technische universität Berlin Aspekte des städtischen Radverkehrs SpektRum DeS VeRkehRSweSenS # 1 Karsten Michael Drohsel • Arvid Krenz • Jörg Leben • Vanessa Lösche Aspekte des städtischen Radverkehrs Spektrum Des Verkehrswesens # 1 Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja KürSpektrum Des Verkehrswesens # 1 bis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel Universitätsverlag der TU Berlin • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Lena Lebahn • Carla Dorothea Pilz • Lars Klippert • Mattis Liebner • Martin Sauer • Valentin Jahn • Katja Kürbis • Marc Thomsen • Tim Stolle • Peter Engels • Jörg Leben • Karsten Michael Drohsel • Vanessa Lösche • Jing Hui Chen • Rite Kunert • Aspekte des städtischen Radverkehrs I mpressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar. Universitätsverlag der TU Berlin 2014 http://www.univerlag.tu-berlin.de Fasanenstr. 88 (im VOLKSWAGEN-Haus), 10623 Berlin Tel.: +49 (0)30 314 76131 / Fax: –76133 E-Mail: publikationen@ub.tu-berlin.de Das Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Druck: Endformat GmbH, Berlin Satz/Layout: Fine Heininger ISBN 978–3–7983–2510–4 (print) ISBN 978–3–7983–2511–1 (online) ISSN 2196–1603 Online veröffentlicht auf dem Digitalen Repositorium der Technischen Universität Berlin: URL http://opus4.kobv.de/opus4-tuberlin/frontdoor/index/index/docId/3801 URN urn:nbn:de:kobv:83-opus4-38014 [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:83-opus4-38014] I nhalt Die Schriftenreihe Spektrum des Verkehrswesens wird von Jörg Leben, Ludger Kühnhenrich und Vanessa Klindworth (geb. Lösche) vom Verkehrswesenseminar des Instituts für Land- und Seeverkehr an der Technischen Universität Berlin herausgegeben. In dieser Schriftenreihe werden vor allem herausragende Arbeiten von Studierenden veröffentlicht. Dies können sowohl Arbeiten sein, die im Rahmen unserer Lehrveranstaltungen »Einführung in das Verkehrswesen« und »Projekt im Verkehrswesen« entstanden sind, als auch von uns betreute Abschlussarbeiten. Im Rahmen dieser Schriftenreihe besteht die Möglichkeit zur Veröffentlichung anderer interessanter Arbeiten aus dem Verkehrswesen. Inhalt Seite 6 Vorwort zur Schriftenreihe Jörg Leben 8 Vorwort zu den Texten Karsten Michael Drohsel & Vanessa Lösche 13 Kapitel 1: Bausteine der Radverkehrsförderung Wege zu einer fahrradfreundlichen Stadt Jing Hui Chen 35 Kapitel 2: Grüne Welle für Berlin Rita Kunert, Lena Lebahn 53 Kapitel 3: Berlin: Pendeln mit dem Mietfahrrad als Ergänzung zum ÖPNV. Ein vergleichender Blick nach Luxemburg, Kopenhagen und Paris. Carla Dorothea Pilz, Lars Klippert, Mattis Liebner 71 Kapitel 4: Einkaufen mit dem Fahrrad: Nachhaltige Stadtmobilität zwischen Förderung und fehlendem Interesse in Berlin Martin Sauer, Valentin Jahn 87 Kapitel 5: Copenhagenize Berlin Katja Kürbis 115 Kapitel 6: Anforderungen und Verhalten von Radfahrenden Eine Bestandsaufnahme Jörg Leben 135 Kapitel 7: Regelwidriges Verhalten im Fahrradverkehr Marc Thomsen 147 Kapitel 8: Fahrradkultur Ein Modewort oder ein gerechtfertigter Begriff? Tim Stolle und Peter Engels 7 Vorwort zur Schriftenreihe 8 Seit 1971 werden am Verkehrswesenseminar Texte und Berichte verfasst. Sei es als Ergebnis von Projekten oder als erste wissenschaftliche Arbeit von Studierenden. Nun sollen, man könnte sagen endlich, einige Arbeiten veröffentlicht werden. Endlich, da bisher auch herausragende Arbeiten oftmals sangund klanglos in den Schubladen versanken und nach fünf tristen Jahren, so will es der Datenschutz, vernichtet wurden. Das soll sich nun ändern. Mit der Schriftenreihe verfolgen wir das Ziel, herausragende und/oder interessante Arbeiten öffentlich zugänglich zu machen. Wir hoffen, dass dies regelmäßig geschehen kann, da eine solche Ausgabe nicht ohne Aufwand vonstatten gehen kann. Denn es soll nicht nur einfach Text an Text aneinander gereiht werden. Vielmehr wollen wir mit jeder Ausgabe, wenn nicht ein höheres Ziel, dann doch zumindest ein kleines Konzept verfolgen. In der Regel soll jede Ausgabe unter einem Thema stehen. In der ersten Ausgabe sind dies Arbeiten zum Verkehrsmittel Fahrrad. Darüber hinaus werden alle Beiträge sorgsam redigiert. Schließlich verfolgen wir auch hier das Ziel unsere Studierenden noch besser auszubilden. Mit der Chance einer eigenen Veröffentlichung vor Augen, möchten wir unsere Studierenden zu weiteren Höchstleistungen motivieren. Die Schriftenreihe wird von uns wie ein Schallplattenlabel gedacht, was es ermöglicht sowohl ›Alben‹ als auch ›Singles‹ und ›Compilations‹ veröffentlichen zu können. In den ›Compilations‹ sollen mehrere Arbeiten, vornehmlich aus unserer Lehrveranstaltung »Einführung in das Verkehrswesen« zusammengestellt werden, die keinen direkten Themenzusammenhang haben; in der Reihe der ›Alben‹ finden Arbeiten zu einem übergreifenden Thema ihren Platz. In der Reihe der Singles wiederum sollen Arbeiten veröffentlicht werden, die alleine in der Lage sind einen eigenen Band zu füllen. Nach unseren Vorstellungen können dies Abschlussarbeiten von Studierenden oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verkehrswesenseminars sein. Jedes Format wird durch ein eigenständiges Layout von der Grafik-Designerin Fine Heininger kenntlich gemacht. Zuletzt noch ein paar Worte zu unserer Institution. Das Verkehrswesenseminar ist eine Einrichtung des Instituts für Landund Seeverkehr. Es wurde gegründet, um interdisziplinäre Aspekte des Verkehrswesens in die Lehre aufzunehmen. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf ein zukunftsorientiertes Berufsbild eines Ingenieurs von großer Bedeutung. Darüber hinaus ist es uns neben der Vermittlung von Fachinhalten wichtig, Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, Moderations- und Präsentationstechniken zu lehren, die in der modernen Berufswelt unabdingbar sind. Aus diesem Grund ist das Training dieser Soft Skills ein wesentlicher Bestandteil unserer Lehrveranstaltungen. Zurzeit werden drei Lehrveranstaltungen angeboten. In der Lehrveranstaltung »Einführung in das Verkehrswesen« werden die Studierenden des Verkehrswesens zum ersten Mal an ihr Studienthema und dessen Auswirkungen auf Umfeld und Gesellschaft und an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt. Darüber hinaus werden zwei Projektlehrveranstaltungen jeweils im Bachelor- und Masterstudiengang angeboten. Hier sollen die Studierenden selbstständig ein Thema bearbeiten. Zum Abschluss wünschen wir Ihnen viel Spaß bei der Lektüre dieses Bandes und hoffentlich einige für Sie neue und vielleicht auch überraschende Informationen und Aspekte. Jörg Leben für das Verkehrswesenseminar 9 Vorwort zu den Texten 10 Nun also liegt sie vor – unsere erste gemeinsame Publikation in der neuen Reihe ›SPEKTRUM DES VERKEHRSWESENS‹. Eine Reihe von Studierenden für Studierende. Durch diese Reihe soll den Tutorinnen und Tutoren des Verkehrswesenseminars ermöglicht werden, studentische Arbeiten von den sie überzeugt sind, die aufgrund ihres Themas, der Bearbeitung oder der Erkenntnisse daraus begeistern, in Publikationstexte umzuwandeln und zu veröffentlichen. Die Reihe ist ein großes Lehrund Lernprojekt des Verkehrswesenseminars: Für die Autorinnen und Autoren, um mit ihren Texten vertiefter umzugehen, für die Herausgeber, um zu lernen, Studierende intensiver zu betreuen, Texte zu redigieren und ein Buch zusammen zu stellen, das einem Thema folgt.   Die Gründung einer neuen Schriftenreihe erfordert nicht nur Herzblut und Ausdauer, sondern auch ein Umfeld, in dem neue Ideen gedeihen und realisiert werden können. Daher möchten wir uns in erster Linie bei Arvid Krenz und Jörg Leben bedanken, die uns die Möglichkeit gegeben haben, sowohl inhaltlich als auch gestalterisch neue Wege zu gehen und diese Schriftenreihe ins Leben zu rufen. Ihr grenzenloses Vertrauen und die stets konstruktive Kritik sowie Hilfe war und ist nicht selbstverständlich.   Für die Hilfe bei der inhaltlichen Gestaltung der Texte gilt unser besonderer Dank Judith Theuerkauf, die sowohl die Autorinnen und Autoren als auch uns in einem Schreib-Workshop mit Rat und Tat zur Seite stand und mit uns einen Leitfaden für die Umwandlung von wissenschaftlichen Arbeiten in Publikationstexte entwickelt hat.   Ferner gilt unser Dank Dominik Grether und Tim Birkholz, die als Experten in den Bereichen »Grüne Welle« und Fahrradverleihsysteme den Studierenden als Paten zu Verfügung standen.   Für die grafische Gestaltung der neuen Schriftenreihe des Verkehrsseminars möchten wir uns herzlich bei der Grafikdesignerin Fine Heininger bedanken, die mit großer Liebe zum Detail das neue Layout mit uns entwickelt und es trotz vieler Anmerkungen geschafft hat eine eigene Handschrift beizubehalten. Mit großer Geduld und Flexibilität hat sie uns begleitet und eine ansprechende grafische Form für die Publikationsreihe gefunden.   Ohne nahezu endlose Korrekturläufe, Reflexionsschleifen und Anpassungen der einzelnen Teile geht ein solches Vorhaben nicht vonstatten. Dabei haben uns unsere Kollegin Elisabeth Ullrich sowie unsere Kollegen Tino Buschmann und Thomas Krause unterstützt und uns kritisch begleitet. Ihnen gilt unser besonderer Dank, vor allem für die Hilfe in der Endphase dieser Publikation.   Wenn die Arbeit an dem vorliegenden Band auch schwierige Phasen hatte, die nicht ganz ohne Konflikte verliefen, haben wir alle im großen Maße davon profitiert und konnten – selbst am Ende unseres jeweiligen Studiums – eine Menge für unsere bald beginnende wissenschaftliche Karriere mitnehmen.   Doch ohne die fleißige Arbeit der Studierenden, die hier als Autorinnen und Autoren ihre Premiere feiern, wäre die Publikation nicht das, was sie geworden ist. Wenn ein Text fertig gestellt ist, endet gleichzeitig auch ein Denkzyklus. Diesen immer wieder zu hinterfragen, den Text anzupassen, Anmerkungen verschiedener Korrekturschleifen einzuarbeiten und den Text immer wieder neu zu finden erfordert ein hohes Maß an Lernbereitschaft und Kritikfähigkeit. Dass die Autorinnen und Autoren, die sich zum Teil im ersten bzw. dritten Bachelor-Semester ihres Studiums befinden, diesen Weg mit uns gegangen sind, zeugt von großem Talent. Wir wünschen allen viel Erfolg im Studium und Beruf und hoffen, dass diese Reihe – der erste Punkt auf ihrer Publikationsliste – ihnen dabei hilft.   Die Texte der ersten Ausgabe der neuen Schriftenreihe des Verkehrswesenseminars beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten des innerstädtischen Radverkehrs – ein Thema, das im Zusammenhang mit der Verknappung fossiler Energieträger und einem steigenden Mobilitätsbedürfnis zusehends relevanter wird. Dabei werden sowohl technische und planerische als auch sicherheitsrelevante und kulturelle Themen angesprochen, die durch Bachelor-Studierende des Einführungsfaches intensiv erarbeitet wurden. Als Ergänzung dazu sind in dieser Ausgabe auch erste Ergebnisse eingeflossen, die im Rahmen einer Dissertation, einer Bachelor-Arbeit und einer Projektveranstaltung gesammelt wurden. Im Folgenden werden alle Arbeiten dieses Bandes entsprechend der Kapitelreihenfolge kurz vorgestellt:   Die Steigerung des Radverkehrsanteils am Modal Split ist ein erklärtes Ziel vieler Kommunen. Was vor allem größere Städte, wie Kopenhagen oder Amsterdam, vormachen, ist aber nicht direkt auf andere Kommunen übertragbar. Jing Hui Chen untersucht – in Anlehnung an seine Bachelorarbeit – in seinem Text die Erfolgsfaktoren der Radverkehrsförderung im In- und Ausland. Aus den Ergebnissen bildet er Bausteine für eine erfolgreiche Förderung des Radverkehrs, die offen genug sind, um auf verschiedene Stadtgrößen skaliert werden zu können.   In der Arbeit von Rita Kuhnert und Lena Lebahn steht der Komfort des zügigen und unterbrechungsfreien Fahrradfahrens auf einer innerstädtischen Magistrale – der Straße des 11 12 17. Juni – im Vordergrund. Anhand eines Vergleichs mit realisierten Beispielen in Kopenhagen und Amsterdam wird eine Grüne Welle für Berlin diskutiert. Die beiden Autorinnen arbeiten insbesondere die Vorteile für die Gruppe der Radfahrenden heraus, die – was außergewöhnlich ist – nicht zu Lasten anderer Gruppen im Verkehrsgeschehen gehen. Wenn eine präzise Analyse der Verkehrsdaten und eine behutsame Berechnung stattfinden – so die These – können alle Verkehrsteilnehmenden davon profitieren.   Die Arbeit von Lars Klippert, Mattis Liebner und Carla Dorothea Pilz widmet sich der Optimierung der Berliner Fahrradverleihsysteme. Hierfür wurden Vergleichskriterien ermittelt und diese auf zwei gängige Verleihsysteme in Berlin sowie drei im europäischen Ausland angewendet. Kernstück der Arbeit ist eine Vergleichstabelle, die alle Kriterien auf einen Blick abbildet und auf diese Weise Potentiale aller verglichenen Systeme schnell identifizierbar macht.   Obwohl Radfahrende für den lokalen Einzelhandel eine wichtige und dauerhaft frequentierende Kundengruppe darstellen, werden die Bedürfnisse dieser nicht in den Fokus des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur um innerstädtische Geschäfte und Arkaden gestellt. Valentin Jahn und Martin Sauer zeigen anhand mehrerer Beispiele in Berlin, wie die verpflichtende Bauordnung vor allem im Bezug auf vorzusehende Abstellanlagen von den Betreibern ausgelegt wird und wie dringlich diese für die Rad fahrende Kundschaft und ein harmonisches Stadtbild in und um Geschäftsstraßen wären.   Ist es erstrebenswert bei Problemen in der eigenen Stadt sogenannten Good- oder Best-Practice-Beispielen zu folgen, und was bedeutet dies in letzter Konsequenz? Der Aufsatz »Copenhagenize Berlin?« begegnet diesen und weiteren daraus resultierenden Fragen sehr kritisch. Katja Kürbis untersucht akribisch die guten Beispiele aus Kopenhagen auf Grundlage von eigendefinierten Kriterien des Komforts für Radfahrende und bietet einen anwendungsbezogenen Vergleich für die Stadt Berlin an. Verblüffend ist ihr Ergebnis, klar und brisant die Aussage in Richtung der Berliner Fahrradpolitik.   Jörg Leben zeigt in Bezug zu seiner Dissertation anhand einer umfassenden Literaturrecherche, dass Radfahrende zwar auf der einen Seite einen großen Beitrag zur klimagerechten Stadt leisten, deren Bedürfnisse an die Infrastruktur bislang nicht ermittelt wurden. Radfahrende werden meist als Rowdies oder Störfaktoren im Verkehrsfluss wahrgenommen, ungeachtet der Tatsache, dass sie am meisten unter der Motorisierung leiden. Mit wenig Platz und in ständiger Unfallgefahr bewegen sie sich durch die Städte und da wo es notwendig ist, legen sie die Regeln bisweilen gezwungenermaßen nach ihren Bedürfnissen aus. Um dieses nicht zu etablieren, sollen die Bedürfnisse der Radfahrenden ermittelt werden, um die Infrastruktur sowie die Regelung des Radverkehrs gegebenenfalls radverkehrsfreundlich anpassen zu können.   Anonymität und Regelkonformität stehen in einem direkten Zusammenhang, so die Erkenntnis von Marc Thomsen, der sich in seiner Arbeit den Aspekten der Sicherheit und Ahndung von Verstößen im Radverkehr über diesen Zugang nähert. Er sieht große Probleme auf alle Verkehrsteilnehmenden zukommen, sollte der Radverkehrsanteil am Modal Split weiter erhöht werden, ohne einer gleichzeitigen Beschäftigung mit den parallel ansteigenden Verstößen gegen die Regelungen der Straßenverkehrsordnung.   Häufig wird von dem Begriff Fahrradkultur gesprochen, wobei es unklar ist, ob es sich hierbei um ein geschicktes Marketing für Fahrradprodukte handelt oder, ob dieser Kulturbegriff darüber hinaus auch einer systematischen Kulturanalyse standhält. Peter Engels und Tim Stolle untersuchen dieses Phänomen anhand gängiger und eigenermittelter Kriterien aus den Bereichen der anerkannten Mobilitäts- und Autokultur und wenden diese auf den Begriff der Fahrradkultur an. Karsten Michael Drohsel und Vanessa Lösche 13 Kapitel 1 Bausteine der Radverkehrsförderung Wege zu einer fahrradfreundlichen Stadt Jing Hui Chen Inhalt Bausteine der Radverkehrsförderung Rahmenbedingungen des Radverkehrs • Physische Rahmenbedingungen • Soziale Rahmenbedingungen • Räumliche Rahmenbedingungen • Zwischenfazit Baustein I - Form und Organisation der Radverkehrspolitik • Radverkehrspolitik unter Berücksichtigung von Zielgruppen • Restriktionen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) Baustein II und III - Maßnahmen der Radverkehrsförderung • Baustein II – Infrastrukturelle Maßnahmen • Baustein III – Weiche Maßnahmen Best-Practice-Stadt Groningen (NL) • Die Radverkehrspolitik in Groningen • Die Radverkehrsinfrastruktur in Groningen • Die weichen Maßnahmen in Groningen • Groningen: Erfolg durch integrative Planung Fazit 15 Was sind die Bausteine der Radverkehrsförderung? 16 Seit den 1970er Jahren wird das Thema Radverkehrsförderung in Deutschland mit wechselndem Interesse diskutiert. Das Ziel war und ist die Erhöhung des Stellenwertes des Radverkehrs nach der weitverbreiteten Motorisierung in den 1960er Jahren (vgl. Monheim 2005, S. 7). Vor allem in den letzten Jahren ist der Radverkehr wieder in das Blickfeld von Planern und Politikern gerückt, nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels und den daraus resultierenden Anforderungen zukunftsfähiger Städte. Ein Beispiel dafür ist der Nationale Radverkehrsplan 2002–2012 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, welcher eine Fülle an Maßnahmen enthält, um den Radanteil am Modal Split, die Verteilung des Verkehrsaufkommens nach Verkehrsmitteln, in den deutschen Kommunen zu erhöhen (vgl. BMVBS 2002).   Durch eine ausgewogene Fahrradpolitik ist es einigen europäischen Städten gelungen, dieses schon jetzt umzusetzen. Diese Beispiele, wie z. B. das der Stadt Münster, werden bei der Aufstellung von Radverkehrsstrategien oft als Best-Practice-Beispiele genannt. Wenn man die Zahlenwerte Münsters näher betrachtet, kann man sich ein Bild machen, warum: In Münster lag der Anteil der Radfahrenden im Jahre 1982 bei 29,2 % und stieg im Jahre 2007 aufgrund gezielter Förderung auf 37,6 % (vgl. Fromberg/Gwiasda 2009, S. 12).   Die Elemente einer fahrradfreundlichen Stadt sind durch Best-Practice-Beispiele wie dieses bekannt. So sind nach der Friedrich Ebert Stiftung die Komponenten einer fahrradfreundlichen Stadt die Anlage eines Fahrradwegenetzes, Maßnahmen zur Verkehrsregelung, die Verknüpfung des Radverkehrs mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und dem motorisierten Individualverkehr (MIV), Maßnahmen für den ruhenden Radverkehr und systembegleitende Komponenten (vgl. Friedrich Ebert Stiftung 2000). Jedoch können Erfolgsfaktoren auf dem Gebiet des Radverkehrs einer Stadt nicht direkt auf andere Städte übertragen werden, denn es gibt bislang kein allgemeines Maßnahmenpaket um den Radverkehr nach einem Muster auch in anderen Kommunen zu fördern (vgl. Evers 2003, S. 23).   Welche Wege führen demnach zu einer fahrradfreundlichen Stadt? Im folgenden Aufsatz soll untersucht werden, welche Maßnahmen und Bausteine zu einer generellen Radverkehrsförderung führen können, um die Radanteile am Modal Split in den Städten zu erhöhen. Es sollen in einem ersten Schritt Möglichkeiten ermittelt werden, die im nächsten Schritt eine Bewertung nach individuellen Kriterien erlauben. Um generelle Bausteine der Radverkehrsförderung zu ermitteln bedarf es einer Systematik der Betrachtung. Da die Rahmenbedingungen des Radverkehrs die Radnutzung in den Städten maßgeblich beeinflussen, verdienen diese im Bezug auf die Radverkehrsförderung eine stärkere Betrachtung. Es werden zuerst die physischen, sozialen und räumlichen Rahmenbedingungen des Radverkehrs und deren Einfluss auf die Radnutzung untersucht, danach wird analysiert auf welche Arten Radverkehrspolitik organisiert werden kann, wie es um den Inhalt und in Folge dessen die Maßnahmen der Radverkehrspolitik und der Radverkehrsförderung bestellt ist. Aus dieser Analyse sollen Bausteine abgeleitet werden, die anhand der niederländischen Stadt Groningen, die ebenfalls als Best-Practice-Beispiel gilt, in der Praxis überprüft werden. Soziale Rahmenbedingungen Die sozialen Rahmenbedingungen stellen unter anderem die individuellen Einstellung zum Radverkehr dar und sind gegenüber den physischen Voraussetzungen in der Regel zu beeinflussen (vgl. Krause/Hildebrandt 2005, S. 9). Bestimmte soziale Rahmenbedingungen, beispielsweise die Demographie, sind 17 Physische Rahmenbedingungen Zu den kaum oder nicht beeinflussbaren Rahmenbedingungen gehören die physischen Rahmenbedingungen. Dazu zählen zum Beispiel die Topographie und das Klima (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 9). Diese Faktoren haben einen tendenziell negativen Einfluss auf die Radverkehrsnutzung (vgl. Ververs/Ziegelaar 2006, S. 24). Der Zusammenhang zwischen Wetter und Radnutzung wird in einer niederländischen Studie von Van Boggelen verdeutlicht. Demnach ist die durchschnittliche Anzahl zurückgelegter Kilometer mit dem Fahrrad an Tagen mit Temperaturen höher als 25 Grad Celsius größer. Auffällig ist auch, dass die Radnutzung der Niederländer in den letzten Jahren infolge milderer Wetterbedingungen um sechs Prozent gestiegen ist (vgl. Van Boggelen 2007a, S. 5). Rahmenbedingungen des Radverkehrs Die Radverkehrsanteile am Modal Split korrelieren teilweise mit den Rahmenbedingungen des Radverkehrs. Auf der einen Seite stehen physische Rahmenbedingungen, die kaum oder nur mit großem Aufwand zu beeinflussen sind, auf der anderen Seite sind Rahmenbedingungen zu finden, die durch eine gezielte Radverkehrspolitik beeinflussbar sind. In dem folgenden Abschnitt wird die zentrale Frage nach den die Radnutzung behindernden Rahmenbedingungen untersucht. Welche Schwachstellen des Radverkehrs benötigen demzufolge eine besondere Betrachtung bei der Förderung des Radverkehrs? jedoch schwieriger zu beeinflussen. Zur Bestimmung von effektiven Maßnahmen für Verkehrsteilnehmende, die bereits an dem Fahrradverkehr teilnehmen, und insbesondere für Verkehrsteilnehmende, die eher mit dem Pkw unterwegs sind, bietet es sich an, Motive für die Nicht-Nutzung des Fahrrades im Alltagsverkehr und das Image des Radverkehrs in der Bevölkerung zu analysieren. Ebenso kann die Bevölkerungszusammenstellung erörtert werden. Motive für die Nicht-Nutzung des Fahrrades im Alltagsverkehr   Das Ziel der Radverkehrsförderung ist in der Regel die Verlagerung von Anteilen aus dem motorisierten Individualverkehr auf den Radverkehr. Daher ist es durchaus sinnvoll zu untersuchen, welche Motive für die Nicht-Nutzung des Fahrrades im Alltagsverkehr bestehen. In einer Studie des Instituts Wohnung und Umwelt (IWU), der Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV) und der TU Darmstadt, wurden 2002 die Einflussgrößen und Motive der Fahrradnutzung im Alltagsverkehr untersucht. Teil der Studie war die Erfassung problematischer Situationen im Radverkehr, die zur Folge haben, dass das Rad weniger benutzt wird. Die Befragten waren der Ansicht, dass folgende Aspekte problematisch sind: 18 • Infrastruktur: zum Beispiel zu schmale Radwege und ungünstige Streckenführung • Zustand der Infrastruktur: beispielsweise Laub und Schnee auf den Radwegen und beschädigte Radwege • Verhalten anderer Verkehrsteilnehmenden: zum Beispiel parkende Autos auf den Radwegen und hohe Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs (vgl. Bohle/Borcherding/Flade et al. 2002, S. 115). Gründe für die fehlende Teilnahme an dem Radverkehr sind demzufolge nicht nur der Mangel an Radwegen, sondern auch deren Zustand, die ungünstige Planung des Radverkehrsnetzes und das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmender, die zu einer verminderten Radnutzung führen (vgl. Bohle/Borcherding/ Flade et al. 2002, S. 116). Ein weiteres Hemmnis kann Diebstahl sein. In der niederländischen Stadt Amsterdam ist der Diebstahl von Fahrrädern ein erhebliches Problem, so lag die Diebstahlrate 2005 bei 10 %. Dies hat zur Folge, dass ein Teil der Einwohner, aus Angst vor Diebstahl, kein Fahrrad mehr besitzen (vgl. Hartog 2005, S. 60). Das Image des Fahrrades   Der niederländische Radverkehrsrat (Fietsberaad) hat 2009 untersucht, welches Image der Radverkehr unter Pkw-Fahrenden, Radfahrenden und Verkehrsteilnehmenden, die beide Verkehrsmittel benutzen, hat. Alle Gruppen ordnen die negativen Begriffe »Unsicherheit« und »Anstrengung« dem Radverkehr zu (siehe auch Tabelle 1.1). Positive Begriffe, wie »Entspannung«, »Spaß«, »Schnelligkeit«, »Freiheitsgefühl« werden durch Pkw-Fahrende dem Pkw-Verkehr zugeordnet, im Gegensatz dazu verbinden die zwei anderen Gruppen diese Begriffe mit dem Fahrrad (vgl. Van Boggelen 2009, S. 11). Verkehrsteilnehmende, die das Fahrrad nutzen, stehen also dem Radverkehr wesentlich positiver gegenüber. Anstrengung Entspannung Spaß Schnelligkeit Freiheitsgefühl uelle : igene D Unsicherheit Q E Tabelle 1.1: Image des Fahrrades PKW Fahrad Legende: arstellung PKW-Fahrende Radfahrende Verkehrsteilnehmer, die beide Verkehrsmittel benutzen Gleiche Tendenzen sind in der Studie der Universität Lund zu finden. Zudem wird in dieser Studie gezeigt, dass das Image des Fahrrades als ein »poor man vehicle« manche Pkw-Fahrende davon abhält an dem Radverkehr teilzunehmen (vgl. Hydén/Nilsson/Risser 1998, S. 49 f.). Bevölkerung der Stadt   Die Zusammenstellung der Stadtbevölkerung ist ein weiterer Faktor, der die Radnutzungsanteile in einer Stadt bestimmen kann. So haben Jugendliche einen positiven Einfluss auf die Radnutzungsanteile, ältere Menschen hingegen können einen negativen Einfluss haben (vgl. Van Boggelen 2007b, S. 8). Einzelhaushalte nutzen, im Vergleich zu Mehrfamilienhaushalten, vermehrt Fahrräder. Darüber hinaus kann auch die Anzahl der Einwohnenden, welche Arbeitslosengeld beziehen, die Religion und die Herkunft der Bewohner von Relevanz sein. So steht die Anzahl der Personen, die Arbeitslosengeld beziehen in einem negativen Zusammenhang mit den Radnutzungsanteilen in einer Stadt (vgl. Ververs/Ziegelaar 2006, S. 24). Das Image des Fahrrades als poor man vehicle ist deshalb in Wirklichkeit illegitim. 19 Darüber Hinaus hat auch die Anzahl der muslimischen Einwohnenden, kulturell bedingt, einen negativen Einfluss auf die Radnutzungsanteile einer Stadt (vgl. Ververs/Ziegelaar 2006, S. 24 und Ligtermoet 2009, S. 8). Räumliche Rahmenbedingungen 20 Räumliche Einflüsse auf den Radverkehr werden ersichtlich, wenn zuerst die durchschnittlichen Tür-zu-Tür-Reisezeiten des Fahrrades mit den Reisezeiten des Pkws verglichen werden. Das Fahrrad ist, bis zu einer Entfernung von ca. 5 km, im Stadtbereich das schnellste Verkehrsmittel (vgl. Feldkötter 2003, S. 51). In Kommunen mit einer Raumordnung ausgerichtet nach den Leitzielen der »Stadt der kurzen Wege« oder der »Kompakten Stadt« oder einer Raumordnung, die eine Nutzungsmischung gewährleistet, werden mehr Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, weil verstärkt kurze Entfernungen zurückgelegt werden müssen (siehe auch das Best-Practice-Beispiel Groningen). Räumliche Entwicklungen wie die Suburbanisierung, und die damit verbundene Entstehung von Suburbs haben gezeigt, dass eine Entmischung der Funktion stattfindet: zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen müssen größere Entfernungen zurückgelegt werden, welches unattraktiv für den Radverkehr ist (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 5).   Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Radnutzung durch Rahmenbedingungen bestimmt wird. Teilweise sind diese jedoch nicht beeinflussbar, wie z. B. die physischen Rahmenbedingungen. In der Radverkehrsförderung liegt es deshalb nahe, die beeinflussbaren Rahmenbedingungen, wie Motive für die Nicht-Nutzung des Fahrrades im Alltagsverkehr, das Image des Fahrrades und die räumlichen Rahmenbedingungen, als Basis für die Entwicklung der Radverkehrspolitik und ihrer Maßnahmen zu betrachten. Baustein I – Form und Organisation der Radverkehrspolitik Bei der Konzipierung der Radverkehrsförderung sollten zuerst Überlegungen über den ersten Baustein Form und Organisation der Radverkehrspolitik gemacht werden. So bestehen verschiedene Möglichkeiten für die Implementierung einer Radverkehrsförderung. In der Radverkehrspolitik kann zum Beispiel entschieden werden lediglich infrastrukturelle Maßnahmen durchzuführen. Dieser Ansatz ist jedoch nicht erschöpfend, denn das System Radverkehr besteht nicht nur aus Radverkehrsinfrastruktur. Die Voraussetzung für eine verstärkte Fahrradnutzung ist ein interdisziplinär vernetztes System, welches sämtliche Eigenschaften des Radverkehrs berücksichtigt (vgl. Kalle 2005, S. 14). Dies beinhaltet, neben Infrastruktur, auch Service für Radfahrende und Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 10). Eine weitere Herangehensweise ist die Aufteilung des Systems in die Bereiche Infrastruktur, Service, Information und Kommunikation (vgl. Koch/ Kammerer/Reinberg et al. 2009, S. 14). Neben dem Inhalt mit einer klaren Strategie sind politische Unterstützung, eine ausreichende Finanzierung und eine klare organisatorische Einbettung der Fahrradpolitik in alle kommunalen Abteilungen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fahrradpolitik (vgl. Hartog 2005, S. 21). Die Radverkehrspolitik kann entweder als eigenständiges Instrument implementiert werden oder in der allgemeinen Verkehrspolitik integriert sein (vgl. Fruianu/De Munck/ Voerknecht 2009, S. 26). Darüber hinaus kann das Thema Radverkehr in anderen Planungen, wie beispielsweise in der Bauleitplanung (vgl. FGSV 2010, S. 13) und der Lokalen Agenda 21 (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 49) thematisiert werden. Weitere Zusammenarbeit ist mit Akteuren aus dem öffentlichen und privaten Bereich möglich, respektive notwendig: »Seitens der öffentlichen Akteure sollen insbesondere private Akteure eingebunden werden, um die (…) Strategien auf einer breiten gesellschaftlichen Plattform zu verankern.« (Thiemann-Linden/ Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 6). So sind Kooperationen mit Fahrradhändlern und Arbeitgebern denkbar. Aber auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen können, vor allem im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, eine Rolle in der Radverkehrsförderung spielen (vgl. Hartog 2005, S. 13). Für die Finanzierung von, beispielsweise, dem Bau neuer Infrastruktur sind auch public private partnerships, eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, möglich (vgl. Hartog 2005, S. 33). Eine weitere Kooperationsgruppe sind betroffene Bürger und Bürgerinnen: »Nach dem Beschluss zur Aufstellung eines Radverkehrskonzeptes müssen die Bürger frühzeitig in die Planung eingebunden werden: [...] Nach dem Entwurf des Hauptnetzes der Radverkehrsverbindungen sollten die interessierten 21 Bürger zu den Grundstrukturen des Radverkehrsnetzes gehört werden.« (Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 48) Radverkehrspolitik unter Berücksichtigung von Zielgruppen 22 Eine Radverkehrsförderung, die auf den Wegezwecken von Radfahrenden basiert, hat sich z. B. in den Niederlanden bewährt. Insbesondere sind folgende Wegezwecke Gegenstand der niederländischen Radverkehrsförderung: • Arbeit • Einkauf • Bildung • Intermodalität (Fahrrad und ÖV oder Pkw) und • Tourismus (vgl. Hartog 2005, S. 35). In vielen niederländischen Kommunen werden für jeden Wegezweck eigene Maßnahmen erstellt, die dazu führen, dass bestimmte Zielgruppen effektiver angesprochen werden. Dies resultiert in einer erhöhten Radnutzung (vgl. Hartog 2005, S. 35). So kann die Radverkehrspolitik im Berufsverkehr den Radverkehr auf positive Weise steuern, in dem Maßnahmen durchgeführt werden, wie beispielsweise die Bereitstellung von Dienstfahrrädern für Pendler und Pendlerinnen (vgl. Hartog 2005, S. 37). Für Schüler und Schülerinnen kann die Sicherheit von Schulwegen erhöht werden, damit mehr Schüler und Schülerinnen konfliktund unfallfrei mit dem Fahrrad zur Schule fahren können.   Auch können Maßnahmen durchgeführt werden, die die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Kinder, ältere Menschen (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 14 f.), Migranten und Migrantinnen (vgl. Van Beek/Hoogeland/Kats et al. 2007, S. 5 f.) berücksichtigen. Restriktionen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) Um möglichst viele Wege, die im Moment mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, durch Wege mit dem Fahrrad zu ersetzten, sollte eine Kombination aus Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs und Restriktionen zur Beschränkung konkurrierender Verkehrsmittel angestrebt werden. Anreize allein sind hier nicht ausreichend, weil das Fahrrad mit den anderen Verkehrsmitteln um den verfügbaren Raum konkurriert (vgl. Meschik 2008, S. 25). Bei diesem integrativen Ansatz wird die Verkehrspolitik einerseits durch eine Fahrradförderung mit sogenannten »Pull-Maßnahmen«, und andererseits aus Restriktionen für den MIV, die man auch unter »Push-Maßnahmen« versteht, betrieben. In der Radverkehrspolitik der dänischen Hauptstadt Kopenhagen wird diesen Ansatz verfolgt. So bestehen in dieser Stadt beispielsweise hohe Parkgebühren für Autos (bis zu 4 Euro pro Stunde) um den MIV zurückzudrängen und es wird Platz für Fahrradparken geschaffen um den Radverkehr zu fördern (siehe auch ›Aufsatz Copenhagenize Berlin?‹ von Katja Kürbis). Weitere Beispiele für Maßnahmen und deren Bereiche zeigt die folgende Tabelle: Fahrradförderung Restriktionen für den MIV Platzschaffen z. B. Bau von Fahrrdwegen Platzabgeben Sicherheit z. B. geringe KFZGeschwindigkeit Ökonomische Instrumente z. B. Straßenmaut Fahrradklima z. B. differenzierte Planungen für alle Nutzergruppen des Radverkehrs Parkraumbewirtschaftung z. B. Parkraureduzierung Komfort z. B. gute Wegweisung Erhöhung des Raumwiederstandes: Parkplätze nicht näher als ÖV-Haltestellen Energieverbrauch (Beschleunigung): z. B. direkte Führung Geschwindigkeitsdämpfung Wie die aufgeführten Beispiele zeigen, bestehen mehrere Möglichkeiten die Radverkehrspolitik zu gestalten. Um ein optimales Radverkehrsklima zu erreichen, sollte der Radverkehr in der Verkehrspolitik als Gesamtsystem, welches Infrastruktur, Service für Radfahrende und Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet, definiert werden. Eine effektive Radverkehrsförderung kann entstehen, wenn die Radverkehrspolitik auf Zusammenarbeit mit anderen Fachplanungen ausgerichtet ist. So kann das Thema Radverkehr beispielsweise ein Gegenstand der Raumplanung sein. Darüber hinaus kann durch eine gezielte Radverkehrspolitik die Ausrichtung der Maßnahmen bestimmt werden, beispielsweise infolge der Durchführung von Maßnahmen unter Berücksichtigung von Wegezwecken oder gruppenspezifischen Bedürfnissen. Eine Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Akteuren ist häufig möglich und wird als sinnvoll angesehen. So sorgt z. B. die frühzeitige Beteiligung der Bürger für eine erhöhte Akzeptanz der Radverkehrspolitik und gegenüber nachgelagerten Maßnahmen in der Bevölkerung. Restriktionen für den MIV sind ein weiteres Instrument um den Radverkehr zu fördern. In Tabelle 1.3 wird der erste Baustein, bestehend aus den organisatorischen Elementen der Radverkehrspolitik, dargestellt. Q uelle : Veränderte Darstellung nach Teufel 1997 Tabelle 1.2: Integrativer Ansatz mit Restriktionen für den MIV 23 Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 1.3 – Baustein I: Form und Organisation der Radverkehrspolitik · · · · · Ausrichtung der MaSSnahmen · Maßnahmen für bestimmte Zielgruppen nach dem Wegezweckansatz (Arbeit, Einkauf, Bildung, Intermodalität, Tourismus) · Maßnahmen für bestimmte Bevölkerungsgruppen (z. B. Kinder, ältere Menschen, Migranten und Migrantinnen) · Integrativer Ansatz mit Push-Maßnahmen (Restriktion für den MIV) und Pull-Maßnahmen (Förderung des Radverkehrs) Zusammenarbeit Baustein II und III – Maßnahmen der Radverkehrsförderung 24 Art der Radverkehrspolitik · Zusammenarbeit mit öffentlichen Akteuren · Zusammenarbeit mit privaten Akteuren · Bürgerbeteiligung Verständnis des Radverkehrs als »System« Eigenständige Radverkehrspolitik Integrierte allgemeine Verkehrspolitik Integrierte Raumplanung Integriert in andere Planungen Nach der Organisation und der Gestaltung der Form der Radverkehrspolitik folgt die Bestimmung der Maßnahmen, die zu den radverkehrspolitischen Zielen führen sollten.   Im Allgemeinen gibt es zwei Maßnahmenkategorien in der Radverkehrsförderung, die gleichzeitig die nächsten zwei Bausteine sind. Infrastrukturelle Maßnahmen oder auch harte Maßnahmen sowie weiche Maßnahmen, die die infrastrukturellen Maßnahmen durch Serviceangebote für Radfahrende, Organisation der Radverkehrspolitik und Öffentlichkeitsarbeit begleiten (vgl. Meschik 2008, S. 25). Baustein II – Infrastrukturelle Maßnahmen Infrastrukturelle Maßnahmen sind ein Element des systematischen Ansatzes zur Förderung des Radverkehrs. Unter Radverkehrsinfrastruktur sind neben den Anlagen für den fließenden Radverkehr, beispielsweise Radfahrstreifen und Anlagen in Knotenpunktbereichen, auch Anlagen für den ruhenden Verkehr und Wegweiser zu verstehen (vgl. Feldkötter 2002, S. 57). Die Förderung des Radverkehrs durch den Bau oder die Erweiterung der radverkehrlichen Infrastruktur sollte ein wichtiger Bestandteil der Fahrradpolitik sein, denn die Fahrradnutzung nimmt um so stärker zu, »je besser eine Radverkehrsinfrastruktur ist und je mehr diese den Anforderungen der Radfahrer entspricht« (Feldkötter 2002, S. 82). Nach dem CROW, das niederländische Wissenszentrum für Infrastruktur, Verkehr, Transport und öffentlichen Raum, sind folgende Punkte die Hauptanforderungen an eine radfreundliche Infrastruktur: • Zusammenhang: Die Radverkehrsinfrastruktur sollte ein zusammenhängendes Netz formen, sowie mit der Infrastruktur anderer Verkehrsmittel verknüpft sein; • Direktheit: Es sollten schnelle (zeitliche Direktheit) und direkte Verbindungen angeboten werden mit einem minimalen Umweg (räumliche Direktheit); • Komfort: Die Infrastruktur sollte in einem guten Zustand sein, angemessene Abmessungen haben und wenig durch andere Verkehrsteilnehmende behindert werden; • Attraktivität: Die Infrastruktur des Radverkehrs soll städtebaulich zur Umgebung passen und eine gute soziale Sicherheit bieten; • Sicherheit: Radfahrende sind im Verkehr gefährdeter als Pkw-Fahrende, z. B. durch eine fehlende Knautschzone. Um die Sicherheit im Radverkehr zu erhöhen, können folgende Maßnahmen durchgeführt werden: – Minimierung der Führung über unsichere Straßen – Kürzere Wege – Einheitlichkeit im Entwurf der Anlagen – Erkennbarkeit der radverkehrlichen Infrastruktur – Geschwindigkeitsbegrenzung des Pkw-Verkehrs an kritischen Stellen, zum Beispiel an Knotenpunkten (vgl. De Groot 2007, S. 30 ff.). Weiterhin brauchen Radfahrende nicht nur ein gutes Radwegenetz mit schnellen Verbindungen und sichereren Kreuzungen, sondern auch sichere und gute Abstellmöglichkeiten. »Das Fehlen geeigneter Abstellanlagen ist oft ein Grund, warum das Fahrrad nicht als Alltagsverkehrsmittel verwendet wird.