.4 (2) Erika-Mann-Grundschule 1.BA, „Silberdrachenwelten“, der musikalische Lehrpfad verbindet die vier belebten Flure, TU Berlin 2003 merkten an, dass sie durch die Gestaltung der Flure nun leichter ihre Freunde treffen als vorher. • Die Schulleitung konnte damals außerdem beobachten, dass die Lehrenden zunehmend ihre Klassen zum Flur öffneten, wodurch nun auch einen Austausch zwischen den Lehrern möglich wurde. Dazu passt eine Anekdote: Als wir das zweite Obergeschoss der „Silberdrachenwelten“ (Abb. 7.4 (3) Die Baupiloten) fotografieren wollten, sollte auch ein Foto ohne Kinder entstehen und sie wurden gebeten, aus dem Bild zu treten. Ein Kind kommentierte das gegenüber einem anderen mit den Worten: „Der Silberdrache will alleine fotografiert werden“. Sie verstanden den „Silberdrachen „als den freundlichen Geist ihrer Schule. 318 Kapitel 7.4 Abb. 7.4 (3) Erika-Mann-Grundschule 1.BA, „Silberdrachenwelten“, der Flur im 2.OG vor und nach der Transformation: „der Thron im Augenblick eines Flügelschlags“, TU Berlin 2003 Immer wieder wurde der „Silberdrache“ thematisiert und neu interpretiert. 2005 haben die Kinder Gedichte zu den „Silberdrachenwelten“ verfasst, als Beispiel sei das von Susanna zitiert: „Silberdrachen schimmern pink fliegen nicht laut sich bunt strecken Flügelschlag“ (Susanna) Der „Silberdrache“ wurde auch gebastelt: „Silberdrache Superstar“ (Abb. 7.4.2 (4) Die Baupiloten). Die Bastelarbeit zeigt deutliche Anknüpfungspunkte an die architektonische Transformation. Obgleich der „Drache“ an keiner Stelle des Gebäudes bildhaft in Erscheinung tritt, ist er doch präsent, vornehmlich in der Vorstellung der Kinder, die immer anders ist. Der Geist des „Silberdrachens“ ist also vor allem eine Anregung, die auch bei Kindern funktioniert, die den Silberdrachen erst kennenlernen und nicht daran mitgewirkt haben, ihn zu erschaffen. Die Reaktionen der Kinder in den Entwurfsphasen sowie nach der Fertigstellung haben bestätigt, wie wichtig es ist, die atmosphärische Wirkung der Architektur explizit in den Entwurfsprozess einzubeziehen und sie auch während des Baus stets zu reflektieren und zu kontrollieren, also die „gemessene“ und die „empfundene“ Architektur miteinander in Einklang zu bringen. So wurde die sinnliche Erfahrung in der Architektur ein essentielles Element der Kommunikation zwischen Nutzer und Architekt, deren Qualitäten sich sogar in den Gedichten und Geschichten der Kinder spiegeln. Die Schulleiterin der Erika-Mann-Grundschule, Karin Babbe, hält dazu fest: „In der Fantasie der Kinder schnaubt ein Drache durch die Schule und hinterlässt Spuren, die das Leben und Lernen befördern. Spuren, die für die Pädagogik des 21. Jahrhunderts zwingend sind. Orte wie Drachenhöhlen und Hochsitze dienen dem differenzierenden Lernen in Kleingruppen. Räume wie der „Schnaubgarten“ oder der „Chillroom“ werden ebenso für den Rückzug in die Innerlichkeit der vertiefenden Verdichtung des Gelernten benötigt wie für die Kommunikation mit Gleichaltrigen. Spuren der Helligkeit und des Lichts spiegeln Transparenz der Lernprozesse und Leistungsanforderungen wider. Spuren der Farbigkeit sind Ausdruck des fröhlichen und friedlichen Miteinanders.“ (Babbe, 2010) Die Erfahrungen in der Erika-Mann-Grundschule zeigen auch, dass sich sogar Schüler, die nicht in den Entwurfs- oder auch Realisierungsprozess involviert waren, mit der Architektur Kapitel 7.4 319 Abb. 7.4.2 (4) Erika-Mann-Grundschule 1.BA, Silberdrachenwelten, die Kinderbastelei Silberdrache Superstar knüpft an die architektonische Transformation an, 2004 320 Kapitel 7.4 identifizieren. Der „Silberdrache“ in der Erika-Mann-Grundschule gleicht einem Mythos, der von Generation zu Generation weitergereicht wird. Sein freundlicher Geist lebt in dem Gebäude weiter. Das war deutlich spürbar, als wir vier Jahre nach der ersten Baumaßnahme an der ErikaMann-Grundschule, die nächste durchführten. Der „Silberdrache“ existierte weiter in der Imagination der Kinder, auch wenn die Einbauten und die Architekturen unterschiedlich interpretiert wurden. Jedes Kind kann sich seine eigene Geschichte aus den „Silberdrachenwelten“ heraus weiterspinnen. In der zweiten Baumaßnahme hatten wir uns der Herausforderung gestellt, auch architektonisch den „Geist des Silberdrachens“ weiter zu entwickeln und zwar in einer Art und Weise, die die Schüler anregte, selbst Spuren zu hinterlassen. Beim ersten Umbau beschränkte sich die Veränderung auf die Bildergalerie, die sich durch das ganze Gebäude hindurchzieht. Jede Klasse hatte die Verantwortung für sechs Bilderrahmen übernommen, die halbjährlich von ihnen neu bestückt wurden. In der zweiten Baumaßnahme wurden die Bilder der Spiegelgalerie, in der sich die Kinder immer in Interaktion mit einem Mitschüler portraitieren lassen, einmal jährlich ausgetauscht. Auch in dem Chillroom können die Kinder immer wieder die großen raumbildenden „Blütenblätter“ im Rahmen einer Projektwoche anders bestücken oder „die Drachenschatzkammer“ – der Garderobenraum – hat inzwischen „Fabelwesen“ als „Schatzwächter“ hinzubekommen.“ (Babbe, 2010). Dies war allerdings so umfangreich nur möglich, weil für die beiden letzteren Räume keine Brandschutzanforderungen galten. Die Evaluation zeigt, dass für die Kinder der Erika-Mann-Grundschule die verwirklichte Welt keine enttäuschte Traumwelt ist, im Gegenteil, sie scheint die Imagination der Kinder anzuregen. Das gilt auch für spätere Kindergenerationen. 7.5 Fazit: Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie in der Praxis Räumliche Atmosphären wahrzunehmen, zu analysieren und zu kommunizieren hängt eng miteinander zusammen. Manches Mal werden sie uns erst bewusst, wenn wir versuchen, sie zu erkennen und zu kommunizieren, das heißt über sie zu sprechen, zu schreiben oder sie mit anderen Medien zu vermitteln. Architekten können sich diesen Umstand zu nutze machen, in dem sie gezielt versuchen, die Atmosphäre von Orten, an denen sie tätig werden, zu bestimmen und sich darüber klarzuwerden, welche Veränderungen sie mit ihren Bauwerken vornehmen und vornehmen wollen. Atmosphären lassen sich entwerfen, gestalten und herstellen. Dafür konnte ich in zahlreichen Seminaren unterschiedliche Methoden, die auf verschiedenen Kommunikationsebenen, von Kapitel 7.5 321 der reinen Text- und Bildebene, bis hin zur Ebene des atmosphärischen Erfahrungsraums, funktionieren, ausprobieren und neu entwickeln Die Erfahrung räumlicher Atmosphären funktioniert also nicht erst in räumlichen Strukturen, in Bauten, in guter Architektur, sie können auch mit Wort, Bild, Musik, plastischen Modellen und räumlichen Inszenierungen in unserer Vorstellung erzeugt werden. Für die Arbeit eines Architekten ist das essentiell, er kann mit dieser Fähigkeit Räume entwerfen und bauen. Aber er ist nicht der einzige, der diese Vorstellungskraft besitzt oder entwickeln kann. Er ist in dieser Beziehung ein Vordenker, ein Vorempfinder der Benutzung dieser Räume, im Namen des Nutzers, der sein Produkt nicht nur benutzen, sondern auch nachempfinden und sich damit identifizieren muss. Architektur wird, um es mit Walter Benjamin zu sagen, „taktil und optisch“ in ihrer Benutzung wahrgenommen und erhält daraus ihren Wert. Nutzer sind dafür Experten. Sie wissen, welche Umgebung sie zum Leben brauchen, auch in seinen unterschiedlichen Facetten, während der Arbeit, in der Schule, im Kindergarten und in anderen Lebenslagen, auch wenn sie nicht Architektur studiert haben und ihnen das manchmal auf Anhieb nicht bewusst ist. Sie können sich sehr wohl Vorstellungen über eine fiktive Welt machen, deren Atmosphäre bestimmen und sich darüber insbesondere mit Architekten austauschen. Diese können sich das zunutze machen, in dem sie ein auf den Austausch atmosphärischer Wirkung aufgebautes Kommunikationssystem mit dem Nutzer entwickeln. Ich habe im Rahmen des Studienprojektes die Baupiloten und meiner Büropraxis in diesem Zusammenhang ein partizipatives Entwurfsverfahren entwickelt, dass dem Nutzer und/oder dem Bauherrn zunächst die Möglichkeit gibt, seine eigenen Vorstellungen über die zu schaffende Architektur und insbesondere über ihre Atmosphäre zu entwickeln und zu kommunizieren. Dafür werden bewusst fantastische Wunschwelten erfunden, die vom Alltag und der realen Situation abgehoben sind, und in Bildcollagen, Modellen, Erzählungen oder räumlichen Inszenierungen festgehalten werden. Darauf folgt ein feinfühliger Dialog zwischen Nutzern und Architekten bzw. Architekturstudierenden, die den Nutzern mit ihrer Expertise und Kompetenz räumlicher Gestaltung auf atmosphärischer Ebene antworten. Dafür sind differenzierte Rückkopplungsverfahren entwickelt worden, in denen der Entwurf mit dem Nutzer bis in kleinste räumliche Details verhandelt und festgelegt wird. Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog dieser Art ist eine vertrauensvolle Begegnung von Nutzer und Entwerfer, in der jeder den anderen mit seiner Expertise und in den sich daraus ergebenden Rollen akzeptiert. Dabei spielt das Alter der Nutzer, ihre soziale Lage oder ihr kultureller Hintergrund nur insofern ein Rolle, als das die Kommunikationsverfahren darauf eingestellt und differenziert werden müssen. Die Verfahren müssen der besonderen Lage angepasst werden, der Versuch, patentierbare Rezepte zu entwickeln, scheitert. 322 Kapitel 7.5 Ein solches Kommunikationsverfahren ist auch mit einer Gruppe anonymer Nutzer oder stark fluktuierender Nutzer möglich. Auch hierfür sind Verfahren erprobt worden. Die Befragten und Teilnehmer entsprechender Initialworkshops werden dabei zu Stellvertretern einer nur ungenau zu umschreibenden Gruppe, beispielsweise von Studentenwohnheimbewohnern oder Bewohnern von Altenheimen. Bei diesen Verfahren machen sich die Baupiloten den Umstand zunutze, dass in den auf eine schärfer umrissene Gruppe keine auf bestimmte Personen bezogenen Entwürfe entstehen, die ausschließlich auf deren individuelle Wünsche bezogen sind. Auch hier sind die Gesprächspartner Stellvertreter einer Gruppe. Ein wichtiges Element dieser Kommunikation ist einerseits die Abstraktion der ersonnenen atmosphärischen Welten und sind andererseits die konkreten Wünsche nach atmosphärischen Wirkungen. Daraus wird in der Regel eine Geschichte, eine Erzählung erarbeitet, aus der ein architektonisches Konzept entwickelt wird. Daraus können die Architekten dann sowohl komplexe als auch detaillierte Entscheidungen ableiten. In dieses Konzept können dann programmatische Anforderungen, die vom Bauherren oder den Einrichtungsträger kommen, oder baurechtliche Bestimmungen, Anforderungen des Brandschutzes, des Denkmalschutzes oder von Unfallversicherungen und nicht zuletzt Anforderungen, die durch den finanziell gesetzten Rahmen entstehen in den Entwurf eingebracht werden. Die mit den Nutzern erarbeitete Geschichte und die darin kondensierten Erzählungen ihrer Vorlieben sowie das daraus entwickelte Konzept bilden das Rückgrat des Entwurfs, der dadurch flexible auf Anforderungen reagieren kann, ohne die Nutzer zu enttäuschen. Feedbacks und Evaluationen verschiedener Projekte haben den Erfolg dieser Methode bestätigt. Der Identifikationsgrad der Nutzer mit dem fertigen Bauwerk ist hoch. Kapitel 7.5 323 Schlussfolgerungen und Ausblick 8 8 8 Gesamtfazit und Ausblick 8.1 Fazit: Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie Die Auseinandersetzung mit und die empirischen Untersuchung zu den Themen, räumliche Atmosphären, Wesenszüge des architektonischen Entwurfes, Kommunikation zwischen Architekten und Architekturlaien und Formen der Nutzerpartizipation haben gezeigt, dass eine Kommunikation über und durch Atmosphären in einem partizipativen architektonischen Entwurfsprozess eingesetzt werden kann. Architekten können sich mit ihrer Hilfe die Basis eines robusten Wissens über die Wünsche und Ansprüche der Nutzer an die Qualitäten der zu bauenden oder umzubauenden Räume schaffen. Dafür sind Partizipationsformen notwendig, die einen interaktiven Austausch zwischen Architekten, als Experten für die Formfindung und Raumgestaltung, einerseits und Nutzern, als Experten der Raumnutzung andererseits, gewährleisten. Diese müssen eine vertrauensvolle Kommunikations- und Interaktionsebene zwischen dem Architekt und den Nutzern erreichen. So können sie verhandeln und sich verständigen, auf eine Fiktion räumlicher atmosphärischer Qualitäten, die zur Grundlage eines abstrakten architektonischen Konzeptes wird. Dieses Konzept ist wiederum die Grundlage für den architektonischen Entwurf. Der Architekt erhält eine tragfähige Basis für die Parameter seiner Planung. Der Nutzer kann sich nicht nur in den Entwurf einbringen, sondern auch daran mitwirken und sich gleichzeitig der Kompetenz des Architekten versichern und bedienen. Der architektonische Entwurfsprozess wird so als sozialer, atmosphärischer und technischer Erkenntnisprozess gestaltet und erhält dadurch in der Vielzahl seiner Anwendungen gesellschaftliche Relevanz. Das abstrakte Konzept der Architektur (auf das sich Nutzer und Architekt nachvollziehbar verständigt haben) eröffnet dem Architekten den notwendigen Spielraum, Baukörper und Bauvolumen, Materialien, Konstruktionsweisen, Oberflächenfarben und dergleichen auch nach entsprechenden Anforderungen (aus dem Baubudget, dem öffentlichen Baurecht, der Bauordnung, Energieeinsparungs-, Brandschutz- und Denkmalschutzbestimmungen etc.) zu entwickeln und einzusetzen, ohne von der mit dem Nutzer vereinbarten Grundlinie des Entwurfes abweichen zu müssen (vgl. Abschnitt 7.3.2). Enttäuschte Erwartungen und durch die Beteiligung der Nutzer unnötig aufgebaute Zwänge können so vermieden werden. Das zeigen die behandelten Fallbeispiele. Diese Arbeit hat sich auf die Partizipation am architektonischen Entwurf konzentriert. Auf 326 Kapitel 8.1 einen Partizipationsprozess an städtebaulicher Planung können ihre Ergebnisse nur bedingt angewendet werden, da es hier stärker um die Verhandlung eines einvernehmlichen Vorgehens geht, und weniger um Formfindung (vgl. Abschnitt 5.4.2). 