Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert (Hrsg.) Jahrbuch Stadterneuerung 2013 Das Ende der Behutsamkeit? Das Jahrbuch Stadterneuerung ist eine Publikation des Arbeitskreises Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Technische Universität Berlin Technische Universität Dortmund HafenCity Universität Hamburg Universität Kassel Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert (Hrsg.) Jahrbuch Stadterneuerung 2013 Das Ende der Behutsamkeit? Beiträge aus Lehre und Forschung an deutschsprachigen Hochschulen Universitätsverlag der TU Berlin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar. Universitätsverlag der TU Berlin 2013 http://www.univerlag.tu-berlin.de Fasanenstraße 88 (im VOLKSWAGEN-Haus), 10623 Berlin Tel.: +49 (0)30 314 76131 / Fax: -76133 E-Mail: publikationen@ub.tu-berlin.de Das Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Herausgeber Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert für den Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Mitglieder im wissenschaftlichen Beirat des Jahrbuchs Stadterneuerung Rainer Danielzyk Fachgebiet Raumordnung und Regionalentwicklung, Universität Hannover Wolfgang Förster Stadt Wien, Referat für Wohnbauforschung und internationalse Beziehungen Max Wech Guerra Lehrstuhl Raumplanung und Raumforschung, Bauhaus Universität Weimar Johan Jessen Fachgebiet Grundlagen der Orts- Regional- und Landesplanung, Universität Stuttgart Heike Liebmann Abteilung Stadtentwicklung / Stadtplanung, B.B.S.M. Potsdam Kosta Mathéy GOBUS Global Urban Studies Intitutem International Academy an der FU Berlin Christa Reicher Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung, TU Dortmund Angela Uttke Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen, TU Berlin Produktion und Satz Karin Blaschka, Berlin Umschlaggestaltung Frank Rogge, Hamburg Druck und Bindung docupoint GmbH Otto-von-Guericke-Allee 14, 39179 Barleben info@docupoint.de Titelbild Istanbul 2013 Uwe Altrock, 2013 ISBN 978-3-7983-2644-6 (print) ISBN 978-3-7983-2645-3 (online) Online veröffentlicht auf dem Digitalen Repositorium der Technischen Universität Berlin: URL http://opus4.kobv.de/opus4-tuberlin/frontdoor/index/index/docId/4276 URN urn:nbn:de:kobv:83-opus4-42765 [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:83-opus4-42765] INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 9 Schwerpunkt „Das Ende der Behutsamkeit?“ Dirk Schubert Stadtsanierung, Stadtumbau und Stadterneuerung in Hamburg – Aus der Geschichte lernen? 25 Theo Winters Die Zukunft der Behutsamen Stadterneuerung – eine Bilanz der Behutsamen Stadterneuerung in Thesenform 45 Matthias Bernt Die Herausforderer der Behutsamen Stadterneuerung 53 Holger Leimbrock Die behutsame Erneuerung historischer Stadtkerne in Mittelstädten – Stabilitäts- und Bedrohungslinien 69 Hildegard Schröteler-von Brandt Dorferneuerung: Die Rückbaudebatte in schrumpfenden Regionen als bedeutsamer Bestandteil der integrierten Innenentwicklung? 89 Heike Oevermann Städtische Transformationsprozesse: behutsame Gestaltung historischer Industrieareale 107 Holger Schmidt Stadtumbau braucht neue Behutsamkeit 119 Eric M. Tenz Soziale Behutsamkeit in der Stadterneuerung – eine Illusion? Eine kritische Analyse der lokalpolitischen Partizipation, der Umsiedlungen und der Sozialplanung im Kontext des Programms Stadtumbau Ost 127 Achim Schröer, Julia Drittenpreis, Hana Riemer Behutsamkeit für die Nachkriegsmoderne?– Strategien der Stadterneuerung in den Wohnsiedlungen der 1950er Jahre 145 5 Arvid Krüger „Renewal Mainstreaming“: Stadterneuerung als rein kommunale Aufgabe? 161 Petra Jähnke Stadterneuerung im Wandel? Akteursperspektiven aus Großstadtquartieren mit sozialen Problemlagen und partiellen Aufwertungstendenzen 181 Gerhard Mahnken Behutsame Stadterneuerung im Spiegel des Stadtteildiskurses – Raumpioniere als Akteure behutsamer Erneuerung im Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg 201 Michael Locher Behutsamkeit in der Denkmalpflege – Vorwand oder Strategie? 217 Fabian Beran Behutsame Stadterneuerung als Ansatz der Sanierung von Großwohnsiedlungen in Osteuropa? 227 Anja Nelle Behutsamkeitsansprüche im Praxiskonflikt: ein deutsch-brasilianischer Vergleich 241 Martin Düchs Behutsamkeit um ihrer selbst willen! (?) – Eine moralphilosophische Analyse des Prinzips Behutsamkeit in der Stadtplanung 251 Theorie und Geschichte Christian von Oppen Monumentalstadt Lissabon: ein (Papier-)Projekt der Salazar-Diktatur 265 Praxisfelder der Stadterneuerung Jutta Vorkoeper Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung in Hamburg (RISE) 283 Hannah Baltes, J. Alexander Schmidt Stadt begegnet Klimawandel – Klimaanpassung im Bestand 297 Susanne Dürr, Christina Simon-Philipp Stadterneuerung und öffentlicher Raum. Wohnraum Stadt – Strategien, Projekte 303 6 Stadterneuerung im Ausland Daphne Rebecca Frank Inclusive urban governance. Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit 319 Martin Hoelscher Stadt und Zivilgesellschaft – das Konzept der integrierten sozialen Entwicklung in Medellín (Kolumbien) 329 Sema Şahin Das neue Stadterneuerungsprogramm von Istanbul: Erdbebensicherheit als Vorwand für ahistorischen Stadtumbau? 343 Lehre und Forschung J. Alexander Schmidt Die Stadt als Herausforderung für Lehre und Forschung – Masterstudiengänge an der Universität Duisburg-Essen 361 Katrin Großmann, Annegret Haase, Sigrun Kabisch, Elsbieta Niezabytowska, Adam Bartoszek Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen: ein deutsch-polnisches Forschungs- und Lehrprojekt 367 Berichte und Rezensionen Gisela Schmitt (Rezension) Tilman Harlander, Gerd Kuhn, Wüstenrot Stiftung (Hg.), Soziale Mischung in der Stadt. Case Studies – Wohnungspolitik in Europa – historische Analyse 375 Anhänge Übersicht über die Autorinnen und Autoren in dieser Ausgabe 379 Autorinnen und Autoren 1990-2013 383 Ortsregister 1990-2013 389 Stichwortregister 1990-2013 395 7 Vorwort Im Frühsommer des Jahres 2013 blickt Deutschland gebannt auf die Folgen des zweiten Jahrhunderthochwassers im noch keine 15 Jahre alten neuen Millenium. Während sich eine 40 Kilometer lange Scheitelwelle der Elbe mit Rekordpegeln durch die norddeutsche Tiefebene schleppt und dabei nicht nur auf zwar hässliche, aber offenbar stabile Spundwände um historische Altstadtkerne, sondern auch auf seit der Flut 2002 nicht verstärkte alte Deiche, in die Keller vieler historischer Gebäude, auf das Nervenkostüm der Betroffenen sowie auf die Rücklagen von Eigentümern, Versicherungen und der Staatskasse drückt, verdichten sich viele offene Fragen zu einer großen Verunsicherung über Sicherheit und vorausschauende Infrastruktur-, Stadtentwicklungs- und Raumpolitik. Offenbar recht erfolgreich durch die Untiefen der Euro-Rettung navigiert, stand Deutschland vor der anstehenden Bundestagswahl. Hatte sich die Bundesregierung im Verbund mit einigen ihrer europäischen Partner durch Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise von Rettungsinitiative zu Rettungsinitiative gehangelt, ohne den langfristigen Erfolg im Umgang mit der größten ökonomischen Erschütterung des Weltwirtschaftssystems seit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 zuverlässig vorhersagen zu können, verblassen nun Themen wie Euro-Rettung und Schuldenbremse im Angesicht der kilometerweit ins Hinterland der Flussläufe ausgebreiteten Wassermassen und der Wucht, mit der sie zu schwache Deiche durchbrechen. Vor der Flut war die Debatte über die Zukunft der Bund-Länder-Städtebauförderung im Jahr 2012 noch davon bestimmt gewesen, wie nach der wenige Jahre zuvor wirksam gewordenen Veränderungen für das System durch die Föderalismusreform angesichts der Ausdifferenzierung der Programme, der politischen Überlegungen zum Verhältnis der Förderung von investiven und nicht-investiven Maßnahmen insbesondere im Programm „Soziale Stadt“, der Begrenztheit der verfügbaren Fördermittel und des erreichten Stands der Sanierung in vielen Städten bei neu aufkommendem Sanierungsbedarf in zahlreichen anderen das System der Städtebauförderung vorsichtig und schrittweise weiterentwickelt werden könnte. Dazu hatte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in zwei Werkstattgesprächen im Kreis von Vertretern von Bund, Ländern, Gemeinden und Fachverbänden mögliche Entwicklungspfade diskutiert. Vertreter der Wissenschaft waren weitgehend aus diesen Diskussionen ausgeschlossen. Es zeichneten sich einige moderate Schritte in Richtung auf eine Straffung der Programmfamilie, Effizienzsteigerungsansätze und eine allmähliche Einführung eines einheitlichen Evaluierungssystems ab. Ein erstes diesbezügliches Zeichen stellte das Auslaufen des Programms „Sanierung und Entwicklung“ dar, das seit den 1970er Jahren den Kern der Bund-Länder-Städtebauförderung gebildet hatte. Es hatte bei den Kommunen wegen seiner Flexibilität immer recht hoch im Kurs gestanden, und nicht zuletzt wegen des Aufwands, den der Abschluss eines Sanierungsverfahrens bedeutet, hatten sich viele Städte und Gemeinden über lange Zeit gescheut, ihre teilweise jahrzehntelang in diesem Programm laufenden Maßnahmen zu beenden. Bis zur Bundestagswahl ist mit einer schnellen Weiterentwicklung der Städtebauförde9 rung auch nach den vor und im Jahre 2012 vorgenommenen Vorbereitungen nicht mehr zu rechnen. Zwar wurde vielfach deutlich, dass quartiersbezogene Maßnahmen zum Klimaschutz im Zuge der Energiewende einen bedeutenden Stellenwert erlangen würden, doch einen expliziten Niederschlag hatten sie im System der Bund-LänderStädtebauförderung noch nicht erlangt. Mit der Flut kann damit gerechnet werden, dass das Thema Klimaschutz angesichts der Zusammenhänge zwischen Klimaveränderung und Starkregenereignissen weiterhin auf der Agenda der Politik bleibt. Die erforderlichen Finanzhilfen für die Opfer der Flut stellen eine große Kraftanstrengung der Politik dar. Wie sich die flutbedingte Sanierung von betroffenen Städten und Gemeinden auf die Sanierungspolitik insgesamt auswirken wird, ist noch nicht eindeutig abzusehen. Dass die Überlegungen zu ihrer Zukunft davon unbeeinflusst bleiben, darf schon angesichts der enormen Mittelkonzentration, die nun zur Reparatur von Flutschäden erforderlich wird, bezweifelt werden. Viele Fragen werden dabei erneut gestellt werden, etwa die nach dem Verhältnis von Prävention und Nachsorge oder die nach der Rolle historischer Ortskerne mit großer Bedeutung für die örtliche und regionale Identität, die sich in flutanfälligen Gebieten befinden wie etwa Grimma oder Lauenburg. Bislang scheint dabei noch weitgehend unumstritten, dass die Bewohner so weit wie möglich an ihren angestammten Wohnorten festhalten möchten, auch wenn sie dafür immer wieder einen beträchtlichen Preis zahlen müssen. Die darin zum Ausdruck kommende Bedeutung von Heimat, örtlicher Identität, Eigentum an Grund und Boden und sozialem Zusammenhalt macht einmal mehr in augenfälliger Weise deutlich, wie sorgsam jede Form der raumwirksamen Politik mit der Gewordenheit sozialer und baulicher Zusammenhänge umgehen muss. Sie erinnert uns immer wieder an die Relevanz des Konzepts der „behutsamen Stadt10 erneuerung“, die Anlass für den Schwerpunkt dieses Bandes ist. Die Genese der behutsamen Stadterneuerung „Die Zukunft der Behutsamkeit“ war die provozierende Leitfragestellung der Tagung des Arbeitskreises Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen im Juni 2012 in Kassel. Was unter Planern, Denkmalpflegern und Stadtteilinitiativen Konsens schien, hat in den letzten Jahren Risse bekommen. Es gibt kaum einen Dissens, dass die Umsetzung des Leitbildes der behutsamen Stadterneuerung durch die verstärkte Nachfrage oberer Einkommensgruppen und der neuen Führungsschichten nach innerstädtischem Wohnraum in prosperierenden Städten in Frage gestellt wird, während die Leerstände in Städten der neuen Bundesländer aus anderer Perspektive Wohnungsabrisse nahe legen. Durch die Umkehrung der Stadt- (Um-)Land-Wanderung und die Steigerung der Attraktivität vieler innerstädtischer Altbaubestände, nicht zuletzt durch Stadterneuerungsmaßnahmen, zeigt sich ein enormer Verdrängungswettbewerb in vielen Altbauquartieren. Zentrale Lage, gute infrastrukturelle Ausstattung, soziale Durchmischung, Nutzungsvielfalt und häufig große Wohnungen lassen die Nachfrage nach derartigen Wohnungen in die Höhe schnellen und auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu einem lukrativen Geschäft werden. Ein knapper Rückblick mag erhellen, wie es zu dem Leitbild der „behutsamen, bewohnerorientierten Stadterneuerung“ kam, um daran Fragen der zukünftigen Perspektiven anzuschließen. Nach den euphorischen Hoffnungen vorausschauender Stadtentwicklungsplanung, der Planungseuphorie und dem umfassenden Stadtumbau bis Anfang der 1970er Jahre folgte Ende der 1970er Jahre eine radikale Umkehr der Prin- zipien fordistisch geprägter Stadterneuerung. Der Frage „Sanieren, aber wie?“, folgte die Kritik „Sanierung für wen?“, so zwei Buchtitel aus den Jahren 1969 und 1970, die den Paradigmenwechsel umreißen. Mit den gravierenden Folgen der baulich-räumlichen und sozial-räumlichen Modernisierungsprozesse schlugen Hoffnungen in Befürchtungen um, denn viele der durchgeführten Stadterneuerungsmaßnahmen hatten neben (materiellem) Zugewinn auch (immaterielle) Verluste bewirkt. Das positive Leitbild der Planer, Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungspolitiker, wie zu Wohnen sei, kehrte sich für die Bewohner zum kritisierten „Leidbild“ um. Die Ende der 1970er Jahre in den Medien einsetzende Planerschelte war zwar weitgehend unangemessen, denn Städte und Gemeinden waren durchaus an der Stadterneuerung interessiert, (Gemeinnützige) Wohnungsunternehmen sahen hier eine neue Aufgabe, Soziologen produzierten „Datenfriedhöfe“, und schließlich sahen Architekten und Planer beim quantitativen Rückgang des Wohnungsneubaus eine neue, in der Erneuerung der Bestände eine gesellschaftlich bedeutende Aufgabe. Die „Leistungen“ der Stadterneuerung in Form von Flächensanierungen wurden nun in eine Negativbilanz umgedeutet. Großteiliger Abriss sollte durch kleinteiligen Erhalt, schnelles durchgreifendes Vorgehen durch langsame Veränderungen, gewaltsames Vorgehen und Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung, Verdrängung und Aufwertung durch Erhaltung „gewachsener“ Sozialstrukturen und gesellschaftliche Modernisierungen und Disziplinierungen durch Sicherung von Nischen, Mitwirkung und Beteiligung ersetzt werden. Mit diesem Paradigmenwechsel wurden die Ziele, Verfahren und Ergebnisse der Stadterneuerung der ersten drei Jahrzehnte der Nachkriegszeit nicht nur in Frage gestellt, sondern geradezu ins Gegenteil verkehrt. Die einebnenden Wirkungen von umfassenden Modernisierungen wurden zunehmend als Defizit empfunden, die Akzeptanz von Ungleichzeitigkeiten, eines Nebeneinanders und einer Vielfalt baulich-räumlicher und sozial-räumlicher Strukturen eingefordert. In dem Maße, wie der Widerstand gegen die praktizierte Form der Stadterneuerung mit Abriss und Neubau oder durchgreifender Sanierung wuchs, entwickelte sich auch die Polemik gegen kleinfamiliares Wohnen, das Einengung, Fremdbestimmung und Disziplinierung implizierte. Das planerische Wunschdenken in der Stadterneuerung („langweilig, sicher, sauber“) korrespondierte nur begrenzt mit den Lebens- und Wohnvorstellungen der Bewohner. Eine Evaluation der Sanierungsverläufe belegt, dass trotz offiziell behaupteter bester Planungsabsichten die Sanierung teilweise zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Planungsbetroffenen geführt hatte. Neben objektivierbaren baulichen und städtebaulichen Missständen waren auch soziale Wertvorstellungen von Planerinnen Motor des Handelns. Häufig taten sich die Planerinnen schwer mit der Tolerierung von Nischen der Andersartigkeit, die nicht den vorgegebenen bauordnungsrechtlichen Standards und Normen entsprachen. Auch war der Widerstand von Mietern und Gewerbetreibenden gegen die Kahlschlagsanierung gewachsen. Der anhaltende bauliche Verfall hatte einen Bevölkerungsaustausch in Gang gesetzt. Der Zuzug von Haushalten mit Migrationshintergrund verstärkte wiederum den Fortzug von „alteingesessenen“ deutschen Bevölkerungsteilen aus Altbauquartieren. Das sozialstaatliche Sanierungsmodell mit Abrisssanierung und folgender Neubebauung geriet durch Ölkrise, Einbrüche im Finanzetat und durch den raschen Anstieg der Kostenmieten in die Krise. Ideologisch und ökonomisch war die Flächensanierung an ihre Grenzen gestoßen. Im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 wählte der Berliner Senat schließlich den 11 Block 118 in Berlin-Charlottenburg als Beispiel für eine Modernisierung nach neuen Prinzipien aus. Unter der Leitung von HardtWaltherr Hämer sollte er umgehend zum populären Modell für die „erhaltende Erneuerung“ werden. Es war das Prestigeprojekt des Senats, Schauplatz von Auseinandersetzungen, Experimentierfeld für Architekten und Vorreiter für eine Wende in der Stadterneuerungspolitik. „Stadterneuerung ohne Verdrängung“ und sozialorientierte Erneuerung wurden unter dem Erfolgszwang des Präsentationsjahres zum Denkmalschutz und vor dem Hintergrund der anstehenden Abgeordnetenhauswahlen möglich. Der Wechsel zur „behutsamen Stadterneuerung“, zur Rehabilitierung der „größten Mietskasernenstadt der Welt“ – so Werner Hegemanns Verdikt – sollte dann nicht nur Berliner, sondern europäische Stadterneuerungsgeschichte schreiben. Die „Altbau-IBA“ trug in den 1980er Jahren wesentlich dazu bei, „kaputte Stadt zu retten“, und mit der Verabschiedung der berühmten „12 Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung“ wurde sie zum politischen Programm. Die „behutsame Stadterneuerung“ galt als das fortschrittlichste sanierungs- und sozialpolitische Konzept, den baulichen Verfall von Altbauquartieren zu bremsen, zu erneuern, ohne zu zerstören, Planungsprozesse zu demokratisieren, Verfahrensabläufe zu entbürokratisieren und Raum für Experimente zu schaffen. Die „behutsame Stadterneuerung“ war nicht nur interdisziplinär, sondern sie war auch international orientiert. In anderen europäischen Städten wurden ähnliche Programme aufgelegt. Immer lokal orientiert und auf die Besonderheiten des Ortes und seiner Bewohner zugespitzt, wurden mit den Einwohnern maßgeschneiderte Bestandsentwicklungskonzepte entwickelt. Die Stadterneuerungsdebatte erfuhr eine Internationalisierung, Städte wie Rotterdam, Wien und Bologna waren teilweise schon Vorreiter 12 und Impulsgeber für Berlin gewesen und wurden nun zum Mekka der Planer und ihre Erneuerungspraktiken im Austausch vertieft. Die Hochschulen wurden vielfach zum Forum von innovativen Ansätzen der Stadterneuerung, die dann in die Praxis getragen wurden. Selbsthilfe, wie sie z. B. im Zusammenhang mit der IBA in West-Berlin propagiert und praktiziert wurde, war eine dieser neuen Strategien, die an der Schnittstelle Staat und Eigeninitiative ansetzte. Was als „Nische“ noch kurz zuvor „sanierungsbedürftig“ erschien, wurde umgehend als schützenswert begriffen. Vielfalt und Ungleichzeitigkeit baulich-räumlicher und sozial-räumlicher Strukturen wurden als Werte gesehen, die nicht mehr eingeebnet, sondern als Kennzeichen städtischer Kultur betont und weiterentwickelt werden sollten. Die „behutsame Stadterneuerung“ wurde nun von allen Akteuren der Sanierung zunehmend, zumindest verbal, als Leitbild akzeptiert, wenngleich sich dahinter durchaus unterschiedliche, teilweise auch diametral entgegen gesetzte Praktiken verbargen. Kleinteiligkeit und Behutsamkeit, Ansetzen an lokalen Interessen und Bedürfnissen sowie Stärkung von endogenen Potentialen waren nur einige Schlagworte, die eine veränderte Problemsicht und einen anderen Umgang mit den vormals als „Problemgebieten“ titulierten Quartieren andeuteten. Nicht mehr große Wohnungsbauprojekte an der Peripherie, sondern die Erneuerung der innerstädtischen Quartiere wurde umgehend zur vorrangigen Aufgabe. Personelle Veränderungen sollten die Neuorientierung des städtebaulichen Diskurses befördern. Bald wurde in einer Kehrtwendung das hohe Lied auf Nutzungsmischung gesungen: Gebäudeerhaltung und Bürgerbeteiligung wurden zentrale Bestandteile der behutsamen Stadterneuerung – Jane Jacobs hätte ihre Freude gehabt an der „Kreuzberger Mischung“. Die innerstädtische Verflechtung von Architektur, Kultur und Gewerbe wurde nicht nur publizistisch propagiert, sondern mit der IBA 1984 praktisch gestärkt, gelebt und implementiert. Eine Zukunft für die Behutsamkeit? Infragestellungen und Perspektiven Der Gegenpol zur „Behutsamkeit“ wird häufig mit Gentrifizierung identifiziert. Mit dieser Kategorisierung ist häufig eine negative Bewertung des Prozesses der Gentrifizierung impliziert, die bisweilen eine positive Bewertung der kommunalen Form der behutsamen Stadterneuerung impliziert sowie die Annahme, dass es bei dieser öffentlichen Intervention kaum zu Bewohnerverdrängungen komme. Erklärtes Ziel einer „behutsamen Stadterneuerung“ war immer die weitgehende Beibehaltung einer vorhandenen Bevölkerungsstruktur, auch wenn sich dieses Ziel nicht oder nur begrenzt erreichen ließ. Soziale Mischung und Erhalt der Sozialstruktur kann aber mitnichten bedeuten, dass zukünftig immer alles so bleiben kann, wie es ist. Die Extrempole „behutsame Stadterneuerung“ versus gentrification sind dabei als Konstrukte einer Klassifikation zu interpretieren, die in der Realität in Reinkultur ohnehin kaum vorkommen. Zunehmend werden ehemals öffentliche Aufgaben wieder privatisiert, Mischformen wie private-public-partnerships gewinnen an Bedeutung, und öffentlich geförderter Wohnungsbau wird privatisiert. Auch bei einer behutsamen Stadterneuerung sind Bewohnerverdrängungen nicht vollkommen auszuschließen, und bei Gentrifizierung gibt es Möglichkeiten, sie auch sozialverträglich zu gestalten. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie die behutsame Stadterneuerung fortentwickelt werden kann, um die negativen Folgen von Gentrifizierung zu vermeiden. Damit wiederum ist die Frage der „Zukunft der Behutsamkeit“ aufgeworfen. Vor diesem aktuellen Hintergrund lohnt es sich, einen Blick auf die Zukunft des Leitbilds der „behutsamen Stadterneuerung“ zu werfen. Wie bereits einleitend angedeutet, hat das Leitbild der Behutsamkeit in vielen weiteren Bereichen der Stadterneuerung über die Jahrzehnte seine Spuren hinterlassen. Wenn nach der „Zukunft der Behutsamkeit“ gefragt wird, sind diese Weiterungen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Zunächst ist die Übertragung der „behutsamen Stadterneuerung“ auf die Großsiedlungen an der Peripherie zu nennen, die sich bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in der alten Bundesrepublik abzuzeichnen begann. Offensichtlich schied damals eine abrissorientierte oder auch nur eine mit einer Verdrängung von Bewohnern verbundene Erneuerung aus – waren ja die Großsiedlungen unter anderem deswegen errichtet worden, weil mit dem fordistischen Massenwohlstand eine Verbesserung der quantitativen Wohnungsversorgung für breite Schichten angestrebt wurde, die durch massive Abriss- und Neubauprogramme konterkariert worden wären. Ganz gleich, wie man zur Qualität dieser Bestände des sozialen Wohnungsbaus gestanden haben mag, so wäre doch ein Verzicht auf sie schlichtweg nicht finanzierbar gewesen. Mit der Volkszählung 1987 zerstob auch schnell die Illusion, dass durch den Massenwohnungsbau der Nachkriegsjahrzehnte sämtliche Wohnungsknappheiten beseitigt hätten werden können. Dass Großsiedlungen nachzubessern seien, war aber zur damaligen Zeit noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ein dementsprechendes Bewusstsein setzte sich erst allmählich über Interventionen von Fachleuten und Förderprogramme durch. Mit der Aufwertung konnte schließlich immerhin eine Differenzierung monotoner Fassaden und eine Verbesserung des Wohnumfelds erreicht werden. Mit der deutschen Vereinigung standen dann schnell Überlegungen auf dem Plan, das Prinzip der Behutsamkeit in der Altbausanierung und in den Großsiedlungen auf die neuen Länder zu übertragen. Massive 13 Investitionen in die Rettung des vernachlässigten Altbaubestands, begleitet von einem umfangreich ausgestatteten Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“, leisteten hierzu einen erheblichen Beitrag. Die Übertragung der „behutsamen Stadterneuerung“ auf die gründerzeitlichen Altbauquartiere, wie die Sanierung historischer Altstädte führte allerdings aufgrund der sich abzeichnenden Bevölkerungsrückgänge und der örtlichen Wohnungsnachfrage zu ganz anderen Entwicklungen als in der alten Bundesrepublik. Teilweise gelang es nicht, die Wohnungsnachfrage in hinreichendem Umfang in diese Bestände zu lenken, nicht zuletzt auch deshalb, weil ein großer Teil der Ortsansässigen das gut ausgestattete Wohnen im Plattenbau zu schätzen gelernt hatte und die Zuwanderung sich aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse in Grenzen hielt, so dass bis heute Leerstände und Sanierungsrückstände in bestimmten ostdeutschen Altbauquartieren erkennbar sind. In größeren und in wirtschaftlich erfolgreicheren Städten jedoch entstand teilweise ein run auf innerstädtische Altbauten, der zu einer Neubelegung oder einem weitgehenden Austausch der Bevölkerung führte. Dies hatte unter anderem auch damit zu tun, dass bei der Übertragung des Behutsamkeitsprinzips angesichts der Begrenzung verfügbarer öffentlicher Mittel und des allmählichen wohnungspolitischen Übergangs weg vom sozialen Wohnungsbau nicht die umfangreiche wohnungspolitische Begleitung erfolgte, die sich etwa in den Quartieren der „Altbau-IBA“ in Berlin als Regel herausgebildet hatte. Die Verbreitung des zunächst experimentell entwickelten Behutsamkeitsprinzips erzwang dort letztlich einen tendenziellen Rückzug des Staats auf die Förderung der Sanierung öffentlicher Räume und öffentlicher Einrichtungen. Die Mobilisierung privater Investitionen wurde steuerlich angeregt und gelang auch in beträchtlichem Umfang, nicht zuletzt wegen der hohen Attraktivität der Altbauquartiere in den genannten Städten, doch gelang es 14 der öffentlichen Hand nur eingeschränkt, die damit einhergehenden Mietpreissteigerungen und Umwälzungen der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung abzumildern. Damit zeichnete sich in Städten wie Berlin, Potsdam, Jena oder Dresden teilweise eine Entwicklung ab, die später in Gesamtdeutschland als Gentrifizierung kritisiert wurde, aber in Teilen Ostdeutschlands aufgrund der niedrigeren Haushaltseinkommen trotz des ebenfalls geringen Ausgangsniveaus der Mieten und der verbreiteten Wohnungsleerstände als besonders kritikwürdig empfunden wurde. Das in den 1980er Jahren gewachsene Bewusstsein, dass auch teilweise negativ stigmatisierte Großsiedlungen an der Peripherie lebenswert und vor allem nachbesserungsfähig sind, ließ sich in den 1990er Jahren unmittelbar auf den komplexen Wohnungsbau der DDR übertragen und trug dazu bei, dass schnelle Abrissforderungen abgewehrt werden konnten. Hieraus entwickelte sich ein eigener Weg des behutsamen Umgangs mit Plattenbauquartieren, der zunächst dazu beitragen sollte, die in den 1980er Jahren zur Lösung der Wohnungsfrage bis 1990 von der DDR-Führung unter Erich Honecker schnell und unter Vernachlässigung wichtiger Standards errichteten Siedlungen nachzurüsten. Im Mittelpunkt standen beispielsweise erste Fassadensanierungen, teilweise schon gekoppelt mit Maßnahmen zum Wärmeschutz, und die Fertigstellung von Außenanlagen im Wohnumfeld. Auf diese Weise sollte zumindest ein Teil der nachholenden Suburbanisierung in die Einfamilienhaussiedlungen aufgehalten und ein Beitrag zur Stabilisierung der noch vergleichsweise jungen Plattenbauquartiere geleistet werden. Mit diesen Maßnahmen zeichnete sich zunächst ein vergleichsweise behutsamer Umgang ab, doch entstand auf diese Weise gleichzeitig das spätere Dilemma des Stadtumbaus Ost, einerseits lebensfähige Stadtstrukturen mit möglichst geringen Eingriffen in das soziale Gefüge er- halten und andererseits den einbrechenden Wohnungsmarkt, insbesondere öffentlicher oder durch Bürgschaften der öffentlichen Hand abgesicherter Wohnungsunternehmen, über Abrisse stabilisieren zu wollen. Während der Behutsamkeitsgedanke durch die Geburt der „Sozialen Stadt“ über die noch intensivere Verknüpfung städtebaulich-quartierspolitischer Förderprogramme mit Instrumenten der Arbeitsmarktförderung, der Bildungspolitik und anderen politischen Programmen eine weitere Unterstützung erhielt – wobei die Wirkungen dieses Politikansatzes kontrovers diskutiert werden können – und dabei insbesondere Quartiere mit besonders starker negativer Stigmatisierung stabilisiert werden sollten, in denen mit einer aufwertungsbedingten Verdrängung der sozial benachteiligten Bevölkerung weniger zu rechnen war, brachten die anhaltenden Abwanderungstendenzen in ostdeutschen Städten und die damit verbundenen Leerstandsraten das bereits erwähnte Programm Stadtumbau Ost hervor, das mit seiner Förderung von Rückbau- und Aufwertungsmaßnahmen zwar zu einer Stabilisierung beitragen sollte, in der Praxis allerdings in erheblichem Maß in die Lebenswelt zahlreicher Bewohner eingriff. Der Behutsamkeitsgedanke findet sich dabei zwar in der Förderung von Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen und der möglichst bewohnerverträglichen Gestaltung von abrissbedingten Umzügen wieder, doch wurde er in der Praxis deutlich verengt oder sogar konterkariert. Mit dem Stadtumbau Ost wurde insbesondere das über Jahre bestehende vermeintliche Abrisstabu stadtentwicklungspolitischer Leitbilder in Deutschland so massiv erschüttert, dass sogar viele Stadtplaner selbst aktiv an der Entwicklung und Umsetzung drastischer Rückbaukonzepte mitwirken. Doch damit nicht genug: Denkmalgeschützte Fachwerkhausbestände in Mittel- und Kleinstädten häufen inzwischen besorg- niserregende Leerstandsquoten an, und angesichts der ungelösten Frage nach der Finanzierbarkeit und Sinnhaftigkeit ihrer energetischen Sanierung wird der Ruf nach weniger sensiblen Lösungen im Umgang mit Baudenkmalen über die Ruppigkeit der kommerziellen Überprägungen und Abrisse gewerblich genutzter Baudenkmale hinaus zusehends hoffähig. Inzwischen zeigen sich auch in sanierten und revitalisierten Quartieren neue Strukturprobleme, die nach einer stärker abrissorientierten Entkernung von Blockinnenbereichen zu rufen scheinen. In Schwellenländern bringt die starke Urbanisierungsdynamik zum Teil sehr schmerzliche Verluste baulicher Substanz und sozialer Kontexte mit sich, da sich dort teilweise eine Kultur der Behutsamkeit gar nicht durchsetzen konnte, inzwischen aber die Ressourcen für eine Infragestellung historischer Bestände in viel größerem Umfang als noch vor einigen Jahren zur Verfügung stehen. So zeigt sich, dass – in wirtschaftlich sehr dynamischen Megastädten des Südens ohnehin, aber zusehends auch in Deutschland – einhergehend mit der soziokulturellen und ökonomischen Infragestellung weiterer historischer Bestände über Abwanderung und Leerstand, erneuerten Sanierungsbedarf denkmalgeschützter Substanz bei zu geringer Wohnungsnachfrage und fehlenden Mitteln zur denkmalgerechten Sanierung, der verstärkten Forderung nach energetischer Sanierung nicht zuletzt auch von in die Jahre gekommenen Nachkriegsbeständen das Behutsamkeitspostulat an seine Grenzen stößt und sowohl in baulicher als auch in sozialer Hinsicht von den Zwängen der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zunehmend in Frage gestellt wird. Welche Perspektiven sich für eine Weiterentwicklung, Neujustierung, veränderte Ausdeutung oder auch erzwungene Abkehr von den Prinzipien der Behutsamkeit in der Stadterneuerung abzeichnen, steht daher im Mittelpunkt des Schwerpunkts in diesem Jahrbuch. 15 Dieser Schwerpunkt hat während der Vorbereitungen zum Druck dieses Jahrbuchs mit dem Tod von Hardt-Waltherr Hämer im September 2012 eine weitere traurige Aktualität erhalten. Hämer, so wurde oben bereits angedeutet, war nicht nur einer der Pioniere, sondern wohl auch weit über Berlin hinaus eine der wesentlichen Leitfiguren der „behutsamen Stadterneuerung“. Bereits in den frühen 1970er Jahren hatte er im Berliner Sanierungsgebiet Wedding-Brunnenstraße, damals bereits seit einigen Jahren der Kahlschlagsanierung geweiht, mit der Erhaltung der Vorderhäuser erster kaiserzeitlicher Mietskasernen in der Putbusser Straße in der ständigen Auseinandersetzung mit dem Sanierungsträger nachweisen können, dass die Erhaltung derartiger Gebäude Perspektiven für eine andere Sanierungspolitik aufweist. Diese lagen schon damals nicht nur in den neuen Nutzungsmöglichkeiten eines nicht mehr überbelegten Bestands mit recht flexiblen Grundrissen und einer erstaunlichen Vielfalt an Nutzungen in einer kompakten Siedlungsstruktur mit bewährten Korridorstraßen und Plätzen, deren Wert erst allmählich wiedererkannt wurde. Hämers wegweisende Projekte wiesen darüber hinaus nach, dass die Modernisierung des Bestands preiswerter möglich war als die Herstellung zeitgemäßer Wohnungen im Neubau, eine damals angesichts des teilweise schlechten Zustands der Altbausubstanz nicht selbstverständliche Erkenntnis. Nach der Sanierung des oben erwähnten Blocks 118 in Berlin-Charlottenburg wurde Hämer Ende der 1970er Jahre Leiter der AltbauIBA in Berlin-Kreuzberg, wo er die „behutsame Stadterneuerung“ mit Kollegen und Mitstreitern aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft zum Erfolgsmodell und Exportschlager machte. Bis weit in die 1990er Jahre hinein wirkte er im vereinigten Berlin an der Spitze der IBA-Nachfolgeorganisation S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung mbH, bis heute eines der profiliertesten Büros in diesem Bereich. Mit „Gustav“ Hämers Tod im Alter von 90 Jahren 16 verliert die Fachwelt einen Vorkämpfer und bis zum Schluss stadtpolitisch engagierten Vertreter der „behutsamen Stadterneuerung“. Die Erinnerung an ihn stellt einen weiteren Ansporn dar, im Schwerpunkt dieses Jahrbuchs die Zukunft der Behutsamkeit aus unterschiedlichen Perspektiven auszuleuchten. Die Beiträge im Schwerpunkt „Das Ende der Behutsamkeit?“ Als Auftakt und Hintergrund zeichnet Dirk Schubert den Wandel der „Erfordernisse“, der Strategien und der Folgen der Stadterneuerung am Beispiel von Hamburg in einem großen historischen Bogen nach, der zeitlich weit über die Bund-Länder-Städtebauförderung hinaus zurückreicht und die Einschätzung für historische Erfahrungen und ihren Nutzen für aktuelle und zukünftige Erneuerungspolitiken schärfen möchte. „Stadterneuerung“ war in Hamburg, so zeigt sich, mit wechselnden Konjunkturen seit Beginn der Urbanisierung vor ca. 150 Jahren integraler Bestandteil des Städtebaus und der Stadtplanung. Sie wird hier verstanden als staatlicher Eingriff in bestehende baulich-räumliche und sozial-räumliche Strukturen mit dem Ziel der Reorganisation städtischer Teilräume. Hinter dem Terminus verbergen sich ganz unterschiedliche Inhalte, Konzepte und Politiken, so dass die Herausbildung des Behutsamkeitsparadigmas sich erst vor diesem Hintergrund angemessen verstehen lässt. Theo Winters blickt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen in Berlin zum Thema auf Erfolge und Misserfolge der IBA von 1984/1987 zurück und beleuchtet dabei insbesondere die Bedeutung der „behutsamen Stadterneuerung“ für die Wohnungspolitik in Ballungsräumen mit angespannten Wohnungsmärkten. Seine Bilanz bezieht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein, die er stellvertretend an den Stadtteilen Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Neukölln festmacht. Dabei blickt er selbstkritisch auf die Stadterneuerung in Kreuzberg und Prenzlauer Berg, an der er über Jahrzehnte maßgeblich beteiligt war. Der Beitrag von Matthias Bernt fragt daran anknüpfend nach der heutigen Bedeutung der „behutsamen Stadterneuerung“ in der Stadtentwicklungspraxis und stellt fest, dass dieser ehemals innovative und von Politik und Wissenschaft hoch gelobte Planungsansatz an Umsetzungsrelevanz verloren hat. Er führt dies darauf zurück, dass die Entwicklung der letzten Jahre nicht nur als Reaktion der Politik auf veränderte Aufgabenstellungen interpretiert werden sollte, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels im Denken über die Rolle des Staates in der Stadtentwicklung sei. Im Hinblick auf die Zukunft der Behutsamkeit schlägt er daher vor, den Wandel staatlicher Stadterneuerungspolitik genauer zu betrachten und zu fragen, welche politischen Vorstellungen mit dem Niedergang der „behutsamen Stadterneuerung“ an Durchsetzungskraft verloren haben. Holger Leimbrock geht in seinem Beitrag der Frage nach, welche Faktoren für die Stabilität und welche Faktoren für die Bedrohung behutsamer Erneuerungsstrategien in mittelstädtischen Stadtkernen sprechen und welche Möglichkeiten bestehen, den Bedrohungen entgegenzuwirken. Dazu arbeitet er die Ursachen heraus, die Mitte der 1970er Jahre für den Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung in den westdeutschen Mittelstädten entscheidend waren. Vor diesem Hintergrund betont er über die übliche Erklärung aus den Wirkungen des Denkmalschutzjahres 1975 hinausreichende Erklärungsansätze wie reduzierte raumwirksame Entwicklungspotenziale und die sich daran anpassenden öffentlichen und privaten Interessenlagen. Insgesamt erscheint für ihn die behutsame Stadtkernerneuerung in Mittelstädten als erfolgreiche Hauptentwicklungs- linie mit Zukunftsperspektive, die allerdings einigen Relativierungen ausgesetzt ist. Hildegard Schröteler-von Brandt stellt einen breiten Erfahrungsschatz im Umgang mit der Dorferneuerung vor, die sich parallel zur Städtebauförderung entwickelt und in ähnlicher Weise eine Herausbildung von behutsamen Ansätzen erlebt hat. Die für die zukünftige Entwicklung der Dörfer zentralen Herausforderungen des demografischen Wandels bringen zunehmende Wohnungsleerstände sowie eine Reduzierung von Versorgungsangeboten mit sich und werfen im Zuge einer Konzentration auf stabile Kerne die Frage nach Rückbaumaßnahmen auf. Die Diskussion um aktuelle und künftige Handlungsstrategien wird beispielhaft an Südwestfalen und Nordhessen vorgeführt. Heike Oevermann beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Transformationen städtischer Industrieareale und Industriearchitekturen, die aufgrund ökonomischer Faktoren ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben. Dabei spielen Überlegungen zu Stadtentwicklung, Denkmalschutz, Architekturproduktion sowie Nutzungsüberlegungen eine besondere und miteinander bisweilen konfligierende Rolle. Die Zukunft der Behutsamkeit, so die Autorin, beruhe dabei zunächst darauf, die unterschiedlichen Anliegen von Öffentlichkeit, Nutzern oder Planern usw. zu erkennen und Möglichkeiten der Vermittlung zwischen ihnen mit dem Ziel einer sorgfältigen Ausbalancierung herauszuarbeiten. Der Beitrag geht von der Annahme aus, dass zwischen unterschiedlichen Perspektiven auf den Erneuerungsprozess vermittelnde Werte eine Basis für eine zukünftige Behutsamkeit in der planerischen Praxis bilden. Holger Schmidt fordert in seinem Beitrag trotz verfestigter struktureller Leerstände im Wohnungs- und Gewerbebereich in vielen ostdeutschen Kommunen eine neue Behutsamkeit. Dazu plädiert er für ein Weiterden17 ken des Leitbildes der „behutsamen Stadterneuerung“, für einen behutsamen Stadtumbau. Für viele Kommunen könnte dieses Leitbild angesichts abnehmender Fördermittelkulissen, geringer werdender finanzieller Spielräume und schrumpfenden Sozialkapitals eventuell neue Perspektiven aufzeigen. Der Beitrag untersucht an zwei ausgewählten Modellstädten der IBA-Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010, ob sich innerhalb oder außerhalb des IBA-Prozesses Ansatzpunkte für einen behutsamen Stadtumbau erkennen lassen. An ausgewählten Beispielen werden hemmende und fördernde Faktoren aufgezeigt und ein Ausblick auf ein neues Arbeitsverständnis der Planer gegeben. Der Beitrag von Eric Tenz konzentriert sich auf die soziale Dimension der Behutsamkeit in der Stadterneuerung und analysiert zwei Facetten davon: die partizipativen Standards der lokalpolitischen Entscheidungsprozesse sowie die Arrangements der Umsiedlungen und der Sozialplanung. Als analytischer Rahmen für die Untersuchung der sozialen Behutsamkeit dienen insbesondere die „12 Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung“. Das Ziel des Beitrags ist es, die soziale Behutsamkeit im Kontext des Programms Stadtumbau Ost zu erörtern sowie die Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen gegenüber den Idealen der „12 Grundsätze“ darzustellen und zu bewerten. Achim Schröer, Julia Drittenpreis und Hana Riemer beleuchten die bauliche Neuausrichtung der Stadterneuerung am Beispiel des Umgangs mit Wohnsiedlungen der 1950er Jahre. Unter dem Eindruck der Herausforderungen wie energetische Sanierung, Reurbanisierung und demographischer Wandel erlangen die Potentiale dieser Siedlungen für die Stadtentwicklung heute eine gesteigerte Bedeutung und müssen neu bewertet werden. Der Beitrag wendet sich den Rahmenbedingungen und möglichen Strategien für eine Erneuerung dieser Bestände zu und erörtert, inwiefern die Ansprüche der 18 „behutsamen Stadterneuerung“, insbesondere in Bezug auf den baulichen Bestandserhalt, dabei erfüllt werden können. Dabei betrachten sie eher Siedlungen in gut ausgelasteten Wohnungsmärkten wie Südbayern und weniger die Stadtumbau-Problematik in Schrumpfungsregionen. Der Beitrag von Arvid Krüger widmet sich der Zukunft von Beteiligungsverfahren im Rahmen der „behutsamen Stadterneuerung“ und beleuchtet dabei den Ansatz der „Bürgerkommune Lichtenberg“ in Berlin in ihrer Umsetzung vor allem in Großsiedlungen. Dabei geht es zentral um strategische Entwicklungsziele des Stadtteils und eine koordinierte Entwicklung der sozialen Infrastruktur in der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Er plädiert für eine Verstetigung der Prinzipien der „behutsamen Stadterneuerung“ im Rahmen der allgemeinen Verwaltungstätigkeit unabhängig vom Sondertatbestand der geförderten Stadterneuerung. Dabei ist das vor Ort bewährte Beteiligungsinstrumentarium Mittel zum Zweck. Petra Jähnke untersucht das Akteursfeld von Raumpionieren in Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg. Dabei fragt sie nach der konkreten Umsetzung von Beteiligung in den untersuchten Fallregionen, den Ansprüchen und der Rolle von Raumpionieren in Beteiligungsprozessen im Stadtteil sowie ihren Handlungsoptionen. Mit ihren Ergebnissen blickt sie auf die Zukunft von Beteiligungsmöglichkeiten und -verfahren in der großstädtischen Stadterneuerung, denen eine zentrale Bedeutung für die Umsetzung von Behutsamkeitsanforderungen zukommt. Gerhard Mahnken stützt sich auf die Ergebnisse des gleichen Forschungsprojekts und untersucht, unter welchen Bedingungen es Raumpionieren gelingt, auf Stadtpolitik und Stadtentwicklung Einfluss zu nehmen. Dabei weist er insbesondere auf die Fähigkeit hin, kommunikative Anschlüsse innerhalb der lokalen Diskursarena zu entwickeln und diese diskursstrategisch zu nutzen. Behutsame Erneuerungsprozesse spielen dabei insofern eine große Rolle, weil sich die Raumpioniere über den Stadtteildiskurs kommunikativ in bürgerorientierte Erneuerungsmaßnahmen einbringen können. Michael Locher wirft am Beispiel von Bern einen unkonventionellen Blick auf die Herausforderungen des Umgangs mit dem städtebaulichen Denkmalschutz. Er zeigt auf, inwiefern eine nuancierte Interpretation des Behutsamkeitsbegriffs sowohl dem Denkmalschutz als auch der Bestandsentwicklung gerecht werden kann. Zentral ist für ihn dabei der Begriff der „Superposition“ für die Stadterneuerung im historischen Ensemble. Dabei kann er sich darauf berufen, dass sich die mitteleuropäische Stadt immer wieder, teilweise auch substanziell, erneuert hat und der generell behutsame Umgang mit dem denkmalgeschützten Stadtensemble heutzutage eine historische Anomalie darstelle. Auf der Grundlage einer historischen, morphologischen und typologischen Analyse leitet er einen schützenswerten Kern ab, der die Permanenz des Stadtbildes gewährleisten könne. Zeitgenössische Überlagerungen werden aus der strukturellen urbanen Logik hergeleitet und sollen eine denkmalverträgliche Kontinuität sicherstellen. Fabian Beran wendet sich den nach dem zweiten Weltkrieg gebauten Großwohnsiedlungen Osteuropas zu, die dort vor dem Hintergrund einer häufig später als in Westeuropa umfassend vollzogenen Urbanisierung eine besonders hohe Bedeutung für die Wohnungsversorgung haben. Die Länder Osteuropas stehen bezüglich ihrer Großwohnsiedlungen vor großen Herausforderungen, insbesondere wegen eines hohen baulichen Sanierungsbedarfs. Dennoch sind Leerstände aufgrund der anhaltend hohen zusätzlichen Wohnungsnachfrage und der Privatisierungspolitik der 1990er Jahre eher die Ausnahme. Der Beitrag analysiert die aktuellen Herausforderungen und diskutiert, ob das Konzept der „behutsamen Stadterneuerung“ für die Sanierung der Siedlungen Osteuropas eine Rolle spielen kann. Anja Nelle geht von den Konflikten zwischen den begriffsimmanenten Ansprüchen der sozialen, baulich-funktionalen und ökologischen Behutsamkeit aus, die sich sowohl in Deutschland, einem Industrieland mit fundierten Erfahrungen in der „behutsamen Stadterneuerung“, als auch in dem Schwellenland Brasilien mit vergleichsweise marginaler Stadterneuerungspraxis beobachten lassen. Der Beitrag zeigt stellvertretend anhand der Situationen in diesen beiden Ländern auf, welche typischen Konfliktfelder sich in sehr unterschiedlichen Beständen abzeichnen und welche Rolle grundsätzlich ähnliche Wertesysteme und Demokratie dabei spielen. Abschließend wird erörtert, unter welchen Voraussetzungen die Ansprüche der Behutsamkeit als Grundpfeiler einer nachhaltigen Stadtentwicklung zukunftsfähig sind. Abschließend stellt Martin Düchs moralphilosophische Überlegungen zum Prinzip der Behutsamkeit in der Stadterneuerung vor. Die Tatsache, dass sowohl die Forderung nach Behutsamkeit als auch die Kritik an ihr zu einem großen Teil moralisch motiviert sei, macht den Konflikt um die Zukunft der Behutsamkeit zu einem, der nicht allein durch fachlich-städtebauliche oder auch soziologische Überlegungen zu lösen ist. Er schließt damit eine Lücke bei der Analyse der Stadterneuerung mit den Mitteln und Methoden der Ethik als Wissenschaft. Konkret werden die Prinzipien Gerechtigkeit, Schadensvermeidung, Autonomie, Nachhaltigkeit und Schönheit als gleichberechtigte Pflichten für den Bereich des Handelns eines Architekten und Städtebauers eingeführt und erläutert. 