« (Meschik 2008, S. 23) Insbesondere an Punkten, wie zum Beispiel Schulen und Einkaufszentren, an denen die Diebstahlgefahr und Nachfrage besonders hoch ist, sollten genügend Fahrradabstellanlagen vorhanden sein (vgl. Infomart o.J., S. 333) (siehe auch Aufsatz ›Einkaufen mit dem Rad‹ von Martin Sauer und Valentin Jahn). Zudem verdienen Abstellmöglichkeiten in Wohngebieten eine besondere Bedeutung, weil die Wohnung Ziel und Quelle vieler Radfahrten ist. Vor allem in älteren Wohnquartieren mit hoher Bebauungsdichte besteht wenig Platz für das Fahrrad, was zu Konflikten führen kann. Zusätzliche Anlagen sind hier oft erforderlich (vgl. Hartog 2005, S. 58).   Die Anlagen für den ruhenden Radverkehr sollten den nach Meschik bestimmten Standards entsprechen. So sollten Abstellanlagen sich so nah wie möglich am Ziel befinden, vor Diebstahl und Beschädigung schützen und einfach zu bedienen und zu begreifen sein. Weitere Voraussetzungen sind ein niveaugleicher und direkter Zugang zu den Fahrradabstellanlagen, Schutz gegen schlechtere Wetterbedingungen und die 25 Kennzeichnung der Anlagen für den ruhenden Radverkehr (vgl. Meschik 2008, S. 23).   An Bahnhöfen und anderen wichtigen ÖPNV-Knotenpunkten können Abstellanlagen als »Bike and Ride«-Anlagen vermarktet werden. Eine weitere besondere Form ist die Fahrradstation, die auch in Stadtzentren zu finden ist. Hier wird bewachtes Parken mit zusätzlichen Services wie beispielsweise Reparatur, Vermietung und Fahrradwaschanlage kombiniert (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 73, 75 f.). Fahrradstationen sind beispielsweise an den Hauptbahnhöfen von Münster (vgl. Radstation Münster Hbf. o.J.) und Oldenburg (vgl. ProFil GmbH 2007) zu finden.   Eine zusätzliche Strategie für den ruhenden Radverkehr, die die Maßnahmen für das Fahrradparken bündelt, kann eine Lösung sein um strukturiert Fahrradparkprobleme zu lösen (vgl. Hartog 2005, S. 59). Von großer Bedeutung ist die Ermittlung der benötigten Anlagen vor der Entwicklung der Strategie (vgl. Infomart o.J., S. 335).   Der zweite Baustein Radverkehrsinfrastruktur besteht also aus Maßnahmen, die die Radverkehrsinfrastruktur nach den Hauptanforderungen verbessern sollen und Maßnahmen für den ruhenden Radverkehr. In der nächsten Tabelle werden die Bestandteile des zweiten Bausteins, die Hauptanforderungen und Maßnahmen im Bereich Radverkehrsinfrastruktur, zusammengefasst: 26 Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 1.4: Baustein II: Radverkehrsinfrastruktur Hauptanforderungen an Radverkehrsinfrastruktur · · · · · Zusammenhang Direktheit Komfort Attraktivität Sicherheit Ruhender Fahrradverkehr · · · · · Strategie für den ruhenden Fahrradverkehr Fahrradparken im öffentlichen Straßenverkehr Fahrradparken in Wohnquartieren Fahrradstationen Bike and Ride Baustein III – Weiche Maßnahmen Unter den weichen Maßnahmen sind Maßnahmen zu verstehen, welche die radverkehrliche Infrastruktur begleiten und ergänzen. Es handelt sich teilweise um organisatorische Maßnahmen, wie beispielsweise Bewusstseinsbildung, Information, Beratung, Management und Marketing, die sich an alle Gruppen von Verkehrsteilnehmenden richten. Die Reichweite dieser Maßnahmen kann bei erfolgreicher Durchführung sehr groß sein, weil sie Verkehrserzeugung, Verkehrsmittelwahl und Routenwahl beeinflussen können (vgl. Meschik 2008, S. 26). Evaluation der Radverkehrspolitik   Um eine solide Planungsbasis zu entwickeln, ist die Ermittlung des Fahrradklimas beziehungsweise die Evaluation der Fahrradpolitik ein wichtiger Schritt im Planungsprozess. Ein Instrument zur Evaluation ist ein Benchmarking, das den Zustand des Radverkehrs in der eigenen Stadt mit dem anderer Städte nach durch den Auftraggeber selbstbestimmten Kriterien vergleicht. Der Schwerpunkt eines Benchmarking-Verfahrens ist die Erstellung eines Aktionsplans mit Vorschlägen für die Radpolitik (vgl. Thiemann-Linden/ Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 54). Weiterhin können auch standardisierte Verfahren durchgeführt werden um die Qualität des Radverkehrs zu überprüfen. Insgesamt bestehen europaweit drei Verfahren. Das erste Verfahren ist BYPAD (Bicycle Policy Audit), das den Stand der Radverkehrspolitik mit qualitativen Daten und Untersuchungen ermittelt und dem Qualitätsmanagement dient. Es zeigt welche Maßnahmen durchgeführt werden sollten, um eine höhere BYPAD-Qualitätsstufe zu erreichen. In diesem Verfahren findet kein Vergleich zwischen Städten statt. Im Gegensatz zum BYPAD ist das Verfahren Bicycle Account quantitativ ausgerichtet, indem die Meinungen der Radfahrenden berücksichtigt und Kenndaten analysiert werden. Dieses Verfahren ist als Monitoring-Verfahren zu bezeichnen (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S. 53). Die dritte Methode kommt aus den Niederlanden und heißt Fietsbalans. Diese ermittelt die Stärken und Schwächen der Radverkehrspolitik durch standardisierte Umfragen unter Verwaltungsmitarbeitenden und Radfahrenden. Darüber hinaus werden Kenndaten analysiert und die Radverkehrsinfrastruktur durch Messungen mit einem Messfahrrad bewertet. Durch die Standardisierung ist ein Ranking zwischen teilnehmenden Städten möglich (vgl. Hartog 2005, S. 27). Auch die Anstellung eines Fahrradbeauftragten und die Einrichtung einer Radverkehrskontaktstelle können zur Sicherung und Verbesserung der Qualität des Radverkehrs beitragen, in dem sie zur Problemanalyse beitragen und Wünsche von Radfahrenden sammeln. Die Politik und Verwaltung hat somit eine Arbeitsgrundlage, die zur Bestimmung der Radverkehrsförderung benutzt werden kann (vgl. Meschik 2008, S. 27 f.). Service und Maßnahmen zur Förderung intermodaler Wege   Weitere unterstützende Maßnahmen bieten Maßnahmen aus dem Bereich Service und Maßnahmen zur Förderung intermodaler Wege. Durch diese kann die Radverkehrsnutzung erhöht werden, weil sie den Radverkehr komfortabler und somit für bestimmte Personen zugänglicher machen. So können Betriebe als Serviceangebot, eventuell in Kooperation mit der Kommune, Dienstfahrräder bereitstellen und Umkleideräume einrichten (vgl. Kalle 2005, S. 23 f.). 27 Weitere Servicemaßnahmen, um den Radverkehr komfortabler zu gestalten, sind die Entwicklung eines Routenplaners oder eines Radfahrstadtplanes für den Radverkehr und Einrichtung von Fahrradstationen (vgl. Kalle 2005, S. 24 f.). Eine Maßnahme zur Förderung intermodaler Wege ist die Einführung eines Fahrradverleihsystems. In vielen europäischen Städten haben sich Fahrradverleihsysteme bewährt (vgl. BMVBS 2009, S. 6) (siehe auch Aufsatz ›Fahrradverleihsysteme‹ von Carla Dorothea Pilz, Lars Klippert und Mattis Liebner), 28 die es ermöglichen automatisiert Fahrräder an verschiedenen Punkten einer Stadt auszuleihen (vgl. Meschik 2008, S. 30). Durch ein Fahrradverleihsystem können Personen angesprochen werden, die kein Fahrrad besitzen oder auf bequeme Weise intermodale Wege zurücklegen möchten. In den Niederlanden wird, im Vergleich zu anderen europäischen Städten, ein anderes Fahrradverleihsystem angeboten (vgl. Kalle 2005, S. 21). So bieten private Betreiber oder automatisierte Systeme an Bahnhöfen, wichtigen ÖPNV-Knotenpunkten, Park and Ride-Geländen und in einigen Stadtzentren das OV-fiets (ÖV-Fahrrad) an. Die Besonderheit ist, dass im gesamten Land jedes Fahrradverleihsystem unter dem gleichen Namen angeboten und auf gleiche Weise vermarktet wird. ÖV-fiets-Mitglieder können außerdem im gesamten Land Fahrräder ausleihen (vgl. NS OV-Fiets, o.J.). Auch kann Intermodalität gewährleistet sein, wenn die Fahrradmitnahme im Bus, in der Tram oder im Zug erlaubt ist (vgl. Meschik 2008, S. 28 f.). Eine weitere Form der Intermodalität bieten Park and Bike-Systeme, die den Pkw-Verkehr mit dem Radverkehr verknüpfen. Neben Parkmöglichkeiten für Fahrrad und Pkw werden auch, teilweise kostenlose, Fahrräder zur Ausleihe angeboten (vgl. Van de Vrugt/Heijnis 2007, S. 24 f.). Information und Kommunikation   Durch Marketing und Aufklärung können Informationen über den Radverkehr vermittelt werden. Weiterhin kann Marketing dazu dienen durchgeführte Maßnahmen im Radverkehrsbereich zu vermarkten. Auch ein Abbau von Vorurteilen gegen den Radverkehr kann durch Information und Kommunikation erreicht werden. Beispiele für Maßnahmen in diesem Bereich sind Fahrrad-Fotowettbewerbe oder Aktionen mit respektierten Persönlichkeiten (vgl. Meschik 2008, S. 33). Um neue Nutzergruppen, zum Beispiel Kinder oder Migranten und Migrantinnen, zu erschließen, können Radfahrkurse angeboten werden. In einem Kurs können die Kursteilnehmenden einen sicheren und selbstbewussten Umgang mit dem Fahrrad erlernen (vgl. Meschik 2008, S. 30). Auch finanzielle Anreize können eine Möglichkeit sein, um Radverkehrsanteile zu erhöhen. So bietet die belgische Stadt Gent eine Kilometerpauschale für Fahrten zur Arbeit an, wenn diese mit dem Fahrrad zurückgelegt werden Meschik 2008, S. 33). (vgl. Weiche Maßnahmen können bauliche auf vielfältiger Weise unterstützen und begleiten. Zur Qualitätssicherung des Radverkehrs können Evaluationsmaßnahmen durchgeführt werden. Diese ermitteln welche Stärken und Schwächen der Radverkehr in einer Stadt oder Kommune hat. Nach einer Evaluation kann die Empfehlung verschiedener infrastruktureller Maßnahmen oder auch die Anwendung der weichen Maßnahmen erfolgen. So sorgen Maßnahmen aus dem Bereich Service und Intermodalität dafür, dass Wege mit dem Fahrrad bequemer zurückgelegt werden können. Abschließend sollten aber auch Maßnahmen zur Information und Kommunikation Teil der Radverkehrsförderung sein. Sie können beispielsweise das Image des Radverkehrs verbessern. Weiterhin kann die Sicherheit im Radverkehr auch durch weiche Maßnahmen erhöht werden, beispielsweise durch die Einrichtung von Radfahrkursen. In Tabelle 1.5 werden die Bereiche und die dazugehörenden Maßnahmen in dem dritten Baustein dargestellt. Weiche MaSSnahmen · · · · Evaluation der Radverkehrspolitik Service Intermodalität Information und Kommunikation • Baustein I – Form und Organisation der Radverkehrspolitik; • Baustein II – Infrastrukturelle Maßnahmen und • Baustein III – Weiche Maßnahmen. Der erste Baustein ist der Rahmen der Radverkehrsförderung, Der Inhalt dieses Bausteins besteht aus verschiedenen Ansätzen der Radverkehrspolitik und der Zusammenarbeit mit Akteuren und Bürgern und Bürgerinnen. Die folgenden zwei Bausteine beinhalten Maßnahmen, die durch die Radverkehrspolitik erreicht werden können und betreffen somit insbesondere den Inhalt der Radverkehrsförderung. Der erste Teil der Maßnahmen (zweiter Baustein) beinhaltet infrastrukturelle Zwischenfazit Insgesamt gibt es also drei Bausteine, die einen Beitrag zur Förderung des Radverkehrs liefern können. Es handelt sich um die Bausteine: Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 1.5: Baustein III – Weiche Maßnahmen 29 Maßnahmen, die implementiert werden können um die Radverkehrsinfrastruktur zu verbessern. Für die Begleitung und weitere Organisation der Radverkehrsförderung z. B. durch Serviceangebote für Radfahrende können die weichen Maßnahmen aus dem dritten Baustein hilfreich sein. Anhand der Radverkehrsförderung in der niederländischen Stadt Groningen werden im nächsten Abschnitt diese drei Bausteine auf ihre Praxistauglichkeit untersucht. Best-Practice-Stadt Groningen (NL) 30 In der niederländischen Stadt Groningen mit 182.000 Einwohnenden, legen die Verkehrsteilnehmenden europaweit die meisten Wege mit dem Fahrrad zurück. Der Radanteil am Modal Split beträgt 37 %, in vergleichbar großen Städten im Ausland werden i.d.R. kleinere Anteile erreicht. So beträgt der Radanteil in Odense in Dänemark, mit 187.000 Einwohnenden, 26  % und in Freiburg im Breisgau, mit 218.000 Einwohnenden, 22  % (vgl. Ligtermoet 2009, S. 11). Groningen wird aus diesem Grund in vielen Medien als Best-Practice-Beispiel aufgeführt (vgl. Möller 2007, S. 63 und Ligtermoet 2009, S. 13). Anhand der im ersten Teil des Aufsatzes ermittelten Bausteine zur Radverkehrsförderung soll hier dargestellt werden, welche Maßnahmen zu dem Erfolg der Stadt Groningen auf dem Gebiet des Radverkehrs geführt haben. Die Radverkehrspolitik in Groningen Bereits im Jahre 1969 war der Radverkehr Gegenstand in der allgemeinen Verkehrspolitik der Stadt Groningen. In dem Verkeersplan Centrum Groningen wurde 1969 großer Wert auf den Bau von direkten Radwegen gelegt. Acht Jahre später erweiterte die Stadt den Stellenwert des Radverkehrs im Verkeerscirculatieplan. Sie führte Restriktionen für den MIV ein, z. B., dass die Innenstadt mit dem Pkw nur über Umwege zu erreichen, wohingegen die Innenstadt für den Radverkehr uneingeschränkt erreichbar ist. Weitere MIV-Restriktionen, beispielsweise durch den Bau einer Ringstraße und Sperrung verschiedener tangentialen Straßen, sowie weniger Parkplätze und höhere Parkgebühren in der Innenstadt, standen in den darauf folgenden Jahren im Vordergrund, allerdings nicht ohne Kritik aus der Bevölkerung. Deshalb wurden verschiedene Partizipationsverfahren durchgeführt, die zum Ziel hatten die aufkommenden Konflikte zu lösen. Bis heute hat die Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert was sich auch darin zeigt, dass in der Radverkehrsstrategie 2009–2010 eine halbe Million Euro für Wünsche, z. B. die Verbesserung der Oberfläche bestimmter Radwege, aus der Bevölkerung bereitgestellt wurde (vgl. College van B&W Groningen o.J. b, S. 2).   Die erste eigenständige Radverkehrsstrategie der Niederlande entstand im Jahre 1986 in Groningen und wurde seitdem immer weiterentwickelt (vgl. Ligtermoet 2009, 19 ff.). Auf dem Gebiet der Raumplanung verfolgt Groningen eine Strategie, die auf Leitziele der Kompakten Stadt gerichtet ist, was bedeutet, dass eine anteilige Funktionsmischung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit mit möglichst kurzen Wegen zwischen diesen Nutzungen erreicht werden soll. Die Zusammenarbeit zwischen Radverkehrsplanung und Raumplanung wird ersichtlich, wenn die Wege von den am Weitesten von der Innenstadt entfernten Stadtteilen in die Innenstadt betrachtet werden. Sie sind für den Radverkehr direkter und hochwertiger als für den MIV. (vgl. Ligtermoet 2009, S. 19 f.). Die Radverkehrsinfrastruktur in Groningen Das Radverkehrsnetz in Groningen besteht aus Radwegen, welche parallel an den Hauptwegen des MIV liegen und vom MIV getrennten Radwegen. Das Netz sorgt für direkte Verbindungen mit der Innenstadt durch eine Mischung aus Ringund Tangentialverbindungen (vgl. College van B&W Groningen o.J. a, S. 3 und Ligtermoet 2009, S. 16). In dem letzten Jahrzehnt wurden die Radwege, um komfortables Radfahren zu ermöglichen, asphaltiert (vgl. College van B&W Groningen o.J. b, S. 9). Für den Radverkehr besteht eine eigenständige Wegweisung, auf der auch Orte in der Region angezeigt werden (vgl. Ligtermoet 2009, S. 24). An Kreuzungen wird das sichere Überqueren für Radfahrende durch längere Grünphasen, gleichzeitige Grünphasen in alle Richtungen für Radfahrende und die Entfernung von Lichtsignalanlagen in Verbindung mit einer Umgestaltung einer Kreuzung, ermöglicht (vgl. Ligtermoet 2009, S. 22). Durch den hohen Radanteil werden verstärkt Anlagen für den ruhenden Radverkehr gefordert. In den letzten Jahren wurden bestehende Fahrradabstellanlagen erneuert, zum Beispiel am Hauptbahnhof mit Platz für 4.650 Fahrräder, zudem werden kostenlos überwachte Abstellanlagen in der Innenstadt angeboten (vgl. Lghtermoet 2009, S. 26 f.). Eine weitere Besonderheit in der Strategie für den ruhenden Radverkehr sind Stoßzeit-Abstellanlagen, die lediglich von Donnerstag bis Sonntag hingestellt werden um die temporäre Nachfrage zu bedienen (vgl. College van B&W Groningen o.J. b, S. 11 f.). 31 Die weichen Maßnahmen in Groningen Groningen: Erfolg durch integrative Planung 32 Die Stadt Groningen fördert die Bereitstellung von Dienstfahrrädern in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen in der Stadt. Für Schüler und Schülerinnen an Grundschulen werden Aufklärungsmaßnahmen vorgenommen (vgl. College van B&W Groningen o.J. a, S. 3), um schon früh für den Radverkehr zu werben. Seit der Radverkehrsstrategie von 2007–2010 werden die neu durchgeführten Maßnahmen stärker vermarktet. Auch finden seitdem Radverkehrsaufklärungsprojekte in Bezug auf Gesundheit statt, die in der Gesundheitspolitik integriert sind. Weiterhin werden in dieser Radverkehrsstrategie Mittel für die Vermarktung des Radverkehrs unter Migranten und Migrantinnen bereitgestellt, konkrete Maßnahmen werden in dieser Radverkehrsstrategie jedoch nicht erwähnt (vgl. College van B&W Groningen o.J. a, S. 16). Weitere weiche Maßnahmen sind die Einführung eines Fahrradroutenplaners und die Installation einer Fahrraddiebstahlzentrale, die gestohlenen Fahrräder registriert. Durch die Zusammenarbeit mit der Polizei und Fahrradhändlern wird versucht, die registrierten Fahrräder wiederzufinden (vgl. College van B&W Groningen o.J. b, S. 14). Durch die frühe Einbindung des Radverkehrs in die allgemeine Verkehrsplanung hat die Stadt Groningen den Radverkehr auf effektive Weise gefördert. Der integrative Ansatz wird nicht nur in der Verkehrsplanung ersichtlich, sondern auch in der Raumplanung und sogar in der Gesundheitspolitik. Die Radverkehrsinfrastruktur erfüllt die Hauptanforderungen Direktheit, Komfort, Sicherheit, Zusammenhang und Attraktivität. Durch eine Strategie für den ruhenden Radverkehr gelingt es der Stadt die Nachfrage nach Fahrradabstellmöglichkeiten zu bewältigen. Die baulichen Maßnahmen durch vielfältige weiche Maßnahmen, z. B. Aufklärungsmaßnahmen für Grundschüler und -schülerinnen, begleitet. Die Stadt Groningen fördert also auf integrative Weise nicht nur den Radverkehr, sondern das komplette System Radverkehr. Durch die Radverkehrspolitik mit Maßnahmen aus den Bausteinen der Radverkehrsförderung besteht in der niederländischen Stadt Groningen ein ausgezeichnetes Radverkehrsklima, das hohe Anteile des Radverkehrs am Modal Split zur Folge hat. Fazit Es gibt mehrere Wege um ein fahrradfreundliches Klima zu erreichen. Bei der Förderung des Radverkehrs haben die Rahmenbedingungen des Radverkehrs einen hohen Stellenwert. Insbesondere die Rahmenbedingungen, die beeinflussbar sind und einen negativen Einfluss auf die Radnutzung haben, bilden die Basis für die Anwendung der Maßnahmen in den Bausteinen der Radverkehrsförderung und sorgen infolgedessen für den Abbau der negativen Faktoren.   Zusammenfassend bestehen drei Hauptbausteine, die Bestandteil der Radverkehrsförderung sein sollten. Es handelt sich hierbei um die Form und Organisation der Radverkehrspolitik sowie infrastrukturelle und weiche Maßnahmen. Innerhalb dieser Bausteine sind verschiedene Maßnahmen und Ansätze möglich. Ein Ansatz zur Gestaltung der Radverkehrspolitik ist der integrative Ansatz, der den Radverkehr als System betrachtet. Dieses System gliedert den Radverkehr in die Bereiche Infrastruktur, Service und Öffentlichkeitsarbeit. Durch die Implementierung von Maßnahmen aus diesen drei Bereichen entsteht eine Verkehrssituation, die für Radfahrende attraktiv ist (vgl. Thiemann-Linden/Gwiasda/Miller et al. 2004, S.10). Allerdings sollte der organisatorische Rahmen vor der Implementierung der Radverkehrspolitik abgesichert sein. Überlegungen, die gemacht werden sollten, sind die Eingliederung der Radverkehrsplanung in andere Planungen, zum Beispiel die Lokale Agenda 21 oder Bauleitplanungen, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, Einwohnenden und den Zielgruppen der Planung. Auch kann eine eigenständige Radverkehrsstrategie aufgestellt werden.   Die Radverkehrsinfrastruktur sollte nach den fünf Hauptvoraussetzungen Zusammenhang, Direktheit, Komfort, Sicherheit und Attraktivität entworfen werden. Eine ideale Radverkehrsinfrastruktur hat z. B. ein zusammenhängendes Netz und räumlich und zeitlich direkte Verbindungen. Weiterhin ist sie beispielsweise in einem guten Zustand und städtebaulich gut eingebunden. Eine integrative Strategie für den ruhenden Radverkehr kann den Radverkehr noch attraktiver machen. Abschließend komplettieren die weichen Maßnahmen die Radverkehrsförderung, denn sie begleiten die infrastrukturellen Maßnahmen. Beispiele für Bereiche dieses Bausteins sind Evaluation der Radverkehrspolitik, Service für Radfahrende und Öffentlichkeitsarbeit. Die Evaluation der Radverkehrspolitik gewährleistet die Qualität und kann Hilfestellungen geben bei der Organisation der Radverkehrsförderung, indem sie den Radverkehr analysiert und bewertet. Serviceangebote, wie z. B. die Bereitstellung von Dienstfahrrädern und Maßnahmen zur Förderung intermodaler Wege, z. B. durch die 33 34 Implementierung eines Fahrradverleihsystems, machen Wege mit dem Fahrrad komfortabler. Öffentlichkeitsarbeit kann durch Marketing Verkehrsteilnehmende, die bis jetzt nicht zur Gruppe der Radfahrenden gehören, davon überzeugen das Fahrrad zu nutzen. Auch können Aufklärungsmaßnahmen für Grundschüler und -schülerinnen vorgenommen werden um die Sicherheit im Radverkehr im Schulverkehr zu erhöhen.   Die niederländische Stadt Groningen hat durch ihre integrative Radverkehrspolitik und Radverkehrsförderung mit Maßnahmen aus den übrigen zwei Bausteinen, infrastrukturelle und weiche Maßnahmen, gezeigt, dass durch diese Herangehensweise eine fahrradfreundliche Verkehrssituation erreicht werden kann. Dies wird durch die hohen Radanteile am Modal Split ersichtlich.   Die Instrumente der Radverkehrsförderung sind also allgemein bekannt, dennoch gibt es Defizite bei der organisatorischen und zeitlichen Umsetzung dieser Maßnahmen (vgl. Evers 2003, S. 23). Es ist jedoch festzuhalten, dass eine effektive Radverkehrsförderung ein Zusammenspiel zwischen den Bausteinen Form und Organisation der Radverkehrspolitik, Maßnahmen der Radverkehrsinfrastruktur und weiche Maßnahmen ist. Die Förderung des Radverkehrs besteht demnach also nicht nur aus der Planung der Radverkehrsinfrastruktur, sondern der Planung des Systems Radverkehr. BMVBS 2009 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Wettbewerbsdokumentation »Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme«, Neue Mobilität in Städten. 1. Auflage. Berlin: BMVBS, 2009 Bohle/Borcherding/ Flade et al. 2002 Bohle, Wolfgang ; Borcherding, Katrin ; Flade, Antje ; Hacke, Ulrike ; Lohmann, Günter: Einflussgrößen und Motive der Fahrradnutzung im Alltagsverkehr / Institut für Wohnen und Umwelt (IWU), Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV), Psychologisches Institut der Technischen Universität Darmstadt. Darmstadt : ca. 2002 (Förderung des Fahrradverkehrs). – Abschlussbericht des vom BMBF geförderten Projekts, Förderkennzeichen 19 M 9831 B, IWU-Bestellnummer 05/02 College van B&W Groningen o.J. a College van B&W Groningen: Stap Op! Fietsmaatregelen 2007–2010. URL: http://gemeente.groningen.nl/assets/pdf/ stap-op-fietsmaatregelen-2007-2010. pdf, Download am 03.10.2011 College van B&W Groningen o.J. b College van B&W Groningen: Stap Op! Fietsmaatregelen 2009–2010. URL: http://gemeente.groningen.nl/gemeente/ Beleid-1/fietsnota-1/ Stap%20op.Fietsmaatregelen%20 2009%20-%202010. pdf, Download am 03.10.2011 Evers 2003 Evers, Karin: Uitkomsten projekt Alledaags werk, Behoefte aan gereedschapskist voor fietsbeleid. In: Fietsverkeer, März 2003, Nr. 5, S. 22–23 Feldkötter 2003 Feldkötter, Michael: Das Fahrrad als städtisches Verkehrsmittel, Untersuchen zur Fahrradnutzung in Düsseldorf und Bonn. 1. Auflage. Mannheim, Verlag MetaGIS Infosysteme, 2003 (Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 6) FGSV 2010 Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ERA 2010. Ausgabe 2010. 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Ideale Attribute, um das Straßenbild einer Großstadt attraktiv zu gestalten und sie somit für Einwohner, Touristen und Geschäftsleute interessant zu machen.   Damit das Fahrrad für mehr Menschen als Alternative zum Auto infrage kommt, könnte zum Beispiel die Reisezeit durch weniger Stopps an Kreuzungen reduziert werden. Dies würde die Fahrt auch zugleich um einiges komfortabler gestalten, denn das ständige Abbremsen und Anfahren an Lichtsignalanlagen kostet eben nicht nur Zeit, sondern auch Kraft und Nerven. Wer selbst viel Rad fährt, wird das beschwingende Gefühl, in einem Glücksfall gleich mehrere Kreuzungen ohne lästigen Halt an roten Lichtsignalanlagen überqueren zu können, kennen.   Was im automobilen Straßenverkehr in einigen Städten schon erfolgreich praktiziert wird – die Grüne Welle – könnte auch für den Radverkehr eine große Steigerung des Komforts bedeuten. Durch eine gezielte Steuerung der Lichtsignalanlagen mit Anpassung auf mögliche Geschwindigkeitsniveaus der Radfahrenden kann diese theoretisch herbeigeführt werden. Darüber hinaus erscheint eine diesbezügliche Begünstigung des Radverkehrs besonders wünschenswert, da er in Hinsicht auf Raum- und Ressourcenverbrauch wesentlich nachhaltiger ist als der Autoverkehr.   Auch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung plant die Verbesserung der Lichtsignalschaltung für Radfahrende, um den Radverkehrsanteil in der Stadt weiter zu erhöhen (vgl. Stadt Berlin 2011a, S. 9). Angesichts der großen Ausdehnung der Stadt wäre eine Verkürzung der Reisezeit für Berliner Radfahrende besonders vorteilhaft. Reizvoll sind auch, gemessen an anderen Infrastrukturmaßnahmen, die geringen Kosten für die Umsetzung einer Grünen Welle, wenn hierfür lediglich die Freigabezeiten der vorhandenen Ampelanlagen angepasst werden müssen. Berlin könnte, ähnlich wie Kopenhagen, durch die Einführung einer Grünen Welle für Radfahrende sogar international als fahrradfreundliche Stadt wahrgenommen werden. Dies würde das vom Berliner Senat propagierte Image einer jungen, dynamischen und kulturellen Metropole unterstreichen.   Im Folgenden sollen die bislang umgesetzten Projekte an der Nørrebrogade in Kopenhagen, beziehungsweise der Raadhuisstraat in Amsterdam untersucht und verglichen werden. Daraus werden Vergleichskriterien ermittelt, anhand derer ein ausgewählter Straßenzug in Berlin für die mögliche Einführung einer Grünen Welle für Radfahrende in Berlin diskutiert wird. Das Prinzip Grüne Welle Eine Grüne Welle ist ein Konzept zur koordinierten Schaltung aufeinander folgender Lichtsignalanlagen eines Straßenzugs. Die Grünphasen werden so abgestimmt, dass sie von allen Verkehrsteilnehmern, die eine bestimmte Geschwindigkeit einhalten, ohne Halt passiert werden können. In den Richtlinien für Lichtsignalanlagen werden für die Auslegung einer Grünen Welle einige Begriffe definiert. Am wichtigsten ist dabei die Progressionsgeschwindigkeit (vgl. RiLSA 2010, S. 44), über deren Niveau bestimmt wird, welches Verkehrsmittel von der Koordinierung der Lichtsignalanlagen profitiert.   Neben der Progressionsgeschwindigkeit spielt vor allem der Knotenpunktabstand eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung. Gemeint ist der Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Lichtsignalanlagen der Schaltung, daher auch LSAAbstand genannt. Der Knotenpunktabstand soll am besten möglichst gering und gleichmäßig ausgeführt sein, sodass sich ein Fahrzeugpulk bilden und so die Freigabezeit ausgenutzt werden kann (vgl. RiLSA 2010, S. 44). Die Umlaufzeit, also die Dauer vom Beginn einer Grünphase bis zum Beginn der nächsten Grünphase, muss bei allen Lichtsignalanlagen der Koordinierung aufeinander abgestimmt sein und orientiert sich am Knotenpunkt mit der größten Umlaufzeit. Daraus ergibt sich die sogenannte System-Umlaufzeit (vgl. RiLSA 2010, S. 44).   Die Grundlagen dieser Koordinierung sind also zunächst einmal unabhängig von der Art des Verkehrsmittels, für das die Grüne Welle eingerichtet werden soll. Der Bezug zu einem bestimmten Verkehrsmittel erfolgt lediglich über die Festsetzung der Progressionsgeschwindigkeit. Für den Kraftverkehr wird dementsprechend eine Progressionsgeschwindigkeit in der Nähe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angesetzt (vgl. RiLSA 2010, S. 44). Für den Radverkehr hingegen ergibt sich hier das Problem, dass Geschwindigkeiten der Radfahrer aufgrund der persönlichen Leistungsfähigkeit mit einer Spannweite von ca. 10 km/h bis 25 km/h stark variieren (vgl. RiLSA 2010, S. 46) und somit ein Kompromiss gefunden werden muss, der für alle Verkehrsteilnehmer akzeptabel ist.   Im nachfolgenden Zeit-Weg-Diagramm ist das Grundprinzip der Koordinierung für eine Fahrtrichtung zusammengefasst. In der Realität spielen die Auswirkungen auf die Gegenrichtung sowie Querstraßen ebenfalls eine Rolle. Diese zu berücksichtigen führt jedoch zu einer wesentlich komplizierteren Darstellung und Berechnung. 39 Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 2.1: Zeit-Weg-Diagramm einer Grünen Welle für eine Richtung Weg Grünphase Progressionsgeschwindigkeit Zeit Die Ziele einer derartigen Verkehrslenkung sind offenkundig: in erster Linie kann der Verkehrsfluss verbessert werden, was für die Verkehrsteilnehmer in der Regel zu einer kürzeren Reisezeit und im Falle des Kraftverkehrs auch zu weniger Emissionen führt. Hinzu kommt, dass eine Fahrt ohne Halt für alle Verkehrsteilnehmer, ob auf dem Rad oder im Pkw, komfortabler zum Ziel führt. 40 Umsetzungen der Grünen Welle Um eine Entscheidung über die mögliche Implementierung einer Grünen Welle für Radfahrende treffen zu können, scheint die Verwendung von Erfahrungswerten hilfreich. Die Betrachtung dieser Werte führt nachfolgend zu Vergleichskriterien, die bei der Untersuchung Berlins auf eine Eignung zur Einführung der Grünen Welle benutzt werden. Die Suche nach Referenzprojekten wurde innerhalb dieser Arbeit auf Länder innerhalb Europas beschränkt. Die Fokussierung wurde aufgrund der ähnlichen Lebensweisen und -rhythmen vorgenommen. Dabei ergab sich, dass zwei dänische und eine niederländische Stadt derzeit eine Grüne Welle für Radfahrende eingerichtet haben: Kopenhagen, Odense und Amsterdam. Durch seine im Vergleich zur dänischen Hauptstadt geringen Ausdehnung des Stadtgebiets und der im Vergleich zu Berlin stark differierenden Bevölkerungsdichte wird die Implementierung in Odense im Folgenden vernachlässigt und so die Grüne Welle der Städte Amsterdam und Kopenhagen näher betrachtet: Sons tige 3% % ß 28 Fu % V 18 PN hr ra d 27 % pk Ö Fa % 24 zu w Im Jahr 2007 wurde die Grüne Welle für Radfahrende in Amsterdam eingerichtet. Die Raadhuisstraat im Stadtteil Binnenstadt wird täglich von 8.000 Fahrrädern und 12.000 Pkw passiert (Fietsberaad 2007b, S. 3). Sie ist 0,5 km lang und hat auf diesem Abschnitt elf Lichtsignalanlagen. Unter Annahme der Störungsfreiheit, des angemessenen Raumangebots für den gegebenen Knotenpunktabstand und des Verkehrsaufkommens wurde eine den Verkehrsfluss optimierende Progressionsgeschwindigkeit von 18 km/h festgelegt (vgl. Ligtermoet 2009, S. 76). Die Grüne Welle ist für beide Fahrtrichtungen ausgelegt. QUELLE: Eigene Darstellung nach Ligtermoet 2009, S. 55 ABBILDUNG 2.2: Modal Split Amsterdam Amsterdam Amsterdam hat 767.849 Einwohner (Zeit 2011a) und eine Bevölkerungsdichte von 3.506 Einwohnern je km² (Zeit 2011a). Der Modal Split der Stadt zeigt, dass das Fahrrad das beliebteste Verkehrsmittel der Amsterdamer ist. 41 Sons tige 3% Fu ß % zu V PN r ra d % 26 % pk Ö h Fa % 15 42 32 QUELLE: Eigene Darstellung nach Ligtermoet 2009, S. 55 ABBILDUNG 2.3: Modal Split Kopenhagen 24 Kopenhagen Kopenhagen hat 1.100.000 Einwohner (Zeit 2011b) und eine Bevölkerungsdichte von 5.985 Einwohnern je km² (Zeit 2011b). Der Modal Split der Stadt zeigt, dass das Fahrrad auch in Kopenhagen das beliebteste Verkehrsmittel ist. w Im Jahr 2006 wurde die Grüne Welle für Radfahrende eingeführt. Die Nørrebrogade im Stadtteil Nørrebro wird täglich von 30.000 Fahrrädern und 17.000 Pkw genutzt (vgl. Jensen 2010). Sie ist 2,2 km lang und hat auf diesem Abschnitt zwölf Lichtsignalanlagen. Unter der Annahme der Störungsfreiheit, des angemessenen Raumangebots für den gegebenen Knotenpunktabstand und des Verkehrsaufkommens wurde eine den Verkehrsfluss optimierende Progressionsgeschwindigkeit von 20 km/h festgelegt (vgl. Jensen 2010). Die Grüne Welle ist für eine Fahrtrichtung ausgelegt. Vergleichskriterien Um den Verkehrsfluss mittels einer Grünen Welle für Radfahrende zu optimieren, muss eine Verkehrszählung an zur Auswahl stehenden Straßen durchgeführt werden. So wird eine Übersicht über die Anzahl an täglich passierenden Pkw und Fahrräder gewonnen. Weiterhin ist eine Entscheidung hinsichtlich der Anzahl an Fahrtrichtungen, deren Verkehrsfluss es zu optimieren gilt, zu treffen. Zwei Fahrtrichtungen mit gleichzeitiger Grüner Welle benötigen komplexere Berechnungsmodelle für die Progressionsgeschwindigkeit als eine einzelne.   Angaben über die Länge der Straße und die Anzahl der betrachteten Ampelanlagen werden benötigt. Sie bilden, kombiniert mit obigen Informationsbündeln, die Grundlage zur Berechnung der Progressionsgeschwindigkeit. Anhand dieser Zusammenstellung an Informationen ist eine Beurteilung hinsichtlich der Eignung zur Einführung der Grünen Welle für Radfahrende übersichtlich und nachvollziehbar durchführbar. Die nachfolgende Tabelle ist eine selbsterstellte Übersicht über die nötigen Informationen. Das darauf folgende Kapitel wird sich mit den gewonnenen Erkenntnissen auseinander setzen. Amsterdam 2006 0,7 3506 1,1 5985 Verkehr [pro Tag]: Fahrrad PKW 8 000 12 000 · 30 000 17 000 Binnenstadt Raadhuisstraat Norrebro Norrebrogade Länge [km] 0,5 2,2 Anzahl der Ampeln Eigenschaften Grüne Welle 2007 Stadtteil Ort der Einführung Kopenhagen Einführung der Grünen Welle Bevölkerungszahl [in Mio.] Bevölkerungsdichte [in Einwohnern/km 2] Fakten 11 12 Progressionsgeschwindigkeit [km/h] Anzahl der Richtungen 18 20 zwei Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 2.1: Zusammengefasste Vergleichskriterien anhand der Städte Kopenhagen und Amsterdam eine Erkenntnisse – nicht nur für den Radverkehr Die Grüne Welle für Radfahrende wurde in den Beispielstädten unterschiedlich umgesetzt. In Amsterdam ist sie für beide Fahrtrichtungen ausgelegt, in Kopenhagen nur für eine, was vermutlich mit dem im Vorhinein festgestellten, jeweils spezifischen Verkehrsstrom zusammenhängt. Die 500 m lange Strecke in Amsterdam wird in beide Fahrtrichtungen tageszeitenunabhängig stark genutzt, was aus den lokalen Verkehrszählungen (vgl. Fietsberaad 2007b, S. 3) ersichtlich ist.   Die Nørrebrogade erstreckt sich über eine Strecke von 2,2 km, folglich ist sie 4,4-mal so lang wie die Raadhuisstraat. Der Verkehrsfluss der Strecke ist tageszeit- und richtungsabhängig, was auf die Routenführung zurückführbar ist. Anders als die Raadhuisstraat verläuft sie vom Rand der Stadt ins 43 44 Zentrum. Dies führt zu einer tageszeitabhängigen, einseitigen Schaltung der Grünen Welle, stadteinwärts am Morgen und stadtauswärts am Abend (vgl. Jensen 2010).   Durch die insgesamt großen Unterschiede in der Berechnung der Progressionsgeschwindigkeit und der Anzahl an Fahrtrichtungen, in die die Grüne Welle gleichzeitig geschaltet wird, bietet sich ein direkter Vergleich der Reisezeitveränderungen nicht an. Dies gilt sowohl für die relative, als auch für die absolute Zeit. Dieser Effekt wird zusätzlich durch die Länge der Straßenabschnitte verstärkt. Dennoch ist es interessant zu erwähnen, dass sowohl in Kopenhagen, als auch in Amsterdam durch die Koordinierung der Ampelschaltungen zugunsten des Radverkehrs den anderen Verkehrsteilnehmern kaum ein Nachteil entstand. Sowohl der motorisierte Individualverkehr (MIV), als auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) profitieren durch die neue Schaltung (vgl. Fietsberaad 2007b, S. 5; Hoegh 2007, S. 6, 15). Die Busse in Kopenhagen bilden hierbei eine Ausnahme. Für sie tritt keine Reisezeitverkürzung ein. Die durch die Grüne Welle erreichte Zeitersparnis für den Radverkehr liegt zwischen 40 Sekunden an der Raadhuisstraat (vgl. Fietsberaad 2007b, S. 5) und höchstens 2,5 Minuten an der Nørrebrogade (vgl. Hoegh 2007, S. 5). Beachtlicher ist hierbei die Reduzierung der notwendigen Stopps um bis zu sechs (vgl. Hoegh 2007, S. 5). Nach der Implementierung der Grünen Welle für Radfahrende sind in den beiden Städten darüber hinaus folgende Erfahrungen gemacht worden: •  Das in der Berechnung vorausgesetzte Raumangebot   kann durch geparkte Pkw auf der vorsätzlich breit ange  legten Radverkehrsanlage (vgl. Fietsberaad 2007a, S. 9) nicht   gänzlich und kontinuierlich gewährleistet werden, folglich   müssen die Radfahrenden ihre Geschwindigkeit drosseln   und ihre Sicherheit gefährden, da sie ihren Weg auf dem   Pkw-Fahrstreifen fortsetzen. Zusätzlich behindern sie den   Pkw-Verkehr (vgl. Fietsberaad 2007a, S. 9). • Da nicht jeder Radfahrende die Durchschnittsgeschwin  digkeit erreicht oder dauerhaft halten kann, andere wie  derum schneller fahren, gibt es eine hohe Streuung bei der Ge  schwindigkeit. Fährt ein Radfahrender dauerhaft ober  oder unterhalb der Progressionsgeschwindigkeit, verpasst   er somit die gewährten Grünphasen innerhalb der Grü  nen Welle. Dieses Problem tritt vermehrt bei Touristen,   Rentnern und Kindern auf (vgl. Fietsberaad 2007b, S. 8). •  Sind zu viele Radfahrende auf der Radverkehrsanlage un  terwegs, so kann es zu Staus und zu einer Verlängerung   der Reisedauer kommen (vgl. Fietsberaad 2007a, S. 9). Der Rad  fahrende fährt, bedingt durch einen Stau, zu langsam,   um die für die Grüne Welle benötigte Geschwindigkeit zu   erreichen. •  Weitere, nicht in den Berechnungen für die Progressions  geschwindigkeit der Grünen Welle berücksichtigte Verkehrs  behinderungen sind auf der Radverkehrsanlage parkende   Lieferwagen, die be- und entladen werden, ebenso wie Bus  se und Trams mit ein- beziehungsweise aussteigenden Passa-    gieren (vgl. Fietsberaad 2007a, S. 9). Der optimierte Verkehrsfluss   und die daraus folgende Reisezeitverkürzung auf diesem   Streckenabschnitt kann in der Realität folglich nicht gänz  lich erreicht werden. Eine Anpassung der Optimierungs  software anhand von Erfahrungswerten wäre in diesem   Fall förderlich. Eine Änderung der ursprünglichen Programmierung der Ampelanlagen zugunsten der Grünen Welle ist ein vergleichsweise geringer finanzieller Aufwand für eine europäische Hauptstadt. Die Kosten des Projekts der Einführung der Grünen Welle wurden von der Verkehrsbehörde in Kopenhagen auf etwa 20.000 bis 400.000 Euro (vgl. Jensen 2010) geschätzt. Das fahrradfreundliche und grüne Image der Stadt wurde durch die Einführung der Grünen Welle bestärkt und ausgebaut. Grüne Welle für Berlin Berlin hat 3,44 Mio. Einwohner auf einer Fläche von knapp 900 km2 – es ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von ca. 3.900 Einwohnern je km2 (vgl. Statistik Berlin-Brandenburg 2010). Die Ausdehnung ist somit um ein Vielfaches größer und die Einwohnerdichte geringer als die der vorher betrachteten Städte. Da in die Berechnung jedoch auch die zahlreichen Wald- und Wasserflächen innerhalb des Stadtgebietes eingehen, ist anzunehmen dass die Dichte teilweise lokal sehr viel höher ist. Dennoch legt die große Ausdehnung nahe, dass Entfernungen in der Stadt größer sind und somit die Wege der Bewohner tendenziell länger als in den verhältnismäßig kleineren Städten Kopenhagen und Amsterdam. Dies äußert sich auch im Modal Split. 