8.2 Ausblick Aus den mit dieser Arbeit gewonnen Erkenntnissen konnten nicht nur Antworten auf die herausgearbeiteten Fragen gegeben werden, es ergaben sich auch neue Perspektiven für die Forschung und für die Lehre. Für die Berufspraxis von Architekten können aus der Arbeit Empfehlungen abgeleitet werden. Diese Empfehlungen beziehen sich vor allem auf den Ansatz des Entwurfes und die Praxis der Kommunikation zwischen Architekten und Architekturlaien, der als eine erweiterte Grundlagenermittlung angesehen werden kann. Die so veränderte Entwurfshaltung betrifft auch die Form des Wettbewerbswesens, das eine Reform braucht, wenn partizipatorische Ansätze in den Entwurf, beispielsweise von öffentlichen Gebäuden, Eingang finden sollen. Für die Lehre hat sich mit dieser Arbeit im Wesentlichen bestätigt, dass für die Architektenausbildung ein enger Praxisbezug wichtig ist. Er schärft nicht nur den Realitätsbezug der Studierenden und die Relevanz ihrer Entwürfe. Für die Lehre partizipativer Entwurfsstrategien ist der Praxisbezug unabdingbar. Sie braucht ein konkretes „Gegenüber“ mit realen und unter Umständen auch sehr unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen. Das kann nicht simuliert werden. Aus dem insbesondere bei den Baupiloten praktizierten Ansatz des forschenden Entwerfens (Design by Research / Research by Design, vgl. Abschnitt 7.0) ergibt sich auch eine Perspektive für die Entwurfsforschung. Der Entwurfsansatz impliziert einen interdisziplinären reflexiven Arbeitsansatz, der die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den jeweils relevanten Disziplinen nahelegt. Dabei kann es sich sowohl um eine Erforschung von Grundlagen als auch um eine evaluierende Begleitung des architektonischen Entwurfs handeln. Dazu im Einzelnen: 8.2.1 Perspektivische Entwicklung für die Forschung Die für diese Arbeit angestellten Forschungen sind nach dem Prinzip des forschenden Entwerfens mit der Lehre verknüpft (vgl. Abschnitt 7.0) und in Übungen und in Fallbeispielen durchgeführt worden, die konkret auf die Bauaufgaben bezogen waren. Daraus ergaben sich Querverbindungen beispielsweise zur Psychologie, zur Soziologie, zur Hirnforschung oder zur Pädagogik. Um eine umfangreichere Reflektion der im Rahmen des Projektes Die Baupiloten entwickelten Arbeitsansätze zu gewährleisten, sollte eine begleitende kooperative Kapitel 8.2 327 Arbeit mit Experten der erwähnten Disziplinen (und eventuell auch anderer) eingerichtet werden, um weitere Grundlagen der Entwurfsforschung zu erarbeiten und um die Entwurfspraxis der Baupiloten als universitäre Einrichtung mit Laborcharakter reflexiv zu begleiten und dabei den Erfolg der eingesetzten Methoden und Instrumente überprüfen und schärfen zu können. Die im Rahmen der Arbeit im Sinne des forschenden Entwerfens herausgearbeiteten Schnittstellen zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen könnten so interdisziplinär vertieft werden. Beispielsweise in der Art des pädagogischen Konzeptes „Entdeckendes Lernen“, das im Projekt der Carl-Bolle-Grundschule räumlich-gestalterisch umgesetzt wurde und so wiederum Ausgangspunkt pädagogischer Untersuchung werden könnte. (vgl. Abschnitt 7.3.2.1) 8.2.2 Perspektivische Entwicklung für die Lehre Lehre und Forschung stehen, das haben die Untersuchungen zu dieser Arbeit gezeigt, in einem eigenen, sich gegenseitig befruchtenden Verhältnis. Die Sensibilisierung der Studierenden für die Raumwahrnehmung, insbesondere die Wirkung räumlicher Atmosphären und die Kommunikation über und durch Atmosphären sowie der Entwurf von räumlichen Atmosphären sollte grundlegender Teil der Architekturausbildung sein. Gleiches gilt für die Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie, hier insbesondere die Partizipation, das heißt die Kommunikation mit dem Architekturlaien sowie die interdisziplinäre Kommunikation mit den fachverwandten beziehungsweise jeweils für das Projekt relevanten Experten, eben auch den Architekturpsychologen, Soziologen, Pädagogen etc. Den Studierenden wird mit dieser interdisziplinären Erweiterung die Tragweite und die gesellschaftliche Relevanz ihres zukünftigen Berufsfeldes deutlich gemacht. Unabdingbar ist dafür der Praxisbezug, der den Studierenden unter anderem auch im Austausch mit den Nutzern, also meist mit Nicht-Architekten, konkret verdeutlicht, welche Relevanz Architektur hat. Dieser Austausch ist nicht zu simulieren und braucht daher einen konkreten Praxisbezug mit realen Aufgaben, realen Bauherren und realen Produkten ihrer Arbeit, in diesem Fall gebauten Räumen. Die Untersuchungen zu dieser Arbeit beruhen auf den Projekten der Baupiloten, die für einen Diplomstudiengang konzipiert wurden. Damit die Studierenden an abgeschlossenen Projekten arbeiten konnten, wurden relativ kleine Bauvorhaben ausgewählt, die in einem Jahr zu bearbeiten waren. Um die praxisbezogene Arbeit in der Architekturausbildung auf das Bachelor-/Mastersystem umzustellen, das mit Zeitintervallen arbeitet, die ein Semester kaum überschreiten, müssen entweder noch kleinere Projekte ausgesucht oder eine geeignete Teilung der Projekte, mit geregelter Übergabe an die nachfolgenden Studierenden gefunden werden. Außerdem wurden die Arbeiten in kleinen Gruppen von Studierenden durchgeführt. Für die Anwendung in großen Gruppen sind lediglich erste Erfahrungen gemacht 328 Kapitel 8.2 worden, die noch vertieft werden sollten. Dabei hat sich gezeigt, dass Arbeiten dieser Art in einem Bachelorstudiengang einen aufwändigen inhaltlichen und organisatorischen Vorlauf erfordern. Das wesentliche Arbeitsprinzip der Baupiloten ist das forschende und reflexive Entwerfen (Research by Design / Design by Research). Neben den schon erwähnten Schnittstellen, die sich mit diesem Ansatz zur Entwurfsforschung und zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen ergeben, zeigt sich auch ein besonderer Ansatz für die Lehre. Wie es Jeremy Till herausgestellt hat, ist das Entwerfen kein eindimensionales Lösen von Problemen, sondern ein Prozesses der Erkenntnis, der Erfahrung und der Reflexion, der durch Kreativität zu einem komplexen Angebot von Lösungsmöglichkeiten führt (vgl. Abschnitt 5.4.3; Abschnitt 5.6). Diesem Prinzip folgt der Arbeitsansatz der Baupiloten und die damit verbundene Entwurfslehre dieses Studienmodells. (vgl. Abschnitt 7.0) Die Nutzerpartizipation im architektonischen Entwurfsprozess ist ein Katalysator, um die Architekturpraxis neu zu überdenken, dieser Prozess muss auch in der Architekturlehre seinen Niederschlag finden. Die praxisbezogenen, partizipativen Projekte werfen dabei stets die Frage nach dem Rollenverständnis des Architekten auf, der auf Nutzeranforderungen oder Nutzervorstellungen flexibel und der Situation angemessen reagieren muss (vgl. Abschnitt 5.6). Bei den Versuchen, das Berufsfeld des Architekten mit einer Nutzerpartizipation am Entwurf neu abzustecken und das berufliche Selbstverständnis neu zu bestimmen, darf die Vermittlung der beruflichen Kernkompetenzen des Architekten (vor allem die der Konstruktion und der Gestaltung von Raum sowie der Formfindung) nicht verlorengehen. Die architektonische Ästhetik, in die die atmosphärische Raumwirkung einbezogen ist, wird dabei nicht allein aus der eigenen Überzeugung heraus entwickelt, sondern aus der übereinstimmenden Überzeugung von Architekt und Nutzer. Die Studierenden realisieren die Projekte im besten Fall ab Programmfindung beziehungsweise Aufgabenstellung bis zur Umsetzung und Nutzung der Bauwerke. Mit der Auftragsakquise und den damit verbundenen Risiken kommen die Studierenden genausowenig in Kontakt, wie mit den Fragen der Haftung und der Versicherung dieser Risiken. Ein Modell, wie die Baupiloten, kann nur betrieben werden, wenn der Lehrende gleichzeitig ein Architekturbüro wirtschaftlich tragfähig unterhält und Projekte akquirieren kann, die sich auch als 1:1-Studienprojekte eignen. Er muss gleichzeitig bereit sein, die Haftung für diese Projekte zu übernehmen. Auch aus diesem Grund ist es ratsam, eine praxisorientierte Entwurfslehre, im 1:1-Format, in einem Masterstudiengang, am Ende des Architekturstudiums anzubieten. Kapitel 8.2 329 8.2.3 Ausblick für die Berufspraxis von Architekten Eine Gesellschaft von in zunehmendem Maße emanzipierten Menschen beansprucht immer stärker auch die Teilhabe an der Gestaltung ihrer gebauten Umwelt. Ihre Partizipation wird für den architektonischen Entwurfsprozess immer mehr relevant. Gleichzeitig wird die Rolle von Experten (beispielsweise von Architekten) immer stärker infrage gestellt. Architekten haben immer öfter mit Vorwürfen zu kämpfen, ihre Arbeit würde sich von den Bauherrenund Nutzerwünschen zu sehr abheben und nur ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Ob sich Architekten isolieren und damit dem Vorwurf der Arroganz und Selbstverliebtheit aussetzen oder ob sie sich im Entwurf den Nutzern in einem Mitwirkungsprozess öffnen, ist zu einer existenziellen Frage geworden. Die genaue Erkundung von Nutzerwünschen und Nutzervorstellung über den Gebrauch von Gebäuden sowie eine gut funktionierende Kommunikation zwischen Nutzern und Architekten sind wesentliche Grundlagen für eine Sicherung der Entwurfsqualität und eine nachhaltige Nutzung der Gebäude, die durch die Zufriedenheit und das Wohlbefinden ihrer Nutzer fundiert werden. Die erhöhte Identifikation der Nutzer mit dem Gebäude trägt zu deren Wohlbefinden bei, was für Schulen und Kindergärten auch einen pädagogischen Mehrwert ergibt. Die Identifikation des Nutzers mit dem Gebäude kann zudem auch zu einem schonenden Umgang mit dem Gebäude führen und den Aufwand von Reparaturen unter Umständen verringern. Auch dies kann als ein durch Partizipation zu erreichender Mehrwert gewertet werden. Eine partizipativ entwickelte Architektur kann also durch die, mit steigender Akzeptanz der Nutzer geringeren Anpassungsarbeiten und die geringere Reparaturanfälligkeit, als nachhaltig angesehen werden. Indem Konflikte im Vorfeld schon behandelt und geklärt werden, ergibt sich auch ein zeitsparender Planungsprozess. Die in Kapitel 7 vorgestellten Fallbeispiele entstanden auf der Grundlage meiner Kooperation als freie Architektin mit der Technischen Universität Berlin, die in diesem Zusammenhang als experimentelle Arbeit und als Ausnahme von der sonstigen beruflichen Praxis gesehen werden muss. Diese bietet Chancen, Kommunikations- und Partizipationsmethoden zu verfeinern, auch um sie in den Alltag eines Architekturbüros einzubringen, der ohne den universitären Hintergrund auskommen muss. In der allgemeinen Praxis eines Architekturbüros muss die Arbeit mit dem Nutzer als eine Grundlagenermittlung des Entwurfs gesehen werden sowie als eine Erweiterung des Betätigungsfeldes von Architekten. In dieser Form ist sie nach in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) nicht vorgesehen, wird entsprechend nicht vergütet und muss deshalb mit dem Bauherren gesondert verhandelt werden. Dabei ist auf Seiten der Architekten zunächst Offenheit für die Nutzerwünsche Voraussetzung, um eine zielgerichtete Kommunikation, Nutzerbeobachtung und eine Hospitation seines Alltages einzurichten. Es 330 Kapitel 8.2 müssen strategische Prozesse konzipiert werden, um Kommunikationshindernisse zu überwinden und nutzerspezifische, niedrigschwellige Interaktionsebenen einzurichten, die unter Umständen auch durch „Übersetzer“ entwickelt werden können. Das können besonders geschulte Mitarbeiter im Büro sein oder bei der Arbeit mit Jugendlichen, auch junge Menschen, die deren Lebenswelten noch nahe sind und zwischen Jugendlichen und Architekten vermitteln. Die Nutzerbeteiligung sollte dabei also als eine Fundierung des Entwurfsansatzes verstanden werden, nicht als eine Irritation oder Verwässerung der „reinen“ Idee. Die Nutzerbeteiligung kann eine robuste Entwurfsbasis schaffen, die zu einer hohen Nutzungsrelevanz des Entwurfes und zu einem hohen Identifikationsgrad der Nutzer mit der Architektur führen kann. Wesentliche Konflikte, die erst während des Bauens oder nach Fertigstellung des Bauwerkes auftreten, können so schon in der Entwurfsphase geklärt werden.Wesentlich ist hier auch die aufgebaute Vertrauensbasis zwischen Nutzer, Bauherr und Architekten, die im Sinne eines gleichseitigen Dreiecks gleichberechtigt sein sollte. Durch geeignete Kommunikationsinstrumente kann eine solche Vertrauensbasis auch auf andere Kooperationsfelder übertragen werden (vgl. Abschnitt 7.3.2.2). Prinzipielle Voraussetzung ist die Bereitschaft des Bauherren, des Bauverantwortlichen, des