19 Weitere Beiträge in diesem Band Über den Schwerpunkt hinaus beschäftigen sich die Beiträge dieses Jahrbuchs mit der Geschichte der Stadterneuerung, Praxisfeldern der Stadterneuerung, Stadterneuerung im Ausland sowie in Forschung und Lehre. Christian von Oppen behandelt in seinem historischen Beitrag die großen städtebaulichen Projekte in Lissabon unter der Salazar-Diktatur. Dabei diskutiert er das Modernisierungsversprechen der Diktatur und die Spielräume von Architekten, dieses fachlich zu interpretieren. Die entstehende Vielfalt von architektonischen Stilen, die Durchsetzung einer besonderen Form der architektonischen Moderne, die Monumentalisierung der portugiesischen Architektur und des Städtebaus und das sich in diesem Zuge verändernde Verhältnis zwischen der Diktatur und den Fachleuten stehen dabei im Mittelpunkt. Jutta Vorkoeper stellt das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) in Hamburg vor, das als eine konsequente Weiterentwicklung von Vorläuferprogrammen gesehen werden kann und ein Dach für die Programme der Bund-Länder-Städtebauförderung darstellt. In ihrem Beitrag wird deutlich, über welche Instrumente ein Stadtstaat verfügt, um die ganz unterschiedlichen quartiersbezogenen Herausforderungen angemessen und aufeinander abgestimmt zu bearbeiten. Sie geht dabei auch auf die Grenzen der Instrumente der Stadterneuerung im Hinblick auf ihren Beitrag zu einer „behutsamen Stadterneuerung“ ein. Zentraler Ansatzpunkt ist die behördenübergreifende Kooperation und die Ausrichtung der Fachpolitiken auf die Fördergebiete. Daneben kommen Steuerungsinstrumente wie Sozialmonitoring, Controlling und Evaluation auf der gesamtstädtischen Ebene zum Einsatz. Hannah Baltes und J. Alexander Schmidt berichten in ihrem Beitrag über Ergebnisse 20 eines ExWoSt-Modellvorhabens der Stadt Essen, das sich mit Strategien im Umgang mit dem Klimawandel beschäftigt. Sie gehen davon aus, dass künftig die Anpassung des Bestandes an sich ändernde Randbedingungen stadtentwicklungsplanerisch im Vordergrund stehen wird und zukünftige Entwicklungen wie z. B. den Klimawandel und seine zu erwartenden Folgen in allen Maßstabsebenen miteinbeziehen muss. Ein vorsichtiges und schrittweises Vorgehen auf der Ebene des Quartiers erlangt dabei eine zentrale Bedeutung. Der Fokus wurde in dem Modellvorhaben auf die bereits heute schon belasteten hochverdichteten innerstädtischen Bereiche gelegt. Dabei sind die szenarienhaften Befunde im Umgang mit dem Bestand diskussionsbedürftig, da sie keine so einfachen Verbesserungen wie im Neubau zuzulassen scheinen. Susanne Dürr und Christina Simon-Philipp wenden sich der Rolle des öffentlichen Raums in der Stadterneuerung zu. Sie beleuchten seine Gestaltung und Aufwertung, die Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, Anforderungen sowie „Gesetzmäßigkeiten“ und Veränderungen, die im Rahmen eines Forschungsprojekts der LBS-Stiftung „Bauen und Wohnen“ untersucht wurden, das sich mit Strategien und Projekten zur Aufwertung des öffentlichen Raums befasst. Theoretische Erkenntnisse wurden in diesem Rahmen mit konkreten Beispielen und Erfahrungsberichten unterlegt, um Ansatzpunkte für eine Übertragbarkeit guter Beispiele zu schaffen. Daphne Frank beschäftigt sich mit den Möglichkeiten von Städten, unterschiedlichste Akteure in Stadtentwicklungsprozesse im Sinne von inclusive urban governance einzubeziehen. Dabei beleuchtet sie insbesondere den konkreten Beitrag, den die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu deren Förderung leisten kann. Dabei unterstützt die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur staatliche Entscheidungsprozesse, sondern die Steuerung und Koordination von Prozessen unter Beteiligung staatlicher, privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure vor dem Hintergrund der Grundprinzipien empowerment, Partizipation, Chancengleichheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Anhand dreier Beispiele erörtert sie die Möglichkeiten und Grenzen eines derartigen stadtbezogenen Governance-Ansatzes. Maßnahmen gegen Erdbeben zu ergreifen, wurden und werden in der Megastadt ohne Rücksicht auf ihre historisch gewachsene Substanz radikale großflächige Abrissmaßnahmen durchgeführt, die anhand des Fallbeispiels Tarlabaşı auf den Umgang mit den Problemen der Bestandsentwicklung und auf eine nachhaltige Entwicklung in Istanbul untersucht werden. Martin Hölscher befasst sich mit der Stadterneuerung in Medellín, Kolumbien seit Beginn des 21. Jahrhunderts, die die Wahrnehmung der vormals gefährlichsten und gewalttätigsten Stadt der Welt völlig verändert hat. In wenigen Jahren ist dort unter der politischen Verantwortung engagierter Bürgermeister mit Hilfe von Fachleuten ein Zukunftsmodell erkennbar geworden, das auf Toleranz, Inklusion und Chancengleichheit aller in der Stadt lebender Menschen aufbaut. Vor diesem Hintergrund ist Medellín zu einer international beispielgebenden Metropole geworden, die nicht nur für ihre neuen öffentlichen Gebäude zahlreiche internationale Preise erhalten hat und Vorbild für eine Reihe von Nachahmern insbesondere in Lateinamerika geworden ist. Vielmehr wurde auch im nationalen Kontext durch die Maßnahmen eine Debatte etwa über die Identität der kolumbianischen Architektur ausgelöst. Abschließend berichten Autorinnen und Autoren aus ihren Erfahrungen in Lehre und Forschung. J. Alexander Schmidt beleuchtet die Stadt als Herausforderung für Lehre und Forschung und stellt dazu die Masterstudiengänge an der Universität Duisburg-Essen vor. Katrin Großmann, Annegret Haase, Sigrun Kabisch, Adam Bartoszek und Elzbieta Niezabytowska berichten über ein deutschpolnisches Forschungs- und Lehrprojekt zur Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen. Gisela Schmitt widmet sich in einer Rezension dem von Tilman Harlander und Gerd Kuhn herausgegebenen Werk zur sozialen Mischung in der Stadt. Semâ Şahin behandelt die Stadterneuerung in Istanbul, die insbesondere seit den Auseinandersetzungen um die Umgebung des Taksim-Platzes internationale Aufmerksamkeit erlangt hat. Die sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts abzeichnende Stadtumbaupolitik wurde durch ein verheerendes Erdbeben und die beschleunigte Privatisierung staatlicher Liegenschaften sowie einen neuen rechtlichen Rahmen für einen beschleunigten Stadtumbau ausgelöst. Er soll die Metropole für die Globalisierung öffnen und dabei die geostrategische Lage der Region nutzen. Gerechtfertigt durch die oben erwähnte Notwendigkeit, vorbeugende Ausblick Die Tagung zum Jahrbuch Stadterneuerung 2014 steht unter dem Motto „Über Städtebauförderung hinaus“. Sie widmet sich den in diesem Vorwort eingangs erörterten Überlegungen zu einer Weiterentwicklung des Systems der Bund-Länder-Städtebauförderung sowie der Frage, auf welche Weise künftig neben und ergänzend zu geförderten Maßnahmen Stadterneuerung stattfinden kann. Durch die hochwasserbedingten Milliardenschäden erlangen diese Überlegungen eine völlig neue Bedeutung. So ist künftig nicht nur mit einer Anspannung der Fördersysteme durch die Schuldenbremse und die Wirtschafts- und Finanzkrise zu rechnen. Vielmehr ist mit einer Verlagerung der Mittel auf den Wiederaufbau hochwassergeschädigter Städte zu rechnen, so dass andere Städte in verstärktem Maß auf Überle21 gungen zur Weiterentwicklung der Stadterneuerung in Zeiten knapper Fördermittel angewiesen sind. Die diesbezüglichen Fragen verdienen eine breite Diskussion über die Akteure der Städtebauförderung hinaus, die noch lange nicht abgeschlossen sein dürfte. Die aus der Tagung hervorgehenden Beiträge werden im Schwerpunkt des Jahrbuchs 2014 veröffentlicht. 22 Die Herausgeberinnen und Herausgeber wünschen zunächst für das nunmehr vorliegende Jahrbuch 2013 eine spannende Lektüre und sind wie immer offen für Anregungen und Beiträge zum nächsten Jahrbuch. Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert Schwerpunkt „Das Ende der Behutsamkeit?“ Dirk Schubert Stadtsanierung, Stadtumbau und Stadterneuerung in Hamburg – aus der Geschichte lernen? Eine Reform, welche die Wohnungen verteuert, ist keine Reform. Fritz Schumacher (1940: 45) Stadterneuerung wird häufig als relativ junges Phänomen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden und mit dem Städtebauförderungsgesetz (1971) und den danach anlaufenden Sanierungsvorhaben in einen Zusammenhang gestellt. Hier soll am Beispiel von Hamburg – einer Stadt mit einer langen Tradition im Bereich Stadtumbau und Stadterneuerung – der Wandel der „Erfordernisse“, der Strategien und der Folgen dargestellt werden. Eine Rückschau auf die Hamburger Stadterneuerungsgeschichte ist besonders aufschlussreich und mag die Einschätzung schärfen für historische Erfahrungen und ihren Nutzen für aktuelle und zukünftige Erneuerungspolitiken. Die Anlässe, die Verfahren und Ergebnisse der Stadterneuerung unterlagen einem vielfältigen historischen Wandel, wobei „Stadterneuerung“ mit wechselnden Konjunkturen seit Beginn der Urbanisierung vor ca. 150 Jahren integraler Bestandteil des Städtebaus und der Stadtplanung war (Reulecke, 1985). Stadterneuerung wird hier definiert als kommunaler/staatlicher Eingriff in bestehende baulich-räumliche und sozial-räumliche Strukturen, mit dem Ziel der Reorganisation städtischer Teilräume, „als politisch gewollte und gesteuerte Veränderung von Bestand und Struktur innerhalb des bebauten Stadtgefüges“ (Albers, 1994:39). Durchaus unterschiedliche Inhalte, Konzepte und Politiken verbergen sich dabei hinter dem Terminus Stadterneuerung, der jeweils auf räumlich abgrenzbare Quartiere abzielt. Art und Umfang privater, objektbezogener Einzelinvestitionen sind dagegen kaum rekonstruierbar. Ganzheitlich betrachtet wirkten sie aber, wie kommunale Maßnahmen, auf Qualität, Struktur und Mieten des Bestands ein. Neben kommunalen Interventionen, die mehrere Gebäude, Ensembles und Baublöcke umfassten und vielfach mittels Förderung Abriss, Modernisierung, Instandsetzung oder Umnutzung intendierten, investierten Haus- und Grundeigentümer sowie Gewerbetreibende aus Eigeninteresse jeweils in ihren Besitz. Anfänge der Stadterneuerung in Hamburg – „Unfreiwilliger Stadtumbau“ Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich in Hamburg zunehmend eine gewerbsmäßige Vermietung von Wohnraum herausgebildet. Von der Kaserne, dem Modellgefängnis und der Modellfabrik abgeleitet wurden neue Typologien des Massenwohnungsbaus entwickelt, die die „Domestizierung des Arbeiters“ intendierten (Teyssot, 1989:11). Den Ausgangspunkt der Armut und die Orte des Elends konnte man förmlich riechen. Es war der Gestank, der den zufälligen Besuchern derartiger Quartiere und Wohnstätten auffiel. Die bürgerliche Öffentlichkeit suchte und registrierte in den Elendswohnungen Schmutz, moralische Verwerflichkeit, Trunksucht und zielund zügelloses Treiben und identifizierte ihre Ideale mit den Gegenpolen Sauberkeit, Reinlichkeit und Ordnung. Weniger aber die – für bürgerliche Beobachter – häufig unsichtbaren erbärmlichen Wohnverhältnisse bestimmten die Wahrnehmung, sondern 25 Abb. 1 Areal und Planung für den Wiederaufbau nach dem Großen Brand 1942 (Quelle: Faulwasser, 1987:64) auffälliges Verhalten der Bewohner (Schubert, 1997:73). Schmutz wie in den engen Hamburger Gassen und Höfen galt als unmoralisch, Sauberkeit als moralisch und gab damit philosophisch oder statistisch untermauert den Hintergrund für hygienische Verbesserungsmaßnahmen ab. Die Initiativen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsverhältnisse gingen dabei einher mit einem Modernisierungs- und Rationalisierungsschub, da Gesundheit und Umwelt als beeinflussbar, planbar und steuerbar interpretiert wurden. Alle Konzepte zur Verbesserung der Wohnverhältnisse verbanden als Zuckerbrot und Peitsche – unterschiedlich akzentuiert – didaktische Aspekte mit sozialreformerischphilanthropischen und repressiv-disziplinierenden Elementen. In Hamburg setzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Transformationsprozess von der Festungsstadt zur modernen Großstadt ein. Der Große Brand 1842 markierte nicht nur eine Zäsur in der Stadtentwicklung, sondern auch gesellschaftliche und politische Modernisierungsprozesse sowie die Herausbildung neuer städtebaulicher Instrumente (Speckter, 1952; Jung26 Köhler, 1991). Fast 2.000 Häuser mit über 4.000 Wohnungen brannten damals ab, mehr als 20.000 Menschen wurden obdachlos. Die Katastrophe entpuppte sich als eine einmalige Chance für eine grundlegende „Sanierung“ des abgebrannten Areals, die sonst nur sehr viel schwerfälliger und zeitaufwendiger hätte durchgeführt werden können. Eine Rats- und Bürgerdeputation (für den Wiederaufbau) von 1842 wurde eingesetzt, die die komplexen eigentumsund planungsrechtlichen Fragen zügig entschied. In kürzester Zeit wurde das abgebrannte Areal überplant und ein Instrumentarium geschaffen, das in Grundzügen das spätere Stadterneuerungsverfahren und Sanierungsrecht vorwegnahm (Abb. 1). Der zerstörte Teil der Stadt wurde weitgehend nach Plänen des Engländers William Lindley neu parzelliert und erschlossen. Nach dem Expropriationsgesetz wurden für den gesamten Bereich eine Grundstücksumlegung vorgenommen sowie mehr als 750 Grundstücke enteignet und nach der Umlegung zu höheren Preisen wieder verkauft. Schon nach vier Jahren waren alle Plätze verkauft und fast alle Grundstücke wieder bebaut (Schubert, 2012a: 216). Der große Vorteil der Neuparzellierung lag in der bes- Abb. 2 Neuparzellierung nach dem Großen Brand 1842 (Quelle: Speckter, 1952:32) seren baulichen Ausnutzbarkeit durch breitere Straßenfronten und geringere Grundstückstiefen (Abb. 2). Der Große Brand bot Gelegenheit, auch technische Infrastruktur, Wasserversorgung und Kanalisation grundlegend zu modernisieren. Städtebaulich, verkehrstechnisch und stadthygienisch wurde die Innenstadt umgehend zu einem der modernsten Stadtzentren der Welt. Aber Lindleys Innovationen wurden diskreditiert. Von „den Interessen der Anglomanie“, von „thörigter Anglomanie“ und der „einseitigen Überschätzung alles englischen“ war zu lesen. Die stadthygienischen Innovationen blieben auf den abgebrannten Bereich beschränkt, und die Einführung einer besseren Trinkwasserversorgung durch Sandfiltration – als sinnloser Luxus betrachtet – noch jahrelang hinausgezögert, was sich später bitter rächen sollte. Ziel des Hamburger Senats war es nicht „nur“ einen neuen Stadtteil zu gestalten, sondern bessere Verkehrsverbindungen zu schaffen, die Wohnverhältnisse zu reformieren, die damals modernste unterirdische Infrastruktur (Siele und Wasserversorgung) der Welt einzuführen sowie zugleich überkommene, tradierte ständische Machtverhältnisse in moderne und effektive Governancestrukturen zu überführen. Die Katastrophe entpuppte sich bald als Chance eines Modernisierungsschubes und als Quelle des Verdienstes und Wohlstandes für einige Stadtbürger. Ein Prozess der Verdrängung von (mietpreisgünstigen) Wohnungen im Zentrum wurde dabei durch höhere Grundstückspreise, die Separierung von Nutzungen und die Ausbreitung von Geschäftsnutzungen befördert. Viele Elemente der später etablierten Stadterneuerung waren damit vorweg genommen. „Freiwilliger Stadtumbau“ – Der Bau der Speicherstadt War die „Sanierung“ nach dem Brand unfreiwillig durch die Katastrophe erzwungen 27 durchgeführt worden, so erfolgte die Umstrukturierung der Wandrahminsel durch den Bau der Speicherstadt freiwillig und geplant (Maak, 1985). Der von Bismarck forcierte Zollanschluss Hamburgs an das Deutsche Reich erforderte einen festzulegenden, räumlich abgrenzbaren Freihafen, der vom übrigen Stadtgebiet abzutrennen und durch einen Zollkanal zu sichern war. Auf Vorschlag des Oberingenieurs Franz Andreas Meyer wurde die bebaute und bewohnte Wandrahminsel als zukünftiger Zollbezirk für den Bau der Speicherstadt vorgeschlagen. Die Entscheidung für die Kehrwieder-Wandrahm-Insel bedeutete das „Todesurteil“ für einen belebten Stadtteil. Da das Freihafengebiet unbewohnt sein sollte, erforderte der Bau der Speicherstadt den Abriss von Wohnungen für 20.000 Menschen. Das komplexe Großprojekt wurde planmäßig unter staatlicher Regie durchgeführt. Die bis dahin beispiellose Umgestaltung eines bewohnten Stadtquartiers und der skrupellose Umgang mit teilweise historisch wertvoller Bausub- stanz ließen Alfred Lichtwark später von der „Freien und Abrissstadt“ Hamburg sprechen. Oberingenieur Andreas Meyer, der für die Abwicklung des Vorhabens mit komplizierten logistischen Problemen verantwortlich war, betonte dagegen, dass sich mit dieser Maßnahme in Hamburg ein Schritt der „City-Bildung“ abzeichne, wie er in anderen Metropolen schon lange zu beobachten sei. 1883 wurde das Vorhaben beschlossen und schon im gleichen Jahr wurde mit dem Abbruch der ersten Häuser begonnen. Wie beim Wiederaufbau nach dem Brand wurde eine Senats- und Bürgerschaftskommission zur Durchführung eingesetzt und die Eigentümer enteignet. Sämtliche Gebäude wurden abgerissen, die Wiederunterbringung der verdrängten Bevölkerung, immerhin über 20.000 Menschen, wurde dem Markt überlassen. Nach der Durchführung der Baumaßnahmen verblieb der Boden, anders als bei der Durchführung nach dem Großen Brand, im Eigentum Hamburgs, während der Betrieb in der Speicherstadt der halb- Abb. 3 Situation auf der Wandrahminsel – Vor und nach dem Bau der Speicherstadt 1883 und 1890 (Quelle: Maak, 1985:16) 28 staatlichen Lagerhausgesellschaft übertragen wurde. Die Speicher und Lager wurden räumlich konzentriert, und alle Speicher konnten wasserseitig durch Schuten bedient werden, während auf der Landseite Straßenund Bahnanschlüsse zum schnellen Güterumschlag vorgesehen waren (Abb. 3). Die Summe der für die Zollanschlussfeiern beantragten Mittel war bezeichnenderweise höher als die Mittel, die für Notstände bei der Räumung vorgesehen waren. Die „freiwillige“ Sanierung bedeutete einen weiteren Modernisierungsschub für den Hafen und die Hamburger Innenstadt, eine Entflechtung und Separierung der Nutzungen. Die in Deutschland beispiellose Umgestaltung eines bewohnten Quartiers beschleunigte zudem die Herausbildung monofunktionaler Nutzungen von Wohnen, Arbeiten, Büros und Lagerung. Bezogen auf die Hamburger Region bildete sich zunehmend eine funktionale und stadträumliche Arbeitsteilung heraus. Während sich in Hamburg Handel, Kaufmannschaft und Dienstleistungsgewerbe konzentrierten, siedelten sich im preußischen Altona-Ottensen, in Harburg und in Wandsbek vor allem Industrien an. Das städtebauliche Interventionsinstrumentarium wurde damit weiter perfektioniert: Festlegung des „Eingriffsgebietes“, Aufkauf der Grundstücke zum Verkehrswert, ggf. Zwangsenteignung in Einzelfällen, Abriss aller vorhandenen Gebäude, Anlage neuer Infrastrukturen (Straßen, Kanäle, Zollkontrollstellen etc.) und Neubebauung mit Speichern, die im kommunalen Besitz verblieben und block- bzw. geschossweise (in der Speicherstadt „boden“-weise) verpachtet wurden. Etwa drei Viertel der Kosten wurden vom Reich übernommen und die Hamburger Kaufleute konnten – fast ohne Eigenkapital – damit ihre Lagerungsmöglichkeiten ohne Verzollung der Güter optimieren. Neben diesem, in Deutschland einmaligen, flächenhaften Stadtumbauvorhaben er- folgten bis zur Jahrhundertwende weitere Stadtumbaumaßnahmen durch Straßendurchbrüche wie auch in anderen Städten. In der Regel waren private Terrainspekulanten Initiatoren und Träger dieser „Straßendurchbruch-Sanierungen“. Die Stadt genehmigte die Durchbrüche und war im Einzelfall bei der Enteignung von „Schlüsselgrundstücken“ behilflich. Das Gängeviertel in der nördlichen Neustadt wurde in diesem Kontext schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts als potentielles Sanierungsgebiet eingestuft, und Vorschläge, das Viertel mit neuen Straßen „zu durchbrechen“, als „Ventilierung von Sodom und Gomorrha“ gefeiert. Der Durchbruch der Wexstraße und der Colonaden sind zwei weitere Projekte, die nach diesem Konzept abgewickelt wurden. Auch beim Bau der Kaiser-Wilhelm-Straße, einer besseren Verbindung zwischen Innenstadt und St. Pauli, hatte die Stadt zunächst nach privaten Investoren zur Durchführung des Vorhabens gesucht. Als diese ausblieben, musste eine „staatsseitige“ Intervention erfolgen. 1892 wurde die neu angelegte Straße für den Verkehr freigegeben. Bei dem Grunderwerb zur Anlage der neuen Straße war die Stadt sehr zurückhaltend, so dass viele kleine ungünstig geschnittene Grundstücke entstanden, die kaum nutzbringend verwertet werden konnten. Es wurde auch moniert, dass eine „Gesundung“ der jeweils angrenzenden Quartiere mit derartigen Maßnahmen nicht erreicht werden könne. Die Stadt beförderte derartige „private Ventilierungen“, um nicht den Haushalt zu belasten und um nicht noch weitere Aufgabenbereiche auf die Stadt zu konzentrieren. Zwar entstanden mit dieser „Durchlüftung“ entlang der neu angelegten Straßen in der Regel neue und teurere Wohnungen, in den nicht tangierten Bereichen verschlechterten sich dagegen in der Regel Belichtung und Belüftung der Gebäude und Wohnungen. Bewohner, die die höheren Mieten nicht zahlen konnten, mussten in den nichtsa29 nierten, nun zu Hinterhöfen degradierten Teilen stärker zusammenrücken. War es mit der unterirdischen Kanalisation gelungen, Gestank und Schmutz „unsichtbar“ zu machen, so schienen sich mit den „Durchbruchsanierungen“ analog die Elendsviertelbewohner „in Luft aufzulösen“. Diese Strategie der „Aderlässe“, des „Brescheschlagens“, der „Korridorstraßen“, die Haussmanns Pariser Straßendurchbrüchen entlehnt war, kann als eine Vorstufe der folgenden flächenhaften Sanierungen eingestuft werden. Der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse stand dabei in der Regel die Verknappung mietpreisgünstiger Wohnungen in zentraler Lage gegenüber. Entsprach der „freiwillige“ Stadtumbau mit dem Bau der Speicherstadt durchaus den Vorstellungen der lokalen Eliten, dominierte sonst ein liberalistisches Staatsverständnis, jegliche Interventionen tunlichst als nichtstaatliche Aufgaben zu deklarieren und sie zu privatisieren, um damit den öffentlichen Haushalt nicht zu belasten. Planmäßige Sanierung nach der Choleraepidemie 1892 Aber dieses Staatsverständnis, Versäumnisse nach der Brandkatastrophe 1842, die stadthygienischen Verbesserungen im gesamten Stadtgebiet umzusetzen und die Hinauszögerung des Baus einer sandfiltrierten Wasserversorgung rächten sich 1892. Den nach dem Brand durchgeführten partiellen Verbesserungen im Gesundheitswesen standen weiter gravierende Missstände gegenüber. So geschah das Unvorstellbare, im August 1892 brach in Hamburg eine Cholera-Epidemie aus, bei der über 8.000 Menschen starben (Evans, 1990). Eine kartographische Darstellung der Todesfälle belegt eine Korrelation zwischen Wohnverhältnissen/Wasserversorgung und Sterblichkeit. Die Cholera war im 19. Jahrhundert zur Armenkrankheit und zur Wohnungskrankheit 30 erklärt worden. Schutzlosigkeit, Verunsicherung, Panik und Aufstände waren die Folgen einer Epidemie, deren Ursachen unbekannt waren und gegen die es auch für bürgerliche Kreise scheinbar keine Schutzmöglichkeiten gab. Wenn auch, wie im Falle der Cholera, die Ursache zunächst noch nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte, so war doch eine Korrelation zwischen schlechten Wohnverhältnissen und der Anzahl der Opfer belegbar. Unmittelbar nach Ausbruch der Epidemie wurde eine Kommission eingesetzt, und die damals bekanntesten Mediziner Max von Pettenkofer und Robert Koch stritten über die Erreger und Verbreitungsmuster der Cholera. Nie zuvor wurde eine Epidemie derart eingehend analysiert, einig war man sich allerdings schnell in der Beurteilung der Hamburger Wohnverhältnisse. „Etwas Schlimmeres habe er noch nicht kennengelernt – das sind Zustände, schlimmer wie in Halbasien. (...) Wollte ich die Zustände des Gängeviertels eingehender schildern, so würde ich in den Verdacht kommen, dass ich für das Feuilleton einer Tageszeitung schriebe“, formulierte der Arzt Ferdinand Hueppe (Hueppe/Hueppe, 1893). Robert Kochs Verdikt „ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde“, ließ ganz Deutschland über die Hamburger Wohnverhältnisse aufhorchen. Die Cholera bewirkte und beschleunigte soziale Reformen, die nicht nur im engeren hygienischen, wohnungspolitischen und städtebaulichen Bereich lagen. Die Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Strukturen der Hamburgischen Verwaltung waren durch die Epidemie offengelegt worden, hatten Veränderungen beschleunigt und den politischen Wandel forciert. 1895 hatten die Hamburger Beamten Medizinalrat Reincke und der Baupolizeiinspektor Olshausen im Auftrage des Senats England und Schottland bereist und die Wohnungsverhältnisse und Sanierungs- maßnahmen dort studiert. Den beiden Beobachtern erschienen die berüchtigten Londoner Slums besser als viele der hamburgischen Quartiere mit Wohnhöfen und Gängen. Ihre Erfahrungen mündeten in einem Appell, die in Hamburg geäußerten Bedenken gegen staatliche Interventionen zu überwinden: „Zur Assanierung ganzer Wohnungsquartiere genügt es nicht, die alten schlechten Wohnungen abzubrechen und an deren Stelle zu anderen Zwecken bestimmte Gebäude zu errichten oder neue Strassen anzulegen. Das führt oft statt einer Verbesserung zu einer Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse, weil die ausquartierte Bevölkerung zunächst in den schon vorhandenen benachbahrten Wohnungen Unterkunft sucht und dort Überbevölkerung herbeiführt (...). Vielmehr ist es unbedingt nöthig, an derselben Stelle oder in der Nähe für möglichst ebenso viele Menschen derselben Bevölkerungsclasse, wie dort früher gewohnt haben, wieder Wohnungen zu beschaffen. Die Assanierung ganzer Quartiere ist nicht ohne Beihülfe des Staates (der Gemeinde) durchzuführen“ resümierten der Hamburger Olshausen und Reincke (1897:55). Aber weniger empirische Analysen noch umfangreiche Erfahrungsberichte aus England von den Hamburger Beamten Olshausen und Reincke bewirkten eine veränderte Wohnungspolitik (Olshausen/Reincke, 1897). Erst der Hafenarbeiterstreik 1896/97 lenkte wiederum den Blick auf die Wohnungsverhältnisse der unteren Schichten. Nicht ganz zufällig, wie Ferdinand Toennies bemerkte, wurde drei Wochen nach Ausbruch des Streikes der Senat von der Bürgerschaft ersucht, Vorlagen zur Beseitigung ungesunder Wohnungen zu unterbreiten. Während die Verwaltung die Ursachen in der Zuwanderung ärmerer Bevölkerungsgruppen aus dem Osten sah und 1892 (nicht 1992!) von „importierter Armut“ sprach, sah der Senat durchaus „die ernsten Gefahren (...) für das wirtschaftliche und sittliche Wohl“, die durch das Bestehen unzureichender Wohnverhältnisse ausgelöst würden. Kritiker sprachen von „unwürdigen Wohnverhältnissen“ und von „Höhlen des Lasters“ (zit. nach Schubert, 2012b:327). Nach den Vorarbeiten der Cholerakommission wurde 1897 die Senats- und Bürgerschaftskommission für die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse eingesetzt, die nach umfassenden statistischen Bestandsaufnahmen schließlich drei zu sanierende Gebiete innerhalb des Wallringes festlegte. Sie umfassten ca. 40 ha, ca. 18 % der gesamten Fläche der Innenstadt, und 1896 wohnten in diesen Gebieten ca. 50.000 Menschen, ca. 8 % der Hamburger Gesamtbevölkerung. Zur Abwicklung des komplexen Sanierungsverfahrens wurden von der Kommission zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse 1898 Unterkommissionen für den zu erstellenden Bebauungsplan und für den Ersatzwohnungsbau eingerichtet (Abb. 4). In den drei 1897 festgelegten Sanierungsgebieten lag bei einer Wahlbeteiligung von über 80 % der Anteil der sozialdemokratischen Wähler bei über 70 %. Die „halboffenen“ Familienstrukturen mit Untervermietung und Schlafgängern, die schwer überschaubar und kontrollierbar schienen, entsprachen zudem nicht dem bürgerlichen Ideal der abgeschlossenen Kleinfamilie. Was nach bürgerlichen Vorstellungen verdammenswert erschien, bot für einen Teil der Betroffenen eine wichtige Einnahmequelle. Die Sanierung der Südlichen Neustadt Im „dunkelsten Hamburg“, so die Presse, in der Südlichen Neustadt am Hafen, begann 1898 die einzige bedeutende Flächensanierung in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Dieser Bezirk war ausgewählt worden, da hier durch Überschwemmungen der Keller bei Hochwasser besondere Missstände bestanden. Der Anlass für die Intervention 31 Abb. 4 Lage der drei nach der Choleraepidemie 1892 festgelegten Sanierungsgebiete – Plan 1905 Das Brandareal ist mit einer Linie gekennzeichnet (Quelle: Schubert, 1997:456) war also eindeutig hygienisch, wohnungspolitisch motiviert, das Ziel der Sanierung war eindeutig die Verbesserung der Wohnverhältnisse. Gleichwohl sollte aber auch, so ein Senatsbericht von 1902, das „problematische“ Verhalten der unteren Bevölkerungsschichten gezielt kontrolliert werden: „Daher bedürfen diese Leute und ihre Schlupfwinkel einer beständigen und sorgfältigen Überwachung und größerer Fürsorge, als man ihnen sonst zuwenden möchte“ (Die Gesundheitsverhältnisse, 1901:318). Der Hamburger Stadtbauhistoriker Melhop schrieb, dass „die Wohnhöfe zu einer Gefahr für Hamburg wurden. (...) Die polizeiliche Überwachung der Höfe war schwierig und nicht gefahrlos“ (Melhop, 1923:201) (Abb. 5 u. 6). Die Sanierung war mit einem qualitativen Bevölkerungsaustausch verbunden. Die verdrängten Mieter mussten nach der Sanierung in der Umgebung zusammenrücken und forcierten in anderen Quartieren die Überbelegung. Die vormals vorhandene enge Durchmischung von Wohnen und Arbeiten wurde aufgelöst, nach der Sanierung gab es nur wenig neu eingerichtete Arbeits32 gelegenheiten. Die Gebäudeabrisse verlagerten die Probleme und schufen neue an anderer Stelle. Die Kommission für den neuen Bebauungsplan des Gebietes erörterte vor allem die Verkehrswege, anzulegende Straßen und die Aufschließung der Grundstücke. Die in dem festgelegten Gebiet betroffenen Grundstücke und Häuser wurden aufgekauft und die Eigentümer zum Verkehrswert entschädigt. Danach erfolgte der Abriss der Gebäude, das Terrain wurde wegen der Überschwemmungsgefahr aufgehöht, neue Leitungssysteme verlegt und die Straßen angelegt. Begonnen wurde im mittleren Bereich des östlichen Teiles des Sanierungsgebietes, da die Stadt hier im Bereich des alten Schlachthofes bereits über Grundstücke verfügte. Dabei wurde abschnittsweise verfahren, und die Grundstücke wurden nach der Neuparzellierung öffentlich versteigert. In der Nähe des Sanierungsgebietes gab es freie Bauplätze, die für den Bau von mietpreisgünstigen Wohnungen vorgesehen waren. 1900 waren 145 Wohnungen in den Abb. 5 Plan der Wohnungsbeschaffenheit in der Südlichen Neustadt vor der Flächensanierung 1902 (Quelle: Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im neunzehnten Jahrhundert, 1901:58) Häusern der Schiffszimmerergenossenschaft bezugsfertig. Der Bau wurde im Volksmund als „Arbeiterschloss“ bezeichnet. Die neuen Wohnungen waren vor den Abbrucharbeiten fertig gestellt, und vorzugsweise sollten Sanierungsbetroffene berücksichtigt werden. Auf die Festlegung von Mietobergrenzen wurde verzichtet. Bei der Versteigerung der Parzellen im Sanierungsgebiet erhielten einige Grundstücke die (preismindernde) Auflage, mietpreisgünstige Wohnungen bauen zu müssen. In der Regel erfolgte dies durch gemeinnützige Bauträger, die sich auch gebäudetyplogisch – durch die gekröpfte Anordnung der Baukörper um einen Hof – vom privaten, spekulativen Wohnungsbau unterschie- den. Das Problem der Beteiligung der Sanierungsbetroffenen an der Durchführung der Maßnahmen stellte sich damals nicht. In Zeitungsartikeln wurde darauf hingewiesen, dass eine Anzahl von Mietern weiter in den Wohnungen lebte, die bereits gekündigt waren. Weiter war von „passivem Widerstand“ die Rede, und es wurde bekannt, dass „Freiwohner“ immer vor der Sanierung und den Abbruchkolonnen her im Sanierungsgebiet umgezogen seien. Die Südliche Neustadt wurde fast ausschließlich mit neuen Wohnungen wieder bebaut, und bis auf die späteren Kriegszerstörungen wurde damit bis heute nachhaltig die Wohnfunktion in der inneren Stadt gesichert. Nach der Sanierung waren aber 33 Abb. 6 Neuparzellierungsplan der Südlichen Neustadt 1902 (Quelle: Schubert, 1997:522) weniger und teurere Wohnungen vorhanden, so dass sich nur wenige Betroffene die neuen Wohnungen leisten konnten. Dieser qualitative Bevölkerungsaustausch wurde von den Behörden als unproblematisch bewertet, da durch Sickereffekte die Verdrängten in andere Stadtteile umziehen würden. Die Verdrängungsproblematik war damals durchaus bekannt, so schrieb Bauinspektor Sperber in einem internen Vermerk: „Ich kann nicht raten, die Zahlen der Kosten und der zu dislozierenden Personen in den Bericht aufzunehmen, da hierdurch nur die Gegnerschaft herausgefordert wird“ (zit. nach Schubert, 1997:200). Die Kosten für die Sanierung wurden auf ca. 19 Mio. Mark beziffert und die Sozialdemokraten kritisierten die Sanierung als glänzendes Geschäft für die Grundstücksspekulation. Die Mieten lagen nach der Sanierung um fast 100 % höher als zuvor. Dies beförderte die Verdrängung und die unerwünschte Untervermietung. Der bekannte Stadtplaner Josef Stübben (1904:1) stufte die Sanierungen als 34 „hervorragend und segensreich“ ein. Der Wohnungsreformer Fuchs beklagte dagegen, dass man bei der Sanierung nicht von Erfahrungen andernorts profitiert hätte, sondern „mit niedersächsischer Hartnäckigkeit alle Fehler und Erfahrungen noch einmal machen will“. Die in der Zeitschrift für Wohnungswesen ab 1902 ausgetragene Kontroverse über Verfahren und Folgen der Hamburger Sanierungen zwischen dem Hamburger Beamten Olshausen und dem Universitätsprofessor und Wohnungsreformer Fuchs spiegelt die strukturellen Probleme der Stadterneuerung damals wie heute wider (Fuchs, 1905:278). Er sah die Wiederunterbringung der ehemaligen Wohnbevölkerung als zentrales Anliegen und monierte den Totalabriss. Nur der Bau von „Wohnungen für die wohlhabenderen Arbeiterklassen“ sei begünstigt worden und die architektonisch-städtebauliche Dimension sei sträflich vernachlässigt worden. Fuchs betonte weiter, „welch eine mo- ralische Verpflichtung der Hamburger Staat bei diesem Sanierungswerke ganz Deutschland gegenüber hat. Geht die Bedeutung dieses ersten großen Sanierungswerkes doch weit über die lokale hinaus: es wird für viele deutsche Städte vorbildlich werden“ (Fuchs, 1905:279). Olshausen erklärte dagegen, dass mit dem Abriss von Gebäudeteilen wenig gewonnen wäre, da der Bestand insgesamt als mangelhaft einzuschätzen war. Eine Notwendigkeit, ganz dieselbe Bevölkerung an der gleichen Stelle wieder unterzubringen, hätte nicht vorgelegen. Die höheren Mietpreise der neu erbauten Wohnungen müssten zugestanden werden, da sie neuen gesundheitlichen Anforderungen entsprechen würden. bert, 1995:193). Vor der Sanierung überwog auch hier noch die Wohnfunktion. Der Anlass der Intervention war auch hier zunächst stadthygienisch und wohnungspolitisch motiviert, die aus vorindustrieller Zeit stammenden Gänge und Höfe abzureißen. Das Ziel der Sanierung verlagerte sich aber zunehmend in Richtung zu einem Funktionswandel, ging es doch zudem um eine bessere Verbindung zwischen dem 1897 eingeweihten neuen Rathaus, der Börse und dem 1907 fertig gestellten Hauptbahnhof. Die Sanierung und die damit erforderlichen Gebäudeabrisse wurden mit der Anlage einer U-Bahnlinie verbunden, und durch das Sanierungsgebiet nördliche Altstadt sollte die spätere Mönckebergstraße „durchgebrochen“ werden. Bleibt für diesen ersten Teil der Sanierung zu resümieren, dass Hamburg mit einer Mischung aus gesundheits- wohnungsreformerischen sowie repressiv-kontrollierenden Elementen – durch die Cholera veranlasst – die einzige umfangreiche Flächensanierung in Deutschland durchführte. „Keine andere Stadt Deutschlands hat ähnliche Leistungen auf dem Gebiete öffentlicher Gesundheitspflege und Wohnungsfürsorge aufzuweisen“ resümierte der Nestor der Stadtplanung (Stübben, 1901:1) und führte weiter aus: „Die (Hamburger) (...) Stadtsanierung ist unseres Wissens die umfangreichste und kostspieligste, welche in deutschen Städten jemals ausgeführt wurde. Der Verwaltung und Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg gebührt für die Inangriffnahme und Durchführung der in gesundheitlicher und sozialer Beziehung so ausserordentlich wichtigen Maßregel hohe Anerkennung“ (Stübben, 1904:393). Vom Cholerajahr 1892 bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Bevölkerungszahl Hamburgs fast verdoppelt. Dieser Bevölkerungszuwachs implizierte eine neue Dynamik von stadtstrukturellen Veränderungen, eine Dialektik von Stadtumbau und Stadterweiterung. So ging die Wohnbevölkerung innerhalb der City von 170.874 im Jahr 1880 auf 139.221 im Jahr 1913 zurück. Der Prozess der Abnahme der Wohnbevölkerung im Stadtzentrum und die Zunahme „tertiärer Nutzungen“ wurden dabei schon in der zeitgenössischen Literatur vor dem Ersten Weltkrieg als „Citybildung“ bezeichnet. „Wieder wird eine große Anzahl von Wohnungen von der Bildfläche verschwinden, ohne dass die geringste Aussicht auf ausreichenden Ersatz vorhanden ist“ kritisierten die Sozialdemokraten (Fischer, 1906:612) und forderten dafür Ersatzwohnungsbau. Die Sanierung der Altstadt und der Bau der Mönckebergstraße In einem anderen Licht ist die Sanierung der nördlichen Altstadt zu bewerten, die als nächstes in Angriff genommen wurde (Schu- 1904 wurde mit dem komplexen Projekt begonnen, bis 1908 waren die meisten alten Gebäude entlang der Gänge abgebrochen, die Flächen für die neu anzulegenden Straßen freigeräumt und der Tunnelbau für die U-Bahn („cut and cover“) konnte beginnen. Nach dem Grundstückserwerb wurden die neu parzellierten Grundstücke von der Finanzdeputation öffentlich versteigert. 35 Der Abriss war nicht unumstritten. Kritiker aus der Heimatschutzbewegung um Paul Bröcker monierten: „Alt Hamburg vergeht“. Bröcker veröffentlichte 1910 mit Fritz Höger zusammen eine Schrift, die für die Wiederbebauung eine stärkere Besinnung auf regionale Bautraditionen, Satteldächer und norddeutsche Architekturformen vorschlug (Bröcker/Höger, 1910). Als Fritz Schumacher 1909 als Leiter des Hochbauamtes, nicht als Oberbaudirektor, nach Hamburg kam, wurde er gleich in den Sog dieser Kontroversen gezogen. Er stand dieser „literarischen Backsteinbewegung“, wie er sie nannte, durchaus kritisch gegenüber. Er ging davon aus, dass man mit Mittelstadtmotiven nicht den Anforderungen der heutigen Großstadt gerecht werden könne und dass die Gestaltung aus der „Logik der Tatsachen selbst neu entwickelt werden müsse“. Auch die Linienführung der neuen Straße wurde kontrovers diskutiert. Moniert wurde von Kritikern, wie dem Architekten Heubel, dass Verkehrsfragen die Debatte dominiert hätten und die ästhetische Seite unterbelichtet sei. Er verwies auf Camillo Sittes Buch und schlug wechselnde Straßenbreiten und eine andere Trassenführung vor. Ziel für Schumacher war es dagegen nach dem Straßendurchbruch eine stadträumliche Einheit aus „einem Guss“ entstehen zu lassen. Diese suchte er durch eine Kommission zu erreichen, die zur Beratung und Überwachung von gestalterischen Fragen eingerichtet wurde (Schumacher, 1922). Die Bebauung der von der Finanzdeputation öffentlich versteigerten Grundstücke wurde so an Bedingungen geknüpft, um einen möglichst geschlossenen Eindruck zu erreichen. 1908 wurde bekannt gegeben, dass die Durchbruchstraße nach dem Senator und Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg benannt werden sollte, 1912 wurde die Bahnlinie zwischen Rathausmarkt und Hauptbahnhof mit dem Abschnitt unter der Mön36 ckebergstraße eröffnet und 1914 waren alle Gebäude entlang der Straße fertiggestellt. Die „Durchbruchstraße“ wurde als Hamburgs „Weltstadtstraße“ mit einheitlichem Gepräge gefeiert. Als „Starkstromleitung“ zwischen den beiden Polen des öffentlichen Lebens, dem Rathaus und dem Hauptbahnhof, schrieb 1925 ein Beobachter. Entlang der Mönckebergstraße entstanden Kauf-, Geschäfts- und Kontorhäuser, die „Vorwärtsstreben“ und „kaufmännischen Wagemut“ symbolisierten (Lubitz, 2009:43). Hatte Hamburg bei der Sanierung der Südlichen Neustadt einen Verlust von ca. 17 Mio. Mark zu tragen, so ergab die Sanierung des nördlichen Teils der Altstadt eine fast ausgeglichene Bilanz. War bei den Kostenschätzungen beim Wiederverkauf von ca. 400 Mark ausgegangen worden, so wurden real Preise von fast 1000 Mark erzielt. Die Sanierung der Südlichen Altstadt Bereits 1911 waren Vorstellungen für die Sanierung des südlichen Teils der Altstadt entwickelt worden, die eine teilweise Wiederbebauung nach der Sanierung mit Kleinwohnungen festlegten. Bald aber dominierten Pläne, die, wie im Bereich nördlich der Steinstraße, ein Geschäftsviertel vorsahen. 1912 war ein Bebauungsplan für den Bereich der südlichen Altstadt aufgestellt worden und 1913 wurden die ersten Ankäufe getätigt und mit dem Abbruch begonnen. Von der SPD wurde moniert, dass der ursprüngliche Anlass, unzureichende stadthygienische und wohnungspolitische Zustände, nun kaum noch eine Rolle bei den Sanierungszielen spielte und eine weitere Verdrängung der ehemaligen Wohnbevölkerung durchaus intendiert war. Der Erste Weltkrieg brachte den Fortgang der weiteren Sanierung des südlichen Teils der Altstadt ins Stocken. Fritz Schumacher machte im Oktober 1914 Vorschläge, wie durch den Krieg in Not geratene Architekten nutzbringend für die Sanierungsarbeiten herangezogen werden könnten. „Friedensarbeit im Kriege“ beschrieb eine Hamburger Zeitung den Wettbewerb, der ausgelobt wurde, um Bebauungsvorschläge für den südlichen Teil der Altstadt zu erlangen. Bezüglich der Nutzungen wurden keine Vorgaben gemacht. Der Architekt Otto Hoyer gewann den Wettbewerb. Während einige Architekten traditionelle Schlitzbauten vorsahen, suchten andere, wohnungsreformerische Ideen zu implementieren. Neben Plänen waren auch Rentabilitätsrechnungen vorzulegen. Natürlich waren die (nicht vorgegebenen späteren) Nutzungen von entscheidender Bedeutung für die zu erzielenden Grundstückserlöse. So wurden die zu erzielenden Erlöse zwischen neun und 25,5 Mio. eingeschätzt (Schubert, 1991:49). „Der Städtebaukunst dienen und der Finanzdeputation eine Freude bereiten“, so umschrieben die Hamburger Nachrichten 1914 den schwierigen Spagat. Der Erste Weltkrieg hatte in allen deutschen Städten die vorläufige Einstellung der kommunalen Stadterneuerungsmaßnahmen bewirkt. Durch die große Wohnungsnot und Finanzknappheit nach 1918 wurden viele Maßnahmen weiter zurückgestellt, und der Schwerpunkt verlagerte sich auf die Wohnungsneubautätigkeit an der Peripherie. Die nach dem Krieg folgende Wohnraumbewirtschaftung und Mietpreisbegrenzung, die Wohnungszwangswirtschaft, machte Investitionen im Bestand unrentabel, so dass Hauszinssteuermittel für die Instandsetzung von Wohngebäuden vergeben werden mussten. An eine Beseitigung der „Jammerquartiere“, so der Wohnungsreformer Bruno Schwan (1929), war also damals kaum zu denken. Beseitigen ließ sich die Wohnungsnot nur auf lange Sicht, zunächst galt es den Mangel, so gut es ging, zu verwalten. Kurzfristig ging es darum, die leerstehenden und unbewohnbaren Wohnungen instand zu setzen und neue Wohnungen durch den Umbau geeigneter Gebäude oder durch Neubau zu schaffen. Die flächenhaften Sanierungs- und Stadtumbaumaßnahmen der Vorkriegszeit wurden also durch eine umfassende Wohnungsbestandspolitik ergänzt. Krieg, Kriegsende, Revolution und wirtschaftlicher Niedergang verhinderten auch in der Hamburger Altstadt zunächst den weiteren Abriss und die Neubebauung. Zunehmend wurde davon ausgegangen, dass an dieser Stelle kaum Wohnungen vorzusehen waren. Die Lagegunst des Gebietes schien einmalig und zwischen Rathaus und Börse sowie Hauptbahnhof und Hafen standen in größerem Umfange keine weiteren Flächen zur Verfügung. Schumacher schrieb 1925: „Es ist das gegebene Gebiet für die nächste Erweiterung des aufquellenden Geschäftsstadtkerns. Dass zur Zeit kein Markt für Kontorhäuser ist, sagt dabei gar nichts. Mit dem Weiterwachsen der Stadt muss dies Bedürfnis wiederkommen, und wenn es dann diese Plätze von Kleinwohnungen besetzt findet, wird der Missgriff jedem offenbar sein“ (Schumacher, 1925/26:228). Die weitere Entwicklung in der südlichen Altstadt war von einigen Zufällen mitbestimmt. Der Kaufmann Henry Sloman ersteigerte 1921 zwei Baublöcke links und rechts der Fischertwiete. Er befürchtete zunächst, dort nach dem gültigen Bebauungsplan Wohnungen erstellen zu müssen. Aber diese Befürchtung erwies sich schnell als gegenstandslos. Slomans 1924 fertiggestelltes Chilehaus nach dem Entwurf von Fritz Höger sollte zu einem Meilenstein in der Kontorhausarchitektur werden und determinierte die weitere Entwicklung in der südlichen Neustadt. Noch 1925 gab es in der Südlichen Altstadt ein chaotisches Nebeneinander von Wohnterrassen aus vorindustrieller Zeit, von abgeräumten Flächen und von modernen Kontorhausbauten. Zunehmend spielten beim Fortgang der Sanierung wohnungsre37 Abb. 7 Luftbild der Südlichen Altstadt 1930 mit Bürohausneubauten, Gängevierteln und abgeräumten Flächen (Quelle: Schubert, 1997:584) formerische Aspekte eine geringere Rolle. Der südliche Teil der Altstadt war „übel beleumundet“, Tag und Nacht trieb sich z. B. in der Niederstraße „viel Gesindel umher, so dass stets von polizeilichen Doppelposten bewacht werden musste. In den verrufenen Kellerräumlichkeiten hauste dort das Laster, der Stumpfsinn und die Verzweiflung, das Elend und der Abschaum des großstädtischen Lebens“ (Melhop, 1923:236). Doch machte man sich durchaus Gedanken über die umzusetzende sanierungsbetroffene Bevölkerung und 1925 wurde von der Bürgerschaft beschlossen, dass die abzubrechenden Wohnungen nicht eher geräumt werden dürfen, als bis den davon betroffenen Familien entsprechende Wohnungen zur Verfügung stehen würden (Abb. 7). Der Bebauungsplan von 1912 wurde 1926 geändert und trug dem veränderten Gebietscharakter Rechnung. Schumacher schrieb 38 dazu in einem Aktenvermerk: „Schon im Hinblick auf das Chilehaus (...) ist es ausgeschlossen, den bisherigen Bebauungsplan des Sanierungsgebietes beizubehalten. (...) Der alte Bebauungsplan, der zum guten Teil mit Wohnungsbauten rechnete, muss dem Wesen der geschäftlichen Riesenhäuser angepasst werden“ (Schumacher, 1925/26:228). So entstanden in der südlichen Altstadt vorwiegend Kontorhausbauten wie der Mohlenhof, Meßberghof, Sprinkenhof und Montanhof und nur zwischen Steinstraße und Altstädter Straße eine neue Wohnbebauung. Der Prozess der Citybildung und die Tertiärisierungsprozesse erschwerten eine Wiederbebauung mit zunächst vorgesehenen Wohnungen. Ein Ventil für die sich ausbreitenden Cityfunktionen musste geschaffen werden, gleich, ob man eine flächenhafte Ausdehnung oder eine „schleichende“ Einsi- ckerung in vorhandene (noch) wohngenutzte Bereiche vorgezogen hätte. „Wenn die Großstadt wächst – und wir werden ihr Wachsen kaum hindern können – greift nach unserem jetzigen System die Geschäftsstadt, die nicht mehr ausreicht, brutal verzerrend auf die zunächstliegende Wohnzone über, die sich um ihren Kern gelegt hat“ (Schumacher, 1940:55). Eines der größten Projekte sollte am östlichen Rand des Sanierungsgebietes entstehen, ein Messehaus am Klosterwall. Die Stadt übernahm es, die Häuser und Gebäude zu enteignen, die dem Messehausbau im Wege standen. 