45 ß Fu NV zu 30 % % ÖP 26 QUELLE: Eigene Darstellung nach: Stadt Berlin 2011b, S. 15 ABBILDUNG 2.4: modal Split Berlin 13 % Fa hr r ad 31 % pkw 46 Der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen ist in Berlin mit 13 % nicht einmal halb so hoch wie in Amsterdam oder Kopenhagen. Verglichen mit anderen Städten von der Größe Berlins ist dies jedoch bereits ein hoher Wert (vgl. Pucher/Bühler, S. 1, eigene Übersetzung). Trotz der räumlichen Ausdehnung hat Berlin aber gute Voraussetzungen für den Radverkehr. Entscheidend sind die Topografie und Siedlungsstruktur der Stadt. Die Lage in der Ebene begünstigt die Benutzung des Fahrrads als Fortbewegungsmittel. Durch die Konzentration des urbanen Lebens auf viele kleine Stadtzentren bleiben die regelmäßig zurückzulegenden Distanzen der Bewohner kurz und mit dem Fahrrad leicht überwindbar (vgl. Pucher/Bühler ohne Jahr, S. 42). Laut der Radverkehrsstrategie für Berlin sind »50 % aller im Stadtgebiet zurückgelegten Wege (…) kürzer als 5 km und können in weniger als 20 Minuten mit dem Fahrrad zurückgelegt werden« (Stadt Berlin 2004, S. 5). Die Betrachtung von Möglichkeiten zur Förderung des Berliner Radverkehrs erscheint also durchaus sinnvoll, trotz auf den ersten Blick gravierender Unterschiede zu den Fahrradstädten Amsterdam und Kopenhagen. Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club Berlin e.V. (ADFC) fordert mit Verweis auf das Vorbild Kopenhagen und im Hinblick auf den wachsenden Radverkehrsanteil in der Stadt eine Grüne Welle für Radfahrende (vgl. ADFC Berlin e.V. 2010). Auch aus finanzieller Sicht spricht einiges für radverkehrsfreundliche Politik. Durch die anhaltend schlechte Haushaltslage der Stadt sind Mittel für Infrastruktur knapp. Maßnahmen zugunsten des Radverkehrs bieten sich besonders an, denn sie entfalten bei vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand bereits starke positive Effekte (vgl. Stadt Berlin 2004, S. 3). Für eine Grüne Welle sind außer der Anpassung der Ampelschaltung und vorhergehender Erhebungen zum Verkehrsaufkommen keine großen Veränderungen, vor allem keine kostspieligen baulichen Eingriffe, notwendig. In diesem Sinne werden zum Beispiel im neuen Stadtentwicklungsplan Verkehr des Berliner Senats aus dem Jahr 2011 Verbesserungen der Lichtsignalschaltung für Radfahrende explizit erwähnt. Unter der Überschrift »Maßnahmen zur Bevorrechtigung der Verkehrsträger des Umweltverbundes« gibt es den Punkt »Verstärkte Berücksichtigung der Belange des Umweltverbundes gegenüber dem [motorisierten Individualverkehr] bei der Konzeption bzw. Überarbeitung der Schaltpläne für [Lichtsignalanlagen]« im zugehörigen Maßnahmenkatalog (vgl. Stadt Berlin 2011a, S. 9). Als Kostenschätzung ist hierfür, entsprechend vorhergehender Überlegungen, nur »begrenzter Aufwand, ohne Ansatz« (Stadt Berlin 2011a, S. 9) vermerkt. Die nähere Beschäftigung mit dem Thema einer Grünen Welle für Berlin erscheint also durchaus lohnend. Einerseits ist Berlin durch Geografie und Struktur für den Radverkehr geeignet, anderseits gibt es Raum für Verbesserungen, die dazu beitragen könnten, den Radverkehrsanteil weiter zu erhöhen. Dass diese Verbesserungen, insbesondere die der Lichtsignalschaltungen, besonders kostengünstig sind, ist ein weiterer Pluspunkt. Die Straße des 17. Juni zwischen Großer Stern als östliche und Ernst-Reuter-Platz als westliche Begrenzung wurde aufgrund ihrer günstigen, einer der Vorbilder in Kopenhagen und Amsterdam vergleichbaren Lage im Gesamtnetz der Berliner Straßen ausgewählt. Sie verbindet den Westen der Stadt mit ihrem geografischen Zentrum und ähnelt so im Verlauf stark der Nørrebrogade in Kopenhagen. Zudem liegt am westlichen Ende des Abschnitts die Technische Universität Berlin. Dies legt nahe, dass eine Grundnachfrage auf der Strecke durch die Radfahrenden unter den Studierenden und Lehrenden vorhanden ist. Die Straße des 17. Juni – ein Beispiel Im Folgenden wird ein konkreter Straßenabschnitt in Berlin im Hinblick auf die in Kopenhagen und Amsterdam betrachteten Merkmale einer Grünen Welle genauer untersucht. Auf diese Weise soll beispielhaft gezeigt werden, wie die Eignung von sicherlich mehreren augenscheinlich infrage kommenden Straßenabschnitten anhand der betrachteten Vorbilder überprüft werden kann. 47 Es wäre sogar denkbar, dass dadurch Stoßzeiten jeweils besonders stark ausgeprägt sind. Im Folgenden soll die weitere Betrachtung auf den genannten Abschnitt beschränkt werden, da das Radverkehrsaufkommen weiter westlich sowie weiter östlich weniger hoch ist. Dies ist in Abbildung 2.5 ersichtlich. Der gesamte östliche Teil der gewählten Strecke ist auf beiden Seiten von den Grünflächen des Tiergartens umgeben. Weiter westlich schließt sich, ebenfalls beidseitig, der Campus der Technischen Universität Berlin bis zum Ernst-Reuter-Platz an. Beides führt dazu, dass nur einige kleine Seitenstraßen die Strecke kreuzen. Somit sind nur wenige Querstraßen von der für Radfahrende koordinierten Lichtsignalschaltung auf der Hauptroute betroffen. Außerdem stellen einbiegende Radfahrende kaum eine Behinderung des Verkehrsflusses in der Grünen Welle dar. Zudem sind auf beiden Seiten der Straße bereits ausreichende Radverkehrsanlagen, entweder in Form von Radfahrstreifen oder breiten Radwegen auf dem Bürgersteig, vorhanden. ÖPNV gibt es entlang der Strecke nicht, sodass haltende Busse oder aussteigende Fahrgäste kein Problem darstellen. Die Modellierung des Verkehrsstroms dürfte durch den nicht vorhandenen ÖPNV insgesamt sogar leichter sein als in den Beispielstädten. Die Länge des Straßenabschnitts zwischen Ernst-Reuter-Platz und Großer Stern, ca. 1,7 km, ähnelt der der Grünen Welle an der Nørrebrogade mit 2,2 km, weniger hingegen der der Raadhuisstraat, die nur 500 m lang ist. Es sind jedoch nur fünf Lichtsignalanlagen zu passieren. Dies ist nicht einmal die Hälfte der Zahl sowohl an der Nørrebrogade, als auch der Raadhuisstraat. Demzufolge muss der durchschnittliche Abstand der Lichtsignalanlagen an der Straße des 17. Juni wesentlich größer sein, als der an der Raadhuisstraat und immer noch ungefähr doppelt so groß, wie an der Nørrebrogade. Dies könnte, wie eingangs beschrieben, ein Problem für die Koordinierung darstellen, da unterschiedliche Geschwindigkeitsniveaus sich über längere Strecken stärker bemerkbar machen. 48 Q uelle : Verkehrslenkung Berlin 2007 Abbildung 2.5: Radverkehrsstärken Straße des 17. Juni und Umgebung, 2006 Siehe rechte Seite. 1,9 0,9 4,1 Ott o2,6 2,9 3,4 1,8 1,8 2,8 4,1 1,1 4,1 1,0 stra ße ße tra es ov 1,5 1,8 Straße 4,4 0,7 1,8 1,8 0,6 7,1 0,4 straße 2,6 2,4 3,0 1,8 3,4 1,5 2,3 1,6 0,4 3,4 Lev etz 7,1 ße tra ow s 3,0 1,8 1,6 2,2 6,1 1,7 1,2 0,8 2,6 1,7 2,2 2,0 0,4 1,3 2,8 1,2 Budepester Straße 2,9 4,4 1,3 0,3 1,1 Alt on a er Str aß e des 0,9 1,5 4,4 1,8 2,2 r de 1,8 Lütz 1,9 1,3 ia n ra 1,2 1,4 U Kurfürsten n A 2,2 1,5 1,7 1,7 1,5 0,7 0,6 1,8 1,8 Kleist 1,3 0,9 2,2 rallee 1,8 damm 3,4 2,5 RPQ 1,0 1,1 staufen Hofjäge 0,7 1,1 1,5 Hohen- ße e lins tra ß 0,9 2,8 2,5 stra D 0,6 0,3 1,1 4,1 Suh r-A llee straße uer Ca 2,1 0,9 damm 2,6 2,7 hBac 1,8 1,8 3,9 ckBismar 1,0 1,1 1,9 2,1 1,9 1,1 2,3 1,9 1,0 1,7 eg ew re Sp 3,3 1,1 0,6 3,9 3,4 3,3 2,6 3,9 4,1 1,8 1,2 ow - 0,1 0,1 3,5 1,3 straße straße 1,0 1,9 tr. 1,3 3,3 Kants- fürsten straße Fra nk straße 1,6 illers Sch 1,0 1,5 1,4 1,1 allee 2,0 2,2 N 1,5 0,7 0,9 Uhland- 3,5 ntstraße 1,8 1,2 0,9 1,1 Leibnitz- 3,0 0,6 0,8 1,1 4,2 suf 1,9 ule er Tiergarten- rk He ß Paulstra 1,1 ufer 3,2 tsc h- Allee hp ie 2,9 2,8 3,0 3,0 1,7 straße Re ic r-Dulles ste John-Fo 1,9 In Abbildung 2.5 wird deutlich, dass das Radverkehrsaufkommen entlang der Straße des 17. Juni besonders stark ist, während es in allen umliegenden Straßen vergleichsweise gering ausfällt. In der Verkehrszählung wurde das durchschnittliche Radverkehrsaufkommen von April bis Oktober 2006 ermittelt. Daraus geht hervor, dass pro 24 Stunden zwischen 4.400 Radfahrende den am geringsten und 7.100 Radfahrende den am stärksten frequentierten Teilabschnitt passierten. Straßen in der Umgebung der Straße des 17. Juni wurden hingegen weitaus weniger genutzt. Das höchste Aufkommen ist hier 4.100 Radfahrende pro Tag. Auf den meisten Straßen ist es jedoch noch geringer. Je stärker die grüne Markierung einer Straße, umso höher das Radverkehrsaufkommen. Für nicht weiter hervorgehobene Straßen liegen keine Erhebungen vor.   Auf dem betrachteten Abschnitt der Straße des 17. Juni kommt das Radverkehrsaufkommen dem Aufkommen an der Raadhuisstraat in Amsterdam somit sehr nahe. Allerdings wurde dort bei der Zählung zwischen Sommer und Winter unterschieden. Diese Unterscheidung wird in Berlin nicht vorgenommen, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der Radfahrenden im Winter weitaus geringer ist, da die Radwege in Berlin kaum geräumt werden. Effektiv nutzen demnach deutlich mehr Radfahrende pro Tag die Amsterdamer Raadhuisstraat. An der Nørrebrogade in Kopenhagen ist das Radverkehrsaufkommen nochmals höher. Mit 30.000 Fahrrädern in 24 Stunden sind es je nach Abschnitt bis zu siebenmal so viele, wie auf der Straße des 17. Juni. Dies könnte zum Teil an dem allgemein höheren Radverkehrsanteil Kopenhagens sowie dem positiven Effekt der bereits umgesetzten Grünen Welle liegen.   In Tabelle 2.2 sind die nun für Berlin zusammengetragenen Daten zur besseren Vergleichbarkeit nochmals zusammengestellt. 50 Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 2.2: Zusammengefasste Vergleichskriterien für Berlin Berlin Fakten Bevölkerungszahl [in Mio.] 3,4 Bevölkerungsdichte [in Einwohnern/km 2] 3 900 Ort der Einführung Verkehr [pro Tag]: Fahrrad PKW ca. 4 000–7 000 keine Angabe Stadtteil Charlottenburg Straße des 17. Juni Länge [km] 1,7 Anzahl der Ampeln 5 Eigenschaften Grüne Welle Weitere Schritte zur Umsetzung einer Grünen Welle Damit die Konzipierung der Grünen Welle für Radfahrende auf der Straße des 17. Juni entsprechend dem tatsächlichen Radverkehrsaufkommen durchgeführt werden könnte, bedürfte es zunächst einer genaueren Analyse des Radverkehrsstromes. Es müsste untersucht werden, ob ein deutlicher Unterschied in der Richtung des stärksten Verkehrsflusses zwischen verschiedenen Tageszeiten besteht, was aus der hier verwendeten Zählung nicht hervorgeht. Idealerweise würden bei einer erneuten Erhebung deutliche Verkehrsspitzen, unterteilt nach Verkehr in Richtung Zentrum am Morgen, sowie stadtauswärts am Abend, festgestellt werden. Dadurch wäre es – wie an der Nørrebrogade in Kopenhagen – sinnvoll, die Richtung der Grünen Welle der Tageszeit anzupassen. Dies erscheint aufgrund des der Nørrebrogade ähnelnden radialen Verlaufs der Straße des 17. Juni in Richtung Stadtmitte wahrscheinlicher, als der Fall des konstanten Verkehrs in beide Richtungen, wie etwa auf der Raadhuisstraat, die komplett im Stadtzentrum liegt.   Des Weiteren muss die Geschwindigkeitsverteilung der Radfahrenden an der Straße des 17. Juni ermittelt werden. Die für die Grüne Welle vorausgesetzte Durchschnittsgeschwindigkeit müsste daraufhin in einem Kompromiss zwischen schnellstem und langsamstem Radfahrenden bestimmt und gegebenenfalls kommuniziert werden. 51 Sicherlich bieten sich jedoch neben der nun untersuchten Straße des 17. Juni auch einige weiteren Berliner Straßen mit ähnlich radialem Verlauf für eine Grüne Welle an. Eine grobe Einschätzung der Eignung könnte analog zu dieser hier gezeigten vorgenommen werden. Schlussfolgerung Der Berliner Senat hat die Absicht, den Radverkehr der Stadt stärker zu fördern, wenn auch mit begrenzten Mitteln. Auch führt er konkret die Möglichkeit einer koordinierten Lichtsignalsteuerung für Radfahrende als Mittel zur Erhöhung des Radverkehrsaufkommens an. Der nun dahingehend untersuchte Straßenzug, die Straße des 17. Juni, ähnelt in den Punkten Länge und Lage dem Vorbild Nørrebrogade in Kopenhagen. Unterschiede, die die unmittelbare Übernahme des Konzepts in Frage stellen könnten, sind jedoch die Stärke und Verteilung des Radverkehrs und die Anzahl der Lichtsignalanlagen. Mit der beispielhaft betrachteten Raadhuisstraat in Amsterdam konnten bei näherer Untersuchung keine Gemeinsamkeiten festgestellt werden. 52 Das Abweichen in den Punkten Verkehrsstärke und Abstand der Lichtsignalanlagen stellt das Vorhaben auf zweierlei Art infrage. Erstens wäre zu beurteilen, ob sich der Aufwand für eine auf Radfahrende zugeschnittene Koordinierung angesichts der vergleichsweise geringen Frequentierung überhaupt lohnt. Dabei sollte jedoch beachten werden, dass die Maßnahme nicht nur zur Begünstigung des aktuellen Verkehrsflusses durchgeführt wird, sondern auch dazu gedacht ist, diesen zu erhöhen. Dieser Effekt hat sich in Kopenhagen vermutlich bereits entfaltet und trägt zur hohen Anzahl an Radfahrenden auf der Nørrebrogade bei. Zweitens bedeutet der große Abstand der einzelnen Lichtsignalanlagen, dass eine einheitliche Progressionsgeschwindigkeit mitunter schwerer zu unterstellen bzw. durch die Radfahrenden zu erreichen ist, da geringe Abweichungen sich über die längere Strecke stärker auswirken. Eine weitere positive Erkenntnis ist auch, dass andere Verkehrsteilnehmer durch Einführung einer Grünen Welle für Radfahrende nicht zwangsläufig benachteiligt werden. Wie sich am Beispiel Kopenhagen zeigt wurde die Grüne Welle schnell und kostengünstig umgesetzt. Seit der Schaltung sparen nicht nur Radfahrende, sondern fast durchweg auch alle anderen Verkehrsteilnehmer Zeit, was schlussendlich auch bedeutet, dass die Emissionen die beim Bremsen, Halten und Anfahren entstehen wegfallen. In Amsterdam war die Realisierung aufwändiger und kostspieliger. Der gewählte Straßenzug unterscheidet sich jedoch auch gravierend von dem in Kopenhagen. Anscheinend gibt es einige Idealvoraussetzungen, unter denen die Einführung wenige Folgeprobleme mit sich bringt, welche in der Nørrebrogade in Kopenhagen wohl weitgehend erfüllt werden. Als Maßgeblich konnten die Faktoren Durchschnittsgeschwindigkeit, Knotenpunktabstand, Verkehrsaufkommen, Störungsfreiheit und Raumangebot für einen ungehinderten Verkehrsfluss ermittelt werden. Dennoch sollte überlegt werden, ob die durch eine Grüne Welle erreichte Zeiteinsparung, die in den Beispielstädten bei unter 2,5 Minuten liegt, für die Radfahrenden tatsächlich eine große Erleichterung darstellt. Dies ist insbesondere kritisch zu sehen, falls durch die Einführung hohe Kosten für die Stadt oder große Nachteile für andere Verkehrsteilnehmer entstehen sollten. Grundsätzlich ist der untersuchte Abschnitt der Straße des 17. Juni aufgrund seiner baulichen Voraussetzungen und verkehrlichen Bedeutung für eine Grüne Welle für Radfahrende durchaus interessant. Vergleichbare Gegebenheiten sind vermutlich an weiteren bedeutenden Straßenzügen mit ähnlichem Verlauf im Stadtgebiet vorzufinden. Nach einer tiefer gehenden Analyse und in Anlehnung an die problemlose und kostengünstige Umsetzung in Kopenhagen könnten auch die Berliner Radfahrenden von einer fahrradfreundlichen Lichtsignalschaltung profitieren. Mehr als für sie jedoch, könnte die Grüne Welle als Ergänzung zum jungen und dynamischen Bild, das die Stadt der Weltöffentlichkeit vermitteln will, für das Stadtmarketing eine positive Wirkung entfalten. Fietsberaad 2007a Fietsberaad, expertise centre for cycling policy: Design examples: Green wave for cyclists. Nørrebrogade, Copenhagen. URL: http://www. fietsberaad.nl/views/ voorbeeldenbank/ detail_modal.cfm?la ng=en§ion=voo rbeeldenbank&mod e=openModal&rep ository=Green%20 wave%20for%20cyclists, letzter Zugriff: 19.08.2011 Fietsberaad 2007b Fietsberaad, expertise centre for cycling policy: Design example: Green wave for cyclists. Raadhuisstraat, Amsterdam. URL: http://www. fietsberaad.nl/index. cfm?lang=en§io n=Voorbeeldenbank &mode=detail&ontw erpvoorbeeldPage= &repository=Green+ wave+Raadhuisstraa t+Amsterdam, letzter Zugriff: 19.08.2011 Hoegh 2007 Hoegh, Nicolai Ryding: Green Waves for Cyclists in Copenhagen. URL: http://www.nationaler- radverkehrsplan. de/eu-bund-laender/eu/velocity/ presentations/velocity2007_fr1b1_pres. pdf, Download am 18.08.2011 Jensen 2010 Jensen, Niels: Grüne Welle. URL: http://www. nationaler-radverkehrsplan.de/praxisbeispiele/anzeige.phtml?id=2150, Letzter Zugriff: 18.08.2011 Ligtermoet 2009 Ligtermoet, Dirk: Bicycle policies of the European principals: continuous and integral. URL: http://www. fietsberaad.nl/library/repository/bestanden/ Quellenverzeichnis: ADFC Berlin e.V. 2010 ADFC Berlin e.V.: Grüne Welle für Radfahrer. 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Carla Dorothea Pilz, Lars Klippert und Mattis Liebner Inhalt: Einleitung Vorstellung verschiedener Verleihsysteme • Call a Bike • Fahrradstation • Bycyklen in Kopenhagen • Vermietungskonzepte in Paris und Luxemburg Vergleich der Beispiele und Diskussion Fazit 55 Einleitung Eine Pkw-Nutzung für Kurzstrecken führt im Innenstadtbereich von Berlin durch das häufig begrenzte Angebot an freien Parkmöglichkeiten selten zu Zeiteinsparungen. Die Stationen von Bus, Straßenbahn, U- und S-Bahn sind je nach Bezirk unterschiedlich grob- oder engmaschig über die Hauptstadt verteilt, sodass Anschlusswege häufig unvermeidbar vorhanden sind. Hier kann das Leihfahrrad als mietbares Verkehrsmittel für Anschlusswege von und zum ÖPNV und für Kurzstrecken in der Stadt eine Möglichkeit zur Überbrückung bieten. In den folgenden Kapiteln werden fünf verschiedene Konzepte zur Fahrradvermietung vorgestellt. Zwei der Konzepte befinden sich in Berlin, die weiteren drei im europäischen Ausland, welche sich zum einen in der Art des Angebots, aber zum anderen auch in ihrer Dimension unterscheiden. Der Dimensionierungsansatz soll Erkenntnisse über die Anpassbarkeit eines Systems auf die Größe eines Marktes ermöglichen. In einem Vergleich sollen Lösungsmöglichkeiten gezeigt werden, um die Problematik der kurzen, aber zeitintensiven Wege für Spontanradler sowie für regelmäßige Pendler zu lösen. 56 Für Berlin mit aktuell rund 3.442.675 Einwohnern (vgl. Statissoll zuerst das System der ›Deutschen Bahn AG‹ (DB) untersucht werden, welches sich aktuell weiterentwickelt und teils flächendeckend mit einem günstigen Pauschaltarif, die sogenannten ›Call Bikes‹, anbietet. Das zweite Berliner System wird von der ›fahrradstation GmbH‹ angeboten. Dieses zeichnet sich durch ein vielfältiges Angebot an Rädern aus und hebt sich somit von den anderen Systemen ab. Zur Verbesserung der genannten Systeme werden die Städte Kopenhagen mit ca. 539.542 Einwohnern (vgl. Statistikbanken.dk 2011), Paris mit rund 2.211.297 Einwohnern (vgl. Insee Chiffres clés 2008) und Luxemburg mit etwa 91.857 Einwohnern (vgl. Wort.lu 2010) hinsichtlich ihres Fahrradmietangebots analysiert. Diese Konzepte zeichnen unterschiedliche Finanzierungs- und Nutzungsphilosophien aus. In Paris besteht ein flächendeckendes Angebot mit über 20.000 Rädern, während in Kopenhagen ein Pfandsystem angewendet wird. In Luxemburg werden die Räder vom selben Betreiber wie in Paris angeboten, allerdings in kleinerem Umfang. tische Ämter 2011) Verfügbarkeit   Das Ausleihgebiet des neuen Systems von ›Call a Bike‹ beschränkt sich aktuell auf die Berliner Bezirke Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg. Im Zentrum befinden sich die Stationen in einem Abstand von 300 bis 500 Metern (vgl. Braun 2011). Sofern der Modellversuch des neuen Systems nach seiner Bewertung im nächsten Jahr als erfolgreich angesehen wird, sollen die bisher geplanten 80 Stationen mit 1.250 Fahrrädern auf bis zu insgesamt 320 Stationen und 5.000 Fahrräder erweitert werden (vgl. DB Mobility Logistics AG 2011). Die Räder von Call a Bike stehen das gesamte Jahr zur Verfügung (vgl. DB Mobility Logistics AG 2011, S. 1). Mögliche Stationen und freie Fahrräder können über die Homepage (vgl. DB Rent GmbH 2011c) oder per Handy-Applikation angezeigt werden (vgl. DB Rent GmbH 2011e). Nutzungsvoraussetzungen   Für die Nutzung des Systems ist die Volljährigkeit der Kundin oder des Kunden Voraussetzung, sowie eine einmalige Registrierung, welche sowohl am Call a Bike Die Fahrradvermietung der DB wird über eine im Jahr 2001 gegründete Tochtergesellschaft, der ›DB Rent GmbH‹ (vgl. Deutsche Bahn AG 2009), bundesweit in zahlreichen Großstädten angeboten (vgl. DB Rent GmbH 2011c). Seit 2002 existiert in Berlin das System ›Call a Bike‹ (vgl. Radsport-Aktiv 2003), das in den letzten Monaten in ein neues Konzept umgewandelt wurde und gerade in einem Modellversuch getestet wird (Stand Sommer 2011). Während die Räder ursprünglich beliebig verteilt in einem durch den Berliner S-Bahn-Ring eingeschlossenem Kerngebiet zu finden waren, werden sie seit Frühjahr 2011 stationsgebunden angeboten. Durch diese Änderung sollen die Räder leichter gefunden und der Ausleihprozess für die Kunden vereinfacht werden (vgl. DB Mobility Logistics AG 2011). Vorstellung verschiedener Verleihsysteme In einem ersten Schritt sollen die fünf verschiedenen Verleihsysteme vorgestellt werden, um später einen Vergleich der verschiedenen Organisationsformen zu ermöglichen. Diese Vorstellung wird sich an den Vergleichskriterien Verfügbarkeit, Nutzungsvoraussetzungen, Tarif und Service orientieren, da diese Kriterien für Radfahrerinnen und Radfahrer, welche regelmäßig denselben Weg zur Arbeit oder zu einer Institution zurücklegen, also pendeln, die wichtigsten Einflussfaktoren darstellen. Im zweiten Schritt werden die fünf Systeme anhand dieser Kriterien miteinander verglichen und diskutiert. Am Ende sollen Rückschlüsse und Verbesserungsvorschläge für die beiden Berliner Systeme abgeleitet werden können. 57 Terminal der Station, als auch online, per Telefon oder Post möglich ist. Die Räder von ›Call a Bike‹ dürfen auch von Kindern unter 16 Jahren verwendet werden, wenn diese von einem Vormund beaufsichtigt werden (vgl. DB Rent GmbH 2011b). Tarife  Nach der Registrierung kann sich der Kunde zwischen zwei Tarifen entscheiden: Grund- oder Pauschal-tarif. Wie in der folgenden Tabelle abgebildet, wird beim Grundtarif pro Fahrminute abgerechnet, wobei die Kosten für den Tag und die Woche je nach Kundengruppe nach oben begrenzt sind. So zahlen Besitzerinnen oder Besitzer einer ›BahnCard‹ in der Woche maximal 45,00 Euro für die Nutzung eines der Räder, während ohne ›BahnCard‹ das Limit bei 60,00 Euro liegt (Stand Juli 2011). Q uelle : Eigene Darstellung nach DB Rent GmbH 2011a 58 Tabelle 3.1: Kosten Grundtarif ›Call a Bike‹ Kundenart Ohne BahnCard Mit Bahncard Registrierungsgebühr 12,00 € 9,00 € ab 1. Minute 0,08 €/min 0,08 €/min max. pro Tag (24h) max. pro Woche (7 Tage) 15,00 € 60,00 € 9,00 € 45,00 € Im Dezember 2010 führte die DB einen Pauschaltarif ein, der insbesondere pendelnde und vielfahrende Personen durch einen preiswerten Tarif ansprechen soll (vgl. DB Rent GmbH 2010). Die Kosten beim Pauschaltarif sind, wie in der nachfolgenden Tabelle dargestellt, analog zum Grundtarif mit der Ausnahme dass bei einer Jahrespauschale die ersten 30 Minuten jeder Fahrt kostenfrei sind. Außerdem wird für diesen Tarif eine Ermäßigung bei der Jahresgebühr für Berliner Studenten und ›VBB‹-Abonnenten angeboten. Q uelle : Eigene Darstellung nach DB Rent GmbH 2011a Tabelle 3.2: Kosten Pauschaltraif ›Call a Bike‹ Kundenart Ohne BahnCard Mit Bahncard Vbb-Abonenten/ Berliner Studenten Registrierungsgebühr 12,00 € 9,00 € Entfällt Jahresgebühr 36,00 € 27,00 € 18,00 € 1. – 30. Minute ab 31. Minute kostenlos 0,08 €/min kostenlos 0,08 €/min kostenlos 0,08 €/min max. pro Tag (24h) max. pro Woche (7 Tage) 15, 00 € 60,00 € 9,00 € 45,00 € 15,00 € 60,00 € Entleihprozess   Entliehen werden die Räder an den Stationen, welche jeweils mit einem Terminal und mehreren Stellplätzen ausgestattet sind. Die ausleihbaren Fahrräder verfügen neben einem Schloss mit Display und Bedienungsknöpfen, auch über ein Tragesystem sowie Sicherheits- und Komfortelemente, wie zum Beispiel die 8-Gang Kettenschaltung, der Sattel mit Schnellspanner oder die Halogenscheinwerfer, die auch bei einem Stopp weiterleuchten (vgl. Ströer Media Deutschland GmbH 2011). Zum Entleihen eines Rades existieren mehrere mögliche Varianten (vgl. DB Rent GmbH 2011d): • über das Stationsterminal • per Anruf der Telefonnummer auf dem Schlossdeckel des Rades • über eine Applikation für Smartphones. Am Terminaldisplay kann eines der verfügbaren Räder ausgewählt werden. Durch die Bestätigung wird ein Öffnungscode für das Schloss generiert und das Fahrrad lässt sich aus der Halterung entnehmen. Bei den anderen beiden Varianten kann das Fahrradschloss nach der telefonischen oder Transfer-Bestätigung per Knopfdruck entriegelt und aus der Halterung entnommen werden. Für Fahrpausen lässt sich das Schloss ebenfalls benutzen, dabei wird auf dem Display am Schlosskasten ein Öffnungscode kurzzeitig angezeigt, mit welchem sich das Schloss später wieder öffnen lässt. Für die Rückgabe wird das Fahrrad in eine der freien Stellplätze einer Station geschoben und das Hinterrad per Sperrknopf am Schloss verriegelt. Service Für Fragen und Probleme bietet die DB ein Kontaktformular auf der Homepage und eine Servicehotline zum deutschen Festnetztarif an (vgl. DB Rent GmbH 2011e). Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen haftet die Nutzerin oder der Nutzer bei Diebstahl und Beschädigung während der Mietzeit (vgl. DB Rent GmbH 2011b). Allerdings nur bis zu einer Obergrenze von 80,00 Euro, solange kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit besteht (vgl. DB Rent GmbH 2011f). Zusammenfassung   Wo das System Call a Bike angeboten wird, zeichnet es sich durch ein engmaschiges Netz an Stationen aus und bietet den Benutzenden nach einer einmaligen Registrierung verschiedene Alternativen zur Radausleihe. Durch das Tragesystem, vergleichbar mit einem Gepäckträger, lassen sich zum Beispiel auch kleinere Gepäckstücken transportieren. Außerdem bietet das System ins Besonderen Vielfahrern und Studenten, sowie ›VBB‹-Abonnenten durch den Ende 59 2010 eingeführten Pauschaltarif günstige Konditionen mit 30 Freiminuten je Fahrt an. Fahrradstation Seit 1992 gibt es in Berlin die Fahrradstation, welche sich als Fahrraddienstleistungszentrum versteht. Das Angebot soll anspruchsvolle Kundinnen und Kunden anziehen, die die Stadt individuell erleben möchten, wie z. B. durch maßgeschneiderte Stadtrundfahrten mit dem Fahrrad oder ein Radkulturprogramm (vgl. Fahrradstation 2011a). Verfügbarkeit   Das System verfügt in Berlin über sechs Stationen in den Bezirken Mitte, Kreuzberg, Charlottenburg und Prenzlauer Berg (vgl. Fahrradstation 2011b) sowie im ›Grand Hostel Kreuzberg‹ (vgl. Fahrradstation 2011c). Die aktuelle Fahrradflotte, bestehend aus über 1.000 hochwertigen Markenrädern, umfasst Stadträder, Mountainbikes, Trekkingräder, Renn- und Reiseräder, Tandems, siebensitzige Conference Bikes, Falträder und Fully Mountainbikes von Fahrradherstellern wie ›Diamant‹ und ›BMC‹. An jeder Station stehen im Regelfall mindestens fünf Räder zur Verfügung (vgl. ›Fahrradstation 2011d‹). 60 Nutzungsvoraussetzungen    Zur Anmietung eines Fahrrades wird die Vorlage eines Lichtbildausweises und einer EC- oder Kreditkarte, sowie die Unterzeichnung eines Mietvertrags verlangt. Eine Person kann auch mehrere Fahrräder gleichzeitig mieten (vgl. Fahrradstation 2011c). Die allgemeinen Nutzungsbedingungen werden bei Vertragsabschluss bekanntgegeben. Sollte ein Mietgegenstand der Fahrradstation beschädigt werden oder verlorengehen, haben Nutzende den Ladenneupreis zuzüglich anfallender Montagekosten zu zahlen. Das Risiko kann durch Abschluss einer Versicherung auf einen Selbstbehalt von 300 Euro begrenzt werden. Kommt es zum Diebstahl oder einem Unfall, ist unverzüglich polizeiliche Anzeige zu erstatten und die Fahrradstation zu informieren (vgl. Mietvertrag). Tarife  Ein Fahrrad kann über eine unbegrenzte Zeitspanne gemietet werden. Abhängig von der Mietdauer werden auch Rabatte gewährt. Siehe dazu auch Tabelle 3.3. Stunde Tag 3 Tage Woche Stadtrad Mountainbike 5,00 € 15,00 € 35,00 € 50,00 € Trekkingrad 6,00 € 18,00 € 45,00 € 60,00 € Rennrad Reiserad 8,00 € 24,00 € 50,00 € 100,00 € Faltrad Fully Mountainbike 10, 00 € 30,00 € 60,00 € Q uelle : Eigene Darstellung nach Fahrradstation 2011e Tabelle 3.3: Preisübersicht der Mieträder der ›fahrradstation‹ 120,00 € Entleihprozess  Fahrräder können ganzjährig an den sechs Berliner Stationen der Fahrradstation gemietet werden (vgl. Fahrradstation 2011g). Es gibt auch die Möglichkeit online Fahrräder zu buchen und per Bankeinzug oder Kreditkarte zu bezahlen (vgl. Fahrradstation 2011d). Die Dauer der Miete ist im Voraus festzulegen. Eine unangekündigte Verlängerung führt laut Mietvertrag zu einem Zuschlag von 25 Euro zum regulären Tarif und zu einer polizeilichen Anzeige 24 Stunden nach dem vereinbarten Rückgabetermin. Ein Fahrrad der Fahrradstation kann auch an einer anderen der sechs Stationen Berlins oder in einem der kooperierenden Hotels und Hostels einer anderen Stadt, zum Beispiel Dresden, gegen einen Aufpreis zurückgegeben werden. Zur Grundausstattung jedes Fahrrades gehört ein Schloss. Zudem gibt es die Möglichkeit, eine breite Palette an Zubehör zu mieten oder in einer der Stationen käuflich zu erwerben. Dazu gehören unter anderem Taschen, Helme, Schuhe und Handschuhe (vgl. Fahrradstation 2011e). Die Möglichkeit einer Gepäckmitnahme richtet sich nach dem Fahrradtyp. Die Unterbringung von Taschen, Rucksäcken und Koffern ist auch in Schließfächern der Fahrradstation am Bahnhof Friedrichstraße für 0,50 Euro je zwei Stunden oder für zwei Euro je acht Stunden möglich (vgl. Fahrradstation 2011f). Die Mieträder sind nicht älter als ein Jahr und werden nach jeder Saison als Jahresräder wieder verkauft (vgl. Fahrradstation 2011a). Dies ermöglicht einerseits einen angemessenen Erlös und stellt sicher, dass zu jeder Zeit funktionstüchtige, neue Fahrräder zur Verfügung stehen. Service  Für spezielle Anfragen steht die Fahrradstation über eine Servicehotline zum Ortstarif innerhalb der Öffnungszeiten zur Verfügung (vgl. Fahrradstation 2011c). Zusammenfassung   Das Angebot der Fahrradstation hebt sich durch sein umfangreiches Angebot an Fahrradtypen und 61 Fahrradzubehör gegenüber den anderen Systemen klar ab. Durch die damit verbundenen höheren Mietkosten fokussiert dieses Konzept eher die Gelegenheitsfahrer. Der Schadensersatz ist sehr hoch und eine exakte Zeitplanung ist notwendig, da Verspätungen geahndet werden. Bycyklen in Kopenhagen 62 In Kopenhagen existiert seit 1995 ein öffentliches Fahrradleihsystem, welches nach einer Studie zu Fahrraddiebstählen in der Stadt die Gebrauchsdiebstähle reduzieren soll. Verfügbarkeit   Die Fahrradflotte umfasst 2.500 Exemplare, welche an 110 Stationen im gesamten Innenstadtbereich zwischen April und Oktober verfügbar sind. (vgl. Copenhagen-Tourist.com 2011, Bycyklen København 2011a, Der Tagesspiegel 2011) Jedoch dürfen die Fahrräder nur im Innenstadtbereich verwendet werden, eine Nutzung außerhalb wird mit Geldstrafen geahndet (vgl. Berlingske.dk 2004). Nutzungsvoraussetzungen/Tarif   Als Kundin oder Kunde des Kopenhagener Citybike-Systems ist lediglich eine 20-Kronen-Münze, die umgerechnet etwa drei Euro entspricht (vgl. Handelsblatt GmbH 2011), nötig. Entleihprozess  Die Fahrräder werden an den Stationen nach dem Einkaufswagen-Prinzip ausgeliehen, d.h. es wird die Münze, ähnlich wie bei einem Einkaufswagen, in einen Schacht am Fahrradlenker gesteckt, um die Verbindungskette zur Station zu entriegeln. Die Fahrradrückgabe erfolgt nach theoretisch nicht begrenzter Nutzungsdauer analog und die Nutzerin beziehungsweise der Nutzer erhält die Münze zurück (vgl. Copenhagen-Tourist.com 2011). Service  Zum Finden eines Fahrrads stehen keine technischen Hilfsmittel zur Verfügung. Die Stationen werden regelmäßig von Service-Fahrzeugen angefahren und Lastkraftwagen sammeln Fahrräder ein, welche entweder nicht zu einer Station zurückgebracht wurden oder außerhalb des Innenstadtbereichs vorgefunden werden. Die Wartung der Fahrräder wird in Werkstätten von inhaftierten Straftätern durchgeführt. Hierbei wird das öffentliche Fahrradmietsystem in das Resozialisierungsprogramm für Häftlinge der Stadt eingebunden (vgl. Bycyklen København 2011a). Einzige Kontaktmöglichkeit der Nutzer mit dem Betreiber ist nur zur Meldung von Fahrrädern außerhalb des Ausleihbereiches vorgesehen (vgl. Bycyklen København 2011b). Zusammenfassung   In Kopenhagen existiert ein von der Stadt getragenes, für den Nutzer kostenfreies Angebot an Fahrrädern, die ähnlich einem Einkaufswagen genutzt werden können. Die Nutzung ist auf den Innenstadtbereich beschränkt, welcher durch die angebrachte Karte stets im Blick ist und so für Touristen ohne weitere Hilfsmittel nur eine Navigation innerhalb des gewünschten Nutzungsbereichs ermöglicht. Die Nutzung außerhalb wird hier sogar polizeilich verfolgt. Die Umsetzung des Konzepts ›Cyclocity‹ in den Städten Paris und Luxemburg wird basierend auf Informationen des Anbieters vorgestellt (vgl. SOMUPI 2011a und vel‘oh! 2008a). Verfügbarkeit   In Paris befinden sich über 1.800 Fahrradvermietungsstationen, sodass Kundinnen und Kunden ungefähr alle 300 m auf einen der Ausleihpunkt zugreifen können. In Luxemburg hingegen decken 54 Stationen mit 250 Fahrrädern (vgl. vel’oh! 2008b) ebenfalls die Innenstadt in einem Abstand von ca. 300 Metern in der Nähe wichtiger wirtschaftlicher und kultureller Einrichtungen und von Geschäften und Verbindungen des öffentlichen Personennahverkehrs ab (vgl. vel’oh! 2010). Eine Station hat dabei immer ein Terminal zum Kauf von Tickets und bietet Services, wie Ausleihe und Rückgabe, Anzeigen des Stadtplans mit den Stationen, Servicehotline und ähnliche an. Des Weiteren gehören zu einer Station je nach Lokalität bis zu 70 Radabstellpunkte, welche über Audiosignale, Kontrolllampen und einen Kartensensor verfügen, um den Ausleihprozess für die Kunden zu vereinfachen. Über die Stationen können in Paris Nutzende auf 20.000 und in Luxemburg auf 250 (vgl. vel‘oh! 2008d) Fahrräder zugreifen, welche im perlmuttartig grauen oder blauen und einheitlich modernen Design gestaltet sind (vgl. SOMUPI 2007, S. 12). Vermietungskonzepte in Paris und Luxemburg Der Anbieter ›‹JCDecaux‹ ist weltweit für Reklamewerbung und Stadtmöblierung bekannt und realisierte im Jahr 1999 ein Konzept zur umfangreichen Fahrradvermietung in Großstädten unter den Namen ›Cyclocity‹. (vgl. SOMUPI 2007, S. 16). Unter dem Ziel der Verbesserung von Mobilität wurde das System inzwischen weltweit in 67 Städten eingeführt, beispielsweise in Wien, Dublin oder Göteborg (vgl. JCDecaux 2011). In Paris wurden die Mietfahrräder im Sommer 2007 eingeführt und werden von ›SOMUPI‹, einer Tochterfirma von ›JCDecaux‹, unter dem Namen ›Vélib‹ angeboten (vgl. SOMUPI 2007, S. 2). In der Stadt Luxemburg wird das System seit März 2008 unter dem Namen Vel’oh! angeboten (vgl. JCDecaux 2008a). 63 Nutzungsvoraussetzungen   Für die Ausleihe wird wie auch bei den anderen vorgestellten Systemen ein Ticket benötigt (siehe Tarife).   Die Räder stehen bereits Kindern ab 14 Jahren zur Verfügung. Allerdings brauchen Minderjährige eine Erlaubnis des gesetzlichen Vormundes (vgl. SOMUPI 2011b und JCDecaux 2008b). Da die Buchung nur per Kreditkarte, Scheck oder Bankeinzug möglich ist, bezahlt dieser im Regelfall auch das Ticket. Kundinnen und Kunden dieses Systems sind wie bei den vorgestellten Berliner Konzepten für ihre Fahrräder verantwortlich und verpflichtet, beim Ticketkauf einer Kaution in Höhe von 150 Euro zuzustimmen, welche teilweise oder vollständig im Schadensfall, bei Diebstahl oder fehlender Rückgabe automatisch vom Konto abgebucht wird (vgl. SOMUPI 2007, S. 7. und JCDecaux 2008b, S. 2). Tarife  Die Systeme unterscheiden jeweils zwischen Kurzzeittickets, also Tages- oder Wochenkarten, und Jahreskarten (vgl. SOMUPI 2011b und JCDecaux 2008b). Die Tickets variieren nur im Preis und ihrer Laufzeit, welche festlegt, wie lange Fahrräder von den Stationen entnommen werden können. Während der Laufzeit kann ein Fahrrad beliebig oft entliehen werden. Allerdings gelten für die längere Benutzung eines Fahrrades Staffelpreise, welche für alle Tickets identisch sind und in folgender Tabelle für Paris vorgestellt werden. 64 Tabelle 3.4: Kostenübersicht ›vélib‹ Q uelle : Eigene Darstellung nach SOMUPI 2011a Ticket 1-Day 7-Day Vélib' Classic Vélib' Passion Dauer Ticketpreis Freiminuten je Fahrt 24 Stunden 1,70 € 30 min 7 Tage 8,00 € 30 min 1 Jahr 29,00 € 30 min 1 Jahr 39,00 € 30 min + 1,00 € + 1,00 € + 1,00 € + 1,00 € + 2,00 € + 2,00 € + 2,00 € + 2,00 € + 4,00 € + 4,00 € + 4,00 € + 4,00 € Fahrtkosten nach Freiminuten je Fahrt Erste zusätzliche halbe Stunde Zweite zusätzliche halbe Stunde Jede weitere halbe Stunde In Tabelle 3.4 fällt auf, dass der Preis mit zunehmender Nutzung jenseits der Freiminuten stark ansteigt, sodass es sinnvoll ist, die Fahrzeiten kurz zu halten beziehungsweise die Fahrräder häufig zu wechseln.   In Luxemburg gibt es lediglich zwei Ticketangebote. Ein Wochenticket, das dem ›7-day‹-Ticket von ›Vélib‹ und ein Jahresabonnement, das dem ›Vélib Classic-Ticket‹ entspricht. Die Grundgebühren betragen je nach Ticket 1 Euro und 15 Euro. Die erste halbe Stunde ist kostenlos, jede weitere Stunde kostet einen Euro. Der Maximalpreis pro Tag beträgt fünf Euro (vgl. vel’oh! 2008c). Für Kinder und Studierende gibt es in Paris günstigere Tarife (vgl. SOMUPI 2011a). Diese Ermäßigung besteht in Luxemburg nicht. Entleihprozess  Die Kurzzeittickets werden per Kreditkarte am Terminal oder über die Homepage gekauft, während Jahreskarten nur online oder per Post erstanden werden können. Allerdings ist hier neben der Bezahlung mit Kreditkarte auch eine Bezahlung per Bankeinzug oder Scheck möglich (vgl. SOMUPI 2011c und JCDecaux 2008b). Die Fahrräder bieten neben einem Schloss und einem Korb zur Gepäckmitnahme auch durch die Verwendung von Sicherheitsstandards Schutz und Komfort für Fahrende, zum Beispiel durch automatische Lichter oder einem ergonomischen Lenker. (vgl. SOMUPI 2007, S. 13). Außerdem werden die Räder über das gesamte Jahr rund um die Uhr angeboten. Die Stationen können durch das engmaschige Netz entweder direkt gesucht oder am Terminal, auf der Homepage oder per Applikation auf einem Smartphone angezeigt werden. Der Ausleihvorgang ist intuitiv und einfach gestaltet. Bei Kurzzeittickets werden verfügbare Fahrräder über das Terminal ausgeliehen, während eine ›vélib‹- oder ›Vel’oh!‹-Jahreskarte oder ein aktivierter ›NAVIGO‹-Pass, eine Karte zur Nutzung des Pariser Nahverkehrs (vgl. Paris-Reiseführer 2011), für die Freischaltung nur auf den Sensor am Befestigungspunkt gehalten werden muss.   