Einrichtungsträgers oder schlicht des Geldgebers, sich auf Partizipationsverfahren einzulassen, besser eine Nutzerbeteiligung für sinnvoll zu erachten. Aber auch die Nutzer müssen an ihre eigene Selbstwirksamkeit glauben. Nur so kann die Zusammenarbeit zwischen Architekt, Nutzer und Bauherr fruchtbar sein. Evaluation Für die berufliche Praxis des Architekten und die Zufriedenheit der Nutzer wäre es bereichernd, wenn die architektonische Beratung, auch über die Fertigstellung des Gebäudes hinaus, im Sinne einer letzten Rückkopplung im Entwurfsprozess, als Evaluation der Nutzung, durchgeführt würde und in regelmäßigen Zeitabständen nach der Inbetriebnahme des Bauwerkes erfolgte. (vgl. Abschnitt 7.4) Siehe dazu auch die perspektivische Entwicklung der Forschung. In der architektonischen Praxis kann das auch die Fortführung der auf gutem Vertrauen basierten Zusammenarbeit zwischen Architekt, Bauherr und Nutzer sein. Hieraus können Hinweise auf Korrekturen oder neu entstehende Defizite gewonnen werden, die eine neue architektonische Anpassung einleiten könnten. Auch Gebäude müssen nachjustierbar sein. So sollte nicht der Nutzer beispielsweise seinen Sicht- oder Sonnenschutz anbringen müssen, sondern der Architekt sollte ihn auch bei dieser Nachjustierung begleiten können. Mit der Übergabe des Gebäudes an den Bauherren sollte die Arbeit des Architekten also nicht beendet sein müssen, es gibt die Chance der Korrektur und der Ergänzung. Kapitel 8.2 331 Wettbewerbsverfahren Ein partizipativer Entwurfsansatz ist prinzipiell für alle Bauaufgaben sinnvoll, allerdings in unterschiedlicher Intensität und Ausrichtung der Partizipation. Was im Wohnungsbau, beim Bau von Schulen und Kindergärten und anderen sozialen Einrichtung gilt, gilt für Museen, Fußballstadien, Konzerthallen unter Umständen nur bedingt. Es könnte allerdings erhellend sein, neben dem Betreiber der Einrichtungen, Erfahrungen von Hausmeistern, Platzwarten und ähnlichen Bediensteten aber auch die in der Regel anonymen Besucher und z.B. Fußballfans bei dem Bau eines Stadiums zu Rate zu ziehen und dabei auch die zu berücksichtigen. Die Partizipation von Nutzern am architektonischen Entwurf erscheint vor allem dann sinnvoll zu sein, wenn ihr direktes Umfeld in der Wohnung und ihrer Umgebung, im Kindergarten, in der Schule oder im Altenheim betroffen ist. Es könnte ein Verfahren für einen integrativen Entwurfsprozess von öffentlichen Gebäuden entwickelt werden, wenn Nutzergruppen gefragt werden sollen und diese auch für einen Partizipationsprozess erreichbar sind. Die Partizipation sollte jeweils situationsabhängig konzipiert und durchgeführt werden. Das für die Konkurrenz unter Architekten übliche anonyme Verfahren von Wettbewerben schließt an sich einen Kontakt zum Nutzer aus und sollte im Hinblick auf eine partizipatorische Entwurfspraxis überdacht werden. Architekten können einen partizipativen Entwurf nicht ohne den Nutzer entwickeln. Der Partizipationsprozess sollte nicht vom Entwurfsprozess abgekoppelt werden. In der Regel können Partizipationsverfahren, die im Vorfeld von Wettbewerben veranstaltet werden, keine tragfähige Basis für eine Mitwirkung am späteren Bauprojekt liefern, weil das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Nutzern und Architekten nicht aufrecht erhalten werden kann und gewonnene Erkenntnisse über Kommunikationsmedien vermittelt und nicht persönlich in den Entwurfsprozess eingebracht werden müssten. Der intuitive Entwurfsprozess ist unterbrochen. In unserem Erfahrungsbereich wurde das am Partizipationsprozess der Weiterführenden Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) in Berlin-Mitte deutlich. (vgl. Abschnitt 7.2.4.6) Der Wettbewerb sollte von der Entwurfsebene auf das Auftragsvergabeverfahren verlegt werden. Ähnlich wie bei so genannten VOF-Verfahren (Vergabeverfahren nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen), bei der die Qualifikation durch wirtschaftliche und personelle Tragfähigkeit des Büros, Erfahrungen mit der Bauaufgabe usw. nachgewiesen werden müssen, sollten in einem solchen Verfahren auch die soziale Kompetenz der Architekten, ihre Kommunikationsfähigkeit und ihre Erfahrungen mit der Nutzerpartizipation nachgewiesen und bewertet werden. Um dem Nutzer beziehungsweise dem Bauherrn die Möglichkeit zu geben, eine Auswahl unter den Architekten zu treffen, sollte eine Präsentation der Arbeitsansätze durch die Architekten und eine anschließende Auswahl durch den Bauherrn/Nutzer erfolgen. Dabei soll auch der entwurfsbezogene Partizipationsansatz der Konkurrenten berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich ein vergleichendes Verfahren, in 332 Kapitel 8.2 dem konkurrierende Büros ihre Qualifikation präsentieren, nicht ihren Entwurf. Die Bearbeitung des von mir gewählten Themas „Atmosphären als partizipative Entwurfsstrategie“ setzt einen Anfang für die Untersuchung partizipativer Entwurfsstrategien im architektonischen Entwurfsprozess. Da die Teilhabe von Nicht-Architekten an der Gestaltung ihrer gebauten Umwelt aber erst in Anfängen diskutiert ist, ergibt sich hier noch ein breites Betätigungsfeld für die Entwurfsforschung, die berufliche Praxis von Architekten und ihre universitäre Ausbildung. Kapitel 8.2 333 Steckbriefe 9 Die aussagekräftigsten Projekte der Baupiloten und meiner eigenen architektonischen Praxis, aus denen ich einen Erkenntnisgewinn ziehen konnte, wurden als Fallstudien Teil der vorliegenden Dissertation. Darin habe ich vier verschiedene Typen der Partizipation unterschieden, nach dem Alter der Nutzergruppen, aber auch danach, wie die Nutzer angesprochen werden konnten, das heißt, ob eine direkte Ansprache und Arbeit mit den Nutzern möglich war oder ob es sich dabei um eine anonyme Gruppe oder um eine mit hoher Fluktuation handelte. Im folgenden Abschnitt „Steckbriefe“ wurden diese Projekte hinsichtlich ihres spezifischen Partizipationsprozesses ausgewertet. 337 Erika-Mann-Grundschule, 2. Obergeschoss. Der Thron im Augenblick eines Flügelschlages SILBERDRACHENWELTEN (PROJEKTDATEN) Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren vorher/nachher Bauvorhaben Modernisierung Erika-Mann-Grundschule, Bauabschnitt 1 (2003) Utrechter Straße 25-27, 13347 Berlin-Wedding Schulprinzipien: Theaterbetonung, Selbstbestimmtes Lernen (jahrgangsübergreifend 1/2, Binnendifferenzierung als Prinzip, differenzierte Klassenarbeiten, Schülerselbsteinschätzung), Schule für den ganzen Tag. 584 Kinder aus unterschiedlichen Schichten (84% der Elternhäuser der Kinder leben unter der Armutsgrenze), Kinder aus 22 unterschiedlichen Nationen (82% Schüler mit Migrationshintergrund) (Stand 2011, www.erika-manngrundschule.com) Bestand Ludwig-Hoffmann-Gebäude von 1915, denkmalgeschützt, Erdgeschoss und drei Obergeschosse, Stadtschule, einhüftige Anlage Bauaufgabe Umgestaltung und Modernisierung der Flure, Treppenhäuser und des Lichthofes (Taubenabwehr) Garderoben (Vorbeugemaßnahme gegen Kriminalität) und unterschiedliche Sitzgelegenheiten und Nischen auf den Fluren, um eine Rhythmisierung des Unterricht, kleine Lerngruppen etc. zu ermöglichen. Finanzierung Förderung: Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“, EU, BRD u. das Land Berlin im Rahmen des Programms für „Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“ Bauherr Schulverwaltung, Bezirk Mitte Projektbeteiligte Quartiersmanagement Pankstraße, Förderverein, Schulleitung, Lehrer, Schülerparlament, Hausmeister Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 2-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Im ersten Bauabschnitt wurden die weiten Verkehrswege unter Berücksichtigung des Brandschutzes als zusätzliche Lern- und Lebensräume für das Lehrkonzept der Rhythmisierung und Öffnung der Klassenräume erobert. Die gemeinsam mit den Schulkindern entwickelte Fiktion einer „Silberdrachenwelt“ wird in der Architektur umso expressiver und spürbarer, je weiter man sich in das Gebäude hinein und in ihm hinauf bewegt. Der Umbau setzt somit Auflagen des Denkmalschutzes auf spielerische Art um. Sitz- und Garderobenelemente aus unterschiedlichsten Materialien tauchen jedes Geschoss in eine individuelle Atmosphäre und schaffen gleichzeitig Raum für differenzierten Unterricht in kleinen Gruppen. Das Treppenauge wird zu einem musikalischen Lehrpfad, eine Bildergalerie präsentiert hier die Arbeiten der Kinder. 339 Spürbar sinnlich Die Architekturen umschreiben in den einzelnen Etagen die unterschiedliche Präsenz des imaginären Drachens: Erdgeschoss: Sternenstaubtauchen: Über den gelb-grün lackierten Metallmöbeln wachsen Pflanzen unter violettem Licht und bieten dem Drachen einen Schlafplatz. Erstes Obergeschoss: HauchSanftSein: Zwischen den leichten, transluzenten Schleiern der Decke und den schimmernden, textilen Garderobenschränke wird der Atem des Drachens spürbar. Zweites Obergeschoß: Ein Thron für den Augenblick eines Flügelschlages: Gruppen von 4 Kindern sitzen in aufklappbaren Sitzlandschaften wie in der Flügelbeuge des Drachens, lesen dort, arbeiten und diskutieren. Drittes Obergeschoß: Mit dem Drachen fliegen: Die Schulkinder lernen in kleinen Gruppen zwischen leuchtenden und metallenen Drachenschweifen. Die integrierten Garderoben- und Sitzmöbel schaffen Raum für differenzierten Unterricht in kleinen Gruppen. SILBERDRACHENWELTEN Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Lageplan Einweihung 03.11.2003 mit Berliner Symphonikern Interdisziplinäres Team Architektur Die Baupiloten: Frank Drenckhahn, Johannes Gutsch, Gordana Jakimovska, Nils Gordana Jakimovska, Nils Ruf, Walter Ruf, Urs Urs Walter nur Entwurf: Karen Behrendt, Olga Dementieva, Sandra Grün- Entwurf: Karen Behrendt, Olga Dementieva, Sandra Grün wald, Alexandra Heine, Lehna Rehberg, Malte Scholl Projektleitung: Susanne Hofmann Experten TU Berlin: Dr. Ing. Widjaja, FG Prof. Dr.Dr. Rückert (Tragwerkslehre), R. Ing. Widjaja, FG Prof. Rückert (Tragwerkslehre), R. Ross (Brandschutz), Dr. Ing. Schmits, FG Prof. Kaase Ross (Brandschutz), Dr. Ing. Schmits, FG Prof. Kaase (Lichtpla (Lichtplanung), Dr. A. Rosemann, FG Prof.(Tageslichtplanung), nung), Dr. A. Rosemann, FG Prof. Kaase Kaase (Tages- lichtplanung), Dipl. Ing.Prof. Dr. Hirche (CAD), Hirche Brunk Dipl. Ing. Gräbener, FG Gräbener, FG Prof. Dr. Prof. Dr. (CAD),Weckner, Brunk und O. Weckner, Institut für Mechanik und O. Prof. Dr. Institut für Mechanik Experten extern: Klangwerkstatt Bernhard Deutz Bauausführung Ein Großteil der Ausführung wurde von Häftlingen der Justizvollzugsanstalt Tegel und Lichtenberg in Berlin, von Behindertenwerkstätten und Ausbildungswerken für benachteiligte Jugendliche übernommen. Effekt Partizipation / Architektur Klassen und Lehrer öffnen sich / Identifikation der Schüler mit ihrer Schule, Präsenz im Kiez „So hatte ich mir Projekte im Programm „Soziale Stadt“ gewünscht. [...] Das Projekt bietet ein modellhaftes Beispiel für eine Vernetzung und Kooperation unterschiedlicher Akteure im Kiez“ (Peter Strieder, Senator für Bauen, Wohnen Umwelt, Verkehr) Die neue Architektur unterstützt die Schule, Sprach- und Kulturbarrieren zu überwinden und das Gebäude mit seinem vielfältigen Angebot als Bildungszentrum für alle Bürgerinnen und Bürger in den Kiez integrieren. Auszeichnung runner up contractworld award, 2007 Nationaler Preis Soziale Stadt, 1. Platz 2005 Rabe des Monats, 2005 ar+d Young Emerging Architect Award, 2004 341 I2 Der heiße Garten Merve, Achim Ein Weg durch den Garten der Zukunft: die Schüler waren aufgefordert aus der Bildersammlung fünf, die ihnen aufgrund der gezeigten Atmosphäre gefielen oder interessierten, herauszunehmen, um sie dann entsprechend des Interesses und Struktur der Bilder auszuschneiden und auf einem schwarzen Karton zu ihrem Garten der Zukunft zusammenzukleben. Abschließend sollten die Kinder einen beschreibenden Titel finden und die Geschichte, die in der Collage steckte, beschreiben. Merwe und Achim Der heisse Garten oder der Feuergarten R1 Schüler als Gastkritiker Da ist ein gemütlicher Platz im Garten, vielleicht ein Schlafplatz in der Mitte. Hier kann ich viele verrückte Dinge tun. Um mich herum dampft es neblig und ein riesiger Sandsturm kommt auf: Man sieht Lava aufsprühen – stachelig und heiß. Aber ich kann mich im kalten Wasser abkühlen. Nachdem ich durch das Feuer gegangen bin, erscheint mir alles glühend rot aber auch kühl und blau. Nach einer Schatzsuche kann ich, ganz verschwitzt durch die Hitze, im Nebel schwimmen gehen. Ein Geheimgang führt mich durch das Wasser hindurch, in dem Delphine mit mir schwimmen und auf mich hören. In den Klebebildern entstanden im Zusammenspiel mit dem fantasiereichen Titel und Geschichte immer eine eigene Wunschwelt, z.B. „der Weltraumgarten“, in dem alles fliegt oder „der heiße Garten oder der Feuergarten“. Diese Welten bildeten den Entwurfseinstieg für die Studierenden, die herausgefordert waren, die atmosphärischen Qualitäten zu verstehen und in dem Medium der Collage und Modell herauszuarbeiten. R4 Grundlage für das Projekt Ste rne nstaubtauche n von Johannes Gutsch und Nils Ruf Der Thron im Augenblick des Flügelschlags SILBERDRACHENWELTEN R1 FIKTION I2 R2 R3 R4 03 2002 I1 I1 04 05 06 07 R5 08 Heimat März 2002 | Klassen 22 Schüler, Lehrer DIN A3 Papier, Buntstifte 09 10 03 2003 05 Schüler als