1925 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben (Höhns, 1991), an dem viele prominente Architekten teilnahmen. Otto Hoyer gewann den Wettbewerb, bei dem auch Rentabilitätsberechnungen vorgeschrieben waren. Aber der Investor ging in Konkurs, die Stadt musste das Gelände mit Verlust zurückkaufen und das Messehaus wurde nicht gebaut. Die Kontorhausbauten im Sanierungsgebiet der südlichen Altstadt signalisierten nach dem Ersten Weltkrieg einen scheinbar ungebrochenen Trend zu weiteren Kontorhäusern und zum weiteren Umbau der City für tertiäre Nutzungen. Die Kontroversen um das Messehausprojekt hatten die Diskussion um die weitere Nachfrage nach Büroflächen und Cityerweiterungsmöglichkeiten angeheizt und auch die Frage nach alternativen Standorten aufgeworfen. So sahen Pläne der Architekten Gebrüder Gerson die (erneute) Verlagerung des Schlachthofes und den Abriss des Karolinenviertels für die Cityerweiterung vor. Hier sei eine durchgreifende Sanierung geboten und eine Bebauung mit 14-geschossigen Hochhäusern wurde geplant. Schumacher war ein erklärter Gegner sowohl des Messehausprojektes als auch der Cityerweiterung in das Karolinenviertel. Er schlug vor, zunächst die noch ausstehende Sanierung der nördlichen Neustadt zu beginnen: „Die natürliche Erweiterung mit der bisherigen City wird sich vielmehr im Anschluss an den jetzigen Kern Hand in Hand mit der allmählichen Umge- staltung der Neustadt vollziehen“ (Höhns, 1991:66). Aber mit der Weltwirtschaftskrise wurde auch dem Bürohausboom ein Ende gesetzt. So waren über 30 Jahre nach ihrer Festlegung erst zwei der drei Gebiete erneuert worden und inzwischen waren neue Sanierungsaufgaben hinzugekommen. Teile von Hammerbrook (auch „Jammerbrook“ genannt), von Eimsbüttel und St. Pauli mit heruntergekommener Bausubstanz waren inzwischen dringend erneuerungsbedürftig geworden. Aber an die Durchführung weiterer Sanierungsmaßnahmen war nicht zu denken, da die damit verbundenen Abrisse die Bestände an mietpreisgünstigen Wohnungen weiter verknappt hätten. Die Sanierung der nördlichen Neustadt, des Gängeviertels Stadtsanierung, so lässt sich der Befund für die Jahre bis 1933 zusammenfassen, war durchaus ein etabliertes kommunales Handlungsfeld, wenngleich, bis auf Hamburg, in anderen Städten in Deutschland den erkannten Problemen und Missständen nur selten umfängliche Erneuerungsmaßnahmen gefolgt waren. Neben den Fragen der gesetzlich unzureichend geregelten Enteignungsmöglichkeiten bildeten die Kosten und Probleme mit Ersatzwohnungen für viele Städte ein erhebliches Hindernis. Zwar gab es nach 1933 keine einheitliche Terminologie, aber die neutraleren Begriffe aus der wohnungsreformerischen Tradition, wie Stadtsanierung und Stadterneuerung, wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten durch „griffigere“ und kämpferischere Schlagworte wie „Elendsviertelsanierung“, „Schandfleckenbeseitigung“ und „Stadtgesundung“ ersetzt (Petz, 1987). Wohl kaum ein anderer Politikbereich konnte zügiger und besser für die vagen nationalsozialistischen Ziele instrumenta39 lisiert werden als die Stadterneuerung. Die Stadt war nach nationalsozialistischer Ideologie der „Sitz des Judentums“ und der „Ort des Marxismus“. Chefideologe Gottfried Feder forderte 1934 als Ziel der „Stadtgesundung“: „Die Brutstätten des Marxismus zu zerstören, indem wir die Altstadt sanieren und die Altbauquartiere und die Großstädte als solche auflockern“(zit. nach Schubert, 1997:378). Dem politischen Rummel, der nach 1933 um die Stadtgesundung entfacht wurde, stand real nur ein bescheidenes Förderprogramm im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegenüber (LükenIsberner, 1989:294). Aber die Fachorgane überschlugen sich in Superlativen. So gerieten die ehemals wohnungspolitisch motivierten Ziele der Sanierung der nördlichen Neustadt in Hamburg, des Gängeviertels, zunehmend in politisches Fahrwasser. Fritz Schumacher hatte im März 1933 kurz vor seiner Entlassung in einem Aktenvermerk notiert: „Die Sanierung eines verbauten Punktes der Neustadt zu Gunsten einer polizeilich, hygienisch und sozial erwünschten Auflockerung des Häusergewirrs“ und unterzeichnete eine Skizze, „welche die Möglichkeit darstellt, zunächst Löcher in die schlimmsten Stellen des Sanierungsgebiets der Neustadt zu reißen“ (zit. nach Schubert, 1997:382). Im Gängeviertel hatte sich, so die Presse, ein „besonderes Bevölkerungsgemisch“ zusammengebraut. Bereits 1927 hatte der Chef der Hamburger Ordnungspolizei, Danner, auf ordnungspolitische Probleme hingewiesen. Nach der Sanierung der Altstadt, so der Leiter der Ordnungspolizei, hätte im Gängeviertel „im Laufe der letzten Jahre eine Anhäufung asozialer Elemente stattgefunden, die für die öffentliche Sicherheit eine große Gefahr bedeutet (...). Noch ernster aber ist die Gefahr, die das Gängeviertel in seiner heutigen Gestalt für die öffentliche Sicherheit bei planmäßig vorbereiteten Putschen bietet. (...) Ein Blick auf den Plan zeigt schon, daß es unmöglich für die Polizei ist, überall rechtzeitig 40 mit genügenden Kräften zur Stelle zu sein; es würde die dauernde Alarmbereitschaft von Kräften erfordern, über die die Polizei nicht verfügt“ (Danner, 1958:156). Hohe Anteile von KPD-Wählergruppen, soziale Unangepasstheit, abweichendes Verhalten, Kriminalität und Prostitution wurden von den Nationalsozialisten als willkommener Anlass für die Sanierung aufgegriffen. Neben Kriminalität, abweichendem Verhalten und Prostitution waren bei den letzten freien Wahlen in dem „Schlupfwinkel“ aber auch relativ hohe Anteile an kommunistischen Wählergruppen festgestellt worden. Insofern war es nur konsequent, als „Kommissar“ für die Sanierung dieses Gebietes den Polizeisenator einzusetzen. Im Juni 1933 erfolgten die ersten Abbruchmaßnahmen. „Wir haben uns nicht lange mit theoretischen Vorarbeiten aufgehalten, wir haben einfach abgebrochen!“ (Noack, 1934:390). So wurde propagandistisch der Beginn der Sanierungsarbeiten dargestellt. Von der Wohnbevölkerung von ca. 12.500 Personen sollten ca. 9.000 wieder im Gebiet untergebracht werden. Für die Durchführung sollten Reichsmittel in Anspruch genommen werden. Von Seiten des Reichswirtschaftsministeriums – für die Abwicklung des Programms zeichnete nun Chefideologe Gottfried Feder verantwortlich – wurde aber die vorgesehene fünfgeschossige Bauweise als zu dicht moniert. Nach einem höheren Reichszuschuss stimmte Hamburg einer viergeschossigen Bebauung zu, die dann auch realisiert wurde. Mit den Neubauten wurde 1935 begonnen, im November 1935 waren die ersten Wohnungen bezugsfertig. Die Durchführung von weiteren Sanierungsvorhaben – wie in Hammerbrook – wurde erörtert, aber immer wieder zurückgestellt. Die nationalsozialistische Stadtsanierungspropaganda stand zum Umfang der real durchgeführten Vorhaben im krassen Widerspruch. Nicht nur Planer und Architekten wurden für die nationalsozialistischen Ziele instrumentalisiert. Zur Lokalisierung von sogenannten Sanierungsverdachtsgebieten entwickelte der Hamburger Soziologe Andreas Walther ein Verfahren. Ziel seiner Arbeit war ein „Sozialkataster gemeinschädlicher Regionen“. Walther korrelierte Wahlverhalten und Kriminalität. Acht „gemeinschädliche Regionen“, darunter auch das Gängeviertel (St. Pauli Nord), wurden im Rahmen der „Notarbeit 51“ untersucht. Walther resümierte: „Im Gegensatz zu den großen geschlossenen Gebieten ordentlicher Arbeiterschaft, die sozialdemokratisch wählten, hoben sich kommunistische Bezirke in der charakteristischen Art von Nestern heraus mit teilweise mehr als 60 v. H. kommunistischer Stimmen. (...) In erschreckendem Ausmaße aber fielen diese kommunistischen Hochburgen zusammen mit Herden der Asozialität und Kriminalität“ (Walther, 1936:14). So konnte diese Art empirischer Untersuchungen problemlos zur Lokalisierung und zur Zerstörung möglichen politischen Widerstandspotentials, wie bei der Sanierung des Gängeviertels, genutzt werden. Bald aber dominierte die von Hitler selbst angefachte Euphorie der Neugestaltung deutscher Städte (Bose u. a., 1986). Das 1937 verabschiedete „Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte“ ersetzte zwar nicht das längst eingeforderte Städtebaugesetz oder ein spezielles Sanierungsgesetz, gleichwohl tangierte es den Bereich der Stadterneuerung und Enteignungsfragen. Mit dem Neugestaltungsgesetz sollten – im ideologisch motivierten Begründungszusammenhang – auch Areale für die expandierenden tertiären Nutzungen geschaffen und Straßen für die angenommene Massenmotorisierung bereitgestellt werden. Die Neugestaltungsplanungen in Hamburg implizierten gravierende Eingriffe in den Bestand und hätten eine totale Umkrempelung des nördlichen Elbufers und umfangreiche flächenhafte Abrisse bedeutet. Allein der Ersatzwohnungsbedarf für die Führerstadtplanungen wurde mit über 30.000 Wohneinheiten angegeben. Zwischen Sanierung, Umgestaltung, Neugestaltung und Stadtgesundung wurde also ein innerer Strukturzusammenhang gesehen. Geschickt, wie auch in anderen Politikbereichen, gelang es den Nationalsozialisten, verschiedene heterogene Elemente zu einer scheinbar „neuen“ Stadterneuerungspolitik zusammenzukitten. Das Ordnungsdenken der Planer konnte dabei problemlos für die Ziele der Nationalsozialisten instrumentalisiert werden. Mit den Zerstörungen durch den Luftkrieg verlagerten sich die Schwerpunkte auf Instandsetzung und Wiederherstellung von Wohnraum. So verstand Hamburgs Chefplaner Konstanty Gutschow den von ihm erarbeiteten Generalbebauungsplan 1944 als Umgestaltungs- und Sanierungsplan: „Jegliche frühere hamburgische Gesamtplanung musste, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, ins Utopische abzugleiten, wenn sie sich bemühte, realistisch zu bleiben, die überkommenen baulichen Verhältnisse in den Innenstadtteilen mehr oder weniger als kaum zu ändernde Tatsache hinnehmen. Eine wenn auch allmähliche, so doch wirklich wirksame Sanierung, insbesondere der verantwortlichen Besiedelungsdichten in diesen Stadtteilen, in denen immer die kommunistische ‚Wählerschaft‘ gesessen hat, schien einer ganz fernen Zukunft vorbehalten“ (zit. nach Schubert, 1997:412). Die Zerstörungen bedeuteten den Verlust von Werten, Wohnraum und historischen Baudenkmälern, wurden aber von den Planern gleichzeitig als Chance für einen grundlegenden Neuanfang gesehen. Endlich schien es realistisch, die Ziele der Dezentralisierung und Auflockerung umzusetzen, die feindlichen Bomber hatten die Arbeit der Sanierung übernommen. 41 Ausblick Die Verwerfungen in der deutschen Geschichte im „kurzen 20. Jahrhundert“ haben vielerlei Umbrüche auch im Bereich der Stadterneuerung befördert. Die Pervertierung der wohnungsreformerischen Agenda unter den Nationalsozialisten bildet dabei nur ein Kapitel der Geschichte der Stadterneuerung ab. Bei einer Evaluation der Sanierungsvorhaben bis zum Zweiten Weltkrieg sind dabei historische, politische, administrative und kulturelle Kontexte zu reflektieren. Aber fast alle Aspekte, die noch heute im Stadterneuerungsgeschehen von Bedeutung sind, Abriss/Neubau, Erhalt/Denkmalschutz, niedrige Altbau- und teure Neubaumieten, Beibehaltung der Wohnnutzung oder Umnutzung sowie Fragen der Entschädigung spielten bereits bei den beschriebenen Vorhaben vor dem Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst die Lösung der Wohnungsfrage vordringlich, und die Erneuerungsaufgaben im Bestand waren weniger prioritär. So kam es dann auch erst 1971 mit der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes – nach langen parlamentarischen Beratungen und schließlich mit abgeschwächten Interventionsmöglichkeiten – zu dem lange eingeforderten „Stadterneuerungsgesetz“. Dabei konnte von den Hamburger Verfahren profitiert werden: Es galt ein „Verdachtsgebiet“ zu bestimmen, das Areal darauf nach baulich-räumlichen und sozialen Kriterien präzise festzulegen, Teilbereiche und Abschnitte zu konkretisieren, Gebäude und Grundstücke nach Verkehrswert aufzukaufen, ggf. vom Enteignungsrecht Gebrauch zu machen, neue Infrastrukturen zu erstellen und die dann neu parzellierten Grundstücke schließlich zu reprivatisieren. Die Frage der Erstellung des Ersatzwohnungsbaus und der Festlegung von Mietobergrenzen wurde unterschiedlich gehandhabt und war von 42 den politischen Machtkonstellationen abhängig. Neu hinzugekommen sind mit dem Städtebauförderungsgesetz als qualitativ neue Elemente der Sozialplan und Beteiligungsmöglichkeiten der Sanierungsbetroffenen. Die Folgen der durchgreifenden Flächensanierungen, Abriss, Neubau, Verdrängung, Mieterhöhung und Nutzungswandel sollten umgehend Widerstand gegen die „Kahlschlagsanierung“ auslösen und die Herausbildung der partizipativen, behutsamen Stadterneuerung befördern. Was als „Nische“ noch vor kurzem „sanierungsbedürftig“ erschien, wird nun als schützenswert begriffen. Vielfalt und Ungleichzeitigkeit baulich-räumlicher und sozial-räumlicher Strukturen werden als Werte gesehen, die nicht mehr eingeebnet, sondern als Kennzeichen städtischer Kultur betont und weiterentwickelt werden sollen. Die „behutsame Stadterneuerung“ wird seit Ende der 1970er Jahre von allen Akteuren der Sanierung zunehmend, zumindest verbal, als Leitbild akzeptiert, wenngleich sich dahinter durchaus unterschiedliche, teilweise auch diametral entgegengesetzte Praktiken verbergen. Kleinteiligkeit und Behutsamkeit, Ansetzen an lokalen Interessen und Bedürfnissen und Stärkung von endogenen Potentialen sind nur einige Schlagworte, die einen Paradigmenwechsel, eine veränderte Problemsicht und einen anderen Umgang mit den vormals als „Problemgebieten“ titulierten Quartieren andeuten. Damit haben sich in den letzten Jahrzehnten die Gebietskulissen, die Erneuerungskulturen, die Verfahren und Instrumente und schließlich auch die Leitbilder und Ziele der Stadterneuerung dramatisch verändert. Die Integration baulich-räumlicher sowie sozialund arbeitsmarktbezogener Maßnahmen, ein querschnittsbezogenes Aufgabenverständnis und Herangehen, Integrations- und Koordinierungsaufgaben sowie Prozesshaftigkeit und Nachhaltigkeit haben an Bedeutung gewonnen. Literatur ALBERS, Gerd (1994): Zur Geschichte der Stadterneuerung. In: Jahrbuch Stadterneuerung 1994. Berlin, S. 39-48 BOSE, Michael; HOLTMANN, Michael; MACHULE, Dittmar; PAHL-WEBER, Elke; SCHUBERT, Dirk (1986): „... Ein neues Hamburg entsteht ...“, Planen und Bauen von 1933-1945. Hamburg BRÖCKER, Paul; HÖGER, Fritz (1910): Die Architektur des Hamburgischen Geschäftshauses. Ein zeitgemäßes Wort für die Ausbildung der Mönckebergstraße. Hamburg DANNER, Lother (1958): Ordnungspolizei Hamburg. Hamburg EVANS, Richard J. (1990): Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910. Reinbek DIE GESUNDHEITSVERHÄLTNISSE HAMBURGS IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT (1901): Den ärztlichen Theilnehmern der 73. 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Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, unter der Überschrift „Lernen von der IBA“ über Erfolge und Misserfolge der IBA von 1984/1987 zu reflektieren. Bei ihr handelte es sich ja nicht nur um eine Erfolgsgeschichte, sondern aus dem Abstand von 25 Jahren kann man auch durchaus einiges Selbstkritisches erkennen. Aber das Thema ist in Berlin aktuell: Wir diskutieren derzeit intensiv über Wohnungspolitik in Ballungsräumen mit angespannten Wohnungsmärkten, und da könnte das Thema der Behutsamen Stadterneuerung wieder aktuell werden oder neue Beiträge liefern. Ich habe mein berufliches Leben mit der Behutsamen Stadterneuerung verknüpft bzw. verbracht. Ich habe 1981 bei der Altbau-IBA in Kreuzberg angefangen und 1990 mit der Nachfolgegesellschaft S.T.E.R.N. „weitergemacht“. S.T.E.R.N. trägt ja die Behutsame Stadterneuerung immer noch im Firmennamen, und viele Leute sagen: „Tapfer, tapfer, dass ihr das immer noch macht“. Diese Leitlinie soll aber auch weiterhin beibehalten werden. Im Prenzlauer Berg hat die S.T.E.R.N. den Sanierungsprozess von der vorbereitenden Untersuchung bis zur Durchführung und schließlich dem Abschluss des Verfahrens begleitet. Derzeit werden viele Sanierungsverfahren abgeschlossen. Aktuell arbeiten wir in allen Programmen der Städtebauförderung, und zwar nicht nur in Berlin, sondern auch in NRW. Das bedeutet natürlich, dass ich einen subjektiven Blick auf die Geschichte der Behutsamen Stadterneuerung habe. Ich hoffe aber, dass sich das nicht zu sehr auf meine Bilanz auswirkt. Die Behutsame Stadterneuerung war seit den IBA-Zeiten immer in der Kritik, und daher sind wir es gewohnt, mit Kritik umzugehen und selbstkritisch unser Tun zu reflektieren. Meine Ausführungen richten sich auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die sich sozusagen stellvertretend an den Stadtteilen Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Neukölln festmachen lassen. Der Blick auf Neukölln ist insofern aber nicht ganz zufällig gewählt, weil die Anfänge der Überlegungen zu einer IBA 2020 sich mit dem Tempelhofer Feld beschäftigt haben, das neben Neukölln liegt, so dass die Verbindung der Altbaugebiete von Neukölln mit einer IBA Tempelhofer Feld nahe liegt. Im Folgenden werde ich meine Überlegungen in Thesenform darlegen, teilweise durch weiterführende Gedanken ausgeführt. Kreuzberg – Die Vergangenheit These 1: Die Philosophie der Behutsamen Stadterneuerung stellte einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der Stadterneuerungspolitik dar. These 2: Die Durchsetzung der Behutsamen Stadterneuerung war kein Selbstläufer. Es gab mächtigen und hartnäckigen Widerstand, der auch mit Hilfe von charismatischen Führungsfiguren wie Gustav Hämer überwunden wer45 den konnte. Philosophie und Praxis der Behutsamen Stadterneuerung hatten einen patriarchalischen Unterton. Worauf man durchaus einmal hinweisen muss, ist, dass Behutsame Stadterneuerung von Anfang an umkämpft war. Es gab Widerstand, die Einführung und die Implementierung der IBA lief unter sehr großen Schwierigkeiten ab, und da war es einerseits wichtig oder sogar notwendig, dass charismatische Führungsfiguren wie Hardt-Waltherr „Gustav“ Hämer an der Spitze der IBA-Gesellschaft gestanden haben. Allerdings hatten die damaligen Leitbilder einen patriarchalischen Unterton. Das Motto der IBA, „kaputte Stadt retten“ stört mich nach wie vor ein bisschen, und das Wort Behutsame Stadterneuerung legt es vielleicht auch ein bisschen nahe: „kaputte Stadt retten“ heißt, es gibt so etwas wie einen Retter. Ich weiß nicht, ob eine Stadterneuerung oder eine Stadtentwicklungspolitik unter diesen Vorzeichen mit den Betroffenen und anderen Akteuren „auf Augenhöhe“ agiert. Meiner Meinung nach stimmt da etwas nicht. Es war zwar notwendig, es war vielleicht auch eine geschichtlich sinnvolle Phase, aber ob wir die Stadt immer „retten“ können, kann bezweifelt werden. These 3: Kreuzberg war ein Labor, ein Experimentierraum mit Widersprüchen, Irrtümern, Erfolgen und Misserfolgen. Des Weiteren ist die Geschichte der Behutsamen Stadterneuerung nicht bruchlos verlaufen. Was in Kreuzberg passiert ist, ereignete sich „unter großen Schmerzen“ und mit vielen interessanten Diskussionen. Von zahlreichen Experimenten würde man im Nachhinein sagen können, dass man das eigentlich nicht so hätte machen müssen. Ein Beispiel sind die Modernisierungsstandards. Um zu dokumentieren, dass man den Wünschen der Bewohner folgt, wurden teilweise nicht zukunftsfähige Standards akzeptiert, wenn etwa eine Zentralheizung nur für ei46 nen Kern der Wohnung eingebaut wurde, ansonsten aber Ofenheizungen belassen wurden. Das hat sich schon im Laufe des Prozesses als Irrweg erwiesen. Es ist dennoch gemacht worden, einfach als Experiment. These 4: Die Behutsame Stadterneuerung in Kreuzberg hatte keine ernsthaften Finanzierungsprobleme, weder bei der IBA als Steuerungsgruppe noch bei der Finanzierung der Investitionen in soziale Infrastruktur und Wohnungsmodernisierung. Problematisch dagegen war eher mangelnde Nachhaltigkeit der Investitionen. Für die Zeit nach der IBA und die Zukunft ist das Finanzierungsproblem nicht zu vernachlässigen. Die IBA in Kreuzberg befand sich im Vergleich damit in einer luxuriösen Position. Schon die IBA-Steuerungsgruppe war sehr gut finanziert, aber vor allem gab es im „Westberliner Subventionsparadies“ keine Probleme der Finanzierung von Wohnungsmodernisierungen oder auch der Neubaufinanzierung. 25 Jahre später ist die Nachhaltigkeit der damals getätigten Investitionen stark in Zweifel zu ziehen. Die Situation im Sozialen Wohnungsbau ist bekannt: Berlin hat keine Anschlussförderung ausgereicht. Nach 15 Jahren gehen die Mieten „durch die Decke“ und auch die Modernisierungsförderung läuft irgendwann einmal aus - und dann gelten die Gesetze des freien Marktes. These 5: Die Verfügbarkeit von Grundstücken war weitgehend gegeben: Die überwiegend städtischen Wohnungsbaugesellschaften folgten der Strategie der erhaltenden sozialverträglichen Erneuerung. Private Eigentümer und Grundstücksgesellschaften waren dagegen erheblich schwieriger einzubinden. In der IBA-Zeit herrschten, wenn man so will, quasi sozialistische Zustände, im Rahmen derer Sanierungsträger in Berlin in großem Umfang Grundstücke aufkaufen konnten, weil dies die Rahmenbedingungen des Bodenmarkts und der Sanierung zuließen. Da den Trägern die Grundstücke weitgehend gehörten, war „nur“ eine Abstimmung mit den Wohnungsbaugesellschaften über eine veränderte Form von Modernisierungen erforderlich. Das war schwierig genug, aber es stellte sich letztendlich als realisierbar heraus. Vor diesem Hintergrund war tatsächlich eine andere Form von Modernisierungspolitik flächendeckend umsetzbar, also nicht für ein einzelnes Grundstück, sondern für ganze Baublöcke oder ganze Gebiete, wie zum Beispiel am Kottbusser Tor. Im Prozess der Modernisierung des berühmten Stadtteils Kreuzberg SO36, der nicht Sanierungsgebiet war und deshalb auch nicht von Sanierungsträgern aufgekauft worden ist, wurde dies deutlich. Dort gab es Einzeleigentümer, und mit der „Erholung“ des Wohnungsmarktes aus Investorensicht Ende der 1980er Jahre wurde es trotz immer noch üppiger öffentlicher Förderung erheblich schwieriger, private Eigentümer in den Prozess einzubinden. Die Gegenwart – Prenzlauer Berg These 6: Die Übertragung der Philosophie der Behutsamen Stadterneuerung war ein mutiger Schritt der Berliner Stadtentwicklungspolitik, insbesondere in Gebieten mit hohem Investitionsdruck. Die Behutsame Stadterneuerung nach dem Epochenbruch im Zuge des Falls der Mauer zum Leitmotiv im Stadtteil Prenzlauer Berg zu machen, und das angesichts der Dimensionen von Sanierungsbedarf, die sich damals darboten, war durchaus ein mutiger Schritt, der von den Akteuren einen Sprung ins kalte Wasser mit durchaus offenem Ausgang erforderte. Die Veränderungen gegenüber der vorherigen Situation lassen sich in drei Punkten beschreiben. Von der Dimension her ging es insgesamt, im ersten Gesamtberliner Stadterneuerungsprogramm um 80.000 Wohnungen mit 120.000 Einwohnern. Das ist eine völlig andere Dimension als zuvor in Kreuzberg. Kreuzberg, war also, wenn man so will, eine Laborsituation, der der Realitätsschock Ost-Berlin nachfolgte. These 7: Die wesentlichen Parameter der Veränderung gegenüber Kreuzberg lagen in einer veränderten Eigentümerstruktur und einer völlig anderen Finanzierungsgrundlage. Durch die Restitutionspolitik kam es zu einer völlig anderen Eigentümerstruktur, die vorher nicht absehbar war, so dass mit jedem Eigentümer einzeln verhandelt werden musste und dabei natürlich völlig andere Investitionsinteressen, ein hoher Investitionsdruck und die Attraktivität der Gebiete eine große Rolle spielte. These 8: Die Erhaltung der gründerzeitlichen Bebauungsstruktur und damit der städtebaulichen Dichte deckte sich mit den Interessen der Investoren. Was nicht so schwierig war, war dagegen die Diskussion um die Erhaltung der Bebauungsstruktur. Die Gebiete um das Ostberliner Zentrum waren ja als Gründerzeitgebiet weitgehend erhalten. Hier deckten sich aber einfach die Interessen zwischen der Sanierungspolitik und den Eigentümern: Ein Investor hat durchaus ein Interesse daran, die Dichte zu erhalten, nicht wegen der städtebaulichen Rahmenbedingungen, sondern wegen der Verwertungsmöglichkeiten. Je mehr Wohnraum ich als Eigentümer erhalte, desto mehr Wohnraum kann ich verwerten und modernisieren und kann damit Gewinn machen. Die stadtstrukturelle Idee der Behutsamen Stadterneuerung und das, was Investoren dann für ihre privaten Grundstücke in Anspruch nehmen wollten, haben sich durchaus gedeckt. These 9: Nach dem Wegfall der staatlichen Modernisierungsförderung wurde bis zur höchstrichterlichen Versagung ein unzureichendes planungsrechtliches Instrumentarium in Anspruch genommen. Danach standen 47 lediglich öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zur Verfügung. Von Anfang war k lar, dass es keine 100 %-Förderung wie vor der Wende geben würde, so dass innovativ mit der Situation umgegangen werden musste. Wegen der Dimension der Aufgabe konnte es die umfassende Förderung auch gar nicht geben, doch es kam sogar noch schlimmer: Die wenige Förderung, die es gab, fiel nach einigen Jahren weg. Es wurde dann versucht, frei finanzierte Modernisierungsmaßnahmen mit Mietobergrenzen zu ergänzen, also sozusagen die Stadterneuerung mit dem Milieuschutz zu „kreuzen“, allerdings mit unzureichenden Mitteln, weil das zur Verfügung stehende Instrumentarium so stark verwässert war, dass man mit ihm schwer umgehen konnte. Das Instrument der Mietobergrenzen, das durchaus funktionierte, wurde Mitte der 1990er Jahre höchstrichterlich ausgehebelt. Diese Kreuzung von Milieuschutz und Stadterneuerung durfte danach nicht weiter angewendet werden, so dass ein wesentliches Instrument der privaten Modernisierungsbegrenzung obsolet geworden war und nur noch vertragliche Sanierungsvereinbarungen mit den Eigentümern getroffen werden konnten, ein schwaches Instrument, das nicht sanktionierbar ist. These 10: Die Entwicklung neuer Akteurskonstellationen wurde nur unzureichend gefördert. Genossenschaften kamen nur vereinzelt zum Zuge, die Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände erfolgte fast auflagenfrei und das Aufkommen von Baugruppen wurde wohlwollend bis misstrauisch begleitet. Aus der Sanierung im Prenzlauer Berg kann man durchaus lernen. Neue Akteurskonstellationen und neue Partizipationsmöglichkeiten, die auf der Hand gelegen hätten, wie zum Beispiel Genossenschaften, kamen vereinzelt zum Zuge und wurden voll finanziert. Es gibt zum Beispiel die große Genossenschaft „Bremer Höhe“, die zu 100 % finan48 ziert wurde. Über diese Möglichkeiten wird man in Zukunft vielleicht auch nicht mehr verfügen. Kommunale Wohnungsbestände, die es gegeben hat, wurden sozusagen auflagenfrei privatisiert, und Baugruppen zumindest am Anfang begleitet, aber nicht gesteuert oder für die Sanierung genutzt. Die Zukunft – Neukölln These 11: Das städtebauliche Instrumentarium ist vorhanden. In der Zukunft sehe ich städtebaulich ähnlich geringe Probleme wie im Prenzlauer Berg. These 12: Zur Sicherung der sozialverträglichen Entwicklung vorhandener Wohngebiete muss das planungsrechtliche Instrumentarium weiterentwickelt werden. Die Verbindung von sozialer Stadtentwicklung und baulicher Entwicklung stellt dagegen eine schwierige Herausforderung dar. Diese Kernidee der Behutsamen Stadterneuerung bleibt eine Daueraufgabe. Beispielsweise ist der Milieuschutz zurzeit so verwässert, dass das Instrument kaum sinnvoll in den genannten Gebieten genutzt werden kann. These 13: Zur Sicherung der Nachhaltigkeit in nachgefragten Innenstadtlagen sind veränderte Rahmenbedingungen im Mietrecht (Neuvermietung) und bei der Umlagefähigkeit von Modernisierungsmaßnahmen notwendig. Wenn man ehrlich sein will, dann muss man vom Nachdenken über den baulich-städtebaulichen Rahmen zur Auseinandersetzung mit Wohnungspolitik und Mietenpolitik übergehen, und da wird es natürlich schwierig. Hier richten sich die Forderungen an die Ebene des Bundes. Ehrlicherweise kann man nicht anders argumentieren als zu sagen: Wenn man nachhaltig und langfristig Behutsame Stadterneuerung machen will, also nicht nur während des Prozesses, sondern auch nachher, dann muss man darüber nachdenken, wie man die Rahmenbedingungen dafür schaffen kann. Dabei stellt das Mietrecht tatsächlich einen zentralen Gesichtspunkt dar: In Berlin wird von der Politik erklärt, dass die Wohnungsmarktsituation nicht angespannt sei und damit ist die Neuvermietungspraxis völlig freigegeben. Es gibt keine Wucherparagraphen des Mietrechts, und egal wie behutsam der Modernisierungsprozess über die Bühne geht, ist beim ersten Mieterwechsel danach die Attraktivität des Wohnviertels ausschlaggebend für die Entwicklung. Ist sie hoch wie im Prenzlauer Berg, steigt die Miete rapide, ist sie niedrig, ist es nicht ganz so schlimm, aber in Berlin sind derzeit viele Gebiete attraktiv. These 14: Rechtliche Steuerungsinstrumente bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer adäquaten Umsetzungsstrategie. Neue geförderte Modernisierungsmaßnahmen sind ja auch in der Diskussion, und insbesondere unter energetischen Gesichtspunkten muss man sicherlich auch über sie diskutieren. Die Umsetzungsstrategien sind mir dabei ganz wichtig. These 15: Dazu gehört auf Seiten der ausführenden Verwaltung insbesondere eine ausreichende Personalausstattung. Wenn man den Einsatz planungsrechtlicher Instrumente fordert, die durch die Diskussion geistern, wie zum Beispiel Milieuschutz, Zweckentfremdungsverbot oder ein Verbot von Ferienwohnungen, muss man gleichzeitig zwingend etwas zur Umsetzbarkeit sagen, weil die schönste Forderung nach Zwangsinstrumenten in der Realisierung scheitert, wenn in der Verwaltung keine Ansprechpartner oder nicht genügend Leute sind, um die Durchsetzung der rechtlichen Instrumente tatsächlich zu kontrollieren. Angesichts der Einsparmaßnahmen im öffentlichen Dienst stehen hier nicht die benötigten Kräfte zur Verfügung. These 16: Behutsame Stadterneuerung braucht eine Weiterentwicklung der Beteiligungsstrukturen. Dazu zählen Anhörungsrechte in den Bezirksparlamenten, Bürgerjurys mit eigenem Budget und neue Akteursstrukturen. Über neue Beteiligungsstrukturen will ich hier nicht weiter diskutieren, sondern nur auf neue Akteursstrukturen kommen. Was könnte das sein? Man könnte auf der einen Seite sagen, Betroffenenbeteiligung muss aufgrund ihres patriarchalischen Charakters weiter entwickelt werden. These 17: Elemente neuer Akteursstrukturen können Baugemeinschaften, Genossenschaften und auch Wohnungsbaugesellschaften (Bündnis Hamburg) auf Basis definierter Handlungsfelder und verbindlicher Vereinbarungen sein. Man müsste versuchen, selbsttragende nachhaltige Strukturen zu finden. Das können Baugemeinschaften sein, wenn sie in verbindliche Vereinbarungen eingebunden sind, – trotzdem handelt es sich bei ihnen in der Regel um Eigentümergemeinschaften. Weiterhin hat eine Wiederbelebung der Genossenschaftsidee in Berlin enorme Möglichkeiten, denen bislang nur wenige Realisierungen gegenüber stehen. In Hamburg ist das, meines Wissens nach, auch nicht anders. Der Vorteil besteht darin, dass Genossenschaften tatsächlich nachhaltig modernisieren oder bauen und keine privaten Gewinninteressen haben, so dass nicht nach 30 Jahren eine Modernisierungsforderung ausläuft, sondern diese eigentlich de facto dauerhaft besteht. Auch Wohnungsbaugesellschaften könnten in einem Bündnis für soziale Wohnungspolitik ein interessanter Akteur sein, wenn mit ihnen entsprechende verbindliche Vereinbarungen getroffen werden. These 18: Insbesondere bei Wohnungsneubau und Modernisierung (energetische Stadter49 neuerung) sind öffentliche Förderprogramme unerlässlich (statt bedingungsloser Steuererleichterungen). Revolvierende Fördersysteme können den Finanzaufwand langfristig senken. Schließlich wird ohne öffentliche Förderung, also nur frei finanziert, keine sinnvolle Behutsame Stadterneuerung zu machen sein. Es wäre ein Selbstbetrug, das zu fordern. Man muss daher über intelligente öffentliche Fördersysteme, wie etwa über revolvierende Fördersysteme, nachdenken, aber man wird ohne öffentliche Förderung – auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen einer energetischen Stadterneuerung – sicherlich nicht auskommen. Fazit: Die Zukunft der Behutsamen Stadterneuerung Gemeinsamer Ausgangspunkt vieler Kritiker der herrschenden Stadterneuerungspolitik in den 1970er Jahren war die Feststellung mangelnden Respekts vor der vorhandenen Stadt und ihren Bewohnern – und das vor dem Hintergrund der ewig ungelösten Wohnungsfrage. „Wohnen darf nicht länger Ware sein“, so lautete ein typischer Buchtitel aus dieser Zeit (Wawrzyn/Kramer 1974). Der Soziale Wohnungsbau, insbesondere in Form der Großsiedlungen, erschien als unzureichende oder gar falsche Antwort, zumal er mit den Flächensanierungen in den Gründerzeitgebieten eng verbunden war. ger als Subjekt des Erneuerungsprozesses, nicht als „Betroffener“. Die Forderung nach „Augenhöhe“ zwischen Planern und „Beplanten“ war von Anfang an ein wesentliches Element der Behutsamen Stadterneuerung. Wurde es in der Praxis adäquat umgesetzt? Oder steckt schon in der Begrifflichkeit des „Behutsamen“ und der „Rettung“ nicht auch ein ungebrochenes patriarchalisches Prinzip – hier die „Behüter“, dort die „Behüteten“? Ist dieses neue Planungsverständnis eine notwendige Zwischenstufe der Entwicklung – schließlich ging es im Berlin der 1980er Jahre trotz aller Träume von einer „Freien Republik Kreuzberg“ nicht um Revolution, sondern (lediglich) um Entwicklung, um Reform. Dabei hat der Druck der Hausbesetzerbewegung die Reformbereitschaft auf Seiten von Politik und Wohnungswirtschaft sicher erheblich befördert. Kreuzberg war ein Reformlabor, in vielfacher Hinsicht. Es wurde städtebaulich experimentiert mit Blockstrukturen, Dichte und Umnutzung, baulich mit Modernisierungsstandards und -methoden, wohnungspolitisch mit Selbsthilfestrategien, Selbstverwaltungsprinzipien und der Wiederbelebung von genossenschaftlichen Modellen – und auf dem Gebiet der Bewohnerbeteiligung mit Hausversammlungen, eigentümerunabhängiger Mieterberatung und öffentlich tagenden Erneuerungskommissionen. Vieles von dem ist inzwischen planungspolitischer Alltag. … über Prenzlauer Berg ... Von Kreuzberg... Vor diesem Hintergrund erschien der Anspruch der IBA 1984 mit ihrer Hinwendung zur Innenstadt und ihrem Prinzip „Erhalt vor Abriss“ als radikale Kehrtwendung. Der Anspruch in propagandistischer Kurzformel: Nichts weniger als „kaputte Stadt retten“. Ein Mittel in dieser teils hart geführten Auseinandersetzung um eine Veränderung der Stadterneuerungspolitik war das Instrument weitgehender Bürgerbeteiligung: der Bür50 Nach dem Fall der Mauer kam der Praxistest: Das Land Berlin erklärte die Behutsame Stadterneuerung zur Grundlage der Stadterneuerungspolitik, allerdings unter völlig anderen Vorzeichen als in Kreuzberg: neue Dimensionen mit 80.000 Wohnungen in den neu festgelegten Sanierungsgebieten, weitgehendes Einzeleigentum gegenüber großflächigem Eigentum landeseigener Wohnungsbaugesellschaften in Kreuzberg und spätestens seit 2001 Wegfall öffent- licher Modernisierungsförderung. Hinzu kam die neue Lagegunst: Gebiete im Schatten der Mauer wurden hochbegehrte und von Investoren umkämpfte Innenstadtlagen mit hohem Spekulationspotential. Extrem hoher Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf traf auf mindestens ebenso hohe Erwartungen der Bewohner, welche die Behutsame Stadterneuerung in ihren neu gefassten Grundsätzen als Versprechen auffassten: Der dritte dieser Grundsätze besagt, dass die Erneuerungsverfahren sozialverträglich und ohne Verdrängung gestaltet werden sollen. Wie sieht die Bilanz nach inzwischen mehr als zwanzig Jahren Stadterneuerung seit der Wende aus? Baulich erfolgreich, sozial gescheitert, wie polemische Kritiker behaupten? Eine nüchterne Betrachtung der Sanierungsergebnisse seit 1990 wird wohl erheblich differenzierter ausfallen müssen: Zum einen ist festzuhalten, dass die baulichen und städtebaulichen Ergebnisse jeder Kritik standhalten: Ein so umfassender Erneuerungsprozess in vergleichsweise so kurzer Zeit erscheint tatsächlich als Erfolg. Eine marode und heruntergewirtschaftete Bausubstanz wurde weitgehend wiederhergestellt und die soziale Infrastruktur und der öffentliche Raum wurde an noch während des Erneuerungsprozesses sich wandelnde Ansprüche angepasst. Die Gebiete sind heute nicht nur wegen ihrer zentralen Lage, sondern auch wegen ihrer unbestrittenen Wohnqualität attraktiv. Hinsichtlich des formulierten Ziels der Erhaltung der Bevölkerungsstruktur ist dagegen erhebliche Ernüchterung eingetreten: Die Erwartungen waren überzogen und die Mittel offensichtlich unzureichend. Aber auch die Kritik an den Ergebnissen erscheint überzogen. So wird zum Beispiel gern übersehen, dass in Prenzlauer Berg einer Fluktuationsquote von 70 % in den 20 Jahren seit 1990 eine ebenso hohe Quote zwischen 1970 und 1990 gegenübersteht. Darüber hinaus sind sanierungsbedingte Aufwertungsprozesse und ihre Folgen kaum von davon unbeeinflussten Lageeffekten zu trennen. Die wohnungspolitischen Folgeeffekte dieser wiedergewonnenen Lagegunst mit der Philosophie der Behutsamen Stadterneuerung allein zu kompensieren, hat sich erwartungsgemäß als Überforderung erwiesen, weil diese Philosophie instrumentell nicht hinreichend untersetzt war: Sanierungssatzungen, Erhaltungssatzungen und sonstige Verordnungen haben in sozial- und wohnungspolitischer Hinsicht die Erwartungen nicht erfüllt. ... zur Weiterentwicklung der Behutsamen Stadterneuerung Zwei Elemente der Weiterentwicklung erscheinen daher als geeignet, der Philosophie der Behutsamkeit eine Zukunft zu sichern: Zum einen müssen Beteiligungsformen entwickelt werden, die über rituelle Betroffenheitsbeteiligung hinausgehen. Beispiele wie anerkannte Stadtteilvertretungen mit Informations- und Antragsrechten oder Bürgerjurys mit Mitbestimmungsrechten über Quartiersfonds sind bereits erfolgreiche Praxis. Solche Elemente sind in einem stimmigen Verfahrens- und Beteiligungskonzept weiter zu entwickeln und allgemein verbindlich zu machen. Zum anderen ist die instrumentelle Umsetzung von Stadterneuerungskonzepten zu klären, die mindestens stadtentwicklungspolitische, städtebauliche, sozial- und wohnungspolitische Ziele beinhalten. Ansprechpartner sind dabei alle staatlichen Ebenen von der Kommune bis zum Bund. Sich über die Konkretisierung dieser beiden Elemente und über entsprechende Umsetzungsstrategien zu verständigen, würde die Philosophie der Behutsamen Stadterneuerung vor der sonst drohenden „Musealisierung“ schützen und ihr eine realistische Zukunft geben. Literatur WAWRZYN, Lienhard; KRAMER, Dieter (Hg.) (1974): Wohnen darf nicht länger Ware sein. Darmstadt/Neuwied 51 Matthias Bernt Die Herausforderer der Behutsamen Stadterneuerung Noch Anfang der 1990er Jahre war die intellektuelle Hegemonie der „Behutsamen Stadterneuerung“ (mit großem „B“) in den Debatten und Entscheidungen der Berliner Stadtentwicklung überdeutlich. Für viele PlanerInnen waren die „12 Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung“ (Bauausstellung Berlin 1987) so etwas wie ein Mantra und auch in der ansonsten eher von einem „Metropolenhype“ geprägten Stadtentwicklungspolitik vermochte es die „Behutsame Stadterneuerung“ ihren Einfluss auf die Berliner Stadtentwicklung weitgehend zu behaupten. Im Zuge der Kreuzberger Sanierung entwickelte zentrale Zielaussagen wie „Schutz vor Verdrängung“, „Orientierung an den Betroffenen“, „Behutsamkeit“, oder „Betroffenenbeteiligung“ wurden nach dem Mauerfall (trotz radikal geänderter Rahmenbedingungen) nach Ostberlin „rübergeklappt“ (vgl. Bernt, 2003; Bernt/ Holm, 2009). Und weite Teile der Stadtentwicklungsdebatte wurden völlig selbstverständlich unter das Dach von in der Kreuzberger Internationalen Bauausstellung entwickelten Planungsparadigmen gestellt. Seitdem hat sich das Bild erheblich geändert. Schlägt man beispielsweise auf dem Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nach, findet man schon den Begriff „Behutsame Stadterneuerung“ nur noch mit Mühe. Während bspw. „Soziale Stadt“, „Denkmal“ und „EU/Internationales“ jeweils eigene Frames innehaben, versteckt sich „Stadterneuerung“ in den Unterkategorien „Städtebau“ und „Förderprogramme“ und teilt sich dort den Platz mit „Aktive Stadtzentren“, „Stadtumbau Ost und West“ und „Städtebaulicher Denkmal- schutz“. Das Wort „behutsam“ ist schließlich in den Fließtext gerutscht und wird nur noch als Beiwort für alles Mögliche (z. B. „behutsame Fassadeninstandsetzung“, „behutsame Arrondierung von Flächenpotenzialen“, „behutsame Gestaltung eines Naturerfahrungsraums für Kinder“) und natürlich in der Adresszeile des Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N. („Gesellschaft der Behutsamen Stadterneuerung“) verwendet. Der nachrangige Platz der Behutsamen Stadterneuerung auf der Webseite des Senats entspricht durchaus auch der Planungspraxis, in der ein deutliches Gefälle zwischen dem für viele PlanerInnen nach wie vor wichtigen Bezug auf die Tradition der „Behutsamen Stadterneuerung“ und der tatsächlich durchgesetzten Stadtentwicklungspolitik zu beobachten ist. War die Berliner Innenstadt so noch vor zehn Jahren mit fast zwei Dutzend Sanierungsgebieten belegt, finden sich heute in Gesamtberlin nur noch zehn Sanierungsgebiete, von denen drei im nächsten Jahr aufgehoben werden sollen und in den anderen sieben eine leichte Mischung aus Reparaturmaßnahmen im öffentlichen Raum und Gewerbeförderung geplant ist. Hieß es in den Leitsätzen von 1982 noch apodiktisch „[d]ie Erneuerung muss an den Bedürfnissen der jetzigen Bewohner orientiert und mit Ihnen geplant werden. Die Bausubstanz soll im Grundsatz erhalten bleiben“, stand das Ziel der Vermeidung von Verdrängung schon in den 2005 verabschiedeten neuen „Leitsätzen zur Stadterneuerung“ gleichberechtigt neben der Förderung des „Zuzugs jüngerer Familien und stabilisierender Bevölkerungsschichten“. Gleichzeitig zu dieser Verschiebung 53 wurden die Förderung von Sanierungsmaßnahmen beendet, der soziale Wohnungsbau eingestellt, Mietobergrenzen bei privat finanzierten Erneuerungsmaßnahmen abgeschafft und das Verbot der Zweckentfremdung von Mietwohnungen aufgegeben. Diese Entwicklung hat in Berlin inzwischen zu stark steigenden Mieten und zu intensiven Mieterprotesten geführt (für einen jeweils aktuellen Überblick, s. http://gentrificationblog.wordpress.com) – nichtsdestoweniger ist eine Rückbesinnung auf die international beachteten, umfangreichen und in vielen Punkten innovativen Erfahrungen der „Behutsamen Stadterneuerung“ heute in den Berliner Debatten fast nirgends zu erkennen. (Eine Ausnahme stellt Bodenschatz/ Polinna u. a. 2010 dar.) Zentrale Schlagwörter der „Behutsamen Stadterneuerung“ wie „Orientierung an den Betroffenen“, „Sozialverträglichkeit“ oder „Betroffenenbeteiligung“ klingen heute in der Berliner Stadtentwicklungspolitik eher wie Nachrichten von einem fremden Stern als ernstzunehmende Leitorientierungen. Und es ist mehr als ein Indiz, wenn der aktuelle Stadtentwicklungssenator neulich in einem Interview sogar verlauten ließ, dass er es nicht für eine Zumutung halte, wenn einkommensschwache BerlinnerInnen wegen gestiegener Mieten von Mitte nach Spandau umziehen müssten (Berliner Kurier, 23.1.2012). Auch der Abriss von älterer Bausubstanz zugunsten von Eigentumsneubau ist heute in Berlin kein Tabu mehr (vgl. barbarossastr59.dreipage2.de, mietenstopp.blogsport.de). Misst man die heutige Bedeutung der „Behutsamen Stadterneuerung“ an der aktuellen Stadtentwicklungspraxis, kommt man vor diesem Hintergrund nicht umhin festzustellen, dass dieser ehemals innovative und von Politik und Wissenschaft hoch gelobte Planungsansatz an Umsetzungsrelevanz verloren hat. Der vorliegende Beitrag argumentiert, dass diese Entwicklung nicht nur technisch – als Reaktion der Politik auf veränderte Aufgabenstellungen – interpretiert werden sollte, 54 sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels im Denken über die Rolle des Staates in der Stadtentwicklung ist. Dieser Wandel ist nicht naturwüchsig, sondern ihm liegen konkurrierende politische Vorstellungen zugrunde, die sich in unterschiedlichen Erneuerungsansätzen niederschlagen. Wenn man sich fragt, welche Zukunft „behutsame“ Ansätze in Zukunft noch haben können, muss man daher an dem Wandel staatlicher Stadterneuerungspolitik ansetzen und analysieren, welche politischen Vorstellungen mit dem Niedergang der „Behutsamen Stadterneuerung“ an Durchsetzungskraft verloren haben und durch welche Orientierungen sie ersetzt worden sind. Ich skizziere deshalb in diesem Beitrag in groben Linien wesentliche Entwicklungsstränge der Berliner Stadterneuerung seit dem Fall der Mauer und frage, welche stadtentwicklungspolitischen Leitvorstellungen ihnen zugrunde lagen und auf welcher regulativen Basis sie implementiert wurden. Dabei diskutiere ich die Entwicklung auf der konzeptionellen Basis des sogenannten Advocacy-Coalition-Ansatzes (Sabatier, 1988/1993), der davon ausgeht, dass sich politischer Wandel am besten aus der Veränderung kausaler Annahmen und normativer Überzeugungen erklären lässt. Dabei wird angenommen, dass sich in einem bestimmten politischen Themenfeld verschiedene advocacy coalitions erkennen lassen, die jeweils unterschiedliche belief systems und auf ihnen basierend unterschiedliche Zielorientierungen vertreten und miteinander in Konkurrenz stehen. Auf dieser Grundlage argumentiere ich, dass die Geschicke der Berliner Stadterneuerung sich seit 1990 wesentlich aus der Konkurrenz von drei alternativen Diskursformationen erklären lassen: aus der IBA kommenden staatlich finanzierten „Behutsamen Stadterneuerung“; aus der im Zuge des Programms Soziale Stadt übernommenen Orientierung auf empowerment und Aktivierung sowie einer auf der Grundlage von Haushaltszwängen argumentierenden Austeritätspolitik. Ich gehe wie folgt vor: Um meinen konzeptionellen Blickwinkel deutlich zu machen, stelle ich zunächst zentrale Facetten des Advocacy-Coalition-Ansatzes vor und diskutiere ihre Implikationen für eine Analyse von stadtentwicklungspolitischen Veränderungen. Im Anschluss beschreibe ich die Entwicklungen der Berliner Stadterneuerung in drei Phasen: a) anhand der Etablierung und des Wandels der Behutsamen Stadterneuerung in den Ostberliner Sanierungsgebieten seit 1993, b) mit dem Aufkommen des Handlungsansatzes „Soziale Stadt“ und c) entlang den Implikationen der seit der Jahrtausendwende einsetzenden Austeritätspolitik. Schließlich ziehe ich Schlussfolgerungen und versuche, den Einflussverlust der Behutsamen Stadterneuerung in Konkurrenz mit ihren Herausforderern zu erklären. Der Advocacy-Coalition-Ansatz als Instrument zur Analyse politischen Wandels Der in den späten 1980er Jahren von dem amerikanischen Politikwissenschaftler Paul A. Sabatier entwickelte „Advocacy coalitions“-Ansatz beschäftigt sich mit dem Wandel von policies über eine längere Zeitperspektive, i. d. R. innerhalb eines „PolicySubsystems“, d. h. einem Arrangement verschiedener Akteure, die an einem bestimmten Policybereich interessiert sind (z. B. der Arbeitschutzgesetzgebung, der Mittelstandsförderung oder der Luftschadstoffemissionskontrolle). Die dem Ansatz zugrunde liegende Idee ist, dass „staatliche Maßnahmen in der gleichen Art konzeptionalisiert werden können wie handlungsleitende Orientierungen oder belief systems, d. h. als Set von Wertprioritäten und kausalen Annahmen darüber, wie diese zu realisieren sind.