Wenn das Rad nach der Fahrt wieder an einem freien Halter befestigt wurde, wird die erfolgreiche Rückgabe durch eine Lampe und ein akustisches Signal verdeutlicht. Es kann vorkommen, dass bei einer Station keine freien Befestigungspunkte verfügbar sind. Für diesen Fall ist eine Identifikation am Terminal möglich, um 15 Freiminuten zu erhalten, die ausreichen sollten, das Rad an einer anderen Station in der Umgebung abzugeben. Für Paris existieren weiterhin zusätzlich mit ›V+‹ markierte Stationen, an denen Nutzende bei der Rückgabe 15 Freiminuten gutgeschrieben bekommen. Vermutlich will der Anbieter dadurch ein Anreizsystem schaffen, um zu bewirken, dass an Stationen, an denen ungewöhnlich oft ein Fahrrad entliehen wird, auch mehr Räder zurückgegeben werden. Service  Für den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrräder sorgen in Paris aktuell 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als zusätzlicher Kundenservice wird desweiteren eine Hotline angeboten, welche täglich von morgens bis abends erreichbar ist. 65 Zusammenfassung   Das System Cyclocity von JCDecaux wird unter verschiedenen Namen in vielen Städten angeboten, darunter auch in Paris und Luxemburg. Unter den Namen Vélib´ werden in der Pariser Innenstadt die Räder flächendeckend angeboten und mit über 20.000 Fahrrädern besitzt dieses System den größten Umfang der in dieser Arbeit vorgestellten Verleihkonzepte. Die Tickets können sowohl am Terminal, als auch über die Homepage gekauft werden und richten sich mit den entsprechenden Tarifen vorwiegend an Pendler mit 30 bzw. 45 Freiminuten je Fahrt und zwei verfügbare Jahresticket. Vergleich der Beispiele und Diskussion 66 Verfügbarkeit Im folgenden Vergleich der Systeme untereinander, fällt die unterschiedliche Dimensionierung der Konzepte hinsichtlich der Fahrräder und Stationen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Größen der Städte auf. Um ein flächendeckendes Konzept in Berlin realisieren zu können, ist eine Stationsdichte wie in Paris und Luxemburg erstrebenswert. Dies macht deutlich, dass Anbieter, die im Umfeld der Fahrradstation agieren, für ein flächendeckendes System mangels vorhandener Stationen als Anbieter ausscheiden. Das System der Deutschen Bahn im jetzigen Pilotzustand zeigt jedoch Ansätze, die eine dem Pariser System entsprechende Richtung einschlagen. Anhand des Luxemburger Beispiels mit lediglich 100.000 Einwohnern ist zu erkennen, dass dieses Konzept von ›JCDecaux‹, welches in Paris auch bei 2,2 Millionen Einwohnern realisiert worden ist, beliebig skalierbar erscheint und sich so auch an Berliner Verhältnisse, die auf die Einwohnerzahl bezogen noch über den Pariser Verhältnissen liegen, anpassen lässt. Nutzungsvoraussetzungen   Bei der Deutschen Bahn ist vor Nutzung der Fahrräder ein Vertrag zu schließen welcher automatisch ein Mindestalter des Nutzers von 18 Jahren (volle Geschäftsfähigkeit) voraussetzt. Eine Sonderregelung erfahren hierbei Jugendliche im Alter von mindestens 16 Jahren, da hier die Erziehungsberechtigten den Nutzungsvertrag für das Kind abschließen dürfen. Die Fahrradstation hat keine Expliziten Regelungen über ein Mindestalter seiner Kundschaft, allerdings wird allein mit der Höhe der Kaution eine Nutzung durch Minderjährige überwiegend ausgeschlossen. In Kopenhagen ist einzige Zugangsvoraussetzung eine 20-Kronen-Münze und ggf. eine ausreichende Körpergröße (Sattelhöhe wurde nicht ermittelt) um das Fahrrad nutzen zu können. In Paris und Luxemburg dürfen Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren und mit der schriftlichen Einwilligung der Eltern das Radverleihsystem von ›Cyclocity‹ ebenfalls verwenden. Tarif  Zur Finanzierung der Konzepte bewegen sich die Gebühren in unterschiedlichen Bereichen. In Kopenhagen erfolgt die Refinanzierung der Mieträder über eine Stiftung und durch Fördermittel der Stadt, um hier eine kostenfreie Nutzung der Räder zu ermöglichen. Nach Ansicht der Autoren lässt sich ein Berliner Konzept in entsprechender Dimension nicht derart finanzieren, sodass eine wirtschaftlich orientierte Gegenfinanzierung der Räder mittels Nutzungsgebühren notwendig erscheint. Die hierbei zum Vergleich verbleibenden Konzepte sind das der ›Deutschen Bahn‹ und das von ›JCDecaux‹. Anhand der Preisentwicklung über die Nutzungsdauer hinweg, wie dargestellt in Tabelle 3.5, wird deutlich, dass nach den vordefinierten Kriterien und wie folgend erläutert, die Nutzung der Räder beider Anbieter auf Pendler zugeschnitten ist. Das Vergleichskriterium Tagesmiete bezieht sich hierbei auf eine Nutzungsdauer von acht Stunden am Stück, die Wochenmiete auf eine acht stündige Nutzung an sieben Tagen hintereinander. 67 Anbieter Mietzeit DB (ohne Bahncard) Fahrradstation JCDecaux Paris Anmeldungsgebühr 0,5 Stunde 12,00 € 2,40 € 0,00 € 1,70 € 30 min 1 Stunde 4,80 € 3 Stunden 12,00 € Tagesmiete 15,00 € Wochenmiete 60,00 € Jahr (240d): 2x (30min) pro Tag 36,00 € 0,00 € – (Mietung erst ab 1h möglich) 5 – 10 € (je nach Modell) 15 – 30 € (je nach Modell) 15 – 30 € (je nach Modell) 50 – 120 € (je nach Modell) nicht ermittelt Jahr (240d): 2x (60min) pro Tag (4,80x240d + 36)€ = 1.188,00 € nicht ermittelt Citybike Kopenhagen – – JCDecaux Luxemburg 2,70€ (inkl. Tagesticket) – 2,00 € (inkl. Wochenticket) 16,70 € (inkl. Tagesticket) 56,70 € – 4,00 € (inkl. Wochenticket) – 6,00 € (inkl. Wochenticket) 393,00 € (inkl. Wochenticket) 29,00 € (»Velib' Classic«) 509,00 € (»Velib' Classic«) – 36,00 € (inkl. Wochenticket) – 15,00 € (inkl. Jahresabonnement) 15,00 € (inkl. Jahresabonnement) – 0,00 € 1,00 € (inkl. Wochenticket) Q uelle : Eigene Darstellung Tabelle 3.5: Übersicht der Mietpreise aller vorgestellten Systeme Die stundenweise Anmietung ist in Paris und bei der ›Deutschen Bahn‹ preislich ähnlich gestaltet. Bei der Tagesmiete ist jedoch ein erster Unterschied in der Preispolitik feststellbar, was sich derart interpretieren lässt, dass das Angebot in Paris stärker auf Pendler, denn auf Touristen zugeschnitten ist. Die Deutsche Bahn scheint bei der Tagesmiete mittels eines maximalen Preises von zwölf Euro auch Touristen in ihr Angebot einbeziehen zu wollen. Diese preisliche Tendenz im Angebot der ›Deutschen Bahn‹ und des Pariser Konzepts setzt sich im Anmietungszeitraum von einer Woche fort. Die Reduzierung der täglichen Nutzung auf eine halbe Stunde beim Vergleichskriterium ein Jahr bei täglicher Nutzung von zweimal 30 Minuten in zwei unabhängigen, zeitlich getrennte Fahrten, unterstreicht abermals die Pendlerorientierung der Konzepte. 68 Das letzte Kriterium ein Jahr bei täglicher Nutzung von zweimal 60 Minuten macht hinsichtlich der Preispolitik erneut die Zubringerrolle zu anderen Verkehrsmitteln des ÖPNV für das Fahrrad, wie eingangs in der Einleitung angesprochen, deutlich. Ein Preisanstieg von 36 Euro auf 1.188 Euro bei der Deutschen Bahn und in Paris von 29 Euro auf 393 Euro. Sowohl in Paris, als auch bei der ›Deutschen Bahn‹ in Berlin, würde demnach bei einer täglichen Fahrradnutzung von mehr als einer halben Stunde über ein Jahr hinweg die Anschaffung eines eigenen Fahrrads bei einer Investition von 1.000 Euro aus ökonomischer Sicht sinnvoller erscheinen. Entleihprozess  Hinsichtlich des Ausleihprozesses ist das Kopenhagener System in Sachen Bedienungsaufwand und -zeit nicht zu unterbieten. Paris hat für seine Abo-Kundschaft ein ähnlich einfaches System mit einer Kundenkarte und einem Sensor direkt am Anschließpunkt des Fahrrads etabliert, sodass auch hier Ausleihe und Rückgabe ähnlich schnell vonstattengeht. Kundschaft ohne Abonnement muss jedoch zuvor das Terminal konsultieren, um dort ein Ticket zu erwerben und das gewünschte Fahrrad auszuwählen.   Die Deutsche Bahn geht bei den Möglichkeiten zur Fahrradausleihe mehrere aber zeitlich längere Wege, wobei die Entriegelung der Fahrräder per Knopfdruck direkt am Anschließpunkt nach vorheriger Buchung via Smartphone-Applikation oder Anruf der Ausleihrufnummer die beiden schnellsten Varianten der DB zur Ausleihe darstellen. Service  Sowohl die DB, die Fahrradstation als auch ›JCDecaux‹ in Paris und Luxemburg bieten ihren Kunden eine Service- Rufnummer an, ein Kontaktformular auf der Homepage der DB ermöglicht den Nutzern auch schriftliche Anfragen. In Kopenhagen ist die Interaktion mit dem Kunden auf die Meldung von Fahrrädern außerhalb des Nutzungsbereichs beschränkt. Die Wartung der Fahrräder wird bei allen Anbietern im laufenden Betrieb vorgenommen. In Paris sind es bis zu 160 Mitarbeiter, welche sich um die Wartung kümmern. Kopenhagen hat die Fahrradwartung sogar in das Resozialisierungsprogramm für Häftlinge eingebunden. Fazit Insgesamt betrachtet ist die Deutsche Bahn mit ihrem jetzigen Konzept in der Pilotphase auf einem guten Weg, um ein vergleichbares System zu Paris in Berlin zu etablieren. Die Deutsche Bahn ist ein Unternehmen, welches in der Lage sein wird, das nötige Investitionsvolumen zum weiteren Ausbau des Stationsnetzes aufzubringen. Die Fahrradstation als Fahrraddienstleistungszentrum scheidet wegen der Stationsausstattung als vollwertiges Fahrradgeschäft mit Werkstatt und der lediglich sechs Stationen im Berliner Stadtgebiet als flächendeckender Mietfahrradanbieter aus. Im gesamten Auftreten der Fahrradstation ist eine touristische Kundenorientierung zu erkennen. Die Nutzungsvoraussetzungen der DB sind durch eine langfristig ausgelegte Vertragsstruktur und die Zugänglichkeit ab 16 Jahren im Vergleich mit den betrachteten drei europäischen Städten bereits solide aufgestellt. Inwiefern eine Senkung des Mindestalters auf 14 Jahre wie in Paris und Luxemburg eine Vergrößerung der Kundschaft bewirken würde, wäre zu ermitteln.   Die bereits genannte langfristige Vertragsstruktur zeigt sich auch in der Kostenentwicklung in Tabelle 3.5. Während eine Wochenmiete bei 60,00 Euro veranschlagt ist, wäre ein Jahresabonnement bei einer maximalen Nutzung von 30 Minuten am Stück bereits mit 36,00 Euro finanzierbar. Diese Struktur zeigt sich auch in den Verträgen von JCDecaux, wobei beide Anbieter bei einer Nutzung von 60 Minuten am Stück kräftige Aufschläge verlangen. Die Deutsche Bahn kann mit der Berliner S-Bahn als ein großer Träger des Berliner ÖPNV das Fahrradangebot in Zukunft mit bestehenden Tarifen, auch in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg in das Tarifsystem verbinden, sodass die Beförderung des Kunden nicht an der Haltestelle, sondern erst an der Fahrradstation endet.   Die Komplexität des Ausleihprozesses der DB sollte gerade für Abo-Kundschaft ähnlich dem Pariser System angepasst werden, um der Pendlerfreundlichkeit entgegenzukommen. 69 Hier bleibt abzuwarten, ob nach der Durchführung des Pilotprojekts Änderungen in das System einfließen, beziehungsweise in welcher Art und Weise sich das System nach seiner Einführung weiterentwickeln wird.   Hinsichtlich des Service liegen alle betrachteten Anbieter auf ähnlich gutem Niveau, signifikante Potentiale ließen sich für die DB nicht entdecken.   An dieser Stelle ist die Etablierung von Leihrädern als Zubringer zu Bus und Bahn, wie eingangs angesprochen, als Chance zu sehen, das Angebot des Berliner ÖPNV auszubauen und seine Attraktivität gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu steigern. 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Luxemburg: URL: http:// www.wort.lu/wort/ web/letzebuerg/ artikel/76329/zahlder-luxemburger-inder-hauptstadt-steigtwieder-leicht-an. php, letzter Zugriff: 20.11.2011 Kapitel 4 Einkaufen mit dem Fahrrad: Nachhaltige Stadtmobilität zwischen Förderung und fehlendem Interesse in Berlin Martin Sauer, Valentin Jahn ­­ Inhalt: Zur zunehmenden Relevanz des Radverkehrs in Städten Radverkehrspolitik Fahrradparken Ein Blick in die Praxis Radfahrer als Kunden Radverkehr gemeinsam fördern – für mehr nachhaltige Stadtmobilität 73 Zur zunehmenden Relevanz des Radverkehrs in Städten 74 Die Moderne ist eine Geschichte des Verkehrswachstums. Die weitreichenden Umbrüche, die mit dem Wandel zur Industriegesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert einhergingen, brachten Verstädterung und einen steigenden Bedarf nach Ortsveränderung mit sich. Massentransportmittel wie Omnibus und Eisenbahn hatten diese Funktion zu erfüllen. Wichtiges Strukturmerkmal moderner Gesellschaft ist Individualisierung (vgl. z. B. Beck 1986), die sich auch im Verkehrsgeschehen der Menschen wiederspiegelt (vgl. Rammler 2005). So nahm die Bedeutung des Individualverkehrs bis heute immer weiter zu. Der massenhaften Verbreitung des Automobils ging die des Fahrrades voraus, das aber in Deutschland, wie in anderen Industrieländern, in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg fast vollständig vom Automobil verdrängt wurde (vgl. Deffner 2011, S. 263f). Seitdem ermöglichte der PKW individuelle Raumüberwindung in nie zuvor da gewesenem Umfang und diente zugleich dazu, den eigenen gesellschaftlichen Status hervorzuheben. Doch der Erfolg des Automobils hat auch Schattenseiten. Spätestens seit den 1980er Jahren werden die negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt immer mehr zum Gegenstand öffentlicher Diskurse (vgl. Beck 1986). Zunehmend wurde das Automobil vom Garant persönlicher Freiheit zum Problemfall. Insbesondere in hoch verdichteten Räumen ist die größer werdende Dysfunktionalität der automobilen Fortbewegung besonders gut erlebbar: Parkraum wird knapper, Staus kosten Autofahrern immer mehr Zeit und Nerven. Ein weiterer Ausbau von Autostraßen wie unter dem Leitbild der autogerechten Stadt (vgl. Reichow 1959) gilt aber schon lange nicht mehr als zeitgemäß (vgl. Knie, Marz 1997).   Als nicht unerhebliche Ursache für die Beeinträchtigungen von Wohn- und Lebensqualität durch Lärm, Schmutz und Feinstaub in Innenstädten ist längst der Autoverkehr ausgemacht. Mit immensem finanziellem Aufwand versuchen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft daher neuerdings, den motorisierten Individualverkehr von seinen negativen Nebenfolgen zu entkoppeln, etwa indem sie alternativen Automobilantrieben zur Durchsetzung verhelfen.   Die Lösung für eine zunehmende Anzahl von Stadtbewohnern hat indes nur zwei Räder, wird durch Muskelkraft angetrieben und fährt deshalb völlig emissionsfrei – das Fahrrad. Mit dem Fahrrad lassen sich Ziele im Nahbereich häufig schneller erreichen. Fahrradfahrer sind nicht auf Fahrpläne angewiesen, der Platzbedarf sowohl beim Fahren als auch beim Parken ist minimal und wer Fahrrad fährt, fördert zudem die eigene Gesundheit. In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil des Radverkehrs an der Gesamtverkehrsleistung in deutschen Städten wieder deutlich erhöht. Glaubt man den Prognosen, setzt sich dieser Trend in hoch verdichteten Räumen, wie den Innenstadtbezirken von Berlin, fort. Dies steht entgegen der Entwicklungen in Vororten und ländlichen Räumen, weshalb die Prognose im Bundesdurchschnitt einen leichten Rückgang verzeichnet (vgl. BMVBS 2007 und TCI 2009). Während noch vor wenigen Jahren Fahrradfahren als „merkwürdige Eigenart“ einer Minderheit von ökologisch bewusst lebenden Menschen galt, zieht es Menschen heute aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen auf den Sattel (vgl. Gumpinger 2010, S. 10). Diese sind zumeist nicht vordergründig ökologisch eingestellt, sondern pragmatisch motiviert, weil Radfahren in der Stadt als schneller, einfacher und kostengünstiger wahrgenommen wird als Autofahren (vgl. City of Copenhagen 2011). Auch ein positiver Effekt auf die eigene Gesundheit spielt eine wichtige Rolle bei der Wahl dieses Verkehrsmittels (vgl. ADFC 2009). Nicht nur für die Mobilität des Einzelnen, auch für die öffentliche Hand ist das Fahrrad als Teil des gesamten Verkehrssystems zunehmend interessant, wie politische Initiativen wie der Nationale Radverkehrsplan (vgl. BMVBS 2002) zeigen. Fahrradverkehr benötigt im Gegensatz zum Autoverkehr weitaus weniger teure Infrastruktur, Investitionen zahlen sich vergleichsweise schnell aus. Radverkehr senkt die Lärm- und Abgasemissionen, trägt so zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen in Städten und dem Klimaschutz im Allgemeinen bei (vgl. DIFU 2011c). In einer vergleichenden Bilanzierung von volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen schlägt das Fahrrad darüber hinaus andere Verkehrsträger, vor allem das Automobil, um Längen. Ein höherer Radverkehrsanteil stellt also einen handfesten Mehrwert für die Allgemeinheit dar, wie Gregor Trunk (2011) am Beispiel Wiens aufzeigt. Viele Städte sind einem Zuwachs an Radverkehr allerdings schlecht gewappnet. So sind etwa Radwege und Abstellanlagen in schlechtem Zustand, gelangen zu Stoßzeiten schnell an die Grenzen ihrer Kapazität oder sind gar nicht vorhanden. Um dem entgegenzuwirken, wird dem Ausbau von Radwegen immer mehr Aufmerksamkeit zuteil, wohingegen dem ruhenden Verkehr oft nach wie vor wenig Beachtung geschenkt wird. Ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen, wie alle Individualverkehrsmittel steht das Fahrrad die meiste Zeit des Tages, weshalb die Bedeutung des Themas nicht zu unterschätzen ist (vgl. SenStadt 2008a). 75 Im Folgenden soll deshalb am Beispiel Berlins untersucht werden, wie verschiedene Akteure mit dem Thema Fahrradparken umgehen. Zunächst soll dabei die öffentliche Hand Gegenstand der Betrachtung sein und neben der politischen Zielstellung der rechtliche Rahmen erörtert werden. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass von Seiten privater Akteure oft ein zu geringes Bewusstsein für die Belange von Radfahrern besteht. Vor allem zeigt sich dieser ›blinde Fleck‹, wenn es um die Abstellsituation geht, wie zwei Beispiele aus dem Einzelhandel eindrücklich vor Augen führen. Der Fahrrad fahrenden und parkenden Kundschaft wird hier von Seiten der Betreiber im Gegensatz zur Auto fahrenden noch zu wenig Beachtung geschenkt. Studien hingegen belegen, dass Fahrradfahrer als Kunden nicht unterschätzt werden sollten (vgl. Gumpinger 2010, S. 6). Die Auseinandersetzung mit dem Thema Abstellanlagen liegt also durchaus auch im eigenen Interesse der Einzelhändler. Radverkehrspolitik 76 Radverkehr ist mindestens seit einem Jahrzehnt viel diskutierter Gegenstand der Verkehrspolitik. Im Jahre 2002 beschloss der Bundestag mit dem Nationalen Radverkehrsplan ein umfangreiches Instrument zur Förderung von Maßnahmen und Koordinierung der Aktivitäten von unterschiedlichsten Akteuren der öffentlichen Hand. Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, bekennt sich darin zu einer »aktiven Rolle als Katalysator und Moderator bei der Förderung des Fahrradverkehrs« (BMVBS 2002, S. 8). Handlungsempfehlungen an die unterschiedlichen Gebietskörperschaften von Ländern, Kommunen und Städten sollen neben der Politik auch Akteure aus der Wirtschaft und Gesellschaft zum Engagement für den Radverkehr anregen. Die Bundesregierung setzt mit dem Nationalen Radverkehrsplan auf das Prinzip der Subsidiarität. So erkennt der Plan an, »dass Länder und Kommunen die Hauptverantwortung für die Förderung des Fahrradverkehrs tragen.« (BMVBS 2002, S. 8). Mit der Förderung des Radverkehrs ist auf Seiten der Politik die Hoffnung auf vielfältige positive Auswirkungen verbunden. Der Senat von Berlin erwartet sich von einer Förderung des Radverkehrs einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, da attraktivere Straßenräume die Stadt interessant »für neue Bewohner, für Touristen und für Geschäftsleute« machen (Abgeordnetenhaus Berlin 2004, S. 3). Der Radverkehr erscheint der Landesregierung als Möglichkeit, durch vergleichsweise günstige Investitionen einen Teil des motorisierten Verkehrs zu ersetzen. 2004 beschloss das Abgeordnetenhaus deshalb eine Fahrradstrategie (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin 2004, S. 3). Mit dieser Strategie und dem Stadtentwicklungsplan Verkehr (StEP) will das Land Berlin möglichst gerechte Mobilitätschancen für alle Stadtbewohner in ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiger Weise gewährleisten. »Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs erfüllen alle Kriterien nachhaltiger Entwicklung« (SenStadt 2003, S. 28). Wichtige Maßnahmen sind der Ausbau der Radwegeinfrastruktur, der Ausbau eines Radroutennetzes, Öffentlichkeitsarbeit, die Förderung der Verkehrserziehung, sowie legislative Maßnahmen, wie die Verschärfung von Bauvorschriften. In vielen Bezirken sowie auf Landesebene, wurde ein Gremium eingerichtet, das ehrenamtliche Experten in die Radverkehrsförderung mit einbezieht. Im so genannten FahrRat suchen Vertreter aus Verwaltung, Parteien bzw. Fraktionen und Verbänden, insbesondere dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V. (ADFC) und dem Bund Naturschutz (BUND), zusammen nach konkreten Lösungen für lokale Problemlagen (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin 2004). In Berlin nimmt der Radverkehr seit Jahren zu, 2008 betrug der Anteil an zurückgelegten Wegen 13 %, die Zahl hat sich im Gegensatz zum Jahr 1998 um gut 20  % erhöht (vgl. SenStadt 2010). Besonders bei jungen Leuten sind hohe Zuwachsraten zu verzeichnen: Die Gruppe der 18–24-Jährigen verdoppelte ihren Radverkehrsanteil in den Jahren zwischen 2002 und 2008 von 6 % auf 12 % (vgl. SenStadt 2011, S. 12). Hinsichtlich der Verkehrsmittelausstattung der Haushalte unterscheidet sich Berlin von anderen Regionen, was als gute Voraussetzung für weitere Steigerungen interpretiert werden könnte. Der Motorisierungsgrad ist vergleichsweise gering, auf 1.000 Einwohner kommen gerade einmal 251 Pkw (vgl. SenStadt 2010, S. 2), im Bundesdurchschnitt liegt dieser Wert bei 502 Pkw pro 1.000 Einwohner (vgl. UBA 2011). Dagegen kommen in Berlin auf 1.000 Einwohner etwa 690 Fahrräder (vgl. SenStadt 2010, S. 2). Das entspricht einer Anzahl von insgesamt etwa 2,3 Mio. Fahrrädern in Berlin. 77 Fahrradparken 78 Fahrräder werden, wie alle anderen privaten Fahrzeuge, nur einen relativ geringen Zeitanteil des Tages tatsächlich bewegt. In der verbleibenden Zeit ist es notwendig, dass Fahrräder sicher abgestellt werden können, sowohl am Wohnort als auch am Arbeitsplatz und beim Einkaufen. Stationen des öffentlichen Nahverkehrs, Arbeitsstätten, Einkaufsgelegenheiten, Verwaltungsgebäude, Universitäten, Schulen oder Bibliotheken stellen zudem »Fahrradmagneten« (DIFU 2011a, S. 2) dar, die in Großstädten wie Berlin dezentral über die Stadt verteilt sind. In vielen zuständigen Stellen wurde der Bedarf erkannt und der ruhende Fahrradverkehr findet Berücksichtigung im Rahmen der Stadt- und Verkehrsplanung der öffentlichen Hand sowie in den rechtlichen Rahmenbedingungen für private Bautätigkeiten (vgl. SenStadt 2008a). Während Altbauten oft nicht oder nur unzureichend mit Möglichkeiten zum Fahrradparken ausgestattet sind, müssen Neubauten von vornherein mit Abstellanlagen geplant werden. Bereits seit 1990 schreibt die Berliner Bauordnung den Bauherren privater Neubauten vor, Stellplätze für Fahrräder zu errichten (vgl. SenStadt 2008a, S. 7). In Innenstadtgebieten mit Blockrandbebauung ist das oft aus Platzgründen nicht möglich, weshalb die Regelung 2006 eine Novellierung erfuhr, die darüber hinaus »die Anlage von Fahrradstellplätzen für Neubauten auch im öffentlichen Straßenland vor diesen Gebäuden« vorsah. Ist eine Errichtung von Abstellanlagen auf dem Baugrundstück selbst nicht möglich, können sie auf Genehmigung der Straßenverkehrsbehörde auch auf öffentlichem Grund vor dem Gebäude angebracht werden. Wenn auch hier, etwa aus Platzgründen, nicht die geforderte Anzahl an Abstellanlagen gebaut werden kann, kann der Bauherr einen Ablösebetrag entrichten, mit dem das zuständige Bezirksamt dann selbst für Fahrradabstellanlagen sorgt (vgl. SenStadt 2008b). Wie sich in den Beispielen weiter unten zeigt, werden allerdings die Vorschriften oft nicht eingehalten. Der Platzbedarf für das Abstellen eines Fahrrads ist vergleichsweise gering. Auf die Fläche eines Pkw-Stellplatzes (ca. 12 Quadratmeter) können an vier bis fünf Anlehnbügel zwischen acht und zehn Fahrrädern sicher befestigt werden, wie Abbildung 4.1 zeigt. (vgl. BUND 2011 und SenStadt 2008a). In den letzten Jahren werden in Berlin bisweilen auch Pkw-Stellplätze im öffentlichen Raum für die Nutzung als Fahrradabstellanlage umgestaltet. Neben dem Platzbedarf sind auch die Kosten für Fahrradabstellanlagen weitaus günstiger als für Auto-Parkplätze, wie Abbildung 4.2 zeigt. Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 4.1: Parkraumbedarf für Pkw und Fahrrad im Vergleich 16.000 € Q uelle : BMVIT 2011 S. 7 Abbildung 4.2: Kosten für die Errichtung von Abstellanlagen im Vergleich 79 8.000 € 3.000 € Stellplatz überdachter Stellplatz Auto 1.000 € Fahrrad 100 € 3.000 € Stellplatz in Garage/Parkhaus Häufig werden die Kosten für hochwertige Abstellanlagen gescheut, doch Fahrradständer haben mehr als eine Funktion zu erfüllen: sie müssen Fahrrädern beim Be- und Entladen Halt bieten und sollen Fahrraddiebstahl verhindern (vgl. SenStadt 2008a und DIFU 2011a). Rechtlich wurde auf den bestehenden Bedarf an Fahrradabstellanlagen bereits eingegangen. Die Ausführungsvorschrift »Stellplätze« zu §  50 der Berliner Bauordnung (BauO Bln) verpflichtet den Bauträger, pro Nutzeinheit eine bestimmte Anzahl an Fahrradabstellanlagen zu errichten. Auf den Einzelhandel wird hier gesondert eingegangen. So werden für Läden des täglichen Bedarfs und Fachgeschäfte ein Stellplatz pro 100 m2 Bruttogeschossfläche veranschlagt, für Warenhäuser und anderem großflächigen Einzelhandel ist pro 150  m2 Bruttogeschossfläche ein Stellplatz zu errichten (vgl. SenStadt 2007, S. 4). Ein Beispiel soll die Dimension veranschaulichen: das große Kaufhaus Galeria Kaufhof am Berliner Alexanderplatz verfügt über eine Bruttogeschossfläche von 75.000 m2, was einer Anzahl von 500 Stellplätzen entspricht. Ein Anlehnbügel bietet zwei Stellplätze. Die Ausführungsvorschrift enthält präzise Vorgaben, wie Abstellanlagen beschaffen sein müssen. Fahrradständer müssen so hergestellt werden, dass • sie leicht zugänglich sind, • eine Anschließmöglichkeit für den Fahrradrahmen haben, • dem Fahrrad ein sicherer Stand durch einen Anlehnbügel gegeben wird und • durch einen Mindestabstand von 0,8 m zwischen den Fahrradständen das Abstellen und Anschließen des Fahrrades möglich ist. Die Herstellung einfacher Vorderradständer ist unzulässig 80 SenStadt 2007, S. 2). (vgl. Ein Blick in die Praxis Die gesetzliche Festschreibung des Bedarfs an Abstellanlagen erscheint sinnvoll, vor dem Hintergrund zunehmenden Radverkehrs. Ein Blick auf zwei Beispiele zeigt allerdings, dass der Bedarf an Fahrradabstellanlagen von Bauherren und Betreibern bisweilen unterschätzt und die Vorgaben für die Anzahl der zu errichtenden Fahrradstellplätze nicht eingehalten werden. 2007 eröffnete in Berlin Mitte ein großes Einkaufszentrum. Der Center-Neubau mit einer Bruttogeschossfläche von 85.000 m² verfügt über eine eigene Tiefgarage mit 1.600 Pkw-Stellplätzen. Allerdings wurde zur Eröffnung kein einziger der von der Bauordnung geforderten 283 Fahrradbügel aufgestellt. Nach Kritik der Fahrrad-Lobby und des Fahrradbeauftragten der Senatsverwaltung wurden Abstellanlagen nachgerüstet, aber auch hier blieb die Anzahl weit unter den Vorgaben. Zudem wurden die nachgerüsteten Anlehnbügel in erster Linie an Nebeneingängen und in großer Entfernung angebracht. Das Resultat war und ist immer noch ein Pulk ungeordneter, schlecht zugänglicher Fahrräder direkt vor den Eingängen, die nicht vor Diebstahl und Umfallen geschützt sind. Ähnlich stellt sich die Situation im Westen der Stadt dar. Im selben Jahr eröffnete auch in Berlin Charlottenburg ein Einkaufscenter, das ein Investor mitsamt Parkhaus komplett neu bauen ließ. Hier wurde der Bedarf an Abstellanlagen zunächst ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Im Rahmen der Planungsarbeiten wurde ein Verkehrsgutachten erstellt, das insbesondere die Auswirkungen des Parkhauses auf die neu zu gestaltende Verkehrsführung untersucht. In einem eigenen Abschnitt wird auf die geforderte Anzahl an Abstellanlagen für Fahrräder eingegangen: »Bei einer geplanten Größenordnung von 57.066 m² Bruttogeschossfläche würde dies für das Einkaufszentrum (...) einem Stellplatzbedarf von 380 Fahrradständen entsprechen. (...) Aus gutachterlicher Sicht wird, um Überdimensionierungen zu vermeiden, vorgeschlagen, zunächst eine Größenordnung von 20–30 Stellplätzen für Fahrräder in unmittelbarer Nähe des Eingangs zu errichten. Sofern sich während des Betriebes des Einkaufszentrums herausstellt, dass dieses Angebot nicht ausreicht und beispielsweise Schaufenster durch abgestellte Fahrräder zugestellt werden, verpflichtet sich der Betreiber – nicht zuletzt in seinem eigenen Interesse zur Stärkung der Kundenakzeptanz – entsprechende Fahrradabstellmöglichkeiten nachzurüsten.« (Blanke, Thiemann, Kelm 2003, S. 6f) Obwohl in den darauffolgenden Jahren immer wieder Abstellanlagen ergänzt wurden, wurde die in der oben genannten Verordnung veranschlagte Anzahl von 380 Stellplätzen nie erreicht. Entsprechend zeigen sich heute Kapazitätsengpässe vor den Eingängen, wo viele Fahrräder wild abgestellt F oto : Benno Koch Abbildung 4.3: Parksituation am Eingang eines neu eröffneten Einkaufszentrum in Berlin Mitte, Herbst 2007 81 werden. Stattdessen werden die vorhandenen Bäume oder Hauswände zum Anlehnen genutzt, das Straßenbild wirkt entsprechend ungeordnet, wie Abbildung 4.4 zeigt. F oto : Martin Sauer Abbildung 4.4: Parksituation vor einem Einkaufszentrums in Berlin Charlottenburg im Sommer 2011 82 Radfahrer als Kunden Die beiden Beispiele zeigen deutlich, dass offensichtlich viel mehr Kunden mit dem Fahrrad zum Einkaufen kommen, als bei der Planung der Einzelhandelsgeschäfte erwartet wurde. Dabei liegt die Berücksichtigung der An- und Abreise im eigenen Interesse der Betreiber. Während sie Parkhäuser mit großem Aufwand bauen und in einem umfangreichen Planungsprozess in die umliegende Verkehrsführung integrieren lassen, wirkt es, als wären sie sich der Bedeutung des Fahrradverkehrs nicht bewusst. Diese Herangehensweise der Einzelhändler entspricht nicht der alltäglichen Wirklichkeit vieler ihrer Kunden. Menschen, die mit dem Rad zum Einkaufen fahren, können zwar weniger transportieren als solche, die mit dem Automobil anreisen, gehen aber öfter zum Einkaufen und geben damit insgesamt unter Umständen mehr Geld in Einzelhandelsgeschäften des Nahbereichs aus. Darauf deutet beispielsweise eine französische Studie hin, die sich auf die Befragung von insgesamt 1.298 Personen in den Städten Dijon, Grenoble, Lille, Nantes, Salon-de-Provence und Straßburg stützt. Abbildung 4.5 zeigt die höhere Anzahl der Einkaufsbesuche pro Woche (vgl. Brichet, Heran 2003, S.16). Abbildung 4.6 zeigt die um gut 12 % höheren Ausgaben pro Woche in Euro (vgl. Brichet, Heran 2003, S.43). Q uelle : Eigene Darstellung nach Brichet, Heran 2003, S. 16 Abbildung 4.5: Anzahl der Einkaufsbesuche pro Woche nach Verkehrsmittel 2,04 1,25 1,21 Auto ÖPNV Fahrrad zu Fuß 0,72 22,35 € 21,61 € Auto Fahrrad zu Fuß 24,34 € ÖPNV 40,39 € Auch in der umfangreichen Studie »Radfahren und Einkaufen« aus Österreich finden sich vergleichbare Ergebnisse. 81 % der Fahrradnutzer gehen mehrmals wöchentlich in den lokalen Handelsgeschäften einkaufen, bei den Pkw-Nutzern sind dies dagegen nur 68  %. Daraus ergibt sich eine höhere Verweildauer der Rad fahrenden Kundschaft von 148 Tagen gegenüber 123 Tagen bei mit dem Pkw einkaufenden Kunden (vgl. Gumpinger 2010, S. 5). Radfahrer können also eher als Stammkunden angesprochen werden, auch weil sie seltener auf weiter entfernte Einkaufsgelegenheiten ausweichen, wie Abbildung 4.7 verdeutlicht. Fahrrad fahrende Kunden sind stärker lokal orientiert als Pkw nutzende. Q uelle : Eigene Darstellung nach Brichet und Heran 2003, S. 43 Abbildung 4.6: Ausgaben pro Woche nach Verkehrsmittel 83 Sie zeigen eine geringere Affinität zu Einkaufsgelegenheiten in der weiteren Umgebung und belassen so die Kaufkraft in den nahe gelegenen Ortskernen und Innenstädten. Für viele Einkaufsfahrten mit dem Pkw werden ebenfalls nur kurze Distanzen zurückgelegt. Dies zeigt, dass hier weiteres Potential für den Zuwachs des Radverkehrs besteht. Q uelle : Eigene Darstellung nach Gumpinger 2010, S. 18 Abbildung 4.7: Gegenüberstellung Wegelängen beim Einkauf mit Pkw und Fahrrad 13% 3% 11% > 5 km 21% 24% 2,5 – 5 km 1 – 2,5 km 22% 1 – 2,5 km 52% 39% 84 < 1 km < 1 km Einkauf mit dem PKW Einkauf mit dem Rad Werden die Kosten für Parkflächen eingerechnet, so sind Kunden, die mit dem Rad zum Einkaufen fahren, für den Einzelhandel rentabler als Pkw fahrende Kunden. Wie oben dargestellt, brauchen Fahrradabstellanlagen wesentlich weniger Platz als Pkw-Stellplätze und sind deshalb weitaus kostengünstiger zu errichten. Werden die Kosten der Parkfläche und der Ertrag aus den Einkäufen zueinander in Beziehung gesetzt, zeigt sich die hohe Rentabilität der Fahrrad fahrenden Kundschaft für den Einzelhandel. Das DIFU (2011b, S. 3) verweist darauf, dass diese »Kundenrentabilität« bei Radfahrern mit 7.500 Euro pro m² deutlich höher ausfällt als bei Autofahrern mit 6.625 Euro pro m². Die hohe Transportkapazität eines Automobils ist für die meisten Einkäufe darüber hinaus oftmals nicht nötig. 2010 ermittelte die zitierte österreichische Studie »Radfahren und Einkaufen«, dass 70 % aller getätigten Einkäufe unter 5 kg wiegen und somit problemlos mit dem Rad transportiert werden könnten (vgl. Gumpinger 2010, S. 20). Wo es Vorschriften gibt, wie z. B. die Stellplatzverordnung, muss von Seiten der öffentlichen Hand auf die Einhaltung bestanden werden. Wo es keine Vorschriften gibt, etwa bei der Ausstattung von Altbauten mit Abstellanlagen, muss das Interesse der privaten Akteure geweckt werden diese freiwillig einzurichten. Auch sie haben großen Einfluss auf die Attraktivität der Stadt für den Radverkehr. Unter Umständen könnte es sinnvoll sein, sie in die neu eingerichteten Gremien des FahrRats zu integrieren.   Gerade in hoch verdichteten Gebieten wie den Berliner Kiezen, wo Stellfläche ein wertvolles Gut ist, müssen die verschiedenen Akteure konstruktiv zusammenarbeiten, um bedarfsgerechte Angebote zu schaffen. So kann das Fahrradfahren, und dazu gehört zwangsläufig auch das Fahrradparken, attraktiver gemacht werden. Die Forschungslage zeigt klar, dass Radfahrer gute Kunden sind. Für den Handel könnte es sich in Form eines Wettbewerbsvorteils lohnen, ihnen sichere Abstellmöglichkeiten in ausreichender Zahl anzubieten. Aber auch Wohnungsverwaltungen, Schulen und Universitäten, Arbeitgeber, Verwaltungen und Verkehrsdienstleister sollten sich über die Bedürfnisse ihrer Rad fahrenden Mieter, Nutzer, Gäste, Angestellten und Kunden bewusst werden. Wenn es gelingt, im Zusammenspiel aller betroffenen Akteurgruppen ein umfassend attraktives Angebot Radverkehr gemeinsam fördern – für mehr nachhaltige Stadtmobilität Im Gegensatz zur Politik scheint der Einzelhandel die Vorzüge des Radverkehrs und seine deutliche Zunahme noch nicht erkannt zu haben. Noch immer orientieren sich Planung und Bau von Einkaufsstätten vielfach an der Idealvorstellung eines durch Einkäufe voll beladenen Pkw-Kofferraums. Doch gerade in Innenstadtgebieten sollten Einzelhändler den Fahrradverkehr auch aus eigenem Interesse ernster nehmen, denn Fahrradfahrer kommen, wie die zitierten Studien belegen, häufiger in die Läden des Nahbereichs und stellen somit eher potentielle Stammkunden dar. Die öffentliche Hand hat vielerorts lange gebraucht, um Fahrradverkehr als förderungswürdig einzustufen. Ergebnis sind umfangreiche Strategien und die Ankündigung vielfältiger Maßnahmen, die, wenn sie entsprechend umgesetzt würden, die Städte tatsächlich attraktiver für den Fahrradverkehr machen könnten. Die Berliner Fahrradstrategie könnte im Vergleich zu den Anstrengungen in Städten wie Kopenhagen (vgl. in diesem Band: »Copenhagenize Berlin?« von Katja Kürbis) noch weit beherzter angegangen werden, aber inzwischen wurde zumindest der Handlungsbedarf erkannt. 85 für den Fahrradfahrer zu schaffen, ist das ein wertvoller Beitrag zu mehr Radverkehr. Jeder einzelne Prozentpunkt mehr unmotorisierter Individualverkehr am Gesamtverkehrsaufkommen wäre ein Erfolg im Streben nach einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung einer Stadt, die ihren Bewohnern dabei einen großes Maß an Mobilität ermöglicht. Quellenverzeichnis: 86 Abgeordnetenhaus Berlin 2004 Abgeordnetenhaus Berlin: Radverkehrsstrategie für Berlin. Berlin: 2004. 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Berlin: 2011 SenStadt 2007 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin: Ausführungsvorschriften zu § 50 der Bauordnung für Berlin (BauO Bln) über Stellplätze für Kraftfahrzeuge für schwer Gehbehinderte und Behinderte im Rollstuhl und Abstellmöglichkeiten für Fahrräder (AV Stellplätze). Berlin: 2007 TCI 2009 Transport Consulting International: Gesamtverkehrsprognose 2025 für die Länder Berlin und Brandenburg. Im Auftrag des Landes Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und des Landes Brandenburg, Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung, 2009, Berlin. URL: http://www. stadtentwicklung. berlin.de/verkehr/ politik_planung/ prognose_2025/erlaeuterungen/index. shtml, letzter Zugriff: 02.08.2011 SenStadt 2008a Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin: Fahrradparken in Berlin: Leitfaden für die Planung. Berlin: 2008 SenStadt 2008b Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin: Verordnung über die Höhe der Ablösebeträge für Fahrradabstellmöglichkeiten. Berlin: 2008 SenStadt 2010 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin: Mobilitätsdaten für Berlin und seine Bezirke – Mobilität in Städten – SrV 2008. Berlin: 2010. URL: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/ verkehr/politik_planung/zahlen_fakten/ mobilitaet/, letzter Zugriff: 02.08.2011 Trunk 2011 Trunk, Gregor: Gesamtwirtschaftlicher Vergleich von PKWund Radverkehr: Ein Beitrag zur Nachhaltigkeitsdiskussion. Diplomarbeit am Institut für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur. Wien: 2011 UBA 2011 Umweltbundesamt: Kraftfahrzeugbestand. 2011. URL: http://www. umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltdaten/public/theme. do?nodeIdent=2332, letzter Zugriff: 02.08.2011 87 Kapitel 5 Copenhagenize Berlin? Katja Kürbis Inhalt: Copenhagenize Berlin? Kann Berlin von Kopenhagen lernen? Komfort als Bewertungskriterium Radverkehr in Kopenhagen • Radverkehrspolitik in Kopenhagen • Das Fahren • Das Halten • Das Parken Radverkehr in Berlin • Radverkehrspolitik in Berlin • Umsetzbarkeit der Kopenhagener Maßnahmen in Berlin Fazit – Copenhagenize Berlin? 89 Copenhagenize Berlin? »If it’s monuments you’re after in Copenhagen, don’t look up. Look all around you, right there at street level. Our greatest monument is motion. It is a massive, constant, rhythmic and lifesized legacy.« (City of Copenhagen 2009, S. 2) So verkauft sich die »City of Cyclists« (vgl. City of Copenhagen 2009, S.  1) Kopenhagen und hat gute Gründe dafür: mehr als 150.000 Einwohner (Vgl. City of Copenhagen 2009, S. 5), das entspricht etwa einem Drittel der Stadtbevölkerung (vgl. Jensen 2002, S. 19), nutzen das Fahrrad für den Weg zur Arbeit und legen so mehr als 1,2 Millionen Radkilometer pro Tag zurück (vgl. City of Copenhagen 2009, S. 5). Als Alternative zum Kraftfahrzeug ist das Fahrrad ein flexibles, schadstofffreies und kostengünstiges Fortbewegungsmittel und hat in der Verkehrspolitik Kopenhagens klare Priorität. Bei der Planung wurde neben Sicherheitsaspekten aber vor allem auf den Komfort der Maßnahmen geachtet. Überall in der Stadt wurde für das Fahrrad Platz geschaffen. Und so haben es Autofahrer in Kopenhagen nicht leicht, denn sie werden von der Stadtverwaltung unter anderem mit Restriktionen, zum Beispiel Parkgebühren von bis zu vier Euro pro Stunde in der Innenstadt, zurückgedrängt (vgl. Gamillscheg 2011, S. 2). 