Gastkritiker Mai 2002 | Aula Schule 22 Schüler, 11 BP Collagen, Modelle informelle Diskussionen, Prototypen testen Projektszenarien Juni 2002 | Schule 22 Schüler, Lehrer, 11 BP Konzeptionelle Modelle Prototypen u. „Sensationscollage“ Juli 2002 | am Ort des Eingriffs 22 Schüler, Lehrer, 11 BP, QM Prototypen, Sensationscollagen R4 Diskussionen, Präsentation, Testen Bürgerjury Oktober 2002 | Quartiersbüro SH, 12 Bürger, QM Projektbroschüre Reflektionen 2004 | Klassen Schüler, Lehrer Papier, Stifte, Bastelmaterialien R6 Gedichte, Modelle, u.a. Silberdrachensuperstar Präsentation Zeit | Ort Beteiligte Material 2004 Testen Wahrnehmungsmodelle Mai 2002 | Werkstatt 22 Schüler, Lehrer, 11 BP Wahrnehmungsmodelle R2 Diskussion R5 09 Collagen Frontalpräsentation, Diskussion R3 08 R6 Workshop Wunschvorstellungen 26.4.2002 | Werkraum 22 Schüler (9-13), Lehrer, 11 BP Schwarzer Karton DIN A 2, ca. 150 Bilder I2 Zeichnungen R1 07 F E R T I G S T E L L U N G BAUBEGINN AUSFÜHRUNGSPLANUNG ENTWURF BAUPHASEN FIKTION VORENTWURF Diagramm der Beteiligung VERGABE Workshoptyp 1: zwei-1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Partizipationsprozess oder dreidimensionales Collagieren Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 343 Carl- Bolle-Grundschule, Parcours „der Spion im schimmernden Deckmantel“, letzte Station „Gretelspionage“ mit geheimen Schlupftürchen und Periskop DER SPION IM SCHIMMERNDEN DECKMANTEL Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren vorher/nachher Bauvorhaben Bau einer Freizeitlandschaft für den Ganztagsbetrieb Umbau Carl-Bolle-Grundschule, Waldenser Str. 20, 10551 Berlin Bestand Ludwig-Hoffmann-Gebäude von 1903, denkmalgeschützt, Erdgeschoss und drei Obergeschosse, Stadtschule, einhüftige Anlage Bauaufgabe Der Erdgeschossbereich des Hauptgebäudes soll im Rahmen des Ganztagsschulbetriebes für die Freizeitbetreuung umgestaltet werden. Finanzierung Förderung: durch EU, BRD und das Land Berlin im Rahmen des Programms für „Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“ Sponsoren: Degussa, Siemens AG Bauherr Jahn, Mack & Partner Projektbeteiligte Quartiersmanagement Moabit West, Berlin bewegt e.V. Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 1-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Entsprechend des Leitmotivs der Schule „Sprache und Bewegung“ wurde der bisher wenig einladende Eingangsbereich und ein unzugänglicher, geräumiger 40m langer Flurbereiche zu einer neuen Freizeitlandschaft „Der Spion im schimmernden Deckmantel“ umgebaut, die zum „entdeckenden Lernen“ einlädt. Der Umbau ist als ein Parcours mit unterschiedlichen Interventionen realisiert: Eingangshalle, Blinzelschleuse, Lauschwand, Tarnwand, Spionwand, Lesebänder und geheimes Schlüpftürchen. Die Kinder können spielerisch, durch die neue Architektur und ihrer akustischen und optischen Raumphänomene ernsthafte naturwissenschaftliche Beobachtungen anstellen. Kommunikations-, Bewegungs- und Forschungsräume bieten den Schülern unterschiedliche Nutzungsqualitäten. 345 Die Spionwand ist zum Klettern da, zum Verstecken und um das Geschehen zu fokussieren. Die Kinder können in der sog. Spionzelle einen hochgelegene Beobachtungsposten einnehmen und sich durch Sehschlitze, Türspione, Spiegel und Lupen. Sie können sich hinter den venezianischen Spiegeln auch einen geheimen Überblick über den Raum verschaffen. Geht dort aber das Licht an, wird der Spiegel durchsichtig und ihre Tarnung fliegt auf. An der Tarnwand kann man Geheimsprachen erfinden, Licht reflektieren lassen und Codes entwerfen. Sie ist mit spezial beschichteten kleinen Glastafeln bestückt, die drehbar sind und so das farbige Licht unterschiedlich reflektieren oder durchscheinen lassen. DER SPION IM SCHIMMERNDEN DECKMANTEL Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Lageplan Einweihung Oktober 2008 Interdisziplinäres Team Architektur Die Baupiloten: Lena Fischer, Anna Lafite, Lukas de Pellegrin, Lisa Plücker, Da niel Theiler, Nadia Poor-Rahim Projektleitung: Constantin von der Mülbe Experten TU Berlin: FG Prof. Dr. Hirche (CAD), FG Prof. Mertes (Planungs- und Bauökonomie), FG Prof. Dr. Schäfer (Baurecht), Dipl. Ing. Lipp ke, FG Prof. Dr. Ing. Rückert (Tragwerkslehre), R. Ross (Brand schutz), Dr. Ing. Feldmann (Akustik) Bauausführung Die Tarnwand wurde von Ausbildungswerken für benachteiligte Jugendliche gebaut. Effekt Partizipation / Architektur Die differenzierte Raumgestaltung des Freizeitbereichs der Carl-Bolle-Grundschule regt die Wahrnehmung der Kinder an. Die gestalteten Räume fördern Eigenaktivität, Orientierung, Kommunikation, soziales Zusammenleben, Körpererfahrungen und ästhetisches Empfinden. Der Raum ist zu einem Forschungs- und Experimentierfeld geworden, in dem die Kinder mit allen Sinnen ein Bild von sich selbst, von den anderen und von der Welt entwickeln können (Entdeckendes Lernen). Die angebotenen Forschungssituationen spiegeln die Unterrichtsinhalte in Sachkunde wider. Ziel ist es die experimentellen Wände in den Unterricht zu integrieren bzw. die Erfahrungen dort reflektieren zu können. 347 I1 Schneezeit Philipp, 10 Jahre, Dilara, 9 Jahre In einem Modellbauworkshop erarbeiteten die Schüler und Schülerinnen der Carl-Bolle-Grundschule ihre Welt der Bewegung und Kommunikation: „Marcel und Nur sind zu Gast in der Schneewelt und wollen dort Schneeballschlachten machen und Schneemänner bauen. Engel wollen sie auch bauen. Hier ist es schön wegen der Tiere und wegen dem Schnee. Marcel baut sich ein Haus um länger dort zu bleiben. Die Schneewelt ist weit weg und in Berlin kann sie schon mal gar nicht sein, weil es hier so selten Schnee gibt.Fünf Jahre liegt hier Schnee, erst dann kommt der Frühling...“ R2 Workshop Projektszenarien Die mit den Schülern gemeinsam erdachte Spiongeschichte stand Pate bei dem Entwurfs des Freizeitbereiches, der eine Vielzahl der Schülervisionen in sich vereint. Die Verräumlichung der Kinderfiktion kann täglich weiter mit Vorstellungen gefüllt und verändert werden. R1 Weltumwandlerhelm DER SPION IM SCHIMMERNDEN DECKMANTEL I1 A1 A1 11 R2 R3 R4 01 2007 02 03 R1 10 2006 FIKTION 12 R5 04 Hospitation 31.10.2006 | Schule 5 Klassen, 5 BP Fotoapparat 05 R6 06 07 Workshop Ideenauswahl 22.11.2006 | Schule 15 Schüler, Schulleiter, Lehrerin, 6 BP Konzeptmodelle ohne Maßstab, atmosphärische Collagen Workshop Stationen Parcours 13.02.2007 | Aula der Schule 40 Schüler, 9 Lehrer, 6 BP Zeichnungen, atmos. Fotomontagen, Prozess, Modelle M 1:50, M 1:20 Museumsbesuch 4.5.2007 | Spectrum – Museum 1 Schulklasse, 6 BP Fotoapparat Präsentation Lehrer 20.3.2007 | Schule Lehrer, 6 BP Zeichnungen, atmos. Fotomontagen, Prozess, Modelle M 1:50, M 1:20 R4 Präsentation/Diskussion Präsentation Schulleitung 20.7.2007 | Schule SH, CvM, Schulleitung, Schulamt Zeichnungen R6 Dokumentation Zeit | Ort Beteiligte Material 09 Diskussion in kleinen Gruppen Präsentation/Diskussion A5 02 Workshop Projektszenarien 17.1.2007 | Aula 40 Schüler, 6 Lehrer, 6 BP Collagen, Prozess, Modelle R2 Präsentation/ Diskussion R3 01 2008 Die Welt in der Box 1.11.2006 | Werkraum Schule 14 Schüler, Lehrerin, 6 BP Schuhkarton mit Deckel, Klebestifte, Scheren, Türspione / ca. 150 Bilder + mixed material räuml. Collagen, Geschichten I1 5 atmos. Fotopaneele des Schulalltags R1 10 F E R T I G S T E L L U N G VERGABE AUSFÜHRUNGSPLANUNG ENTWURF BAUPHASEN FIKTION VORENTWURF Diagramm der Beteiligung BAUBEGINN Partizipationsprozess 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Präsentation Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 349 Erika-Mann-Grundschule 2.BA, Schnaubgarten, Freizeitraum für 3. und 4. Klassen, 2.OG SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN (PROJEKTDATEN) SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren vorher/nachher Bauvorhaben Modernisierung Erika-Mann-Grundschule, Bauabschnitt 2 (2007) Utrechter Straße 25-27, 13347 Berlin-Wedding Schulprinzipien: siehe Beschreibung 1. Bauabschnitt Bestand Ludwig-Hoffmann-Gebäude von 1915, denkmalgeschützt, Erdgeschoss und drei Obergeschosse, Stadtschule, einhüftige Anlage Bauaufgabe Fortführung der Silberdrachenwelten (2003) mit dem Bau einer Lern- und Freizeitlandschaft in den Fluren und zwei ehemaligen Klassenzimmer. Umgestaltung eines Klassenzimmers zum Garderobenraum. Finanzierung Förderung: Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“, Finanzierung war mit Start des Projektes geklärt Sponsoren: Eternit, Eurostahl, Baustoffhandel Mammitzsch, GLS Bank Bochum, Fir ma Transresch, Bristol Kempinski Hotelkette, Essensanbieter Luna, Ridi Leuchten Patenschaften: für die sogenannten „Leuchtkäfer“ und „Flügelschwingen“ Bauherr Schulverwaltung, Bezirk Mitte Projektbeteiligte Quartiersmanagement Pankstraße, Förderverein, Schulleitung, Lehrer, Schülerparlament, Hausmeister Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 2-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Im zweiten Bauabschnitt wurde das Gebäude für den Ganztagsbetrieb weiter ausgebaut. Der Umbau nimmt die Geschichte des ersten Bauabschnitts auf und entwickelt sie weiter. Auch hier werden Flure durch weitere Sitzlandschaften für den Unterricht nutzbar gemacht. Fünf Modulen (Liege, Höhle, Hochsitz, Podest und Tisch mit herausklappbarer Bank), bieten den Kindern die Chance, ihren Körper zu testen, zu Lernen und Spielen ohne an ein normgerechtes Sitzen gezwungen zu sein. Die neuen Gemeinschaftsbereiche wurden mit zwei Freizeiträumen komplementiert. Aufklappbare Sitzmöbel und weiche Materialen bieten hier Raum und Rückzugsmöglichkeit für eher introvertierte Beschäftigung. Die Spiegelgalerie bietet weitere Ausstellungsfläche an und macht die Kinderarbeiten gleichzeitig zum architektonischen Highlight. 351 Der Chillroom, ebenfalls im dritten Geschoss, wird von einer weichen Landschaft aus Sitzpodesten bestimmt, die mit Schaumstoff, LKW-Plane und Textilien überzogen ist. Ein Meter hohe „Blütenblätter“ formen darauf mehrere geschützte Inseln für zwei bis drei Kinder. Die Blütenblätter bestehen aus Holzrahmen, die in ihrer Form einem Blütenblatt ähneln, und von den Kindern individuell gestaltet werden können. Die Kinder können sich hier ihre eigene Wunsch-Umgebung durch die Manipulation von Klang, Licht und Ausstellungsfolien selbst schaffen. Im Kaleidoskop, im obersten dritten Geschoss, verfängt sich das „Schnauben des Silberdrachens“. Dort löst eine Spiegelgalerie den geometrischen Raum optisch auf: Die Decken und Wände des Flurs sind dort mit hoch reflektierenden Metallpaneelen ausgekleidet, und nur ein ca. 1,20m hohes Bildband aus 270 Bilderrahmen durchbricht dieses Feld. Die Kinder bestücken dieses Band wechselnd mit eigenen Werken, sodass die Bilder unendlich oft reflektiert werden und damit die Raumwahrnehmung sich ständig verändern. SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Lageplan Einweihung Dez. 2007 mit den Berliner Symphonikern Interdisziplinäres Team Architektur Die Baupiloten: Maximilian Assfalg, Ania Busiakiewicz, Andrea Ceaser, Fee Ky riakopoulos, Ansgar Schmitter, Irmtraut Schulze, Thilo Reich, Wojciech Wojakowski Projektleitung: Susanne Hofmann Experten TU Berlin: Dr. Ing. Widjaja, FG Prof. Dr. Rückert (Tragwerkslehre), R. Ross (Brandschutz), Dr. Ing. Schmits, FG Prof. Kaase (Lichtplanung), Prof. Mertes (Bauökonomie) Effekt Partizipation / Architektur Klassen und Lehrer öffnen sich / integrative Kiezqualität: Kinder übernahmen identitätsstiftende Verantwortung, Identitätsbildung und Präsenz im Kiez, bildungsnahe Elternhäuser bleiben eher im Kiez, die Kinder erfahren eine außergewöhnliche Wertschätzung und Selbstwirksamkeit. Über ihre Mitwirkung am Entwurfsprozess hinaus, wurden die Kinder in die Lage versetzt, ihre Umgebung alltäglich weiter zu bestimmen und so nicht nur Ideengeber, sondern auch Mitgestalter ihrer Welten zu werden. (Ästhetische Alphabetisierung, Babbe 2011) Evaluation Architektur März 2010 (Babbe, 2010) Auszeichnung Making Space Award shortlisted, 2010 nominiert für den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung, 8. Platz, 2008 353 I1 Wasserblumenlabor Nasibe, 9 Jahre, Michael, 10 Jahre Die Kinder waren aufgefordert die Welt des Silberdrachen-Forscher-Freundes in einem Schuhkarton zu erschaffen, dazu aus der Bildersammlung fünf Bilder, die ihnen aufgrund der gezeigten Atmosphäre gefielen oder interessierten, herauszunehmen, um sie dann entsprechend ihres Interesses und der Struktur der Bilder auszuschneiden und in einem Schuhkarton anzuordnen. Abschließend sollten die Kinder einen beschreibenden Titel finden und die Geschichte, die in ihrer imaginierten Welt steckte, beschreiben. R2 Workshop Projektszenarien Es war für alle Beteiligte sehr anregend. Für die Studierende war der Einstieg in die Welten der Kinder gegenüber dem zweidimensionalen Workshop unmittelbarer, da sie die atmosphärischen Qualitäten sowohl aus den Kindergeschichten als auch durch das fotografische Untersuchen der Modellwelten herausarbeiten konnten. R1 Workshop Ideenauswahl SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN (PROJEKTDATEN) FIKTION I2 R1 R2 R3 R4 11 12 01 2007 02 03 BAUBEGINN R10 R6 10 2006 A2 R9 R5 I1 R7 04 Hospitation 25.10.2006 | Schule 6 BP Fotoapparat 05 R8 06 07 Wunschvorstellungen 2 20.10.2006 | Computerraum Schule 20 Schüler, 1 Lehrerin, 5 BP Computer, Disk