“ (Sabatier, 1993:120). Der Ansatz geht also davon aus, dass staatliche Politiken implizit „Wertvorstellungen, Annahmen über Kausalbeziehungen, Perzeptionen von Weltzuständen (einschließlich der Größenordnung von Problemen), eine Auffassung über die Wirksamkeit von Policy-Instrumenten etc.“ (ebenda: 121) enthalten. Der zentrale Punkt in Sabatiers Argumentation ist dabei, dass Akteure und Politiken in Bezug auf die ihnen zugrunde liegenden belief systems strukturiert werden. Ein Policy-Subsystem kann hierdurch durch eine Anzahl von advocacy-coalitions beschrieben werden, die sich aus Personen verschiedener Organisationen und Institutionen (Wahlbeamten, Politikern, Verwaltungsangestellten, Lobbyisten, Vertreter von Interessengruppen, Wissenschaftlern…) zusammensetzen, welche gemeinsame normative und kausale Vorstellungen haben und ihre Handlungen abstimmen. Jede Koalition wendet dabei zu jedem Zeitpunkt vor allem diejenigen Strategien und Politiken an, von denen sie annimmt, dass sie in der Lage sind einen politischen Wandel zu bewirken, der ihren Vorstellungen und Zielen förderlich ist. Ideen und Strukturen stehen in Sabatiers Modell miteinander in Wechselwirkung. Für politischen Wandel gibt es deshalb in dem beschriebenen Modell zwei Gründe: a) die Wertvorstellungen der Mitglieder einer Koalition ändern sich, b) externe Ereignisse wirken auf das Subsystem ein. Als Beispiele für solche „externen Systemereignisse“ nennt Sabatier Veränderungen in sozio-ökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen, einen Wandel der öffentlichen Meinung, Veränderungen in den Regierungskoalitionen auf gesamtstaatlicher Ebene, sowie Policy-Entscheidungen und Policy-Wirkungen aus anderen Subsystemen. Werden bestehende Advocacy-Koalitionen mit solchen externen Ereignissen konfrontiert, besteht die Gefahr, dass ihre bis dahin hegemonialen belief systems immer weniger der Wirklichkeit entsprechen, in der sie agieren. Die tragenden Narrative werden dann brüchig, und die aus ihnen resultierenden Strategien sind immer weniger in der Lage, 55 eine Verbindung zwischen den angestrebten Normativen und der Realität herzustellen. Für die Analyse von Policy-Subsystemen, und hierzu kann man sicher auch die Berliner Stadterneuerung zählen, hält dieses Modell drei zentrale Anregungen bereit. Zum Ersten können, fasst man politischen Wandel als Prozess multipler und miteinander verflochtener Policy-Zyklen auf, die Ursachen für aktuelle Veränderungen nur mit einer über eine längere Zeit gehende Perspektive verstanden werden. Zum Zweiten legt das Modell nahe, den Blick vorrangig auf den Wandel von Wertvorstellungen und Handlungsprioritäten zu legen, die dem Wandel von Instrumenten zugrunde liegen: Politiken können sozusagen aus der Analyse von Wertvorstellungen erklärt werden. Zum Dritten macht Sabatier mit seinem Advocacy-Coalition-Ansatz deutlich, dass die entscheidenden Abgrenzungen zwischen verschiedenen Akteuren nicht nach institutionellen Grenzen, sondern entlang von belief systems verlaufen. Die Untersuchung sollte deshalb ihren Blick nicht allein auf einen oder mehrere institutionelle Akteure (z. B. die Senatsverwaltung) richten, sondern die Interaktion von in verschiedenen Koalitionen zusammengefassten Akteuren über institutionelle Trennungslinien hinweg untersuchen. Von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg: Der Export der Behutsamen Stadterneuerung Welches Bild lässt sich auf diese Weise zunächst von der Behutsamen Stadtneuerung zeichnen? Die Behutsame Stadterneuerung, so möchte ich argumentieren, war in ihrer Urform – knapp zusammengefasst – eine weitgehend staatliche Veranstaltung, die auf die vorher in Berlin dominante autoritäre Flächensanierung aufbaute und diese um verfahrensbezogene, architektonische, ökologische und demokratische Innovationen ergänzte. Ihre Grundlage waren – wie in der Flächensanierung – eine durch gemeinnüt56 zige Sanierungsträger geprägte Hauseigentümerstruktur „nichtkapitalistischen Charakters“ (Welch Guerra, 1992: 37), eine hohe staatliche Regelungskapazität sowie eine nahezu vollständige öffentliche Förderung der Erneuerungsmaßnahmen. Im Sanierungsgebiet Kottbusser Tor wurden so gerade einmal drei Prozent aller erneuerten Wohnungen ohne direkte öffentliche Zuschüsse modernisiert (vgl. S.T.E.R.N., 1993:8ff ). Auf diesem Fundament wurden mit der „Behutsamen Stadterneuerung“ Zielstellungen und Verfahren angedockt, die im Wesentlichen auf eine Demokratisierung der Sanierung zielten, aber die Grundstruktur eines sozialstaatlichen Sanierungsprogramms mit öffentlicher Finanzierung, sozialen Standards und quasi-öffentlicher Trägerschaft beibehielten. Berühmt geworden sind in diesem Zusammenhang die „12 Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung“ vom 24.2.1982, die zentrale Eckpunkte der Kreuzberger Sanierungsstrategie formulierten. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang vor allem den Grundsatz Nummer 1: „Die Erneuerung muss an den Bedürfnissen der jetzigen Bewohner orientiert und mit ihnen geplant und realisiert werden. Gleiches gilt für die gewerblichen Nutzer.“ Mit diesem Grundsatz wurden (zumindest in der Theorie) die Mieterwünsche – und nicht die Pläne von Hauseigentümern oder die Vorstellungen von Fachplanern – zum Ausgangspunkt der Erneuerung gemacht. Faktisch wurde damit die Duldungspflicht von Mietern gegenüber mieterhöhenden Modernisierungsmaßnahmen, resp. die Verfügungsmacht von Hauseigentümern über ihre Immobilie, zugunsten der Mieterseite eingeschränkt und Macht in Richtung der Mieter verlagert. Dies wurde ergänzt durch die Installation von eigentümerunabhängigen Mieterberatungen und Betroffenenvertretungen, die den Interessen der Bewohner im Sanierungsprozess mehr Gewicht verschaffen sollten. Mit dem Fall der Mauer stand dieses Sanierungsmodell vor völlig neuen Herausfor- derungen (vgl. Winters, 1995; Häußermann u. a., 2002; Bernt, 2003; Holm, 2006). Wesentliche, allgemein in der Debatte anerkannte Punkte waren dabei folgende: • Durch den fast durchweg maroden Zustand der Altbausubstanz in Ostberlin waren die Erneuerungskulissen und damit der Finanzbedarf deutlich größer; durch den Verlust des Sonderstatus von Berlin und den Abbau von Bundessubventionen stand aber vergleichsweise weniger Geld zur Verfügung. • Die Restitution von Immobilien an ihre sogenannten „Alteigentümer“ führte in kürzester Zeit zu ihrem Verkauf und zur Etablierung einer weitgehend an schneller Verwertung interessierten Eigentümerstruktur (Dieser, 1996; Reimann, 2000). • Hierdurch entstand ein starker Druck auf die Mieten und entsprechend war die Verdrängung einkommensschwacher Bewohner von Anfang an ein zentrales Thema in den Ostberliner Innenstadtgebieten. Die drei wesentlichen Ausgangsbedingungen der Behutsamen Stadterneuerung – öffentliche, mit starken Bindungen versehene Förderung, quasi-staatliche, gemeinnützige Wohnungseigentümer und hohe staatliche Regelungskapazitäten – wurden damit zusehends obsolet und entsprechend stellte sich schnell die Frage, was von der Behutsamen Stadterneuerung unter den neuen Bedingungen überhaupt übernommen werden kann. Wie reagierte die Berliner Stadterneuerungsdiskussion auf diesen Wandel? Interessanterweise vor allem mit dem Versuch der Beibehaltung der aus Kreuzberg überkommenen Ziele, Verfahren und Verantwortlichkeiten. Trotz grundlegender Veränderungen wurden dabei wesentliche programmatische Kernaussagen wie „Schutz vor Verdrängung“, „Erhalt der bestehenden Bevölkerungsstruktur“ und „Betroffenenbeteiligung“ beibehalten. Obwohl die Situation sich in Ostberlin Anfang der 1990er Jahre grundlegend von der Kreuzbergs Anfang der 1980er Jahre unterschied, folgte die Strategiediskussion damit weiterhin eng den etablierten „Kreuzberger Mustern“. Trotz nahezu diametral entgegen der Kreuzberger Sanierung gesetzten Rahmenbedingungen wurden Zielstellungen der Behutsamen Stadterneuerung auch in die „Leitsätze zur behutsamen Stadterneuerung“, die 1993 zusammen mit der Ausweisung der ersten Sanierungsgebiete in Ostberlin verabschiedet wurden und die Ziele der Landesregierung für die Stadterneuerung festlegen sollten, beibehalten. Die Umsetzung dieser Ziele in der Praxis gestaltete sich allerdings zusehends schwierig (vgl. ausführlich Bernt, 1998 und 2003; Häußermann u. a., 2002): Im Laufe der Zeit konnte nur noch ein immer kleiner werdender Teil der Häuser mit öffentlichen Mitteln saniert werden und die Durchsetzung von Mietobergrenzen in privat sanierten Häusern gestaltete sich (vor allem bei Neuvermietungen) schwierig, Entsprechend konnten zwar die baulichen Ziele der Sanierung relativ schnell erreicht werden, soziale Ziele, wie der Schutz der Gebietsbevölkerung vor Verdrängung durch hohe Mieten, gerieten aber zusehends ins Hintertreffen. Entgegen der Zielsetzungen vom Erhalt der Bevölkerungsstruktur wurden so Gentrifizierung und Verdrängung in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain zusehends ein Thema. Am Helmholtzplatz, dem größten Sanierungsgebiet Berlins, konnten so nur 13 % der ursprünglichen Bewohner gehalten werden und die neu Hinzugezogenen haben ein erheblich höheres Einkommen. Ärmere Haushalte finden sich hier fast nur noch in öffentlich geförderten Häusern, deren Zahl rapide abnimmt (vgl. Asum, 2012). Zwischen dem Anspruch auf Behutsamkeit und der Realität tat sich damit eine immer weiter werdende Kluft auf, die zusehends zu politischen Spannungen führte und sich in aufgeladenen Kontroversen – ob bei57 spielsweise die tatsächlich stattfindende Sanierungspraxis noch das Attribut „behutsam“ verdiene, ob Verdrängung und Gentrifizierung nachweisbar oder nur eingebildet seien, ob mehr staatliche Intervention benötigt werde oder das vorhandene Instrumentarium ausreiche – zwischen der Verwaltung und Sanierungsbeauftragten auf der einen Seite und Mieterorganisationen und Bewohnerinitiativen auf der anderen Seite entlud. Da sich die Realität der Sanierung immer weiter von den Versprechen der Behutsamen Stadterneuerung entfernte, wurden die Standards für „Behutsamkeit“ dabei vor allem von den mit ihrer Durchsetzung beruflich betrauten Akteuren (Sanierungsverwaltungsstellen, Abteilung IVc bei der zuständigen Senatsverwaltung, Sanierungs- und Sozialplanungsbeauftragte…) zusehends aufgeweicht. Das vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre regelmäßig zu beobachtende Argumentationsmuster, mit dem die an der Behutsamen Stadterneuerung Beteiligten auf die neuen Herauforderungen reagierten, lässt sich dabei als flexible „Ja, aber“-Argumentation beschreiben: Ja, um die sozialen Ziele zu halten, sind mehr Fördermittel wünschenswert, aber der Zustand des Haushaltes lässt es nicht zu. Ja, auch in der Stadterneuerung ist zu sparen, aber die Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung dürfen dadurch nicht in Frage gestellt werden. Ja, längere Mietobergrenzen bieten besseren Mieterschutz, aber sie sind rechtlich nicht durchsetzbar. Ja, die Förderung ist zu teuer, aber anders sind die sozialen Ziele der Sanierung nicht zu erreichen. Egal von welcher Seite die Kritik kam, die bestehende Behutsame Stadterneuerung wurde als einzig mögliche Alternative präsentiert. Wurden Veränderungen angemahnt und Alternativen thematisiert, wurden die dahinter stehenden Politikziele und -ansprüche gar nicht diskutiert, sondern Praktikabilität und Professionalität der Vorschläge in Frage gestellt. Der „deep core“ (Sabatier, 1993) der Vorstellungen von Behutsamer Stadterneuerung blieb damit unangetastet, aber die 58 Toleranz für Abweichungen vom Ausgangsmodell wurde größer. Soziale Stadt und Behutsame Stadterneuerung Wie dünn das Eis war, auf dem sich die Behutsame Stadterneuerung in Berlin bewegte, wurde Ende der 1990er Jahre mit der Einführung des Quartiersmanagements deutlich. Dieses übernahm zwar einerseits aus der Behutsamen Stadterneuerung bekannte Verfahrensweisen, wurde aber andererseits in Bezug auf politische Aufmerksamkeit, Zielsetzung und finanzielle Unterstützung sukzessive zur Konkurrenzveranstaltung der Behutsamen Stadterneuerung ausgebaut und ersetzte diese schließlich weitgehend. Während die Stadterneuerungskulisse in den letzten 15 Jahren sukzessive abgebaut wurde, wurde so das Quartiersmanagement zusehends zum Normalfall der quartiersbezogenen Intervention ausgebaut und umfasst aktuell 34 Gebiete in ganz Berlin. Entsprechend wurde auch der mit der Behutsamen Stadterneuerung betraute Planungs- und Steuerungsapparat zusammengekürzt, und viele der noch aus Kreuzberger Zeiten bekannten Akteure lassen sich heute als Quartiersmanager in Wedding, Neukölln oder Marzahn wiederfinden. Wie Simon Güntner (2007:195ff.) gezeigt hat, war dabei bereits das Agenda-Setting des Quartiersmanagements in Berlin von dem Bedürfnis von führenden CDU- und SPD-Politikern geprägt, sich von der etablierten Szene der Behutsamen Stadterneuerung abzuheben und ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Diese Abgrenzung wurde nur selten als offener Widerspruch formuliert; wie ein roter Faden zieht sich allerdings durch viele Gründungsdokumente der neuen Politik der „sozialorientierten Stadtentwicklung“ die Grundidee, dass bisherige Verfahren trotz erheblicher finanzieller Belastungen „nichts gebracht“ hätten. Über die Entstehungsgeschichte, die Konturen, Vorgehensweisen und kleinteiligen Differenzen der damit in Berlin eingeleiteten und später in die Förderung des Programms Soziale Stadt überführten Verfahrensweise ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Und es ist an dieser Stelle kaum möglich, einen umfassenden und ausgewogenen Vergleich zwischen Quartiersmanagement und Behutsamer Stadterneuerung vorzunehmen. Nichtsdestoweniger ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich neben der Vielzahl von oft erwähnten Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede zwischen beiden Programmen ausmachen lassen. In dieser Hinsicht möchte ich vier Punkte herausgreifen, an denen wesentliche Differenzen zwischen Behutsamer Stadterneuerung und Quartiersmanagement deutlich werden. Ein erster Punkt ist dabei der Ersatz „harter“ durch „weiche“ Steuerungsinstrumente und damit verbunden die Aufweichung von Zielen für die Quartiersentwicklung (vgl. auch Bernt/Fritsche, 2005). Betrachtet man die Behutsame Stadterneuerung durch die Brille heutiger Ansätze, wird schnell deutlich, dass auch diese bei aller Behutsamkeit eher ein „harter“ Interventionsansatz war. Ihr Gegenstand waren im Wesentlichen Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramme, die darauf zielten, ein bestimmtes „Sanierungsgebiet“ auf das Niveau durchschnittlicher gesellschaftlicher Wohnstandards zu heben. Diese galten umfassend, legten für alle Sanierungsmaßnahmen gleiche Standards (z. B. in Form von Kostenpauschalen, Fördermieten, Erneuerungsstandards und Sozialplanrichtlinien) fest, und verbanden diese Zielmarken mit einer starken Stellung des Staates in der Finanzierung der Erneuerung, einem weitgehenden Einsatz städtebaurechtlicher Instrumente und (bis in die 1980er Jahre hinein) mit starken Eingriffen in die lokalen Hauseigentümerstrukturen, bei der kleine Privateigentümer durch große gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften ersetzt wurden. Im Vergleich hierzu sind sowohl die Ziele als auch die Instrumente, die sich mit der Festlegung eines Stadtviertels als Quartiersmanagementgebiet verbinden, wesentlich „weicher“. Ziel des Quartiersmanagements ist es laut entsprechendem Senatsbeschluss, „eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes Handeln und vernetzte Maßnahmen im Quartier zu bewirken“ (Abgeordnetenhaus von Berlin, 1999). Verglichen mit der traditionellen Zielbestimmung für Sanierungsgebiete ist dies außerordentlich vage, amorph und kaum fassbar. Festgelegt wird kaum, was zu tun ist, sondern eher, wie das zu geschehen hat – „integriert“, „vernetzt“, „synergetisch“, „aktivierend“ und „nachhaltig“, sind Stichworte, die hier regelmäßig genannt werden. Da die allgemeinen Zielstellungen des Quartiersmanagements praktisch alles Mögliche, aber nur wenig Konkretes enthalten, fällt die Aufgabe, in konkrete Maßnahmen umsetzbare Ziele festzulegen, an die Quartiersmanager, die in ihren Vierteln Projekte auf den Weg bringen müssen. Hierdurch wird die Agenda, die sich mit der Ausweisung eines Gebietes als Quartiersmanagementgebiet verbindet, flexibilisiert und das Handlungsprogramm unterscheidet sich zwischen einzelnen Gebieten stark nach den jeweiligen Gegebenheiten. Hierdurch wird allerdings (wie Bernt/Fritsche, 2005 erörtern) nicht nur eine stärker an lokalen Umständen, sondern auch eine kurzfristige, auf vorzeigbare Erfolge orientierte Handlungsperspektive unterstützt. Der gemeinsame Nenner der äußerst vielfältigen Projekte ist dabei eine inkrementalistische Perspektive, die Ziele nicht aus universal gültigen Ansprüchen heraus bestimmt, sondern im Prozess der Durchführung anhand der jeweils gegebenen Möglichkeiten festlegt. Ein zweiter Punkt, an dem sich Quartiersmanagement und Behutsame Stadterneuerung unterscheiden, ist die Ersetzung von „Bewohnerbeteiligung“ durch „Aktivierung“. 59 Bewohnerbeteiligung hatte in der Behutsamen Stadterneuerung im Wesentlichen die Funktion, vorhandene Machtungleichgewichte zwischen den Bewohnern eines Sanierungsgebietes auf der einen und Hauseigentümern auf der anderen Seite auszugleichen. Ähnlich wie in den im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Mitbestimmungsmodalitäten in der Wirtschaft sah die Bewohnerbeteiligung die Einrichtung von Gremien (Betroffenenvertretungen) vor, in denen die Bewohner sich organisieren, Anspruch auf Information erheben, Akteneinsicht nehmen und „Anregungen und Bedenken vortragen“ konnten (Vgl. AV-BauGBSan). Außerdem wurden „Sozialpläne“ erarbeitet, mit deren Hilfe die nachteiligen Auswirkungen von Sanierungsmaßnahmen auf betroffene Haushalte gemindert werden sollten. Grundlage war auch hier der Gedanke, dass Stadterneuerung nur funktionieren kann, wenn sie sich an den von ihr betroffenen Bewohnern orientiert und in weitestgehender Übereinstimmung mit ihnen durchgeführt wird. Von der diesem Ansatz zugrunde liegenden Idee, dass es Interessenunterschiede zwischen Bewohnern, Hauseigentümern und Verwaltungen geben kann und dass Bewohner in daraus resultierenden Konflikten oft durch einen Mangel an Ressourcen benachteiligt sind, findet sich in dem mit dem Quartiersmanagement etablierten Verständnis von Bewohnerbeteiligung kaum noch eine Spur. In dem bereits zitierten Senatsbeschluss wird in diesem Bereich statt dessen als Aufgabe formuliert, „jene zu erreichen und insbesondere ihre Mitwirkungsbereitschaft zu wecken, für die sich die Lebensverhältnisse im Quartier … verbessern sollen.“ (Abgeordnetenhaus, 1999:32). In einer etwas aktuelleren Beschreibung des Aufgabenfeldes heißt es auch: „Aufgabe des Berliner Quartiersverfahrens ist es, in den durch Fortzug und wirtschaftlichen Strukturwandel in ihrem sozialen Gefüge geschwächten Kiezen ein neues nachbarschaftliches 60 Miteinander zu organisieren. Ein Wir-Gefühl, aus dem eine möglichst breite Eigenverantwortung für die Entwicklung des Quartiers erwächst und das in einem neuen stabilen Gemeinwesen mündet. Die Befähigung der Bürger zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Kieze – Empowerment –  ist die Meßlatte des Verfahrens schlechthin.“ (Buchholz/Meier o. J.)„Gemeinsinn“, „Wir-Gefühl“, „Eigenverantwortung“ und „Selbsthilfe“, anstelle von „Beteiligung“, „Übereinstimmung“ und „Mitbestimmung“ sind hier die zentralen Botschaften. Anstelle von Interessenunterschieden, Ansprüchen und Ausgleichsverfahren wird damit ein kommunitäres Verständnis von Bewohnerbeteiligung nach vorne geschoben, in dem community und Eigenverantwortung staatliche Intervention ersetzen sollen. Der Schlüssel zur Revitalisierung von Quartieren liegt in dieser Vorstellung in einem stabilen lokalen Gemeinwesen, das aus sich heraus soziale Integration bewerkstelligen und Eigenverantwortung für seine nähere Umwelt übernehmen kann. Implementiert wurde dieser Ansatz in Berlin, sieht man von der Vielzahl an Vernetzungs-, Informations- und Erörterungsveranstaltungen der unterschiedlich Quartiersmanagementteams ab, vor allem über das Instrument der „Bewohnerbeiräte“, in denen eine Jury von Bewohnern selbstständig über die Vergabe von Mitteln aus sogenannten Quartiersfonds entscheiden können. Wie oft angemerkt wird, gibt die Verwaltung damit auf einem sehr direkten Weg Entscheidungs- und Handlungsmacht an die Bewohner ab. Die „Bewohnerbeiräte“ stellen damit auf den ersten Blick unbestreitbar eine Weiterentwicklung dar, die zu einem Gewinn an demokratischer Mitbestimmung durch die Bewohner geführt hat. Auf den zweiten Blick fällt die Einschätzung allerdings ambivalenter aus. Denn die Erweiterung von Mitbestimmung bezieht sich ja nur auf einen Teilbereich der Gebietsentwicklung – auf die Beilage zum Menü soz. – während das in der Behutsamen Stadterneuerung geltende Recht auf Informationen und Akteneinsicht sowie die Anregung von Wünschen, Bedenken und Beschwerden und die Einrichtung von entsprechenden Clearingstellen zwischen Verwaltung und Bewohnerschaft (Sanierungsbeiräte) für alle die Stadterneuerung betreffenden Fragen – also soz. für die gesamte Speisekarte – galt. In diesem Punkt stellen die „Bewohnerbeiräte“ also lediglich einen geschützten Teilbereich dar, der allerdings mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet ist. Hinzu kommt, dass einzelne empirische Studien zur Beteiligungspraxis in Bewohnerbeiräten gezeigt haben, dass diese leicht zur „Laufstallbeteiligung“ (Fritsche, 2005:273) verkommen, wobei die durchführenden Quartiersmanagementteams „den Hut aufhaben“ und einen starken Einfluss auf Themensetzungen und Umsetzung von vorgeschlagenen Projekten nehmen können. Insgesamt geht die mit der Einrichtung von Quartiersmanagements verbundene Beteiligungsstrategie also mit einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Einschränkung und Erweiterung von Mitbestimmungsmöglichkeiten einher. Diese Situation führt auch in der Praxis zu Konflikten: Gerade in innerstädtischen Sanierungs- und Milieuschutzgebieten, die gleichzeitig als Quartiersmanagementgebiet festgelegt wurden (z. B. Boxhagener Platz, Falkplatz, Helmholtzplatz), entwickelte sich so seit den späten 1990er Jahren eine Verdoppelung der Bewohnerbeteiligung, wobei auf der einen Seite die etablierten Betroffenenvertretungen zusehends konfrontativ mit der Verwaltung um die Einführung von Mietobergrenzen und erweiterte Einflussmöglichkeiten auf die Sanierung stritten, während auf der anderen Seite neu geschaffene Bewohnerbeiräte demokratisch und konsensual über die Freigabe von Mitteln für Herbstfeste und Fahrradständer entscheiden konnten. Ein dritter Punkt, in dem sich das Quartiersmanagement von der Behutsamen Stadterneuerung unterscheidet, ist der mit dem neuen Verfahren einhergehende Rückzug des Staates aus wohnungspolitischer Intervention. Die Behutsame Stadterneuerung sanierte ja nicht nur Gebäudehüllen, sondern griff – zunächst über die Richtlinien der Modernisierungs- und Instandsetzungsförderung (ModInst-Förderung), später auch über bezirklich festgelegte Mietobergrenzen – direkt in Mietpreisgestaltung und Belegung von sanierten Wohnungen ein. Hierdurch entstanden in der Berliner Innenstadt (wenigstens für den Zeitraum der Förderlaufzeit) breite Zonen, in denen Mietpreise nicht ökonomisch über Angebot, Nachfrage und Miethöhegesetz, sondern politisch über Förderrichtlinien definiert wurden. Mit der Einführung des Quartiersmanagements verband sich in Berlin auch eine deutliche Kritik an diesen Verfahren. Die Intervention des Staates in die Mietpreisgestaltung wurde als „Gießkannenpolitik“ gegeißelt, die eine Konzentration sozial schwacher Bewohner gefördert habe und diese mit einer „Rundum-Versorgung“ entmündige. Zur Illustration sei hier ein Zitat von Peter Strieder, dem damaligen Stadtentwicklungssenator, angeführt, der im Jahr 2000 im Hausblatt der Stadtentwicklungsverwaltung ausführte : „Dem Begriff ‚Soziale Stadt‘ haftet bei flüchtiger Betrachtung etwas scheinbar Altertümliches an. Mancher vermutet staatliche Betreuungsapparate, eine ‚Rundum-Versorgung‘ der Bürger … Wer heute von ‚sozialer Stadt‘ spricht, dem verbietet sich allein wegen der angespannten Finanzlage ein Anknüpfen an die Tradition der fast grenzenlosen Subventionierung vergangener Jahrzehnte“ (Strieder, 2000:5). Noch apodiktischer wurde die „entmündigende“ Rolle vergangener Förderpolitiken von dem Intellektuellen Hoffmann-Axthelm beschrieben. In seinem in der „tageszeitung“ veröffentlichten Artikel „Broschürenrealität ohne Frischluft“ (taz vom 10.1.1997: 23) argumentierte dieser, dass die Behutsame Stadterneuerung Kreuzberg zum „Pflegefall“ gemacht habe, indem sich die Bewohner „unmerklich abgewöhnt (haben), selber verantwortlich zu sein, mietspiegelgerechte 61 Mieten zu zahlen, Risiken ohne Sozialplan einzugehen“. Die öffentliche Förderung habe den Bezirk zum „Billigwohnparadies“ für Sozialfälle gemacht und damit eine „ungesunde Bevölkerungsmischung“ verursacht. Obwohl kaum zu bestreiten ist, dass die Förderung von Sanierungsmaßnahmen in Westberlin für Eigentümer, Investoren und Steuerabschreiber außerordentlich großzügig gestaltet wurde, ohne dabei langfristig, über den Bindungszeitraum hinausgehend, bezahlbaren Wohnraum zu sichern, gehen Attribute wie „Rundum-Versorgung“, „grenzenlose Subventionierung“, „Billigwohnparadies“ deutlich über die Beschreibung dieses Missstands hinaus. Sie konstruieren eher ein Zerrbild der politischen Wirklichkeit in den 1980er Jahren, das in dieser Form natürlich nur Ablehnung erfahren kann, und verschieben gleichzeitig die Verantwortung für die aus Westberliner Zeiten überkommene Haushaltsbelastung von bundes- und landespolitischen Entscheidungsträgern auf die sozial schwachen Mieter, die es sich angeblich „abgewöhnt (haben), selber verantwortlich zu sein“. Die Kürzung von Fördermitteln und der Rückzug des Staates aus der Intervention in den Wohnungsmarkt wird damit vom Ruch des Sachzwangs befreit und zu einer an und für sich positiven Entwicklung geadelt, die gleichzeitig eine „verantwortungsvolle“ Haushaltspolitik in die Wege leitet und mit der „Entmündigung“ von Transferempfängern durch den Sozialstaat Schluss macht. Quartiersmanagements verbunden wurden, vor allem auf die „Entmischung“ von Quartieren durch den Wegzug von Bewohnern mit mittleren Einkommen. In diesem Zusammenhang erlangte der sozialwissenschaftlich schwierige Begriff „stabilisierende Schichten“ zunehmende Prominenz und die Attraktivierung von Wohnvierteln für Besserverdienende wurde zum kaum noch erklärungsbedürftigen Instrument für die „soziale Stabilisierung“ von Quartieren. War der yuppie in den 1980er Jahren noch als Bedrohung für die soziale Mischung erschienen, wurde die Attraktivierung von Quartieren für „Urbaniten mit Handy und Laptop“ (Stimmann) jetzt soz. zum Förderziel einer ausgeglichenen Stadtteilentwicklungspolitik. In der Durchführungspraxis erlangte diese Orientierung zwar wenig Bedeutung, weil die Mittel für eine durchgreifende Aufwertung heruntergekommener Quartiere für Besserverdienende gar nicht zur Verfügung standen – für den Berliner Stadtentwicklungsdiskurs hatte diese storyline aber eine durchschlagende Bedeutung. Sie wurde als Erklärungsfragment für die Beschreibung von Problemen und Lösungsansätzen im Laufe der Zeit zusehends populär und fand sich sukzessive auch in weiteren Politikansätzen (bspw. dem „Planwerk Innenstadt“, vgl. Kil, 1997) und schließlich 2004 in der Neufestlegung von Sanierungszielen wieder, in der der „Zuzug jüngerer Familien und stabilisierender Bevölkerungsschichten“ zum Sanierungsziel erklärt wurde. Dies leitet schließlich zu einem vierten Punkt über, in dem sich der Ansatz des Quartiersmanagements und derjenige der „Behutsamen Stadterneuerung“ fundamental unterscheiden: Während in den Begründungszusammenhängen der Behutsamen Stadterneuerung die Bedrohung einkommensschwacher Bevölkerungssegmente durch Abriss, Modernisierungsmaßnahmen und Mietpreiserhöhungen eine zentrale Rolle spielten, fokussierten die Problembeschreibungen, die mit der Einführung des Fasst man die mit der Einführung des Quartiersmanagements durch die Berliner Verwaltung einhergehenden Diskursverschiebungen zusammen, wird deutlich, dass die Soziale Stadt – obwohl sie wie die Behutsame Stadterneuerung ein durch und durch staatliches Unternehmen war – in Berlin eine neue Wirklichkeitssicht befördert hat. Kernpunkte dieser Wirklichkeitssicht sind der Abschied von umfassender staatlicher Intervention und der Rückzug aus kostenintensiven Erneuerungsprogrammen, eine 62 Utopie von Aktivierung, community und nachbarschaftlicher Selbststeuerung sowie eine Substitution von „Verdrängung“ durch „Entmischung“ als Hauptproblem der Berliner Stadtentwicklung. Vor allem mit der Übernahme von Begriffen wie „sozialer Mischung“ und community sind dabei Vorstellungen, die aus dem Gesellschafts- und Stadtentwicklungskonzept von New Labour (Colomb, 2007) und dem „aktivierenden Staat“ der rot-grünen Schröder-Regierung stammen, kaum zu übersehen. Diese Wirklichkeitssicht reagierte auf neue Phänomene – wie die Abwanderung von Berliner Mittelklassen in das nach dem Fall der Mauer zugänglich gewordene Umland und die damit einhergehende zeitweise Entmischung von Innenstadtquartieren oder den Anfang der 2000er Jahre neu auftretenden Wohnungsleerstand in weniger attraktiven Lagen – aber sie ging auch über das sachlich-rationale Reagieren auf veränderte Problemlagen hinaus und verband den Umbau bestehender Interventionsansätze mit weitergehenden gesellschaftspolitischen Ambitionen. „Das alte Westberlin…“ Austeritätspolitik in Rot-Rot Auf einer weniger programmatischen Ebene erwies sich schließlich eine um Haushaltsengpässe und Sparzwänge herum gruppierte Diskursformation in den 2000er Jahren als „Sargnagel“ für die Behutsame Stadterneuerung. Mangel an öffentlichen Mitteln und Budgetkürzungen sind dabei alte Bekannte der Berliner Stadterneuerung. Schon in Kreuzberger Zeiten floss Geld lange nicht so problemlos, wie heute oft angenommen wird, und mit dem Übergang nach Ostberlin wurden Mittelkürzungen schließlich zum ständigen Begleiter der Sanierung. Bereits im Vorfeld der Ausweisung der ersten Sanierungsgebiete in Ostberlin hatten daher Vorentwürfe für die damit zu verbindenden neuen Leitsätze aus einer Arbeitsgruppe der Senatsbau- und der Finanzverwaltung eine Orientierung der Sanierungsziele an den mittelfristigen finanziellen Möglichkeiten Berlins gefordert und sich für eine „Plafondierung“ der Ausgaben und einen Verzicht auf Miet- und Belegungsbindungen ausgesprochen (vgl. Bernt, 2003:130ff.). Angesichts der absehbaren Budgetrestriktionen, so argumentierte die Vorlage, müssten soziale Zielsetzungen durch das geltende Mietrecht – flankiert durch Wohngeld – als ausreichend gewährleistet gelten. Dieses Ansinnen stieß jedoch Anfang der 1990er Jahre noch auf derart geharnischten Protest der Sanierungsszene, dass es schnell zurückgezogen wurde. In der Folge kam es zwar die ganzen 1990er Jahre hindurch zu schrittweisen Mittelkürzungen und zu einer Aufweichung der Förderbedingungen – die Grundverantwortung des Staates für eine Finanzierung sozialverträglicher Wohnungsmodernisierung wurde aber nicht mehr in Frage gestellt. Dies änderte sich schlagartig mit dem Berliner Bankenskandal und dem Wechsel der Stadtregierung um die Jahrtausendwende. Spekulationen der landeseigenen Bankgesellschaft Berlin und deren wirtschaftlicher Zusammenbruch führten 2001 für das Land Berlin nicht nur zu zusätzlichen finanziellen Belastungen in Milliardenhöhe, sondern sie legten vor allem einen Filz aus Politikern, Immobilienspekulanten und Bankmanagern offen, mit dem systematisch Verluste und Risiken aus spekulativen Geschäften auf das Land Berlin abgewälzt worden waren. Dieser Skandal führte schließlich zum Sturz des Regierenden Bürgermeisters Diepgen und zu einer rot-roten Regierung aus SPD und PDS. Die finanzielle Konsequenz dieser Vorgänge war für das Land Berlin die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kapitalzuführung von 1,7 Mrd. Euro, um die angeschlagene Landesbank zu stützen, sowie die Übernahme von bis zu 21,6 Mrd. Euro an Immobilienrisiken. Dies führte zu derart extremen Belastungen, 63 dass der neue Senat im November 2002 eine „extreme Haushaltsnotlage“ erklärte und den Bund (erfolglos) um Schuldenhilfe ersuchte. Vor diesem Hintergrund wurden praktisch alle Ausgaben Berlins auf den Prüfstand gestellt: Mittel für Schulen wurden ebenso gekürzt wie Zuschüsse für Bibliotheken und Theater, die Landesregierung stieg aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes aus und verkaufte 2004 sogar das landeseigene Wohnungsunternehmen GSW mit 72.000 Wohnungen an einen amerikanischen Investor. Obwohl sich problemlos zeigen lässt, dass der Bankenskandal überhaupt nicht auf die direkte Förderung von Modernisierung, Instandsetzung und sozialem Wohnungsbau, sondern auf die Beteiligung von Berliner Landesunternehmen an auf Bundesgesetzgebung basierenden Steuerabschreibungsspekulationen zurückging, entstand im Gefolge des Bankenskandals ein Klima, in dem die Ansicht, dass Berlin „über seine Verhältnisse gelebt“ habe, immer breitere Akzeptanz fand. Unter den Tisch fiel dabei auch, dass der Bankenskandal eigentlich nur eine (allerdings dramatische) Zuspitzung eines in der Geschichte Berlins wurzelnden strukturellen Haushaltsproblems war. In einer dem oben angeführten Strieder-Zitat ähnlichen Argumentationslinie fand dabei die sehr spezifische Melange aus den Kosten einer vorsätzlich überdurchschnittlich ausgestatteten Verwaltung und Wohnungsbauförderung in der „Frontstadt“ Westberlin, der schnellen Rückführung von Berlinhilfen nach dem Mauerfall und aus überambitionierten Wachstumserwartungen Anfang der 1990er Jahre kaum breite Erörterung. Im Gegenzug gewann die merkwürdig universalisierende Idee, dass „Berlin über seine Verhältnisse gelebt“ habe, zusehends an Popularität. Das „alte Westberlin“ wurde dabei zunehmend zum neuen Universalschlagwort, mit dem jede Form von Haushaltsbelastung – egal ob durch Tarifverträge, Schulsanierung oder sozialen Wohnungsbau – sofort in die Nähe 64 des „Frontstadtfilzes“ gerückt wurde, in dem sich nicht nur Spekulanten, Bankmanager und Politiker, sondern irgendwie alle BerlinerInnen schamlos aus Bundessubventionen bedient hätten. Öffentliche Ausgaben standen nunmehr unter dem Verdacht, eine „Versorgungsmentalität“ zu bedienen, nicht mehr finanzierbar zu sein und überhaupt dem „Rundum-sorglos-Paket“ des alten bundesrepublikanischen Sozialstaats der 1970er Jahre anzugehören. Der hiermit eingeschlagene krasse Austeritätskurs hatte unmittelbare Auswirkungen für die Stadterneuerung, die mit einem Jahresbetrag von 70 Mio. Euro immer noch einen nicht unerheblichen Posten im Landesetat darstellte. Entsprechend stellte der Senat 2002 komplett die Förderung von Wohnungsneubau- und ModInst-Förderung ein und verabschiedete sich kurze Zeit später auch aus der Anschlussförderung im Sozialen Wohnungsbau. Die neue Leitlinie für die Stadterneuerung war damit, wie es der damalige Stadtentwicklungssenator Strieder formulierte: „Öffentliches Geld für öffentliches Eigentum, privates Geld für privates Eigentum.“ (o. A., 2002) Im Klartext hieß das: kein Geld mehr für die Modernisierung von Wohnungen und Konzentration der verbleibenden Mittel auf die Renovierung von Schulen, Parks und Plätzen. En passant wurden damit allerdings auch die letzten verbliebenen Möglichkeiten zur sozialen Steuerung der Sanierung aufgegeben, denn es war klar, dass ohne öffentliche Förderung (insbesondere nachdem die Festlegung von Mietobergrenzen bei privat finanzierten Erneuerungsmaßnahmen 2006 vom Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt worden war) keine Auflagen in Bezug auf Mietpreise und die Belegungsbindungen mehr durchgesetzt werden können. Zusätzlich wurde vom Senat auf eine schnelle Entlassung der Sanierungsgebiete gedrängt. Die Sanierungsziele galten nunmehr als „abgearbeitet“, wenn mehr als 60 % der Häuser erneuert sind. Hierdurch wurde es möglich, den geplanten Kostenansatz der Sanierung zu reduzieren. Anstelle von ursprünglich angesetzten 3,65 Mrd. Euro sollten jetzt nur noch 2,16 Mrd. Euro für alle Gebiete, die ab 1993 in der 9. bis 11. Rechtsverordnung ausgewiesen worden waren, verausgabt werden, von denen 1,65 Mrd. Euro bereits ausgegeben waren. Die rechnerischen Restkosten von 514 Mio. Euro wurden schließlich nach „kritischer Überprüfung durch die Senatsverwaltung“ noch einmal auf 252 Mio. Euro für den Gesamtzeitraum von 2005 bis 2010 verringert (vgl. SenStadt 2006, 25. Bericht). Gegenüber dem bisherigen Kostenansatz hatte man also durch „kritische Überprüfung“ fünf Sechstel gespart, nicht zuletzt auch dadurch begründet, dass andere Programme wie etwa der Stadtumbau Ost und die Soziale Stadt finanziert werden sollten. Die Behutsame Stadterneuerung als sozialstaatliches Sanierungsprogramm, das mit öffentlicher Finanzierung und sozialen Standards die Erneuerung der Bausubstanz ohne Abriss und Verdrängung ermöglichen sollte, hatte damit endgültig ausgedient. Zu den Akten gelegt wurden damit allerdings nicht nur die „Wohlfahrtsstadt auf Pump und Staatsknete“ (Bodenschatz 1997), sondern wohlfahrtsstaatliche Ansätze in der Stadterneuerung insgesamt. Da der Rückzug aus der öffentlichen Finanzierung von Erneuerungsmaßnahmen nicht mit einer Ausweitung (sondern eher sogar mit einer Deregulierung) von rechtlichen Interventionsinstrumenten einherging, bedeutete der Austeritätskurs zugleich auch die Aufgabe eines Anspruch auf die Durchsetzung von öffentlich definierten Zielvorstellungen für die Erneuerung überhaupt. Aus dem Versprechen der Demokratisierung der Erneuerung war das „alte Westberlin“ geworden und Ziele der Erneuerung, staatliche Aufgaben und Ansprüche der Bewohner wurden nicht mehr diskutiert, sondern es wurde nur noch darauf hingewiesen, dass diese nicht mehr finanzierbar seien. Fazit Verfolgt man den schrittweisen Hegemonieverlust der Behutsamen Stadterneuerung über zwei Jahrzehnte, werden zwei Zusammenhänge deutlich: Zum einen war das „Rüberklappen“ der Behutsamen Stadterneuerung nach Ostberlin mit einer inneren Auszehrung des Leitmotivs verbunden, die zu einer immer breiter werdenden Kluft zwischen Ansprüchen und Wirklichkeit führte. Diese Entwicklung machte die Behutsame Stadterneuerung leicht angreifbar. Zum anderen veränderten sich seit Ende der 1990er Jahre in Berlin die der Stadterneuerung zugrunde liegenden belief systems. In diesem Zuge setzten sich zusehends Zielorientierungen durch, die auf eine deutlich reduzierte staatliche Eingriffstiefe abzielten, eine Reduzierung der Haushaltsbelastung versprachen und gerade durch den Verzicht auf soziale Standards weniger angreifbar in Bezug auf deren Erfüllung sein konnten. Diese erwiesen sich als politisch erfolgreich, weil sie tatsächlich auf die mit dem Bankenskandal überdeutlich werdende Überdehnung der alten Sanierungsansätze reagierten und gleichzeitig den Rückzug des Staates mit einem Absenken von Ansprüchen verbanden, der die Landesregierung von der lästig gewordenen Verantwortung für eine behutsame, soziale und demokratische Stadterneuerung „befreite“. Für den Niedergang der Behutsamen Stadterneuerung sind damit sowohl das Brüchigwerden überkommener Leitvorstellungen und die Konkurrenz neuer Konzepte als auch „externe Schocks“ verantwortlich. Die Entwicklung vollzog sich dabei nicht als klarer Bruch, sondern eher als einer Abfolge schleichender Übergänge. Quartiersbezug der Erneuerungspolitik und Anspruch auf aufgabenbezogene Integration von Ressortzuständigkeiten waren so bereits in der Behutsamen Stadterneuerung präsent und wurden im Quartiersmanagement nur zentral gestellt. Auch die Vorstellung, dass 65 die Behutsame Stadterneuerung mit ihrer „Rundumversorgung“ ein Konzept aus den 1970er Jahren sei, wurde zwar bereits in den Debatten um die Installation des Quartiersmanagements Ende der 1990er Jahre angelegt, aber erst von der Sparpolitik nach 2001 zum Kern der Erneuerungspolitik gemacht. Was wir heute in Berlin beobachten können, ist daher eher eine Kombination aus Übernahmen von Ideen der Behutsamen Stadterneuerung mit neueren Ansätzen als eine komplette Ersetzung von traditionellen Konzepten. Auf der Strecke geblieben ist dabei allerdings der mit der Behutsamen Stadterneuerung in ihrer Urform verbundene Anspruch auf eine Demokratisierung der Stadterneuerung, resp. auf eine Verschiebung von Entscheidungsmacht zugunsten der Bewohner. In großen Linien gedacht reiht sich der Wandel der Berliner Stadterneuerung damit durchaus in den größeren Kontext eines neoliberalen Staatsumbaus ein, in dem ein Mitbestimmung, Sozialstandards und soziale Integration finanzierender Wohlfahrtsstaat durch eine aktivierende, moderierende und mit Investoren kooperierende Version von Staatlichkeit ersetzt wird. Was bleibt also von der Behutsamen Stadterneuerung? Welche Chancen hat Behutsamkeit in der Zukunft? Versteht man den Ansatz der Behutsamen Stadterneuerung nicht nur als Fundus von prozessualen und städtebaulichen Ratschlägen, sondern als Versuch, eine gleichberechtigtere und demokratische Stadterneuerung zu ermöglichen, legt die hier dargestellte Entwicklung zwei grundlegende Hindernisse für eine neue Behutsamkeit nahe: Zum einen hat das Versprechen auf Behutsamkeit bislang nur vor dem Hintergrund umfassender öffentlicher Finanzierung einigermaßen umfassend funktioniert. Der politische Erfolg dieses Modells in den 1980er Jahren beruhte grob gesagt auf einem Kompromiss, der für einen begrenzten Zeitraum gleichzeitig die Ansprüche von Hauseigentümern auf rentable Verwertung ihrer Immobilie und die For66 derungen von Mietern nach bezahlbarem Wohnraum auf Kosten des Steuerzahlers befriedigte. Die Lösung eines grundsätzlichen Interessenkonfliktes zwischen Mietern und Vermietern basierte somit auf einer hohen Finanzierungskapazität durch die öffentliche Hand und musste mit deren Niedergang an ihre Grenzen stoßen. Sollen die mit der Behutsamen Stadterneuerung verbundenen Ansprüche wieder an Bedeutung gewinnen, sind für die Zukunft eigentlich nur drei alternative Wege vorstellbar. Eine erste Handlungsalternative würde darauf hinauslaufen, in quasi bewährt keynesianischer Manier durch Steuererhöhungen oder Kreditaufnahme die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates zu verbessern und die dadurch zur Verfügung stehenden Mittel für eine Art Neuauflage des Sozialen Wohnungsbaus einzusetzen. Diese Handlungsorientierung würde zwar einerseits im Gegensatz zur gegenwärtigen Krise der Staatsfinanzen stehen, andererseits aber wahrscheinlich schnell das von der Landespolitik angestrebte Ziel einer Ausweitung des Wohnungsangebotes durch Neubau in die Wege leiten. Eine zweite Möglichkeit bestünde in einer restriktiveren Gestaltung von Miet- und Planungsrecht. In diesem Feld handelt es sich allerdings häufig um Bundesrecht, so dass weitgehende Veränderungen wohl nur in einem insgesamt geänderten politischen Klima durchsetzbar wären. Ein dritter Weg bestünde schließlich in der Veränderung von Eigentumsverhältnissen durch die Unterstützung und Förderung nicht-renditeorientierter Trägerformen. Auch hierfür wären stärkere finanzielle Aufwendungen und/oder rechtliche Änderungen, z. B. durch Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, nötig. Wie leicht deutlich wird, sind alle drei hier skizzierten Alternativen nur realisierbar, wenn über das Quartier hinausgehende politische Weichenstellungen vorgenommen werden. Soll Behutsamkeit in der Stadterneuerung zukünftig wieder eine stärkere Bedeutung erlangen, müssen daher vor allem die Rahmenbedingungen der Stadterneuerung verändert werden. Damit kämen dann allerdings notwendig auch die in der Kreuzberger IBA sorgsam ausgeklammerten Fragen der Steuerpolitik, des Stellenwerts von Eigentum sowie des Miet- und des Planungsrechtes wieder auf den Tisch. Nimmt man die immer noch uneingelösten Versprechen der Behutsamen Stadterneuerung ernst, kann eine Diskussion um eine neue Behutsamkeit also nicht allein technisch geführt werden. Sie muss, im Gegenteil, an den politischen Rahmenbedingungen der Stadterneuerung ansetzen und die Frage neu in den Raum werfen, wem die Stadt gehört, wer mit ihr wie viel verdienen darf und welche Rolle ihre Bewohner dabei spielen sollen. Literatur O. A. (2002): Abriss ist in Berlin kein Thema. In: Die Welt vom 27.2.2002 nization of British cities? In: Planning Practice and Research, 22(1), S. 1-24 ABGEORDNETENHAUS von Berlin (1999): Vorlage - zur Kenntnisnahme - über Bericht zur Entwicklung einer gesamtstädtischen Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte besonders belasteter Stadtquartiere. Aktionsprogramm „Urbane Integration“ - 1. Stufe - und zur Sozialorientierten Stadtentwicklung: Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren - Quartiersmanagement - in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf. 