90 Kann Berlin von Kopenhagen lernen? Die umweltfreundliche Fortbewegung per Fahrrad gewinnt auch in der deutschen Hauptstadt Berlin immer mehr an Bedeutung. Hier liegt der Anteil des Radverkehrs derzeit bei 15 Prozent, im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg sogar bei 25 Prozent (vgl. Neumann 2011, S. 2). Bis 2025 sollen es laut Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer in ganz Berlin mindestens 20 Prozent werden (vgl. Neumann 2011, S. 2). Die Berlinerinnen und Berliner kommen den Radverkehrsplanern sogar etwas zuvor, denn in den letzten 20 Jahren ist der Anteil der Nutzenden um mehr als sieben Prozent gestiegen (vgl. Neumann 2011, S. 2). Die bestehende Infrastruktur ist der Kapazität jedoch nicht gewachsen. Mit dem steigenden Radverkehrsanteil muss umgegangen werden und daher sind unter anderem Radschnellwege und Grüne Wellen (vgl. Neumann 2011, S. 2) geplant (siehe hierzu auch die Arbeit »Grüne Welle in Berlin« von Rita Kunert und Lena Lebahn). Denn um die gewünschten 20 Prozent zu erreichen, müssen noch mehr Berliner und Berlinerinnen auf das Rad gebracht werden. Aber wie können die 20 Prozent erreicht werden? Ist es sinnvoll, sich die dänische Hauptstadt zum Vorbild in der Radverkehrspolitik zu nehmen? Laut Vergleichstest des Hamburger Zukunftsrates während der Hamburger Zukunftswochen 2007 wurde das Fahrrad gegenüber von öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Auto am unkomfortabelsten eingeschätzt. Denn das Auto ist im Gegensatz zum Fahrrad bequemer, weil es unabhängig vom Wetter genutzt werden kann und auch eine hohe körperliche Anstrengung nicht notwendig ist (vgl. Hamburger Zukunftswochen 2007, S. 2). Der Komfort beim Fahrradfahren ist in dieser Untersuchung neben Wetterabhängigkeit und Bequemlichkeit vor allem von »Streckenzustand und Fahrradqualität« (Hamburger Zukunftswochen 2007, S. 2) abhängig und wurde im Vergleich zu Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln am Schlechtesten bewertet.   Sind diese Untersuchungsergebnisse für die Radverkehrspolitik ausschlaggebend? Sollte das Fahrradfahren in Berlin nach dem Kopenhagener Vorbild komfortabler gestaltet werden, um es für die jetzigen Fahrer attraktiver zu gestalten, weitere zu begeistern und somit die angestrebten 20 Prozent in ganz Berlin zu erreichen? Ist somit eine Copenhagenization – ein Begriff, der von dem Kopenhagener Blogger und Fotograph Mikael Colville-Andersen geprägt wurde und die Übertragung von Radverkehrslösungen aus Kopenhagen auf andere Städte beschreibt (vgl. Copenhagenize.com 2011a) – in Berlin sinnvoll? Zentral wird sich die folgende Arbeit mit der Radverkehrsführung in Kopenhagen beschäftigen. Kleine Lösungen, unter anderem Fuß- und Handstützen an Kreuzungen, und große Lösungen, zum Beispiel Grüne Routen, werden beschrieben. Diese attraktiven und fahrradfreundlichen Maßnahmen der dänischen Hauptstadt werden danach anhand des vorher definierten Kriteriums Komfort bewertet. Welche Möglichkeiten gibt es, die wichtigsten Bereiche des täglichen Fahrradfahrens – das Fahren, Halten und Parken – attraktiver zu gestalten? Letztlich soll untersucht werden, ob die vorgestellten Maßnahmen in Berlin unter den dort gegebenen Voraussetzungen umgesetzt werden könnten. 91 Komfort als Bewertungskriterium 92 In der Literatur wird Komfort als »auf technisch ausgereiften Einrichtungen beruhende Bequemlichkeit« (Brockhaus 2006, S. 337) beschrieben. Ebenso wird unterstrichen, dass es sich um eine »Annehmlichkeit, einen gewissen Luxus bietende Ausstattung« (Brockhaus 2006, S. 337) handelt. Dass Komfort ein ausschlaggebendes Kriterium zur Wahl des Verkehrsmittels ist, machte bereits der angesprochene Vergleichstest des Hamburger Zukunftsrates deutlich (vgl. Hamburger Zukunftswochen 2007, S. 2). In diesem Test wurde explizit auf den Vergleich verschiedener Verkehrsmittel im Hinblick auf Komfort eingegangen. Auch Niels Jensen, der Fahrradbeauftragte der Stadt Kopenhagen, zeigt in der Cycle Policy 2002 – 2012 für Kopenhagen die Bedeutung des Komforts auf. Das Fahrrad fahren sollte eine angenehme Erfahrung sein (vgl. Jensen 2002, S. 19). Um zukünftige Verbesserungen des Komforts zu gewährleisten, wurde von der Stadt Kopenhagen ein zusätzlicher Mitarbeiter eingestellt. Seine Aufgabe ist es, die Qualität der Radwege, zum Beispiel auf Schlaglöcher, zu untersuchen und diese entfernen zu lassen (vgl. Jensen 2002, S. 19).   Doch was macht komfortables Fahrrad fahren in Kopenhagen aus? Komfort im Hinblick auf Fahrt und ruhenden Verkehr von Radfahrenden ist nicht hinreichend erforscht. Zwar beziehen sich Befragungen und Untersuchungen auf diesen Aspekt, so auch im jährlichen Kopenhagener Bicycle Account (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 4), jedoch wird Komfort im Radverkehr und dessen Merkmale nicht wissenschaftlich per Definition erklärt. Dies stellt eine Forschungslücke dar. Im Folgenden wird daher auf die Ergebnisse der Untersuchung des Hamburger Zukunftsrats sowie auf die oben genannte und allgemeingültige Definition von Komfort nach Brockhaus Bezug genommen. Technische Einrichtungen kennzeichnen den Komfort (vgl. Brockhaus 2006, S.  337), so sind bauliche Maßnahmen physisch vorzufindende Installationen innerhalb der Verkehrsplanung und -umsetzung, ein Merkmal von Komfort. Verkehrsteilnehmer werden folglich nicht durch Suggestion, beispielsweise durch Werbung oder Kampagnen für eine komfortable Fortbewegung, beeinflusst.   Diese baulichen Maßnahmen verbessern die Bequemlichkeit für Radfahrende (vgl. Brockhaus 2006, S. 337) – ein weiteres Kennzeichen von Komfort. Bequemlichkeit wird unter anderem als »das Leben erleichternde« (Duden 1993, S. 476) Einrichtung verstanden und ist dann vorzufinden, wenn die Installation dem Nutzer Arbeit abnimmt, beziehungsweise die Fortbewegung erleichtert. Bei öffentlichen Verkehrsmitteln wurde im Rahmen der Hamburger Zukunftswochen die Umsteigeanzahl als Kriterium des Komforts genannt (vgl. Hamburger Zukunftswochen 2007, S.2). Übertragen auf das Fahrrad fahren ist daher ebenso die Direktheit der Wege zu der Bequemlichkeit zu zählen, da kürzere Wege zusätzliche Anstrengungen vermeiden.   Ein weiterer Aspekt von Komfort ist die Annehmlichkeit (vgl. Brockhaus 2006, S. 337). Dieser wird in der Literatur kaum zusammenhängend betrachtet, ist jedoch für das Komfortkriterium dieser Arbeit ein wichtiges Merkmal. Bei Annehmlichkeit handelt es sich um einen »Vorteil« (Wahrig 2010, S. 154) und dieser wird ebenso als »angenehm« und »zufriedenstellend« (Duden 1993, S. 201) beschrieben. Im Folgenden wird daher angenommen, dass Annehmlichkeit vorzufinden ist, wenn für den Radfahrer oder die Radfahrerin zufriedenstellende Bedingungen (vgl. Duden 1993, S. 201) vorhanden sind. Es wird vorausgesetzt, dass diese Bedingung den Platz zur Fortbewegung beschreibt. Beim Vergleichstest während der Hamburger Zukunftswochen wurde beispielsweise festgestellt, dass Nutzende es als nicht komfortabel ansehen, wenn sie in öffentlichen Verkehrsmitteln eine zu hohe Fahrgastanzahl vorfinden und die Nutzenden somit Platzmangel ausgesetzt sind (vgl. Hamburger Zukunftswochen 2007, S. 2). Auf das Fahrradfahren kann dieses Untersuchungsergebnis ebenso übertragen werden. Ausreichend Platz zur Fortbewegung ist gegeben, wenn sich der Fahrradfahrer oder die Fahrradfahrerin ungestört von anderen Verkehrsteilnehmern, wie Kraftfahrern oder Fußgängern, fortbewegen kann. Zudem wird die Wetterunabhängigkeit einer Maßnahme zum Merkmal Annehmlichkeit gezählt. Denn das Benutzen, aber vor allem das Parken eines Fahrrads, unabhängig von oder geschützt vor Wettereinflüssen, ist ebenso ein angenehmer Vorteil, der dem Komfort zugerechnet werden soll.   Als letztes Merkmal für Komfort wird eine attraktive Umwelt betrachtet. »Schöne Routen abseits des Kfz-Verkehrs« (Meschik 2008, S.25) sind wichtig, um den Komfort innerhalb der Radverkehrsplanung zu fördern. Ausschlaggebend ist somit, ob sich der Nutzer in der Natur beziehungsweise in grüner Umgebung fortbewegen kann und somit entfernt von Lärm und Abgasen eine attraktive Umgebung vorfindet. Zu diesem Merkmal kann aber ebenso eine saubere Umwelt gezählt werden. Diesen Ausführungen folgend wird Komfort in dieser Arbeit auf den Radverkehr bezogen und verstanden als: • bauliche Maßnahme, • ein Aspekt von Bequemlichkeit, • als Annehmlichkeit, vor allem ersichtlich in ausreichendem Platz zur Fortbewegung sowie • Fahren in attraktiver Umgebung. 93 Die Sicherheit der vorgestellten Maßnahmen soll in dieser Arbeit explizit nicht im Vordergrund stehen und wird daher auch weder betrachtet noch bewertet. Sicherheit ist in der Kopenhagener Radverkehrsplanung zwar ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Planungskriterium (Vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 10), ist aber dementsprechend auch oft und ausführlich untersucht worden, wie beispielsweise in der Cycle Policy 2002 – 2012 von Niels Jensen, in der detailliert auf das Sicherheitsempfinden der Fahrradfahrer und die Sicherheit der Radverkehrsanlagen eingegangen wird (vgl. Jensen 2002, S. 9ff). Der Fokus dieser Arbeit liegt daher auf dem Komfort der vorgestellten Lösungen, da dieser bislang nicht ausreichend untersucht wurde. Somit sollen im Folgenden die verschiedenen Maßnahmen in Kopenhagen darauf hin untersucht werden, ob sie den Kopenhagener Radfahrerinnen und Radfahrern das Fahren, Halten und Parken leichter und bequemer machen. Es soll gezeigt werden, inwiefern die Lösung auf technischen Errungenschaften beruht und ob diese den Nutzenden Bequemlichkeit und neue Annehmlichkeiten bietet. Stellt die umgesetzte Maßnahme demnach eine Verbesserung im Bereich Komfort im Vergleich zum Zustand ohne diese Lösung dar? Erleichtert es den Nutzenden das Fahrradfahren? 94 Zu Beginn wird der Radverkehr in Kopenhagen detailliert vorgestellt. Es wird auf die relevanten Zahlen und Fakten des Radverkehrs eingegangen, um so später einen Vergleich zu Berlin zu ermöglichen. Für die ausgewählten Bereiche Fahren, Halten und Parken, werden kleine und große Lösungen vorgestellt und anhand des Komfortkriteriums bewertet.   Es wird angenommen, dass die Unterscheidung zwischen großer und kleiner Lösung zum einen anhand des baulichen Aufwands und zum anderen auf Grund der wirklichen räumlichen Ausdehnung beziehungsweise Größe der Lösung getroffen wird. Es wird dabei bewusst nicht auf die politischen oder gesetzlichen Grundlagen der Umsetzung der Maßnahmen eingegangen, da dies den Umfang der Arbeit übersteigt. Der Fokus der Arbeit soll auf den optimalen Lösungen im Sinne der Radfahrenden liegen. Erst im Anschluss daran findet die Bewertung der komfortablen Maßnahmen aus Kopenhagen auf eine Machbarkeit in Berlin statt. z u Fu ß % 37 28 31 % pkw NV % 4% ÖP Fa h r ra d 95 QUELLE: Eigene Darstellung nach Jensen 2002, S.10 und City of Copenhagen 2009a, S.9 ABBILDUNG 5.1: Verkehrsmittelwahl für den Arbeitsweg Radverkehrspolitik in Kopenhagen Die aktuelle Situation in Kopenhagen wurde nur durch konsequente Priorisierung des Radverkehrs in der Verkehrspolitik erreicht (siehe hierzu auch den Aufsatz Wege zu einer fahrradfreundlichen Stadt – Bausteine der Radverkehrsförderung von Jing Hui Chen). Derzeit fährt etwa ein Drittel der Kopenhagener mit dem Fahrrad zur Arbeit (vgl. Jensen 2002, S. 10). Das Verhältnis der Nutzung der verschiedenen Verkehrsmittel wird in Abb.1 sichtbar. Im Jahr 2008 legten 37 Prozent aller Arbeitnehmenden und Studierenden den Weg zur Arbeit und Universität mit dem Fahrrad zurück (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 7). Das entspricht einer Zahl von 150.000 Personen pro Tag (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 8). Weitere 28 Prozent nutzten öffentliche Verkehrsmittel, 31 Prozent nutzten das Auto und 4 Prozent gingen zu Fuß (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 9). Radverkehr in Kopenhagen Die Hauptstadt Dänemarks ist mit 519.000 Einwohnern (vgl. Ciund einer Fläche von 88 km2 (vgl. Reincke 2009, S. 17) zwar eine vergleichsweise kleine europäische Hauptstadt, sie gehört jedoch neben Amsterdam zu den bedeutendsten Fahrradstädten Europas. Die Stadt kann mit innovativen Lösungen für Radverkehrsführungen aufwarten. Wie die Umsetzung dieser erreicht werden konnte, wird im Folgenden dargelegt. ty of Copenhagen 2009a, S. 16) Von 2006 bis 2010 hat die Stadt etwa 200 Millionen Dänische Kronen, umgerechnet rund 26,9 Millionen Euro (Stand 02.08.2011), in Fahrradprojekte investiert (vgl. COWI 2009, S.  2). Derzeit hat die Stadt jährlich ein Budget von 13 Millionen Euro zur Verfügung (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 14). Die damit erneuerten Radverkehrsanlagen können von vielen Radfahrern genutzt werden und somit die Innenstadt von Kopenhagen vom Kraftverkehr entlasten. Ziel der Stadt Kopenhagen ist, den Anteil der Personen, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, bis 2012 auf 40 Prozent zu erhöhen (vgl. Jensen 2004).   Auch die Investition in verschiedene Marketingkampagnen hat Wirkung gezeigt. Kampagnen wie We bike to work sollen noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer motivieren, mit dem Fahrrad sicher zur Arbeit zu fahren (vgl. Jensen 2002, S. 15). Die genannte Kampagne soll vor allem auf die gesundheitlichen Vorteile des Radfahrens hinweisen (vgl. Handwerk 2009). We bike to work ist ein jährliches Event in Zusammenarbeit mit dem Dänischen Fahrradverbund (vgl. Jensen 2002, S. 33), bei dem Teams verschiedener Firmen gegeneinander antreten. Das Arbeitnehmerteam, welches innerhalb eines Monats die längste Strecke mit dem Fahrrad zurücklegt, gewinnt eine Reise (vgl. Copenhagenize.com 2008).   Zudem ist das Radfahren in Kopenhagen zu einem Lebensstil geworden. Mikael Colville-Andersen hat beispielsweise mit seinem Blog Copenhagenize.com (vgl. Copenhagenize.com 2011a) auch dazu beigetragen, dass das Fahrrad zu einem modischen Fortbewegungsmittel wurde. Dadurch lässt sich unter anderem auch die hohe Nutzeranzahl erklären. Die große Anzahl der Fahrradfahrenden zieht jedoch auch Nachteile mit sich. Aufgrund von Platzmangel auf den Fahrradwegen fürchten sich viele Radfahrer und Radfahrerinnen vor noch mehr Radfahrenden (vgl. Lund 2011, eigene Übersetzung). Dieses Ergebnis zeigt eine Umfrage des Projektes Bikeability, unter anderem unterstützt von der Universität Kopenhagen und der Universität Aalborg. Sie macht deutlich, dass es nicht genügend Platz für die verschiedenen Fahrradfahrer gibt, vor allem für diejenigen, die schnell fahren wollen, Nutzern von Lastenrädern oder unsicher fahrende Kinder (vgl. Lund 2011). 96 Das Fahren Im Folgenden wird der wichtigste Bestandteil des Radfahrens erläutert: die tatsächliche Fortbewegung und die dazugehörigen gestalterischen Lösungen der Radverkehrsführung. Das Fahren findet innerhalb des umfangreichen Fahrradnetzes in Kopenhagen statt, welches aus Fahrradwegen auf beiden Seiten von Hauptstraßen mit einer Gesamtlänge von mehr als 400 km besteht (vgl. Gamillscheg 2011, S. 2). Die Entwicklung zeigt, dass ein Fokus auf den Aufbau des Radwegenetzes liegt, da durch ein dichteres Netz von Radwegen kürzere Wege für Radfahrer geschaffen werden können. So bestand das Radwegenetz am Ende des Jahres 2001 aus 307 km Fahrradweg und 9 km Radfahrstreifen (vgl. Jensen 2002, S. 22). Im Jahr 2010 waren es dann bereits fast 20 km Radfahrstreifen (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 15) und bis 2016 sollen weitere 51 km Radweg hinzukommen (vgl. Jensen 2002, S. 22). Bereits in der Planungsabsicht, ein dichtes Netz von Fahrradwegen zu schaffen, ist das Komfortmerkmal Bequemlichkeit erkennbar. Ein engmaschiges Netz schafft kurze und direkte Wege und unterstützt daher den Komfort des Radfahrens. Nun werden verschiedene Möglichkeiten und Lösungen beschrieben, die das Fahren mit dem Fahrrad in Kopenhagen attraktiver gestalten sollen. Die Maßnahmen werden dann anhand des ausgewählten Kriteriums Komfort bewertet: Radwege   Die Radwege in Kopenhagen verlaufen direkt entlang der Straße und sind durch einen Bordstein von der Fahrbahn und vom Bürgersteig getrennt (vgl. Smith 2004). Die vorgegebene Mindestbreite von Radwegen liegt bei 1,7  m (vgl. Road Directorate 2000, S. 73). Wenn der Radweg nur für Radfahrende einer Richtung gebaut ist, muss er eine Mindestbreite von 1,7  m aufweisen, empfohlen sind hingegen 2,2 m (vgl. Road Directorate 2000, S. 73). Die breiten Radwege ermöglichen ein Fahren nebeneinander und das »Überholen anderer Radfahrer« (Krenz, Leben 2010, S.15). In der dänischen Straßenverkehrsordnung ist festgelegt, dass zwei Fahrräder nebeneinander fahren dürfen, wenn der restliche Verkehr dadurch nicht gestört wird. Das bedeutet, Radfahrern muss es weiterhin möglich sein, andere Radfahrer zu überholen (vgl. Dansk Cyklist Forbundet 2010).   Die oben genannten rechtlichen und baulichen Gegebenheiten unterstützen den Komfort der Radfahrerinnen und Radfahrer beachtlich. Denn bei dieser Maßnahme ist das Komfortmerkmal Annehmlichkeit erkennbar. Nicht nur die Tatsache, dass ein vollkommen separater Weg befahren wird, auch die Breite des Weges ermöglicht den Radfahrenden beinahe ungestörtes Fahren. Zudem haben die asphaltierten Radwege eine eigene Entwässerung (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 15). Der Bordstein zwischen Radweg und Bürgersteig ist bis zu 10 cm hoch (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 15). Radfahrer und Radfahrerinnen werden weder von Fußgängern noch von Autofahrern beim Radfahren gestört und haben sogar die Möglichkeit, zu zweit nebeneinander zu fahren. 97 Blaue Markierungen auf Kreuzungen   Auf den Kreuzungsbereichen in Kopenhagen sind blaue Radfahrstreifen mit darauf gekennzeichneten weißen Fahrrädern vorzufinden, die den Fahrweg auf der Kreuzung für Radfahrende klar anzeigen (vgl. Jensen 2002, S. 30). Diese bauliche Maßnahme ist einfach, aber wirkungsvoll. Die Radfahrenden wissen genau, wo die Kreuzung zu befahren ist. Diese Tatsache stellt eine Annehmlichkeit für den Fahrradfahrer dar. Ein komfortables aber auch sicheres Fahren auf der Kreuzung ist möglich, da Kraftfahrer genau einsehen können, wo Fahrradfahrende die Kreuzung befahren. Die Sichtbarkeit der Fahrradfahrer ist daher gewährleistet und Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern können vermieden werden. Der Radfahrer wird durch diese Maßnahme als bevorzugter und nicht nur gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer behandelt. Fraglich ist jedoch, ob bei dieser Maßnahme tatsächlich der Komfort im Vordergrund steht. Niels Jensen nennt Ziele, wie die Sicherheit des Radfahrers oder das Sicherheitsempfinden sowie das einfachere Überqueren von Kreuzungen, das mit der Einführung von blauen Markierungen auf Kreuzungen verbessert werden soll (vgl. Jensen 2002, S.30). Dass bei dieser Maßnahme die Sicherheit ausschlaggebend war, ist daher eher anzunehmen. 98 Grüne Routen   Grüne Fahrradrouten in Kopenhagen, auch »cyclist motorways« (City of Copenhagen 2009, S. 5) genannt, sind eine Option für Radfahrende, die einen langen Weg zurücklegen müssen, denn diese Routen sind qualitativ hochwertig gebaut und beinhalten separate Wege für Radfahrer und Fußgänger (vgl. Jensen 2002, S. 24). Wenn möglich, befinden sich diese grünen Routen in vom üblichen Verkehr abgegrenzten Gebieten, wie Parks oder anderen grünen Umgebungen (vgl. Jensen 2002, S. 24). Sie sind so gestaltet, dass vor allem die Radfahrenden selten an Kreuzungen halten müssen und somit lange Strecken ohne Unterbrechungen mit hoher Geschwindigkeit zurücklegen können (vgl. Jensen 2002, S. 24). Zudem sind die grünen Routen mit den normalen Fahrradwegen in Kopenhagen, die sich direkt an den Straßen befinden, verbunden (vgl. Jensen 2002, S. 25). Somit sind kurze Wege und direkte Verbindungen möglich. Im Plan der Bauaufsichtsbehörde Proposal for Green Cycle Routes von 2000 ist festgelegt, dass insgesamt 21 Routen mit einer Gesamtlänge von 100 km gebaut werden sollen. Dabei variiert die Länge dieser zwischen zwei und acht Kilometern (vgl. Jensen 2002, S. 24). 2010 existierten bereits 42 km der grünen Routen (vgl. City of Copenhagen 2010, S. 7). Ziel ist ein Netz, in welchem die Radfahrerinnen und Radfahrer die Möglichkeit haben, ihre täglichen Wege eher auf den attraktiveren grünen Routen, als auf den Radwegen an Hauptverkehrsstraßen zurückzulegen.   Aber inwiefern sind die beschriebenen Routen komfortabel? Auch bei dieser Maßnahme kann wie bei Radwegen und blauen Markierungen auf den Kreuzungen genannt werden, dass es den Radfahrern und Radfahrerinnen möglich ist, diese Wege abgetrennt von anderen Verkehrsteilnehmern zu nutzen. Es handelt sich folglich um das Merkmal Annehmlichkeit. Ebenso ist das Merkmal der Bequemlichkeit erkennbar. Denn durch das Streben, ein Netz der grünen Routen zu bilden, welches mit Radwegen an Straßen verbunden ist, sind kurze und direkte Wege in Kopenhagen möglich. Auch die Tatsache, dass diese Wege asphaltiert und hochwertig gebaut sind, unterstützt die Bequemlichkeit, da das Fahren auf einer asphaltierten Oberfläche einfacher ist als beispielsweise auf Sandwegen. Zudem wird nur bei dieser Maßnahme das Merkmal der Naturnähe deutlich. Radfahrende bewegen sich entfernt von Lärm und Abgasen der Hauptverkehrsstraßen fort. Umgeben von Natur ist ein Fahren ungestört von Kreuzungen, Fußgängern und Kraftfahrern in attraktiver Umgebung möglich. Mitnahme von Fahrrädern in Bahn und Taxi   In Kopenhagen gibt es weitere Besonderheiten, die nicht ungeachtet bleiben sollten. Will der Radfahrer oder die Radfahrerin mit dem Fahrrad auf Kraftfahrzeuge umsteigen, stellt auch das kein Problem dar, denn alle Taxis in Kopenhagen sind mit Fahrradhaltern für zwei Fahrräder ausgerüstet (vgl. City of Copenhagen 2009, S. 11). Das Mitführen von Fahrrädern mit dem Taxi kostet 20 Dänische Kronen pro Fahrrad (vgl. Visit Denmark 2011), das entspricht einem Preis von rund 2,70 Euro pro Fahrrad (Stand 02.08.2011). In den öffentlichen Verkehrsmitteln, wie der Metro und Regionalzügen, kann das Fahrrad ebenso gegen ein Entgelt von 14 Dänischen Kronen, umgerechnet rund 1,90 Euro (vgl. City of Copenhagen 2009, S. 11) mitgeführt werden. In der Stadtbahn und der Metro kann ein Fahrrad pro Person mitgenommen werden, allerdings nicht während der Hauptverkehrszeiten von 7:00 bis 8:30 Uhr und von 15:30 bis 17:00 Uhr (vgl. Teknik – og Miljøforvaltningen 2010).   Auch hier zeigt sich klar der Komfortaspekt. Das Merkmal der baulichen Maßnahme ist der Fahrradhalter am Taxi oder auch die spezielle Gestaltung von Bahnwaggons. Annehmlichkeit findet sich in der Tatsache, dass bei schlechtem Wetter oder Kraftlosigkeit der Radfahrer auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen und sogar das Fahrrad problemlos gegen geringes Entgelt mitnehmen kann. Das Merkmal der Bequemlichkeit ist erkennbar, da die Fortbewegung erleichtert beziehungsweise Anstrengung vermieden oder vermindert werden. 99 Die Bequemlichkeit äußert sich ebenso darin, dass durch die Kombination verschiedener Verkehrsmittel kurze und schnelle Wege möglich sind, ohne auf die Mitnahme des Fahrrads verzichten zu müssen. 100 Grüne Welle   Die Grüne Welle wurde in Kopenhagen auf vier Straßen eingeführt. Auf der Nørrebrogade, Amagerbrogade, Østerbrogade und Farimagsgade ist das Fahren mit 20 km/h ohne Halten an Lichtsignalanlagen möglich (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 15). Somit können sich die Radfahrenden schnell während der Hauptverkehrszeiten fortbewegen (vgl. City of Copenhagen 2009, S. 11). Die Grüne Welle stellt eine einfache und preiswerte Lösung für komfortables Fahren dar. Die bauliche Maßnahme ist eine Fahrradampel, deren Funktionsweise auf die Bedürfnisse des Radfahrers angepasst wird. Das Merkmal Bequemlichkeit äußert sich darin, dass weder Auf- noch Absteigen oder Warten an der Kreuzung notwendig ist. Die Fortbewegung wird somit erleichtert und zusätzliche Anstrengung muss nicht aufgebracht werden.   Die genaue Funktionsweise der Grünen Welle und Beispiele erfolgreicher Umsetzung werden ausführlicher in der Arbeit »Grüne Welle für Berlin« (Kapitel 2) von Rita Kunert und Lena Lebahn beschrieben. Darin enthalten ist auch die Diskussion einer exemplarischen Umsetzung in Berlin. Fahren im Winter   Während des Winters werden die Radfahrenden in Kopenhagen ebenfalls bevorzugt behandelt. Fahrradwege, Radfahrstreifen und Fußwege werden vor allen anderen Straßen und Wegen von Schnee befreit (vgl. Krenz, Leben 2010, S.15). Das Fahrradfahren im Winter ist somit komfortabel und sicher möglich. Das Merkmal der Bequemlichkeit ist erkennbar, da die Radfahrenden auch während der kalten Jahreszeit die gewohnten Wege fahren können, ohne wegen schlechter Straßenbedingungen auf dieses Fortbewegungsmittel zu verzichten. Im Vordergrund dieser Maßnahme steht jedoch die Sicherheit der Radfahrerinnen und Radfahrer. Der Komfort ist eher ein angenehmer Nebeneffekt. Abfallentsorgung während des Radfahrens   Auch für diesen Teilaspekt haben sich die Kopenhagener etwas Besonderes einfallen lassen. Bis jetzt wurden vier Abfalleimer in der Stadt direkt an den Fahrradwegen installiert (vgl. City of Copenhagen 2010, S. 12). Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 5.2: Abfalleimer am Radweg 101 Sie sind, wie in Abbildung 5.2 erkennbar, schräg angebracht, so dass der Abfall während der Fahrt einfach in den Eimer eingeworfen werden kann. Dass es sich hierbei um eine bequeme Lösung handelt, ist daran zu erkennen, dass die Radfahrer sich nicht anstrengen müssen, um sich von dem Abfall zu entledigen. Die Arbeit, einen Abfalleimer in der Nähe der Radwege zu finden, das Absteigen und Aufsteigen entfällt. Ein kurzer Weg zum Abfalleimer ist garantiert, da er direkt am Wegrand angebracht ist und durch die spezielle Konstruktion der Abfall während der Fortbewegung dort eingeworfen werden kann. Auch bei dieser komfortablen Lösung überzeugt Kopenhagen mit Einfallsreichtum, denn es handelt sich um eine sehr einfache bauliche Maßnahme. Eine attraktive Umgebung wird bei dieser Maßnahme indirekt erreicht, denn durch die einfache Abfallentsorgung während des Fahrens können die Radwege sauber gehalten werden und so eine angenehme Umgebung geschaffen werden. Bereits der erste zu untersuchende Bereich des Fahrens zeigt zahlreiche bauliche Maßnahmen für komfortables Radfahren auf. Die großen Lösungen der Radwege und Grünen Fahrradrouten können als komfortable Lösungen überzeugen. Sowohl Bequemlichkeit, die sich durch kurze und einfache Wege in dem umfangreichen Wegenetz äußert, als auch Annehmlichkeit sind bei beiden vorzufinden. Denn bei diesen Maßnahmen ist das Fortbewegen ungestört von anderen Verkehrsteilnehmern, unter anderem Fußgängern und Kraftfahrzeugen, möglich. Die Maßnahme der Grünen Routen ist zudem die einzig vorgestellte Lösung, die durch das Ziel der Naturnähe überzeugt. Nur dort ist das Fahren entfernt von direktem Straßenlärm und Abgasen in grüner Umgebung möglich. Eine attraktive und vor allem saubere Umgebung wird aber ebenso auch bei Abfallentsorgung am Radweg unterstützt. Bei den vorgestellten kleinen Lösungen stellt der Komfort nicht immer das angestrebte Ziel dar. Das bevorzugte Befreien der Radwege von Schnee im Winter und die blauen Markierungen auf Kreuzungen sind sicherheitsorientierte Lösungen. Der Komfort ist dort nur angenehmer Nebeneffekt. Die Maßnahmen der Grünen Welle, der Abfalleimer am Radweg, sowie die der Mitnahme vom Fahrrad in Bahn und Taxi lassen klar das Ziel, den Komfort der Radfahrerinnen und Radfahrer zu verbessern, erkennen. 102 Das Halten Im Bereich Halten werden Maßnahmen vorgestellt, die das Halten an Kreuzungen vereinfachen. Das sichere und komfortable Warten an Kreuzungen soll den Radfahrerinnen und Radfahrern durch einfache Lösungen gewährleistet werden. Kreuzungen stellen einen wichtigen Bestandteil des Straßenverkehrsnetzes dar und müssen daher oft passiert werden. Durch die vorzufindende Ampelschaltung muss allerdings mit Wartezeiten gerechnet werden. Wie diese Wartezeit verbracht wird, ob sie komfortabel zugebracht werden kann und wie Lösungen dafür baulich umgesetzt sind, wird im Folgenden beschrieben und bewertet. Fuß- und Handstützen   Zeigt die Lichtsignalanlage an der Kreuzung Rot, heißt das für Radfahrende meist, dass sie vom Rad absteigen müssen. Denn das Warten auf dem Fahrrad ohne, dass sich der Radfahrer festhalten kann, ist ein schwieriger Gleichgewichtsakt. Doch nicht so an einigen Kreuzungen in Kopenhagen. Hier wurden spezielle Fuß- und Handstützen aus Metall installiert, an denen sich die wartenden Radfahrer und Radfahrerinnen festhalten können (vgl.Copenhagenize.com 2010). Wie in Abbildung 5.3 dargestellt, gibt es eine hohe Stange, an der sich der Wartende mit der Hand festhalten und eine tiefere Stange, auf die er seinen rechten Fuß abstellen und sich beim Abfahren abstoßen kann (vgl. Copenhagenize.com 2010). Auf der Abstellmöglichkeit für den Fuß ist auch ein Schriftband zu sehen, der übersetzt folgenden Satz zeigt: »Hi, Radfahrer, stell deinen Fuß hier ab. Und – Vielen Dank, dass Du in der Stadt mit dem Fahrrad fährst!« (Copenhagenize.com 2010). Die Stadt Kopenhagen wird nun zu den bereits existierenden fünf Anlagen an Kreuzungen weitere 20 bauen (vgl. Copenhagenize.com 2011). Das kostet die Stadt 187.000 Dänische Kronen (vgl. Copenhagenize.com 2011), umgerechnet rund 25.000 Euro.   Es handelt sich um eine vergleichsweise preiswerte, kleine, aber effektive bauliche Maßnahme, den Radfahrenden das Halten an der Kreuzung einfacher zu gestalten. Weder Abnoch Aufsteigen ist notwendig und auch die Laternen- und Ampelmasten, an denen sich die Radfahrerinnen und Radfahrer vorher zum Anhalten festhielten, werden nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen. Das Merkmal Bequemlichkeit ist erfüllt, da die Anstrengung des Auf- und Absteigens nicht mehr notwendig ist. Die bauliche Maßnahme ist, wie oben beschrieben, eine sehr einfache Metallkonstruktion und zudem preiswert. Annehmlichkeit, vor allem Platz während der Benutzung der Stütze, steht hier nicht im Vordergrund. Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 5.3: Fuß-und Handstütze 103 Haltelinien   Die Radfahrenden halten an Kreuzungspunkten weiter vorn als Kraftfahrzeuge. Die Haltelinien der Autos wurden fünf Meter nach hinten verschoben, um Radfahrende an der Kreuzung sichtbarer zu machen (vgl. City of Copenhagen 2009, S. 5). Die Radfahrenden haben während des Haltens an der Kreuzung mehr Platz, fahren beim Signalwechsel auf Grün als erstes in den Kreuzungsbereich und sind folglich für die anderen Verkehrsteilnehmer zeitiger sichtbar.   Bei dieser einfachen baulichen Maßnahme steht die Sicherheit der Radfahrerinnen und Radfahrer im Vordergrund. Niels Jensen beschreibt die zurückgesetzten Haltlinien ebenfalls unter Sicherheitsaspekten in der »Cycle Policy 2002 – 2012« (vgl. Jensen 2002, S. 30). Jedoch ist bei dieser Lösung auch ein gewisser Komfort erkennbar. Das Halten an der Kreuzung ist durch die vorgerückte Haltelinie zumindest für die Radfahrenden, die nah an der Kreuzung stehen, angenehmer, da sie von den anderen Verkehrsteilnehmenden nicht gestört oder bedrängt werden. Somit ist das Merkmal der Annehmlichkeit deutlich, da die Radfahrer und Radfahrerinnen ausreichend Platz zum Warten haben. Allerdings ist nur dieses Merkmal des Komforts offensichtlich. Denn diese Maßnahme unterstützt weder Bequemlichkeit, noch Naturnähe. Somit muss davon ausgegangen werden, dass Komfort lediglich ein Nebeneffekt der fokussierten Sicherheitsgewährleistung ist. 104 Im Bereich Halten kann lediglich die bauliche Maßnahme der Fuß- und Handstützen durch klar erkennbaren Komfort überzeugen. Denn bei dieser Lösung ist das Merkmal Bequemlichkeit, durch den Wegfall des Auf- und Absteigens an der Kreuzung, im Fokus. Zudem ist die einfache bauliche Umsetzung ein klarer Vorteil. Bei den zurückgesetzten Haltelinien hingegen hat der Planungsgegenstand Sicherheit den Vorrang. Komfort ist bei dieser Lösung lediglich in Form von Annehmlichkeit erkennbar. Das Parken In Kopenhagen sind mehr Fahrräder als Einwohner vorhanden – 560.000 Fahrräder gibt es in der Stadt (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 16). Zu den Fahrrädern, die ordnungsgemäß abgestellt werden, kommen verlassene und falsch abgestellte Fahrräder, welche die Kopenhagener Behörden regelmäßig entfernen lassen. 2008 wurden 8.000 verlassene Fahrräder entfernt und so mehr Platz für die Radfahrerinnen und Radfahrer geschaffen (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 16).   In Kopenhagen gab es 2008 insgesamt 34.500 öffentliche Fahrradparkplätze (vgl. City of Copenhagen 2009a, S. 16), darunter 1.000 mobile Fahrradständer, die bei Großveranstaltungen, wie Konzerten, genutzt werden können (vgl. City of Copenhagen Diese mobilen Konstruktionen sind eine einfache bauliche Lösung und eine komfortable Möglichkeit, bei Bedarf große Mengen an parkenden Fahrrädern zu fassen. Für die Kopenhagenerinnen und Kopenhagener vereinfacht es den Besuch von Großveranstaltungen, sie müssen sich keine Gedanken über das Abstellen der Fahrräder in der Nähe der Veranstaltung machen, sondern können diese direkt zum Ort mitbringen und dort an den mobilen Fahrradständern abstellen. 2009a, S.17). Am Zentralbahnhof wurden große Flächen für das Parken von Fahrrädern vorgesehen. So können die Radfahrerinnen und Radfahrer ihre Räder in »Fahrradständer[n] auf Erdbodenniveau« (Smith 2004) abstellen. Aber es sind, wie in Abbildung 5.4 zu sehen, auch Fahrradständer auf einer Bühne vorhanden, die bei Bedarf heruntergelassen werden kann, um Räder abzustellen und abzuholen (vgl. Smith 2004). Die Konstruktion wird nachfolgend wieder hochgefahren, damit auch unterhalb Räder abgestellt werden können (vgl. Smith 2004). Vor Geschäften steht es den Ladeninhabern frei, Fahrradständer auf dem Fußgängerweg aufzustellen (vgl. Jensen 2002, S. 29). Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 5.4: Fahrradständer mit zwei Ebenen 105 Diese sind meistens klein und fassen nicht viele Räder. Zudem werden auf ehemaligen Autoparkplätzen oder auch an Umsteigeorten, zum Beispiel vor U-Bahnhöfen, größere Fahrradständer aufgestellt (vgl. Smith 2004). Diese fassen 10 bis 12 oder 20 bis 25 Räder und können miteinander verbunden werden (vgl. Smith 2004).   Die bereits genannten Lösungen sind größtenteils herkömmliche Konstruktionen, die so auch in anderen Großstädten vorzufinden sind. Sie zeigen jedoch, dass der Bereich des Parkens für die Radverkehrsplanung in Kopenhagen sehr wichtig ist. In den jährlichen ›Bicycle Accounts‹ sind das Parken und die verschiedenen vorgesehenen und geplanten Maßnahmen, um mehr Fahrrädern Abstellmöglichkeiten zu bieten, ein essenzielles und aktuell diskutiertes Thema (vgl. City of Copenhagen 2009a, S.16 ff.). Für eine Umsetzung in Berlin werden hingegen Lösungen gesucht, die auch in Kopenhagen zu den Besonderheiten gezählt werden. Im Folgenden werden drei verschiedene Maßnahmen vorgestellt und ebenfalls auf die Kriterien des Komforts untersucht: 106 Abstellbereiche ohne installierte Fahrradständer   Aufgrund der hohen Anzahl an Fahrrädern, versucht sich die Stadt Kopenhagen derzeit an einer baulich sehr einfach umsetzbaren Lösung. So wurden an Kreuzungen und Straßen Bereiche gekennzeichnet, auf denen Fahrräder abgestellt werden können. Allerdings ohne baulich installierte Abstellmöglichkeiten, denn die Räder sollen nur mit dem am Fahrrad vorzufindenden Fahrradständer aufgestellt werden (vgl. Copenhagenize.com 2009). Somit fällt es den Radfahrenden leichter, an verschiedensten Stellen in der Stadt schnell einen Parkplatz zu finden (City of Copenhagen 2010, S. 12).   Für die Kopenhagener wird hier eine bequeme und einfache Lösung geboten, das Rad abzustellen. Wenn die Radfahrer und Radfahrerinnen das Fahrrad unüberlegt an ungekennzeichneten Stellen abstellen, wird dieses sehr schnell abgeschleppt, da es unerlaubt dort steht. Durch die gekennzeichneten Stellen wurde die Parksituation verbessert und unkompliziertes Abstellen von Rädern möglich. Da sich die Flächen zumeist an Kreuzungen befinden, sind kurze und direkte Wege zu der Parkmöglichkeit gegeben und das Merkmal der Bequemlichkeit wird somit deutlich. Annehmlichkeit ist bei dieser Lösung ebenso vorzufinden, da die doch sehr angespannte Parksituation entschärft wird und das Ziel, jedem Radfahrer ein Parkplatz zu bieten, angestrebt wird. Der einzige Nachteil für die Nutzer zeigt sich darin, dass die Räder nicht wettergeschützt abgestellt werden können. Das Merkmal der Naturnähe ist beim Parken von Fahrrädern kein angestrebtes Ziel und erhöht nicht den Komfort. Letztendlich muss jedoch zudem klar festgestellt werden, dass für diese Fahrradparkflächen zumeist Autoparkplätze verwendet werden. So wird erkennbar, dass bei dieser Maßnahme das Fahrrad in der Verkehrsplanung der Stadt präferiert wird und dadurch anderen Verkehrsteilnehmern wertvoller Platz genommen wird. Das Lastenrad-Auto   Eine eher außergewöhnliche Lösung hat sich für die große Zahl an Lastenrädern gefunden. Zurzeit gibt es schätzungsweise 19.000 Lastenräder in ganz Kopenhagen (vgl. City of Copenhagen 2010, S. 21), die in der Innenstadt von Kopenhagen beim Parken viel Platz benötigen. Q uelle : Eigene Darstellung Abbildung 5.5: Das Lastenrad-Auto 107 Wie in der Abbildung ersichtlich, haben diese Parkmöglichkeiten das Aussehen eines Autos in dem Platz für vier Lastenrädern sind. Dies ist eine ungewöhnliche aber einfache bauliche Lösung, die zudem auch noch einen sichtbaren Hinweis darauf gibt, wie viel mehr Personen in der Innenstadt einen Parkplatz vorfinden, sofern sie mit dem Rad und nicht mit dem Pkw anreisen (vgl. City of Copenhagen 2010, S. 12). Die Lastenrad-Autos passen bequem auf Autoparkplätze. Die Lastenräder können gut verschlossen abgestellt werden. Somit sind die Lastenräder einfach verstaut und Platz für normale Radfahrer wird nicht in Anspruch genommen. Das Merkmal der Annehmlichkeit äußert sich dadurch, dass die Räder vor Witterungseinflüssen geschützt abgestellt werden können (vgl. Meschik 2008, S. 173). Parken an Metrostationen   An den Metrostationen hat sich ebenso ein System für das Parken von Fahrrädern entwickelt. Die Stationen verfügen über extra Räumlichkeiten zum Parken der Räder (vgl. Copenhagenize.com 2009a). Zusätzlich befinden sich an fünf Metrostationen sogenannte Fahrrad Butler, die sich darum kümmern verlassene und falsch geparkte Fahrräder zu entfernen und somit den Zugang zu Notfallausgängen zu gewährleisten (vgl. City of Copenhagen 2010, S. 12). Für die Radfahrerinnen und Radfahrer ist an den Metrostationen sowohl außer-, als auch innerhalb der Station das Parken möglich. Vorhandene leer stehende und ungenutzte Räume in Metro Stationen können sinnvoll genutzt werden. Eine bauliche Umsetzung ist nicht umfangreich, da die vorhandenen Räume nur mit Fahrradständern ausgestattet werden müssen. Das Abstellen der Räder in extra Räumen schützt die Fahrräder vor Umwelteinflüssen und zeigt die Annehmlichkeit der Maßnahme. Zudem ist die Unterstützung durch die Fahrrad Butler eine angenehme Lösung, um die vorhandenen Parkplätze zu erkennen und zu nutzen. Bequemlichkeit ist ebenso erkennbar, da die Räder direkt an der Umsteigestelle zur Metro abgestellt werden können. Kurze und direkte Wege zur Parkmöglichkeit sind an der Station möglich, da sie sich in diesem Fall direkt am Zielort befinden (vgl. Meschik 2008, S. 173). 