mit ca. 150 Bildern Zeit | Ort Workshop Projektszenarien 12.12.2006 | Mensa 18 Schüler,3 Lehrerinnen, 6 BP Konzeptionscollagen und -modelle, Modelle Kinder gestalten ihre Umwelt 16.2–13.3.2007 | Schule offen für gesamte Schule Kindermodelle, Diagramme, Konzeptmodelle, Fotomontagen, Modelle, Zeichnungen Ausstellung mit Führung Beteiligte Material 11 2010 2011 Frontalpräsentation, Diskussion Schüler als Gastkritiker 19.1.2007 | TU Berlin 16 Schüler, Schulleiterin, 6 BP Konzeptmodelle, atmosphärische Fotomontagen, Modelle M 1:50 u. 1:20 Präsentation R3 Diskussion in kleinen Gruppen R4 09 R12 R13 R14 Workshop Ideenauswahl 20.11.2006 | Mensa 20 Schüler, 1 Lehrerin, 6 BP Konzeptmodelle, kein Maßstab, atmosphärische Collagen R1 Computeranimationen R2 R11 Wunschvorstellungen 1 24.10.2006 | Werkraum der Schule 20 Schüler, Lehrerin, 7 BP Schuhkarton mit Deckel, Klebestifte, Scheren, Türspione / ca. 150 Bilder + mixed material Modelle I1 atmos. Fotopaneele des Schulalltags I2 F E R T I G S T E L L U N G R4 VERGABE A2 ENTWURF BAUPHASEN FIKTION VORENTWURF Diagramm der Beteiligung AUSFÜHRUNGSPLANUNG Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Partizipationsprozess 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren Kommunikation Lernlandschaft spezifizieren 30.3.2007 | Schulflur 10 Schüler, 1 Lehrerin, 4 BP Modell Module Lernlandschaft 1:20 R5 Modellvarianten Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 355 4 3 2 1 1 Schnaubgarten 2 Drachenschatz 3 Chillroom 4 Kaleidoskop SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren R6 Testen von Prototypen 30.3.2007 | Schulflur 10 Schüler, 1 Lehrerin, 4 BP Prototyp Leuchtkäfer, Kaleidoskop, Verfeinern Prototyp 1 4.5.2007 | Schulflur Schüler unterschiedl. Größen Prototyp Tisch mit herausklappbaren Sitzbänken R7 Testen, Beurteilen R8 Testen, Beurteilen Verfeinern Prototyp 2 17.9.2007 | Klassenraum eine 4.Klasse, Lehrerin, 3 BP Prototyp aufklappbares Sitzelement Realisierung 1 + 2 22/28.11.2007 | Werkraum der Schule Schüler (5.+6.),1 Lehrerin, 1 BP Geschenkbänder, Lichterketten R9 in kleinen Gruppen, Werken Testen, Beurteilen R10 Bestückung Spiegelgalerie 11.2007 | Schule 2. OG alle Schüler, Schulleiterin rote T-shirts, Fotoapparat Wandgestaltung Garderobenraum 11.2007 | Werkraum der Schule alle Schüler mit Kunstlehrerin Sperrholz, Farbe, Broschüre Workshopideen (BP) R11 Kinder in Interaktion, Fotografieren Werken Nach der Fertigstellung werden im Chillroom die Blütenblätter neu bespannt (R12), die Bilder der Spiegelgalerie ausgetauscht (R13) und der „Drachenschatz“ neu definiert (R14). Zeit | Ort Beteiligte Material Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 357 Kindertagesstätte Traumbaum, Wintergltzern TRAUMBAUM Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal vorher/nachher Bauvorhaben Umbau Kindertagesstätte Traumbaum, Berlin, Dessauer Str. 27, 10963 Berlin Bestand Peter Brinkert BDA, IBA Bau von 1990 Bauaufgabe Das Atrium soll einladend und freundlich gestaltet werden. Die Kita soll vorrangig zu einem Ort der Identifizierung und des Rückhalts werden. Finanzierung Durch Träger Bauherr ASB Kinder- und Jugendhilfe GmbH (jetzt: Orte für Kinder GmbH) Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 1-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Die Umbaumaßnahmen definieren die langen und dunklen Flure im Erdgeschoss der Kita als gruppenübergreifenden Gemeinschaftsbereich. Direkt am Eingang wird der Besucher in den 14 Sprachen der Kinder begrüßt und willkommen geheißen. Eine helle und freundliche Farbgestaltung wertet die Flurbereiche ebenso auf, wie die Lichtlenkelemente an der Decke, die je nach Tages- und Jahreszeit natürliches Licht aus dem Atrium in die Flure reflektieren. Neue schräge Gipskartonwände erzeugen ein Gefühl von Geborgenheit und bieten mit textilen, leuchtenden Sitzelementen unterschiedlichste Schutz- und Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder an. Die sich ständig verändernde Licht- und Raumeindrücke regen die Phantasie der Kinder zur Kommunikation über ihre Sprachbarrieren hinaus an. 359 Sonnenlichtblätter In den neu gestalteten Bereichen des Erd- und Obergeschosses setzen helle und leuchtende Farben, mitunter überraschende Akzente, die durch die Reflexionen der „Sonnenlichtblätter“ unterstützt werden. Diese Blätter des „Traumbaums“ bringen je nach Tages- und Jahreszeit unterschiedliches Licht aus dem Atrium in die dunklen Erdgeschossflure. Der flache Sonnenstand des Winters bewirkt durch die Blätter ein Winterglitzern, die hoch stehende Sonne des Sommers erzeugt ein Sommerleuchten. Das Licht des Herbstes und des Frühjahrs hinterlässt ein Herbst- oder Frühlingsfunkeln. Zur Reflexion der unterschiedlichen Tageslichteinstrahlung sind die Blätter des Baums verschieden geneigt. Eingang 1 12 7 10 EG Westflur 3 2 8 6 11 5 9 4 EG Ostflur Sonne im Westflur OG Atrium Winterglitzern 13 Uhr (zB. 15.84°, Az 190.6°) Frühlingsfunkeln, Herbstfunkeln 15 Uhr (zB. 25.53°, Az 226.8°) Grundriss Sommerleuchten 15 Uhr (zB. 50.1°, Az 236.9°) Sommerleuchten 15 Uhr (zB. 50.1°, Az 236.9°) Frühlingsfunkeln, Herbstfunkeln 15 Uhr (zB. 25.53°, Az 226.8°) Frühlingsfunkeln, Herbstfunkeln 15 Uhr (zB. 25.53°, Az 226.8°) Frühlingsfunkeln, Herbstfunkeln 13 Uhr (zB. 34.74°, Az 193.6°) Winterglitzern 13 Uhr (zB. 15.84°, Az 190.6°) Winterglitzern 13 Uhr (zB. 15.84°, Az 190.6°) OG Westflur OG Ostflur OG 10 EG Atrium EG Querschnitt KG 12 12 EG Westflur 9 Längsschnitt 1 2 3 EG Ostflur TRAUMBAUM Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Tageszeitenblätter, Sonnenstand 21.3 bzw. 21.9, 12:00 3 4 2 5 6 1 11 12 13 Winterglitzern, Sonnenstand 21.12, 14:30 8 9 7 10 14 19 15 18 28 21 24 17 20 16 23 22 25 26 27 29 Schnarchblätter Leuchtblätter Tageszeitenblätter Kicherblatt Funkelblätter Glitzerblätter Einweihung Juli 2005 Interdisziplinäres Team Architektur Die Baupiloten: Julie Baumann, Jenny Brockmann, Nikolai Erichsen, Franziska Ritter, Daniel Hülseweg, Stefan Kels, Uta Schrameyer Projektleitung: Susanne Hofmann, Martin Janekovic Experten TU Berlin: Dipl. Ing. Pfeiffer, FG Prof. Steffan, Dipl. Ing. Lippke, FG Prof. Dr. Rückert (Tragwerkslehre), Dr. Ing. Schmits, FG Prof. Kaase (Lichtplanung), Dr. Ing. Aydinli, FG Prof. Kaase (Tageslicht planung) Effekt Partizipation / Architektur Unter Anleitung der Erzieherinnen und Erzieher haben die Kinder im Alter von zwei bis elf Jahren ihre phantastischen Vorstellungen von einem Traumbaum gemalt. Die Hortkinder waren so begeistert, ihre Ideen einzubringen, dass sie sogar Bäume gebastelt haben, in denen sie ihre Träume auf kleinen Wunschzetteln schrieben und hineinhängten. Auch im weiteren Entwurfsprozess wurden die Kinder involviert: In mehreren Präsentationen hatten nicht nur die Erzieherinnen, sondern auch die Kinder Gelegenheit, die verheißungsvollen Architekturen zu kommentieren, ihre Vorlieben zu zeigen und schließlich ihre Favoriten auszuwählen. Auszeichnung Europäischer Architekturpreis Putz, ECOLA-Award, 2008 361 I1 Traumbaum malen u. basteln Basela, 4 Jahre ....“das ist das Geräusch, wenn der Geist an die Tür klopft und die Tür kaputt macht“ „das ist ein dickes Monster“ „und das ist das Geräusch, wenn man das Licht ausmacht“ A1 Hospitation ..im Gespräch durch den Raum tanzen, üben wer, wo, wann was sagt R2 Präsentation von 3 Entwurfsalternativen TRAUMBAUM 06 R3 R1 07 08 R4 09 10 11 Hospitation Mai 2004 | Kita 3 BP Fotoapparat 12 01 2005 02 Präsentation Juni 2004 | Kitafoyer Kitaleitung, Kinder, 3 BP atmos. Fotomontagen, Alltagsprotokolle Präsentation Entwurf 28.8.2004 | Sommerfest Eltern, Kinder, Erzieherinnen Modell M1:20, atmos. Fotomontagen Beteiligte Material Kommunikation 06 Präsentation von 3 Entwürfen 3.8.2004 | Kitafoyer Kitaträger, Kitaleitung, Kinder, 3 BP sinnlich nachvollziehbare Modelle 1:20, mechanisch bewegliches Modell Präsentation, Diskussion R2 Prototypen testen 17.12. 2004 | Kitafoyer Leitung, Erzieherinnen, Kinder, 3 BP Prototypen: Sitzblüten, „Schnarchblüte“, Reflektionsblätter, Kicherast, Blütentelefon Testen der Prototypen R4 Präsentation, Diskussion Zeit | Ort 05 Bilder Präsentation, Diskussion R3 04 Traumbaum malen u. basteln Mai 2004 | Kita Kinder (3-8 Jahre), Erzieherin Papier, Farben, Bastelmaterialien I1 atmos. Fotopaneele des Kitaalltags R1 03 F E R T I G S T E L L U N G I1 05 2004 A1 VERGABE R2 A1 FIKTION AUSFÜHRUNGSPLANUNG ENTWURF FIKTION BAUPHASEN VORENTWURF Diagramm der Beteiligung BAUBEGINN Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Partizipationstyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 363 Kita Taka-Tuka-Land, bekletterbare und bespielbare Fassade KINDERTAGESSTÄTTE TAKA-TUKA-LAND Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal vorher/nachher Bauvorhaben Umbau und Fassadensanierung Kita Taka-Tuka-Land, Hohenzollernring 93, 13587 Berlin Bestand Normierter Holzständerbau Bauaufgabe Sanierung der Fassade, Auflockerung der starren Gruppenstruktur im Inneren und Neuentwicklung der Garderoben. Finanzierung Durch Träger Bauherr ASB Kinder- und Jugendhilfe GmbH (jetzt: Orte für Kinder GmbH) Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 1-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Im Rahmen der Fassadensanierung konnte auch der sanierungsbedürftige Innenraum an die Bedürfnisse der Kinder angepaßt werden. Es entstanden gruppenübergreifende kommunikative Räume den beiden Enden des Gebäudes, die durch eine Kindergalerie im Flur miteinander verbunden werden. Beide Bereiche öffnen sich nach Außen. Auf der einen Seite können ankommende Besucher über das neue große Panoramafenster beobachtet werden, während auf der anderen Seite die wetterfeste bespielbare Fassade den Innenraum mit dem Garten verbindet. Der Umbau in dieser Größenordnung konnte nur durch eine kosteneffiziente Planung realisiert werden. Durch das Recyceln einiger Baumaterialien und die wohl kalkulierte Erneuerung der schadhaften Substanz konnten die Baukosten äußerst gering gehalten werden. 365 7 Stationen des Limonadenbaums In der Limonaden-Galerie im Flur können die Kinder ihre Werke bestaunen lassen. Limonadenglitzern im Sonnenlicht Der „Limonadenfluss“ hat sieben Stationen, an denen die Kinder ihn kosten können. Zum Beispiel am großen Panoramafenster, wo man die “Taka-Tuka-Land”-Besucher schon aus der Ferne sieht und das die Mittagssonne mit den davor angebrachten Kristallen in eine “Glitzerhöhle” verwandelt. Im gelben „Limonadenschein“ können die Kinder auf ihre Eltern warten. KINDERTAGESSTÄTTE TAKA-TUKA-LAND Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Glitzerhöhle Garderobentropfen Limonadeninsel Auf die Eltern warten Limonadenbaum Kletterborke Limonadengalerie 7 Stationen des Limonadenbaums Einweihung Januar 2007 Interdisziplinäres Team Architektur Die Baupiloten: Niklaus Haller, Ole Hallier, Daniel Hülseweg, Annika Köster, Christian Necker, Katrin Zietz, Katja Zimmerling, Anna Me ditsch, Anne Pind, Ilja Gendelmann, Susan Jutrowski, Mirko Wanders Projektleitung: Susanne Hofmann Experten TU Berlin: Dipl. Ing. Lippke, FG Prof. Dr. Ing. Rückert (Tragwerkslehre), R. Ross (Brandschutz), FG Prof. Dr. Hirche (CAD), Dr. Ing. Feldmann (Akustik), Dr. Ing. Schmits (Lichtplanung), FG Prof. Dr. Schäfer (Baurecht), FG Prof. Mertes (Planungs- und Bauöko nomie), Dipl.-Ing. Zimmermann (Landschaftsbau) Effekt Partizipation / Architektur Kinder, Eltern und Erzieherinnen können sich mit dem Umbau der Kita identifizieren. Bei Planungsbeginn betreute die Kita nur 45 Kinder, schon bei Baubeginn war die Kita mit 75 Kindern ausgelastet. Auszeichnung Architekturpreis - Farbe, Struktur, Oberfläche, 2008 Invest in Future Award, Nominierung 2008 367 R2 I1 Taka-Tuka-Land malen und basteln Die als Provisorium errichtete Kita Taka-Tuka-Land soll durch eine architektonische Transformation als wichtige soziale Institution einen dauerhaften Platz in ihrer Umgebung einnehmen. Dafür collagierten die Kinder mit ihren Erzieherinnen ihre Vorstellungen vom Taka-Tuka-Land mit klingenden Brücken, Hütten, einem Blütenkarussell und dem Muschelthron von Pippis Vater. I2 Königskronen basteln ... und so in die exotische Welt von König Ephraim auf Taka-Tuka-Land eintauchen. KINDERTAGESSTÄTTE TAKA-TUKA-LAND FIKTION I2 R2 04 2005 A1 05 06 R3 07 08 09 10 Hospitation April 2005 | Kita 6 BP Fotoapparat 11 12 01 2006 Königskronen basteln 26.4.2005 | Kita alle Kinder ab 3 Jahre bunter Karton, Bastelmaterialien Projektszenarien 23.6.05 | Kita Kinder, Kitaleitung, Erzieherin, 6BP Konzept- und Situationsmodelle, Collagen Beteiligte Material 06 12 Präsentation, Ausstellung 7 Stationen im Limonadenfluss 4.10.05 | Kita Kinder, Kitaleitung, Erzieherin, 6BP Modell 1:20, atmos. Fotomontagen, Zeichnungen R3 Präsentation, Beurteilen Zeit | Ort 05 Präsentation 1 Sommerfest 4.6.2005 | Garten der Kita Kinder, Kitaleitung, Erzieherin, 6BP Konzeptmodelle, Collagen R1 Posieren mit Krone R2 04 Taka-Tuka-Land malen u. basteln 19.4.05 | Kita alle Kinder ab 3 Jahre, Erzieherin Papier, Farben, Bastelmaterialien, Matratze uvm. Kindervorstellungen vom TakaTuka-Land I1 atmos. Fotopaneele des Kitaalltags I2 VERGABE R1 F E R T I G S T E L L U N G I1 AUSFÜHRUNGSPLANUNG A1 ENTWURF BAUPHASEN FIKTION VORENTWURF Diagramm der Beteiligung BAUBEGINN Workshoptyp 2: 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal PartizipationstypVermittlung durch pädagogisches Personal Kommunikation Präsentation, Beurteilen Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 369 Kita Lichtenbergweg, Entwurfscollagen: Schauspiel-, Experimentierhaus und Baumlabor, Gebäudekubatur im Garten VULKANWELTEN UND REGENBOGENGARTEN Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Garten vorher Bauvorhaben Neubau einer Kindertagesstätte Kita Lichtenbergweg, Lichtenbergweg 3, 04299 Leipzig Bauaufgabe Neubau einer Kindertagesstätte für 100 Kinder zwischen drei und sechs Jahren, dabei soll der große Garten mit natürlichem Waldcharakter größtmöglich als Spielfläche bestehen bleiben. Finanzierung Stadt Leipzig Bauherr Stadt Leipzig Hochbauamt, Jugendamt Träger DRK Akademischer Kreisverband Leipzig e.V Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 2-5 und künstlerische Oberleitung Architektur-/ Projektbeschreibung Der Neubau der Kindertagesstätte für 100 Kinder ist so konzipiert, dass der alte und dichte Baumbestand auf dem Grundstück weitgehend erhalten bleibt und dabei eine größtmögliche abwechslungsreiche Spielfläche und unterschiedlich geschützte Plätze und Hofsituationen schafft. Der Neubau verwirklicht gemäß dem Sächsischen Bildungsplan eine Synergie zwischen Architektur und Pädagogik. Sowohl im Innen- als auch im Außenraum werden für die Kinder differenzierte Raumerfahrungen und Lernumgebungen geschaffen, die vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten, Transparenzen und Perspektivwechsel bieten. Die Kita gliedert sich in drei Spielhäuser und ist ein- bis zweigeschossig. Zugunsten einer erweiterten pädagogischen Fläche mit Nischen wurden reine Verkehrsflächen so weit wie möglich reduziert. 