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In: Die alte Stadt, Nr. 3, S. 253-266 67 Holger Leimbrock Die behutsame Erneuerung historischer Stadtkerne in Mittelstädten – Stabilitäts- und Bedrohungslinien Im Stadterneuerungsgeschehen der Bundesrepublik Deutschland vollzog sich in den letzten Jahrzehnten der Übergang von der Moderne zur Nachmoderne (vgl. Jahrbuch Stadterneuerung 2012). Als ein wesentliches Übergangscharakteristikum wurden die „Kahlschlagsanierungen“ der 1960er und frühen 1970er Jahre sukzessive durch behutsame Ansätze der Stadterneuerung abgelöst. Bei einer umfassenden und differenzierten Betrachtung dieser allgemeinen Entwicklungslinie fällt allerdings auf, dass in den historischen Stadtkernen mittelgroßer Städte unterhalb der Großstadtebene Stadterneuerungsprozesse mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägter „Eigenlogik“ (Schmidt-Lauber, 2010:27, in Verbindung mit Berking/Löw, 2008) abliefen. Mittelstädte ließen im Verlauf der Erneuerung ihrer historischen Stadtkerne räumliche, zeitliche und inhaltliche Spezifika erkennen und übernahmen ebenso wie Berlin, Hamburg und andere Großstädte in vielerlei Hinsicht Vorreiter- und Modellfunktionen für das gesamte Stadterneuerungsgeschehen der letzten Jahrzehnte. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die seit den 1960er Jahren mit den verschiedenen Erneuerungsstrategien gemacht wurden, erscheint die behutsame Erneuerung der historischen Stadtkerne in Mittelstädten als erfolgreiche lokale Hauptentwicklungslinie mit Zukunftsperspektive. Es sind allerdings diverse gegenläufige Entwicklungslinien zu berücksichtigen, bei denen das Behutsamkeitsziel nie „angekommen“ ist, die bewirken, dass die Erfolge der behutsamen Stadtkernerneuerung wieder relativiert wer- den – oder die sich nur bedingt dem Behutsamkeitsziel zuordnen lassen. Die folgenden Ausführungen gehen den Fragestellungen nach, welche Faktoren zur Stabilität und welche Faktoren zur Bedrohung behutsamer Erneuerungsstrategien in den Stadtkernen sowohl west- als auch ostdeutscher Mittelstädte beitragen und welche Ansatzmöglichkeiten bestehen, den Bedrohungen entgegenzuwirken. Notwendiges Hintergrundwissen zur Beantwortung dieser Fragen liefert die vorangestellte Herausarbeitung der Konstellationen, die Mitte der 1970er Jahre den Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung in den westdeutschen Mittelstädten bewirkten und auch ermöglichten. Den vielfältigen Städten mittlerer Größe kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung innerhalb der Raumstruktur der Bundesrepublik Deutschland zu. Um den Stadttypus „Mittelstadt“ aussagekräftig abgrenzen zu können (vgl. die Abgrenzungsüberlegungen bei Leimbrock/Roloff, 1987a:331ff, Rüdiger, 2009:35ff, u. SchmidtLauber, 2010:18-25), erscheint es notwendig, strukturelle, funktionelle und numerische Merkmale miteinander zu kombinieren. Gedacht ist an monozentrische Städte ohne leistungsfähige Nebenzentren, die als Versorgungs- und Entwicklungsstandorte regionale Bedeutung haben. Charakteristisch für diese Städte sind ihre überschaubaren und kompakten Raum- und Sozialstrukturen sowie die Kleinteiligkeit, Multifunktionalität und Unverwechselbarkeit ihrer Stadtkerne, in denen bereits deutlich ausgeprägte zentrale Einkaufs- und Dienstleistungsbereiche 69 mit Großbetrieben des Einzelhandels bestehen. Hier wird davon ausgegangen, dass sich die Mittelstädte wegen der ausgeprägten zentralen Einkaufs- und Dienstleistungsbereiche mit Kaufhäusern und InnenstadtMalls entscheidend von den Kleinstädten und wegen der fehlenden leistungsfähigen Nebenzentren entscheidend von den Großstädten unterscheiden. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen handelt es sich beim Stadttypus „Mittelstadt“ schwerpunktmäßig um Städte mit Einwohnerzahlen zwischen ca. 30.000 und ca. 130.000. Die folgende Mittelstadtbetrachtung basiert vorrangig auf eigenen Erhebungen und Nacherhebungen, die in zeitlicher Nähe zu den interessierenden Entwicklungs- und Planungsprozessen in west- und ostdeutschen Mittelstädten durchgeführt wurden (vgl. insbesondere Leimbrock/Roloff, 1987a und 1987b, sowie Leimbrock, 2008, 2010 u. 2012). Als empirische Ausgangs-, Anknüpfungs- und Rückkopplungspunkte der Darstellung genutzt werden die bereits ausführlicher im Jahrbuch Stadterneuerung 2012 behandelten mittelstädtischen Fallbeispiele Herten in Nordrhein-Westfalen, Hameln in Niedersachsen und Marburg in Hessen (vgl. Leimbrock, 2012). Dabei steht Herten für die bruchlose Umsetzung eines Flächensanierungskonzepts, Hameln für den Übergang zur Behutsamkeit während der Sanierung und Marburg für den Übergang zur Behutsamkeit vor Sanierungsbeginn. Die instruktiven westdeutschen Fälle mit ihren richtungweisenden Vorreiter- und Modellfunktionen geben anschauliche Hinweise auf die Bündel lokaler und überlokaler Rahmenbedingungen, die jeweils für Kontinuität und Wandel im Stadterneuerungsgeschehen entscheidend sind. Fokussiert auf die Herausbildung, die Weiterentwicklung und den Stellenwert des Behutsamkeitsziels bei der Stadtkernerneuerung in Mittelstädten, geht es generell um die Herstellung von Verbindungen zwischen 70 west- und ostdeutschen Mittelstädten, zwischen mittel- und großstädtischen Entwicklungen sowie zwischen den Mittelstädten und allgemeinen Themen der Stadterneuerung, wie Urban Governance, Ausdifferenzierung der Städtebauförderung, Innenentwicklung vor Außenentwicklung, Sanierung der Sanierung und energetische Gebäudemodernisierung. Erkennbar werden sollen mittelstädtische Spezifika der Stadterneuerung, die Stabilitäts- und Bedrohungslinien behutsamer Erneuerungsstrategien in Mittelstädten sowie mittelstadtgerechte „Verschlankungen“ von Projekten und nicht von mittelstadtgerechten „Verschlankungen“ berührte Planungselemente. Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung in westdeutschen Mittelstädten Anders als in den Großstädten konzentrierten sich die Planungs-, Ordnungs- und Baumaßnahmen der „Kahlschlagsanierungen“ in den westdeutschen Mittelstädten nicht primär auf die peripheren, sondern auch und gerade auf die zentralen Stadtkerngebiete. Die entsprechenden Sanierungskonzeptionen der 1960er und frühen 1970er Jahre waren von der Absicht geprägt, in den mittelstädtischen Innen- und Altstädten mittels kombinierter Funktionsschwäche-/Flächensanierungen „moderne“ Einkaufs- und Dienstleistungsbereiche entstehen zu lassen, die auch gegenüber großstädtischen cities konkurrenzfähig sein sollten. Mit den politisch-administrativen Steuerungsleistungen im Verlauf der nachholenden Stadtkernmodernisierungen verfolgten die Mittelstädte die grundsätzliche Strategie, zielgerichtet in das offensichtlich unvollkommene Marktgeschehen einzugreifen und in systematischer Weise marktgesteuert abgelaufene großstädtische Entwicklungen nachzuvollziehen. Die Zielvorstellungen, verdichtete, tertiärisierte, autogerechte, allgemein aufgewer- tete Stadtkerne zu schaffen, waren deutlich geprägt von den wachstumsorientierten Leitbildern, auf die sich der Städtebau der Bundesrepublik Deutschland zum damaligen Zeitpunkt generell stützte, während die konkrete Dimensionierung der angestrebten Neuordnungsmaßnahmen einschließlich des Aufbaus leistungsfähiger innerstädtischer Verkehrserschließungssysteme und der Ansiedlung von Großbetrieben des Einzelhandels ähnlich deutlich eine Orientierung an großstädtischen Vorbildern erkennen ließ. In Marburg und Hameln finden sich besonders anschauliche Beispiele für die Versuche, großstädtische Standards zu erreichen oder sogar zu übertreffen, und auch für die Gründe ihres Scheiterns. Das von Marburg angestrebte und 1975 vom Warenhauskonzern Horten tatsächlich eröffnete „Kaufhaus der Großstadt“ (Hessischer Rundfunk, 1980:2) mit 9.400 m² Verkaufsfläche wurde bereits Anfang 1981 wieder geschlossen. Offensichtlich war die mittelstädtische Marktsituation bei der Ansiedlung des vollsortierten Großkaufhauses falsch eingeschätzt worden. Hameln stellte den Plan einer Überbauung der Wallstraßen durch Parkbrücken zunächst als stadtspezifischen, selbst in der Landeshauptstadt Hannover nicht verfügbaren Standortvorteil heraus: „Durch Parkbrücken am Altstadtring wird der Individualverkehr fast unmittelbar an das Einkaufszentrum herangeführt. Damit wird ein besonderer Anziehungspunkt gegenüber den Verhältnissen in anderen Städten (insbesondere Hannover) geschaffen.“ (Stadt Hameln, 1967:5) Die „vier klobigen Betonkästen“ (Günther, 1977:62), die in die Altstadt hinein- und weit über sie hinausgeragt hätten, entstanden vor allem deshalb nicht, weil sie auf eine massive Bedrohung der „Rattenfängerstadt“ Hameln in ihrer Funktion als Fremdenverkehrsstadt hinausliefen. Die umfassend, großflächig und durchgreifend angelegten Stadtkernsanierungen der westdeutschen Mittelstädte gerieten bei unterschiedlichem Stand der Planungs-, Ordnungs- und Baumaßnahmen in die Phase der Rezession von 1973/74. Verstärkt durch die Bedeutungsgewinne dezentraler Standorte und die Verhandlungs- und Proteststrategien von Eigentümern, Investoren und Bewohnern, resultierten daraus für die kombinierten Funktionsschwäche-/Flächensanierungen die Problemlagen, dass die Nachfrage nach den angebotenen Sanierungsflächen einbrach und erwartete private und öffentliche Investitionen in Neubaumaßnahmen zur Stärkung der zentralörtlichen Zentrumsfunktionen, aber auch der Wohnnutzung ausblieben. Die Phänomene der merklich reduzierten Flächennachfrage und Investitionstätigkeit ließen die konzeptionellen Orientierungen der 1960er und frühen 1970er Jahre insofern obsolet und dysfunktional werden, als ihre immer schwerer legitimier- und durchsetzbare Umsetzung zunehmend „Sanierungsbrachen“ produzierte bzw. produziert hätte, statt auf eine standörtlich optimierte Flächennutzung hinauszulaufen. Die angestrebte Harmonisierung von öffentlichen Wachstumsinteressen und privaten Investitionsinteressen war so deutlich sichtbar in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund vollzog sich in den westdeutschen Mittelstädten der Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung. Für die Bandbreite der dabei aufgetretenen empirischen Ausprägungen stehen die Fallbeispiele Herten, Hameln und Marburg. Die Stadt Herten im nördlichen Ruhrgebiet, deren Entwicklungsgeschichte untrennbar mit dem Steinkohlenbergbau verbunden ist, verabschiedete angesichts ihrer extremen wirtschafts- und siedlungsstrukturellen Probleme schon 1962 den Bebauungsplan für das städtebauliche Großprojekt, eine „Neue Mitte Herten“ (Mitgliederzeitung der Hertener Wohnstätten Genossenschaft eG, 2006:14) zu schaffen. Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich auch in anderen Mittelstädten am Nordrand des Ruhrgebiets mit 71 ihren vom Steinkohlenbergbau geprägten Wirtschafts- und Siedlungsstrukturen. So baute Hertens Nachbarstadt Marl in ihrer geographischen Mitte ein neues Zentrum, passend zu den damals gültigen Zielvorstellungen vom Anwachsen der Mittelstadt zu einer „Großstadt im Grünen“ (Gausmann, 1994:159, in Verbindung mit Streck/Vogel, 2012). Während Marls neue Stadtmitte sukzessive auf der unbebauten „grünen Wiese“ entstand, ging es in Herten darum, den bestehenden altdörflichen Kern von Herten-Mitte umfassend, großflächig und durchgreifend umzubauen. Die Hertener Sanierungskonzeption von 1962, die erst Jahre später formulierte Inhalte der betreffenden Landes- und Regionalplanung vorwegnahm, hatte richtungweisende Bedeutung für die kombinierten Funktionsschwäche-/Flächensanierungen innerhalb der überkommenen Stadtkerne westdeutscher Mittelstädte. Die Konzeption für den Umbau des altdörflichen Kerns von Herten-Mitte konnte bruchlos und zügig umgesetzt werden, weil die Ordnungsmaßnahmen auf einen kaum ausgeprägten, vergleichsweise extensiv genutzten Stadtkern mit ausgedehnten Grünund Freiflächen trafen. Hinzu kommt, dass die sehr früh festgeschriebene Sanierungskonzeption in der Stadt inhaltlich kaum umstritten war, denn: „Bürgerinitiativen drängten nicht. Ökologie war noch nicht ‚in‘. Bürger und Parlamentarier hatten Vertrauen zueinander.“ (Stanke, 1980:13) Als die westdeutschen Mittelstädte allgemein zur behutsamen Stadtkernerneuerung übergingen, war Herten im Vergleich zu Hameln und Marburg am weitesten in den großstadtorientierten Umbau des Stadtkerns eingestiegen und folglich auch der geringste Spielraum für eine Rückbesinnung auf überkommene mittelstädtische Potenziale verblieben. Zum Zeitpunkt der allgemeinen städtebaulichen Tendenzwende wurden Bemühungen um den historischen Baubestand 72 Abb. 1 Herten – Stand der Stadtkernerneuerung 1982 (Quelle: Stadt Herten, freigegeben vom RP Münster unter der Nr. 5230/82) und die Stadtbildqualität im Hertener Stadtkern insofern eng begrenzt, als für ihn nicht mehr Fachwerkhäuser und stuckverzierte Gründerzeitbauten charakteristisch waren, sondern die neu entstandenen Betonzweckbauten und Baustrukturen des „modernen“ Städtebaus (Abb. 1). Sie ergaben das angestrebte Bild einer „deutlich die Merkmale neuzeitlicher Stadtplanung“ (Stadt Herten, 1969:2.4) aufweisenden „modernen City“ (Stadt Herten, 1961:1) mit einem generell vierspurig ausgebauten Erschließungsring, daran „aufgehängten“ Flächen für den ruhenden Verkehr, Fußgängerzonen und zwei kleineren Kaufhausneubauten. In Randbereichen des weitgehend tertiärisierten Sanierungsgebiets wurden Wohnungsneubauten bis hin zu neungeschossigen Punkthochhäusern errichtet. Die Hertener Wohnstätten Genossenschaft eG (HWG) blickte vor einiger Zeit aus Akteurssicht auf die Hertener Flächensanierung zurück und erkannte, dass die Stadt heute „sicher sehr stolz auf die vielen Fachwerkhäuser und verwinkelten Gassen“ (Mitgliederzeitung der Hertener Wohnstätten Genossenschaft eG, 2006:15) wäre, deren Existenz bei einem behutsameren Umgang mit dem altdörflichen Kern von HertenMitte hätte gesichert werden können. Entsprechende historische Bausubstanzen und Baustrukturen sind dagegen im Stadtteil Herten-Westerholt erhalten geblieben. Der überkommene altdörfliche Kern der 1975 von Herten eingemeindeten Kleinstadt Westerholt, der seit 1991 unter Denkmalschutz steht, wurde behutsam erneuert und gilt heute auch als „Rothenburg des Ruhrgebiets“ (Schmidt, 2012). Deutlich ausgeprägter als in Herten konnte sich die städtebauliche Tendenzwende in der „Rattenfängerstadt“ Hameln an der Weser während der bereits laufenden Altstadtsanierung vollziehen. Anders als beim Umbau des aufgelockerten altdörflichen Kerns von Herten-Mitte ging es in Hameln um die Erneuerung einer stark verdichteten historischen Altstadt, für deren bauliches Image neben der Fachwerkbebauung die überkommenen Bauwerke der Weserrenaissance entscheidend sind. Das ursprüngliche Flächensanierungskonzept galt als „Modellfall Nr. 1“ für die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen, weil erstmals ein in sich abgeschlossener Altstadtbereich komplett erneuert werden sollte. Die 1967 verabschiedete Grundkonzeption der Hamelner Altstadtsanierung, die in vielerlei Hinsicht mit der richtungweisenden Hertener Sanierungskonzeption von 1962 übereinstimmte, sah auf rund 36 % der Altstadtbruttofläche den Abriss von Bausubstanz mit anschließender, vielfach maßstabsprengender Neubebauung vor. Unter dem Eindruck der merklich reduzierten Flächennachfrage und Investitionstätigkeit wurde diese Quote im generell als Wendepunkt empfundenen Denkmalschutzjahr 1975 auf rund 21 % begrenzt. Als Alternative zur fortschreitenden Produktion von „Sanierungsbrachen“ konnte das Ziel der behutsamen Erneuerung historischer Bausubstanzen in Verbindung mit der Schaffung zusätzlicher Grünund Freiflächen an Bedeutung gewinnen. Entscheidend für die in Hameln vollzogene städtebauliche Tendenzwende waren die veränderten ökonomischen Rahmenbedin- gungen, weniger die Bürgerproteste gegen das Sanierungsvorhaben (vgl. zu deren Bandbreite Leimbrock/Roloff, 1987a:570578). Es war anders als die Flächensanierung in Herten heftig umstritten und wurde ab 1972 auch bundesweit als „Modellfall Nr. 1 für die Zerstörung unserer Altstädte“ (Vereinigung der Hamelner Bürger, 1970) wahrgenommen. Auf örtlicher Ebene ging die Kritik an der Abrisspolitik der Hamelner Sanierungsplanung insbesondere von konservativen Ästheten und Honoratiorenkreisen aus, für die Fragen der Stadtbilderhaltung im Vordergrund standen. Dieser eher unpolitische, sich nicht näher mit den eigentlichen Ursachen der kritisierten Prozesse auseinandersetzende Widerstand war zwar durchaus verdienstvoll, sollte aber in seiner Wirksamkeit „nicht überschätzt“ (BMBau, 1978:65) werden. Auch nach der städtebaulichen Tendenzwende wurden in Hameln neben Maßnahmen zur Stärkung der Wohnfunktion weiterhin zielstrebig Maßnahmen zur Beseitigung der erkannten funktionellen Defizite des Geschäftszentrums Altstadt verwirklicht. Dies geschah zunehmend in Form kombinierter Funktionsschwäche-/ Objektsanierungen. Auf den „freigelegten“ Flächen ist ein Grundmuster gezielt platzierter Neuordnungsmaßnahmen entstanden, das durchaus an Herten erinnert. Parallel zu den Abrissmaßnahmen für die beiden Kaufhausneubauten, die zwischen 1975 und 1978 fertiggestellt wurden, begann 1972 die Umsetzung der „verschlankten“ Konzeption für die Verkehrserschließung der Altstadt. Im Wesentlichen entstanden sind ein generell vierspurig ausgebauter Erschließungsring, dessen Ausbau und Schließung den Bau einer zweiten Weserbrücke voraussetzte, Flächen für den ruhenden Verkehr am Erschließungsring und im Zentrum der Altstadt, Erschließungsstraßen, eine zentrale Omnibushaltestelle am Weserufer sowie Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche. 73 Nach der städtebaulichen Tendenzwende mit all ihren positiven Effekten beklagten politisch-administrative Akteure und lokale Presse in Hameln selbstkritisch die negativen Auswirkungen „der etwas forsch angegangenen Flächensanierung“ (Weserkurier, 1978), in deren Verlauf „so manches den Hamelnern ans Herz gewachsene alte Gebäude rigoros der Fallbirne zum Opfer“ (Weserkurier, 1978) gefallen war. Die auf verschiedenen, später nicht mehr nachgefragten Flächen „voreilig vorgenommenen Abrisse zu Beginn der Altstadtsanierung“ (Arnold, 1978) ließen sich rückblickend „nur schwer verschmerzen“ (Arnold, 1978). Diese selbstkritischen Rückblicke und Bewertungen sprachen für eine gewandelte Sicht auf die Flächensanierung und eine dauerhafte Verfestigung der Grundprinzipien der behutsamen Stadtkernerneuerung in Hameln. Der in der Universitätsstadt Marburg an der Lahn noch vor Beginn der Sanierungsdurchführung vollzogene Übergang zur Behutsamkeit betraf das 1972 nach Städtebauförderungsgesetz förmlich festgelegte, aus den Teilsanierungsgebieten Oberstadt und AltWeidenhausen bestehende Sanierungsgebiet innerhalb der historischen Altstadt. Eine Vorentscheidung für die Umorientierung fiel bereits im Sanierungsgutachten der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen (GEWOS) und der Freien Planungsgruppe Berlin (FPB) von 1971 (vgl. GEWOS/ FPB, 1971). Die FPB lehnte es darin ab, die Ergebnisse der GEWOS-Bestandsaufnahme, nach deren Maßstäben der Abriss von 73 % der Wohnungen im damaligen Untersuchungsgebiet technisch und ökonomisch begründbar gewesen wäre, unmittelbar in die Sanierungskonzeption zu übernehmen. Für die FPB erschien die Anwendung des an Neubaustandards orientierten GEWOS-Bewertungssystems „gerade im Fall Marburg mit den überwiegend historischen Fachwerkbauten einigermaßen irrelevant“, weil sie „natürlich kaum eine der normativen Be74 dingungen erfüllten, die diesem System zugrunde lagen“ (Kopetzki, 1974:3). Die Orientierung an den vor diesem Hintergrund verabschiedeten Sanierungszielen und Grundsätzen für den Sozialplan setzte laut Marburger Sanierungsplanung „ein behutsames Vorgehen und sorgfältige Abwägung privater und öffentlicher Interessen voraus; d. h., die Durchführung ist nicht primär an technischen Abläufen, Umsetzungsplänen und Geboten zu orientieren, sondern soll sich vor allem nach den persönlichen Verhältnissen und Möglichkeiten des einzelnen Eigentümers, Gewerbetreibenden, Mieters oder Pächters richten“ (Magistrat der Stadt Marburg, 1980:13). Die von Anfang an verfolgte Strategie der behutsamen Altstadtsanierung war allein schon aufgrund der in Marburg gegebenen topographischen Verhältnisse die einzige Sanierungsalternative mit Erfolgsaussicht. Im historischen, in extremer Hanglage am Schlossberg gelegenen Geschäftszentrum Oberstadt hätte selbst eine radikale „Kahlschlagsanierung“ keine funktionsgerechten Ansiedlungsmöglichkeiten für die angestrebten Großbetriebe des Einzelhandels entstehen lassen, so dass die Gefahr der Produktion von „Sanierungsbrachen“ akut geworden wäre. Hinzu kam, dass Stadt, Eigentümer und Investoren sukzessive gerade auch den ökonomischen Stellenwert eines intakten historischen Stadtbilds erkannten und dass in der Universitätsstadt Marburg „ein schier unerschöpfliches Reservat kritischer Bürger“ (Dettmering, 1973:661) existiert. Ein Flächensanierungskonzept hätte, anders als in Herten, gegen massive Bürgerproteste durchgesetzt werden müssen. Sie wären nicht nur, wie in Hameln, von eher unpolitischen Ästheten und Honoratiorenkreisen ausgegangen, sondern auch von stärker politisch agierenden, die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Stadtentwicklung kritisierenden Bürgern, deren Protest- formen im Allgemeinen eher für Großstädte als für Mittelstädte typisch sind. Mit der Entscheidung gegen eine Flächensanierung im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet stieß Marburg an die konzeptionellen Grenzen des Städtebauförderungsgesetzes von 1971 und seiner Ausführungsbestimmungen. Da diese auf überlokaler Ebene formulierten Rahmenrichtlinien städtischen, sprich großstädtischen Handelns bestenfalls nachrangig auf die Durchführung einer behutsamen Stadterneuerung zugeschnitten worden waren, wurden die staatlichen Städtebauförderungsmittel zunächst nicht für die erhaltende Erneuerung von Einzelobjekten freigegeben. Erst nach intensiver Intervention der Stadt Marburg erhielt sie 1973 als eine der ersten Städte der Bundesrepublik Deutschland die für den Sanierungserfolg zwingend notwendige Mittelfreigabe (vgl. Kopetzki, 1976:8). Damit gelang Marburg noch deutlich vor dem Denkmalschutzjahr 1975 die am Behutsamkeitsziel orientierte Harmonisierung von lokalen Anforderungen und überlokal formulierter Programmstruktur. Dem behutsamen Vorgehen im förmlich festgelegten Marburger Altstadtsanierungsgebiet, das dort Möglichkeiten zur Erhaltung und Pflege des historischen Stadtbilds und auch zur Stärkung der Wohnfunktion eröffnete, stehen erhebliche, mit großflächigen Abriss- und Neubaumaßnahmen verbundene Umstrukturierungen in den unterhalb der Oberstadt im Lahntal gelegenen Stadtvierteln gegenüber (Abb. 2). Wesentlich beeinflusst vom Sachzwang der gegebenen topographischen Verhältnisse, bildete sich im Lahntal ein im Vergleich zu Herten und Hameln modifiziertes Grundmuster gezielt platzierter Neuordnungsmaßnahmen heraus. Nicht anders als in Herten und Hameln werden die entstandenen Baustrukturen von Betonzweckbauten des „modernen“ Städtebaus geprägt. Abb. 2 Marburg – Sanierungsgebiet historische Oberstadt und Stadtviertel im Lahntal (Foto: W. Gemeinhardt) Marburg wurde 1978 im Bundeswettbewerb „Stadtgestalt und Denkmalschutz im Städtebau“ mit einer Silberplakette für „sehr gute Leistungen“ bei der behutsamen Erneuerung des Teilsanierungsgebiets Oberstadt ausgezeichnet. Für die städtebaulichen Leistungen in der Oberstadt und in Weidenhausen kam 1984 eine Goldmedaille im Bundeswettbewerb „Bauen und Wohnen in alter Umgebung“ hinzu. Wenig behutsam verlief dagegen die Entwicklung, die sich aufgrund der gewählten Problemverschiebung im Lahntal fortsetzte. Dies gilt trotz verschiedener „Verschlankungen“ der ursprünglichen Verkehrserschließungsplanungen. Seit den 1960er Jahren wurden mehr oder weniger heftig umstrittene Neubauten fertiggestellt, wie die Trasse, teils Hochtrasse der Stadtautobahn B 3a, die als innerstädtische Erschließungstangente entlang der Lahn verläuft, Parkhäuser, Kaufhausbauten, später auch Innenstadt-Malls, Universitätsund Wohnhochhäuser sowie „Marburgs neue Mitte“ mit Hotel, Kino, Kunsthalle und Gastronomie. Die Dimensionen und Formen der im Lahntal entstandenen Neubauten (vgl. Girgert, 2007a und 2007b, sowie Oberhessische Presse, 2010), die sich von außen her negativ auf das historische Stadtbild auswirken, machten Überlegungen unrealistisch, die Marburger Altstadt als Gesamtdenkmal in die Welterbeliste der UNESCO aufnehmen zu lassen (vgl. Schreiner, 2007:8, und Fowler, 2007a). 75 Verfestigung und Verallgemeinerung der Grundprinzipien behutsamer Stadtkernerneuerung Der Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung in westdeutschen Mittelstädten ließ zwar bis dahin vernachlässigte Zielsetzungen ökonomischer, aber auch politischer, sozialer, ökologischer, kultureller und ästhetischer Art stärker hervortreten, bedeutete jedoch keine Sonderentwicklung in Form einer Emanzipation der mittelgroßen Städte von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der interkommunalen Konkurrenz um Flächennutzungen, Kaufkraft, private Investitionen und öffentliche Subventionen. Eine Umorientierung auch in dieser Hinsicht fand „vornehmlich innerhalb der Köpfe“ (Rodriguez-Lores, 1987:231) statt. Beim Übergang der westdeutschen Mittelstädte zur behutsamen Stadtkernerneuerung ging es vielmehr darum, die generell marktkonformen Eingriffe in das Marktgeschehen den Phänomenen der merklich reduzierten Flächennachfrage und Investitionstätigkeit anzupassen und die sich verschärfende interkommunale Konkurrenz um das verbliebene raumwirksame Entwicklungspotenzial mit mittelstadtgerechteren städtebaulichen Lösungsformen erfolgreich zu gestalten. Diese mittelstadtgerechteren Planungselemente sollten auf der einen Seite den Standortanforderungen und Standortorientierungen der jeweils standörtlich optimalen Flächennutzung entsprechen, auf der anderen Seite das verfüg- und einsetzbare „mittelstädtische Flair“ mit der erkennbaren Intention erhalten und möglichst dauerhaft sichern, die Stadtkerne der mittelgroßen Städte nicht zu einer Großstadtimitation, sondern vielmehr zu einer attraktiven und konkurrenzfähigen Großstadtalternative mit eigenständigen Qualitätspotenzialen und Standortvorteilen werden zu lassen. Zur Zielvorstellung der Harmonisierung von Bestandssicherung und nachholender Mo76 dernisierung bei der behutsamen Stadtkernerneuerung stellte etwa die Mittelstadt Detmold in Nordrhein-Westfalen fest: „Nur ein behutsamer Stadtumbau, der die Erhaltung der Stadtstruktur mit den Forderungen moderner Stadtfunktionen verbindet, wird den Entwicklungschancen einer Stadt wie Detmold gerecht“ (Stadt Detmold, 1976:9). Die neuen konzeptionellen Orientierungen erschienen zunehmend funktional, weil sie die mit Flächensanierungen nicht mehr zu erreichende Fortsetzung der Harmonisierung von öffentlichen Wachstumsinteressen und privaten Investitionsinteressen auf reduziertem Niveau versprachen, Alternativen zur Entwicklung der konkurrierenden großstädtischen Zentren aufzeigten, als wirksame Elemente einer den lokalen Mittelstand unterstützenden Konjunktur- und Beschäftigungspolitik einzusetzen waren, vielfältige Möglichkeiten zur Mobilisierung staatlicher Förderungsmittel eröffneten und nicht zuletzt auch die Legitimation und Durchsetzung der Stadtkernerneuerungen erleichterten. Zu den flankierend wirksamen Einflussfaktoren zählten die geänderten Wertvorstellungen der Denkmalpflege, die zunehmend den Schutz von Ensembles und allmählich auch von Bauten der klassischen Moderne propagierte, sowie die Aktivitäten im Rahmen des Denkmalschutzjahrs 1975 und des 1978 auf Bundes- und Landesebene durchgeführten Wettbewerbs „Stadtgestalt und Denkmalschutz im Städtebau“. Bekanntlich erhielt die Stadt Marburg bereits 1973 die Erlaubnis zum Einsatz von Städtebauförderungsmitteln für behutsame Objektsanierungen. Daraus lässt sich ableiten, dass die unbestritten positiven Effekte des Denkmalschutzjahrs 1975 häufig überbewertet werden, wenn es um die allgemeine Ursachenerklärung für den Übergang in die Phase der Behutsamen Stadterneuerung geht. Aktuelle Beispiele dafür finden sich in den Rückblicken auf vierzig Jahre Stadterneuerung seit der 1971 erfolgten Einfüh- rung des Städtebauförderungsgesetzes. In einem instruktiven Interview von 2011 hebt etwa Krautzberger rückblickend hervor: „Die Wende kam mit dem europäischen Denkmalschutzjahr 1975“ (BMVBS, 2011d:31; vgl. ergänzend BMVBS, 2011a:29f ). Die Paradigmen, Leitbilder und Kommunikationen, die das Denkmalschutzjahr 1975 prägten, reichen jedoch für das Verständnis der Wende nicht aus. Entscheidender waren vielmehr Faktoren wie die ausgebliebenen raumwirksamen Entwicklungspotenziale und die sich daran anpassenden öffentlichen und privaten Interessenlagen, also die modifizierten „Prozesse und Strukturen der Urban Governance“ (Bernt, 2011:116; Hervorhebung i. O.). Der Marburger Prozess der Harmonisierung von lokalen Anforderungen und überlokal formulierter Programmstruktur lässt deutlich die zwischen beiden Ebenen bestehenden Wechselbeziehungen erkennen. Es zeigte sich, dass neben den Prozessen des politisch-administrativen „Durchregierens“ von oben nach unten durchaus auch Impulse zu berücksichtigen sind, die von der lokalen mittelstädtischen Ebene mit ihrem generell eher geringen politischen Gewicht ausgehen und auf die überlokale Ebene durchschlagen. Die Hertener Sanierungskonzeption hatte ja auch die Inhalte der überlokalen Planungen in wesentlichen Punkten vorweggenommen. Noch deutlicher als in Herten kamen in Marburg überdies die Wechselbeziehungen zum Ausdruck, die zwischen politisch-administrativen Planungsstrategien und räumlichen Gegebenheiten bestehen. Während die Planungsstrategien Auswirkungen auf die Gestaltung des Raums haben, wirkt sich der Raum wiederum auf die inhaltliche Ausprägung der Planungsstrategien aus. In Marburg waren die gegebenen topographischen Verhältnisse zwangsläufig „geeignet, die Werte, Grundannahmen und Überzeugungen von Planungsakteuren zu beeinflussen und in Handlungen zu ‚übersetzen‘“ (Rüdiger, 2011:128). Die Grundprinzipien der behutsamen Stadtkernerneuerung konnten sich in den westdeutschen Mittelstädten ab Mitte der 1970er Jahre mehr oder weniger weitgehend verfestigen und sind darüber hinaus nach der deutschen Vereinigung auch in den ostdeutschen Mittelstädten „angekommen“ (vgl. Behr, 2005, Bräuer, 2011, und Altrock, 2012:131f ). Positives Ergebnis dieser Entwicklung sind attraktive mittelstädtische Stadtkerne, die bei selektiver Flächennachfrage und Investitionstätigkeit nach wie vor durch erhalten gebliebene historische Bausubstanzen und Baustrukturen, relativ vielfältige Nutzungsstrukturen sowie eine günstige Verteilung der einzelnen Nutzungsund Funktionsarten gekennzeichnet sind. Kontinuität strukturauflösender Großprojekte Keineswegs vergessen werden darf jedoch, dass die mittelgroßen Städte mit dem Übergang zur behutsamen Stadtkernerneuerung keine Emanzipation von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der interkommunalen Konkurrenz vollzogen haben. Dies impliziert, dass in den mittelstädtischen Stadtkernen mehr oder weniger große, mehr oder weniger zentral gelegene Gebiete verblieben sind, in denen statt der behutsamen Erneuerung der mit entsprechenden Abrissen verbundene Neubau strukturauflösender Großprojekte akut geblieben ist. Da diese Strategie zur Behebung fortgesetzt bestehender Problemlagen nie endgültig ad acta gelegt worden ist, blieben vielfältige, teils überraschende „Déjà-vu-Erlebnisse“ (Selle, 2012:30) im mittelstädtischen Stadterneuerungsgeschehen auch nach der eigentlichen Phase der „Kahlschlagsanierungen“ nicht aus. Der Einsatz von Großprojekten in Mittelstädten beeinflusst deren Entwicklung insofern in besonderer Weise, als er sich in den von der Größe her begrenzten, monozentri77 schen Städten eher als in den Großstädten auf die gesamtstädtischen Strukturkonstellationen auswirkt. Dies gilt insbesondere für diejenigen Fälle, in denen eigentlich nur auf großstädtische Verhältnisse zugeschnittene Größendimensionen unreflektiert und unverändert auf die spezifischen Standort- und Entwicklungsbedingungen in Mittelstädten übertragen werden. In den Stadtkernen der westdeutschen Mittelstädte blieb der Prozess der Planung und Durchführung strukturauflösender Großprojekte, die gegen Mitte der 1970er Jahre bereits eine mehr oder weniger lange Bauphase hinter sich hatten oder in finanzieller und rechtlicher Hinsicht abgesichert erschienen, von der städtebaulichen Tendenzwende weitestgehend unberührt. Wie in Herten, Hameln und Marburg gesehen, traf dies insbesondere auf die Erschließungsringe bzw. Erschließungstangenten und die Großkaufhäuser mit Vollsortiment zu (vgl. ergänzend Monheim, 1985:835). In Marburg war die Dimensionierung des Horten-Kaufhauses mit 9.400 m² Verkaufsfläche offensichtlich vom Übergang zu mittelstadtgerechteren Kaufhausgrößen mit Verkaufsflächen zwischen 5.000  m² und 6.500  m² unberührt geblieben. Die „verschlankten“ Formen, die sich im Verlauf der 1970er Jahre durchsetzten, wurden von den Planungsabteilungen der Warenhauskonzerne als „neuer Warenhaus-Typ für Mittelstadt-Zentren“ (1970:1251) konzipiert und vorgestellt. In Hameln entstand in den Jahren 1976 und 1977 der Neubau des Amtsgerichts, der mit seinen acht Vollgeschossen die Altstadt überragt. Das Projekt wurde nicht mehr von der Entscheidung der Stadt Hameln beeinflusst, im Sanierungsgebiet Altstadt „von allen Bauvorhaben, die über die Geschoßzahl von Z 3 + Dachgeschoß hinausgehen“ (BMBau, 1978:113), abzurücken. Auch in den ostdeutschen Mittelstädten gab es nach der deutschen Vereinigung 78 deutlich sichtbare Abweichungen vom Behutsamkeitsziel. Gedacht ist dabei speziell an die Problemlösungen in den altindustrialisierten Mittelstädten mit nicht mehr konkurrenzfähigen Wirtschaftsstrukturen, die über ein eher negatives Image und kaum über eine eigene, historisch gewachsene Identität verfügten. Hier gab es sogar Rückkopplungen zu den richtungweisenden Sanierungsinhalten, die seit den 1960er Jahren in Herten, Marl und den vergleichbaren, vom Niedergang des Steinkohlenbergbaus betroffenen Mittelstädten am Nordrand des Ruhrgebiets handlungsleitend wurden. Zu diesen Rückkopplungen kam es etwa in den innerhalb des „Katastrophen-Großraums Halle – Leipzig – Bitterfeld“ (Kegler, 1992:400) gelegenen Mittelstädten. Herausragend war hier der großflächig zu sanierende Bereich der heutigen, 2007 durch Zusammenschluss entstandenen Doppelstädte Dessau-Roßlau und Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. Die Partnerstädte „Marl und Bitterfeld sind Seelenverwandte“ (Streck/ Vogel, 2012:51). Zu diesem Schluss kam die Zeitschrift „Stern“ in einem aktuellen Vergleich: „Marl saß auf Steinkohle, Bitterfeld auf Braunkohle. Marl wie Bitterfeld standen und stehen für Chemie“ (Streck/Vogel, 2012:51). Der modernisierte Chemiepark Marl ist ebenso größter städtischer Arbeitgeber wie der modernisierte Chemiepark Bitterfeld-Wolfen. Explizite Hinweise auf eine entsprechende „Seelenverwandtschaft“ mit Marl gab es Anfang der 1990er Jahre auch in der altindustrialisierten „Stahlstadt“ Riesa in Sachsen. Ihr damaliger Kultur- und Wirtschaftsdezernent stellte die Rückkopplung zu Marl in einem Experteninterview her (vgl. Leimbrock, 2008:75). Der spätere Erste Bürgermeister und Oberbürgermeister von Riesa, der herausragenden Anteil am städtischen Struktur- und Identitätswandel hatte, profilierte sich in den verschiedenen Funktionen als charismatischer „Macher“. Ein derartiges Phänomen, dass ein charismatischer Einzelakteur als städtischer Hoffnungsträger herausragenden Einfluss auf die Stadtentwicklung gewinnt, ist in einer Mittelstadt wie Riesa sicherlich eher möglich als in einer Großstadt mit ihren komplexeren Entscheidungsstrukturen. Auf „Mr. Riesa“ (Köhler, 2005) geht auch die anschließend bei diversen Großprojekten handlungsleitend gewordene Forderung zurück, die schrumpfende Mittelstadt Riesa müsse sich beim Übergang zu einer neuen Identität „als kleine Großstadt begreifen“ (Delau, 1993). Nach dem Niedergang ihres lange Zeit dominierenden Stahl- und Walzwerks hat die Stadt Riesa durchaus erfolgreich daran gearbeitet, den Wandel vom monostrukturierten Stahlstandort hin zum Standort mittelständischer Unternehmen mit differenzierter Produkt- und Angebotspalette und hin zur „Sportstadt“ zu vollziehen. Als räumlicher Ausdruck des in „verschlankter“ Form nach wie vor gültigen Sportstadtkonzepts (vgl. Leimbrock, 2000; Kuder, 2009) entstand am Stadtkernrand ein Sportzentrum einschließlich der 1999 fertiggestellten Mehrzweckhalle „Erdgas-Arena“ mit etwa 9.000 Sitzplätzen bzw. 13.000 Stehplätzen. Ebenfalls am Stadtkernrand wurde das „Modellprojekt Stahl- und Walzwerk Riesa“ (Rehse, 1996; Ferber, 1996) umgesetzt. Zu den mittelständischen Folgenutzungen, die sich auf dem umstrukturierten, ca. 70 Hektar großen Stahl- und Walzwerksgelände ansiedelten, zählt auch das Elbe-Stahlwerk Feralpi (ESF). Verlor etwa die Stadt Herten nach der sukzessiven Schließung der ehemals dominierenden Steinkohlenzechen Schlägel & Eisen, Ewald und Westerholt 2008 endgültig ihre Identität als „Bergbaustadt“, konnte Riesa mit dem Aufbau des „modernen Ministahlwerks“ (Stadtverwaltung Riesa, 1994:31) in begrenztem Umfang an die städtische Tradition der Stahlproduktion anknüpfen. Allerdings geriet das ESF, das in räumlicher Nähe zu Wohngebieten und zum Riesaer Geschäftszentrum produziert, in der Vergan- Abb. 3 Riesa – Stahl- und Walzwerksgelände nach der Umstrukturierung (Foto: R. Bendner) genheit immer wieder durch Verstöße gegen Umweltvorschriften in die Schlagzeilen (vgl. BUND, 2009). Durch die großflächigen Abriss- und Neubaumaßnahmen auf dem Stahl- und Walzwerksgelände und die Verkleidung erhalten gebliebener Bausubstanzen mit „modernen Industriefassaden“ (Stadtverwaltung Riesa, 1994:28), die zur besseren Hallen- und Gebäudeisolierung angebracht wurden, ging der von rotem Backstein und Stahlfachwerkfassaden geprägte Charakter der traditionellen Industriearchitektur weitestgehend verloren (Abb. 3). Das übergreifende Leitziel, als Resultat der angestrebten nachholenden Modernisierung einen „modernen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungspark“ (Stadtverwaltung Riesa, 1994:17) zu schaffen, der den „modernen technischen Anforderungen“ (Stadtverwaltung Riesa, 1994:28) ebenso genügen sollte wie den „Anforderungen an eine moderne städtebauliche Gestaltung“ (Rehse, 1996:45), eröffnete von Anfang an kaum Chancen für einen behutsamen Umgang mit der traditionellen Industriearchitektur. Abgerissen wurde schließlich auch das historische Schalthausgebäude. Es war Anfang des 20. Jahrhunderts als Umspannwerk der ersten europäischen 110-kV-Fernleitung, die das Kraftwerk Lauchhammer mit den Stahlwerken Lauchhammer, Gröditz und Riesa verband, erbaut worden. Mit dem Abriss wa79 ren die Pläne gescheitert, das Schalthaus als technisches Baudenkmal zu einem Museum mit Ausstellungsstücken aus der 1843 beginnenden Geschichte des Stahl- und Walzwerks Riesa und zu einem identitätsstiftenden Kommunikationszentrum zu entwickeln. Angesichts der sich abzeichnenden hohen Kosten für die bauliche Erhaltung der Stahlfachwerkkonstruktion und für die Umsetzung des Nutzungskonzepts hatten sich weder öffentliche noch private Investoren für das Projekt finden lassen (vgl. Leimbrock, 2000:119). Auch in den Riesaer Stadtkerngebieten zwischen dem umstrukturierten Stahl- und Walzwerksgelände und dem altdörflichen Kern setzte sich die Abriss- und Neubautätigkeit fort. Im Bereich der Gründerzeitbebauung entlang der einem Neugestaltungsund Aufwertungsprozess unterworfenen Haupteinkaufsstraße sind u. a. zwei Innenstadt-Malls neu entstanden. Die 1999 eröffnete, mittlerweile auf ca. 12.000 m² Verkaufsfläche erweiterte „Elbgalerie“ (vgl. Päsler, 2011) als großdimensioniertes „modernes Einkaufszentrum“ (Müller, 1997) siedelte sich nach großflächigen Abrissmaßnahmen auf dem Gelände der ehemaligen Molkerei an. Demgegenüber wurde im überkommenen altdörflichen Kern von Riesa, anders als etwa im Fall des altdörflichen Kerns von Herten-Mitte, von Anfang an eine Strategie der erhaltenden Erneuerung verfolgt. Der erwähnte Prozess der Ansiedlung von Innenstadt-Malls erreichte mit zeitlicher Verzögerung gegenüber den Großstädten auch die Mittelstädte. Die Malls als großdimensionierte, zentral gelegene Konglomerate von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben, die in den Stadtkernen sowohl schrumpfender als auch wachsender ostund westdeutscher Mittelstädte zu finden sind, entstehen als Gegenentwurf zu den ehemaligen vollsortierten Großkaufhäusern. Sie waren in den ostdeutschen Mittelstädten von Anfang an lediglich sporadisch vertreten und sind aufgrund von Konzernü80 bernahmen, Umsatzeinbrüchen und Insolvenzen auch in den westdeutschen Mittelstädten kaum noch anzutreffen (vgl. Leimbrock, 2010:72). Zu den Ersatznutzungen zählen beispielsweise in Hameln die „Stadtgalerie“ am ursprünglichen Hertie-Standort, in Marburg das „Schlossberg-Center“ am ursprünglichen Horten-Standort und in Herten das „Herten-Forum“ am ursprünglichen Karstadt-Standort. Die Dimensionen der in den Mittelstädten entstandenen Innenstadt-Malls liefern erneut Hinweise auf die mittelstädtische Strategie der Orientierung an großstädtischen Vorbildern. Allein die ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG in Hamburg, die sich durch die Vermarktung weitgehend standardisierter Konzeptvorstellungen zum europäischen Marktführer auf dem Gebiet der Innenstadt-Malls entwickelt hat, betreibt mittlerweile in mehr als 30 deutschen Mittelstädten Objekte mit jeweils über 10.000 m² Verkaufsfläche. Dazu zählen das „Rathaus-Center“ in Dessau-Roßlau mit ca. 30.000 m² Verkaufsfläche, die „Stadtgalerie“ im bayerischen Passau mit ca. 21.000 m² Verkaufsfläche, die „Stadtgalerie“ in Hameln mit ca. 19.000 m² Verkaufsfläche und die „Stadtgalerie“ im sächsischen Plauen mit ca. 14.000 m² Verkaufsfläche. Nach Expertenmeinungen zu stadtkernverträglichen MallKonzepten, die neben den Nutzungsstrukturen auch die vorhandenen Baustrukturen und Stadtbildqualitäten berücksichtigen, können Mittelstädte „noch eine vernünftige Sortimentsbelebung mit 5.000 bis 7.000 m² echter Verkaufsfläche erreichen. 