108 Kopenhagen zeigt bei den drei detailliert beschriebenen Lösungen Einfallsreichtum, um der großen Menge an Rädern Abstellmöglichkeiten zu bieten. Das Lastenrad-Auto ist dabei eine äußerst ungewöhnliche Maßnahme, die aber durch Annehmlichkeit für Lastenradfahrer durch Wetterunabhängigkeit überzeugt. Alle beschriebenen Maßnahmen sind vergleichsweise einfach baulich umsetzbar, da vorhandener Raum meist alternativ genutzt wird. Bequemlichkeit zeigt sich offensichtlich bei den Abstellräumen an Metrostationen, weil kurze Wege vom Parken zum Umsteigen in das öffentliche Verkehrsmittel unkompliziert möglich sind. Lastenräder-Autos sowie markierte Abstellbereiche können ebenso einfach erreichbar sein, da sie den Platz von vorhandenen Kraftfahrzeugparkplätzen einnehmen. Kraftfahrern wird dadurch wertvoller Platz genommen und das Fahrrad wiederum priorisiert. Ob das jedoch für die Öffentlichkeit eine gewünschte Tatsache ist, sollte angezweifelt werden (vgl. Meschik 2008, S. 173). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass zwölf vollkommen verschiedene bauliche Lösungen vorgestellt wurden, die sich durch unterschiedliche Aspekte des Komforts auszeichnen. Bequemlichkeit ist vorrangig bei kleineren Lösungen, wie Fuß- und Handstützen, Abfalleimern an Radwegen, markierten Abstellbereichen oder auch der Mitnahme des Fahrrads in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis, vorzufinden. Die großen Lösungen, vor allem Radwege und grüne Routen, unterstützen besonders das Merkmal der Annehmlichkeit. Ausreichend Platz zum Fortbewegen ist gewährleistet, ohne von den anderen Verkehrsteilnehmern gestört zu werden.Das Merkmal der Naturnähe ist nur bei der Maßnahme der grünen Routen klar erkennbar. Die vorgestellten Park- beziehungsweise Abstellmöglichkeiten können alle durch Bequemlichkeit und Annehmlichkeit überzeugen und unterscheiden sich besonders im baulichen Aufwand der Umsetzung. Die Lösungen der zurückgesetzten Haltelinien, des bevorzugten Freiräumens der Radwege im Winter und der blauen Markierungen auf Kreuzungen fallen hingegen eher durch die angestrebte Sicherheitsgewährleistung auf. Komfort, insbesondere als Annehmlichkeit, ist zwar bei blauen Markierungen und Haltelinien erkennbar, steht jedoch nicht im Vordergrund, ebenso die Bequemlichkeit für die Radfahrer beim Befreien der Radwege von Schnee im Winter. Haltelinien und blaue Markierungen erscheinen einfach umsetzbar, jedoch wurde schon bei der Bewertung des Komforts gezeigt, dass bei diesen Lösungen die Sicherheit des Radfahrers höchstes Planungsziel ist.   Komfort ist bei diesen drei Maßnahmen nur angenehmer Nebeneffekt. Da es jedoch Ziel dieser Arbeit ist, nur Maßnahmen für eine Umsetzung in Berlin zu betrachten, die vorrangig den Komfort unterstützen, werden die genannten sicherheitsorientierten Lösungen nicht weiter für eine Umsetzung in Berlin in Erwägung gezogen. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass alle Maßnahmen gewisse Aspekte des Komforts für den Radfahrer oder die Radfahrerin unterstützen. Außer der zurückgesetzten Haltelinien, dem priorisierten Freiräumens von Radwegen im Winter und der blauen Markierungen, werden alle Maßnahmen für Berlin vorerst weiterhin in Betracht gezogen. Im folgenden Kapitel wird auf die aktuelle Situation in Berlin eingegangen. Die Frage, welche Voraussetzung die beschriebene Maßnahme erfüllen sollte, um dann weiterhin für eine Umsetzung in Berlin in Erwägung gezogen zu werden, soll beantwortet werden. Radverkehr in Berlin Berlin verfügt über ein Radwegenetz von über 660 km Radweg und Radfahrstreifen (vgl. Rittner 2011). Das erscheint zwar zunächst hoch im Gegensatz zum Kopenhagener Netz, ist jedoch gemessen an der Fläche der Stadt mit 891,54 km² (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2009) und der Einwohnerzahl mit rund 3,4 Millionen (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2009), ein eher geringes Angebot. Denn Berlin ist mehr als zehnmal so groß wie Kopenhagen und hat mehr als achtmal so viele Einwohner. Wenn Kopenhagen flächenmäßig so groß wie Berlin wäre, würde es hochgerechnet mehr als 4050 km Radwege besitzen (vgl. Gamillscheg 2011, S. 2). Ein Angebot, welches Berlin nicht bieten kann. Zwar verfügt Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Städten über ein gut ausgebautes Radwegenetz (vgl. Rittner 2011), aber die 109 als Ziel gesetzten 20 Prozent wurden noch nicht in ganz Berlin erreicht (vgl. Neumann 2011, S. 2). Als Grund dafür wird genannt, dass für Radfahrer und Radfahrerinnen ein Mangel an kurzen und direkten Wegen in der Innenstadt besteht (vgl. Rittner 2011). Radverkehrspolitik in Berlin 110 Für den Bau von neuen Radverkehrsanlagen stellt der Senat von Berlin jährlich ein Etat von drei Millionen Euro bereit (vgl. Neumann 2011, S. 2). Für die Sanierung von schon bestehenden Radverkehrswegen können weitere zwei Millionen Euro eingeplant werden (vgl. Neumann 2011, S. 2). Dies ist jedoch ein geringer Etat, wenn man bedenkt, dass die vergleichsweise kleine Stadt Kopenhagen derzeit mehr als 13 Millionen Euro für diese Zwecke zur Verfügung hat (vgl. Krenz, Leben 2010, S. 14) und schon über ein engmaschiges Radwegenetz verfügt.   Im Vergleich zu den insgesamt fünf Millionen Euro Budget für den Fahrradverkehr gibt der Berliner Senat jährlich mehr als 200 Millionen Euro für die Unterhaltung und den Neubau von Kraftfahrzeugstraßen aus (vgl. Neumann 2011, S. 2). Die finanzielle Priorität hat das Kraftfahrzeug, nicht das Fahrrad. Was könnte die Stadtverwaltung mit den bewilligten drei Millionen Euro für neue Radverkehrsanlagen in der deutschen Hauptstadt umsetzen? Umsetzbarkeit der Kopenhagener Maßnahmen in Berlin Aufgrund der oben benannten Situation in Berlin, die sich vor allem durch den geringen Etat für Erneuerungen auszeichnet, müssen aus den beschriebenen Maßnahmen in Kopenhagen preiswerte, aber effektive Lösungen ausgewählt werden. Eine zu kostenintensive Umsetzung ist aus diesem Grund in dieser Arbeit ein Ausschlusskriterium für die betrachtete Maßnahme. Wegen der genannten Restriktion müssen der Ausbau von breiteren Radwegen und grünen Fahrradrouten in kurzer Sicht ausgeschlossen werden. Diese beiden Maßnahmen zeichnen sich zwar durch einen hohen Komfort für Radfahrerinnen und Radfahrer aus, sind aber teuer in der Umsetzung. Der Bau von nur einem Kilometer der grünen Routen in Kopenhagen wird mit umgerechnet 1,25 Millionen Euro veranschlagt (vgl. Jensen 2010). Somit wäre, übertragen auf Berlin und die Nutzung des gesamten Radverkehrsetats, nur der Bau von vier Kilometern grüner Fahrradrouten in einem Jahr möglich, ohne dass in diesem Etat der Unterhalt der schon bestehenden Radwege eingerechnet ist. Die Bequemlichkeit der grünen Routen in Kopenhagen ist aber vor allem durch das große Netz der Routen in grüner Umgebung und die dadurch entstandenen kurzen Wege gekennzeichnet. Ein umfangreiches Netz wäre nur durch eine langfristige Investition möglich. Unter der Bedingung, dass die jährlich verfügbaren drei Millionen Euro für neue Lösungen, zum Beispiel für die bauliche Umsetzung von grünen Routen genutzt werden und die anderen zwei Millionen für den Unterhalt der vorhandenen Radwege ausgegeben werden, ist im Zeitraum von 2012 bis 2025 der Bau von rund 31 km der Routen möglich. Eine Investition, die nur langfristig zum Erreichen einer Verbesserung des Komforts führt. Ob dadurch bis 2025 nur durch den Bau der grünen Routen der Anteil der Radfahrer auf 20 Prozent steigen würde, ist fragwürdig. Für schneller sichtbare Erfolge kommen eher die genannten komfortablen, aber vor allem einfachen und kleinen Lösungen, die in Berlin noch nicht zu finden sind, in Betracht. Eine Mitnahme des Fahrrads in S- und U-Bahn ist in Berlin bereits gegen geringes Entgelt möglich (vgl. VBB 2011, S. 50, S. 119). Hier kann die Fahrradstadt Kopenhagen nicht als Vorbild dienen. Das Fortbewegen mit dem Fahrrad bei schlechten Wetterbedingungen ist also ebenfalls auch in Berlin möglich. Eine Ausstattung von Berliner Taxis mit Fahrradhaltern ist in der Zukunft sicher umsetzbar. Anzunehmen ist, dass sich die TaxiUnternehmen bei überhaupt vorhandener und zukünftig eventuell steigender Nachfrage nach Mitnahme von Rädern selbst darauf einrichten. Ob eine Grüne Welle in Zukunft in Berlin umgesetzt werden kann, wird in der Arbeit »Grüne Welle für Berlin « von Lena Lebahn und Rita Kunert ausführlich diskutiert. Daher soll eine nähere Betrachtung der Maßnahme an dieser Stelle ausbleiben. Der Bau von Fuß- und Handstützen an Kreuzungen ist als einfach umsetzbar einzuschätzen. In Kopenhagen wurde die Umsetzung von 20 neuen Installationen auf rund 25.000 Euro angesetzt (vgl. Copenhagenize.com 2011). Das ist eine kostengünstige aber effektive Maßnahme. Das Anbringen der Fuß- und Handstützen nimmt an der Kreuzung kaum Platz in Anspruch und könnte zudem einfache umgesetzt werden. Das Befestigen von Metall- oder vielleicht sogar Plastikhalterungen an Ampel- oder Laternenmasten würde eine ähnliche Wirkung erzielen und wäre sogar noch preiswerter. In Deutschland ist die einfache Lösung, sogenannte Ampelgriffe, schon in vielen Städten vorzufinden. Die Stadt Marl hat dieser Maßnahme sogar eine eigene Homepage gewidmet, auf der die Kunststoffgriffe und ihre Anbringung detailliert beschrieben werden (vgl. Organisationsbüro Gaby Grix-Saar 2011).   Die Aufstellung von Abfalleimern an Radwegen ist, ebenso wie Fuß- und Handstützen, als einfach und preiswert einzuschätzen. Es geht hier lediglich um das Installieren von Eimern auf geringerer Höhe und in einem angenehmen Winkel. 111 Auch das wäre eine komfortable Lösung, die nicht nur die Umwelt schützt. Somit soll diese für eine Umsetzung in Berlin in Erwägung gezogen werden. Die Lösung für das sichere Parken von Lastenrädern wird in dieser Ausarbeitung für eine Umsetzung in Berlin nicht näher betrachtet, da Lastenräder im Stadtbild von Berlin kaum vorhanden sind. Allerdings sollte in Betracht gezogen werden, dass gerade die fehlenden Parkmöglichkeiten für die Lastenräder, unter anderem die geringe Zahl dieser erklärt, also von einer Anschaffung eines Lastenrades abhält. Diese Frage soll in der Arbeit allerdings nicht beantwortet werden. 112 Die gut ausgebauten Parkmöglichkeiten an Metrostationen in Kopenhagen können allerdings als Vorbild für Berlin dienen. In Berlin gibt es zahlreiche ›Parken und Reisen‹ (P+R) Parkplätze vor Bahnhöfen (vgl. ÖPNV 2011), aber das Fahrrad und gesonderte Abstellmöglichkeiten dafür werden nicht priorisiert behandelt. Offensichtlich besteht hier großer Nachholbedarf. Das hat ebenso die Stadtentwicklung in Berlin erkannt, denn bis 2012 sollen zu den bereits 6.000 vorhandenen Abstellplätzen an Bahnhöfen weitere 7.000 hinzukommen (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2008, S. 7). Nachteil ist allerdings die finanziell intensive bauliche Umsetzung. Gesonderte Fahrradräume in den Bahnhöfen und auch der Unterhalt von Fahrrad Butlern nach Kopenhagener Vorbild sind mit nur drei Millionen Euro Etat kaum durchführbar. Die zu teure Umsetzung ist Ausschlusskriterium für die weitere Betrachtung. Im Gegensatz dazu sind Abstellbereiche ohne vorinstallierte Fahrradständer eine sehr preiswerte und einfache Lösung, deren Umsetzung auch in Berlin vorstellbar ist. Auch die Senatorin für Stadtentwicklung in Berlin, Ingeborg Junge-Reyer, schätzt gute und zahlreiche Abstellmöglichkeiten für Fahrräder äußerst wichtig ein (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2008, S. 3). In dem Dokument »Fahrradparken in Berlin« werden zahlreiche Lösungen für vorhandenes und geplantes Fahrradparken in Berlin vorgestellt (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2008). Die einfache Lösung aus Kopenhagen, markierte Abstellbereiche, ist allerdings nicht zu finden. Somit sollte eine Umsetzung dieser Maßnahme für Räder in Berlin in Betracht gezogen werden. Denn das bequeme Abstellen des Fahrrads an vielen und vor allem zugänglichen Plätzen in der Stadt stellt eine Lösung dar, die den Komfort des Fahrradfahrens unterstützt. Nach Auswertung der Maßnahmen aus Kopenhagen können nur noch wenige der vorgestellten Lösungen für eine Umsetzung in Berlin in Erwägung gezogen werden. Für jeden wichtigen Bereich des Fahrradfahrens – Fahren, Halten und Parken – konnte eine umsetzbare Maßnahme identifiziert werden. Neben dem Installieren von komfortablen Fuß- und Handstützen für wartende Radfahrerinnen und Radfahrer an Kreuzungen, wäre auch die einfache bauliche Umsetzung von markierten Abstellräumen für Radfahrende möglich. Beide Lösungen sind als preiswert einzuschätzen und würden das Fahrradfahren und -parken komfortabler gestalten. Ebenso kann auch die Anbringung von Abfalleimern für Radfahrende umgesetzt werden. Denn bei dieser einfachen Lösung steht neben dem Komfortmerkmal Bequemlichkeit, dass man für das Abfallentsorgen weder anhalten noch absteigen muss, auch der Umweltschutz im Vordergrund. Diese kleinen komfortablen Lösungen könnten das Erreichen eines Anteils des Radverkehrs von 20 Prozent unterstützen und das Fahrradfahren attraktiver gestalten. Das Fahrrad ist ein umweltschonendes, leises und preiswertes Fortbewegungsmittel und ist für eine umweltfreundliche Stadtplanung von großer Wichtigkeit. Es ist jedoch festzustellen, dass ohne weitere Förderung und politische Entscheidungen für den Radverkehr in Berlin eine zukünftige deutliche Verbesserung für die Fahrradfahrer kaum möglich sein wird. Allerdings soll am Ende dieser Arbeit auch die folgende Frage beantwortet werden: Ist eine ›Copenhagenization‹ von Berlin erstrebenswert? Wie sich inzwischen herausstellt, hat Kopenhagen auch Probleme mit den Massen an Radfahrern und Radfahrerinnen umzugehen. Die Innenstadt ist voller Fahrräder und vor allem Fazit – Copenhagenize Berlin? In diesem Aufsatz wurden eine Reihe großer und kleiner Lösungen des Radverkehrs in Kopenhagen vorgestellt und anhand ihres Komforts bewertet. Ziel war es, mögliche Maßnahmen für die Radverkehrsführung in Berlin abzuleiten. Als problematisch hat sich allerdings die finanzielle Situation in Berlin herausgestellt. Denn für den Radverkehr in Berlin stehen insgesamt nur fünf Millionen Euro zur Verfügung, wovon für neue Lösungen sogar nur drei Millionen Euro ausgegeben werden dürfen. Dies schließt die Einführung größerer Maßnahmen aus, wodurch für eine Umsetzung in Berlin nur kostengünstige Maßnahmen in Betracht kommen können. 113 Lastenräder versperren mehrere Abstellplätze. Immer mehr unterschiedliche und vor allem viele Radfahrer machen ein schnelles Fortbewegen auf den Radwegen kaum noch möglich, so dass einige Nutzer Angst vor noch mehr Fahrrädern in der Stadt entwickeln. Ist es das, was Berlin in naher Zukunft bevorsteht, wenn es auf Kopenhagen als Vorbild für die Radverkehrsplanung setzt? Eine Frage, die zu beantworten hier nicht das Ziel war, aber doch in der Radverkehrsplanung von Berlin bedacht werden sollte. 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Gütersloh, München: wissensmedia GmbH, 2010 Kapitel 6 Anforderungen und Verhalten von Radfahrenden Eine Bestandsaufnahme Jörg Leben Inhalt: Die Radfahrenden in deutschlandweiten Mobilitätsstudien Die Radfahrenden in der Unfallstatistik Radfahrende und die Verkehrshandlung Die Radfahrenden in der Forschung • Verkehrsmittelwahlverhalten • Bevorzugte Verkehrsinfrastruktur und Wegewahl • Fahrstil • Regelbeachtung Schlussfolgerungen 117 118 Radfahren ist In. Deutschlandweit wuchs der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege von 9  % im Jahre 2002 auf 10  % im Jahre 2008 (vgl. Follmer und Schulz 2009, S. 10). In Berlin wuchs der Anteil für die mittleren Werktage, Dienstag bis Donnerstag, von 10  % im Jahre 1998 auf 13  % im Jahre 2008 (vgl. SenStadt 2011, S. 2). Neben dem unbestrittenen Gewinn für den Klimaschutz gibt es aber auch Probleme. Hier lassen sich zwei Kernthemen benennen: Sicherheit und Platz. Radfahrende sind im Verhältnis zu ihrer Fahrleistung besonders unfallgefährdet (vgl. Walter et al. 2005, S. 73) und wegen ihrer fehlenden Knautschzone stark verletzungsanfällig. Daneben ist der Platz im öffentlichen Straßenraum äußerst begrenzt. Verkehrsanlagen für Radfahrende sind entweder nicht vorhanden oder zu schmal. Soll Platz für Radfahrende geschaffen werden, müssen meist andere Nutzungen weichen. Dies birgt reichlich Konfliktstoff. Vermehrt wird von Kampfradlern und Streit um den knappen Straßenraum berichtet (beispielhaft vgl. Matthies 2011 und Bartsch et al. 2011). Dabei werden in der Regel zwei Hauptverursacher der Probleme ausgemacht. Zum einen die Radfahrenden, die jedwede Verkehrsregel zu missachten scheinen und zum anderen – zunehmend – eine nicht angemessene Verkehrsplanung (vgl. Jacobs 2010). Wie man es auch wendet, eine Problemlösung hat auch mit den Radfahrenden zu tun. Aufgrund des Problemaufrisses drängen sich folgende Fragen auf: • Warum missachten Radfahrende Verkehrsregeln? • Welche Anforderungen haben Radfahrende an die Infrastruktur? Um diese Fragen zu beantworten soll in dieser Arbeit zunächst der Stand der Forschung zum Thema Radfahrende dargestellt werden. Daraus ergeben sich dann weitere Fragen, die unter anderem Grundlage einer am Verkehrswesenseminar durch geführten und von Frau Prof. Ahrend betreuten Dissertation sind.   Im ersten Schritt soll sich über Mobilitätsstudien und Unfallstatistiken dem Thema genähert werden. Diese werden nach Verhaltensweisen von Radfahrenden gefiltert. Darüber hinaus gibt es über Radfahrende bereits eine Vielzahl von Forschungsarbeiten. Um diese sinnvoll aufzubereiten, soll strukturiert vorgegangen werden: Dazu bietet es sich an, das Verkehrshandeln aufzuschlüsseln und die Forschungsarbeiten zu Radfahrenden entsprechend zuzuordnen. Nach Sichtung der Forschungsarbeiten stellten sich die Begriffe Verkehrsmittelwahl, bevorzugte Infrastruktur- und Wegewahl, Fahrstil und Regelbeachtung als sinnvolle Leitthemen heraus. Die aus den bisherigen Forschungsarbeiten ergebenden Fragen bilden den Abschluss dieser Betrachtung des Standes der Forschung zum Bereich Verkehrshandeln von Radfahrenden. Die Radfahrenden in deutschlandweiten Mobilitätsstudie Grundlegende Erkenntnisse zum Verkehrsverhalten der Bevölkerung Deutschlands lassen sich aus den Untersuchungen »Mobilität in Deutschland 2008« (MiD) und »Mobilität in Städten – SrV 2008« (SrV) generieren. Bei der MiD wurden 2008 bundesweit rund 26.000 Haushalte und damit rund 60.000 Personen befragt (vgl. Infas und DLR 2010a, S. 10). Bei der SrV wurden bei den teilnehmenden Städten rund 110.000 Personen davon allein in Berlin 38.000 Personen befragt (vgl. Ahrens et al. 2009a, S. 46 f.). Für die folgenden Aussagen werden für die bundesweiten Werte die mittels MiD und für die Berliner Werte die mittels SrV generierten Daten herangezogen.   Aus den bundesweiten Daten ergibt sich eine hohe Fahrradverfügbarkeit. 78 % der Personen (vgl. Infas und DLR 2010b, Abschnitt Personen, S. 3) und 83 % der Haushalte (vgl. Infas und DLR 2010b, Abschnitt Haushalte, S. 3) besitzen mindestens ein Fahrrad.   Hinsichtlich der Fahrradnutzung (vgl. Tabelle 1) ergibt sich, dass 19 % der Personen das Fahrrad täglich oder fast täglich und weitere 20 % das Fahrrad mindestens ein Mal wöchentlich nutzen. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten hat kein Fahrrad oder nutzt es fast nie. Der Anteil der täglich oder fast täglich das Rad Nutzenden ist bei Schülern und Schülerinnen mit 35 % besonders hoch und bei Rentnern und Rentnerinnen mit 16  % am niedrigsten. Mit höherem Ausbildungsniveau steigt der Anteil der häufig das Rad Nutzenden. 17 % der Personen mit einem Hauptschulabschluss und 22 % der Personen mit einem zum Besuch einer Hochschule befähigendem Abschluss fahren täglich oder fast täglich Rad. Mit steigendem ökonomischem Status, das heißt das Haushaltseinkommen auf die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen aufgeteilt, nimmt der Anteil der häufig das Rad nutzenden Personen ab. 22  % der Personen mit niedrigem ökonomischem Status und 16  % der Personen mit sehr hohem ökonomischem Status fahren täglich oder fast täglich Rad. Wobei der Anteil der Personen, die kein Fahrrad besitzen oder es nie oder fast nie benutzen in der Gruppe mit sehr hohem ökonomischem Status mit 30  % am niedrigsten ist. 119 kein Fahrrad 20,3 14,2 9,9 23,4 13,4 0,1 15,9 22,4 35,4 29,4 18,8 16,4 22,9 23,2 21,6 20,7 18,7 16,3 19,0 15,7 14,5 15,8 10,2 7,8 13,2 10,4 8,1 8,8 9,9 5,3 21,6 20,5 16,0 16,7 27,2 28,5 8,3 7,8 4,4 8,6 15,0 25,6 0,0 0,1 0,1 0,0 0,1 0,1 Schulabschluss Hauptschulabschluss Realschulabschluss Fachhochschulreife Hochschulreife SchülerIn Sonstiges 16,6 16,8 16,8 21,6 36,9 14,6 19,1 20,0 22,3 21,3 21,4 15,0 10,1 14,7 17,2 16,8 14,3 11,3 7,5 10,8 11,7 10,9 7,6 5,9 27,4 24,8 21,5 19,8 15,8 26,8 19,1 12,9 10,4 10,0 3,9 26,3 0,1 0,1 0,0 0,1 0,1 0,2 ökonomischer Haushaltsstatus sehr niedrig niedrig mittel hoch sehr hoch 21,3 22,3 18,5 18,1 15,7 17,2 19,6 20,0 21,0 22,7 11,3 11,2 13,2 16,2 18,3 7,2 7,6 9,1 11,3 13,5 24,2 21,7 24,9 22,6 21,0 18,6 17,5 14,1 10,9 8,9 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 keine Angabe (fast) nie 18,8 alle Zahlen in % < 1 Mal/Monat 1-3 Tage/Monat Gesamt Lebensphase der Person Vollzeitbeschäftigte, Azubis, Zivis Teilzeitbeschäftigte Schülerinnen & Schüler Studierende Hausfrauen & -männer, Elternzeit Rentnerinnen & Rentner 120 1-3 Tage/Woche Radnutzung (fast) täglich Q uelle : überarbeitet nach Infas und DLR 2010b, Abschnitt Personen, S. 7 f. Tabelle 6.1: Häufigkeit der Radnutzung: Gesamt, nach Lebensphase der Person, Schulabschluss und ökonomischen Status des Haushalts Bei der Betrachtung der ermittelten Wege zeigt sich, dass für jeden zehnten Weg ein Fahrrad als Hauptverkehrsmittel genutzt wird (vgl. Abbildung 6.1). Kombinierte Wege, wie zum Beispiel die Nutzung eines Fahrrades zu einer Haltestelle des Öffentlichen Personen Nahverkehrs (ÖPNV) und einer Weiterfahrt mit diesem, werden hier dem Hauptverkehrsmittel ÖPNV zugeschlagen. Inklusive der kombinierten Wege ist bei 10,9 % der Wege die Nutzung eines Fahrrads enthalten (vgl. Infas und DLR 2010b, Abschnitt Wege, S. 19). Für Ausbildungswege wird das Fahrrad mit einem Modal Split-Anteil von rund 15 % am meisten genutzt (vgl. Abbildung 6.1). Generell kommt das Fahrrad bei allen Wegezwecken zum Einsatz.   Das Fahrrad ist ein Verkehrsmittel für eher kürzere Distanzen (vgl. Infas und DLR 2010b, Abschnitt Wege, S. 41). 9 von 10 mit dem Fahrrad zurück gelegte Wege sind kürzer als 5 km. Zwei Drittel der Wege sind sogar kürzer als 2 km. Die durchschnittliche mit einem Fahrrad zurückgelegte Wegelänge beträgt 3,2 km. Für Berlin wurde ermittelt, dass 13 % der werktäglichen Wege Q uelle : eigene Darstellung nach Infas und DLR 2010b, Abschnitt Wege, S. 23 Abbildung 6.1: Hauptzweck des Weges nach Hauptverkehrsmittel 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % LKW Begleitung Freizeit ÖPNV Erledigung PKW Einkauf Krad Ausbildung Rad dienstlich Arbeit insgesamt zu Fuß Sonstige mit dem Rad als Hauptverkehrsmittel zurückgelegt werden (vgl. SenStadt 2011, S. 2). Wobei der Anteil in der Innenstadt mit 19 % höher ist als im übrigem Stadtgebiet mit 10 % (vgl. Ahrens et al. 2009c Tab 5.2 bzw. Ahrens et al. 2009b Tab 5.2). Die durchschnittlich mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege sind in der Innenstadt 3,4 und im übrigen Stadtgebiet 3,8 km lang (vgl. Ahrens et al. 2009c Tab 7.4 bzw. Ahrens et al. 2009b Tab 7.4).   Aus den Daten ergibt sich, dass das Fahrrad ein weit verbreitetes Verkehrsmittel ist und von der Mehrheit der in Deutschland lebenden Personen als Verkehrsmittel genutzt wird. Dabei wird es unabhängig von Ausbildungsstand und Einkommenshöhe von Personen jeder Lebensphase genutzt. Es gibt keinen Wegezweck zu dem das Fahrrad nicht Verwendung findet. Die Nutzung des Fahrrads ist abhängig von der Wegelänge. Der Anteil der Radnutzung ist von im Innenstadtbereich von Berlin Wohnenden höher als im übrigen Bundesgebiet, wobei zu beachten ist, dass für Berlin der Modal Split-Anteil für werktags angegeben wird.   Der Modal Split-Wert für das Fahrrad ist am Wochenende für Berlin etwas geringer. Der tatsächliche Unterschied zwischen Berliner Innenstadt und Bundesgebiet wird folglich etwas geringer ausfallen. 121 Die Radfahrenden in der Unfallstatistik 122 Für Deutschland ist die Unfallstatistik des Statistischen Bundesamts maßgeblich. In dieser werden die Zahlen der Beteiligten und Verunglückten im Verhältnis zur Anzahl der Einwohner dargestellt. Diese Betrachtungsweise hat eine nur eingeschränkte Aussagekraft, da keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Gefährdungspotential möglich sind. Um dies zu gewährleisten, müsste die Häufigkeit der Nutzung eines Verkehrsmittels oder noch besser die Anzahl der zurückgelegten Kilometer der Verkehrsmittel, also die Verkehrsleistung, mit in die Statistik eingehen. Vermutlich wird hierauf verzichtet, da eine Ermittlung der Verkehrsleistung mit einigen Unsicherheiten verbunden wäre. Hierfür könnte es nur Annäherungswerte geben. Einwohner und Unfallzahlen sind im Gegensatz dazu eher unverrückbare Fakten. Verunglückte sind in der Unfallstatistik Personen die verletzt oder getötet wurden. Zu beachten ist, dass nicht zwischen Fahrern und Mitfahrern unterschieden wird.   2009 sind deutschlandweit 75.797 Personen mit dem Fahrrad verunglückt. 462 dieser Personen wurden dabei getötet. Bezogen auf die Zahl der Einwohner sind dies 93 Verunglückte pro 100.000 Einwohner und 6 Getötete pro 1 Mio. Einwohner (vgl. Destatis 2010, S. 11). 18,6  % aller verunglückter und 11,1  % aller getöteten Personen im Straßenverkehr 2009 waren mit dem Fahrrad unterwegs (vgl. Destatis 2011, S. 29). Radfahrer scheinen dabei gefährdeter zu sein als Radfahrerinnen. 61  % der verunglückten Radfahrenden sind männlich (berechnet aus Destatis 2010, S. 13) obwohl ihr Anteil bei den mit dem Fahrrad zurückgelegten Wegen mit 51 % geringer ist (vgl. Infas und DLR 2010b, S. 57). Hinsichtlich der Altersgruppen scheinen besonders die 10- bis 14- und 18- bis 29-Jährigen gefährdet zu sein. So werden 2008 beispielsweise 11,9  % der Wege mit dem Fahrrad von den 18- bis 29-jährigen Personen unternommen. Sie machen aber 16,8 % der mit dem Fahrrad 2009 Verunglückten aus (aus Destatis 2010, S. 13, und Infas und DLR 2010b, S. 55, errechnet).   Bei gemeldeten Unfällen mit Personenschaden, bei denen mindestens ein Radfahrender beteiligt war, waren 59  % der Unfallgegner mit einem Pkw unterwegs (siehe Abbildung 6.2). Damit sind Pkw-Nutzende die größte Gruppe mit denen Radfahrende zusammenstoßen und verletzt oder getötet werden. Bei immerhin 17 % der Unfälle sind die Radfahrenden ohne Unfallgegner verunglückt.   Die Wahrscheinlichkeit bei einer Kollision getötet zu werden, ist bei einem Zusammenstoß mit einem Güterkraftfahrzeug am größten. 17,1  % der 2009 bei einem Verkehrsunfall getöteten Radfahrenden kollidierten mit einem Güterkraftfahrzeug (errechnet aus Destatis 2010, S. 14, vgl. hierzu auch Dekra 2011, S. 24). 3% 17 % % 1 % 4 2% All e un in fäl le tige s Fu ß Bu 5% mehrere Beteiligt e Sons zu G üt fa er k h r ra ze f t ug Q uelle : eigene Darstellung nach Destatis 2010, S. 14 Abbildung 6.2: Unfälle mit Personenschaden unter Beteiligung von Radfahrenden 2009 7% Fa h r ra d 2 % Krad 123 59 PKW  % Bei rund 83.000 Unfällen mit Personenschaden und Beteiligung von Radfahrenden zeigten rund 53.000 Radfahrende ein Fehlverhalten. Die häufigsten Fehler wurden bei der Nutzung der Straße gemacht. Hierzu zählen die Missachtung der Benutzungspflicht von Radwegen sowie die Nutzung von Einbahnstraßen oder Radverkehrsanlagen in falscher Fahrtrichtung. Auffällig ist die Abhängigkeit des Fehlverhaltens vom Alter der Beteiligten. Bei jungen Personen spielt die falsche Straßenbenutzung eine große Rolle (siehe Abbildung 6.3).   Fahraufgaben, bei denen auch körperliche Fähigkeiten oder der Wahrnehmung eine Rolle spielen, wie zum Beispiel beim Vorfahrt gewähren oder beim Abbiegen, werden bei den jungen und alten Personengruppen besonders häufige Fehlverhalten festgestellt. Bei den mittleren Altersgruppen ist das Fahren unter Alkoholeinfluss ein Problem. je 1.000 beteiligte Radfahrende QUELLE: eigene Darstellung nach Destatis 2010, S. 18 ABBILDUNG 6.3: Häufigste Fehlverhalten von Radfahrenden bei Unfällen mit Personenschaden 2009 200 Nicht angepasste Geschwindigkeit falsche Straßennutzung Rangieren 150 Vorfahrt Überholen Alkoholeinfluss 100 50 0 124 –15 15–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–74 75+ Altersgruppen Im Vergleich zu den deutschlandweiten Unfallzahlen gibt es in Berlin mehr verunglückte aber etwas weniger getötete Radfahrende. In Berlin sind 2009 141 Radfahrende je 100.000 Einwohner verunglückt und 3 Radfahrende pro 1 Mio. Einwohner getötet worden (vgl. Destatis 2010, S. 11). Die Zahl der getöteten Radfahrenden variiert in Berlin von Jahr zu Jahr stark und ist somit nicht belastbar. Folglich gelten die folgenden Aussagen für die Zeitmarge 2007 bis 2009: In Berlin sind an allen 2007 bis 2009 gemeldeten Verkehrsunfällen nur 3,1 % der Beteiligten Radfahrende. Der Anteil an den Verunglückten, also Verletzten oder Getöteten, ist höher. Der Anteil von den Radfahrenden an den Verunglückten liegt bei 28,7 % (vgl. SenStadt 2010, S. 7). Weitere Unfallzahlen werden von der Berliner Polizei bereitgestellt. Ein Vergleich mit den bundesdeutschen Daten gestaltet sich schwierig, da sich die Polizeidaten auf alle aufgenommenen Verkehrsunfälle beziehen (vgl. PPr Berlin 2011). Die Daten des Statistischen Bundesamts beziehen sich dagegen auf Unfälle mit Personenschäden. Aus den Daten ergibt sich eine hohe Unfallgefährdung für Radfahrende. Dabei sind Männer gefährdeter als Frauen und junge Menschen gefährdeter als Ältere. Die Art des Fehlverhaltens der Radfahrenden ist ebenfalls von deren Alter abhängig. Welche Ursachen für die falschen Verhaltensweisen verantwortlich sind, darüber sollen die in den folgenden Abschnitten zu betrachtenden Forschungsarbeiten nähere Aufschlüsse bieten. Verkehrshandeln Wahl von langfristigen Quellen und Zielen Wahl des Wohnorts Wahl des Arbeitsoder Ausbildungsorts Schaffen von Verkehrsmittelverfügbarkeit (langfristige Wahl des Verkehrsmittels) Mono-/ Multimodal Verkehrsverhalten Motive für Verkehr (kurzfristig) Wahl der Aktivität Wahl des Zielorts Wahl der Zeit Wahl des Verkehrsmittels (kurzfristig) Mono-/Intermodal Wahl des Weges Verkehrsteilnahme soziale Interaktion Fahrverhalten inkl. Regelbeachtung und Risikoverhalten Q uelle : eigene Darstellung Abbildung 6.4: Bestandteile des Verkehrshandelns Radfahrende und die Verkehrshandlung Da die Forschungsarbeiten nach den Bestandteilen des Verkehrshandelns strukturiert werden sollen, ist zunächst eine Definition des Begriffs notwendig. Leider wird der Begriff Verkehrshandeln innerhalb der Verkehrswissenschaften oft synonym mit den Begriffen Mobilitätshandeln, Verkehrsverhalten und Mobilitätsverhalten verwendet und meist nur unzureichend oder unterschiedlich definiert. Eine aufwendig hergeleitete Definition stammt von Franke (vgl. Franke 2001, S. 79 f.), die in modifizierter und ergänzter Form in Abbildung 6.5 dargestellt ist und im Folgenden näher erläutert wird. 125 126 Der Begriff des Verkehrshandelns ist sehr umfassend angelegt. Demnach gehört zum Verkehrshandeln die Wahl des Arbeitsund Ausbildungsplatzes und des Wohnorts dazu. Unter Umständen hängt die Wahl dieser langfristigen Quellen und Ziele von der gewünschten oder bereits bestehenden Verkehrsmittelverfügbarkeit ab, so ist denkbar, dass langfristige Quellen oder Ziele in die Nähe eines Zugangs zum Öffentlichen Verkehr (ÖV) gelegt werden, oder dass Personen auf eine fußläufige Entfernung zwischen Quellen und Zielen Wert legen.   Durch die Wahl des Arbeits- und Wohnorts werden die Wege festgelegt, die in Zukunft bewältigt werden müssen. Um dies tun zu können, nutzen oder beschaffen sich die betroffenen Personen, falls sie ihre Wege nicht zu Fuß zurück legen wollen oder können, Verkehrsmittel, beispielsweise Pkw, Fahrrad oder eine Zeitkarte für den ÖV. Dabei entscheiden sie sich für ein oder mehrere Verkehrsmittel. Bei der Wahl eines Verkehrsmittels wird von Monomodalität, bei der Nutzung mehrerer Verkehrsmittel von Multimodalität gesprochen.   Eher kurzfristig wirkendes Verkehrshandeln nennt Franke Verkehrsverhalten. Darunter fällt zunächst die Entscheidung eine außerhäusige Aktivität durchzuführen. Darauf folgt die Wahl des Zielorts und der Zeit, wann die Aktivität erfolgen soll. Zu beachten ist, dass bei diesen Entscheidungen die Wahl und die Verfügbarkeit des Verkehrsmittels, des Weges oder der Strecke, aber auch anderer Einflussparameter, wie zum Beispiel Wetter, Verkehrsbelastungen durch Stau oder volle Züge, eine Rolle spielen können. Die Wahl des Verkehrsmittels erfolgt bewusst oder unbewusst routiniert und ist abhängig von der Verkehrsmittelverfügbarkeit. Werden für einen Weg mehrere Verkehrsmittel genutzt, liegt eine intermodale Verkehrsmittelnutzung vor. In der Regel fällt die Verknüpfung von zu Fuß gehen und ÖV (noch) nicht unter den Begriff Intermodalität. Je nach gewähltem Verkehrsmittel kann zwischen verschiedenen Strecken gewählt werden.   Sobald die Person den Straßenraum betritt, nimmt sie am Verkehr teil. Nach Franke ist dies ein mit sozialer Interaktion verbundenes Verhalten im öffentlichen Raum (vgl. Franke 2001, S. 79). Eine eingehendere Betrachtung fehlt in ihrer Definition. Einige Studien nutzen für die Beschreibung des Verkehrsteilnahmeverhaltens von Fahrzeuglenkenden die Begriffe Fahrverhalten, Fahrweise oder Fahrstil (vgl. Adelt et al. 1999, Ehrenpfordt 2009, Ellinghaus und Steinbrecher 2003, Maag 2004). Da es zu diesen Begriffen keine allgemeingültige Definition gibt, wurde vom Verkehrswesenseminar zu diesem Zweck eine Bachelorarbeit herausgegeben. Schütze konnte darin darlegen, dass alle drei Begriffe die Art und Weise wie jemand fährt beschreiben. Etwas spezieller sei allerdings der Fahrstilbegriff. »Der Fahrstil ist eine relativ stabile von einem Fahrer gewählte, persönliche, gewohnheitsmäßige und gleichförmige Art und Weise des Fahrens.« (Schütze 2011, S. 24) In Fahrverhalten, Fahrweise und Fahrstil inbegriffen sind die Regelbeachtung und das Risikoverhalten. Die hier beschriebene Definition des Verkehrshandelns soll den folgenden Erkenntnissen der Forschungen als Gerüst für die Einordnung dienen. 127 Verkehrsmittelwahlverhalten In der Erforschung des Verkehrsmittelwahlverhaltens steht in vielen Arbeiten vor allem die Automobilnutzung im Mittelpunkt. Kern der Überlegungen ist dabei, wie die Automobilnutzung, in der Regel um Umwelt und Umfeld zu entlasten, reduziert werden kann. Als Alternative wird hier vornehmlich der Öffentliche Verkehr oder eine Veränderung von Raumstrukturen betrachtet. Rad- aber auch Fußverkehr werden in diesen Arbeiten oft vernachlässigt. Doch dies ändert sich. Seit einigen Jahren befassen sich einige Forschungsarbeiten mit den Gründen für die Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel. Das Forschungsteam um Flade weist in einem ersten Schritt den Einfluss des Umfelds und des Fahrradklimas auf die Fahrradnutzung Die Radfahrenden in der Forschung Zur Beantwortung der eingangs gestellten Fragen sind nicht alle Aspekte des Verkehrshandelns von gleichem Interesse. Da es hier vornehmlich um die Radfahrenden und nicht den Verkehrsteilnehmenden allgemein gehen soll, sind Aspekte wie Wahl des Wohnorts oder Motive für Verkehr weniger bedeutsam. Im Fokus des Interesses steht vielmehr das Verkehrsverhalten der Radfahrenden. Dabei zeigt sich, dass ein Großteil der Studien sich mit der Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel befasst. Ein weiterer Teil beschäftigt sich mit den Themen Wegewahl oder mit der von Radfahrenden bevorzugten Infrastruktur. Hinzu kommen Arbeiten mit den Themen Fahrstil und Regelbeachtung.   Die Forschungsarbeiten zur Verkehrsmittelwahl könnten Aufschluss darüber geben, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das Fahrrad als Verkehrsmittel überhaupt oder öfter genutzt wird. Hieraus könnten erste Anforderungen potenziell oder tatsächlich das Rad Nutzender erarbeitet werden. Die Arbeiten zur Wegewahl und zur bevorzugten Infrastruktur lassen ebenfalls Rückschlüsse auf Anforderungen erwarten. Bei den Betrachtungen zum Fahrstil und zum Regelverhalten könnte die Frage beantwortet werden, ob es Verbindungen zwischen den Anforderungen Radfahrender und ihrem Fahr- und Regelverhalten gibt. 128 mit Hilfe eines Niederlande–Deutschland–Vergleichs mit folgendem Ergebnis nach: deutsche Austauschstudierende nutzen das Fahrrad in den Niederlanden eher als in Deutschland (vgl. Flade et al. 1999). Im zweiten Schritt steht die Fahrradnutzung im Alltagsverkehr von Jugendlichen und Erwachsenen im Mittelpunkt (vgl. Flade et al. 2002). Dabei liegt der Fokus vor allem auf Jugendlichen, da diese die zukünftigen Nutzer der Verkehrsmittel sind und noch am ehesten zu beeinflussen seien. Festgehalten wird, dass die Radnutzung insbesondere von den örtlichen Bedingungen, also der Raumstruktur und dem ÖPNV-Angebot abhängt (vgl. S. 273).   In der Arbeit von Feldkötter wird ein Einfluss der Fahrradinfrastruktur auf die Radnutzung nachgewiesen (vgl. Feldkötter 2003). Das persönliche Gefährdungsempfinden wurde am häufigsten als ein Motiv der Nicht-Fahrradnutzung angegeben. Besonderen Einfluss haben dabei Quantität und Qualität der Radverkehrsanlagen. Ein zu hohes Verkehrsaufkommen wird am häufigsten als Ursache einer hohen Gefährdung genannt. Weitere Ursachen sind »nicht vorhandene Radverkehrsanlagen, Lücken im Radverkehrsnetz, Radverkehrsanlagen im schlechten Zustand und zugeparkte Radverkehrsanlagen« (S. 159).   Deffner bezieht die Elemente Lebensstil, Lebenslage, städtisches Umfeld und baulich-räumliche Strukturen zusätzlich mit ein und entwickelt daraus nicht-motorisierte Mobilitätstypen (vgl. Deffner 2009). Es gibt zwei weitere ähnliche Ansätze, auf die hier kurz eingegangen werden soll, die sich allerdings nur untergeordnet mit dem Radverkehr beschäftigen. In »StadtLeben – Wohnen, Mobilität und Lebensstil« wird der Einfluss des Lebensstils und des Wohnumfelds auf das Verkehrsmittelwahlverhalten und somit auf die Fahrradnutzung untersucht (vgl. Beckmann et al. 2006). Im Fokus des Vorhabens steht allerdings die Pkw- und ÖPNV-Nutzung. In »Mobilitätsstile« (vgl. Götz et al. 1998) sollen Zielgruppen für eine »stadtverträgliche« Verkehrspolitik identifiziert werden. Für die Untersuchungsstädte Freiburg und Schwerin sind fünf bzw. vier Mobilitätsstile aufgestellt worden. Je Mobilitätsstil werden die Motive der Fahrradnutzung oder Nichtnutzung dargestellt.   