371 I3 Verhandlung Das Diskussionspaneel des Grundriss- und Schnittschemas soll zur informativen Diskussion über die pädagogischen Ansätze der Kita, den Alltag in der Kita, über die Nutzerbedürfnisse sowie über architektonische Anforderungen des Hochbauamtes dienen. 1. Pädagogik-Leitideen werden nach Prioritäten gewertet und im Generellen diskutiert. 2. Kernaktivitäten des Kitaalltages werden im Plan verortet. Weitere Aktivitäten werden verteilt und filtern inhaltliche und räumliche Zusammenhänge aus pädagogischer Sicht heraus. 3. Atmosphären-Begriffe sollen die Umgebung der Aktivitäten beschreiben. 4. Architektonische und baurechtliche Anforderungen und Vorstellungen werden nach Prioritäten gewichtet. VULKANWELTEN UND REGENBOGENGARTEN Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal 1 21 15 K 14 M 13 12 11 N 10 017 9 Buero Leiterin L 002 Wasserspiel 15 003 I Abstellr. Reinigung 004 20 007 Garderobe 30 Paedagogische Flaeche 5 25 34 15 1 10 005 001 Gruppenraum hB 006 Hausmeister Gruppenraum L Wasserspielhaus K I 009 G HT 008 Eingang Krippe Flur SPV Terrasse F 010 h6 Theater unkt Nullp .10 13.08 H 4 h5 5 6 2 E 1 h4 7 3 012 8 Multifunktionsraum 025 Windfang G 011 C Foyer 026 019 TH Lager Kueche 028 023 Lager Spielgeraete Flur WC barrierefrei GF 1,60 024 Sanitaer Verteilerkueche 11Stg 16,4x3 0 BRH 018 F 016 029 020 RR HT 1 5 022 11 WC Kueche M/F 10 15 WC M A 028 021 10 10 Stg 16,4/3 0 B WC F 11 Stg 16,4x30 E Garderobe GF 10 1 027 015 Garderobe 014 Gruppenraum 5 17 15 D Gruppenraum Schauspielhaus 10Stg 16,4x30 hA 8 h1 h2 h3 Eingang Lichtenbergweg Lichtenbergw eg Lageplan Fertigstellung voraussichtlich im Herbst 2012 Interdisziplinäres Team Architektur und Bauausführung Architekten: Projektleitung: Planungsbeteiligte: Effekt Partizipation / Architektur Für die Konzeption des Hauses sind zwei partizipatorischen Verfahren entwickelt worden. 1. Workshops mit Kindern und Erzieherinnen um im spielerischen Austausch von deren Wunschvorstellungen und Bedürfnissen zu erfahren. In einer Projektwoche malen die Kinder Wetterphänomene und bauen diese in Modellen weiter. Im weiteren Austausch über vielseitig bespielbare Lichtmodelle und Spiegelkästen geben die Kinder weitere Impulse zur architektonischen Ausformulierung der räumlich atmosphärischen Qualitäten. 2. Ein Planspiel zur Verhandlung von Prioritäten der beteiligten Interessenvertreter (Bauherr, Träger, Kitaleitung) hinsichtlich pädagogischer, programmatischer, baulicher Anforderungen und atmosphärischen Vorstellungen. Susanne Hofmann, Marlen Weiser, Stefan Haas, Susanne Vitt, Daniel Hülseweg, Martin Janekovic, Jannes Wurps, Thomas Pohl Marlen Weiser, Susanne Vitt B.A.C. Bau- und Anlagenconsult Dr. Barleben GmbH Leipzig (Haustechnik), ICL Ingenieur Consult Dr.-Ing. A. Kolbmüller GmbH (Tragwerksplanung), Einenkel Landschaftsarchitektur (Landschaftsplanung), Jörg Lammers (Energieberater), BJP Ingenieure GmbH (Leistungsphase 6-9) 373 I2 Der Regenbogengarten Nathalie Die Kinder haben sich in einer Projektwoche vor dem Modellworkshop mit dem Thema der Elemente beschäftigt: Erde, Wasser, Feuer, Luft und ihre Wechselwirkung miteinander. Jedes Kind hat innerhalb dieser Projektwoche ein Bild seiner „Traumwelt“ gemalt, durfte es am Ende vorstellen und sich mit den anderen Kindern der Kita darüber austauschen. Vulkan-Raketenstation Paul, 5 Jahre, Paul, 5 Jahre I5 In einem zweiten Workshop stellten die Kinder der Vorschulklasse ihre Zeichnungen vor und entschieden einen Regenbogengarten und eine Vulkanwelt bauen zu wollen. Zur Verfügung stand den Kindern: ein Schukarton sowie viele unterschiedliche, mitgebrachte als auch gefundene Gegenstände und Materialien um ihre „Welt“ zusammenbauen zu können. R1 Workshop Lichtexperimente SILBERDRACHENSCHNAUBWELTEN (PROJEKTDATEN) Workshoptyp 1: zwei- oder dreidimensionales Collagieren VULKANWELTEN UND REGENBOGENGARTEN VERGABE R2 A1 I2 I3 I5 08 2009 A1 AUSFÜHRUNGSPLANUNG R1 09 10 11 12 01 2010 02 Hospitation 20.8.2009 | Kita alle Kinder, 2 Architekten Fotoapparat 03 02 2011 03 Zeichnungen September 2009 | Kita Kinder, Erzieherin Stifte, Papier Verhandlung Regenbogengärten, Vulkanlandschaften 9.11.2009 | Kita 6 Vorschulkinder, 2 Arch. Schuhkarton, Schere, Kleber, Bastelmaterialien räumliche Collagen, Geschichten I5 räumliche Collagen, Geschichten R1 Zeit | Ort Workshop Lichtexperimente 5.2.2010 | Kita ca. 12 Vorschulkinder, 1 Erzieherin, Lichtapparaturen in versch. Maßstäben, z.T. als Helm ausgebildet; Apparaturen zum experimentieren Experimentieren Beteiligte Material Kommunikation 08 2012 Verhandlung 28.10.2009 | Hochbauamt Leipzig Hochbauamt, Jugendamt, Kitaträger Lageplan 1:100, Spielkarten I3 Waldgarten 9.11.2009 | Kita 12 Kinder, 3-4J., 2 Erz., 2 Arch. Schuhkarton, Schere, Kleber, Bastelmaterialien 08 Anregungen für Zeichnungen Regenbogengärten, Vulkanlandschaften I4 07 Wetterphänomene September 2009 alle Kinder, Erzieherinnen, Arch. Fotografien von Wetterphänomenen I1 atmos. Fotopaneele des Kitaalltags I2 06 F E R T I G S T E L L U N G I4 I1 FIKTION ENTWURF BAUPHASEN FIKTION VORENTWURF Diagramm der Beteiligung BAUBEGINN Workshoptyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Partizipationstyp 2: Vermittlung durch pädagogisches Personal Workshop Lichtspiele 5.2.2010 | Kitagarten ca. 12 Kleinkinder, 2 Erzieherinnen Lichtapparaturen in versch. Maßstäben, z.T. als Helm ausgebildet, Apparaturen zum Beobachten Ausprobieren und Beobachten R2 Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 375 Carlo-Schmid-Oberschule, Die Jugendlichen entwickelten aus ihren bevorzugten Körperhaltungen body-extensions CARLO-SCHMID-OBERSCHULE Workshoptyp 3: kompakter Zeitablauf, Arbeit mit Jugendlichen Schulgebäude und Halle vorher Bauvorhaben Lernlandschaften für 4 Hallen, Carlo-Schmid-Oberschule Lutonerstraße 15-19, 13581 Berlin-Spandau Bestand Das 1974 bezogene Schulgebäude gliedert sich in das 3-stöckige Hauptgebäude und das einstöckige Nebengebäude, in dem die gymnasiale Oberstufe mit ca. 160 Schülern untergebracht ist. Das Hauptgebäude beheimatet die 6-zügige Mittelstufe mit ihren knapp 600 Schülern. Bauaufgabe Für die Modernisierung der vier 220 m² großen Hallen der Carlo-Schmid-Oberschule sollen im Rahmen einer schulischen Projektwoche mit 17 Schülern Ideen für Lerninseln entwickelt werden. Auf diesen Grundlagen sollen die Architekten die Lerninseln planen und zur Ausführung bringen. Es ist eine Identifizierung mit dem Gebäude durch die Jugendlichen erwünscht. Finanzierung Der Umbau wurde im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ gefördert Bauherr Senat Projektbeteiligte Quartiersmanagement/Stadtteilmanagement Heerstraße Baupiloten Projektwoche: Anna-Lena Berger, Geilon Cannarozzi, Elisabeth Söi land, Flora Marchand, Ralph Reisinger, Johannes Maas Anika Kern, Daniel Fernandez Pascual, Marie-Charlotte Dalin, Maciej Sokolnicki, Annett Fischer, Iris Lacoudre Nabert Projektleitung: Constantin von der Mülbe Baupiloten Entwurf: Anna-Lena Berger, Ralph Reisinger, Johannes Maas, Anika Kern Projektleitung: Helmuth Hanle Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 2-9 Architektur-/ Projektbeschreibung In jeder der 4 Hallen wird je eine Lerninsel integriert. Diese bestehen aus unterschiedlichen Tisch-, und Sitzmodulen. Eine Lerninsel bietet Platz für 15 bis 20 Schülerinnen und Schüler, ermöglicht das konzentrierte Arbeiten in Teilgruppen und dient gleichzeitig als Versammlungsort, zum Kommunizieren und Austauschen, als Bühne zum szenischen Erarbeiten oder kann auch als Rückzugsort zum Entspannen in den Pausen genutzt werden. Jede Halle steht unter einem eigenen Thema, das sich aus den angrenzenden Räumen und den dafür notwendigen Nutzungsbedingungen ergibt. Die Lerninseln sind aus den von den Jugendlichen bevorzugten Körperhaltungen und ihren gebauten body-extensions entwickelt worden. 377 I3 Body-extension Bauphase1 Zu der Körperhaltung bauen Gruppen von Schülern unter Betreuung der Baupiloten jeweils ein lebensgrosses Möbel, welches an dem eigenen Körper ausprobiert wird. Bauphase 2 Experimente mit Lichtart, Lichtfarbe, Lichtrichtung - damit werden die Möbelstücke ins „rechte Licht“ gerückt. I5 Verortung Bauphase 3 Die Schülerinnen und Schüler suchen für ihr Möbel den richtigen Ort in der Schule. Hierbei sollen jeweils 2 oder mehrere Möbelstücke so platziert werden, dass sie zueinander in Beziehung treten und einen Ort der Kommunikation provozieren. Gideons sowjetische Weltraummission: Durch die bodyextension schwerelos sein. CARLO-SCHMID-OBERSCHULE CARLO SCHMID OBERSCHULE I4 I5 FIKTION R2 R1 11 2008 I1 I3 12 01 2009 02 03 04 05 Die Box 17.11.2008 | Schule 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP Bilder aus der nicht-arch. Welt, Schuhkarton, Kleber, Schere, Bastelmaterialien räumliche Collagen Konstruktion 18.-20.11.2008 | Schule 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP OSB, Lichterketten, Neonröhren, Dachlatten, Kabelbinder, u.a. 06 07 08 11 12 Körperfotos Transparenz vs. Geschlossenheit 18.-20.11.2008 | Schule 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP OSB, Lichterketten, Neonröhren Dachlatten, Kabelbinder, u.a. I4 13 body-extensions Verortung 21.11.2008 | Schule 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP body-extension Kritische Betrachtung 21.11.2008 | Schule 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP Ergebnisse der Projektwochen Box body-extension R1 Installation R2 10 Körperfotos 17.11.2008 | Schulgelände 17 Schüler (7.-11. Klasse), 12 BP Fotoapparat I2 13 body-extensions I5 09 F E R T I G S T E L L U N G I3 VERGABE I2 ENTWURF VORENTWURF I1 BAUPHASEN AUSFÜHRUNGSPLANUNG FIKTION Diagramm der Beteiligung BAUBEGINN Workshoptyp 3: 3: kompakter Zeitablauf, Arbeit Jugendlichen Partizipationstypkompakter Zeitablauf, Arbeit mitmit Jugendlichen Ausstellung Workshop Hallen 21.4.2009 | Schule 8 Schüler, Lehrerin, 4 BP Prozess, Modell M 1:20, Farbfächer Szenarien, Diskussion Zeit | Ort Beteiligte Material Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 379 Links: Abb. Lichtgeschichte (Brandwände?) hochkant? Evangelische Schule Berlin Zentrum, Lichterzählung Rendezvoustheater LICHTERZÄHLUNGEN Workshoptyp 3: kompakter Zeitablauf, Arbeit mit Jugendlichen Schulgebäude Bauvorhaben Neubau eines Mehrzweckraums, Evangelische Schule Berlin Zentrum Wallstr. 