15.000 m² und mehr bei einer Einwohnerzahl von nur 70.000 bis 100.000 haben dagegen einen negativen Effekt“ (Brune, 2006:60). Für das ECE-Großprojekt im nordwestlichen Teil der historischen Hamelner Altstadt wurde neben älterer Bausubstanz auch der Kaufhausbau abgerissen, der dort erst im Rahmen der Flächensanierung der 1970er Jahre entstanden war. Teilweise zurückgebaut wurde darüber hinaus die angrenzende, aus der gleichen Zeit stammende zentrale Omnibushaltestelle. In Herten stehen dem „Herten-Forum“ als zweiter Pol die „RathausGalerien“ mit ca. 5.000 m² Verkaufsfläche gegenüber. Umgebaut und teilweise abgerissen wurden dafür das ehemalige städtische Hallenbad, das benachbarte Post- und Telekomgebäude und das in diesem Teilgebiet liegende Parkdeck, also „moderne“ Bauten, die in den 1960er Jahren im Hertener Sanierungsgebiet errichtet worden waren. Die Entwicklungen in Hameln und Herten sind anschauliche Beispiele für eine partielle „Sanierung der Sanierung“ (Gürtler Berger/ Jessen, 2010) und lassen deutlich erkennen, dass die politisch-administrative Bearbeitung der mittelstädtischen Stadtkernproblematik als sich fortsetzende Daueraufgabe zu verstehen ist. ECE-Großprojekte, die wie im Fall von Hameln und Passau innerhalb bzw. am Rande der historischen Altstädte verwirklicht wurden, waren besonders umstritten (vgl. Leimbrock, 2009:277f, in Verbindung mit Krau, 2009:284). Die aus dem Hamelner Fall abgeleiteten planungskritischen Überlegungen bezogen sich auch auf die „Protagonisten der Einkaufsgalerien“ (Thumm, 2005), deren Recht es bleibt, „ihre partikulären Interessen mit den Mechanismen und Instrumentarien des Städtebaus durchzusetzen. Sie wollen von der notwendigen Redundanz städtebaulicher Organismen nichts wissen, sie wollen optimieren, ausschöpfen, abschöpfen. Sie bleiben Fremde am Ort, ohne Gespür für den Genius loci, ohne Kenntnis vom Wert der historischen Grundmuster, die man andernorts ausgräbt, pflegt und restituiert in dem Wissen um die genuine Kraft dieser verborgenen Elemente“ (Thumm, 2005). Da das ECE-Großprojekt in Hameln Vorstellungen von einer Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Altstadtcharakters im betreffenden Teilgebiet sehr schnell obsolet werden ließ, mussten sich Behutsamkeitsüberlegungen darauf beschränken, vor Baubeginn um- fangreiche archäologische Ausgrabungen durchzuführen (vgl. Schween, 2009). Behutsam erneuerte Stadtkerngebiete – Bedrohungen der Sanierungserfolge Wie schon in Marburg mit Blick auf die Dimensionen und Formen der im Lahntal entstandenen Neubauten gesehen, können Erfolge einer behutsamen Stadtkernerneuerung durch gegenläufige externe Einflüsse relativiert werden. Auch die allgemein propagierte, positiv bewertete Problemlösungsstrategie der „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ ist in die Suche nach äußeren Bedrohungen der behutsam erneuerten Stadtkerngebiete einzubeziehen, da hier zu thematisierende und zu lösende Zielkonflikte zwischen Behutsamkeits- und Nachverdichtungsziel aufscheinen. Die als ein weiteres Beispiel für großstadtfixierte Denkmuster einzustufende Fokussierung auf die Innenentwicklung hat zum Ziel, die im städtischen Umland ablaufenden, mit erhöhtem Flächenverbrauch und Verkehrsaufkommen verbundenen Suburbanisierungsprozesse einzudämmen. Dazu wird die Nachverdichtung der Kernstädte im Allgemeinen und ihrer Stadtkerne im Besonderen vorgeschlagen. Gedacht ist dabei offensichtlich an die austauschbar wirkenden großstädtischen cities mit ihrer weit fortgeschrittenen funktionellen und optischen Monotonie, für die der Nachverdichtungsgedanke durchaus sinnvoll und plausibel erscheint. Seine unreflektierte und undifferenzierte Übertragung auf die entsprechenden mittelstädtischen Gebiete läuft dagegen auf eine erneute und zusätzliche Bedrohung sowohl von historischen Bausubstanzen und Baustrukturen als auch von Grün- und Freiflächen hinaus, deren Existenz mehr oder weniger weitgehend auf die städtebauliche Tendenzwende zurückzuführen ist und ebenso wie die Problemlösungsstrategie der „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ positiv bewertet wird. 81 Hinzu kommen innere Bedrohungen behutsam erneuerter Bausubstanzen. So setzen sich marktinduzierte Abriss-, Umbau- und Verdrängungsprozesse hinter behutsam erneuerten Fassaden fort. Verbunden mit der Ausbreitung von Filialbetrieben und der Verdrängung traditioneller inhabergeführter Geschäfte und darüber angesiedelter Wohnnutzungen, ist es nicht nur in Hameln „mittlerweile gängige Praxis, in den Hauptgeschäftslagen Treppenhäuser und Flure zur Erschließung der Obergeschosse aufzugeben und in die Erdgeschossverkaufsfläche zu integrieren. Dahinter steht eine um ein Vielfaches höhere Mieterwartung, allerdings mit der Folge, dass die Räume in den Obergeschossen leer stehen bzw. nur noch gewerblich genutzt werden“ (Kaiser, 2009:20). Hinter einer behutsam erneuerten Fassade erstreckt sich auch die großdimensionierte Hamelner „Stadtgalerie“. Ihre Planungs- und Entwicklungsgeschichte lässt erkennen, wie stark die Stabilität des Behutsamkeitsziels von den Standort- und Investitionsentscheidungen privater Flächennutzungen abhängig ist, die den von der mittelstädtischen Angebotsplanung gesetzten Rahmen ausfüllen sollen. Können ihre Flächenansprüche nicht mehr innerhalb der erhalten gebliebenen Bausubstanzen und Baustrukturen erfüllt werden, droht deren ökonomische Entwertung aufgrund des erhöhten Investitionsdrucks und als Folge davon der erneute Übergang zu strukturauflösenden Abrissund Neubauprojekten. Zu beklagen sind darüber hinaus diverse dysfunktionale Herangehensweisen an die angestrebte behutsame Substanzerneuerung. Der Einsatz moderner, in bauphysikalischer und bauökologischer Hinsicht schädlicher Baustoffe kann ebenso nach kurzer Zeit die Sanierung sanierter Bausubstanzen notwendig machen wie der Rückgriff auf nicht angemessene Sanierungstechniken und Baukonstruktionen (vgl. für Hameln Kaiser, 2009:19, u. für Marburg Fowler, 2007b). 82 Problematisch ist auch, dass die Grundprinzipien einer behutsamen Erneuerung historischer Bausubstanzen zunehmend mit den sich verschärfenden Anforderungen an eine energetische Gebäudemodernisierung in Konflikt geraten (vgl. BMVBS, 2012b:63ff, in Verbindung mit Grunewald/Will, 2010). Dies klang bereits bei der modernen Hallenund Gebäudeisolierung auf dem Stahl- und Walzwerksgelände in Riesa an. Zu fordern ist, nach tragfähigen Kompromissen zwischen den positiv bewerteten Zielsetzungen des Denkmalschutzes und den ebenso positiv bewerteten Zielsetzungen der energetischen Sanierungsmaßnahmen zu suchen. Unter Berücksichtigung der bislang im mittelstädtischen Stadterneuerungsgeschehen gesammelten Erfahrungen ist ausdrücklich vor den dysfunktionalen Vorgehensweisen zu warnen, Altstädte mit Neubaugebieten zu verwechseln, dabei historische Bausubstanzen entsprechend den für Neubauten geltenden Standards zu bewerten, wie es vor der städtebaulichen Tendenzwende im Marburger Sanierungsgutachten, aber auch in Hameln und anderen Mittelstädten geschehen ist (vgl. für Marburg Leimbrock/Roloff, 1987b:720f in Verbindung mit 1987b:743, und für Hameln Leimbrock/Roloff, 1987a:492f ), und schließlich zu versuchen, „mit Methoden des Neubaus die Probleme des Altbaus zu lösen“ (Fichtner, 1976:15). Konzepte behutsamer Stadtkernerneuerung – Restriktionen für eine erfolgreiche Umsetzung Beim Versuch, Konzepte behutsamer Stadtkernerneuerung erfolgreich umzusetzen, wirken sich in den Mittelstädten diverse Problemlagen negativ aus. Faktoren wie der wenig differenzierte Verwaltungsaufbau, die eng begrenzten personellen Verwaltungskapazitäten, die ebenso eng begrenzten Einflussmöglichkeiten auf die privaten Standort- und Investitionsentscheidungen von Eigentümern, Investoren und Bewoh- nern und nicht zuletzt die kommunale Finanzknappheit stehen einer systematischen politisch-administrativen Steuerung des mittelstädtischen Erneuerungsprozesses entgegen. Die mittelstadtspezifischen Restriktionen begrenzen insbesondere auch die Möglichkeiten einer systematischen „Pflege“ der öffentlichen und privaten Finanzierungsquellen einschließlich einer umfassenden Beobachtung der Förderungslandschaft, der aufwändigen Beantragung von Programmförderungen sowie des effektiven Abrufs und der effektiven Verwendung finanzieller Ressourcen. Bei finanzschwachen Kommunen mit hohem Erneuerungsbedarf besteht die Gefahr, dass sie den notwendigen Eigenanteil an der staatlichen Programmförderung nicht aufbringen können. Ein herausragendes Beispiel ist hier die Mittelstadt Quedlinburg in Sachsen-Anhalt, deren mittelalterliche Altstadt mit ihrer Fachwerkhausbebauung seit 1994 zum UNESCO-Welterbe zählt. Um den Eigenanteil am Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ und an anderen Städtebauförderungsprogrammen des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt aufbringen zu können, musste Quedlinburg auch auf Mittel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und auf Überbrückungskredite zurückgreifen (vgl. Leimbrock, 1997:31; Volksstimme, 2011). Das Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ steht seit 1991 in Ostdeutschland und seit 2009 auch in Westdeutschland zur Verfügung. Es entspricht eher als viele andere Programme, deren Förderrichtlinien vorrangig auf die Situation in Großstädten oder Regionen zugeschnitten sind (vgl. Leimbrock, 1997:30f, Gerstenberg, 2008:8; Rüdiger, 2005:7), den spezifischen Entwicklungsbedingungen und Problemlagen in Mittelstädten. Auch diverse neuere Programme und Aktivitäten der überlokalen Politik lassen diese Zielrichtung erkennen. Im Zusammenhang mit der politisch-administrativen Bearbeitung der mittelstäd- tischen, ständigen Modifizierungen unterliegenden Stadtkernproblematik geht es darum, „starke Mittelstädte“ zu schaffen, die sich durch „starke Zentren“ und „aktive Zentren“ auszeichnen (vgl. BMVBS, 2010, 2011b und 2011c, in Verbindung mit Baumgart/Rüdiger, 2010; Portz, 2011). Finanzierungsprobleme und Schrumpfungsprozesse führen gerade in den Stadtkernen ostdeutscher Mittelstädte und hier schwerpunktmäßig innerhalb der überkommenen Gründerzeitquartiere zu Verfallserscheinungen und Leerständen. Zu den darauf zugeschnittenen Problemlösungsstrategien zählen innovative Zwischennutzungs- und Nachnutzungsideen wie die Wächterhäuser und das Projekt „Probewohnen“ in der sächsischen Mittelstadt Görlitz (vgl. BMVBS, 2012a:90ff ). In die „Grauzone“ zwischen Behutsamkeit und Substanzverlusten fällt das Prinzip der „grünen Lücke“ (vgl. Eberwein, 2005, in Verbindung mit Glöckner u. a., 2005:5f ) in der sächsischen Mittelstadt Plauen (Abb. 4). Deren Integriertes Stadtentwicklungskonzept (InSEK), das im Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ von 2002 mit einem 1. Preis ausgezeichnet wurde, sah für das Gründerzeitgebiet Bahnhofsvorstadt eine behutsame Stadtreparatur unter Schrumpfungsbedingungen vor. Dazu zählen Maßnahmen zur baulichen Erneuerung, zur Verkehrsberuhigung und zur Durchgrünung von Straßen und Höfen, ergänzt durch punktuelle Abrisse leerstehender und unsanierter Häuser zur Schaffung „grüner Lücken“. Mit dieser punktuellen Abkehr vom Behutsamkeitsziel verbinden sich die positiv zu bewertenden Zielvorstellungen, die Bebauungsdichte in der Bahnhofsvorstadt zu reduzieren, den Grün- und Freiflächenanteil innerhalb der gründerzeitlichen Baublocks zu erhöhen, für deren bessere Belüftung und Besonnung zu sorgen und so insgesamt zur qualitativen Aufwertung der verbliebenen Wohnstandorte beizutragen. Die Abrisse zur Schaffung 83 Abb. 4 Plauen – Prinzip der „grünen Lücke“ im Gründerzeitgebiet Bahnhofsvorstadt (Zeichnung: Stadt Plauen) „grüner Lücken“ konzentrierten sich zunächst auf öffentliches Eigentum. In welcher Form und in welchem Umfang das Prinzip der „grünen Lücke“ letztlich umgesetzt wird, hängt über die verfügbaren Finanzierungsquellen hinaus allerdings sehr stark von der Mitwirkungsbereitschaft privater Hauseigentümer ab. Fazit Bei der Betrachtung der behutsamen Stadtkernerneuerung in Mittelstädten dürfen die vielfältigen Bedrohungslinien nicht übersehen werden. 1975 hieß es in einer vom Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) ausgestrahlten Sendung über die damalige Hamelner „Kahlschlagsanierung“, die Altstadt werde „von allen Seiten angefressen“ (TVFilm über Oberweserregion, 1975). Analog dazu scheint auch das Behutsamkeitsziel mittlerweile „von allen Seiten angefressen“ zu werden. So gibt es in den mittelstädtischen Stadtkernen mehr oder weniger große, mehr oder weniger zentral gelegene Gebiete, in denen das Behutsamkeitsziel nie „angekommen“ ist. Akut blieben hier strukturauflösende Großprojekte und Orientierungen an großstädtischen Vorbildern. Erst die kommunalen Erfahrungen mit eindeutigen Fehlentscheidungen führten in diesen Fällen zu 84 Umdenkungsprozessen und zu mittelstadtgerechteren Problemlösungen in Form von „Verschlankungen“. Wie gesehen, ging es in der Vergangenheit insbesondere darum, mittelstadtgerechtere Verkehrserschließungssysteme und Großkaufhäuser mit Vollsortiment zu planen und zu verwirklichen. Auch bei den großdimensionierten Innenstadt-Malls wird zunehmend über mittelstadtgerechtere Konzepte nachgedacht. Sie sind deutlich erkennbar an der Zielvorstellung orientiert, „keine ‚Center von der Stange‘, sondern auf den jeweiligen Standort zugeschnittene Häuser“ (Neue Osnabrücker Zeitung, 2012) zu entwickeln (vgl. auch Neue Perspektiven für das Herten-Forum, 2011), um so zu verhindern, dass sich „stadtplanerischer Irrsinn“ (Immobilienunternehmer Dirk Lührmann, Osnabrück; zitiert bei Böttcher, 2009:117) verallgemeinert. Zu den herausgearbeiteten Bedrohungslinien zählen weiterhin äußere Bedrohungen behutsam erneuerter Stadtkerngebiete, innere Bedrohungen behutsam erneuerter Bausubstanzen und nicht zuletzt Restriktionen, die einer erfolgreichen Umsetzung bestehender Konzepte für eine behutsame Stadtkernerneuerung entgegenstehen. Allerdings sprechen auch nicht wenige Faktoren für die Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Behutsamkeitsziele. Gedacht ist hier etwa an die bindende Wirkung bereits getätigter öffentlicher und privater In- vestitionen in die behutsame Erneuerung der mittelstädtischen Stadtkerne und an diverse neuere Programme und Aktivitäten der überlokalen Politik, die eine eindeutige Orientierung an den spezifischen Entwicklungsbedingungen und Problemlagen der Mittelstädte erkennen lassen. Hinzu kommt die allgemein erhöhte Sensibilität gegenüber gewachsenen baulich-räumlichen Strukturen und Dimensionen. Deren Bewahrung als Resultat der städtebaulichen Tendenzwende entsprach den nicht mehr zu ignorierenden Forderungen von Bürgerinitiativen und Denkmalpflegern, erschien aber auch für die nach einer standörtlich optimierten Flächennutzung strebenden Städte, Eigentümer und Investoren im Verlauf der Bearbeitung der mittelstädtischen Stadtkernproblematik zunehmend funktionaler. Diese Gleichsinnigkeit von öffentlichen und privaten Interessenlagen ist für eine dauerhafte Verfestigung der Grundprinzipien behutsamer Stadtkernerneuerung ebenso entscheidend wie die Tatsache, dass sich die Mittelstädte mit ihren kleinteiligen, multifunktionalen und unverwechselbaren Stadtkernen als Großstadtalternative im Rahmen der interkommunalen Konkurrenz um Flächennutzungen, Kaufkraft, private Investi- tionen und öffentliche Subventionen profilieren können. Die behutsame Erneuerung der historischen Stadtkerne in Mittelstädten erscheint als erfolgreiche lokale Hauptentwicklungslinie mit Zukunftsperspektive, wenn es durch die funktionale Abstimmung öffentlicher und privater Interessenlagen und Finanzierungsquellen, gesammelter Erfahrungen sowie innovativer Ideen und Strategien gelingt, die Stabilitätslinien zu stärken und die negativen Auswirkungen der Bedrohungslinien zu reduzieren. In diese Richtung weist auch die „Freiberger Resolution zum Stadtumbau in Klein- und Mittelstädten“ der Arbeitsgemeinschaft „Die alte Stadt e. V.“ aus dem Jahr 2005. Darin werden die Forderungen aufgestellt, dass sowohl klare Prioritätensetzungen der räumlichen Planung und Entwicklung als auch Harmonisierungen der Förderungslandschaft zugunsten der traditionellen „alten Stadt“ unterhalb der Großstadtebene erfolgen sollen, denn: „Die alte Stadt ist aufgrund ihrer baugeschichtlichen Zeugnisse, ihrer Nutzungsmischung und ihrer öffentlichen Räume der bedeutendste Raum der Stadt der Zukunft, sie ist der Hauptbezugspunkt regionaler Identität“ (Arbeitsgemeinschaft „Die alte Stadt“, 2005:283). Literatur ALTROCK, Uwe (2012): Städtebau in der Bestandsentwicklung – vom Durchbruch nachmoderner Leitbilder bis zu Tendenzen hybriden Städtebaus. In: Jahrbuch Stadterneuerung 2012, S.125-146 ARBEITSGEMEINSCHAFT DIE ALTE STADT (2005): Editorial – Freiberger Resolution zum Stadtumbau in Klein- und Mittelstädten 2005: Stadtumbau ist weit mehr als „Rückbau“. In: Die alte Stadt. 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Durch die Zuständigkeit anderer Fördergeber und Ministerien als bei der klassischen Städtebauförderung – in der Regel dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt – wird die Dorferneuerung zumeist in der Stadtplanungsdebatte weniger wahrgenommen und im Vergleich zum Förderumfang der Städtebauförderung verfügt die Dorferneuerung über weitaus geringere Finanzmittel.1 Einleitend wird auf den Paradigmenwechsel bei der Dorferneuerung sowie auf die besonderen Herausforderungen und Auswirkungen der demographischen Entwicklung und die damit verknüpften notwendigen Veränderungen bei der Dorferneuerung eingegangen. Insbesondere in schrumpfenden ländlichen Regionen mit einer Zunahme leerstehender Bausubstanz und rückläufiger Infrastruktur wird im Zuge der Innenentwicklungskonzepte über Rückbaumaßnahmen diskutiert. Diese Diskussion und die Handlungsfelder sollen beispielhaft aus Untersuchungsräumen in Nordhessen sowie der Region Südwestfalen aufgezeigt werden, die im Rahmen des Förderprogramms der REGIONALEN in NRW für das Jahr 2013 den Zuschlag erhalten hat. Die Region Süd- westfalen in NRW besteht aus den Kreisen Soest, Märkischer Kreis Hochsauerlandkreis, sowie Olpe und Siegen-Wittgenstein und ist gekennzeichnet als ein durch Klein- und Mittelstädte geprägter ländlicher Raum. In den 59 Städten und Gemeinden der Region Südwestfalen leben ca. 1,42 Millionen Menschen; ein Drittel davon in Ortsteilen mit bis zu 3.000 Einwohnern (Abb.1). Erstmals in NRW werden so auch im Rahmen einer REGIONALEN die Entwicklung der ländlich strukturierten Ortsteile und deren Verbindung zu ihren Zentralgemeinden in den Klein- und Mittelstädten untersucht. Im sogenannten DenkRaum „Zukunft Dorf“ der REGIONALE Südwestfalen werden modellhafte Strategien und Handlungsweisen zur Dorfentwicklung aufgezeigt (Südwestfalen Kompass 2.0, 2010; Südwestfalen Kompass 3.0, 2011). Veränderte Planungsparadigmen in der Dorferneuerung Mit dem Themenschwerpunkt „Behutsamkeit“ beschäftigt sich das Jahrbuch erneut mit der Frage eines Paradigmenwechsels in der Stadterneuerung. In diesem Beitrag steht die Dorferneuerung im Mittelpunkt. Einleitend soll aufgezeigt werden, dass der Paradigmenwechsel in der Dorferneuerungsplanung seit den 1960er Jahren bis heute von ähnlichen Prozessen wie bei der Stadterneuerung geprägt war und die im Jahrbuch thematisierte Rückbaudebatte derzeit auch dort eine Rolle spielt. Die Anpassung des Dorfes an die fordistische Modernisierungsstrategie nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre hi89 Eine verstärkte staatliche Subventions- und Investitionspolitik in den Dörfern führte seit Anfang der 1970er Jahre zu einem Ausbau von Infrastruktureinrichtungen und vor allem zum Ausbau der Kernbereiche der neuen „Zentralgemeinden“, denen im Zuge der Eingemeindungen die Wahrnehmung zentraler Aufgaben zugewiesen wurde und auf die sich in den nächsten Jahrzehnten die Ausbaumaßnahmen in der Infrastruktur erstreckten und diese zu räumlichen Konzentrationsprozessen führten wie z. B. die Festlegung zentraler Schulstandorte, der Bau neuer Rathäuser oder die Einrichtung von Einkaufszonen. Abb. 1 Siedlungsstruktur in Südwestfalen (Quelle: Südwestfalen Agentur, 2009:15) nein führte auch zu umfangreichen Dorfsanierungsmaßnahmen, die dem Leitbild der Flächensanierung in den Städten entsprach. Planerische Eingriffe in die Struktur der Dörfer und in die Landschaft erfolgten vor allem im Rahmen der Flurbereinigung und zwecks Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität. Die so genannte „Ortsauflockerung“ nach dem Flurbereinigungsgesetz von 1953 diente vor allem der Agrarstrukturverbesserung und hatte weniger eine umfassende Ortssanierung vor Augen. Dennoch wurden die Dörfer punktuell Gegenstand von Planungsmaßnahmen: zum Beispiel die „Auflockerung“ enger Ortslagen mit dem Abriss von Gebäuden und die Aussiedlung von landwirtschaftlichen Betrieben aus den Ortslagen. Insbesondere der verkehrsgerechte Ausbau der alten Dorfstraßen mit der Führung übergeordneter Bundes- und Landesstraßen durch die Dörfer erforderte den Abriss von Gebäuden. Weitere Maßnahmen in der Dorfsanierung der 1960er und 1970er Jahre waren auf die Behebung der baulichen Mängel ausgerichtet und folgten dem städtischen Leitbild der Kahlschlagsanierung (Henkel 2012, Grube 2006). 90 Der Behebung der so genannten „Rückständigkeit“ der Dörfer und die Übertragung städtischer Leitbilder hinsichtlich der funktionalen und räumlichen „Modernisierung“ unterstützten zum Teil tiefgreifende Veränderungsprozesse. Die Übertragung funktionaler Planungsansätze und Gestaltungsvorbilder auf die Entwicklung der Dörfer führten innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten zu großen Veränderungen und einem gänzlich neuen Bild des Dorfes. Selbst der seit 1962 durchgeführte Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“, der heute unter dem Titel „Unser Dorf hat Zukunft“ firmiert, propagierte zu Beginn die Modernisierung des Dorfes im vorgenannten Sinne (Henkel 2004:303). Die kritischen Stimmen zur Stadt- und Naturzerstörung in den 1970er Jahren erreichten auch die Dörfer; zeigten sich doch hier viele irreversible Veränderungen und Nivellierungen der sehr kleinteiligen und vielfältigen Bau- und Landschaftsstrukturen. Der in den Städte aufkeimende Paradigmenwechsel hin zu erhaltenden Erneuerungsstrategien fand Eingang in die Dorfentwicklung und führte zu einer Anpassung der Planungsstrategien an einen behutsamen planerischen Umgang mit den baulichen und sozialen Strukturen der Dörfer. Im Rahmen der Dorfentwicklung sollten die je- weiligen endogenen Faktoren gestärkt und die Planung an den regionalen und lokalen Besonderheiten ansetzen. Auch die universitäre Forschung und Lehre widmete sich dem Dorf (siehe Schröteler-von Brandt/Westerheide 1991); zusätzliche Bedeutung und einen neuen Blickwinkel erhielt die Dorfentwicklung durch die Denkmalpflege. Ein neu entdecktes Interesse an der „Provinz“ zeigte sich einerseits in der Idealisierung des einfachen Lebens auf dem Lande, aber auch andererseits in einem erwachten Interesse an der Förderung einer eigenständigen Regionalentwicklung unter Einbeziehung der Bevölkerung in den Prozess der Dorfentwicklungsplanung. In den 1980er Jahren, als in der Stadt ökologisch orientierte und bewohnerorientierte Stadterneuerung auf der Tagesordnung standen, entwickelten sich auch in der Dorferneuerungsdebatte entsprechende Leitbilder. Zum einen wurde dem Thema Ökologie ein hoher Stellenwert beigemessen (z. B. Renaturierung der Flüsse, standortgerechte Pflanzungen oder Entsiegelungsmaßnahmen bis hin zum Experiment mit Binsenkläranlagen etc.). Zum anderen fanden bewohnerorientierte Planungsansätze und eine „Planung von unten“ im Dorf besonders günstige Ausgangsbedingungen vor, – wie die Überschaubarkeit in den Dörfern, die sozialen Netze und die zumeist vorhandene große Ortsgebundenheit der Bewohnerschaft. Schließlich bot das Dorf als überschaubarer Raum für integrierte Planungsansätze unter Einbeziehung der Bevölkerung und für die umfassende Abhandlung einzelner Themen (Bausubstanz, dörfliche Freiräume, Infrastruktur, Ökologie etc.) gute Voraussetzungen. Die vielfältigen Betrachtungspunkte hielten Einzug in den Kriterienkatalog für die Förderung von Dorferneuerungsmaßnahmen und wurden zu fest verankerten Anforderungen an die Entwicklungskonzepte erhoben. Der Begriff der „Ganz- heitlichen Dorferneuerung“ konnte sich auch in der Förderpraxis durchsetzen und es entwickelte sich in den letzten 20 Jahren ein sehr ausgearbeitetes, praxiserprobtes und vielfältiges Arbeitsprogramm. Insbesondere in Westdeutschland, nach der Wende aber auch in den ostdeutschen Dörfern, wurden auf der Grundlage von Dorfentwicklungskonzepten Zug um Zug zumeist kleinteilige Erneuerungsmaßnahmen durchgeführt: Insbesondere Platzgestaltungen und verkehrsberuhigte Zonen in den Dorfmitten, umfangreiche Begrünungsmaßnahmen, die Errichtung von Dorfgemeinschaftshäusern, der Erhalt von Baudenkmälern und auch zahlreiche private Investitionen in die Erhaltung des Ortsbildes konnten in dieser Phase mit verstärkten investiven Maßnahmen umgesetzt werden. Gleichzeitig rückte die Aktivierung der Dorfbevölkerung in den Mittelpunkt: So steht z. B. die Stärkung von ehrenamtlichem Engagement und Eigeninitiative in dem Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ ganz oben auf der Bewertungsliste. Förderpolitik und Planungsverfahren Die Dorferneuerung als planungspolitisches Programm einer staatlichen Interventionsund Förderpolitik besteht in Deutschland seit etwa 35 bzw. in den neuen Bundesländern seit 22 Jahren. Mitte der 1970er Jahre wurde die Dorferneuerung im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogrammes des Bundes und der Länder zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (ZIP) 1977 verankert. Die Zuständigkeit liegt in den Bundesländern in der Regel bei den Ministerien und den Ressorts für Landwirtschaft und Umwelt. Die Abwicklung der Förderprogramme erfolgt ebenso wie bei der Städtebauförderung zumeist durch die Regierungsbezirke und Kommunen. So flossen z. B. in NRW erstmals zwischen 1977 und 1980 25 Mio. DM aus dem Programm in die Kommunen; nach dessen Auslaufen muss91 ten die geweckten Erwartungen auf Fördermittel in den ländlichen Regionen weiter befriedigt werden. Neue landeseigene Förderprogramme wurden aufgelegt und eine dauerhafte Landesförderung der Dorfentwicklung ist seitdem verankert. In ca. 20 Jahren wurden bis 1997 in NRW 11.600 Fördermaßnahmen im Umfang von insgesamt 222 Mio. Euro durchgeführt (Dorfentwicklung in Nordrhein-Westfalen 1998:6). Die Dorferneuerung blickt so auch im Industrieland NRW auf eine lange Tradition zurück. Heute ist die Dorferneuerung in das NRW-Programm „Ländlicher Raum“ eingebunden – unter Einsatz von Mitteln aus dem Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER). Während in diesem Programm der Hauptanteil der Mittel in die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft und der Verbesserung der Umweltqualität fließen, sollen 10 % der Mittel in die Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum eingesetzt werden und 5 % für den Schwerpunkt LEADER, mit dem in den Regionen eigene Entwicklungsstrategien unterstützt werden und insbesondere die lokalen Aktivitäten der Körperschaft und der Akteure aus Wirtschaft, Tourismus und Naturschutz vernetzt werden sollen (NRWProgramm Ländlicher Raum 2007-2013). Grundlage für die Förderung in der Dorfentwicklung ist eine Dorfentwicklungsplanung. Insbesondere auf der Basis von „Integrierten Ländlichen Entwicklungskonzepten“ (ILEK) oder im Rahmen von LEADER erfolgt ein prioritärer Förderzugang. Die verfolgte Strategie für den ländlichen Raum beinhaltet bereits regionalplanerische Komponenten, da sich für die Integrierten Ländlichen Entwicklungskonzepte zwei bis drei Kommunen zusammenschließen müssen, um gemeinsam Planungsprozess und Beteiligungsverfahren durchzuführen. Ebenso besteht die Notwendigkeit der Zusammenarbeit bei den LEADER-Projekten. 92 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Dorferneuerung als institutionalisiertes Planungsverfahren und fester Bestandteil der Förderpolitik für ländliche Räume in den alten Bundesländern parallel zur Stadterneuerung entwickelt hat. Dabei verlief der Paradigmenwechsel im Planungsansatz entsprechend den Phasen der Stadterneuerung von der verstärkten Dorfsanierung in der (harten) Modernisierungsphase über die Phase der mittleren bis hin zur erhaltenden Dorferneuerung. Die Förderung der Dorferneuerung stellte dabei eine wichtige Grundvoraussetzung für die Entwicklung der Dörfer dar und die investiven Maßnahmen in Ortskerngestaltungen, Verbesserung von Dorfgemeinschaftshäusern und Infrastrukturen oder die Förderung erhaltenswerter Bausubstanz führten zur Aufwertung und zum Erhalt ortsbildprägender Dorfstrukturen. In der Dorfentwicklung haben sich zudem die Planungsinstrumente in den letzten Jahren verstetigt, die eine ganzheitliche Dorfentwicklung anstreben und die Themen „Bauen“, „Umwelt“ und „Soziales“ verknüpfen. Vor allem die Integration der Bewohner in den Planungsprozess und bei der Umsetzung von Maßnahmen wird in der Integrierten Dorfentwicklungsplanung planungsmethodisch durch eine systematische und breit aufgestellte Beteiligung fest verankert. Der Grundsatz des behutsamen Umgangs mit den baulichen Strukturen und die Planungsprämisse der Planung mit und für die Bewohner gilt bei der Dorferneuerung als leitendes Grundmotiv. Auswirkungen der demographischen Entwicklung in den Dörfern Die Faktoren der demographischen Entwicklung sind bekannt und der „Fahrplan“ der demographischen Entwicklung ist geschrieben: Die Auswirkungen und Folgen sind nur bedingt veränderbar. Die durch den Bevölkerungsrückgang und eine veränderte Altersstrukturzusammensetzung bestimmte demographische Entwicklung sowie zusätzliche Abwanderungsbewegungen führen in den einzelnen Regionen Deutschlands zu einer ungleichen Raumentwicklung. Die bereits vorhandene starke Schrumpfung in Ostdeutschland wird sich in den nächsten Jahrzehnten keilförmig nach Westdeutschland hineinziehen. So befinden sich beispielsweise die Region Südwestfalen sowie die angrenzenden Bereiche in Nordhessen und dem östlichen Rheinland-Pfalz in einer Übergangszone zwischen einerseits stagnierenden und schrumpfenden Bereichen und andererseits stagnierenden oder noch wachsenden Kreisen in den weiter westlich gelegenen Bereichen entlang der Verkehrsachsen. Die zukünftige Entwicklung in den Dörfern steht in engem Zusammenhang zur demographischen Entwicklung, die sich in Form von Bevölkerungsrückgang durch die anhaltend höhere Sterberate und eine Geburtenrate von nur 1,4 Geburten pro Frau und der damit immer stärkeren Reduzierung des „demographischen Nachwuchspotenzials“ zeigt. Hinzu kommt die zunehmende Alterung der Gesellschaft durch die höhere Lebenserwartung sowie in den nächsten Jahrzehnten eine Verschiebung der Altersgruppen mit einem höheren Anteil älterer Menschen als Folge der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre. Diese demographisch bedingten Faktoren werden in ländlichen Räumen verstärkt durch die Abwanderung junger Menschen in die Ballungszentren aufgrund mangelnder beruflicher Perspektiven. Als gravierende Herausforderungen für die Dörfer sind die notwendige Reduktion öffentlicher Infrastruktur, der Rückgang privater Versorgungsangebote, die Sicherstellung von Gesundheits-, Bildungs- und Kulturangeboten und die neuen Anforderungen durch die älter werdende Bevölkerung zu nennen. In der Region Südwestfalen werden die fünf Kreise zusätzlich zu ihren Bevölkerungsver- lusten von 3,9 % in den letzten zehn Jahren voraussichtlich bis 2030 auf 1,26 Mio. Einwohner schrumpfen (ca. -158.000) und damit weitere 11,2 % an Bevölkerung verlieren (IT-NRW). Neben der Abnahme der Bevölkerung erfolgt gleichzeitig eine Verschiebung innerhalb der Altersgruppen. So wird sich z. B. im Kreis Siegen-Wittgenstein 2030 der Anteil der Rentner an der Bevölkerung über 65 Jahre um ein Viertel gegenüber 2009 vergrößert haben, während der Anteil der jüngeren Menschen bis 24 Jahre hier um 28 % zurückgegangen ist. Die Stadt Bad Berleburg wird nach der Bevölkerungsvorausberechnung bis 2030 in der Altersgruppe bis 50 Jahre ein Drittel der Bevölkerung verlieren bei einem Rückgang von insgesamt 16 % (IT NRW. Zugriff 8/2012) Die Auswirkungen dieser Entwicklung werden sich in vielfältiger Form von der Schulentwicklung bis hin zum Fachkräftemangel zeigen. Folgen für den Wohnungsmarkt Besondere Auswirkungen werden durch die demographische Entwicklung und die Abwanderung aus den ländlich geprägten Bereichen für den dortigen Wohnungsmarkt erwartet. In NRW wurde Mitte 2011 ein Gutachten der Empirica AG zur Entwicklung der Wohnungsbaunachfrage in allen Kreisen des Landes veröffentlicht. Ausgehend von der Nachfrageentwicklung im Wohnungsbau wurden hier Aussagen zum demografisch bedingten Neubaubedarf sowie zum qualitativen Neubaubedarf getroffen (Abb. 2). Die demographische Entwicklung spielt bei der zukünftigen Neubaunachfrage eine große Rolle. In den schrumpfenden Kreisen Südwestfalens wird z. B. diese demographisch bedingte Neubaunachfrage durch den Rückgang der Bevölkerung, durch die schrumpfende Zahl der Haushalte sowie den geringen Anteil junger Menschen sehr niedrig sein und es kommt sogar zu demographisch bedingten Wohnungsüberhängen. Zudem wird für die Region eine hohe 93 Abb. 2 Entwicklung zwischen Neubaunachfrage und Wohnungsüberhängen in den Wohnungsmarktregionen in NRW bis 2030 (Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage von Empirica AG, 2010:67) qualitative Neubaunachfrage aufgrund der mangelnden Qualität der Altbauten und dem hohen Anteil an nicht qualitätsvollem Wohnungsbestand (z. B. hoher Modernisierungsbedarf oder schlechte energetische Ausstattung) festgestellt. Bei einer Befriedigung der qualitativ bedingten Neubaunachfrage, d. h. der Bereitstellung von Flächen für „gute“ Neubauten, und gleichzeitig einer niedrigen demographisch bedingten Neubaunachfrage produziert man gleichzeitig weitere Wohnungsüberhänge. Die qualitativ bedingten Leerstände durch hohe Energie- und Betriebskosten, schlechte Ausstattung, einen hohen Instandsetzungsgrad, unzeitgemäße Grundrisszuschnitte, niedrige Deckenhöhen, einem unattraktiven Wohnumfeld, schlechte Parzellenzuschnitte oder einer hohen Lärmbelastung und vieles mehr werden anwachsen (Abb. 3). Vor allen Dingen werden ältere Häuser in dezentralen Lagen mit hohen Betriebskosten und ungünstigem Grundrisszuschnitt sowie einem unattraktiven Wohnumfeld zum Teil kaum noch Käufer finden. Auch für die Ein- und Zweifamilienhäuser aus den 1960er und 1970er Jahren mit hö94 herem energetischen Sanierungsaufwand werden Leerstände erwartet (Abb. 4). Im Ergebnis bedeutet dies, dass in den Kreisen Südwestfalens die Nachfrageentwicklung nicht nur wegen der demographischen Entwicklung, sondern auch wegen der hohen Anteile an minderwertigen Altbauten zurückgehen wird und sich die Leerstandsquote erhöht. Bis 2030 kann hier von einem Überhang von 20 % des heutigen Wohnungsbestandes ausgegangen werden; auch im Ein- und Zweifamilienhausbau werden Wohnungsüberhänge von über 7 % erwartet. Das Gutachten der Empirica AG zeigt deutlich, welche Herausforderungen sich für die Flächenpolitik der Gemeinden ergeben: so stellt sich die Frage, in welchen Bereichen und auf welchen Flächen die Neubaunachfrage befriedigt werden kann. Die weitere Entwicklung von immer mehr Neubauflächen am Ortrand bei zunehmenden Leerständen in der Ortsmitte und in den Altbaubeständen kann planerisch nicht weiter unterstützt werden. Im Rahmen der Integrierten Dorfentwicklung muss somit auch das Thema Neubau in Bestandsbereichen Abb. 3 Problematische Ortslage (Foto: H. Schröteler-von Brandt) Abb. 4 Einfamilienhausgebiet in der Stadt Kirchen (Foto: H. Schröteler-von Brandt) berücksichtigt werden. Damit kann Abrisspolitik und gesteuerter Rückbau auch in den Dorfkernen notwendig werden, um Flächen für qualitativen und damit auch energetisch attraktiven Neubau zu schaffen. Nachbardorf entscheiden zu müssen, muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Kommt der prognostizierte Wohnungsüberhang in dieser Größenordnung zum Tragen, dann ist allerdings ein Rückbau zwecks Leerstandsbeseitigung in diesem Umfang nicht realisierbar und die Leerstandproblematik in den Dörfern ist dadurch nicht zu lösen. Zudem muss der Einsatz öffentlicher Mittel für die „Marktanpassung“ privater Wohnungsbaubestände äußerst kritisch betrachtet werden. Eine öffentliche Förderung und Planung des Rückbaus sollte und müsste sich auf wesentliche Elemente konzentrieren, die im Rahmen einer Gesamtstrategie der Stabilisierung der Räume dient und eine nachhaltige Entwicklung aufweist. Hier wird es darum gehen, Schwerpunkte zu setzen und die Ortsteile zu identifizieren, die langfristig stabilisierende Faktoren aufweisen, z. B. über vorhandene Infrastrukturen und Ausstattungen oder über ein entsprechendes privates und gemeinschaftliches Engagement der Bürgerschaft. Nur wenn die Bevölkerung entsprechende Maßnahmen mitträgt und sich mit den zu stabilisierenden Bereichen identifiziert und diese akzeptiert wird eine Planungsumsetzung auch nachhaltigen Erfolg zeigen. Insbesondere bei dem anstehenden Prozess, sich auch notfalls gegen eine Infrastrukturentwicklung im eigenen Dorf und für den Bestand im Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die städtischen Planungsstrategien auf diese Situationen einstellen und konzeptionell auf die Wechselwirkung zwischen Neubauflächennachfrage und wachsenden Leerständen reagieren müssen. Der Rückbau von Gebäuden und die Förderung des Abrisses im Rahmen von Innenentwicklungskonzepten unter Wahrung einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie für das gesamte Dorf bzw. die gesamte Kommune werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen und stellen wichtige Strategiebausteine im Umgang mit dem Leerstand dar. Auch die Notwendigkeit der Erstellung von „Regionalen Handlungskonzepten Wohnen“ für die Steuerung einer nachfragegerechten baulichen Entwicklung ist noch nicht überall erkannt worden. Neben den demographisch bedingten Faktoren spielt die Qualität des Wohnungsangebotes in den Dörfern hinsichtlich der Frage der Vermarktung und der Leerstandsentwicklung eine große Rolle. Räumliche Schwerpunkte stellen hier die Ein- und Zweifamilienhausgebiete der 1960er/1970er Jahre sowie die Ortsmitten dar. Handlungsstrategien Die folgenden Handlungsstrategien beziehen sich auf schrumpfende ländliche Räume 95 in Südwestfalen und Nordhessen. Während in Ostdeutschland hinsichtlich des Umgangs mit stark schrumpfenden ländlichen Regionen schon vielfältige Erfahrungen vorliegen, dringt die Notwendigkeit zu neuen konzeptionellen Handlungsweisen in den ländlichen Schrumpfungsregionen Westdeutschlands erst langsam ins Bewusstsein. In den ostdeutschen Kommunen wurden durchaus auf Westdeutschland übertragbare Konzepte entwickelt: Vor dem Hintergrund einer nicht nur schrumpfenden Bevölkerung, sondern auch dem dramatischen wirtschaftlichen Rückgang haben jedoch viele Planungsmaßnahmen in Ostdeutschland nicht den gewünschten strukturellen Erfolg erzielt. Es besteht die Hoffnung, dass Planungsmaßnahmen in der Region Südwestfalen eher greifen, da die Region mit geringer Arbeitslosigkeit und einem guten ökonomischen Umfeld besser aufgestellt ist. In der Region befindet sich eine bedeutende mittelständische Industrie, vor allem im Maschinenbau und in der Zuliefererindustrie für den Automobilbau. Die nachstehenden Beispiele zeigen auf, dass sich Planungsstrategien und planerische Herangehensweisen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der weiteren Ausdifferenzierung von „Lagen“ in ländlichen Räumen verändern müssen. Eine Steuerung von Schrumpfungsprozessen verlangt ein „Mehr“ an Planung sowie neue und erweiterte Kooperationsformen mit Akteuren vor Ort. Es ist ein „Mehr“ an Planung und an konzeptionellem Denken erforderlich! Es gibt unterschiedliche Strategien die demographische Entwicklung und ihre Auswirkungen in die weitere Entwicklungspolitik einer Gemeinde einzubeziehen. Da sich die demographischen Auswirkungen regional, kommunal und ortsteilbezogen sehr unterscheiden, besteht die Notwendigkeit „passgenaue“ Konzepte zu erstellen und die zu 96 erwartenden Entwicklungen auf gemeindlicher Ebene noch weiter zu differenzieren und im Rahmen einer Gesamtplanung zu thematisieren. Bislang sind die Ergebnisse aus Bevölkerungs- und Altersstrukturentwicklung und die daran anschließenden Prognosen zumeist nur für die gesamtgemeindliche Ebene vorhanden und werden nicht ortsteilbezogen abgebildet, wenngleich innerhalb des Gemeindegebietes sich der Entwicklungsverlauf sehr unterschiedlich zeigt – mit nebeneinander bestehenden schrumpfenden und wachsenden Ortsteilen. Für die Umsetzung von Dorfentwicklungskonzepten spielen in den letzten Jahren vermehrt die sich auf der Ortsteilebene zeigenden demographischen Entwicklungen eine Rolle. Da auf dieser kleinräumigen Ebene keine statistischen Prognosen vorliegen, mussten im Rahmen der Demographieforschung für ländliche Räume an der Universität Siegen andere Wege beschritten werden, um die Ausgangssituation im demographischen Wandel und die zukünftige Entwicklung beurteilen und bei der Dorfentwicklungsplanung berücksichtigen zu können. In den entsprechenden Forschungsprojekten wurden so kleinräumige Beobachtungen auf der Ortseilebene durchgeführt und ortsteilbezogen und/oder hausbezogen die Bevölkerungs- und Alterststrukturentwicklung untersucht. Auf der Grundlage von Daten zur Ausgangssituation sowie der Ortskenntnis aufgrund umfangreicher Analysen vor Ort wurde in Zusammenarbeit mit örtlichen Akteuren ein Entwicklungstrend aufgezeigt, ohne diesen als verlässliche Prognose qualifizieren zu können. Auf der Basis dieser kleinräumigen Bevölkerungsuntersuchungen werden in Verbindung mit den städtebaulichen Strukturen, den Bau- und Wohntypen, der öffentlichen und privaten Infrastruktur, den sozialen und kulturellen Netzwerken sowie der Mobilität demographiebezogene Entwicklungspotenziale als auch Entwicklungshemmnisse aufgezeigt. Nach Rückkoppelung dieser Ergebnisse in Form von Informations- und Beteiligungsprozessen vor Ort werden – eingebettet in eine gesamtstädtische Strategie – thematische und akteursbezogene Teilkonzepte entwickelt. in den Dörfern hin bewegen und andererseits den regionalen Entwicklungszusammenhang stärker herstellen – sprich vermehrt Dorf und Region zum Betrachtungsfeld machen. Fallbeispiele für integrierte Planungsansätze Die vorliegenden Untersuchungen versuchen planungsmethodische Grundlagen (Untersuchungsinstrumente und -kriterien) zu schaffen, um sowohl die Datengrundlage als auch die Handlungsfelder lokal und kleinräumig verorten zu können und damit zielorientiert kommunalen Bedürfnissen anzupassen. Wie stellen sich die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf allen Ebenen der Stadtpolitik und in den einzelnen Ortsteilen dar (Flächenressourcen, Schulpolitik, Infrastrukturausstattung etc.) und wie und mit welchen Konzepten und mit Konzeptfindungsstrategien kann hier reagiert werden? Bei einer Fokussierung auf das Planungsziel „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ muss man sich in der Gesamtstrategie dezidiert mit allen Flächenressourcen auseinander setzen und Bestandsentwicklung und maßvolle Neubauflächenentwicklung gleichermaßen beachten. Bei der Stärkung der Innenentwicklung und damit des Zusammenhalts der bestehenden Ortslagen müssen Flächenressourcen sowohl durch Arrondierungen oder Baulückenfüllungen als auch durch die Wiedernutzung von Abrissflächen geschaffen werden. Insbesondere in den schrumpfenden ländlichen Regionen können die Planungsdiskussionen zudem nicht mehr entlang herkömmlicher und altbekannter Diskurslinien verlaufen, sondern es müssen neue Kooperationsformen unter Einbeziehung der ansässigen Bürger und weiterer Institutionen entwickelt werden, da divergierende Interessenslagen, z. B. bei der Frage von Reduktion und Konzentration von Infrastruktur, auftreten werden. Die Planung muss sich in Richtung von einerseits mehr Kleinteiligkeit und „Passgenauigkeit“ auf die Erfordernisse Im Folgenden werden drei Fallbeispiele für integrierte Planungsansätze verdeutlicht.2 Auch wenn die drei Städte sehr unterschiedliche Größenordnungen hinsichtlich ihrer Einwohnerzahlen aufweisen, so ist allen gemein, dass sie sehr stark durch ihre ländlichen Ortsteile geprägt werden, in denen zwischen 40 und 70 % der Einwohnerschaft leben. Marburg In der ca. 80.000 Einwohner zählenden Stadt Marburg leben 30.000 Einwohner in den 15 dörflich strukturierten Außenstadtteilen. Seit 2002 verfolgt die Stadt vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung das planungspolitische Ziel weg vom Prinzip einer reinen Angebotsplanung hin zu einer strategischen Baulandentwicklung zu gelangen. So wurden für alle Dörfer z. B. die Potenziale im Bereich der Baulücken oder der Anteil der leerstehenden Gebäude untersucht. Im Rahmen der Baulückenuntersuchung wurden auch die städtebauliche und planerische Eignung sowie die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer bezüglich der Aktivierung der Flächen berücksichtigt. Die Untersuchung der leerstehenden Gebäude in den Außenstadtteilen (vor allem der hohe Anteil an ehemals landwirtschaftlich genutzten Bereichen) erbrachte ein Potenzial von ca. 54.000 m² Fläche – dies entspricht einem Baulandpotenzial für ca. 300 Einfamilienhäuser (Kulle 2012)(Abb. 5). Neben der Aktivierung von Baulücken, Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen sowie durch den Abriss leerstehender Gebäude erfolgt eine neue Flächenausweisung 97 nur für eine zeitnahe Ausweisung mit Vorrang für den Eigenbedarf der Dörfer (nicht für Zuzugswillige) bei Kostenneutralität für die Stadt und unter der Voraussetzung einer städtebaulichen Eignung. Dieses planerische Vorgehen wurde in entsprechenden Beschlüssen der Stadt 2005 abgesichert. 