In den Studien zur Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel wird nachgewiesen, dass die Benutzung des Fahrrads von äußeren Faktoren wie • der Qualität und Quantität der Radverkehrsinfrastruktur (vgl. Feldkötter 2003 S. 159; Flade et al. 1999, S. 23), • von der Raumstruktur (vgl. Beckmann et al. 2006, S. 253 f.; Flade et al. 2002, S. 279), • dem ÖPNV-Angebot (vgl. Flade et al. 2002, S. 279), • von gesellschaftlichen Normen (vgl. Flade et al. 1999, S. 23), • vom Verkehrsklima (vgl. Flade et al. 1999, S. 23) und von individuellen Faktoren wie • eigenen Einstellungen (vgl. Deffner 2009, S. 230; Flade et al. 2002, und Normen (vgl. Flade et al. 2002, S. 279), Verkehrsmittelwahl des Umfelds (vgl. Flade et al. 2002, S. 279), Nationalität (vgl. Flade et al. 2002, S. 279), Geschlecht (vgl. Feldkötter 2003, S. 132 f.; Flade et al. 2002, S. 279) und • Alter (vgl. Feldkötter 2003, S. 132 f.; Flade et al. 2002, S. 279) abhängt • • • • S. 279; Götz et al. 1998, S. 5) Bevorzugte Verkehrsinfrastruktur und Wegewahl Ein weiteres Feld der Radverkehrsforschung ist die Ermittlung der von den Radfahrenden bevorzugten Infrastruktur bis hin zur Wegewahl. In einer für die Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) durchgeführten Studie wird die Attraktivität von Radverkehrsführungen auf der Strecke untersucht (vgl. Alrutz et al. 1998). Je nach Persönlichkeit werden baulich im Seitenraum angelegte Radwege oder auf der Fahrbahn markierte Radfahrstreifen bevorzugt. Wobei die Mehrheit der Befragten sich für Radwege entscheidet. Erschließungsstraßen, selbstständige Wege und Fahrradstraßen gelten als besonders attraktiv.   Auf ähnliche Rückschlüsse kommt Zimber. Bei seiner Untersuchung stellt er fest, »dass gut ausgebaute und allein für Radfahrer verfügbare Wege beim Nutzer am besten ankommen« (Zimber 1995, S. 21). Darüber hinaus weist er eine Abhängigkeit von der Wahl der Infrastruktur oder Wegewahl und den Motiven des Radfahrens nach. Zum Beispiel legen Radfahrende, die im Mischverkehr auf der Fahrbahn unterwegs sind, größeren Wert auf zügiges Vorankommen als auf Sicherheit vor Unfällen. In einer neueren Arbeit (vgl. Hagemeister 2009) wurde nach Einschätzungen zu den Radverkehrsführungen Radfahrstreifen, Radweg und für Radfahrende freigegebener Gehweg gefragt. Wesentliche Ergebnisse sind, dass stärker fahrbahnorientierte Radfahrende, also Personen die im Zweifelsfall eher die Kfz-Fahrbahn nutzen, höhere Qualitätsanforderungen an Radverkehrsführungen haben und das die Nutzung von für Radfahrende freigegebene Gehwege nicht auf einer guten Bewertung basiert. Hinsichtlich der unterschiedlichen Anforderungen von Radfahrenden resümiert Hagemeister: »Auf der einen Seite stehen Radfahrer, die auch im dichten Verkehr auf der Fahrbahn fahren möchten, auf der anderen Seite solche, die sich nur fern von Kfz auf dem Gehweg sicher fühlen« (Hagemeister 2009, S. 24).   An der TU Dresden wurde zuvor erforscht, was eine aus Sicht von Radfahrenden attraktive Route ausmacht (vgl. Hagemeister und Schmidt 2004, Schmidt 2002). 129 Besonders wichtig sind den Befragten ein guter Oberflächenbelag und abgesenkte Bordsteinkanten, eine zügige Führung ohne häufige Halte oder lange Wartezeiten, gute Sicht an Kreuzungen und Hindernisfreiheit. Die Mehrheit der Befragten bevorzugt eine Separation des Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr. Auch in der bereits erwähnten Arbeit von Feldkötter wird auf die von Radfahrenden bevorzugte Infrastruktur eingegangen. Feldkötter stellt vier Präferenztypen dar. Diese legen besonderen Wert entweder auf eine gute Infrastruktur für den fließenden Radverkehr, für den ruhenden Verkehr, auf eine hohe Verkehrssicherheit oder auf die Möglichkeit des schnellen Vorankommens (vgl. Feldkötter 2003, S. 191).   In einer weiteren Studie für die Bundesanstalt für Straßenwesen werden die Präferenzen speziell von älteren Radfahrenden ermittelt (vgl. Steffens et al. 1999, S. 133). Diese meiden komplexen, dichten Verkehr und suchen eher ungefährlichere Wege. Aus diesem Grund bevorzugen sie bauliche Radwege. Mit der Wegewahl unter Berücksichtigung der Wegelänge beschäftigt sich die Dissertation von Conrad (vgl. Conrad 1995). In dieser weißt er einen Einfluss der Infrastruktur und des Umfelds auf die Wegewahl nach.   Im Ergebnis wird deutlich, dass Radfahrende unterschiedliche Anforderungen an die Radverkehrsinfrastruktur und das Umfeld haben und dass sie ihre Wegewahl von dieser abhängig machen. In den vorliegenden Studien wird allerdings meist nicht deutlich, aus welchem Grund die betrachteten Radfahrenden bestimmte Infrastrukturlösungen bevorzugen. So kann die positive Bewertung eines baulichen Radwegs verschiedene Gründe haben. Ein Grund könnte ein besseres subjektives Sicherheitsgefühl, da keine Kfz dicht überholen, ein anderer stressfreieres Fahren sein. Die tatsächlichen Anforderungen lauten also nicht baulicher Radweg, sondern ausreichender Abstand zum Kfz-Verkehr oder ruhige Verkehrsführung. Um beide tatsächlichen Anforderungen zu erfüllen, ist nicht zwingend ein baulicher Radweg notwendig. In den meisten Studien werden folglich bevorzugte Lösungen und keine ursächlichen Anforderungen betrachtet. 130 Fahrstil Einige wenige Untersuchungen beschäftigen sich speziell mit dem Fahrstil von Radfahrenden. Die umfangreichste Studie stammt aus der Schweiz (vgl. Hebenstreit und Hürliman 1996). In der Studie werden zunächst Fahrstiltypen für Autofahrer ermittelt. Im zweiten Schritt wird dargelegt, dass sich die Typisierung auch auf Radfahrende übertragen lässt. Es werden sechs Fahrstile dargestellt: Der ruhig-ausgeglichene, aktiv-dynamische, sportlich-ambitionierte, affektiv-unausgeglichene, unsicher-unge- schickte und der aggressive Fahrstil. Pro Fahrstiltyp werden folgende Fahrverhalten näher betrachtet: Spurverhalten, Geschwindigkeitsverhalten, Orientierungsverhalten, Kommunikationsverhalten, konflikthafte Konfrontationen und Beachtung von Verkehrsregeln. Ob diese Fahrverhaltensweisen Einfluss auf die Typenbildung haben, wird aus der Veröffentlichung nicht ersichtlich.   In einer Diplomarbeit an der Hochschule Karlsruhe wird der Fahrstil aus den Kategorien Reaktionsfähigkeit, Komfortbedürfnis, Fahrtgeschwindigkeit und paralleler Platzbedarf gebildet (vgl. Patzelt 2006). Im Ergebnis stehen die drei Gruppen schutzbedürftig, sicherheitsbetont und risikofreudig. In der bereits erwähnten Studie über ältere Verkehrsteilnehmer wird ebenfalls auf das Fahrverhalten eingegangen. Dabei geht es vor allem um »die Art der Fahrzeugbenutzung, das Ausmaß der Fahrfehler bei den einzelnen Fahraufgaben, um das Orientierungs-, Kommunikations- und Bewegungsverhalten sowie um die Bewältigung altersbedingter Beeinträchtigungen beim Fahrradfahren.« (Steffens et al. 1999, S. 135) In anderen Publikationen ist der Fahrstil eher ein Nebenprodukt. So wird beispielsweise in der Studie zu den Mobilitätsstilen festgestellt, dass in Freiburg »die Risikoorientierten Autofans zugleich auch risikoorientierte RadfahrerInnen sind« (Götz et al. 1998, S. 64). Umfassende Untersuchungen zum Fahrstil Radfahrender gibt es in Deutschland nicht. In der Schweizer Studie ist eine Verknüpfung zu den Anforderungen von Radfahrenden nur rudimentär vorhanden und erschöpft sich in der Aussage, dass die Zustimmung zu der Behauptung ‚es gibt zu wenig Radwege‘ je nach Fahrstiltyp zwischen 69  % und 90  % variiert (vgl. Hebenstreit und Hürliman 1996, S. 143). Insgesamt fehlt es also an Kenntnissen über das Fahrverhalten und den Fahrstil von Radfahrenden. Regelbeachtung Ein Teilaspekt des Fahrstils findet in der Forschungslandschaft besondere Aufmerksamkeit: die Regelbeachtung oder vielmehr die Regelmissachtung durch Radfahrende. Dabei gibt es Studien, die sich darauf beschränken, den Umfang der Regelverstöße aufzunehmen, und Studien, die auch nach den Gründen für die Nichteinhaltung der Regeln fragen. Im ersten Fall gibt es Arbeiten, in denen das Regelverhalten an Knotenpunkten (vgl. Angenendt 1984, Ketterer 1990) beobachtet oder ganz allgemein nach der Regelbeachtung gefragt (vgl. Gehlert 2009) wird. Etwas deutlicher werden bei einer Studie von Ellinghaus und Steinbrecher die Beweggründe von Radfahrenden. Hier wird immerhin, wenn auch standardisiert, nach Einschätzung der Gefährlichkeit, Unsicherheitsgefühlen und Regelkenntnissen gefragt (vgl. Ellinghaus und Steinbrecher 1993).   Für Freiburg gibt es eine Studie (vgl. Fuchs und Preiffer 2009), 131 132 in der die Einstellungen der Radfahrenden zu Verkehrsregeln, sowie die Regelkenntnisse und -befolgung durch Radfahrende dargestellt und mit denen der Studie von Ellinghaus und Steinbrecher verglichen werden. Die Autoren resümieren, »dass eine deutliche Mehrheit der Radfahrer eine positive und grundsätzlich bejahende Grundhaltung zu den geltenden Verkehrsregeln besitzt und in der Einhaltung der Verkehrsregeln einen Beitrag zur Erhöhung der persönlichen Verkehrssicherheit sieht. Allerdings stellt eine nicht unerhebliche Minderheit eine strikte Befolgung der Verkehrsregeln in Frage und äußert, Spaß an riskantem Verkehrsverhalten zu haben.« (S. 57) Strafen hätten keinen Einfluss auf die Regelbeachtung. Vielmehr sei es so, dass Sinn und Zweck von Regeln erkennbar sein müssen, da Personen, die Angaben, dass die Einhaltung von Regeln ein Gewinn an Sicherheit bringt, eher Regeln eingehalten haben. Die Bekanntheit von Regeln hat bis auf den Fall »mit Fahrrad auf Gehweg fahren« keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Übertretungen. Größeren Einfluss haben dagegen einige Einstellungen von Radfahrenden. Dies trifft vor allem auf die Aussage »Beim Radfahren macht es mir Spaß, auch mal etwas riskanter zu fahren« zu (vgl. S. 58).   Stärker auf die Motive von Radfahrenden bei der Beachtung von Regeln gehen zwei Arbeiten beauftragt von der BASt (vgl. Alrutz et al. 2009, Kuller et al. 1986) ein. Hier geben Radfahrende unmittelbar nach ihrer Regelmissachtung Auskunft über ihre Gründe der Missachtung. Diese Gründe berühren dabei das unmittelbare Fehlverhalten, so wird beispielsweise bei der Benutzung von Radwegen in falscher Richtung oft das Erreichen eines nah gelegenen Ziels oder Zwischenziels und der sonst notwendige Umweg als Grund für die Regelmissachtung angegeben. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Regelmissachtung in diesem Zusammenhang unbewusst geschieht und heruntergespielt wird: »Nur ein kurzes Stück« (Kuller et al. 1986). Sehr intensiv beschäftigt sich Pauen-Höppner in einer Studie Ende der 80er Jahre mit der sicheren Fahrradnutzung (vgl. Pauen-Höppner 1991). Dabei werden Probanden bei drei Fahrten beobachtet und später intensiv befragt. Ein durchweg regelgerechtes Handeln wird keinem Radfahrenden attestiert. Es wird deutlich, dass Radfahrende eigene Vorstellungen haben, wann sie welche Regeln einhalten und wann nicht. In der Studie werden aufgrund der Beobachtungsergebnisse drei Cluster von Radfahrenden gebildet: hinsichtlich der Einhaltung von Regeln eher abweichende, eher angepasste oder eher auffällige Radfahrende. Darüber hinaus gibt es einige Studien, die die Regelbeachtung quasi nebenbei behandeln. So in der bereits erwähnten Studie über ältere Radfahrende (vgl. Steffens et al. 1999). In dieser wird unter anderem herausgefunden, dass ältere Radfahrende zwar regelorientierter Handeln als Jüngere, sie sich aber durchaus an einem eigenen Verständnis von Regeln orientieren. Die Regelbeachtung von Radfahrenden wird auf vielfältige Art und Weise beleuchtet. Dabei sind die Motive der Regelmissachtung unterschiedlich. Es wird gezeigt, dass als sinnvoll und zweckmäßig empfundene Regeln auch eingehalten werden. Eine Verknüpfung zu den Anforderungen von Radfahrenden an die Infrastruktur fehlt allerdings bislang. Schlussfolgerungen Wie in der Einleitung ausgeführt, sollen die Fragen • Warum missachten Radfahrende Verkehrsregeln? • Welche Anforderungen haben Radfahrende an die Infrastruktur? beantwortet werden. Dazu werden Mobilitätsstudien, Unfallstatistiken und Forschungsarbeiten herangezogen. Aus den Mobilitätsstudien und den Unfallstatistiken ergeben sich zwar einige interessante Fakten, zum Beispiel dass die Art des Fehlverhaltens vom Alter abhängt. Zur Beantwortung der Fragen helfen die Erkenntnisse allerdings wenig. Wie erwartet ergeben sich aus den Forschungsarbeiten vielfältigere Erkenntnisse. Sowohl bei den Untersuchungen zur Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel als auch bei den Untersuchungen zur Wegewahl und bevorzugten Infrastruktur werden zahlreiche Infrastrukturwünsche aufgezeigt. Allerdings mit einem Manko, nur selten wird deutlich, welche tatsächlichen Anforderungen hinter diesen Wünschen stecken. Dabei ist wichtig zu beachten, dass Radfahrende keine homogene Gruppe sind, das heißt die Radfahrerin oder den Radfahrer, wie in der Öffentlichkeit gerne tituliert, gibt es nicht. Dies wird besonders an den unterschiedlichen Anforderungen der Radfahrenden an die Infrastruktur deutlich. In den Forschungsarbeiten werden vor allem drei Gruppen immer wieder genannt. Eine Gruppe bevorzugt eher besonders sichere Strecken, eine besonders schnelle und eine andere bevorzugt besonders gute bauliche Strukturen. Diese Anforderungen widersprechen sich zum Teil, so dass unterschiedliche bauliche und rechtliche Lösungen notwendig wären, um allen Anforderungen zu entsprechen. Als Teil des Fahrverhaltens erfreut sich die Regelmissachtung von Radfahrenden bei den Forschenden einer regen Beachtung. Welche Regeln wie oft missachtet werden und aus welchen unmittelbaren Gründen ist genauestens bekannt. Aussagen zu tiefergehenden Motiven erschöpfen sich allerdings vielfach in Vermutungen. Dennoch wird auch hier die Unterschiedlichkeit der Radfahrenden deutlich. 133 Die Schlussfolgerung, dass auch nicht erfüllte Anforderungen für das Fehlverhalten verantwortlich sind, wird nur von wenigen Untersuchungen gezogen. Ein Nachweis fehlt.   Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen? Regelmissachtungen von Radfahrenden sind ein schwerwiegendes Problem, dem alleine mit Sanktionen nicht beizukommen ist. Ein Teil dieser Missachtungen kann durch eine verbesserte Verkehrsplanung reduziert werden. Hierzu müssen die Anforderungen aller Radfahrender berücksichtigt werden. Diese sind sehr vielfältig.   Für die Überprüfung der bekannten planerischen Lösungen sollte daher eine Typologie von Radfahrenden entwickelt werden, die sowohl die unterschiedlichen Anforderungen als auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Radfahrenden berücksichtigt. Die Entwicklung einer solchen Typologie von Radfahrenden ist ein Ziel der zurzeit in Bearbeitung befindlichen Dissertation. Quellenverzeichnis 134 Adelt, Peter J. ; Grimmer, Werner und Stephan, Ekkehard R., 1999: »Autofahrer-Typen auf Deutschlands Straßen : Sicher Direct Studie '97«. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW, 1999 Ahrens, Gerd-Axel ; Ließke, Frank ; Wittwer, Rico und Hubrich, Stefan, 2009a: »Endbericht zur Verkehrserhebung ›Mobilität in Städten – SrV 2008‹ in Berlin«. Dresden, 2009a Ahrens, Gerd-Axel ; Ließke, Frank ; Wittwer, Rico und Hubrich, Stefan, 2009b: »Endbericht zur Verkehrserhebung ›Mobilität in Städten – SrV 2008‹ in Berlin: Ergebnistabellen – Werktag, außerhalb des großen Hundekopfs«. Dresden, 2009b Ahrens, Gerd-Axel; Ließke, Frank; Wittwer, Rico und Hubrich, Stefan, 2009c: »Endbericht zur Verkehrserhebung ›Mobilität in Städten – SrV 2008‹ in Berlin: Ergebnistabellen – Werktag, innerhalb des großen Hundekopfs«. Dresden, 2009c Alrutz, Dankmar ; Bohle, Wolfgang ; Hacke, Ulrike ; Lohmann, Günter ; Müller, Holger und Prahlow, Heike, 2009: »Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern«. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW, 2009 Alrutz, Dankmar ; Bohle, Wolfgang und Willhaus, Elke, 1998: »Bewertung der Attraktivität von Radverkehrsanlagen«. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW, 1998 Angenendt, Wilhelm, 1984: »Führung des Radverkehrs im Innerortsbereich : Teil 3: Knotenpunkte«. Bergisch Gladbach: BASt, 1984 Bartsch, Matthias ; Berg, Stefan ; Book, Simon ; Deggerich, Markus ; Gitschier, Laura ; Heckel, Manuel ; Hornig, Frank ; Kleinhubbert, Guido; Müller, Peter und Sontheimer, Michael, 2011: Das Blech des Stärkeren. In: »Der Spiegel«, 2011, Nr. 37, S. 66–75 Beckmann, Klaus J.; Hesse, Markus; HolzRau, Christian und Hunecke, Marcel (Hrsg.), 2006: »StadtLeben – Wohnen, Mobilität und Lebensstil: Neue Perspektiven für Raumund Verkehrsentwicklung«. 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In: »Zeitschrift für Verkehrssicherheit«, 41, 1995, Nr. 3, S. 18–23 Kapitel 7 Regelwidriges Verhalten im Fahrradverkehr Marc Thomsen Inhalt: Gefahrenpotential im Fahrradverkehr Regelwidriges Verhalten Verkehrsrelevantes Wissen Interpretation einer abstrakten Verkehrsordnung Die Anonymität der Radfahrenden Die Konformität der Radfahrenden Fazit 137 75.711 67.735 1979 getötete Radfahrende getötete Fußgehende 462 591 32.238 verunglückte Fußg. verunglückte Radfahrende 3.885 getötete Fußgehende getötete Radfahrende 1.357 verunglückte Fußgehende 51.819 Q uelle : Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2010 Abbildung 7.1: Verunglückte Fußgehende und Radfahrende seit 1979 in Deutschland verunglückte Radfahrende Gefahrenpotential im Fahrradverkehr 138 Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Fahrradfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern. Mitte September 2011 titelte der ›Tagesspiegel‹: »Radfahren in Berlin wird immer gefährlicher« (Tagesspiegel 2011). Anstoß hatte die Veröffentlichung der Unfallzahlen des Statistischen Landesamtes gegeben. Demnach war die Zahl der Unfälle mit Personenschaden, an denen Radfahrer beteiligt waren, um 20 Prozent gestiegen. Während im Gleichen Zeitraum des Vorjahres 1.972 Fälle verzeichnet wurden, waren 2011 bereits 2.400 Vorfälle gemeldet (Tagesspiegel 2011).   Bei eingehender Betrachtung der Unfallzahlen, die in Abbildung 7.1 dargestellt sind, fällt die saisonale Abhängigkeit auf. Obwohl die Wetter-, beziehungsweise Sichtverhältnisse im Hochsommer besser sind, verunglücken in diesem Zeitraum wesentlich mehr Radfahrer. 2009 Das ist ein Indiz dafür, dass das erhöhte Fahrradverkehrsaufkommen ein beträchtliches Gefahrenpotential birgt. Überträgt man diese Problematik auf den Fahrradverkehr im Allgemeinen, müsste man zu dem Schluss kommen, dass die erfolgreiche Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland ausschlaggebend für die Zunahme der Unfallzahlen ist. Im Wiederspruch dazu steht die folgende Statistik. Demnach konnten bauliche, erzieherische und rechtliche Maßnahmen, die seit 1979 umgesetzt wurden, zu einer Minderung der tödlich verunglückten Radfahrer beitragen. Die Zahl der verletzten Radfahrer steigt also kontinuierlich an, aber deren Heftigkeit ist geringer.   Die Werte in Abbildung 7.2 veranschaulichen zum einen den dringenden Handlungsbedarf zur Förderung der Straßenverkehrssicherheit, zum anderen, dass im Fahrradverkehr ein erhebliches Gefahrenpotential existiert, das nicht von bisher ergriffenen Maßnahmen abgedeckt wird. 565 555 447 710 626 763 358 1049 Q uelle : Eigene Darstellung nach PPr Berlin 2011, S. 14 Abbildung 7.2: Anzahl der Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden 515 Dez. Nov. Okt. Sep. Aug. 57 Anzahl der Verunglückten Jul. Jun. Mai Apr. 921 Mär. Feb. Jan. 65 364 Durchschnittliche Anzahl der Verunglückten je Monat In dieser Ausarbeitung sollen Gründe und Zusammenhänge für die steigenden Unfallzahlen gefunden werden. Den Ausgangspunkt für die Argumentation bildet die Annahme, dass regelwidriges Verhalten der Radfahrer und deren Wissensstand bezüglich der Verkehrsregeln vermehrt zu Konflikten führt. Es soll aus verkehrspsychologischer Sicht geklärt werden, wie es im Einzelnen und bei Gruppen von Radfahrenden zu regelwidrigem Verhalten kommt. In diesem Zusammenhang spielt auch die Problematik der Identifizierbarkeit von Radfahrenden eine zentrale Rolle. Abschließend sollen Lösungsansätze gefunden und diskutiert werden, die eine sichere Gestaltung des städtischen Verkehrs bei gleichbleibender Förderung des Fahrradverkehrs ermöglichen. 139 Regelwidriges Verhalten 140 In einer Folgerung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bezüglich des Fehlverhaltens von Radfahrenden aus dem Jahr 1986, heißt es: »Die derzeitige Situation macht es unbedingt erforderlich, regelkonformes Verhalten zu fördern. Hierfür spricht vor allem die verbesserte Sicherheit bei einem allgemeinen regelkonformen Verhalten.« (BASt 1986, S. 173). Die BASt stellt demnach einen Zusammenhang zwischen der Straßenverkehrssicherheit und dem regelkonformen Verhalten der Radfahrer her. Dessen ungeachtet wurde vornehmlich mit infrastrukturellen Maßnahmen, wie der Einführung von Fahrradstreifen, eine »Sensibilisierung« (vgl. BFU/FVS 2005, S. 52) des städtischen Verkehrs zu Gunsten der Radfahrer realisiert. Auf diese Weise konnte die Straßenverkehrssicherheit erhöht (siehe Abb. 7.1) und gleichzeitig zur Förderung des Fahrradverkehrs beigetragen werden. Das regelwidrige Verhalten der Radfahrenden bleibt, wie folgende Stichprobe des ›ADAC‹ verdeutlicht, nach wie vor ein Problem: »Eine bundesweite Stichprobe des ›ADAC‹ in elf deutschen Städten hat ergeben, dass zu viele Radfahrer es mit der Beleuchtung ihrer Fahrräder nicht allzu ernst nehmen. Danach fuhren knapp 40 Prozent aller Radler bei Dunkelheit ohne Licht – teils weil das Fahrrad über keine funktionierende Beleuchtung verfügte, teils weil vorhandenes Licht nicht eingeschaltet war. Bei weiteren zwölf Prozent fehlten Scheinwerfer oder Schlussleuchte. Weniger als die Hälfte war mit vorschriftsmäßig beleuchteten Fahrrädern und so mit der gebotenen Sicherheit unterwegs. Überprüft wurden mehr als 1.500 Radfahrer auf Radwegen an vielbefahrenen Kreuzungen.« (ADAC 2009) Wenig überraschend fällt dementsprechend die Empfehlung eines Arbeitskreises des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages aus dem Jahr 2009 mit dem bezeichnenden Titel »Radfahren im rechtsfreien Raum?« aus: »2. Nach allen Empfehlungen der Polizei und neuesten empirischen Erkenntnissen ist die mangelnde Normenakzeptanz bei Radfahrern (…) in gefahrträchtigen Situationen festzustellen.(…) diese Erkenntnisse sind bei der Verkehrsaufklärung/ Verkehrserziehung, der Verkehrsplanung und nicht zuletzt bei der Verkehrsüberwachung zu berücksichtigen. (…)« (Deutscher Verkehrsgerichtstag 2009, S. 8). Die hier angesprochene mangelnde Normenakzeptanz steht in direktem Zusammenhang mit einem regelwidrigen Verhalten. Das zuvor angeführte Beispiel, bezüglich der Fahrradbeleuchtung, veranschaulicht diese Problematik: Die Vorgaben hinsichtlich der verkehrstauglichen Ausstattung werden von vielen Radfahrern nicht beachtet, und das, obwohl die Missachtung dieser Normen mit Bußgeldern zwischen 10 und 25 Euro geahndet wird (vgl. ADFC 2009). »8. Der Arbeitskreis sieht darüber hinaus weiteren Diskussionsbedarf, insbesondere zur Problematik der Identifizierbarkeit von Radfahrern, sowie der Gewährleistung, dass nur Fahrräder mit zeitgemäßer technischer Ausstattung am Straßenverkehr teilnehmen«. (Deutscher Verkehrsgerichtstag 2009, S. 8) Das regelwidrige Verhalten der Radfahrer stellt damals, wie heute, ein Problem für die Straßenverkehrssicherheit dar. Es ist nicht auszuschließen, dass das erhöhte Fahrradverkehrsaufkommen eine Zunahme von Fehlverhalten im Verkehr zur Folge hat, und dementsprechend mit der steigenden Zahl an verunglückten Radfahrern in Verbindung steht. Regelabweichendes Verhalten seitens der Radfahrer ist demnach nicht, oder nur im Speziellen, auf Regelunkenntnis zurückzuführen. Im Gegenteil ist, wie Alrutz feststellt, davon auszugehen, dass sich die Radfahrenden ihres unrechtmäßigen Verhaltens sehr wohl Verkehrsrelevantes Wissen Um die Straßenverkehrssicherheit zu erhöhen, gilt es also, das regelwidrige Verhalten der Radfahrenden drastisch zu senken. Hierfür ist es erforderlich, Ursachen dieses Handelns zu finden und zu beseitigen. Um zu ermitteln, in wie weit (früh)erzieherische Maßnahmen hierfür geeignet sind, gilt es die Verkehrserziehung beziehungsweise den daraus resultierenden Wissensstand eingehender zu betrachten. Die Bundesanstalt für Straßenwesen kommt diesbezüglich zu folgender Einschätzung: »Unter den Radfahrern gibt es einen hohen Anteil von Führerscheinbesitzern, je nach Altersgruppe bis zu 90 Prozent und mehr, welche die wichtigsten Vorschriften kennen müssten.« (BASt 2009, S.8) Ferner haben Verkehrs- und Mobilitätserziehungsinitiativen, die vornehmlich an Grund- und weiterführenden Schulen durchgeführt werden, eine langjährige Tradition.   Was bisher angenommen wurde, nämlich dass die meisten Fahrradfahrer über grundlegendes Wissen bezüglich der Verkehrsregeln verfügen, spiegelt sich in verschiedenen Quellen wider. In der Schweiz kam die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) 2005 im Rahmen einer Risikobeurteilung zu dem Schluss, dass mangelndes verkehrsrelevantes Wissen im Radverkehr kaum verbreitet ist (vgl. BFU /FVS 2005, Tabelle 32) und für eine Forschungsarbeit im Rahmen der BASt wurden 800 Fahrradfahrende an verschiedenen Verkehrsknotenpunkten interviewt. Dabei wurde deutlich, dass »die Verkehrsregeln im Allgemeinen gut bekannt [sind]. Stattdessen besteht sogar ein ausgeprägt deutliches Bewusstsein für Regelübertritte.« (Alrutz 2009, S.225) 141 bewusst sind. Dementsprechend ist die Verkehrserziehung nicht die Ursache eingangs erörterter Problematik und als primären Lösungsansatz auszuschließen, denn Die Kenntnis der Verkehrsregeln hält viele Radfahrer offenbar nicht davon ab, sich bewusst regelwidrig zu verhalten. Interpretation der abstrakten Verkehrsordnung 142 Die StVO bildet neben dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) und der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) die gesetzliche Grundlage für den öffentlichen Straßenverkehr. Sie ist eine Rechtsverordnung, die Regeln für sämtliche Teilnehmer am Straßenverkehr festlegt. Für den Fahrradverkehr sind dabei nach aktuellem Stand insgesamt 18 Paragraphen relevant. Bereits 1986 kam die BASt zu folgender Bewertung: »Die Grundsätze der Übersichtlichkeit und Leichtverständlichkeit werden in der StVO weitestgehend nicht erfüllt.« (BASt 1986, S. 177) Trotz diverser Empfehlungen der BASt (vgl. BASt 1986, S. 178 f.) und anhaltendem politischem Engagement des ›Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs‹ (ADFC) (vgl. ADFC 2011) hat sich die StVO im Hinblick auf den Fahrradverkehr seit 1986 kaum verändert. Als Problematisch werden vor allem Regelungen bezüglich der Nutzungspflicht von Fahrradwegen, sowie Verkehrsknotenpunkte wie Kreuzungen und Fußgängerüberwege bewertet.   Betrachtet man die erwähnten Paragraphen eingehender, fällt neben der Unübersichtlichkeit ein gewisser Interpretationsspielraum auf. Beim Vorgang des Rechts-Überholens heißt es beispielsweise: »Ist ausreichender Raum vorhanden, dürfen Radfahrer und Mofa-Fahrer Fahrzeuge, die auf dem rechten Fahrstreifen warten, mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht rechts überholen.« (StVO, § 5 Abs. 8) Die Radfahrenden müssen also entscheiden, ob »ausreichend Raum« vorhanden ist und welche Geschwindigkeit beim Überholvorgang angebracht ist. Aufgrund der Dynamik des Fahrradverkehrs erscheinen diese Spielräume auf den ersten Blick sinnvoll oder zumindest notwendig, allerdings werden Radfahrende dadurch animiert die Verkehrsregeln situationsbedingt auszulegen. Udo Weiss, leitender Polizeidirektor des Polizeipräsidiums Münster, formulierte diesen Sachverhalt im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema »Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern« wie folgt: »Der Interpretationsspielraum der Straßennutzung ist nahezu unbegrenzt (…). Die für das gedeihliche Zusammenleben geschaffenen Normen werden individualisiert.« (Weiss 2009, S. 112) Problematisch sieht Weiss die Tatsache, dass Radfahrern bei der Individualisierung keine Grenzen gesetzt sind. Das es vor diesem Hintergrund zu regelwidrigem Verhalten kommt, erklärt die BASt folgendermaßen: »Mit dem regelabweichenden Verhalten sorgen Radfahrer im Augenblick für konkrete Selbsthilfe; die Selbsthilfe hat für sie in diesem Augenblick höhere Bedeutung als die Befolgung einer Abstrakten Verkehrsordnung.« (BASt 1986, S. 99) Demnach entscheidet jeder Radfahrer situationsbedingt, ausgehend von einer abstrakten Verkehrsordnung beziehungsweise seiner individuellen Interpretation, welches Verhalten angebracht ist. Wie im vorherigen Kapitel festgestellt, sorgen Radfahrer in bestimmten Situationen für konkrete Selbsthilfe. Entscheidend ist in solch einem Fall die Motivation des Handelnden. Geht man davon aus, dass Radfahren oft als Nebensache betrachtet wird, nämlich mit möglichst geringem Aufwand und so schnell wie möglich einen bestimmten und meist bekannten Weg zurückzulegen (Vgl. BASt 1986, S. 115) hätte entsprechend die Schnelligkeitsdimension wesentlichen Einfluss auf das Handeln des Radfahrenden. Dieser würde die StVO folglich so zweckmäßig wie möglich auslegt oder nicht beachtet. Blockiert beispielsweise ein parkendes Auto den Fahrradweg, begeht der Radfahrende beim Ausweichen auf den Gehweg eine Regelwidrigkeit, sofern er nicht absteigt und das Fahrrad um das Hindernis schiebt. Dies wäre dann eine zweckmäßige Auslegung mit der Motivation keine Zeit verlieren zu wollen. Wie Weiss anmerkt sind Radfahrenden bei der Individualisierung Die Anonymität der Radfahrenden Laut Gesetz muss jeder Staatsbürger, der das sechzehnte Lebensjahr erreicht hat, einen gültigen Ausweis besitzen und ihn auf Verlangen einer dazu berechtigten Behörde, vorzeigen (vgl. PAuswG, §1 Abs. 1). Eine allgemeine Mitführpflicht besteht in Deutschland nicht. Im Straßenverkehr sind Radfahrer demnach anonym unterwegs, sofern sie nicht zufällig einen Ausweis mitführen. Im Folgenden wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der Problematik der Identifizierbarkeit von Radfahrern und der hohen Zahl an Regelwidrigkeiten im Fahrradverkehr. Ausgegangen wird von verkehrspsychologischen Überlegungen bezüglich einzelner Fahrradfahrer. 143 144 von Verkehrsregeln keine Grenzen gesetzt. Entsprechend handeln sie gemäß ihrem Verständnis von Rechtschaffenheitspflicht. Aufgrund der Tatsache, dass Radfahrer im Verkehr anonym sind, ergibt sich folgende Problematik: »Anonymität (…) kann zu einer Reduktion der öffentlichen Selbstaufmerksamkeit führen. Reduktion der öffentlichen Selbstaufmerksamkeit führt zu einer verringerten Rechtsschaffenspflicht.« (Bierhoff 2006, S. 430)   Die Verringerung der Rechtschaffenheitspflicht durch Anonymität birgt ein beträchtliches Gefahrenpotential. Am deutlichsten wird dies bei der Anzahl an nicht verkehrstauglich ausgestatteten Fahrrädern. Erschwerend kommt hinzu, dass Ahndungen im Fahrradverkehr kaum durchführbar sind: »(…) wenn ein Radfahrer von der Polizei angehalten wird, stellt sich nicht selten folgender Automatismus ein: Keinen oder unglaubwürdigen Angaben zur Person folgt die Angabe, dass keine Identifikationspapiere mitgeführt werden. Die nun eintretende Rechtsfolge ist die Durchsuchung der Person zum Zwecke der Identitätsfeststellung. Verläuft diese negativ, erfolgt ein Mitführen zur Wache zwecks Personalien Feststellung und das alles im öffentlichen Raum unter den Augen zahlreicher Passanten. Die Kausalität der Ereignisse sind Beschwerden und Leserbriefe, die die Nichteinhaltung der Verhältnismäßigkeit konstatieren.« (Weiss 2009, S. 115) Die Anonymität stellt im Hinblick auf das Fehlverhalten der Radfahrer ein Problem dar. Durch die reduzierte Rechtschaffenheitspflicht kommt es häufig zu Regelwidrigem Verhalten, für das sich Radfahrer nur selten verantworten müssen. Dies scheint sich auch durch Befragungen zu bestätigen, bei denen Radfahrer interviewt wurden, nachdem sie regelwidrig gehandelt hatten. Da heißt es beispielsweise, man halte sich an »allgemeine Gepflogenheiten« (BASt 1986, S. 79). Dabei sind »allgemeine Gepflogenheiten« das Endergebnis der grenzenlosen Individualisierung, wie Weiss sie beschreibt. Also Regelwidriges Verhalten, das nicht mehr als solches wahrgenommen, beziehungsweise verharmlost wird. Kolonnen von Radfahrenden entstehen weniger zufällig, beispielsweise durch Wartezeiten an Signalanlagen. Vielmehr spielt hier die erhöhte Sicherheit für den Einzelnen eine Rolle. Denn »im Straßenverkehr muss jeder Partner laufend Beurteilungen vornehmen und Entscheidungen treffen. Für die Fahrhandlung typisch, ist die ständig ablaufende Entscheidungskette. Entscheidungen, die meist sehr kurzfristig gefällt werden müssen und bei denen für das Abschätzen der Auswirkungen eben so wenig Zeit zur Verfügung steht. Jeder Verkehrsteilnehmer muss laufend folgende Punkte abschätzen: Distanz, Geschwindigkeit, Partner, eigene Fahrzeugleistung, weiter Entwicklung des Verkehrsablaufs, Straßenverlauf, Zeitfaktor, Witterung, Beleuchtung, Oberfläche der Fahrbahn, usw.« (Hürlimann/Hebenstreit 1987, S.  82) Schließt sich ein Radfahrer also einem Pulk von Fahrradfahrern an, vereinfacht er die individuell ablaufende Entscheidungskette. Dadurch entgeht er zusätzlich der Gefahr, übersehen zu werden.   In der Gruppe stellt sich der sogenannte »Verhaltenskonformismus« oder »Konformitätsdruck« ein. Ein Phänomen, dass in einem Lehrbuch für den Polizeidienst folgendermaßen erklärt wird: »Durch den Druck der Masse, der oft allein durch die Größe der Masse entsteht, kommt es zu einer Gleichschaltung des Verhaltens und man fühlt sich durch die anderen zu einem Verhalten gezwungen. So kommt es, dass man unter Umständen Dinge tut, die man nicht machen würde, wenn man alleine handeln würde.« (Krauthan 2004, S. 157) Entscheidend ist also weniger der Umstand, der zur Gruppenbildung führt, vielmehr ist die Größe der Gruppe ausschlaggebend für das Auftreten von Konformität.   Entgegen der allgemeinen Erwartungshaltung konnte Asch mit seinen Studien bereits 1955 zeigen, dass verhältnismäßig kleine Gruppen ausreichen, um eine Verhaltensanpassung hervorzurufen (vgl. Asch 1955). Entsprechend wäre das Auftreten von Konformitätsdruck im Fahrradverkehr durchaus denkbar. Um dies zu veranschaulichen, soll folgendes Beispiel betrachtet werden: »Wenn sich ein Pulk von 30 – 40 Radfahrern vor einer Signalanlage gebildet hat, wollen und werden in der Regel alle Radfahrer bei der nächstfolgenden Grünzeit den Knotenpunkt passieren, auch wenn das Signal inzwischen auf Rot gesprungen ist.« (Wacker 1981, S. 11) Gemäß vorrangegangener Erklärung wäre der Konformitätsdruck ausschlaggebend für das Auftreten von regelwidrigem Verhalten. Demnach orientiert sich der einzelne Radfahrer nicht länger an seiner Auffassung von rechtschaffenem Handeln, sondern am Die Konformität der Radfahrenden Bisher wurden Radfahrende nur im Einzelnen betrachtet. Bekanntermaßen ist im Fahrradverkehr allerdings häufig eine Gruppenbildung zu beobachten. Im Folgenden soll geklärt werden, wie diese Gruppen zustande kommen und ob die Interaktionen der Radfahrer Konsequenzen für die Straßenverkehrssicherheit haben. 145 Handeln anderer Gruppenmitglieder. Dies stellt eine Steigerung des Negativeffekts von Anonymität dar. Das Fehlverhalten an sich und die Ursachen für sein Auftreten variieren je nach Situation und agierender Personen. Entsprechend ergeben sich als möglicher Auslöser zum einen die individuelle Motivation, zum anderen der Konformitätszwang. Letzteres hat eine Gleichschaltung des Verhaltens zur Folge, welches schon bei kleinen Gruppen auftritt. Ob sich eine Gruppe nun aufgrund von Sicherheitsdenken bewusst oder situationsabhängig und unbewusst bildet, wie beispielsweise durch die Wartezeit an einer Lichtsignalanlage, spielt dabei keine Rolle. Fazit 146 Bei eingehender Betrachtung des Fahrradverkehrs fällt die hohe Zahl der auftretenden Regelwidrigkeiten auf, die offensichtlich schon mindestens seit 1986 bekannt ist. Erfahrungsgemäß hat das regelwidrige Verhalten der Radfahrenden wesentlichen Einfluss auf die allgemeine Straßenverkehrssicherheit. Trotzdem wurde in den letzten 25 Jahren kaum zur Förderung von regelkonformem Verhalten beigetragen. Es konnte gezeigt werden, dass die Kenntnis der Verkehrsregeln Radfahrende nicht von – meist bewusstem – Fehlverhalten abhält. In diesem Zusammenhang spielt die StVO eine wesentliche Rolle, die die Fahrradfahrenden durch unscharfe Formulierungen dazu animiert, die Verkehrsregeln situationsbedingt zu individualisieren. Aufgrund der Tatsache, dass Kontrollen beziehungsweise Ahndungen im Fahrradverkehr weitestgehend impraktikabel sind, führt diese Individualisierung unter Umständen zur Missachtung von Verkehrsregeln, wie am Beispiel der nicht verkehrsgerechten Ausstattung vieler Fahrräder zu sehen ist. Auslöser für das Fehlverhalten der Fahrradfahrenden sind u. a. die individuelle Motivation und ein Konformitätszwang, der sich im Fahrradverkehr häufig situativ einstellt. Dieser Zwang führt zu einem an die Gruppe angepassten Verhalten, das wiederum Regelverstöße zur Folge hat. Dies birgt eine besondere Brisanz, da eine Entlastung des motorisierten, städtischen Verkehrs durch die weitere Förderung des Fahrradverkehrs erklärtes Ziel des Bundesministeriums für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung (BMVBS) ist. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Förderung regelkonformen Verhaltens ein wesentliches Kriterium für eine perspektivische Verbesserung und langfristige Aufrechterhaltung der Straßenverkehrssicherheit. Aufgrund des Einflusses von Anonymität, sowohl auf die Wahrnehmung von Rechtschaffenheitspflicht, als auch auf den Konformitätszwang unter Radfahrenden, müssen dringend Lösungsansätze gefunden werden, damit die Steigerung des Radfahranteil am Modal Split nicht zum gravierenden Problem wird. Innovative Ideen, die die Anonymität der Radfahrer aufheben, könnten die Straßenverkehrssicherheit vermutlich stärker erhöhen, als es mit den bisher getroffenen baulichen, erzieherischen und rechtlichen Maßnahmen erreicht wurde. Beispielsweise könnte dies durch eine Mitführpflicht des Personalausweises für Radfahrer, analog der Pflicht für Autofahrer bewerkstelligt werden. Dies ist eine kostengünstige und einfach zu realisierende Maßnahme, die es bei Verkehrskontrollen und Ahndungen durch eine dazu berechtigte Behörde ermöglicht den Fahrzeuglenker zu identifizieren und dadurch regelkonformes Verhalten fördern könnte. Alternativ wäre auch die Einführung von Fahrradführerscheinen oder -kennzeichen denkbar. Eine Besserung der derzeitigen Verhältnisse würde dadurch erreicht, dass eine Teilnahme am Straßenverkehr nur nach einem intensiven Regeltraining und mit einem Kennzeichen zur Identifikation des Fahrzeugbesitzers, ebenfalls analog zum Besitzer eines motorisierten Fahrzeugs, erfolgen könnte. Letzteres würde zudem eine gegenseitige Kontrolle im Straßenverkehr ermöglichen und somit regelkonformes Verhalten vermutlich am wirksamsten fördern. 147 Quellenverzeichnis: 148 ADAC 2009 ADAC (Hrsg.): Pressemeldung: Nur jedes zweite Fahrrad fährt mit Licht. München: URL: http:// presse.adac.de/ meldungen/verkehrssicherheit/ Nur_jedes_zweite_ Fahrrad_faehrt_mit_ Licht.asp?ComponentI D=273609&SourcePa geID=15051#0, l etzter Zugriff: 20.08.2011 ADFC 2009 Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.