32, 10179 Berlin Bestand 3 sanierungsbedürftige Gebäude des Schultyps (Bauweise SK66 Berlin) Bauaufgabe Neubau eines Mehrzwecksaals von 400 m², der sowohl als Mensa als auch als Aula zum „Herzstück“ der neu gegründeten Schule werden soll. Finanzierung Honorar für Medienkünsler Bauherr Evangelische Schulstiftung Interdisziplinäres Team Architektur und Bauausführung Die Baupiloten: Projektleitung: Experten TU Berlin: Unterstützer: Architektenleistung Partizipation, Herausarbeitung von Entwurfsparametern als Impulsgeber der sozialen Stadtentwicklung (zur Wettbewerbsvorbereitung) Architektur-/ Projektbeschreibung Die Stimmungsqualitäten der durch die Videoprojektionen neu entstandenen Räume stellten die Grundlage für die einzelnen architektonischen Vorschläge für das Herzstück der Schule dar. Für diese Phase des Projektes wurde eine Bandbreite von Ideen zugelassen, um der Schulgemeinschaft und Eltern die Möglichkeit zu geben, unterschiedlichste Aspekte des zukünftigen Baus abzuwägen. In Gesprächen während des Sommerfestes der Schule zeigte sich große Begeisterung für den Partizipationsprozess, sowie für die daraus resultierende Kreativität und die Vielfalt der Entwurfsansätze. Es konnte wertvolles Feedback zu Ideen und Atmosphären der Entwürfe gesammelt werden, um schließlich Vorschläge für Impulse der sozialen Schul- und Stadtteilentwicklung herauszuarbeiten. Agnieszka Przybyszewska, Donat Kirschner, Fabian Thielken, Gaspard van Parys, Giulia Tubelli, Janna Störmer, Jessika Strzys Joanna Szczepanska, Kathrin du Hamél, Laura Larraz, Margit Sichrovsky, Martin Hartwig, Michaela Hillmer, Radostina Simeonova, Sonja Winkler und Nicolas Aracena Susanne Hofmann, Jannes Wurps FG Prof. Dr. Ing. Rückert (Tragwerkslehre), FG Prof. Hirche (CAD), R. Ross (Brandschutz) Prof. Peter Hübner, Philipp Geist, Christian Obermaier 381 R7 Lichterzählungen Gemeinsam die Schule in einen Lieblingsort verwandeln: Um zu einem Teil der Schulgemeinschaft zu werden, richteten die Baupiloten in der Schule für sich eine Werkstatt ein. Etwa 100 Schüler und Schülerinnen filmten ihre Lieblingsorte der Stadt und setzten sich mit den Aufenthaltsqualitäten der Orte und den Bezügen zum Schulgelände auseinander. Daraus entwickelten die Baupiloten in ständiger Verhandlung mit den Schülern 14 Videoinstallationen Für eine Nacht ließen diese im Plattenbau und auf dem Schulareal neue Räume erscheinen. LICHTERZÄHLUNGEN Workshoptyp 3: 3: kompakter Zeitablauf, Arbeit Jugendlichen Partizipationstypkompakter Zeitablauf, Arbeit mit mit Jugendlichen FIKTIONEN Diagramm der Beteiligung R3 R4 A1 R1 R6 R8 R10 R2 R7 R9 R11 04 FIKTION R5 05 06 07 2008 A1 R8 08 09 10 Stimmungsqualitäten Kiez April 2008 | Kiez 16 Baupiloten Fotoapparat 11 12 01 2009 Lieblingsatmosphären 23.-28.4.2008 | Orte in Berlin 97 Schüler, 16 BP Videokamera Präsentation, Diskussion Körperfotos 7.5.2008 | Schule 45 Schüler, 16 BP Fotoapparat Collagieren 7.-9.5.2008 | Schule 45 Schüler, 16 BP Computer R5 Diskussion, gemeinsames Arbeiten Performance 14.-23.5.2008 | Schule 45 Schüler, 16 BP Computer, Projektoren, Schminke, mixedmedia Lichterzählungen 29.5.2008 | Schulgelände alle Schüler, ihre Eltern, Lehrer Lichterzählungen R7 Diskussion, gemeinsames Arbeiten Zeit | Ort Beteiligte Material 05 Filmclips 6.5.2008 | Schule 16 BP Computer R3 Körperfotos R6 04 Diskussion 30 min Filmmaterial R4 03 Atmosphären kommunizieren 22.4.2008 | Versammlungsraum S. 97 Schüler, 16 BP atmos. Fotopaneele des Kiezes R1 atmos. Fotopaneele des Kiezes R2 02 Kommunikation unmittelbare Erfahrung Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 383 R8 Werkstatt In den weiteren 6 Wochen entwickelten die Baupiloten in ständiger Verhandlung mit den Schülern aus den atmosphärischen Qualitäten der Lichterzählungen und den programmatischen Vorgaben Entwürfe für das „Herzstück“ der zukünftigen Schule. Sie setzten sich mit den örtlichen Gegebenheiten auseinander, erprobten unterschiedliche Positionierungen sowohl als völlig autarkes Gebäude auf dem Schulgelände als auch als Teil des alten Baus. Sie testeten die Strahlkraft der Interventionen. R10 Ideenpool Marktplatz In Gesprächen während des Sommerfestes der Schule zeigte sich große Begeisterung für den Partizipationsprozess, sowie die daraus resultierende Kreativität und die Vielfalt der Entwurfsansätze. R9 Schüler präsentieren Schülern Die Schüler erläutern den Entwurf „zwischen den Bäumen rauschen und leuchten“ der sich aus dem a. Schulgebäude in mehreren Ebenen in die Bäume hineinerweitert. LICHTERZÄHLUNGEN Workshoptyp 3: kompakter Zeitablauf, Arbeit mit Jugendlichen R8 Werkstatt Juni, Juli 2008 | Schule 40 Schüler, 16 BP Computer, Modellbaumaterialien R9 Diskussionen, gemeinsames Arbeiten R10 Ideenpool Marktplatz 12.7.08 | Sommerfest alle Schüler, ihre Eltern, Lehrer Modelle M 1:200 - 1:20, atmos. Fotomontagen, Zeichnungen individuelle Präsentationen, Diskussionen Schüler präsentieren Schülern 26.6.08 | Schule, ehem. Nawiraum 30 Schüler, 15BP Modelle M 1:200, 1:100 informelle Präsentation und Diskussion R11 Präsentation vor dem Bauherrn 24.7.08 | Schule, ehem. Nawiraum Jury aus sechs Statusgruppen, 15 BP Fotomontagen, Zeichnungen individuelle Präsentationen, Diskussionen 385 Ausstellung extrafantasies: Blick in die architektonischen Transformationen der Baupiloten: Kita Traumbaum und Erika-Mann-Grundschule EXTRAFANTASIES Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe 3 1 2 extr a 6 4 8 7 1 2 3 4 Die Extrahausscheibe Die goldenen Guckis Die Fotowand Die sprechenden Eisblumen 5 f a n t a s i es 5 6 7 8 Die Langeweilewand Der Küssenbaum und -ballon Die Gedankenblase Das Nachdenksofa Projekt Austellung Aedes East, Berlin-Mitte Im Rahmen der Ausstellung „Find the Gap“ - Neue Köpfe und Wege in der Architektur zum 25-jährigen Bestehen von Aedes Aufgabe Darstellung des eigenen besonderen innovativen Architekturansatzes. Insgesamt waren 10 junge Architekturteams eingeladen. Extrafantasies stellt partizipative Entwurfsstrategien vor. Finanzierung Förderung des Ausstellungsprojektes „Find the Gap“, Kulturstiftung des Bundes Bauherr/Kurator Ulla Gießler, Aedes East Team Die Baupiloten: Nora Asmus, Maximilian Assfalg, Anja Bauer, Julie Baumann, Christian Behrendt, Anna Lena Berger, Uta Böcker, Etta Danne mann, Marc Dufour-Feronce, Stephie Eberhardt, Claus Friedrichs, Mathias Grabe, Anneke Hillmann, Minji Kang, Andreas Reeg Christian Necker, Annika Kern, Lara Kittel, Ariane Mielke, Ingo Nolte, Mari Pape, Jongki Park, Nina Pawlicki, Lisa Plücker, Bri gitte Schultz, Jeanette Werner Projektleitung: Susanne Hofmann, Jannes Wurps Projektbeschreibung Mit vier Fragen „Wo küssen Sie besonders gern?“ „Wo können Sie besonders gut nachdenken?“ „Wo verspüren Sie gern Langeweile im Sinne von Entspannen?“ „Wie sähe Ihr Extrahaus aus?“ näherten sich die Baupiloten als „De-Kodierer“ den architektonischen Träumen von Menschen, denen in diesem Zusammenhang nur wenig Gehör geschenkt wird: Jugendliche und Ältere. Die Fotografin Rosa Merk hat sie in ihrer Umgebung fotografiert. 387 R1 Ausstellung Ausstellung, Nachdenksofa: Auf dem gepolsterten Wintersofa ist nachzulesen, welche Orte sich besonders gut zum Nachdenken eignen: Goldfarbener Druck mit Lichtblau auf Solpex Heavy nach Schnittvorlage, eingenäht in LKW-Plane weiss, Schaumstoff, 5cm. Im Hintergrund die Helium gefüllten Luftballons mit der Aufschrift „wo küssen Sie besonders gern?“ R3 Bausitzung Extrahaus Schüler diskutieren mit „De-Kodierern“ über architektonische Wunschträume. I2 Wo küssen Sie besonders gern? Ortrud N., 62, Es gibt in Berlin den Königin Luise Platz, das ist so ungefähr der romantischste Ort den ich kenne. […] . Ich fühl mich da immer ein bisschen wie Dornröschen, das darauf wartet aus ihrem hundertjährigen Schlaf wach geküsst zu werden. […], da überkommt mich das Gefühl küssen zu wollen, ich fühl mich da irgendwie frei. EXTRAFANTASIES Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe FIKTIONEN Diagramm der Beteiligung A1 I1 I2 I3 A1 R2 I4 R3 10 2005 FIKTION R1 11 12 01 2006 02 03 Einführung Mahnmal Übung Oktober 2005 | Berlin Passanten, 27 BP Papier, Schreibutensilien 04 05 06 07 Interviews 4 Fragen 18.10-28.10.2005 | Berlin Schüler, Arch., Senioren, 27 BP 4 Fragen, Aufnahmegerät R2 Das Extrahaus Westend 28.10.2005 | Kunstraum, Gym. Herder Oberschule 20 Schüler (11. Klasse), 14 BP farbiger Karton DIN A2, ca. 150 Bilder atmos. Collage Zeitzeugen 22.11.2005 | Aedes East Zeitzeugen, 27 BP Ausstellungsobjekte Beteiligte Material 11 Das Extrahaus Lichtenberg 25.10.2005 | Kunstraum, Gym. Immanuel Kant Schule 20 Schüler (11. Klasse), 14 BP farbiger Karton DIN A2, ca. 150 Bilder atmos. Collage I3 Ausstellung 11.11.-11.12.2005 | Aedes East Fotografin, 27 BP Extrahauswünsche, LangeweileBetonwand, Nachdenksofa, FrageKarten Ausstellung R1 Bausitzung Extrahaus 23.11.2005 | Aedes East Schüler, Architekten, 27 BP Collagen, Ausstellungsobjekte, Baustelle Extrahaus R3 Diskussion Zeit | Ort 10 atmos. Beschreibungen von besonderen Orten atmos. Beschreibungen von bes. Orten I4 09 Test- Interviews 5 Fragen Oktober 2005 | Weltweit Obdachlose, „Reiche“, Freunde 5 Fragen, Aufnahmegerät I1 atmos. Beschreibungen I2 08 Diskussion Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 389 Kotti 3000, Kleb Dir Deinen Kiez! Sammlung der unterschiedlichsten Wunsch-Sticker für das niedrigschwellige Kommunikationswerkzeug KLEB DIR DEINEN KIEZ! Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe Berlin Kottbusser Tor Projekt Partizipationsprozess Kotti 3000 Bestand Das Kottbusser Tor ist ein Treff- und Sammelpunkt für die Drogen- und Alkoholszene. Fast die Hälfte der Menschen beziehen hier ALG II, 72% der Bewohnerschaft haben einen Migrationshintergrund. Charakteristisch für das Gebiet ist der hohen Anteil der Kinder und Jugendlichen. Viele verlassen die Schule ohne Schulabschluss und an Ausbildungsmöglichkeiten mangelt es. (www.Quartiersmanagement-berlin.de) Aufgabe Entwicklung eines sprach- und kulturübergreifendes Kommunikationsintruments zur Erstellung eines Meinungsbildes am Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg. Finanzierung Quartiersfonds 1 (Kurzfristige und schnell sichtbare Maßnahmen, die insbesondere auf die Förderung von Bewohneraktivierung und Beteiligung ausgerichtet sind) Projektbeteiligte Quartiersmanagement Zentrum Kreuzberg / Oranienstraße Architektur-/ Projektbeschreibung Insgesamt 3000 Punkte dürfen auf das „Kotti“, dem problembehafteten öffentlichen Stadtraum „Kottbusser Tor“ in Berlin-Kreuzberg, mit vielfältigen Stickern verteilt werden. Es konnten auch eigene Aufkleber, Farben, Stifte, Zeitungsausschnitte, etc. benutzt werden. „Kotti 3000“ ist ein niedrigschwelliges Interview-Werkzeug, das diejenigen zur gemeinschaftlichen Diskussion über die Planung und Gestaltung ihres Kiezes einlädt, die bisher noch nicht aktiviert sind. Auf spielerische und Spaß bringende Art können die Wunschvorstellungen und Visionen der Anwohner für ihr „Kotti“ anschaulich gemacht und kommuniziert werden. Die beklebten und per Post zurückgesandten Spielpläne werden in einer Ausstellung der Nachbarschaft präsentiert und diskutiert. 391 I1 Niedrigschwelliges Interviewwerkzeug Die Zielsetzungen des Planspiels ergaben sich aus Interviews mit den Menschen am „Kotti“ und aus Workshops: den „Kotti“ nach eigenen Wünschen und Vorstellungen neu zu gestalten, Probleme zu artikulieren und im Vergleich mit anderen zu diskutieren. Es geht darum, die eigenen Ideen bildhaft darzustellen. Da das Spiel so aufgebaut ist, dass ohne Sprache, also rein bildhaft gearbeitet werden kann, wurde nach geeigneten Spielmitteln gesucht und gezeichnete Sticker erarbeitet: Gebäude, Balkone, Märkte, Vergnügungsorte, Science Fiction, Verkehr, Landschaft, Grünanlagen, Sportflächen, Oasen der Ruhe und des Friedens. 3000 Punkte dürfen auf einer Luftansicht des „Kotti“ mit den vielfältigen Aufklebern unterschiedlicher Wertigkeiten verteilt werden. Leyla, 45 Ziel der Initiative ist es, die Menschen zu erreichen, die aufgrund von Angst oder Scham, Sprach- und Kulturbarrieren oder Bürokratie an der gemeinschaftlichen Planung des Kiezes noch nicht teilhaben. I1 Kleb dir deinen Kiez KLEB DIR DEINEN KIEZ! Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe Partizipationstyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe FIKTIONEN Diagramm der Beteiligung R1 FIKTION I1 A1 11 2008 A1 12 01 2009 02 03 04 05 Interviews 12.-18.11.2008 | Kottbusser Tor Passanten, BP Fragebogen, eventuell Aufnahmegerät R1 06 07 R2 R2 08 09 10 11 12 Kleb dir deinen Kiez! Planspiel 22.-25.06.2009 | Räume des QMs Kiezbewohner, Passanten, eingeladene Gruppen Spielplan, Aufkleber, Scheren I1 Interview R1 Luftansichten Wunsch-Kotti Ausstellung Kotti 3000 Schaufenster 31.08.-7.9.2009 | Adalbertstraße Anwohner, Passanten Luftansichten Wunsch-Kotti Ausstellung Planspiel 21.9.-19.10.2009 | Jens-Nydahl-GS, Räume des QMs Passanten, Anwohner Luftansichten Wunsch-Kotti R2 Ausstellung Zeit | Ort Beteiligte Material Ausstellung Kommunikation Beobachtung A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 393 Studentenwohnheim Siegmunds Hof, Collage Kletterwand ÖKOPOP Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe Gelände Siegmunds Hof vorher Bauvorhaben Energetische Sanierung + Modernisierung des Studentenwohnheims Siegmunds Hof, Siegmunds Hof 2, 10555 Berlin Bestand Studentenwohnanlage Siegmunds Hof von 1961, denkmalgeschützt (Ensembleschutz), 13 Häuser zwischen Spree und Tiergarten Architekten: Abschnitt West Prof. Peter Poelzig, Abschnitt Ost Prof. Klaus H. Ernst Bauaufgabe Modernisierung und energetische Sanierung der Anlage, Ausgestaltung einer ökologischen Landschaft, Stadtplatz als Einstieg in das Gebiet, stärkere Ausformulierung von Sportangeboten, Zusammenlegung von Zimmern zu größeren Wohneinheiten, Stärkung und Neuformulierung der Gemeinschaftsbereiche, Verbindung der Häuser mit der Landschaft (Terrassen). Finanzierung Bauherr Studentenwerk Berlin Architektenleistung Partizipationsprozess + LP 2-9 Architektur-/ Projektbeschreibung Entwicklung vielfältiger Wohnformen und –grundrisse sowie einer differenzierte, ökologische Landschaft. Die städtische Seite der Anlage wird geprägt durch den öffentlichen Stadtplatz mit Mitternachtslicht. Der ruhige, grüne Bereich (Freiluftwohnzimmer, Gartenflächen mit unterschiedlichsten Kräuterbeeten) auf der Rückseite der Gebäude lädt mit übergroßen Sitzelementen zum Aufenthalt ein. Das Zusammenleben vieler Studierender auf engem Raum erfordert eine sorgsame Gliederung der privaten und gemeinschaftlichen Bereiche. Die Einzelzimmer in Haus 13 wurden in kleinere, überschaubare Wohneinheiten mit neuen Bädern unterteilt, die Küchen zum „Herz“ des gemeinschaftlichen Alltags erweitert und umgestaltet. Die Anbindung der Wohneinheiten an großzügige Gemeinschaftsterrassen und Kräutergärten öffnet den Innenraum zum neugestalteten Außenbereich und sorgt so für ein Plus an Wohnqualität. 