2006/2007 wurde eine Planungswerkstatt für die Aktivierung leerstehender Bausubstanz im Stadtteil Schröck durchgeführt und erste entsprechende Maßnahmen im Rahmen der Dorferneuerung umgesetzt. Das Beispiel Marburg zeigt deutlich, dass es einen längerfristigen Planungsvorlauf und einer entsprechenden planungsstrategisch orientierten politischen Beschlussfassung bedarf, um eine auf verschiedene Säulen aufbauende Bestandsentwicklung in der Praxis umsetzen zu können. Es bedarf des sprichwörtlich langen Atems in der Planungspraxis und eine immer wieder neue Fokussierung auf die eingeschlagene Zielrichtung der Innenentwicklung. Eine geplante Änderung der Dorferneuerungsrichtlinien in Hessen mit der Möglichkeit auf der Grundlage eines Gesamtkonzeptes punktuelle Förderungen vorzunehmen würde für Marburg die Weiterführung von Maßnahmen nach dem Beispiel Marburg-Schröck im gesamten Stadtgebiet ermöglichen. Schotten Im Rahmen der Überlegungen zu einer geänderten Dorferneuerungsrichtlinie wurde in Hessen in der Gemeinde Schotten ein Modellprojekt gestartet, in dem die Dorfentwicklung in Zusammenhang mit einer gesamtkommunalen Zukunftsstrategie in einem Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzept (IKEK) betrachtet werden soll. In der Gemeinde Schotten, die mit ca. 11.000 Einwohnern im strukturschwachen Bereich des Vogelsbergkreises in Hessen liegt, erfolgte eine Bearbeitung des IKEK mit über 350 engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus 15 Stadtteilen. Es wurden sowohl ortsteil98 Abb. 5 Innen- vor Außenentwicklung in den Marburger Außenstadtteilen (Quelle: Stadt Marburg, 2010) bezogene Werkstätten mit der Entwicklung von Zielen und Projektideen durchgeführt als auch Foren auf gesamtstädtischer Ebene, um die wichtigen Leit- und Starterprojekte zu ermitteln. Insbesondere die Diskussion entlang wichtiger gesamtstädtischer Überlegungen führte zu einer neuen ortsteilübergreifenden Sicht auf die zukünftigen Problemfelder und auf die Notwendigkeit gemeinsamer Handlungsfelder sowie zu einer verstärkten innerkommunalen Kommunikation und – laut Bürgermeisterin Schaab – zur Gewinnung auch bisher kommunalpolitisch nicht aktiver Bürgerinnen und Bürger. Die angestrebte Neuauflage der hessischen Dorferneuerung würde bedeuten, dass die klassische Schwerpunktförderung einzelner Dörfer aufgegeben und stattdessen auf der Grundlage eines IKEK strategische Projekte auch punktuell in allen Ortsteilen gefördert werden können. Damit besteht eine verbesserte Möglichkeit der inhaltlichen und zeitlichen Steuerung von Maßnahmen innerhalb einer Kommune. Bad Berleburg In Bad Berleburg (NRW) wird in einem integrierten Planungsprozess auf der Grundlage Abb. 6 Bad Berleburg: Planungsprozess im Regionale Projekt „Meine Heimat 2020“ (Quelle: Stadt Bad Berleburg) einer Leitbildentwicklung ein Haushaltskonsolidierungskonzept, eine Dorfentwicklungsplanung für alle Ortsteile und ein Infrastrukturkonzept unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung erstellt und damit eine umfassende Planungsstrategie verfolgt. Im Rahmen der REGIONALE 2013 Südwestfalen wird dieser Prozess als Modellprojekt „Bad Berleburg – Meine Heimat 2020“ gefördert (Abb. 6). In Bad Berleburg als flächenmäßig zweitgrößte Stadt in NRW mit 275 km² Stadtfläche und 23 Ortsteilen stellt die nachhaltige Sicherung der Versorgungsinfrastruktur die Stadt vor besondere Herausforderungen. Bei einem Bevölkerungsrückgang von 6,5 % in den Jahren 2000 bis 2010 wird bis 2030 ein weiterer Rückgang von 16 % erwartet. Eine Konsequenz aus den verschiedenen oben genannten Planungen ist z. B. die Fest- legung von Versorgungsknotenpunkten. Neben der Kernstadt als zentralem Versorgungsbereich werden Dörfer im Stadtgebiet mit Funktionen als „Versorgungsanker“ für umliegende Dörfer im Zuge der generellen Reduktion der Grund- und Nahversorgung ausgewiesen (Integrierte gesamtstädtische Dorfentwicklungsplanung, Entwurf 2012). Für verschiedene infrastrukturelle Einrichtungen werden Konzepte erstellt. So wurde bereits ein Beschluss zum Rückbau von Spielplätzen gefasst; im kommenden Jahr erfolgt der Sportstättenentwicklungsplan und ein Konzept zum Brandtschutzbedarfsplan mit der Frage der Zukunft der Feuerwehrgerätehäuser wird folgen. Als weiteres Beispiel für die Problematik der Infrastruktursicherung können auch die Friedhofskapellen genannt werden. In nahezu jedem der 23 Ortsteile mit Einwohnerzahlen von 61 bis 6.617 (2010) gibt es einen Friedhof und 99 eine Friedhofskapelle. Die Untersuchungen im Infrastrukturkonzept (für jeden Ortsteil wurde ein Infrastrukturatlas incl. der Auslastung von Einrichtungen, Trägerschaften oder Investitionsbedarf erstellt) ergaben, dass in vielen Fällen nur zwei bis drei Beerdigungen im Jahr erfolgten. Bezüglich der Aufrechterhaltung der Friedhofskapellen bei gleichzeitig hohem Instandsetzungsbedarf wird über Erhalt, Abriss oder neue Trägerschaften diskutiert werden müssen. Mit der Konzentration von Infrastruktur oder dem Rückbau erfolgt derzeit auch eine Diskussion um andere Trägerschaften und Formen der Bewirtschaftung. Diese Diskussion wird insbesondere hinsichtlich der Zukunft der Vielzahl der Dorfgemeinschaftshäuser und der Sportstätten diskutiert. Neben der Frage des Rückbaus geht es also darum, auch die Bevölkerung hinsichtlich neuer und anderer Betreiber- und Unterhaltungsmodelle der öffentlichen Infrastruktur „mitzunehmen“ (Dorfvereine, Verträge zwischen Stadt und Dorfgemeinschaft über Grünpflegemaßnahmen etc.). Als zusammenfassende Folgerung aus allen Fallbeispielen kann festgehalten werden, dass Dorferneuerungskonzepte noch stärker in gesamtstädtische Entwicklungskonzeptionen eingebettet werden müssen, in denen die demographische Entwicklung, die Flächenbedarfe und die Infrastrukturausstattung eine zentrale Rolle spielen. Dorferneuerungsmaßnahmen können so nicht mehr als Einzelfälle für die Dörfer betrachtet werden, sondern müssen mehr denn je in den Gesamtkontext der kommunalen Entwicklung eingebunden werden. Die Beschäftigung mit dem neuen Thema der Konzentration statt Ausweitung der Infrastruktur muss in engem Austausch mit der Bevölkerung erfolgen. Innerhalb der Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts in der Verwaltung und in der Politik (insbesondere bei der Vielzahl der „Politikinteressen“ in den Dörfern und der vorherrschenden 100 dorfbezogenen Sichtweise) müssen viele Ressentiments abgebaut werden. Es geht darum „Erkenntnisprozesse“ anzustoßen, die deutlich den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Gesamtstadt und den einzelnen Ortsteilen darstellen und die die Entwicklungslinien für das „Große und Ganze“ im Rahmen einer umfangreichen Beteiligung und einer Orientierung auf wichtige Leitziele darstellen. Konzentration auf Innenentwicklung: Reale Chance oder Wunschdenken? Die Strategie des behutsamen Umgangs mit Flächenressourcen (Stichwort „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“) gewinnt politisch in den untersuchten Fallbeispiele mehr und mehr an Raum und fließt in die räumlichen Konzepte (Stichwort: Flächenressourcenmanagement) ein. Denkbarrieren brechen auf; damit ist ein erster Schritt getan. Die Strategie der behutsamen Dorfinnenentwicklung gerät jedoch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in schrumpfenden Dörfern und ländlichen Regionen (auch in den alten Bundesländern) immer mehr an ihre Grenzen: nachlassende Neubautätigkeit, einbrechende Immobilienmärkte und Leerstände sowie eine geringe Kapitaldecke der privaten (und oft älteren) Eigentümer für bauliche Investitionen sind als Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Die Steuerung noch vorhandener Neubaunachfrage in bestehende Baugebiete z. B. durch Baulückenschließung und damit die Verminderung neuer Flächenausweisungen ist eine Sache. Eine andere ist insbesondere die Entwicklung der Altbaubestände und hier stellt sich vor dem Hintergrund schrumpfender Regionen zunehmend die Frage, ob bei stark nachlassender Immobiliennachfrage und wachsenden Leerstände eine auf genau diese Altbaubestände ausgerichtete Innenentwicklungsstrategie erfolgreich sein kann – vor allem in kleinen und unterversorgten Dörfern. Bei der Innenentwicklungsstrategie spielt die Bereitschaft für das Bauen in der Ortsmitte bzw. für Umbau, Umnutzung und Modernisierung von Altbauten eine zentrale Rolle. Um diese zu stärken, ist es notwendig, sich auch mit den realen Hindernissen und den Wünschen auf Seiten der Nachfrager auseinander zu setzen und diese bei den Projektentwicklungen zu berücksichtigen. Die Hemmnisse für eine Bebauung in der Dorfmitte (Dahm 2006) liegen in den gegenüber den Neubaugebieten häufig unattraktiven Standorten mit einer höheren Verkehrsbelastung, Stellplatzproblemen und einer oft engen Wohnsituation mit geringen Freiflächen. Hinzu kommen eine nicht selten gemischte Sozial- und Altersstruktur und Toleranzprobleme der alteingesessenen Bewohnerschaft in der Dorfmitte, eine schlechtere Ausstattung mit technischer Infrastruktur und eine wenig attraktive oder nicht modernisierte Bebauung in der Nachbarschaft. In den Neubaugebieten dagegen entsprechen das Wohnumfeld und die Ausstattung in größerem Maße den Ansprüchen: Die Grundstückszuschnitte sind großzügiger und das Angebot an privaten Grünflächen ist größer; auch die einheitliche Sozial- und Altersstruktur (z. B. junge Familien mit Kleinkindern) wird in Neubaugebieten als Vorteil angesehen. Wenn man die Strategie der besonderen Stärkung der Ortskerne im Rahmen einer Innenentwicklungsstrategie verfolgt, so muss man am negativen Image des Wohnens im Dorfkern ansetzen und die Auseinandersetzung mit den oft ins Feld geführten Bedenken und objektiven Einschränkungen des Bauens in der Ortsmitte führen. Eine Attraktivitätssteigerung für die Ortsmitte kann nur sowohl mit einer Verbesserung der realen Wohnsituation in der Ortsmitte als auch mit „Imagekampagnen“ für das Wohnen in der Dorfmitte einhergehen. Eine ähnliche Herangehensweise ist bei den Ein- und Zweifamilienhäuser der 1950er bis 1970er Jahre zu verfolgen (Wüstenrot Stiftung 2012). Abb. 7 Burbacher Förderprogramm „Bauen im Ortskern“ (Quelle: Gemeinde Burbach 2010) Die kleine Gemeinde Walmerod in Rheinland-Pfalz hat die Flächenausweisung an Neubauflächen seit Jahren radikal zurückgefahren und die Kampagne „Leben im Dorf – Leben mittendrin“ gestartet. Die Modernisierung von Altbauten, die Bebauung in Baulücken und auch der Abriss und Neubau von Gebäuden werden gefördert. Auch die Gemeinde Hiddenhausen (Kreis Herford) verfolgt das Konzept, den Rückgang in der Ortsmitte zu vermeiden und damit zu einer weiteren Stabilisierung des Bestandes beizutragen. Sie hat ein eigenes Förderprogramm „Jung kauft Alt“ aufgelegt, in dem mit kommunalen Mitteln der Kauf von Bestandsgebäuden durch junge Familien mit 1.500 Euro pro Jahr, bezogen auf sechs Jahre, gefördert wird. Besonders interessant ist die einmalige Förderung eines Altbaugutachtens mit Kostenschätzung, um auch für Laien den Erwerb eines Altbaus und die daran geknüpften Modernisierungskosten transparent zu machen. Die Gemeinde Burbach 101 nicht nur einen planerisch-fachlichen oder denkmalpflegerischen Hintergrund, sondern hier befindet sich in der Regel auch die „soziale Mitte“ der Dörfer mit den Angeboten von Dorfgemeinschaftshäusern oder den Dorfläden etc. sowie die sich herausbildenden Versorgungsknotenpunkte mit ihrer Geschäftsund Infrastrukturausstattung. Sie müssen daher vorrangig planerisch und fördertechnisch berücksichtigt werden. Abb. 8 Dorfentwicklung Marburg-Schröck (Foto: H. Schröteler-von Brandt) Abb. 9 Dorfentwicklung Marburg-Schröck: Testentwurf Objekt Schröcker Straße 25 (Quelle: Stadt Marburg) (Kreis Siegen-Wittgenstein) hat ein eigenes Programm zur Stärkung der Ortsmitte aufgelegt und hier einen breiten Förderkanon von Zuschüssen zum Kauf von Gebäuden im Ortskern, energetischer Sanierung bis hin zu Förderung ortstypischer Bepflanzung aufgelegt (Abb. 7). Auch die kostenfreie Erstberatung durch Burbacher Architekten wurde im Rahmen des Programms vereinbart. All diese Maßnahmen laufen als gemeindeeigene Förderprogramme, die zwar nur geringe Fördermittel zur Verfügung stellen, aber die planungspolitische Zielsetzung der Gemeinde öffentlichkeitswirksam verdeutlichen. Da die Dorfkerne eine entscheidende Rolle für die Identität der Orte spielen und in ihnen sich das baukulturelle Erbe in besonderen Maße zeigt, sind Lenkungsmaßnahmen für die Modernisierung und den qualitativen Neubau in den Ortskernen bedeutsam. Die Wertschätzung der Dorfmitte hat somit 102 Ist Rückbau im Kontext von Behutsamkeit möglich? Nimmt man die vorgenannten Bedenken der Nachfrageseite zum Bauen im Ortskern ernst und sieht zugleich die auf die Ortskerne zukommende Bevölkerungsentleerung und Leerstände, so stellt sich die Frage, ob bei der Innenentwicklung nicht auch durch strategisch begründete Abrissmaßnahmen die Basis für eine städtebauliche Aufwertung im Sinne einer Bestandssicherung gesetzt werden kann. So hat die Stadt Marburg im Rahmen ihres Gesamtkonzeptes für den Stadtteil Marburg-Schröck Testentwürfe anfertigen lassen, die sowohl Umbaubeispiele im Bestand als auch die Potenziale auf möglichen Abrissflächen zeigen, wie z. B. der Abriss einer Scheune Platz schaffen kann für eine attraktive Neubebauung im Ortskern (Abb. 8 u.9). In der Ortsmitte in WinterbergNiedersfeld kann in einer sehr engen Ortsmitte im Bereich der Kirche durch den Abriss von leer stehenden landwirtschaftlichen Gebäuden Platz für eine neue Nutzung als Dorfplatz und für eine altengerechte Wohnanlage geschaffen werden. So können einerseits private Investitionen in Neubauten auch im Ortskern realisiert werden und andererseits Platz für weitere öffentliche Einrichtungen oder für öffentliche Räume geschaffen werden (Abb. 10). Mit diesen Beispielen werden neue Wege einer „Ermöglichungsplanung durch Rückbau“ aufgezeigt. Der Umgang mit Abrissmaßnahmen im Kontext einer gesamtstädtischen Entwicklung muss als Chance gesehen und auch positiv in der öffentlichen Darstellung vertreten werden. Hier ist das Beispiel der Gemeinde Illingen aus dem Saarland zu nennen, wo im Rahmen des Projektes MELanIE (Modellvorhaben zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Innerörtliche Entwicklung) auch systematisch Abrissmaßnahmen durchgeführt wurden. Hier wird insgesamt der Schrumpfungsprozess in der Gemeinde positiv besetzt und der Bürgermeister Armin König hat das Motto „mehr Dorf für weniger Menschen“ propagiert (Abb. 11). Abb. 10 Winterberg-Niedersfeld (Quelle: Studienarbeit 2011, Uni Siegen) Gezielter Rückbau im Rahmen von Innenentwicklungskonzepten Bei der Diskussion um Rückbau im Kontext von Innenentwicklungskonzepten wird es notwendig sein, Förderkriterien zu entwickeln, die einerseits den Mitteleinsatz auf die Umsetzung nachhaltiger Gesamtprojekte konzentriert und andererseits auch die Gewährung von Rückbauförderungen an Private nur im Kontext der Gesamtentwicklung und einer räumlichen Konzentration gewährleistet (kein Gießkannenprinzip). Mit einer Änderung der Richtlinien zur Förderung einer Integrierten Ländlichen Entwicklung hat NRW 2010 auf die neuen Herausforderungen der zunehmenden Leerstände reagiert. So wurde als neuer Fördertatbestand die Beseitigung abgängiger Bausubstanz auf der Grundlage eines Dorfinnenentwicklungsplanes oder -konzeptes aufgenommen. Grundlage einer Förderung stellen Konzepte und Planungen zur Dorfinnenentwicklung in Verbindung mit einer dorfgerechten öffentlichen Gesamtmaßnahme dar. Als öffentliche Maßnahme gilt z. B. die Erhaltung ortsbildprägender Bausubstanz, die Verkehrsraumgestaltung, die Begrünungsmaßnahmen, die Einrichtung eines Dorfgemeinschaftshauses sowie die Durchführung einer Fremdenverkehrsmaßnahme. Abb. 11 Abrissmaßnahmen im Zuge des Leerstandskonzeptes der Gemeinde Illingen/Saarland (Foto: König) Für diese öffentlichen Maßnahmen kann der Gemeinde als Zuweisungsempfängerin bis zu 40 % Abrissförderung gewährt werden. Die Erstellung von Dorfinnenentwicklungskonzepten, zu denen u. a. auch die Erhebung von Baulücken, Gebäudeleerstand und absehbarem Gebäudeleerstand im Dorf gehört, kann ebenfalls gefördert werden. Bei der Erarbeitung der Dorfinnenentwicklungspläne muss die Bevölkerung „in geeigneter Weise“ beteiligt werden. Auch durch Abriss neu geschaffene Grünflächen können gestalterisch und landschaftsplanerisch in die Ortsentwicklung eingebettet werden oder neue Funktionen für gemeinschaftliche Infrastruktur, Projekte der Dorfgemeinschaft oder neue Träger übernehmen. In der Region Südwestfalen bzw. im Regierungsbezirk Arnsberg wurde noch keine Abrissförderung gewährt; allerdings wurden einige Innenentwicklungskonzepte erstellt bzw. befinden sich in der Bearbeitung. Auch 103 aus dem Ministerium NRW werden noch keine umgesetzten Beispiele vermeldet. In Teilen der Fachdebatten besteht die Idee, die Anrechnung von Abrissmaßnahmen im Rahmen einer naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung als kulturlandschaftliche Leistung zu bewerten und gegebenenfalls sogar als „handelbare Ökopunkte“ einfließen zu lassen. Auch Investitionen für die Umnutzung von land- und forstwirtschaftlichen Gebäuden für Wohnzwecke oder gewerbliche Zwecke werden weiterhin in NRW gefördert. Das Städtebauförderprogramm „Kleine Städte und Gemeinden“ (seit 2010) wird auch in den Kernbereichen der ländlich geprägten Städte und Gemeinden vermehrt genutzt. Der Abriss von Gebäuden wird derzeit nicht gefördert, wenn dort private Neubauten entstehen sollen, sondern nur für öffentliche oder touristische Zwecke. Schlussbemerkung und Ausblick Behutsame Dorferneuerung ist nach wie vor als Leitmotiv anzusehen. Vor dem Hintergrund zu erwartender Bevölkerungsverluste in schrumpfenden ländlichen Räumen muss die einzelne Dorferneuerung in den Kontext zu gesamtstädtischen und sogar regionalen Entwicklungskonzepten gestellt werden. Nachlassende Immobiliennachfrage und Leerstände bei gleichzeitig noch teilweise vorhandener Neubaunachfrage und die Sicherstellung der Infrastruktur bei notwendiger Konzentration derselben erfordern eine gesteuerte Flächen- und Infrastrukturpolitik. Behutsamkeit ist als erweiterter Begriff zu sehen – weg von dem behutsamen Umgang mit der dörflichen Bausubstanz hin zu einer behutsamen Anpassung der Dorfentwicklung an die neue Rahmenbedingung des „Schrumpfens“. Reduzierungen von Infrastrukturausstattung und Versorgungseinrichtungen müssen „behutsam“ und im Rahmen von Konzepten zur „dezentralen Konzentration“ (z. B. von Versorgungskno104 tenpunkten) erfolgen und mit der Bevölkerung intensiv kommuniziert werden. Behutsame Dorferneuerung heißt in Zukunft auch noch stärkere Orientierung an soziale Aufgabenfelder, z. B. die Anforderungen der alternden Bevölkerung an ihr räumlichsoziales Umfeld. Und schließlich kann Behutsamkeit in vermeintlicher Umkehrung des Begriffes auch Abriss bedeuten. Rückbaumaßnahmen, z. B. im den Dorfkernen im Rahmen von Konzepten zur langfristigen Standortsicherung, können so durchaus als „behutsam“ im Sinne der Gesamtentwicklung angesehen werden. Anmerkungen 1 Forschungsprojekte (Auswahl) zum Thema: SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard; SCHWALBACH, Gerrit: „Demografiekonzept für die Stadt Kirchen. Stadt Kirchen – den Auswirkungen des demografischen Wandels begegnen“, Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Kirchen und der Universität Siegen, Siegen 2009 SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard; LOTH, Christine: „Dorfentwicklungsplan für das „Kirchspiel“ Helden in Attendorn unter besonderer Berücksichtigung der demografischen Entwicklung“, Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Attendorn und der Universität Siegen, Siegen 2010 SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard; SONNEBORN, Volker: „Dorfentwicklung 2020 – Öffentliche Infrastruktur und kommunale Finanzen der Stadt Bad Berleburg“, Kooperationsprojekt zwischen der Universität Siegen und der Stadt Bad Berleburg, Beginn 2011 SCHWALBACH, Gerrit; SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard: „Untersuchung zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Entwicklung von Drolshagen und seiner Dörfer“, Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Drolshagen und der Universität Siegen, Siegen 2009 SCHWALBACH, Gerrit: „Untersuchung zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Stadtentwicklung von Biedenkopf“, Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Biedenkopf und der Universität Siegen, Siegen 2010 2 Weiterführende Informationen unter folgenden Internetadressen: www.bad-berleburg.de: „Meine Heimat 2020“, www. burbach.de: Burbacher Förderprogramm „Bauen im Ortskern“, www.marburg.de: Projekt Innenentwicklung vor Außenentwicklung in der Marburger Außenstadtteilen (2010), www.hiddenhausen.de: „Jung kauft Alt“, www.illingen.de: Stadtentwicklungs- konzept, www.suedwestfalen.com: Südwestfalen Kompass 2.0 (2010), www.suedwestfalen.com: Südwestfalen Kompass 3.0 (2011), www.umwelt.nrw.de: NRW-Programm Ländlicher Raum 2007-2013 (Stand 2011, 3. aktualisierte Auflage), www.umwelt.nrw.de: Herausforderungen und Entwicklungschancen für Dorfkerne und Ortsmitten in Nordrhein-Westfalen. Eine Hilfestellung für die Akteure vor Port, Düssel- dorf 2012, www.walmerod.de: Leben im Dorf – leben mittendrin, www4.architektur.uni-siegen.de/symposium2006: Symposium Demografischer Wandel und ländlicher Raum. Städtebauliche, soziale und ökonomische Auswirkungen. Siegen, www4.architektur. uni-siegen.de/symposium2010: Symposium Leerstände im Dorf_ weiternutzen_umnutzen_liegenlassen_abreißen. Siegen Literatur BALDAUF, Gerd (1980): Ortsplanung im ländlichen Raum. Stuttgart DAHM, Susanne (2006): Bau- und Wohnflächenreserven in kleinen Kommunen Baden-Württembergs – Innenentwicklungspotenziale vor dem Hindergrund einer sich ändernden Bevölkerungsstruktur. Karlsruhe EMPIRICA AG BERLIN (2010): Entwicklung des quantitativen und qualitativen Neubaunachfrage auf den Wohnungsmärkten in NRW bis 2030 (Erhebung im Auftrag der Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes NRW). Düsseldorf GRUBE, Joachim (2006): Lebensraum Dorf. Methoden, Inhalte und Ergebnisse der Dorferneuerung. Berlin HENKEL Gerhard (2004): Der Ländliche Raum. Studienbücher der Geographie. Berlin, Stuttgart HENKEL, Gerhard (2012): Das Dorf. Landleben in Deutschland – Gestern und Heute. Stuttgart KULLE, Reinhold (2012): Vortrag anlässlich der Fachexkursion des Zentrums für ländliche Entwicklung (ZeLE.) nach Marburg. am 20.3.2012 INSTITUT FÜR REGIONALMANAGEMENT (2012): Integrierte gesamtstädtische Dorfentwicklungsplanung Bad Berleburg (Entwurf). Essen MINISTERIUM FÜR UMWELT, LANDWIRTSCHAFTS- UND NATURSCHUTZ (Hg.) (1998): Dorfentwicklung in NordrheinWestfalen. Düsseldorf SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard; WESTERHEIDE, Rolf (Hg.) (1991): Zukunft der Dörfer. Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege „Die Alte Stadt“, Studienheft Nr. 2. Stuttgart SCHRÖTELER-VON BRANDT, Hildegard (2008): Entwicklungsstrategien im ländlichen Raum vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. 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Handlungsstrategien für eine nachhaltige Nutzung. Ludwigsburg 105 Heike Oevermann Städtische Transformationsprozesse: behutsame Gestaltung historischer Industrieareale Die Frage nach der Zukunft der Behutsamkeit steht im Kontext der Behutsamen Stadterneuerung, wie sie maßgeblich bei der IBA Berlin (1977-1987) unter Hard Walter Hämer geprägt worden ist (Durth, 2009). Hierbei sind Fragen zu Partizipation von Bewohnern an Stadtumbauprozesse gestellt, wie wichtige Antworten gefunden worden, die Eingang in die Stadtplanungspraxis gefunden haben. Ein weiterer wichtiger Ansatz zu dem Begriff der Behutsamkeit ist bei der IBA Emscher Park (1989-1999) thematisiert worden. Dort stand die Frage im Mittelpunkt, wie eine ganze altindustrielle Region ökonomisch und ökologisch erneuert werden kann, unter Einbeziehung der sozialen Herausforderungen (Sieverts,1991; Häußermann,1992; Kreibich u. a.,1994; Durth, 2009). Dabei wurde der behutsame Umbau von historischen Industriebauten und Arealen als einer von fünf Schwerpunkten thematisiert (Dahlheimer, 2008). Die Transformationen eines dieser Industrieareale, nämlich Zeche und Kokerei Zollverein in Essen, stehen auch im Mittelpunkt des folgenden Beitrags. Diese Transformationen werfen Fragen an die planerische Praxis auf, die hier die Bereiche Planung, Entwicklung, Entwurf und Schutzbemühungen umfassen. Dabei sind Konflikte zwischen unterschiedlichen Konzepten und Zielen im Umgang mit dem räumlich-baulichen Erbe zu beobachten. Diese Konzepte und Ziele unterschiedlicher Akteursgruppen, sowie deren inhärente Grundannahmen und Werte, können als Diskurse gefasst werden. Diskurse treffen demnach in der planerischen Praxis aufeinander und wirken in ihrer konflikthaltigen Konstellation in die Praxis hinein. Ent- sprechend kann die planerische Praxis von Transformationsprozessen mit dem Instrument der Diskursanalyse untersucht werden (Oevermann/Mieg, 2012). Im Kontext des DFG Forschungsprojektes „Diskursanalyse von Stadtentwicklung“ wurden die Transformationsprozesse der Zeche und Kokerei Zollverein seit der Stilllegung des Schachts 12 in den Jahren 1986 bis 2010 untersucht.1 Die Ergebnisse dieser Untersuchung liefern Ansatzpunkte für die Reflektion über eine Zukunft der Behutsamkeit. Dabei gehe ich davon aus, dass eine die unterschiedlichen Akteursgruppen und ihre Anliegen einbindende planerische Praxis nach wie vor ein wichtiger Bestandteil von Behutsamkeit ist. Ich nenne diese planerische Praxis im Folgenden auch integrativ. Daher stellt sich die Frage, welche Grundlage für eine integrative planerische Praxis bei den Transformationsprozessen gegeben ist, bzw. aufgebaut werden kann. Meine These ist erstens, dass hier sogenannte vermittelnde Werte entscheidend sind. Ein zweiter Ansatzpunkt für die Reflektion scheint zunächst ein wenig paradox. Ich werde argumentieren, dass die klare Formulierung auch widersprüchlicher Anliegen eine weitere Voraussetzung ist, um städtische Transformationsprozesse behutsam zu gestalten. Der Beitrag ist in drei Abschnitte gegliedert: erstens die vier Diskurse und das Fallbeispiel Zeche Zollverein, zweitens eine diskursanalytische Untersuchung von Zollverein (Konflikte, vermittelnde Werte, Anerkennung und Umgang mit der Diskurskonstellation) und drittens ein Fazit. 107 Vier Diskurse und das Fallbeispiel Zollverein Die räumlich-baulichen Transformationen der Zeche und Kokerei Zollverein (Abb. 1) werden von vier Diskursen geprägt – der Diskurs „Denkmalschutz-Welterbe“, der Diskurs „Stadtentwicklung“, der Diskurs „Kreativwirtschaft“ und der Diskurs „Architekturproduktion“. Dies kann anhand von Eckpunkten der Transformationsprozesse von Zollverein verdeutlicht werden. Während in den 1980er und 1990er Jahren noch diskutiert wurde, was von Zollverein einen Denkmalwert aufweist, ist die erhaltene Substanz aller Schachtstandorte und der Kokerei seit 2000 als Denkmal eingetragen. Seit 2001 sind Schacht 1/2/8, Schacht 12 und die Kokerei UNESCO Welterbe. Damit hatte der Diskurs „Denkmalschutz-Welterbe“ massgeblichen Einfluss auf die grundlegende Transformationsentscheidung gegen Abriss und für Erhalt der historischen Bauten und Technik. Gleichzeitig sind seit Anfang der 1990er Jahre künstlerische Interventionen erfolgt sowie schon 1993 eine kultur- und kreativwirtschaftliche Nachnutzung beschlossen worden (Projektgruppe Zollverein, 1993). Dabei ist mit der Zeit eine starke kreativwirtschaftliche Ausrichtung vorgenommen worden. Mit dem Aufkommen der „creative city“ (Landry, 2000) und der „creative class“ (Florida, 2002) hat der Diskurs „Kreativwirtschaft“ Eingang in die Transformationsprozesse von Zollverein gefunden. Die Nachnutzung ist früh in den Kontext der sozialen und ökonomischen Strukturdefizite des Essener Nordens gestellt worden (Ganser/Wermker,1994). Diesem soll seit jüngerer Zeit durch die Entwicklung von Zeche Zollverein als Wirtschaftsstandort begegnet werden (Stiftung Zollverein, 2009). Das Ziel spiegelt das Kernanliegen des Diskurses „Stadtentwicklung“ wider, Areale ökonomisch vorteilhaft und für die Menschen der Stadt zu entwickeln. Mehrere Pritzker108 Abb. 1 Zollverein (Foto: H. Oevermann) Preisträger der Architektur, Norman Foster, SANAA und OMA (Rem Koolhaas) haben Umbau- bzw. Neubauvorhaben auf Zollverein durchgeführt. Die Architekten haben so Ort und Bauaufgabe interpretiert und den vorgefundenen Raum in eine neue Form überführt. Nach der Eröffnung des red dot design museums (1997) und des Ruhr Museums (2010) wird nun mit dem Fachbereich Gestaltung der Folkwang Universität eine weitere öffentliche Institution mit kreativer Ausrichtung auf dem Gelände angesiedelt. Diskursanalytische Untersuchung von Zollverein Die unterschiedlichen Diskurse und ihr Aufeinandertreffen in der planerischen Praxis der Transformationsprozesse führen zu der Frage, wie die divergierenden Ziele von Denkmalschutz, Stadtentwicklung, Kreativwirtschaft und Architekturproduktion vermittelt werden können. Diese Frage nach der Vermittlung zielt gleichermaßen auf die Frage, wie die Grundlagen einer integrativen planerischen Praxis aussehen. Betrachtet man anhand der wissenschaftlichen und planerischen Literatur die vier unterschiedlichen Diskurse, wird schnell deutlich, dass jeweils unterschiedliche Rationalitäten die Diskurse prägen. Gleichzeitig kann man an Transformationsprozessen wie auf Zollverein, aber auch an anderen Orten in Europa, wie in Liverpool, in Winterthur oder in Sesto San Giovanni bei Mailand, erkennen, dass diese Diskurse gezielt für die Transformationsaufgabe altindustrieller Areale eingesetzt werden. Damit war der Ausgangspunkt der Forschung gegeben, wie eigentlich die Planer mit der konflikthaltigen Diskurskonstellation umgehen. Um dies systematisch zu untersuchen, ist auf die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse (Keller, 2007) zurückgegriffen worden. Dies ermöglicht Analysekategorien (Grundannahmen, Konzepte, Ziele und Werte) zu definieren, mit Hilfe derer sowohl der Diskurs in seiner Abbildung in der Literatur, wie das Handeln in der planerischen Praxis erfasst werden kann. Grundannahmen sind dabei die zentralen Aussagen des Diskurses, die wie ein roter Faden Konzepte, Ziele und Werte verbinden. Konzepte sind die Infrastruktur im Sinne des Foucaultschen Dispositivs, in denen sich der Diskurs institutionalisiert und realisiert. Hiermit werden die Grundaussagen, Ziele und Werte eines Diskurses in den Transformationsprozessen regulativ wirksam. Mit den Zielen wird beschrieben, was zukünftig sein soll. Ziele bestätigen Grundaussagen, Werte und Konzepte für die Zukunft. Werte sind Kategorien der Interpretation. Sie verleihen dem vorgefundenen Industrieareal seine spezifische Bedeutung – Werte definieren, was bei den Transformationsprozessen wichtig ist (vgl. Keller, 2007:64). Das Ergebnis der Untersuchung von Zollverein zeigt dann auch, dass nicht gemeinsame Ziele zur Vermittlung der Konflikte ausreichen. Die Abstimmung von Zielen ist wichtig, aber sie ist nur ein erster Schritt. Die Analyse hat gezeigt, dass erst vermittelnde Werte als Letztbegründungen jeder Entscheidung eine Grundlage für die Bearbeitung der Konflikte bieten. Damit stellen die Ergebnisse der Analyse auch planerische Praktiken in Frage, die darauf aufbauen, dass eine Zielabstimmung z. B. über Entwick- Abb. 2 Diskursanalyse schematisch (Grafik: H. Oevermann, Mieg) 109 lungsleitlinien oder Leitbilder etc. für eine Zukunft der Behutsamkeit ausreichen. Die Untersuchung der Transformationsprozesse von Zollverein wurde mit der folgend dargestellten Diskursanalyse vorgenommen (Abb. 2). Nachdem die vier schon genannten Diskurse der planerischen Praxis identifiziert worden sind, können sie entlang der Kategorien: Grundannahmen, Konzepte, Ziele und Werte beschrieben werden. Das Analyseraster aus Grundannahmen, Konzepten, Zielen und Werten der unterschiedlichen Diskurse wird zur Untersuchung der Dokumente und Pläne und zur Durchführung bzw. Auswertung der Experteninterviews genutzt. Die Ergebnisse der Dokumentenanalyse und Interviewanalyse werden im Zusammenhang der Diskurskonstellation interpretiert. Die Diskursanalyse der Transformationsprozesse von Zollverein wurde mit der Annahme durchgeführt, dass drei Konfliktlinien die Prozesse bestimmen. Diese wurden u. a. in den Experteninterviews zentral diskutiert. Die erste Konfliktlinie hat mit Kultur als Faktor der Stadtentwicklung zu tun, die zweite mit dem Steuerungsanspruch an Kreativwirtschaft und die dritte mit der Architekturproduktion: Kultur ist zunehmend anerkannt als ein Faktor der Stadtentwicklung. Dies ermöglicht, dass Denkmal- und Kulturerbeschutz als ein Teil der Kultur aktiviert wird und darüber Legitimation und Bedeutung erlangt. Gleichzeitig widerspricht der Schutzgedanke des Denkmalschutzes einem dynamischen Kulturbegriff, der Entwicklung und Veränderung beinhaltet. Kreativwirtschaft wird einerseits als Hoffnungsträger für gegenwärtige und zukünftige Stadtentwicklungsprozesse angesehen. Die Etablierung von Kreativwirtschaft und den zugehörigen Akteuren und Märkten ist andererseits aufgrund der Eigenlo110 gik kreativwirtschaftlicher Prozesse schwer plan- und steuerbar. Kreativwirtschaftliche Akteure fordern insbesondere Freiräume und freie Räume, in denen sie unbeschränkt agieren können. Im Gegensatz dazu ist der Denkmal- und Kulturerbeschutz stark mit einer administrativen und politischen Planung und Steuerung „von oben“, sowie besonderen Auflagen und Monitoringprozessen verbunden. Konflikte entstehen in den unterschiedlichen Ansprüchen an die Architekturproduktion. Während der Denkmal- und Kulturerbeschutz die authentische und unversehrte Erhaltung eines Zeugnisses anstrebt, nutzt und verändert die Kreativwirtschaft vorhandene Räume für ihre dynamischen Produktionen. Stadtentwicklung zielt hingegen auf die visuelle und symbolische Erkennbarkeit und Vermarktung besonderer Orte. Diese werden gegenwärtig meist durch Aufmerksamkeit erzeugende Eingriffe und Veränderungen der vorhandenen Bausubstanz erreicht. Architekturproduktion bedeutet dabei auch immer eine Interpretation und Neu-Gestaltung räumlicher und baulicher Substanz. Konflikte Im Folgenden werden zunächst Beispiele und Ergebnisse der Empirie zu Konflikten vorgestellt und im nächsten Abschnitt zu der Vermittlung in diesen Konflikten. Aus letzterem lassen sich dann Überlegungen zu der Zukunft der Behutsamkeit anschließen. Neben anderem können die unterschiedlichen Diskurse und ihre Konflikte durch das Aufeinandertreffen in der planerischen Praxis an der im Forschungsprojekt vorgenommenen Plananalyse erkannt werden. Die Analyse der Pläne soll u. a. darüber Auskunft geben, wie das industrielle Erbe erfasst und definiert wird – d. h. welche Bedeutung wird dem Bestand beigemessen und wie wird er für die Zukunft beschrieben. Alle drei un- Abb. 3 Erhaltungszustand architektonische Substanz (Grafik: Böll Architekten; H. Oevermann) tersuchten Pläne der Perspektive „Denkmalschutz“ weisen einen hohen Analysegrad mit Blick auf die vorhandene Substanz auf. Sie definieren das industrielle Erbe objektgenau und markieren an diesen Objekten den Erhaltungsanspruch. Damit wird das industrielle Erbe als ein materielles Zeugnis der Vergangenheit erfasst, und für seinen Erhalt nach den Werten der Authentizität und Integrität für die Zukunft definiert. Zudem werden die Grenzen des Erhaltungsanspruchs aufgezeigt, sei es als räumliche Zone (buffer zone) oder indem unterschiedliche Grade des Erhaltungsanspruchs definiert werden. Die drei untersuchten Pläne der Perspektive „Stadtentwicklung“ sind sehr unterschiedlich und greifen diverse Ziele der Stadtentwicklung auf, wie Umnutzung, Bebauungsplanung und touristische Erschließung. Das Erbe wird hier für Transformationsaufgaben genutzt und als Anziehungspunkt für etwas (zukünftig) Neues beschrieben. Die Pläne der Perspektive „Architekturproduktion“ greifen die Denkmalsubstanz als Ausgangspunkt für die Entwicklungsprozesse auf. Eine zukünftige Gestaltidee wird formuliert, die gleichzeitig das Erbe neu kontextualisieren. Regeln für Prozesse der Veränderung werden festgelegt. 111 Abb. 4 Erhaltungszustand technische Substanz (Grafik: Böll Architekten; H. Oevermann) In allen Plänen übereinstimmend wird das Ziel der Erhaltung formuliert. Die meisten Pläne weisen auch Spielräume für die Entwicklung des Areals oder der Umgebung auf. Dennoch zeigen diese Pläne auch exemplarisch die eingeführten Konfliktlinien eins und drei auf (s. o.). Dies kann erklärt werden damit, dass Erhaltung eine Gemeinsamkeit der Transformationsprozesse darstellt. Gleichzeitig ist strittig, was denn bei der Erhaltung wichtig ist, welche Werte hier grundlegend sind. Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Während der Denkmalschutz die Authentizität und Integrität in 112 den Vordergrund des Erhaltungsanspruchs stellt, sind für die Stadtentwicklung die Entwicklungsmöglichkeiten zentral, wie für die Architekten die Interpretation und Gestaltung des Bestandes. Welche Konflikte dies auslöst wird ebenso an den beiden vorangestellten Graphiken deutlich (Abb. 3 u. 4) : Die beste Erhaltung im Sinne der Authentizität und Integrität fand nicht dort statt, wo Nutzungen mit Argumenten für eine Stadt- und Regionalentwicklung begründet und auch entsprechend architektonisch umgesetzt worden sind. Beispiele sind hier insbesondere die Umnutzung der Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum (H14) und die Umnutzung des Kesselhauses (H7) zum Red Dot Design Museum. Die Konflikte, die in der Plananalyse, Dokumentenanalyse und Interviewanalyse von Zollverein deutlich werden, können unter vier Aspekten zusammengefasst werden. Diese machen auch deutlich, wie differenziert mögliche Planungsentscheidungen diskutiert werden müssen: (1) Museale Nutzungen sind nur dann denkmalverträglich, wenn sie sich auf den Ort beziehen und die dort stattgefundene Industriegeschichte vermitteln. Museen, die darüber hinaus andere Exponate ausstellen und weitere Themen vermitteln wollen, brauchen freie Räume und erfordern oft hohe raumklimatische Standards. Beides ist in den historischen Industrieanlagen, wie sie auf Zollverein zu finden sind, nicht gegeben und erfordert massgeblich Eingriffe in die authentische Substanz. (2) Kreative und kreativwirtschaftliche Nutzungen sind dann weniger konfliktreich, wenn die Akteure den Ort bzw. die Auseinandersetzung mit dem Ort in ihre Arbeit und deren Ziele und Werte einbinden. Dafür scheint es wichtig, dass sie sich konkret mit dem Ort und seiner historischen Gestalt auseinandersetzen und seine räumliche Qualität und Einzigartigkeit schätzen. Meist sind planungsbezogene Prozesse auch für Akteure der Kreativwirtschaft hilfreich, wenn sie auf gemeinsamen Kommunikations- und Handlungsstrukturen basieren, die Gestaltungsspielräume aufweisen. (3) Eine Neucodierung der Areale ist wichtig. Neue Codierungen verleihen dem industriellen Erbe neue Bedeutungen, die in Wechselwirkung neue Nutzungen ermöglichen. Gleichzeitig entsteht eine Zugänglichkeit des industriellen Erbes. Diese unterstützt eine breitere Wertschätzung des Ortes und bildet die ersten Schritte, das ehemals geschlossene Betriebsgelände in einen Teil der Stadt zu verwandeln. In diesem Zusammenhang muss an die Leistungen der IBA Em- scher Park erinnert werden, die einen massgebliche Neucodierung unter dem Begriff der Industriekultur (Höber/ Ganser, 1999) ermöglicht haben. (4) Die Erhaltung und eine Entwicklung von Zollverein sind als Ziel allgemein anerkannt. Jedoch sind die dazugehörigen Konzepte, Grundannahmen und Werte je Diskurs unterschiedlich. Dies führt einerseits zu Anpassungsleistungen innerhalb der Diskurse (vgl. Oevermann/ Mieg, 2012) und andererseits zu Konflikten innerhalb der Diskurskonstellation. Diese Erkenntnisse zeigen für das Fallbeispiel Zollverein konkrete Ansätze für eine Zukunft der Behutsamkeit auf. Im folgenden Abschnitt wird das gedankliche Verfahren umgedreht und versucht zwei Verallgemeinerungen für die Zukunft der Behutsamkeit herauszuarbeiten, die auf einzelnen Ergebnissen der diskusanalytischen Untersuchung von Zollverein basieren. Behutsamkeit 1: Vermittelnde Werte Deutlich wurde, dass die Bearbeitung der Transformationsaufgabe auf Zollverein nicht nur Konflikte aufweist, sondern auch eine Ebene der Vermittlung zwischen diesen Konflikten enthält. Da ich davon ausgehe, dass die Konflikte auf unterschiedlichen Werten und den damit verbundenen Grundannahmen basieren, basiert entsprechend die Vermittlung der Konflikte auf vermittelnden Werten. Diese vermittelnden Werte sind empirisch für Zollverein herausgearbeitet worden. Bei der Analyse wurden folgende Werte untersucht, die hier der Übersicht halber in Gruppierungen gefasst worden sind: • Authentizität / Integrität / Reversibilität der Maßnahmen / Erhaltung • geschichtlicher Prozess / immaterielles Erbe / Kontinuität • Wissen / Zugänglichkeit • Eigenart / Einzigartigkeit • Erscheinungsbild / Identität / Identifikation 113 • architektonische-stadtbauliche Qualität / Planungsanspruch • flexible Räume / neue Nutzungen • Gestaltung / Innovation / Kreativität • Veränderung-Entwicklung / Visionen / wirtschaftliche Dynamik • Adressenbildung / Standort • Aufmerksamkeit erzeugen / Image / landmark • Atmosphäre / Inszenierung • Diversität / soziale Lebendigkeit / Nachhaltigkeit • Urbanität/ Orte für Netzwerke / Besuchswert • suchender Prozess / Sensibilität • Abenteuer / Individualität / Temporalität / Aneigung / Neuheit Die Zukunft der Behutsamkeit könnte man nun ausschließlich durch die Ergebnisse zu dem Wert „Behutsamkeit“ bzw. entsprechend der Forschung dem Wert „Sensibilität“ reflektieren. Die Ergebnisse der Analyse zu diesem Wert bestätigen eine mittelmäßige Relevanz dieses Wertes bei den Transformationsprozessen von Zollverein. Damit wird die Aktualität der Frage nach einer Zukunft, wie sie in diesem Buch übergreifend gestellt wurde, deutlich. Um aber weitergehende Ansätze zu der Zukunft der Behutsamkeit zu finden, werden im Folgenden die eingangs getroffenen Thesen zu der Bedeutung von vermittelnden Werten, wie zu der Einforderung und Einbindung konfligierender Werte, vertieft. Bei der Untersuchung der Transformationsprozesse von Zollverein konnten vermittelnde Werte herausgefiltert werden. Beispielhaft wird das Einzelergebnis aus der Dokumentenanalyse über die fünf wichtigsten vermittelnden Werte (ausgenommen die schon thematisierte Erhaltung und Entwicklung) gezeigt werden (Abb. 5). Neben den Werten „Erhaltung“ und „Entwicklung“, die gleichzeitig Ziele der Transformationsprozesse darstellen, sind die Werte „Zugänglichkeit“, „architektonische Qualität“, „Gestal114 tung“, „neue Nutzungen“ und „Einzigartigkeit/ Eigenart“ hier als vermittelnde Werte erkennbar. Dies, da sie in den Dokumenten mind. drei Perspektiven signifikant vertreten sind. Nimmt man weitere Daten und die Interviewaussagen hinzu, ergibt sich ergänzend das folgende Bild: Vermittelnde Werte zeigen einen Ansatz für die Zukunft der Behutsamkeit auf. Sie ermöglichen die integrative Bearbeitung städtischer Transformationen, gerade unter Einbeziehung unterschiedlicher Akteursgruppen und ihrer konfligierenden Anliegen. Gleichzeitig wird bei der Analyse von Zollverein deutlich, dass die wichtigsten vermittelnden Werte fast alle Veränderung implizieren. Die Implikationen dieser Erkenntnis werden im Folgenden vertieft. Behutsamkeit 2: Anerkennung und Umgang mit der Diskurskonstellation Ein zweiter Ansatz zu der Zukunft der Behutsamkeit kann aus der Betrachtung des nicht vermittelbaren Wertes „Authentizität“ gewonnen werden. Authentizität verstehen die Experten unterschiedlich: Die erste Gruppe zielt im Fall von Zollverein bei der Verwendung des Begriffs „Authentizität“ auf die Erhaltung grundlegender Eigenschaften der Architektur. Konkret bedeutet das die Wahrung der Silhouette und der architektonischen Strukturen. Das sind die Hauptlinien, an denen sich städtebauliche Entwicklung orientiert. Die zweite Gruppe betont die enge Verbindung von Authentizität und baulicher und technischer Substanz und leitet daraus eine weitestgehende Bewahrung der historischen Substanz ab. Eine andere Aussage betont die Verbindung zu den Orten, „wo sie den Staub noch spüren und sehen“, und wo auch die Arbeitskultur, d. h. das immaterielle Erbe, bewahrt wird. Andere Aussagen beziehen sich eher auf die Veränderungen. Demnach ist Authentizität immer ganz aktuell: „das was jetzt ist, ist authentisch, und das was gestern war, lässt sich nicht konservieren“. Oder es wird der Abb. 5 Dokumentenanalyse: vermittelnde Werte pro Perspektive (Grafik: H. Oevermann) Anspruch formuliert, den Ort zu respektieren, aber auch weitere Dinge hinzufügen, um „zukünftige Authentizität“ entstehen zu lassen. Eine Aussage verbindet Authentizität mit der Einzigartigkeit des Ortes. Drei Experten aus drei Perspektiven stimmen darin überein, dass Authentizität seit der Stilllegung durch den Bruch zwischen vergangener Nutzung und neuer Konzeption des Areals verloren gegangen ist. Zwei Experten beziehen Authentizität auf eine soziale Dimension. Authentisch „ist das Ruhrgebiet, wir sind authentisch“. Zudem spielt Authentizität eine bedeutende Rolle bei der Kohärenz von Arbeit und Privatem. Beide Experten sind/ waren Nutzer auf Zollverein. (Oevermann, 2013:173) Die unterschiedlichen Verständnisse von Authentizität sind durch die Rückbindung an die unterschiedlichen Diskurse begründet. Erkennbar wird, dass der authentische Erhalt, so wie ihn Denkmalpflege und Denk- malschutz vertreten, mehr oder weniger im Widerspruch zu den anderen Verständnissen steht. Letztere implizieren, wie schon die vermittelnden Werte, mehr oder weniger Veränderung. Damit können auch starke Eingriffe in die authentische historische Substanz verbunden sein, die im Falle Zollvereins auch realisiert worden sind. In dem Kontext der Überlegungen im vorherigen Abschnitt über die Zukunft der Behutsamkeit könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Konflikte über eine authentische Erhaltung des Denkmals vermieden werden sollten, indem dieser Wert in der Diskurskonstellation keine Umsetzung findet. Es also um eine Konfliktvermeidung durch Ausschluss nicht vermittelbarere Werte geht. Meine Argumentation zielt auf das Gegenteil. Gerade nicht vermittelbare Werte, die die Kernanliegen eines Diskurses substantiell verkörpern, müssen innerhalb der Diskurskonstellation klar formuliert und ein115 gefordert werden. Das bedeutet natürlich auch, dass der Wert Authentizität im Sinne des Denkmalschutzes als ein wichtiger Wert bei den Transformationsprozessen den anderen Beteiligten vermittelt werden muss. Aus einem Experteninterview wurde ein Ansatz deutlich, wie dies gelingen könnte: „Und damit haben sie natürlich noch mal ein Pfund in der Hand, nämlich die Tradition und auch das Wissen, das Know-how im Umgang mit diesen Anlagen. Ich wette, dass ganz andere Planungen heraus kommen, wenn sie im Vorfeld zusammen mit einem Architekten und einem ehemaligen Koker, der früher dort gearbeitet hat, über die Anlage gehen, oder wenn der Architekt sich alleine ein Bild macht und Umnutzungspläne entwickelt. Das, was da an Wissen vermittelt wird, an Bedeutung und Sensibilität für eine derartige Anlage, das kann gewinnbringend sein – auch für weitere Nutzungen. Deshalb ist es natürlich auch wichtig, die Anlagen zu erforschen, zu wissen mit was man da umgeht. Denn ich habe nicht nur die bauliche Hülle: ich habe die Maschinen und gleichzeitig auch die Arbeiter und deren Arbeit, die immateriell immer noch vorhanden sind. Das alles mitzudenken, kann eigentlich nur zu richtig guten Ergebnissen führen.