(Hrsg.): Bußgeldkatalog für Radfahrer. Bremen: URL: http://www.adfc. de/misc/filePush. php?mimeType= application/pdf& fullPath=http:// www.adfc.de/ files/2/110/113/ Bussgeldkatalog_Radfahrer_2. pdf, Download am: 20.08.2011 ADFC 2011 Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club NRW e.V.(Hrsg.): ADFC – 30 Jahre jung. 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Ludwigslust: Druckerei Buck GmbH, 2009 BFU/FVS 2005 Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu/ Fonds für Verkehrssicherheit FVS(Hrsg.): Fahrradverkehr, Sicherheitsdossier Nr.02. 1.Aufl., Bern: Bubenberg Druck- und VerlagsAG, 2005 Bierhoff 2006 Hans Werner Bierhoff(Hrsg.): Sozialpsychologie: ein Lehrbuch. 6.Aufl. Stuttgart: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, 2006 Deutscher Verkehrsgerichtstag 2009 Empfehlung: Radfahrer im rechtsfreien Raum? (Arbeitskreis IV). In: Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaften e.V.(Hrsg.): 47. Deutscher Verkehrsgerichtstag. Ludwigslust: Druckerei Buck GmbH, 2009 Hürlimann/Hebenstreit 1987 Hürlimann, Fred W.; Hebenstreit, Benedikt von (Hrsg.): Verkehrssicherheit in der Praxi: Grundlagen-Realisierung-Exemplarische Modelle. Kempten: Verlag Hans Huber, 1987 Krauthan 2004 Krauthan Günter(Hrsg.): Psychologisches Grundwissen für die Polizei. 4.Aufl. Bad Langensalza: Beltz Verlag, 2004 PAuswG Gesetz über Personalausweise (idF der Änderung durch BGB 1346 v. 18.06.2009) §1 Abs. 1 PPr Berlin 2011 Der Polizeipräsident in Berlin (Hrsg.): Sonderuntersuchung »Radverkehrsunfälle« in Berlin 2010. Berlin, 2011 Statistisches Bundesamt 2010 Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle – Unfallentwicklung im Straßenverkehr 2009. Wiesbaden, Juli 2010. StVO Straßenverkehrsordnung (idF der Änderung durch BGB 2279 v. 17.12.2010) Tagesspiegel 2011 Der Tagesspiegel(Hrsg.): Johannes Radke: Radfahren in Berlin wird immer Gefährlicher. Berlin: URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/ fahrrad/radfahrenin-berlin-wird-immergefaehrlicher/4605 734.html, letzter Zugriff: 20.08.2011 Wacker 1981 Wacker, Heinrich(Hrsg.): Radwege planen. Saarbrücken: Kirschbaum Verlag, 1981 Weiss 2009 Weiss, Udo: Radfahrer im rechtsfreien Raum?. In: Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaften e.V.(Hrsg.): 47. Deutscher Verkehrsgerichtstag. Ludwigslust: Druckerei Buck GmbH, 2009 Kapitel 8 Fahrradkultur – ein Modewort oder ein gerechtfertigter Begriff? Tim Stolle und Peter Engels Inhalt: Über Fahrradkultur • Kultur und Natur • Grundelemente einer Kultur • Autokultur • Mobilitätskultur • Fahrradkultur • CopenhagenCycleChic Modeerscheinung oder Kulturphänomen? 149 Über Fahrradkultur Kultur und Natur 150 Viele Menschen sehen im Fahrradfahren inzwischen mehr als nur eine Fortbewegungsmethode. Die Nutzung des Fahrrads gilt als Ausdruck von Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein und ist zugleich ein Lifestyleobjekt. Es gibt zahlreiche politische und gesellschaftliche Debatten über die Rolle des Fahrrads im Stadtbild, wie z. B. in Peking, wo bis zum Jahr 2015 mit dem Verkehrskonzept ›Grüne Bewegung‹ ein Viertel aller Pekinger aufs Fahrrad zurückgebracht werden sollen (vgl. Journal L´Alsace 2010). Fachzeitschriften reden daher vermehrt von Fahrradkultur. Doch ist das Wort Kultur im Kontext des Fahrradfahrens überhaupt gerechtfertigt, beziehungsweise zutreffend oder ist »Fahrradkultur« nur ein Modewort? Um hierauf eine Antwort geben zu können ist es nötig eine eigene Definition von Fahrradkultur, ausgehend von vorherrschenden Sichtweisen zu Kultur, Mobilitätskultur und Autokultur, zu erarbeiten. Diese Definition soll im Anschluss auf die wesentlichen Elemente einer Kultur überprüft werden.   Auch wenn die Existenz einer Fahrradkultur erst im Lauf der Arbeit geprüft wird, wird vereinfachend schon von einer Fahrradkultur anstatt einer eventuellen Fahrradkultur gesprochen. Für das Verständnis, was Fahrradkultur bedeutet, ist zunächst eine allgemeine Erklärung des Begriffs Kultur notwendig. Hierfür werden wesentliche Merkmale einer Kultur herausgearbeitet um später zu analysieren, ob sich diese Merkmale auch auf Fahrradkultur übertragen lassen.   Das deutsche Wort Kultur leitet sich aus dem lateinischen ›colere‹, bewirtschaften, bebauen, pflegen, ehren ab. Der Ethnologe Wolfgang Marshall meinte: »Will man die Welt beschreiben, so reichen dafür die Begriffe Natur und Kultur.« (Marshall 1993, S. 17) Im weitesten Sinne ist Kultur also alles, was vom Menschen geschaffen wurde und nicht von der Natur gegeben ist. Menschliche Errungenschaften schließen auch immaterielle Dinge mit ein. Dies können z. B. Verhaltensweisen, Wissen oder Sprache sein (vgl. Hansen 2000, S. 19f.). Eine exakte Trennung zwischen Natur und Kultur ist allerdings nicht möglich. Das Problem ist, dass der Mensch zwar einerseits der Begründer der Kultur, andererseits aber auch Teil der Natur ist. Insgesamt ist diese Definition der Kultur noch nicht ausreichend, daher wird der Kulturbegriff im Folgenden erweitert. Diese genannten Standardisierungen lassen Raum für verschiedene Interpretationen und Deutungen innerhalb des Kollektivs. Das Kollektiv ist also in sich nicht geschlossen und es können sich somit Subkulturen bilden. Allerdings lassen sich trotz Subkulturen immer dominierende Formen der Standardisierungen feststellen (vgl. Meyer 2008, S. 9f.).   Weiterhin ist Kultur ein dynamischer Prozess (vgl. Hansen 2000, S. 39). Durch Kommunikation ist es möglich, kulturelle Errungenschaften weiterzugeben. Man nennt dies »Kulturelles Gedächtnis« (Assmann 1988, S. 9–19). Auf Basis dieses kulturellen Gedächtnisses entwickeln sich Traditionen, die Menschen aufnehmen und aktiv weiterentwickeln. Grundelemente einer Kultur Eine ethnologische Definition von Kultur lieferte Edward B. Tylor 1871 mit der Aussage: »Kultur ist jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat.« (Tylor 1871, S. 1) Hierbei erkennt man schon zwei wesentliche Merkmale von Kultur: zum einen die Gesellschaft und zum anderen Gewohnheiten, die sich das Kollektiv aneignet.   Hansen liefert eine sehr ähnliche, noch allgemeinere Definition: »Kultur umfasst Standardisierungen, die in Kollektiven gelten.« (Hansen 2000, S. 39) Mit Standardisierung meint er hierbei Gleichverhalten der Individuen innerhalb des Kollektivs, welches die Gesellschaft darstellt. Nachstehend sollen die Standardisierungen weiter analysiert werden. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird durch standardisierte Zeichen und Sprache ermöglicht. Allerdings ist es nicht allen Menschen möglich, die Sprache oder die Zeichen zu verstehen. Es bedarf einer Kommunikationsgemeinschaft, einer Kultur, in der den standardisierten Zeichen und der standardisierten Sprache eine Bedeutung zugewiesen wird (vgl. Hansen 2000, S. 48ff.). Zu den von Hansen beschriebenen Standardisierungen gehören auch gleiche Denkmuster, die innerhalb eines Kollektivs geschaffen werden (vgl. Hansen 2000, S. 89ff.). Dies können Lebensregeln, Sprichwörter und Ansichten über Dinge des Lebens sein. Weiterhin findet man standardisierte Verhaltensmuster, die nur noch individuelle Nuancen zulassen. Hierfür können zum Beispiel bestimmte Verhaltensregeln, Rituale oder Routinen genannt werden. 151 Es ergeben sich demnach folgende Kulturmerkmale: A Kultur entsteht in Kollektiven Das Kollektiv hat sich Standardisierungen angeeignet: B in Bezug auf Kommunikation C in Bezug auf Denken D in Bezug auf Verhalten E das »Kulturelle Gedächtnis« ermöglicht Traditionen F Kultur ist dynamisch G Abgrenzung von anderen Gruppen (Exklusion) H Subkulturen entwickeln sich durch Raum für Interpretation Diese Kulturmerkmale sollen später exemplarisch am Beispiel der Autokultur verdeutlicht werden, da diese Form von Kultur bereits als solche beschrieben wird und einer vermeintlichen Fahrradkultur durch sein Wesen sehr nahe steht. Mobilitätskultur 152 Beschäftigt man sich mit dem Begriff Mobilität, ist dessen Bedeutung leicht ersichtlich. In der Regel versteht man hierunter sowohl die Fähigkeit, als auch die technischen Möglichkeiten der räumlichen Beweglichkeit. Doch was bedeutet Mobilitätskultur?   Die Mobilitätsexperten Deffner und Götz verstehen darunter: »Die Ganzheit der auf Beweglichkeit bezogenen materiell und symbolisch wirksamen Praxisformen. Sie schließt die Infrastruktur- und Raumgestaltung ebenso ein, wie Leitbilder und verkehrspolitische Diskurse, das Verhalten der Verkehrsteilnehmer und die dahinter stehende Mobilitäts- und Lebensstilorientierungen.« (Buba 2010, S. 93) Mobilitätskultur geht demnach über die Technik und Voraussetzungen, zum Beispiel der Infrastruktur, der Beweglichkeit hinaus und umfasst insbesondere auch die Einstellungen, Motivationen und das Verhalten der Mobilitätsteilnehmer zueinander. Es kommt hier also zu einer Verschmelzung der technischen und geistigen Ausprägungen von Mobilität.   Diese Definition von Mobilitätskultur dient als Grundlage um sich der Begrifflichkeit der Fahrradkultur zu nähern, die gewissermaßen einen Unterpunkt der Mobilitätskultur darstellt. Autokultur Dass das Auto in unserer Kultur eine besondere Rolle spielt, ist unbestritten. So beschreibt Daniel Miller Autos »as one of the most familiar and significant forms of material culture.« (Miller 2001, S. 12) Im nächsten Textabschnitt werden daher den bereits genannten Kulturmerkmalen konkrete Ausprägungen von Autokultur zugeordnet, um diese später mit denen der Fahrradwelt zu vergleichen. Die Annahme der Existenz von Fahrradkultur ließe sich mithilfe von Parallelen zu Autokultur stützen. Kultur entsteht in Kollektiven (Merkmal A). Dies prägt sich in der automobilen Welt heutzutage vor allem in Treffen, Vereinen und Renn- beziehungsweise Showveranstaltungen aus.   Wahrnehmbar sind besonders Standardisierungen in Bezug auf Kommunikation und Verhalten (Merkmal B und D). So basiert der gesamte Autoverkehr auf expliziten und impliziten Regeln, Normen und Gebräuchen (vgl. Hengartner 1998, S. 148). Die expliziten Regeln sind in Deutschland so umfangreich, dass es einer intensiven Schulung bedarf, um am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Neben diesen Regelungen haben sich auch umfangreiche implizite Verhaltensweisen, oft in Form von Signal- und Zeichensprache, herausgebildet. Ein Beispiel hierfür ist die so genannte Lichthupe als Warnung für Radarkontrollen oder bei dichtem Auffahren, als Aufforderung die Fahrspur freizumachen. Diese, teils verbotenen, Verhaltensformen haben nur innerhalb der Kraftfahrergemeinschaft Gültigkeit, eine Anwendung auf andere Verkehrsträger wäre nicht möglich und würde nicht verstanden werden.   Kommunikation (Merkmal B) erfolgt auch über Musikstücke, zum Beispiel dem Song Mercedes Benz von Janis Joplin aus dem Jahr 1970, Romane, aber insbesondere über Filme (vgl. Becker 1989, S. 274), in denen Autos eine essentielle Rolle einnehmen. Denn sie sind in Literatur, Filmen und Musik oftmals zentrale Elemente, Bedeutungsträger und Symbole, die standardisierte Denkmuster widerspiegeln (Merkmal C). Manchmal sind sie sogar Protagonisten, wie in dem Film Herbie – Ein toller Käfer von Robert Stevenson aus dem Jahr 1968. Die Darstellung des Autos als Freiheitssymbol führte so zu einer Ausbildung eines komplett neuen Filmgenres, dem Road-Movie (vgl. Becker 1989, S. 148).   Dass das kulturelle Gedächtnis und die einhergehende Traditionsbildung (Merkmal E) in der Autowelt besonders stark ausgeprägt ist, zeigt die in Deutschland geltende Einstufung von Automobilen als »fahrzeugtechnisches Kulturgut« (DEKRA e.V. 2010), die mindestens 30 Jahre alt sind. Diese als Oldtimer bezeichneten Fahrzeuge erhalten zudem steuerliche Begünstigungen. Auch die bereits erwähnten Clubs und Vereine, zum Beispiel die Initiative Kulturgut Mobilität e.V., dessen Ziele es sind, diese historischen Fahrzeuge zu erhalten und zu pflegen, repräsentieren einen Teil des kulturellen Gedächtnisses. 153 Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Dynamik von Kultur (Merkmal F), welche sich in der Automobilwelt an der technischen, vor allem aber an der optischen Weiterentwicklung widerspiegelt. Weiterhin schließt der Kulturbegriff auch die Abgrenzung zu anderen Gruppen ein (Merkmal G). In der Autokultur vollzieht sich diese Abgrenzung vor allem zwischen Autofahrern und Nicht-Autofahrern, so findet Hengartner zufolge trotz der engen Verwebung der Verkehrsnetze eine »weitgehend autonome Welt des Autoverkehrs« (Henggartner 1998, S. 147) statt.   Letztendlich können Trennlinien, die vor allem die Bildung von Subkulturen (Merkmal H) aufzeigen, auch durch die Differenzierung nach Nationen: »Schwedische Autokultur – Saab am Ende.« (ntv Nachrichtenfernsehen GmbH 2010) oder nach Automarken und Autotypen erfolgen. 154 Im Folgenden sollen bekannte Ausprägungen von Autokultur mit äquivalenten Beispielen aus der Fahrradwelt verglichen werden. Somit wird anhand von konkreten Ausprägungen geprüft, ob die Annahme einer Existenz von Fahrradkultur gestützt werden kann. Die in der Autowelt angesprochenen Clubs, Vereine und Rennveranstaltungen (Merkmal A) finden sich in ähnlicher Form auch bei Fahrradfahrern wieder, worauf später noch ausführlich eingegangen wird.   Auch für Fahrradfahrer gibt es eine Reihe von expliziten Verkehrsregeln, wobei eine so umfangreiche Schulung wie beim Autofahren nicht nötig ist. Interessanter und wichtiger für das Vorhandensein einer Kultur sind die impliziten standardisierten Regelungen, da die expliziten Regelungen nicht zwangsläufig durch das fahrradfahrende Kollektiv beschlossen wurden. So sind bei Fahrradrennen, wie der Tour de France, oft ausgestreckte Arme und Zeigefinger in Richtung Boden, zu sehen (Merkmal B und D). Somit wird ein Hindernis in Fahrtrichtung angezeigt und folgende Radfahrer werden gewarnt. Wedelt beziehungsweise schaufelt der Radfahrer zudem mit dem Arm, bedeutet dies Gegenverkehr zum Beispiel durch ein Auto (vgl. asvz-velo 2010).   Zwar hat das Fahrrad kein eigenes Filmgenre geprägt wie das Auto den Road-Movie, jedoch findet auch das Fahrrad oft Eingang in die Kunst (Merkmal B und C). So ist in diesem Zusammenhang der Song ›Bicycle Race‹ von Queen aus dem Jahr 1978 zu nennen. Sogar ganze Kulturveranstaltungen wie das ›Bicycle Film Festival‹ werden rund um das »Fahrrad als Kulturträger und Kultobjekt « (Hager 2010a, S. 26) veranstaltet. Die Zeitschrift velosophie nennt sich sogar »Magazin für Fahrradkultur« und berichtet regelmäßig und ausführlich über Ereignisse wie das Bicycle Film Festival (vgl. Hager 2010a, S. 24). Auch die so genannte Oldtimer-Szene (Merkmal E) ist in Radfahrerkreisen vorhanden. So ist es nach eigener Aussage des Vereins Historischer Fahrräder e.V. eines ihrer Hauptziele, die Fahrradkultur zu pflegen und zu fördern (vgl. Historische Fahrräder e.V. 2010). Auf den Straßen lässt sich die Vorliebe vieler Radfahrer für alte beziehungsweise alt aussehende Fahrräder an der relativ weiten Verbreitung von so genannten Vintage- oder Retrobikes erkennen. Diese sind Fahrräder, die sich an dem Stil der 1950er und -60er Jahre orientieren, jedoch mit moderner Technik ausgestattet sind (vgl. Hauser 2010, S. 38).   Die Dynamik der Fahrradkultur (Merkmal F) ist zwar bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie in der Autowelt, jedoch lassen sich auch hier ablösende Designtrends wie das Mountainbike und nun die Single-Speed-Bikes oder die E-Bikes erkennen.   Abgrenzungen zu anderen Gruppen (Merkmal G) sind wenig ausgeprägt, wohingegen klare Trennlinien zwischen Fahrradtypen (Merkmal H) bestehen.   Abschließend ist zu erkennen, dass es trotz gewisser Unterschiede der Verkehrsmittel erstaunliche Parallelen zwischen Ausprägungen in der Autowelt und Fahrradwelt gibt. Die Feststellung einer Autokultur untermauert durch gleichartige Erscheinungen und Entwicklungen in der Fahrradwelt die These der Existenz einer lebhaften und auf vielfältige Weise ausgeprägten Fahrradkultur. Fahrradkultur In Fachzeitschriften und Internetquellen ist oft von Fahrradkultur die Rede, ohne diesen Begriff näher zu konkretisieren: »Berlin ist ja viel größer als Kopenhagen. Die Fahrradkultur ist auch nicht vergleichbar.« (Krenz 2010, S.30) Bevor jedoch eine Definition für Fahrradkultur hergeleitet werden kann, soll betrachtet werden, wo dieser Begriff ansonsten Verwendung findet und wie er in anderen Quellen definiert ist. Alec Hager, Chefredakteur der Fachzeitschrift ›velosophie – Magazin für Fahrradkultur‹, hat sich dem Thema näher gewidmet: »Es bewegt sich etwas, das wächst und sich vernetzt und sich ausbreitet wie ein freundlicher Virus. Wir nennen ihn Fahrradkultur, sein Wirt sind Bike Communities in unzähligen Städten weltweit, er verbreitet sich auf verschlungenen digitalen und terrestrischen Wegen und überträgt sich von Mensch zu Mensch. Seine Schöpfungen werden in unterschiedlichster Weise zur Schau getragen: als dein und mein Fahrrad auf der Straße, als Design und Modeschöpfung, als Buch und Film. Vor allem als Lebensgefühl und Inspiration gespeist aus Tradition und Moderne, vom Underground vorangetrieben und vom Mainstream mit offenen Armen aufgegriffen.« (Hager 2010b, S. 3) Schon in dieser Definition wird erkennbar, dass Fahrradkultur wesentliche Anforderungen von Kultur, die im Abschnitt 155 Grundelemente einer Kultur genannt werden, erfüllt. Das sind in diesem Fall die Existenz eines Kollektivs, Kultur als ein dynamischer Prozess, Bildung von Subkulturen und standardisiertes Denken und Fühlen. Auch werden hier verschiedene Ausprägungen und Ausdrucksformen von Fahrradkultur erwähnt, worauf im Weiteren näher eingegangen wird. 156 Aufgrund der dürftigen Quellenlage, die sich unmittelbar mit dem Begriff ›Fahrradkultur‹ beschäftigen, soll eine eigene Definition erstellt werden. Hierfür sollen Kriterien genannt werden, die die ermittelte Definition von Fahrradkultur haben. In Anlehnung an die sehr allgemein gefasste Definition von Mobilitätskultur soll auch die selbst hergeleitete Definition von Fahrradkultur umfassend beziehungsweise weit gefasst werden. Der Grund dafür ist die Dynamik von Kultur. Aufbauend auf den schon bestehenden Traditionen kann eine Kultur aktiv weiterentwickelt werden, so auch die Fahrradkultur. Würde eine zu spezifizierte Definition formuliert werden, wären zukünftige und neuartige Entwicklungen nicht mehr Teil dieser Definition. Weiterhin sollen die oben genannten Merkmale von Kultur erfüllt sein. Fahrradkultur ist keine normative Kultur, daher muss geklärt werden, welche Gruppen von Menschen an der Fahrradkultur teilnehmen. Ausgehend von diesen Voraussetzungen wird Fahrradkultur in diesem Aufsatz wie folgt definiert: Fahrradkultur ist die Gesamtheit der auf das Fahrrad bezogenen Standardisierungen all jener, die am Fahrradleben teilnehmen. Dies umfasst: • auf das Fahrrad bezogene gesellschaftliche und politische Diskurse, • die Organisationsformen der Fahrradfahrer, • die Gestaltung und die Nutzung der Infrastruktur für Fahrradzwecke, • mit dem Fahrrad verbundene Motive und Werte, • das Verhalten und Ausdrucksformen der Fahrradfahrer sowie • alle Verwendungen des Fahrrads für künstlerische Zwecke. Diese Definition ähnelt sehr der schon oben genannten Kulturdefinition von Hansen und derer von Mobilitätskultur und soll daher im Folgenden ausführlich erklärt werden. In der genannten Definition für Fahrradkultur stellt das Kollektiv all jene dar, die am Fahrradleben teilnehmen. Dies können daher im Prinzip alle Menschen sein, die unmittelbar mit dem Fahrrad in Verbindung stehen: z. B. Fahrradfahrende, Hersteller von Fahrrädern und Personen, die das Fahrrad als Kunstobjekt benutzen. Diese sehr allgemeine Beschreibung ist nötig, da sich niemand ausgeschlossen sehen sollte, weder nach eigener Ansicht Teil der Fahrradkultur ist. Vor allem jedoch ist die Dynamik von Kulturen wieder ausschlaggebend. Es ist nicht abzusehen, wie sich die Fahrradkultur in Zukunft entwickelt und wer daran teilnimmt. Daher wäre eine zu spezielle Auswahl des Kollektivs unangemessen. Die Standardisierungen beziehen sich auf alle oben genannten Punkte und werden im Folgenden näher betrachtet. Dabei erfolgt gleichzeitig eine Zuordnung der elementaren Kulturmerkmale zu den Standardisierungen und den damit verbundenen Ausprägungen. Auf das Fahrrad bezogene gesellschaftliche und politische Diskurse   Die gesellschaftlichen und politischen Diskurse sind ein elementarer Teil der Fahrradkultur, weil hierüber Interessen, Ziele und Einstellungen artikuliert und gebildet werden. Es wird also ein standardisiertes Denken (Merkmal C) geprägt. Die fahrradbezogenen Debatten und Diskurse entscheiden zudem über die Weiterentwicklung der Fahrradnutzung und die Rolle des Fahrrades in der Gesellschaft. Im konkreten sind unter solchen Debatten Forderungen wie die des Berliner Fahrradbeauftragten Arvid Krenz zu verstehen: »Radfahren muss schnell, bequem und gefühlt auch sicher sein, dann fahren die Leute aus rationalen Gründen Fahrrad (…). Das ist die Herausforderung für die Radverkehrspolitik.« (Krenz 2010, S. 31) Organisationsformen der Fahrradfahrer  Die verschiedenen Organisationen stellen einen weiteren Teil der Fahrradkultur dar. In Vereinen, Verbänden oder Organisationen ist es verschiedenen Gruppen von Fahrradfahrern mit gleichen Ansichten möglich, ihre Interessen auszuüben. Hierbei findet sich zum einen das Kulturmerkmal »standardisiertes Denken« (Merkmal C), da sich Fahrradfahrer mit gleichen Ansichten beziehungsweise ähnlichen Orientierungen zusammenschließen und zum anderen sind hierbei verschiedene Kollektivformen (Merkmal A) zu erkennen. Zu den bekanntesten Radfahrorganisationen gehören unter anderem der ›Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V.‹, die ›European Cyclist´s Federation‹ und die ›Union Cyclist International‹, welche das Radfahrkollektiv sowohl national als auch international vernetzt.   Weiterhin gibt es eine Fülle von weltweiten Wettkämpfen, in denen Fahrradsportler gegeneinander antreten. Das prominenteste Beispiel ist die Tour de France, die bereits 1903 zum ersten Mal ausgetragen wurde und heute eines der größten Sportereignisse der Welt ist (vgl. Spiegel Online GmbH 2005). Gestaltung und die Nutzung der Infrastruktur für Fahrradzwecke  Unter der Gestaltung der Infrastruktur für Fahrradzwecke sind insbesondere verkehrs- und städtebauliche Maßnahmen zu verstehen. 157 158 Primär werden hierunter Fahrradwege und -routen, spezielle Ampeln für Fahrradfahrer und Park- beziehungsweise Abstellmöglichkeiten verstanden. Doch auch Anlagen, die für die Fahrradnutzung jenseits der konventionellen Gebrauchsform geeignet sind, können dazugezählt werden. Konkret sind das so genannte Funparks, in denen mit BMX-Rädern Kunstsprünge geübt und gezeigt werden können sowie speziell präparierte Routen zum Mountainbiking oder Downhill fahren.   Die Nutzung der Infrastruktur ist zum großen Teil von der Gestaltung abhängig, sodass die Gestaltung als Grundlage für den Umfang und die Art der Nutzung anzusehen ist. Hierbei erkennt man standardisiertes Denken (Merkmal C), da sich Fahrradfahrer mit ähnlichen Ansichten für eine bestimmte Gestaltung der Infrastruktur aussprechen. Weiterhin zeigt sich das Kulturmerkmal der Exklusion (Merkmal G), da die Nutzung der Infrastruktur für einen bestimmten Zweck die Nutzung für andere Zwecke ausschließen kann. So wird zum Beispiel ein BMX-Radfahrer kaum auf die Idee kommen, explizit den Fernradweg Berlin-Kopenhagen zum Üben seiner Kunstsprünge zu benutzen. Es bilden sich somit, abhängig von der Infrastruktur, Fahrradsubkulturen (Merkmal H) heraus. Die BMX-Fahrenden in Funparks, die Mountainbiker vorwiegend in den Bergen, Lifestyle-Radfahrende in den Städten, Rennradfahrende auf gut ausgebauten Landstraßen. Allerdings spielen bei der Wahl der Fahrradnutzung persönliche Motive auch eine große Rolle. Es besteht hierbei sicherlich ein gegenseitiges Beeinflussungsverhältnis, was meint, wenn das Rad an einem bestimmten Ort genutzt wird, bilden sich hierüber auch entsprechende Einstellungen aus; andersherum kann rückgeschlossen werden, dass bestimmte Motive erst zur Wahl eines bestimmten Ortes führen. Mit dem Fahrrad verbundene Motive und Werte   Die mit dem Fahrrad verbundenen Motive und Werte sind wesentliche Elemente der Fahrradkultur. Daher sollen nun verschiedene Motive der Fahrradnutzung und dazugehörige gemeinsame Werte gezeigt werden. Die unterschiedlichen Beweggründe der Fahrradnutzung sind standardisierte Denkmuster und gehören somit zum standardisierten Denken (Merkmal C). Neben diesem kulturellen Merkmal lässt sich auch die Abgrenzung zu anderen Gruppen erkennen (Merkmal G). Eine entscheidende Rolle bei der Nutzung des Fahrrads spielt die Lebensstilorientierung. Der Lebensstil soll »eine Differenzierung von sozialen Gruppen charakterisieren, deren Gemeinsamkeit eine bestimmte Art von Lebensführung ist.« (Buba 2010, S. 48) Dadurch entstehen Fahrradsubkulturen (Merkmal H), in denen gleiche Motive der Fahrradnutzung vorherrschen. Hier sollen vier Gruppen unterschieden werden, um diese Motive wiedergeben zu können: Die Umweltbewussten   Umweltbewusste Radfahrende nutzen das Fahrrad primär, um die Umwelt zu schonen oder um sich in der Natur aufzuhalten. »Die Förderung des Radverkehrs ist wichtig, da das Rad das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist und gerade in Städten bestens geeignet ist, um klimafreundlich und abgasfrei voran zu kommen.«, so die Meinung von Matthias Strobel (Strobel 2010), vom Bündnis 90/Die Grünen, der zu dieser Gruppe gezählt werden kann. An seiner Aussage lässt sich die bewusste Abgrenzung zu umweltschädigenden Verkehrsmitteln erkennen (Merkmal G). Die gemeinsamen Werte der »Umweltbewussten« sind in erster Linie Nachhaltigkeit und Naturverbundenheit. Die Sportler   Sportler nutzen das Fahrrad in erster Linie um Sport zu treiben. Dabei gibt es viele Möglichkeiten mit dem Fahrrad sportliche Aktivitäten zu verbinden. So bieten Fahrradvereine unterschiedliche Spielarten des Radsports, wie Rennradfahren, Mountainbiking, Radwandern, Kunstradfahren, Bahnradfahren, Radpolo oder Einradfahren an. Einige dieser Sportarten haben langjährige Traditionen (Merkmal E), wie zum Beispiel das Kunstradfahren, das es schon seit über einem Jahrhundert gibt (vgl. rad-net GmbH 2011). Zu den gemeinsamen Werten gehören hierbei die Förderung der Gesundheit, Fitness und des sportlichen Wettkampfes. Die Stilbewussten   Stilbewusste Radfahrende sind Menschen, die das Fahrrad primär aus modischen Gründen nutzen. Sie möchten sich bewusst vom Mainstream absetzen (Merkmal G) und ihnen ist das eigene Auftreten und Aussehen besonders wichtig. Exemplarisch hierfür ist die dänische CyclechicBewegung, welche durch Mikael Colville-Andersen mit seinem Internetblog copenhagencyclechic.com begründet wurde. Dieser Blog erreichte mit seiner Hauptaussage »choose style over speed« sogar in Amerika und Großbritannien Kultstatus (Barton 2009). Die Fotos und der Blog trugen enorm dazu bei, dass Fahrradfahren insbesondere als stylisch, hip, cool und chic angesehen wird. Die Pragmatiker   Zu dieser Gruppe gehören diejenigen, die das Fahrrad als kostengünstiges und praktisches Verkehrsmittel nutzen. Besonders in Städten und für kurze Strecken kann das Fahrrad das optimale Verkehrsmittel sein. So rief beispielsweise der Londoner Bürgermeister durch den massiven Ausbau des Fahrradleihsystems die »Revolution auf zwei Rädern« (Tomorrow 159 aus, um eine Alternative zu den vollen UBahnen und vielen Autostaus in London zu bieten. Focus Media GmbH 2010) Eine exakte Trennung zwischen diesen Gruppen ist jedoch nicht immer möglich, da es häufig Relationen zwischen den Gruppen gibt. Den »Umweltbewussten« zum Beispiel kann der sportliche Aspekt oder der Style auch wichtig sein. Um eine möglichst eindeutige Zuordnung zu finden sind die primären Beweggründe ausschlaggebend für die Einordnung in die Gruppen. Aus den Motiven der Gruppen leiten sich bestimmte Verhaltens- und Ausdrucksformen ab, die nun aufgezeigt werden: 160 Die Verhaltensformen der Fahrradfahrenden gehören zum standardisierten Verhalten (Merkmal D). Als gemeinsames Verhalten von allen Gruppen kann die Benutzung des Fahrrads an sich genannt werden. Gruppenspezifisches Verhalten ist in den oben genannten Gruppen kaum zu erkennen. Es könnte höchstens gemutmaßt werden, dass der Fahrstil in der Gruppe der Sportler besonders zügig ist. Die Unterschiede der Gruppen lassen sich daher viel mehr durch die Ausdrucksformen erkennen. Dabei spielen die Wahl des Fahrrads, die Kleidung und dazugehörige Accessoires eine wichtige Rolle. Die Ausdrucksformen gehören zur standardisierten Kommunikation, da die drei genannten Ausdrucksformen als Zeichen aufgefasst werden können (Merkmal B).   Bei den Sportlern fällt die Wahl des Fahrrads vornehmlich auf Mountainbikes oder Rennräder. Zum einen können mit diesen Rädern die Aktivitäten besonders gut ausgeübt werden und zum anderen möchten die Radfahrer ihre Sportlichkeit bewusst nach außen tragen. Außerdem tragen viele dieser Radfahrenden spezielle Radlerhosen mit passendem Oberteil. Zu der Ausrüstung gehören hierbei sportliche Fahrradhelme und Fahrradtrinkflaschen.   Die »Stilbewussten« haben eine Fülle von Ausdrucksformen. Bei der Fahrradwahl greifen sie zumeist auf sogenannte FixedGear-Bikes, kurz Fixies, oder Singlespeeds zurück. Diese Räder gibt es in einer Vielzahl von verschiedenen Designs. »Der hohe Coolnessfaktor führt dazu, dass stilbewusste Urbaniten in ihrem kopfsteingepflasterten Stadtteil mit dem Fixie ins Cafe radeln (…)« (Stachelsky 2009), so wird eine Alltagsszene in der TAZ beschrieben. Diese Fahrräder bestechen durch ihre Einfachheit, da sie nur einen Gang besitzen. Die Fixed-Gear-Bikes gibt es schon seit über einem Jahrhundert und wurden bei den ersten Tour de France Rennen benutzt. Der heutige Trend ist in erster Linie durch Fahrradkuriere entstanden (vgl. Edwards 2010, S. 6). Hierbei ist sowohl das Element der Dynamik von Kulturen (Merkmal F), als auch das kulturelle Gedächtnis (Merkmal E) zu erkennen. Auf Basis der traditionellen Fixies ist heute ein Trend entstanden. Zu typischen Accessoires gehören in Anlehnung an die Fahrradkuriere, die Fahrradkuriertaschen, sowie spezielle FahrradCaps.   Bei den »Umweltbewussten« lassen sich spezielle fahrradspezifische Ausdrucksformen schwer analysieren. Das Fahrradfahren selbst ist schon Ausdruck ihrer Lebensstilorientierung genug. Die »Pragmatiker« hingegen sind oftmals durch Gepäcktaschen, Neon-Reflektorwesten und -fußbänder zu erkennen. Das Thema Fahrrad in Musik und Film wurde bereits im Abschnitt Autokultur behandelt. Das Fahrrad findet sich allerdings auch in der Bildenden Kunst wieder. Zum einen kann das Design des Fahrrads schon Kunst genug sein, zum anderen finden Fahrräder als Bestandteile von Skulpturen ihre Verwendung. So erregte der Künstler Matt Moore mit handbemalten BahnradRahmen im Zusammenspiel mit großformatigen Bildern auf der Momentum Exhibition in Cambridge große Aufmerksamkeit (vgl. Moore 2010, S. 48). Auch der chinesische Künstler Ai Weiwei widmet sich dem Thema Fahrrad mit seiner Skulptur »Forever« (vgl. Weiwei 2011). Hierbei soll außerdem die künstlerische Installation von Fahrrädern der Initiative Ghostbikes erwähnt werden. An zahlreichen Stellen weltweit, an denen Radfahrer im Verkehr gestorben sind, werden weiße Fahrräder, sogenannte Ghostbikes, aufgestellt. Anhand der Darstellung des Fahrrads in der Kunst erkennt man sowohl die standardisierte Kommunikation (Merkmal B), als auch die Exklusion (Merkmal G), da mit dem Bedeutungsträger Fahrrad etwas bestimmtes ausgedrückt werden soll, was nur innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft verstanden wird. Modeerscheinung oder Kulturphänomen? Die eingangs gestellte Frage, ob das Wort Kultur im Kontext des Fahrradfahrens überhaupt gerechtfertigt beziehungsweise zutreffend oder ob Fahrradkultur doch nur ein Modewort ist, kann nun sicher mit Ja beantwortet werden. Der Begriff Fahrradkultur ist zweifelsohne gerechtfertigt. Die Rechtfertigung des Kulturbegriffs leitet sich unmittelbar aus der Erfüllung der elementaren Kriterien von Kultur in der Fahrradwelt ab. Auf welche Weise sich die wesentlichen Kulturmerkmale in der Fahrradwelt widerspiegeln wurde anhand vieler Beispiele dargestellt. Die existierenden Parallelen zwischen der bestehenden anerkannten Autokultur und der Herleitung des Begriffs Fahrradkultur durch die daraus ermittelten Kriterien stützen diese These. Die Behauptung, dass es sich bei dem 161 Begriff Fahrradkultur um eine Modebezeichnung handelt, wird u. a. dadurch widerlegt, dass es viele Erscheinungen und Entwicklungen, die als Bestandteil von Fahrradkultur ausgemacht wurden, schon seit vielen Jahren gibt. Als Beispiel seien nur die zahlreichen Radvereine genannt, die teilweise seit über hundert Jahren existieren. Dass neue Erscheinungsformen in der Fahrradwelt dazukommen, die als Modeerscheinungen wahrgenommen werden, liegt an der kulturimmanenten Dynamik. Dadurch sind auch weitere Entwicklungen und Erscheinungen im Bereich der Fahrradkultur zu erwarten. Initiativen wie die Internetblogs copenhagencyclechic.com und copenhagenize.com von Mikael Colville-Andersen tragen dazu bei, dass Fahrradbegeisterte lebhaft über das Fahrradleben diskutieren, dieses zur Schau tragen und weitere Entwicklungen ermöglichen. Quellenverzeichnis: 162 Assmann 1988 Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S.47. In: Hansen, Klaus P.: Kultur und Kulturwissenschaften: Eine Einführung. 2. Aufl., Tübingen; Basel : Francke, 2000 asvz-velo 2010 Akademischer Sportverband Zürich: Fahren in der Gruppe und Handzeichen (Rennvelo). Zürich: URL: http:// www.asvz-velo.ch/sicherheit-ausruestung. php, letzter Zugriff: 08.01.2011 Barton 2009 Barton Robin: On your bike: What the world can learn about cycling from Copenhagen. London. 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URL: http://graz. radln.net/cms/ beitrag/10827889/ 25359572/, letzter Zugriff: 16.01.2011 163 A utoren vorstellung 164 Chen, Jing Hui, studierte nach seinem Abitur in Huizen (NL) an der Technischen Universität Berlin Verkehrswesen mit dem Schwerpunkt Planung und Betrieb sowie Stadt- und Regionalplanung im Bachelor mit den Schwerpunkten integrierte Verkehrsplanung und Städtebau. Seine Abschlussarbeiten befassten sich mit dem Themen Radverkehr (Titel: Fahrradfreundliche Städte in Europa – Eine Typengenierierung) und öffentlicher Raum (Titel: Übernutzung des öffentlichen Raums – Die Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg). Er ist seit 2011 Tutor am Verkehrswesenseminar. Kontakt: chen.jhd@gmail.com Engels, Peter, Student an der Technischen Universität Berlin, studiert Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Maschinenbau im 6. Semester. Anschließend plant er ein Masterstudium mit Fachrichtung Logistik zu absolvieren. Kontakt: klauspeter.engels@googlemail.com Jahn, Valentin, studiert seit 2006 Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung mit Nebenfach Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin. In seinem Studium, wie auch bei seiner Tätigkeit im Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), beschäftigt er sich mit der Entstehung und den Auswirkungen von Verkehr, vor allem in urbanen Räumen. Sein Fokus liegt dabei auf dem Zukunftspotential neuer Medien. Neben der Forschung ist er als professioneller Musiker in diversen Orchestern aktiv. Kontakt: jahn@soz.tu-berlin.de Klippert, Lars, seit 2009 Student des Wirtschaftsingenieurswesen an der Technischen Universität Berlin mit der Fachrichtung Maschinenbau /Verkehrswesen. Studienschwerpunkte bilden dabei die Logistik und das Verkehrswesen. Er ist seit 2011 Tutor am Verkehrswesenseminar. Kontakt: Lars.J.Klippert@campus.tu-berlin.de Kunert, Rita, studiert seit 2009 Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Maschinenbau an der Technischen Universität Berlin. Kontakt: rita.kunert@gmx.de Kürbis, Katja, studiert seit Oktober 2009 Wirtschaftsingenieurswesen mit der Vertiefung Maschinenwesen an der Technischen Universität Berlin. Schwerpunkte sind unter anderen Marketing, Innovationsmanagement, Fabrikbetrieb und Produktionstechnik. Neben dem Studium engagiert sie sich im Company Consulting Team e.V., der studentischen Unternehmensberatung Berlins. Kontakt: katja.kuerbis@mailbox.tu-berlin.de Lebahn, Lena, studiert Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Maschinenbau. Ihre Hauptthemenfelder sind Fertigungstechnik, Automatisierungstechnik und Montagetechnik. Neben dem Studium ist sie als Werkstudentin bei einem Technologiekonzern tätig und in die Abwicklung strategischer Projekte im Bereich des Gasturbinenbaus eingebunden. Kontakt: lena@lebahn.net Leben, Jörg, Diplom-Ingenieur, studierte Planung und Betrieb im Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Verkehrswesenseminar (TU Berlin). Arbeitsschwerpunkte Radverkehr und qualitative Forschung. Kontakt: jleben@web.de Liebner, Mattis, seit 2009 Student an der Technischen Universität Berlin im Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau/Verkehrswesen. Kontakt: Mattis.Liebner@campus.tu-berlin.de Pilz, Carla D., ausgebildete Industrietechnologin für Mechatronische Systeme an der Siemens Technik Akademie Berlin, studiert Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau im 5. Bachelorsemester an der Technischen Universität Berlin. Hauptthemenfelder ihres Studiums sind Montagetechnik, Technologien der virtuellen Produktentstehung, Strategische Normung und Leitungsorganisation. Sie ist derzeit Tutorin bei dem Projekt ›Techno-Club‹ der Technischen Universität Berlin. Kontakt: carla_pilz@yahoo.de Sauer, Martin, studiert seit 2006 Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung mit Nebenfach Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin. Seine Schwerpunkte bilden Innovation und Kultur in der Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Er arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und für das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). Seine Diplomarbeit beschäftigt sich mit der szenischen Vergemeinschaftung unter Radfahrern in Berlin. Sein ehrenamtliches Engagement widmet sich der Kulturarbeit im ländlichen Raum Nordbayerns. Kontakt: martin.sauer@soz.tu-berlin.de 165 Stolle, Tim, studiert seit 2009 Wirtschaftsingenieurwesen mit der Vertiefung Maschinenbau an der Technischen Universität Berlin. Weitere Studienschwerpunkte sind Umwelt- und Ressourcenökonomie. Kontakt: tustolle@mailbox.tu-berlin.de Thomsen, Marc, studiert seit 2010 Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin. Den Schwerpunkt hierbei bildet die Luft- und Raumfahrttechnik. Kontakt: marc.thomsen@gmx.de 166 Die Texte der ersten Ausgabe der neuen Schriftenreihe des Verkehrswesenseminars beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten des innerstädtischen Radverkehrs, ein Thema das im Zusammenhang mit der Verknappung fossiler Energieträger und einem steigenden Mobilitätsbedürfnis zusehends relevanter wird. Dabei werden sowohl technische, planerische als auch sicherheitsrelevante und kulturelle Themen angesprochen. Universitätsverlag der TU Berlin ISBN 978-3-7983-2510-4 (print) ISBN 978-3-7983-2511-1 (online)