395 Ökopop Ökologisch nachhaltige und energiebewusste Architektur muss nicht langweilig und enthaltsam sein. Siegmunds Hof taucht ein in eine fantastische, ökologische Landschaft, die den heutigen Wunschvorstellungen eines gesunden, umweltbewussten Zusammenlebens und -wohnens entspricht. Das neue Energiekonzept beinhaltet nicht nur die bloße denkmalgerechte und energetische Sanierung der Fassaden und die energieeffiziente Erneuerung der Haustechnik, sondern ebenso eine energiebewusste Gestaltung der Außenbereiche. Erneuerbare Energiequellen werden sichtbar und nachvollziehbar auf dem Gelände und den Gebäuden eingesetzt. Neben den energieversorgenden Einheiten des „Ökopops“ regen andere neue Bestandteile zum Naturerlebnis und zum Verweilen im Grünen ein. Das Areal wird unterteilt in einen Sportbereich, eine Gartenfläche, ein Freiluftwohnzimmer, einen Stadtplatz, ein Wäldchen, eine Wiese und das Spreeufer. „Ökopop“ verbindet beide sich scheinbar widersprechende Wohnideale: das Leben in der pulsierenden Großstadt mit dem ruhigen, erholsamen Leben auf dem Land. ÖKOPOP 21 23 10 18 9 22 19 16 25 7 20 8 17 12 13 5 6 22 2 15 25 1 11 , 6 2 0 , 6 2 0 14 , 0 3 6 3 , 0 3 6 Lageplan 4 , 6 2 0 , 6 2 0 24 KI A T 25 , 6 2 0 , 5 1 8 , 5 1 8 , 6 2 0 , 5 1 8 , 5 1 8 , 6 2 0 / 3 T7 3 7 1 S1 , 2 , 5 1 8 1 Gemeinschaftshaus 6 Apartmenthaus für Partytiger & Kaffeetrinker für Kunst- und Gartenfreunde 2 Mobiles Waschcafe 7 Arbeiten / Künstlern am Stadtplatz 3 Studentische Selbstverwaltung 8 Galerie 4 Bierkeller 9 Gärten 5 Stadtplatz: Sitzen, Auftreten, Skaten 10 Wohnzimmer: Terrassen + Pflanzen 11 Gemeinschaftshaus für Sportfreaks & Workaholics 12 Arbeiten im Grünen: Terrassen 13 Auskragende Carrels 14 Wasserberg: Klettern + Skaten 15 Windräder 16 STG 17 ,4/27 www.ökopop.com: Lageplan der 614 Studentenapartments zwischen Spree u. Tiergarten / Site plan of 614 student flats between Spree & Tiergarten Workshoptyp 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe 13 STG 18 .08 / 27 16 Wohngemeinschaft für Sauna- und Waldliebhaber 17 Fitnessstudio und Sportgeräteverleih 18 See mit Duschen, Steg + Terrassen 19 Baumterrassen im Wald 20 Sauna auf dem Dach 21 Ruhige Wohngemeinschaft Wohnen am Wäldchen 22 Terrassenwohnen 23 Wintergärten 24 Steg für Kanus 25 Riesensitzmöbel auf der Wiese Fertigstellung März 2012, 1. Haus „Apartmenthaus für Gartenfreunde“ Interdisziplinäres Team Architektur und Bauausführung Baupiloten: Khoi Bui, Carolin Ehrig, Marc Fabrés Masip, Paul Hansen, Donat Kirschner, Niklas Kuhlendahl, Johanna Lehrer, Nadine Muhr, Sophie Mundrzik, Viet Dung Nguyen, Agnieszka Przybyszewska, José Ignacio Rejas Fernández, Nils Ruf, Joanna Szczepanska,Agnes Thöni Architekten: Susanne Hofmann, Helmuth Hanle, Marlen Weiser, Martin Mohel nicky, Daniel Hülseweg, Susanne Vitt, Jannes Wurps, Nils Ruf und Steff Biller (Bauleitung) Projekleitung: Susanne Hofmann, Marlen Weiser Planungsbeteiligte: S.T.E.R.N. GmbH (Entwurf), Dr.-Ing. Matthias Kloas Planungs team Energie + Bauen (Haustechnik), Ingenieurbüro Marzahn und Rentzsch (Statik), Dietzen und Teichmann Landschaftsarchitek ten (Landschaftsplanung) Effekt Partizipation/ Architektur Mittels Feldforschung, Wohnversuchen, Befragungsmethoden und Planspielen nehmen die Baupiloten Wohnvorstellungen und Wohnträume von Studierenden auf, kartieren und erörtern diese, um schließlich daraus innovative Wohnkonstellationen zu entwickeln. 397 Spiel deinen Wohntraum - Wohn deinen Spieltraum I1 Ein zweistufiger Partizipationsprozess erforschte Wohnbedürfnisse einer großen, anonymen Nutzergruppe. Aus 274 geführten Interviews bzgl. eines gemeinsamen Wunsch-Wohnens mit vielen wurden die unterschiedlichsten gewünschten Tätigkeiten und atmosphärischen Beschreibungen herausgefiltert und kategorisiert. Für die Tätigkeiten z.B. „ich bin ein häuslicher Typ“ oder „ich bin ein workoholic“, für die atmosphärischen Beschreibungen, z.B. „Gemütlichkeit“ oder „Wetter“. Daraus wurde ein Legespiel mit Aktions- und Atmosphärenkarten entwickelt: 1. Wärm‘ Dich auf! 2. Dein Spielfeld 3. Die Basiskarten 4. Was tust Du gerne? Was wolltest Du schon immer mal tun? 5. Wie soll es da sein? 6. Joker 7. Nutze den Raum 8. Ein letzter Blick. Studierende sind Experten auf dem Gebiet des studentischen Wohnens. Die Baupiloten sind überzeugt, dass ohne die Mitbestimmung der Nutzer keine nachhaltige Vision entwickeln werden kann. ÖKOPOP 11 R1 12 01 2008 02 03 04 Atmosphärische Analyse 15.-25.10.2007 15 BP Fotoapparat 11 09 2009 12 Wohnversuch 27.-28.10.2007 | 40 Studentenwohnheime Berlin 15 BP Übernachtungsutensilien Projektvisionen 21.2.2008 | Studentenwerk 7 Stu.werkvertreter, 15 BP, Arch. ppt.-Präsentation Projektvisionen Beteiligte Material Kommunikation Beobachtung HAUS 13 HAUS 13 VERGABE BAUBEGINN 02 2012 Info- u. Diskussionsveranstaltung 17.11.2008 | Bierkeller Bew., Stu.werk, Arch., 5 BP Wohnkarten, Planspiel, Entwurf „Ökopop“ in Plänen und Fotomontagen, ppt.-Präsentation Information und Diskussion R2 Präsentation, Diskussion Zeit | Ort 05 Planspiel Spiele deinen Wohntraum 16.-30.11.2007 | Bierkeller Studentenwohnheim 42 Studierende, 16 BP Spielkasten, Leuchtkasten, Fotoapparat Wohnkarten mit Wohnträumen I1 Karteikarten, Tagebuch R1 09 04 2010 2011 Interviews 25.-30.10.2007 274 Studierende, 16 BP Fragen „soft and hard facts“, Aufnahmegerät Analyse von existierenden gemeinschaftlichen Wohnsituationen A2 atmos. Fotopaneele des Studentenwohnheimareals A3 HAUS 13 HAUS 13 ENTWURF HAUS 13 R2 F E R T I G S T E L L U N G I1 10 2007 A1 A3 FIKTION A2 FIKTION VORENTWURF A1 MASTERPLAN MASTERPLAN BAUPHASEN ENTWURF VORENTWURF FIKTIONEN Diagramm der Beteiligung AUSFÜHRUNGSPLANUNG Workshoptyp 4: 4: Wunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe PartizipationstypWunscherkundungen in einer anonymen oder unübersichtlichen Nutzergruppe A Alltagsprotokoll I Initialworkshop R Rückkopplung 399 Nachweise 10 10 Nachweise Literaturverzeichnis Agerman, J., The Lift Pavilion, www.iconeye.com, 17.7.2008 Aicher, O., analog und digital, Berlin 19911 Aicher, O., die welt als entwurf, Berlin 19912 Alexander, C., Von fließender Systematik und generativen Prozessen. C. Alexander im Gespräch mit R. Koolhaas und H. U. Obrist, in: Arch+ Heft 189, Aachen 2008, S. 20ff. 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Trotz großer Bemühungen ist es uns nicht gelungen, alle Bildrechteinhaber ausfindig zu machen. Sollten ungeklärte Rechtsansprüche bestehen, bitten wir die Inhaber, sich bei der Autorin zu melden. Die Rechte aller im Folgenden nicht aufgeführten Abbildungen liegen bei der Autorin. 1. Abbildungen Kapitel 1-6 Abb. 2.3.1 Zumthor, P., Atmosphären, S. 28 Abb. 2.3.2 (1) Rahm, P., Meteorological Architecture, Venedig Biennale 2008 Abb. 2.3.2 (2) Stich, S., Yves Klein, Ausstellungskatalog, Stuttgart 1994, S. 126 Abb. 2.3.3 (1) May, S., Eliasson, O., The Weather Project, Wetterdiagramm, London 2003, S.88f Abb. 2.3.3 (2) May, S., Eliasson, O., The Weather Project, London 2003 Abb. 3.1.1 (1) Bauhaus-Archiv u. a. (Hrsg.), Hannes Meyer. Architekt Urbanist Lehrer 1889-1954, Berlin 1989, S. 22 Abb. 3.1.1 (2) Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, 1. Jg., Heft 1, 1925, S. 16f Abb. 3.1.2 Arch+ Heft 189, Aachen 2008, S. 20 Abb. 4.2.1 Rittelmeyer, C., Schulbauten positiv gestalten: wie Schüler Farben und Formen erleben, Wiesbaden/Berlin 1994, S. 44f Abb. 4.2.2.1 Ernst Herb Abb. 4.3.2 Robbins, E., Why architects draw. Interviews, Cambridge/Massachusetts 1994, S.177 Abb. 4.5.1 (1-2) Offsea Abb. 4.5.2 Fritz, O., Arch+ Heft 189, Aachen 2008, S. 64 Abb. 5.2 Blundell Jones, P./Petrescu, D./Till, J. (Hrsg.), Architecture and Participation, London/ New York 2005, S. 65ff. Abb. 5.2.2 (1) Alexander, C./Ishikawa, S./Silverstein, M., Eine Muster-Sprache (Übersetzung Hermann Czech), Wien 1995, S. 1070 Abb. 5.2.2 (2) ebenda, S. 1090 Abb. 5.2.2 (3) ebenda, S. 1192 Abb. 5.2.2 (4) Friedman, Y., Meine Fibel. Wie die Stadtbewohner ihre Häuser und ihre Städte selber planen können, Düsseldorf 1974, S. 18/19 Abb 5.3.1 (1-2) Broome, J., The Segal Method, AJ 5 Nov.1986, S. 51 Abb. 5.3.1 (3) Blundell Jones, P./Petrescu, D./Till, J. (Hrsg.), Architecture and Participation, London/ New York 2005, S. 131 Abb. 5.3.2.1 ebenda, S. 9 Abb. 5.4.1 (1) BKK-3, Deutsche Bauzeitschrift, Wien 1/2003, S. 58f Abb. 5.4.1 (2) Oppenheimer Dean, A./Hursley, T, Proceed and Be Bold, Rural Studio After Samuel Mockbee, New York 2005, S. 23 Abb. 5.4.1 (3) ebenda, S. 99 417 Abb. 5.4.2 (1-2) Park Fiction Abb. 5.4.3 (1-4) AOC Abb. 5.5 Blundell Jones, P./Petrescu, D./Till, J. (Hrsg.), Architecture and Participation, London/ New York 2005, S. 216 2. Abbildungen Kapitel 7 Die Bildrechte für alle im folgenden nicht aufgeführten Abbildungen von Architekturfotografien der Projekte der Baupiloten und Susanne Hofmann Architekten liegen bei dem Fotografen Jan Bitter. Die Bildrechte für alle im folgenden nicht aufgeführten Abbildungen der Entwurfsprozesse und Entwurfsarbeiten liegen bei der Autorin. Abb. 7.1.1 (1) Fuchs, R. H.: Richard Long, New York/London 1986, S. 197 Abb. 7.1.1 (2) ebenda, S. 40 Abb. 7.1.1.2 (1) Astrid Krumbholz Abb. 7.1.1.2 (2) Thomas Konsolke Abb. 7.1.1.2 (3) Nina Pickert Abb. 7.1.1.3 (1) Claudia Wheber Abb. 7.1.1.3 (2) Claudia Heger Abb. 7.1.2.1 Britta Warnholz, Daniela Nenadic Abb. 7.1.2.2 Linda Höser Abb. 7.1.2.3 (1) Friedel, H. (Hrsg.), Jeff Wall, Space and Vision, München 1996, Tafel 6, S.48f Abb. 7.1.2.3 (2) Tim Riedel, Julia Schulz Abb. 7.1.2.3 (3) Studentin HAW Abb. 7.1.2.4 (1) Sandra Grünwald Filme: Hockney, D., Joiner Photographs An exploration of Hockney’s technique for creating photo montages or ‘joiners’. Edited and presented by Melvyn Bragg, Directed by Don Featherstone, Produced by Nick Evans, 1980s 418 Abkürzungsverzeichnis: AOC Agent of Change Arch Architekt BA Bauabschnitt BIG Bjarke Ingels Group BP die Baupiloten ENEV Energieeinsparverordnung Erz Erzieher und Erzieherinnen ESBZ Evangelische Schule Berlin Zentrum JAS Jugend Architektur Stadt NAO Nikolaus-August-Otto-Oberschule POE Post-Occupancy-Evaluations Präs Präsentation QM Quartiersmanagement SHA Susanne Hofmann Architekten BDA VOF Vergabeverfahren nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen Universitäten: AA Architectural Association School of Architecture in London BTU Brandenburgische Technische Universität in Cottbus HAW Hochschule für Angewandte Wissenschaften, deren Fachbereich Architektur ist heute Teil der HafenCity Universität HCU HafenCity Universität JFK John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin KIT Karlsruher Institut für Technologie UdK Universität der Künste, Berlin 419 Lehrveranstaltungsverzeichnis: 1. Entwurfstheoretische Seminare De-kodierung Betreuerin immer Autorin, immer Hauptstudium Diplomstudiengang Architektur. Die Lehrveranstaltungen wurden an der TU Berlin abgehalten, wenn nicht anders angegeben. De-Kodierung VIII Wer hat Angst vor Partizipation? Kotti 3000 – ein Planspiel für das Kottbusser Tor, SoSe 2009 De-Kodierung VII Wer hat Lust auf Jugendkultur? Vorstellungswelten in der niedersächsischen Peripherie, SoSe 2008 De-Kodierung VI Wohnträume im Studentenwohnheim Siegmunds Hof 2010, Entwicklung eines Planspiels für studentisches Wohnen, WiSe 2007/08 De-Kodierung V extrafantasies – Atmosphären kommunizieren Vorstellungswelten, WiSe 2005/06 De-Kodierung IV Das Unsichtbare sichtbar machen. Architektur als Klimaregler. Eine Spekulation. In Kooperation mit Herrn Prof. Dr. Espe, Fakultät Gestaltung, Institut für Theorie und Geschichte der Gestaltung, UDK Berlin, SoSe 2005 De-Kodierung IIIHH „Achtung HafenCity bebt“, Analyse und Spekulation zu Lebensgefühl und Ästhetik, (Lehrauftrag, HAW) SoSe 2004 De-Kodierung IIHH „Achtung Affekt“ (Lehrauftrag, HAW), WiSe 2003/04 De-Kodierung IHH „Hamburg will schöner werden“, Architekturvisionen zu der Bürostadt City Nord, (Lehrauftrag, HAW) SoSe 2003 De-Kodierung III WiSe 2001/02 De-Kodierung II WiSe 2000/01 De-Kodierung I SoSe 1997 2. Entwurfsseminare TU Berlin Betreuerin immer Autorin, immer Hauptstudium Diplomstudiengang Architektur, TU Berlin SoSe 2002 SoSe 2002 Schragereffekt II WiSe 2001/02 Schragereffekt SoSe 2001 Nachtsensationen SoSe 2001 420 Schulsensationen Modernisierung des zentralen Vortragsraum, JFK-Institut, FU Berlin, Entwurf, Planung und Bauleitung, Fertigstellung Januar 2002 WiSe 2000/01 Sündenfall SoSe 2000 Himmel und Hölle SoSe 2000 _travels_into_the_extra.ordinary_of_berlin, (mit A. Benze, A. Kutz, FG Sauerbruch) WiSe 1998/00 Das Unbehagen in der Kultur (mit Gastprof. Diane Lewis, Cooper Union, New York) WiSe 1997/98 Schnitte WiSe 1996/97 Mobilität (mit Gastprof. Renzo Vallebuona) 3. Entwurfsseminare Westminster University, London Betreuerin Entwurfsstudio, erstes Studienjahr, gemeinsam mit Andrew Holmes WiSe 1998/99 Nighthawk City WiSe 1997/98 Talking City 4. Seminare im Rahmen des Studienprojektes Die Baupiloten siehe Steckbriefe 421