“ (Interview Pfeiffer 2010) flikte innerhalb der Diskurskonstellation durch konfligierende Werte begründet und konnten entsprechend durch vermittelnde Werte bearbeitet werden. Vermittelnde Werte sind daher ein Ansatzpunkt für die Zukunft der Behutsamkeit in der Planung. Aber sie sind nicht ausreichend. Am spezifischen Fallbeispiel von Zollverein wurde deutlich, dass substantielle Werte eines Diskurses – des Diskurses „Denkmalschutz-Welterbe“ – nicht ohne weiteres vermittelbare Werte darstellen, sondern konfligierende Werte. Für eine Zukunft der Behutsamkeit spielt deren Integration in die Diskurskonstellation dennoch eine große Rolle, da ansonsten der Denkmalschutz im Sinne einer authentischen Erhaltung für Planungsergebnisse irrelevant wird. Wichtig ist daher eine aktive Vermittlung des Wertes der Authentizität (Echtheit). Gleiches gilt für die Integrität (Unversehrtheit) der historischen Substanz, der hier nicht weiter ausgeführt wurde. Diese Einforderung des Kernanliegens des Denkmalschutzes im Fallbeispiel bedeutet „unbequeme“ (Huse, 1997) Werte in die ohnehin komplizierte Planungsaufgabe hineinzutragen. Dies führt zu Konflikten. Diese möchte ich als Normalfall der planerischen Praxis von Transformationen verstehen. Denn die Konflikte spiegeln das Aufeinandertreffen unterschiedlicher diskursiver Bedeutungssystemen wieder. Fazit Die Diskursanalyse der Transformationsprozesse von Zollverein ermöglicht eine systematische und differenzierte Untersuchung der Diskurskonstellation bei komplexen Planungsaufgaben, sowie deren regulative Wirkungen für die baulichen Ergebnisse. Im Falle von Zollverein bestand die Diskurskonstellation aus dem Diskurs „DenkmalschutzWelterbe“, dem Diskurs „Stadtentwicklung“, dem Diskurs „Kreativwirtschaft“ und dem Diskurs „Architekturproduktion“. In der Analyse der Pläne, der schriftlichen Dokumente und Experteninterviews wurden die Kon116 Diese Unterschiedlichkeit ernst zu nehmen, nicht nur vermittelnde Werte herauszuarbeiten, sondern sich zudem sachlich mit konfligierenden Werten auseinanderzusetzen, darin besteht ein zweiter Ansatz der Zukunft der Behutsamkeit. Er setzt voraus, dass wir unsere Gesellschaft als eine offene, struktur-differenzierte Gesellschaft (Luhmann, 1987) anerkennen – d. h. als eine Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Teilgruppen besteht, die in einem dynamischen Verhältnis zueinander stehen. Die planerische Praxis darf diesen gesellschaftlichen Teilgruppen und ihren Dynamiken nicht ausweichen, wenn sie sich be- hutsam, im Sinne von integrativ, versteht. Die Zukunft der Behutsamkeit erfordert daher nicht nur die Herausarbeitung vermittelnder Werte, sondern auch die Auseinandersetzung und Integration unbequemer Werte, die von Planern geleistet werden muss. Anmerkung 1 Das DFG Forschungsprojekt (2011-2013) am Georg Simmel Zentrum für Metropolenforschung der Hum- boldt Universität Berlin wird geleitet von Prof. Harald A. Mieg und bearbeitet von Dr. Heike Oevermann. Kooperationspartner ist Prof. Johannes Cramer von der TU Berlin. Untersuchte Fallbeispiele sind neben Zollverein das Sulzer Areal Stadtmitte in Winterthur, das Liverpooler Hafenareal und das ehemalige Falckareal in Sesto San Giovanni. Die hier vorgestellten Ergebnisse beruhen auf der Dissertation: „Über den Umgang mit dem industriellen Erbe. Eine diskursanalytische Untersuchung der städtischen Transformationsprozesse der Zeche Zollverein“ der Autorin, die von 2008-2012 erfolgte (Oevermann 2013). Literatur DAHLHEIMER, Achim (2008): Grundsätze. In: Thomas Urban (Hg.): Visionen für das Ruhrgebiet. IBA Emscher Park: Konzepte, Projekte, Dokumentationen. Essen DURTH, Werner (2009): Von den Anfängen bis in die Gegenwart. In: Sally Below, Moritz Henning und Heike Oevermann (Hg.): Die Berliner Bauausstellungen - Wegweiser in die Zukunft. Berlin, S.15–23. FLORIDA, Richard (2002): The rise of the creative class. New York GANSER, Karl; WERMKER Klaus (1994): Industrielandschaft und Identität. In: Garten und Landschaft (7), S.29–34. HÄUßERMANN, Hartmut (Hg.) 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Für viele Kommunen könnte dieses Leitbild angesichts abnehmender Fördermittelkulissen, geringer werdender finanziellen Spielräume und schrumpfenden Sozialkapitals vielleicht neue Perspektiven aufzeigen. Der Beitrag untersucht an zwei ausgewählten Modellstädten der IBA-Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010, ob sich innerhalb oder außerhalb des IBA-Prozesses Ansatzpunkte für einen behutsamen Stadtumbau erkennen lassen. An ausgewählten Beispielen werden hemmende und fördernde Faktoren aufgezeigt und ein Ausblick auf ein neues Arbeitsverständnis der Planer gegeben. Die Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung Schaut man sich die im März 1983 vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossenen zwölf Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung an, so sind viele der Grundsätze hoch aktuell. Sie sind für moderne Stadtumbau- oder Stadterneuerungsmaßnahmen inzwischen ein Standard und umfassend anerkannt. So orientiert sich die Erneuerung der Gebiete an den vorhandenen Bewohnerinnen und Bewohnern, deren Lebenssituation zu verbessern ist. Ein wesentliches Ziel ist es, im Zuge von Stadterneuerungsmaß- nahmen die Eigenart der Gebiete zu erhalten und sie zugleich zu profilieren. Es findet eine schrittweise Erneuerungsstrategie Anwendung, dabei ist die Prozessqualität genauso wichtig wie die Bauqualität von Gebäuden oder Freiräumen. Neben dem Gebäudebestand sollen auch der öffentliche Raum und die öffentlichen Einrichtungen bedarfsgerecht angepasst und entwickelt werden. Die Entscheidungsprozesse sind offen und transparent auszugestalten, dazu gehört auch eine intensive Beteiligung der Bewohner mit praktischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Auch die Forderung nach einem festen Finanzrahmen und das Experimentieren mit neuen Trägerschaftsformen stehen heute noch auf der Agenda. Bei der Befassung mit den Grundsätzen fällt aber auch auf, dass zwei aus heutiger Sicht für die Stadtumbau- und Stadterneuerungspraxis wesentliche Facetten damals (noch) keine Rolle spielten: 1. In den Grundsätzen werden die Eigentümer von Grundstücken und Gebäuden überhaut nicht erwähnt. Dies hat sicherlich mit der damaligen Situation in Berlin zu tun, wo die Kommune in Vorbereitung auf die geplante Kahlschlagsanierung die Grundstücke bereits aufgekauft hatte und so über das Eigentum verfügen konnte. 2. Es fällt auch auf, dass Fragen des effektiven Mitteleinsatzes und der Nachhaltigkeit der angestoßenen Maßnahmen (laufende Folgekosten) vor 30 Jahren kein Thema waren. Veränderte Rahmenbedingungen beim Stadtumbau Mit Hilfe von geförderten Stadterneuerungsmaßnahmen soll die Substanzschwäche 119 oder die Strukturschwäche eines Gebietes behoben werden, die Grundstücke werden nach der Durchführung der Maßnahmen wieder dem „normalen“ Immobilienkreislauf zugeführt. Die Rahmenbedingungen des Stadtumbaus werden von deutlich anderen Prämissen geprägt: • Hohe Leerstände und eine geringe Nachfrage sind typisch, es gibt häufig zu viel Raum für zu wenige Menschen. Es geht also um eine Anpassung des Gebäudebestandes an eine veränderte Nachfrage, die durch demographische und wirtschaftliche Veränderungen entsteht. • Aktivere Bewohnerschichten haben die Schrumpfungsgebiete bereits verlassen bzw. sind dabei, sie zu verlassen. Damit fehlt eine wichtige endogene Ressource für die Erneuerung der Gebiete. • Renditeerwartungen aus der Immobilienbewirtschaftung treten in den Hintergrund, häufig geht es stattdessen um die Reduzierung von Kosten und Verlusten. Damit sind ökonomische Triebkräfte anders zu bewerten. • Die Kommunen sind gefordert, die auf Grund der abnehmenden Einwohnerzahlen tendenziell weniger werdenden öffentlichen Mittel durch eine intelligente Finanzierung aus privatwirtschaftlichen Investitionen und öffentlichen Unterstützungen sicherzustellen. Die hier nur grob umrissenen Rahmenbedingungen haben natürlich Auswirkungen auf die Verfahren der Steuerung und der Umsetzung von Stadtumbaumaßnahmen. Es ist festzustellen, dass kooperative Verfahren bestimmend sind. Die Kommunalverwaltungen können in der Regel die Stadtumbaumaßnahmen nur im Konsens mit den Marktakteuren (hier den Hauseigentümern oder den Stadtwerken) durchsetzen. Zivilgesellschaftliche Akteure werden wichtiger, es kommt zu einem veränderten „Handlungsdreieck“ zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. (Abb. 1) Die Planung muss sich also ein verändertes Rollenverständnis zu eigen machen, sie ist als Partner der Marktakteure und der Zivilgesellschaft gefragt und muss die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (fehlende Renditeerwartung, geringe öffentliche Mittel) bei ihrem planerischen Handeln beachten. Kriterien der Behutsamkeit von Stadtumbaumaßnahmen Strukturelle Leerstände im Wohnungs- und Gewerbereich lassen Planung und Kommunalpolitik eher an die Abrissbirne denn an Behutsamkeit denken. An dieser Stelle soll jedoch ausdrücklich auch bei Stadtumbaumaßnahmen für eine neue Art der Behutsamkeit plädiert werden. Damit können die Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung aufgehoben und weiterentwickelt werden. Die Frage ist, was sind die Kriterien für die hier diskutierte Behutsamkeit? Integrierte Planungsverfahren Abb. 1 Handlungsdreieck 120 Planung unter Schrumpfungsbedingungen vollzieht sich als diskursiver Prozess, der alle „klassischen“ Phasen (Planung, Umsetzung, Rückkopplung) umfassen muss. Beteiligungsverfahren sind dabei ein immanenter Bestandteil des Planungsprozesses, eine „Beteiligung“ der betroffenen Bürger im Sinne der Akzeptenzförderung oder der Konsensbeschaffung ist nicht mehr zeitgemäß. Zielgruppenorientierung Als Zielgruppe sind neben den Quartiersbewohnern gleichberechtigt neue Zielgruppen anzusprechen, die einen Beitrag zur Stabilisierung der Gebiete leisten können. Diese hier als „Raumpioniere“ bezeichneten Akteure bedürfen spezieller Unterstützungsstrukturen. Geschichtsbezug Auch wenn Stadtumbaugebiete oftmals großen strukturellen Veränderungen unterworfen sind, sollten sie ihre bisherige Geschichte nicht verleugnen. Insofern ist die Erhaltung von wichtigen baulichen Zeugnissen oder Spuren bisheriger Nutzungen als Teil der Stadtidentität zu beachten. Stärkung der Innenstädte Es ist zumindest in der Fachwelt Konsens, dass der Stadtumbau einen Beitrag zur Stärkung von Innenstadtlagen leisten muss. Dies kann eine Konzentration wichtiger Stadtfunktionen, eine gestalterische Aufwertung bislang vernachlässigter Stadtquartiere oder gar eine bauliche Verdichtung sein. Damit leisten die Innenstädte einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung der Bewohner mit ihrer Stadt. sten auch die Kosten der Nutzungsphase in den Fokus genommen werden. Dabei kann es sein, dass höhere Investitionen in der Herstellungsphase langfristig zu geringeren Kosten in der Nutzungsphase führen. Hier ist ein neues Verständnis bei der Bewertung des Einsatzes öffentlicher Mitteln nötig. Anhand der sechs hier kurz skizzierten Kriterien für einen behutsamen Stadtumbau sollen im Folgenden zwei Projektbeispiele der Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 untersucht werden. Die IBA 2010 verstand sich als Labor für den Wandel in Sachsen-Anhalt und hat im Jahr 2010 eine beachtenswerte Präsentation von 19 Beispielstädten vorgelegt. Ausgewählt wurden die Städte Staßfurt und Dessau-Roßlau, in denen der Autor zeitweise planerisch tätig war und somit einen zum Teil sehr detaillierten Einblick in die Planungsprozesse und Akteurskonstellationen gewinnen konnte. Zwei Jahre nach Abschluss der IBA erfolgte in jeder Stadt eine gemeinsame Begehung mit Akteuren, die einen „Alltagsblick“ haben, nicht aus der Verwaltung stammen und beruflich keiner planenden Profession nachgehen. IBA-Projekt Staßfurt – Aufheben der Mitte Umgang mit Rückbauflächen Zentrale Frage ist, wie mit früher bebauten und im Zuge von Abrissmaßnahmen frei gewordenen Flächen umgegangen wird. Es entsteht ein neuer Typ an städtischen Freiräumen und die Gestaltung und Nutzung dieser Flächen kann positive Impulse für die Gesamtentwicklung der Stadt leisten. Ressourcen Ein wesentlicher Punkt ist ein effizienter Einsatz von öffentlichen Mitteln. Dabei müssen angesichts der knapper werdenden öffentlichen Mittel neben den Herstellungsko- Ein großräumiger Kaliabbau unter dem Bereich der historischen Altstadt in den letzten 100 Jahren führte zu weitreichenden Bergsenkungen, in deren Folge das Rathaus, das Schloss, die Kirche und viele Bürgerhäuser rund um den Marktplatz aus statischen Gründen abgerissen werden mussten. Viele zentrale Funktionen (Verwaltung, Kirche, Schulen etc.) befinden sich heute neben der Altstadt in den nördlich und östlich angrenzenden Stadtteilen Leopoldshall oder Alt-Staßfurt. Nach dem Ende des Bergbaus erfolgte eine Flutung der Schächte, der Zentralbereich der Bergsenkung lag unterhalb des Grundwasserstandes und vernässte zunehmend. 121 im Süden angrenzenden Benneckenschen Hofes (Abb. 2). Es kam während der IBA-Laufzeit zu keiner Neuansiedlung von zentrenrelevanten Funktionen, sondern zu weiteren Verlagerungen aus der Altstadt. Besonders zu erwähnen ist die Verlagerung der Bibliothek in das Plattenbaugebiet Staßfurt-Nord. Abb. 2 Zur Umsetzung gekommener Plan zur Aufhebung der Mitte (Quelle: www.iba-stadtumbau.de Zugriff am: 25.01.2013) Im Rahmen der IBA Stadtumbau haben im Frühjahr 2004 zwölf Planerteams in einer einwöchigen, öffentlich sehr intensiv kommunizierten Planungswerkstatt Planungsvorschläge für den Umgang mit den Folgen der beschriebenen Schrumpfungsprozesse erarbeitet. Der damals ausgezeichnete erste Preisträger, an dem der Autor beteiligt war, orientierte in seinem Kern auf eine strukturelle Stärkung der zentralen Bewegungsachse zwischen den drei aneinander grenzenden Stadtteilen Alt-Staßfurt, Altstadt und Leopoldshall. Am sogenannten „Band der Salzkristalle“ sollten alle im Zuge des Stadtumbaus in andere Stadtteile zu verlagernden, zentrumsrelevanten Funktionen angesiedelt werden und damit die Innenstadt langfristig gestärkt werden. Dieser Vorschlag wurde jedoch im weiteren Projektablauf nicht weiter verfolgt, stattdessen konzentrierte man sich im Wesentlichen auf die Neugestaltung des Seebereiches und des 122 Bei der Neugestaltung des Seebereiches sind vielfältige historische Spuren aufgegriffen worden, so wurde der alte Kirchengrundriss nachgezeichnet und die Bergsenkung an einer besonders betroffenen Straße sichtbar markiert. Die Weiterführung dieser Straße in Form einer Fußgängerbrücke über den neuen See ist allerdings sehr fragwürdig. Die ein Jahr nach Abschluss der IBA im Jahr 2011 errichtete Brücke kostete ca. 450.000 Euro. Der öffentliche Raum ist insgesamt sehr ambitioniert und mit hochwertigen (und teuren) Materialien gestaltet und lädt zum Spazieren ein, die Benutzer verbleiben jedoch notgedrungen eher in einer Konsumentenhaltung (Abb. 3). Es fällt sehr negativ auf, dass viele Häuser an den neu gestalteten Bereichen ruinös sind und komplett leer stehen. Offenbar besteht hier immer noch die Hoffnung, dass eine gestalterische Aufwertung des öffentlichen Raumes automatisch zu einer erhöhten Investitionsbereitschaft der Eigentümer führt. Es ist nach Auffassung des Autors jedoch eher davon auszugehen, dass es angesichts der prognostizierten Einwohnerentwicklung für diese Gebäude keine Nachfrage geben wird und sie als akut gefährdet einzuschätzen sind (Abb. 4). Eine weitere bauliche Entleerung der Altstadt ist sehr wahrscheinlich. Die neue Freiraumgestaltung hat leider nicht zu einer funktionellen Verdichtung der Altstadt geführt. Viele Gestaltmotive erinnern eher an eine Landesgartenschau und sind sehr pflegeintensiv und damit teuer. Besucht man die Altstadt von Staßfurt so fällt auf, dass es der Stadt offensichtlich schwer fällt, den im Rahmen der IBA hergestellten Standard durch regelmäßige Pflege und Wartung zu sichern. Es sind Spuren von Vandalismus zu sehen, Jugendliche nutzen den Seebereich in den Abendstunden als Treffpunkt. Diese Nutzergruppe spielte bei den Planungen allerdings keine Rolle und es gibt folglich auch keine räumlichen Angebote für Jugendliche. Von einer gezielten Beteiligung dieser Nutzergruppe ist nichts bekannt, eine wichtiges Potential der Belebung liegt damit nach wie vor brach. Abb. 3 Spazierraum Neue Mitte mit neuer „Seebrücke“ (Foto: H. Schmidt) IBA- Projekt Dessau-Roßlau – Urbane Kerne und landschaftliche Zonen Die Stadt Dessau-Roßlau verfolgt eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite sollen die innerstädtischen Bereiche funktionell und gestalterisch aufgewertet werden, auf der anderen Seite entsteht durch einen konzentrierten Abriss von Wohngebäuden und Gewerbebrachen ein zusammenhängender Landschaftszug. Die Stärkung der Innenstadt konzentrierte sich im IBA-Zeitraum auf das Quartier Wallstraße. Hier hat die Stadt ein seit der Wende leer stehendes denkmalgeschütztes Gebäude aus den 1920er Jahren erworben und zum Sport- und Kurshaus für das benachbarte Gymnasium umgebaut. In Sichtweite dazu entstand in einem alten Theatergebäude eine Kleinkunstbühne für Schauspiel und Puppentheater des Anhaltischen Theaters. Ergänzt wurde diese konzentrierte Intervention durch die Neuschaffung eines verbindenden öffentlichen Platzes nach dem Abriss eines Wohngebäudes aus den 1960er Jahren. Ergänzende Investitionen erfolgten in der Nachbarschaft durch die kommunale Wohnungsgesellschaft und eine örtliche Genossenschaft in der Nachbarschaft. Der Landschaftszug entsteht schrittweise und fast zeitgleich an unterschiedlichen Bereichen, wobei großen Wert auf den Erhalt Abb. 4 Der öffentliche Raum ist erneuert – der Leerstand bleibt (Foto: H. Schmidt) ausgewählter baulicher Zeugnisse der Vornutzung gelegt wurde. Ein alter Schornstein der Molkerei ist heute Artenschutzturm, der Alte Räucherturm vom ANDES-Gelände ein Aussichtsturm (Abb. 5). In unmittelbarer Nachbarschaft des Aussichtsturms hat die Stadt im IBA-Prozess ihre ursprüngliche Planung grundsätzlich verändert. Ursprünglich war hier ein Abriss von lange leer stehenden Hallen geplant, nachdem jedoch ein Verein junger Skatboard- und BMX-Fahrer ein Interesse an zwei benachbarten Hallen signalisierte, hat die Stadt die vorgesehenen Abrissmittel in die Ertüchtigung des Objektes investiert und dem Verein in einen langfristigen Pachtvertrag die Verantwortung für die Halle übertragen. Der Verein als neuer Raumpionier hat die Halle inzwischen in eigener Regie ausgebaut, sie ist heute ein wichtiger Bestandteil der örtlichen Jugendkultur (Abb. 6). Auf den Abrissflächen wird eine an die örtlichen Bodenverhältnisse angepasste, arten123 Abb. 6 Skatehalle und Alter Räucherturm (Foto: H. Schmidt) Resümee und Ausblick Ein Vergleich der beiden, hier nur kurz darzustellenden Beispiele aus der IBA-Stadtumbau anhand der oben diskutierten Kriterien zeigt das nachfolgende Bild (vgl. Tab.). Abb. 5 Plan vom künftigen Landschaftszug in Dessau (Quelle: Stadt Dessau 2006) reiche Saatgutmischung eingebracht, die von der Hochschule Anhalt entwickelt und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit regelmäßig beobachtet wird. Einige Wege, Eichengruppen und Baumreihen gliedern die Flächen. Die Herstellungskosten für die Flächen sind etwas teurer als die übliche Rasenansaat, sie sind jedoch in der Pflege weniger aufwendig und müssen nur ein- bis zweimal im Jahr mit landwirtschaftlicher Technik gemäht werden. Der Landschaftszug wurde quasi von der Pflege her entwickelt, er erinnert eher an die freie Landschaft und weniger an einen Stadtpark. Sicherlich ist das Erscheinungsbild gerade in der Etablierungsphase der Pflanzen etwas ungewohnt, seine Gestaltung orientiert sich am langfristig Leistbaren. Ergänzende Pflegepatenschaften von Bürgern oder Initiativen haben da funktioniert, wo sie bestehende Interessenlagen aus der Nachbarschaft aufgreifen konnten. 124 Was bedeutet der behutsame Stadtumbau für die Planungs- und Umsetzungspraxis? Zunächst geht es darum, integrierte Handelskonzepte aufzustellen, diese regelmäßig fortzuschreiben und vor allem ressortübergreifend abzustimmen. Obwohl vielerorts abgerissen werden muss, ist ein Mehr an Planung und Abstimmung notwendig. Die mit der Schrumpfung verbundenen planerischen Unsicherheiten dürfen nicht ausgespart werden, sondern sind an die Akteure offensiv zu kommunizieren. Wichtig ist das Setzen nachvollziehbarer Prioritäten, wobei die Innenstadt sowohl funktionell als auch gestalterisch eine Stärkung erfahren sollte. Nur so kann die Schrumpfung eine positive Wirkung entfalten. Stadtumbau bedeutet das Leben mit Übergangszuständen und Halbfertigem, es gibt neben einer gestalterischen Aufgabe auch die Notwendigkeit, einen Prozess der Planung, Beteiligung und Umsetzung zu gestalten. Und es gibt neue Akteurskonstellationen und Rollen zu berücksichtigen, etwa bei Eigentümern oder zivilgesellschaftlichen Akteuren. Die öffentliche Hand ist zukünftig immer mehr als Ermöglicher und Unterstüt- Kriterium Staßfurt Dessau Verfahren / Umsetzung Diskurs in Planung, dann Eventisierung dialogische Planung & Umsetzung Zielgruppe Bewohner als Konsument Bewohner & Raumpioniere Geschichtsbezug vorhanden vorhanden Innenstadt funktionelle Entleerung funktionelle Verdichtung Landschaftstyp Typ „Landesgartenschau“ pflegeextensive Wiesen & Eichengruppen Ressourceneinsatz sehr aufwendig sparsamer Mitteleinsatz Tab. Vergleich von Staßfurt und Dessau zer, denn als allwissende Planungsinstitution gefragt. Ganz wichtig ist eine offene und transparente Vermittlung des Stadtumbauprozesses, damit aus Betroffenen vielleicht Mitwirkende und später Mitmacher oder auch Mitentscheider werden. Vor dem Hintergrund schrumpfender Einwohnerzahlen und damit verringerter Finanzmittel sind die knapper werdenden öffentlichen Gelder sinnvoll und effizient einzusetzen. Die Her- stellungs- und Bewirtschaftungskosten sind als Einheit zu betrachten, was bedeutet, dass bei Neugestaltungen immer auch gleich die künftigen Nutzungs- und Pflegekosten mit einzublenden sind. Zuletzt sei noch anzumerken, dass der Stadtumbau eine zutiefst kulturelle Aufgabe ist und dass gerade in Gebieten mit stark zu reduzierender Bebauung Spuren der Vornutzung als Erinnerungspunkte verbleiben sollten. 125 Eric M. Tenz Soziale Behutsamkeit in der Stadterneuerung – eine Illusion? Eine kritische Analyse der lokalpolitischen Partizipation, der Umsiedlungen und der Sozialplanung im Kontext des Programms Stadtumbau Ost Der Abriss von Wohnungen steht seit knapp zehn Jahren weit oben auf der Agenda der Stadterneuerungspolitik in Deutschland. Seither wurden im Zuge von Bundes- und Länderprogrammen – vorrangig des Städtebauförderungsprogramms Stadtumbau Ost – allein in Ostdeutschland etwa 285.000 Wohnungen abgerissen (BMVBS, 2010:23). Schätzungen zufolge mussten deshalb mindestens 100.000 Haushalte (BMVBS/BBSR, 2009:30) ihre Wohnungen verlassen. Mit dem Programm Stadtumbau Ost kehrten zwei Themen – Wohnungsabriss und Umsiedlung der betroffenen Bewohner – in die politischen und wissenschaftlichen Debatten zurück, die seit der Hinwendung zur Strategie der Behutsamen Stadterneuerung in den frühen 1980er Jahren weitgehend verschwunden waren. Stadtumbau Ost zu erörtern und die Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen gegenüber den Idealen der Zwölf Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung darzustellen. Einerseits wird damit das Ziel verfolgt, offene Fragen im Stadtumbau-Diskurs zu thematisieren; andererseits versucht der Text damit kritisch zu hinterfragen, ob Behutsamkeit tatsächlich (noch) als das gängige Paradigma der Stadterneuerungspolitik und der Stadtplanung gelten kann. Vor dem Hintergrund dieser Kehrtwende und ihrer enormen gesellschaftspolitischen Brisanz stellt sich die Frage, wie es um die Behutsamkeit im Kontext des Programms Stadtumbau Ost – und damit der Stadterneuerungspolitik der Gegenwart – bestellt ist. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die soziale Dimension der Behutsamkeit in der Stadterneuerung und analysiert zwei Facetten davon: die partizipativen Standards der lokalpolitischen Entscheidungsprozesse sowie die Arrangements der Umsiedlungen und der Sozialplanung. Als analytischer Rahmen für die Untersuchung der Sozialen Behutsamkeit dienen insbesondere jene Standards, die in den Zwölf Grundsätzen der Behutsamen Stadterneuerung formuliert wurden (vgl. Schilling, 2002:195). Im Zentrum des nachfolgenden Texts steht die Analyse der Wahrnehmungen, Motivationen und Handlungen der politisch-administrativen und wohnungswirtschaftlichen Eliten auf der lokalen Ebene sowie die spezifischen institutionellen Kontexte, in die diese Handlungen eingebettet sind. In anderen Worten ausgedrückt geht es darum, die fördernde und/oder hemmende Wirkung bestimmter Handlungen und/oder Strukturen in Bezug auf die Soziale Behutsamkeit im Kontext des Programms Stadtumbau Ost zu untersuchen. Das Hauptinteresse dieser Studie gilt demnach der Responsivität des politisch-administrativen Systems und seiner wohnungswirtschaftlichen Partner; eine detaillierte Analyse des Verhaltens der Bürgerinnen und Bürgern im Kontext des Stadtumbau Ost wird in diesem Text nicht geleistet. Der Untersuchung zugrunde liegt ein relationales Verständnis der Beziehung von structure and agency (Jessop, 2001; Hay, 2002): Struktur (bzw. Kontext) wird als strategically selective context konzeptualisiert, agency (bzw. Handlung) als strategic action. Das Ziel des Artikels ist es, die Soziale Behutsamkeit im Kontext des Programms In methodischer Hinsicht beruht der nachfolgende Text auf drei Bausteinen: der Aus127 wertung wissenschaftlicher Literatur, einer umfassenden Dokumentenanalyse und der Darstellung der Ergebnisse einer qualitativen vergleichenden Fallstudie zum Stadtumbau Ost, die der Autor dieses Textes in den Städten Greifswald und Stralsund durchgeführt hat (Tenz, 2009). Die Analyse der Dokumente bezieht sich in erster Linie auf jene Texte, die vom Bund, den ostdeutschen Ländern und den am Programm beteiligten Kommunen herausgegeben wurden. Zum Begriff Soziale Behutsamkeit Soziale Behutsamkeit lässt sich als eine spezifische Facette des umfassenderen Begriffs „Behutsamkeit“ begreifen. Sie lässt sich einerseits negativ beschreiben, d. h. in Abgrenzung zum Ansatz der physischen Behutsamkeit, der den Erhalt bzw. die sensible Weiterentwicklung bestehender Bausubstanz in den Vordergrund stellt. Dieses Verständnis scheint die gegenwärtigen Diskussionen rund um das Thema Stadterneuerung bzw. Städtebauförderung zu dominieren. Soziale Behutsamkeit lässt sich jedoch auch positiv definieren, und zwar im Sinne von Sozialverträglichkeit. Greift man auf die Zwölf Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung zurück, die im Zuge der Internationalen Bauausstellung 1984 (Altbau-IBA) in Berlin entwickelt wurden, lassen sich analytisch zwei Dimensionen voneinander unterscheiden, die den Kern der Sozialen Behutsamkeit ausmachen: die Arrangements der lokalpolitischen Partizipation auf der einen sowie der Umsiedlungen und der Sozialplanung auf der anderen Seite. Diese beiden Facetten sollen in diesem Kapitel näher erörtert und als analytischer Rahmen für die weitere Untersuchung konzeptualisiert werden. 128 Partizipation in lokalpolitischen Entscheidungsprozessen Der Begriff Partizipation bezieht sich auf die Beteiligung von Bürgern in (lokal-)politischen Entscheidungsprozessen. Partizipation umfasst sowohl die Teilnahme am Prozess der politischen Meinungsbildung als auch die Beteiligung an der politischen Entscheidung mit dem Ziel, „Sach- und Personalentscheidungen (...) zu beeinflussen“ (Vetter, 2008:12). Partizipative Ansätze in der Stadterneuerung sind in Ergänzung zu den Formen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung der repräsentativen Demokratie zu sehen. Die Zwölf Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung enthalten konkrete Vorstellungen darüber, wie der politische Prozess der Stadterneuerung in partizipativer Hinsicht ausgestaltet werden soll. Zu den Forderungen gehören u. a., dass die „Erneuerung (...) mit den jetzigen Bewohnern und Gewerbetreibenden geplant“ (1. Grundsatz) und „stufenweise geschehen“ (5. Grundsatz) soll. Zudem sollen die „Beteiligungsrechte (...) der Betroffenen (...) geregelt“ (8. Grundsatz) sowie „Entscheidungen (...) offen gefunden und möglichst vor Ort diskutiert werden. Die Betroffenenvertretung ist zu stärken.“ (9. Grundsatz). Die oben genannten Grundsätze drehen sich im Kern um die Frage, wie politische Entscheidungsprozesse im Kontext der Stadterneuerung geregelt und Betroffene eingebunden werden sollen. Sie definieren einerseits die Zielgruppe der Maßnahmen, den zeitlichen und räumlichen Horizont der Stadterneuerung sowie die Notwendigkeit, Stadterneuerungskonzepte im Rahmen inhaltlich offener Verfahren zu entwickeln. Zudem umschreiben sie die Art und Weise, wie die politische Arena ausgestaltet sein soll – und zwar hinsichtlich der einzubeziehenden Akteure und der Gestaltung lokaler Machtverhältnisse: es wird gefordert, den Bürge- rinnen und Bürgern bzw. der einzurichtenden Betroffenenvertretung einen zentralen Stellenwert im politischen Prozess einzuräumen und politischen Einfluss zuzugestehen. Diese Forderungen lassen sich in verschiedene theoretische Zusammenhänge einbetten. Die Literatur zu den Theorien politischer Partizipation zeigt, dass sich ganz unterschiedlich Ansätze als Partizipation begreifen lassen. So unterschied Arnstein (1969) in ihrem Konzept einer Ladder of Citizen Participation analytisch drei Kategorien der Beteiligung an (lokal-)politischen Entscheidungsprozessen voneinander. Diese fasste sie begrifflich als non-participation (NichtPartizipation), degrees of tokenism (Stufen der Alibipolitik) und degrees of citizen power (Stufen tatsächlicher Macht). Normativ legte Arnstein zudem citizen power als das Ideal fest, das mittels Partizipation angestrebt werden sollte. Für sie galten Beschwichtigung (placation), Konsultation (consultation) und Information (information) als Stufen der Alibipolitik. Anzustreben waren aus ihrer Sicht Formen der Kooperation (partnership), der Delegation von Macht (delegation of power) und der Kontrolle durch Bürger (citizen control). Die Diskussionen über politische Partizipation in Planungs- bzw. Stadterneuerungsprozessen weisen z. T. erheblich Schnittmengen mit anderen Debatten auf. Zu diesen gehören insbesondere die Debatten um urban governance (Stoker, 1998; Pierre, 1999; Heinelt, 2004), community power (Dahl, 2005), aber auch demokratietheoretische Ansätze wie z. B. das Konzept der deliberativen Politik (Habermas, 1999). Den genannten Konzepten ist gemein, dass sie sich im Kern um Fragen der sozialen Konstruktion von Macht, der Verteilung politischer Macht, der (ungleichen) Repräsentation verschiedener Gruppen im politischen Entscheidungsprozess (Vetter, 2008), der Meinungs- und Willensbildung (einschließlich des Zugangs zu Informationen), der Rechenschaftspflicht und Legitimation politischer Entscheidungsverfahren, aber auch der Bindungswirkung der Entscheidungen drehen. Sie thematisieren den Kern von Politik, den Hay (2002:3) in der „distribution, exercise, and consequences of power“ sieht. Die Konzepte setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte: die Debatte um urban governance dreht sich v. a. um Formen institutionalisierter Kooperation von öffentlichen und privaten Akteuren im Kontext der (lokal-)politischen Steuerung und die soziale Produktion von Macht; die community power debate dreht sich um die Frage, wer auf lokaler Ebene über politische Macht verfügt; und deliberative Politik steht für einen „radikaldemokratischen“ (Habermas, 1999:283) Ansatz der politischen Meinungsund Willensbildung im Rahmen rationaler und diskursiver Verfahren, die in Ergänzung zur repräsentativen Demokratie stehen. Für die nachfolgende Untersuchung der Arrangements der lokalpolitischen Partizipation lassen sich aus den oben angerissenen Diskussionen folgende Aspekte ableiten: Die Qualität der Partizipation bemisst sich v. a. danach, inwieweit ungleiche Machtverhältnisse vermieden, Betroffene im politischen Prozess repräsentiert und an der politischen Meinungsbildung und Lösungsfindung beteiligt werden. Umsiedlung und Sozialplanung Die Arrangements der Umsiedlung und der Sozialplanung werden als zweiter Aspekt zur Beurteilung der Sozialen Behutsamkeit in der Stadterneuerung herangezogen. Da ein erzwungener Umzug einen erheblichen Eingriff in das Leben darstellt, ist dessen Regelung sowie die Frage nach der materiellen Kompensation für die Betroffenen von substanzieller Bedeutung. Mehrere Studien verweisen darauf, dass erzwungene Umzüge, aber auch eine durch 129 den Eigentümer forcierte Wohnungsmodernisierung mit erheblichen sozialen Veränderungen, finanziellen Belastungen, physischem Aufwand sowie psychischem Stress und familiären Belastungen verbunden sein kann. So hält die Studie Stadtumbau unter Schrumpfungsbedingungen von Kabisch u. a. (2004:165) fest: „Ein Umzug ist immer mit physischer Arbeit, emotionalen Anstrengungen und finanziellen Kosten verbunden. Er verlangt (...) eine Veränderung der alltäglichen Lebensführung. Wege ändern sich, Freunde wohnen in anderer Entfernung, Unterstützungsnetzwerke müssen neu aufgebaut werden, gewohnte Einrichtungen stehen nicht mehr zur Verfügung. Ist die Miete in der neuen Wohnung höher, sind Einsparungen im Haushaltsbudget zu kalkulieren. (...) Ein Teil der Mieter empfindet den von ‚außen’ angeordneten Abriss als Zerstörung des privaten Lebenszusammenhangs und kann ihm nur Wut und Bitterkeit entgegenbringen.“ Eine andere Fallstudie von Breckner (1993) über eine Wohnungsmodernisierung im Sanierungsgebiet Berlin-Moabit in den 1980er Jahren macht deutlich, dass enorme familiäre und psychische Belastungen auftreten können, wenn rechtlich-materielle Arrangements unzureichend, die individuellen Fähigkeiten der Mieter begrenzt und die Kommunikationsstrukturen zwischen Vermieter, Mieter und Verwaltung mangelhaft sind. Und ein Gutachten zur Umsiedlung von Dorfbewohnern im Kontext des Braunkohletagebaus in Nordrhein-Westfalen konstatiert: „Ohne Frage greift der Zwang zu einer (…) Umsiedlung in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ein. Die Betroffenen werden genötigt, ihren Wohnsitz aufzugeben (…). Umsiedlung ist ein mühsamer Prozeß, der für einen längeren Zeitraum körperliche, geistige und emotionale Anstrengungen erfordert und viel Zeit kostet.“ Das Problem verschärft sich, wenn es die ökonomischen Interessen Dritter sowie externe Planungsverfahren oder innerbetriebliche Abläufe 130 sind, die die Umsiedlung und die Zeitpläne bestimmten (Zlonicky u. a., 1999:11). Geht man davon aus, dass ein erzwungener Umzug aus einer für den Abriss vorgesehenen Wohnung nicht per se sozialunverträglich ist – beispielsweise, weil „ein breiter politischer Konsens auch bei den unmittelbar Betroffenen besteht“ (Zlonicky u. a., 1990:I,57) –, stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben sich soziale Behutsamkeit definieren lässt. Die Zwölf Grundsätze der Behutsamen Stadterneuerung beantworten diese Frage, indem sie Forderungen enthalten, dass „(...) materielle Rechte der Betroffenen bei der Sozialplanung (...) geregelt werden“ (8. Grundsatz), „technische und soziale Planungen (...) Hand in Hand gehen“ (2. Grundsatz), die „Eigenart [der Stadterneuerungsgebiete] (...) erhalten [und] Vertrauen und Zuversicht in den gefährdeten Stadteilen (...) wieder geweckt werden“ (3. Grundsatz) sollen. Auf diese Weise sollen mittel- bis langfristige Perspektiven (12. Grundsatz) – und damit eine Zukunft im Stadtteil – für die betroffenen Bewohner und Gewerbetreibenden geschaffen werden. Zudem sollen „Planer sowie Bewohner und Gewerbetreibende (...) in Zielen und Erneuerungsmaßnahmen übereinstimmen“ (2. Grundsatz). Erst die Berücksichtigung dieser Aspekte würde es erlauben, von sozialer Behutsamkeit zu sprechen. Die Antwort der Autoren bzw. Autorinnen des Gutachtens zu Umsiedlung und Sozialverträglichkeit im Kontext des Braunkohletagebaus in Nordrhein-Westfalen geht in eine ähnlich Richtung (Zlonicky u. a., 1999:10): Sie argumentieren, dass „Selbstbestimmung“, „Solidarität“ und „politische Gestaltung“ den Kern sozialverträglicher Planung ausmachen. Selbstbestimmung meint, dass den Betroffenen „größtmöglicher Spielraum für die selbstbestimmte Gestaltung“ des Prozesses eingeräumt werden soll (Zlonicky u. a., 1999:11). Das umfasst einerseits die Möglichkeit zur politischen Partizipation, andererseits die Chance, sich als Gruppe zu formieren, Informationen auszutauschen, zu beraten und ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Im genannten Gutachten (Zlonicky u. a., 1999:11) wird zudem „aktivierende Beratung vor[geschlagen], bei der die Beratung zu den Umsiedlerinnen und Umsiedlern kommt, Probleme erkennt, bevor sie zu großen Belastungen werden, und zu einer aktiven Interessenvertretung und gemeinschaftlichen Verantwortung anregt.“ Der Begriff Solidarität bezieht sich „auf die gemeinschaftliche Betroffenheit und die Problembewältigung in der Gemeinschaft“ (Zlonicky u. a., 1999:11). Politische Gestaltung meint, dass nicht nur die Nutznießer (z. B. Energie- oder Wohnungsunternehmen) aufgefordert sind, sich zu engagieren. Vielmehr sind auch die politisch Verantwortlichen auf Landes- und kommunaler Ebene in der Pflicht, sich konstruktiv einzubringen und Planung als politischen Prozess zu sehen, in dem verschiedene Akteure und Interessen zu berücksichtigen sind. Für Zlonicky u. a. (1999:10) heißt das auch: „Bei ungleichen Machtverhältnissen (…) ist es die Aufgabe rechtsstaatlichen Handelns, die Bürger in ihren Rechten zu stärken.“ Auf eine konkretere Ebene heruntergebrochen bemisst sich Soziale Behutsamkeit im Kontext einer Umsiedlung in Folge eines Wohnungsabrisses nicht zuletzt nach den institutionellen Regelungen, die den Umzug von Bewohnern/-innen aus Sanierungsund Abrissgebäuden betreffen. Zu solchen Regelungen zählen u. a.: die Gewährung von Umzugsbeihilfen, die Bereitstellung von Ersatzwohnungen, die Beschränkung des Mietpreises (bzw. Mietpreisbindungen) sowie Entschädigungszahlungen für den Umzug. Zu beachten ist zudem, wer für die jeweiligen materiellen Aspekte die Verantwortung trägt (z. B. Kommunalbehörden oder Wohnungsunternehmen) und wie die Vereinbarungen ausgehandelt (individuell oder für alle Betroffenen gemeinsam) und später vertraglich fixiert und rechtsverbind- lich werden (z. B. als Räumungs- und Entschädigungsvereinbarung zwischen Mietern und Vermietern oder als kommunaler Sozial- und Härteausgleichsplan). Ein weiterer, eng mit den vorherigen Punkten verbundener Aspekt ist die Frage, wie sich die Handlungsspielräume der Mieter strukturell entwickeln (z. B. im Kontext des Mietrechts) und in welchem Maß die Interessen der Mieter im (lokal-)politischen Prozess berücksichtigt werden – insbesondere im Vergleich zu den Haus- und Wohnungseigentümern. Die Entwicklung der Mietverhältnisse ist nicht zuletzt deshalb relevant, weil der Wohnungsabriss in Ostdeutschland nahezu ausschließlich die Bewohner von Mietwohnungen betrifft. Dem Deutschen Mieterbund (2012) zufolge sind für Mieter insbesondere folgende Themen von Belang: die Kosten für die Wohnung (Miete und Betriebskosten), der Mieterschutz (u. a. Schutz vor Kündigung und ungerechtfertigter Mieterhöhung, Wohnsicherheit durch langfristige Mietverträge) und die Information über die weitere Entwicklung der Wohnung und der Wohnviertel seitens der Vermieter bzw. der Städte und Gemeinden (Verkauf der Wohnung, Planung von Sanierung/Einrichtung von Sanierungsgebieten). Materielle Arrangements haben v. a. dann Relevanz, wenn sie an formale Verfahren gebunden sind und damit verbindliche Rechte begründen, die einforderbar bzw. einklagbar sind. Gegenwärtig scheint jedoch eher der Grad der Informalisierung zu steigen (Ehrbeck, 2006), die sich u. a. ausdrückt in „eine[r] rückläufige[n] Bereitschaft in Politik und Planung, das rechtliche Instrumentarium anzuwenden bzw. auszunutzen“ (Priebs, 1999:251). Damit entfallen nicht nur (bestimmte) verbindliche Vorgaben des BauGB zu den Planungsverfahren; es wird auch darauf verzichtet, einen verbindlichen Kanon an Rechten und Pflichten für alle Betroffenen bzw. am Planungsprozess Beteiligten 131 (Kommunen, Eigentümer, Mieter, Pächter, etc.) festzuschreiben. Zusammenfassend ist für die weitere Analyse festzuhalten, dass im Kontext von Umsiedlung und Sozialplanung die Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen und deren Belange umfassend zu regeln sind, um von sozialer Behutsamkeit bzw. Sozialverträglichkeit sprechen zu können. Zu regeln sind einerseits Fragen des Verfahrens (u. a. ob mit allen Betroffenen als Gruppe oder individuell verhandelt wird und es aktive Unterstützung seitens der Behörden gibt), andererseits Aspekte der materiellen Kompensation (u. a. finanzielle Entschädigungen oder Umzugsbeihilfen) und der formalrechtlichen Handlungsspielräume der Betroffenen (u. a. die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten). Das Programm Stadtumbau Ost: Ziele und institutionelle Regelungen Das Programm Stadtumbau Ost wurde von der Bundesregierung und den Regierungen der ostdeutschen Länder im Jahr 2002 eingeführt. Offizielles Ziel des Programms ist es, die ostdeutschen Wohnungsmärkte zu stabilisieren und Wohnungseigentümer, die durch Leerstände in finanzielle Bedrängnis gekommen sind, wirtschaftlich zu unterstützen (BMVBS/BBR, 2008a; Expertenkommission, 2000). Zudem sollen ausgewählte (Wohn-)Quartiere und Stadtviertel durch gezielte Aufwertung, d. h. baulich-physische Erneuerung attraktiver gemacht und in ihrer Wohnqualität gesteigert werden (BMVBS, 2010). Um diese Ziele zu erreichen, stellten die Bundesregierung und die ostdeutschen Länder in der ersten Programmphase finanzielle Mittel für den Abriss von bis zu 350.000 Wohnungen sowie die Aufwertung bereit (BMVBS/BBR, 2008a). In der zweiten Programmphase, die im Jahr 2010 startete, wurden abermals weitere Gelder bewilligt und der Abriss von weiteren 200.000 132 bis 250.000 Wohnungen anvisiert (BMVBS, 2010:19). In den vergangenen zehn Jahren haben sich über 410 ostdeutsche Städte und Gemeinden am Programm Stadtumbau Ost beteiligt (BMVBS, 2012b). Im Zuge der Einführung des Programms Stadtumbau Ost etablierten Bund und Länder eine Reihe neuer institutioneller Regelungen. Dazu gehören u. a. die zwei Finanzierunginstrumente Rückbau und Aufwertung (BMVBS/BBR, 2008a). Das Instrument Rückbau steht für Subventionen, die jene Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland erhalten, die beabsichtigen, Wohnungen abzureißen. Diese (Förder-)Gelder (üblicherweise in Höhe von 50 bis 70 Euro je m² abzureißender Wohnfläche) werden als Pauschalsumme unter der Bedingung ausgezahlt, dass die Wohnungsunternehmen ihre Abrissplanungen mit den stadtentwicklungspolitischen Zielen der Kommunalbehörden abstimmen (s. u.). Ergänzend zum Rückbau setzen Bund und Länder mit dem Instrument Aufwertung einen finanziellen Anreiz, der sich an die Kommunalbehörden richtet: Diese sollen die Fördermittel nutzen, um in die städtische Infrastruktur und öffentliche Räume zu investieren. Um die Rückbau- und Aufwertungsmaßnahmen miteinander zu verk nüpfen, führten Bund und Länder schließlich ein neues wohnungswirtschaftliches Steuerungsinstrument ein – das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) (BMVBW, 2001). Dieses informelle – d. h. keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Dritten aufweisende – Planwerk ist von den Kommunalbehörden und der lokalen Wohnungswirtschaft gemeinsam zu erstellen. Es soll die aufeinander abgestimmte städtebauliche und wohnungswirtschaftliche Strategie der beteiligten Akteure repräsentieren (BMVBS/ BBR, 2008a). Die im Zuge des Programms Stadtumbau Ost ins Baugesetzbuch aufgenommenen Regelungen (§ 171a-d BauGB) sehen u. a. die Möglichkeit vor, Stadtumbau- verträge zwischen den am politischen Entscheidungsprozess Beteiligten zu treffen. Die Regelungen der Altschuldenhilfeverordnung und die Härtefallregelung des § 6a Altschuldenhilfegesetz (AHG) sind weitere „Instrumente, die in direktem Zusammenhang mit dem Programm [Stadtumbau Ost] stehen“ (BMVBS, 2010:12). Darin wird u. a. geregelt, unter welchen Voraussetzungen Wohnungsunternehmen in den Genuss eines Altschuldenerlasses für abgerissene Wohnungen gelangen (für eine vertiefte Diskussion des Themas Altschulden siehe u. a. Empirica, 2010; Bernt, 2005; Wiedemer, 2004; BMF, 2002). Ebenso wie die Regelungen zur Investitionszulage für Gebäudemodernisierungen (nach § 3a Investitionszulagengesetz) in Innenstädten und die Befreiung ostdeutscher Wohnungsunternehmen von der bei einer Fusion anfallenden Grunderwerbsteuer (BMVBS, 2010:12) steht die Altschuldenregelung im Zusammenhang mit ökonomischen Belangen der Wohnungswirtschaft, die eine erhebliche finanzielle Entlastung bedeuten kann. Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Programm Stadtumbau Ost wurde zum 1. Mai 2004 die Verwertungskündigung für Abrissobjekte in Ostdeutschland eingeführt (BMVBS/BBR, 2006:15). Vermieter besitzen seitdem grundsätzlich die Möglichkeit, Mietverträge mit der Begründung zu kündigen, dass sich die Wohngebäude nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Das vormals geltende Recht galt vielen kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften in Ostdeutschland als ein zentrales Hindernis für die erfolgreiche Umsetzung des Programms Stadtumbau Ost (IfS, 2004:42). Die Expertenkommission „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel“ in den neuen Ländern plädierte für diese Reform, da „verhindert werden [muss], dass verbliebene einzelne Mieter die Vorbereitung der Abrisse verzögern und damit erheblich verteuern können. Mit den derzeitigen Instrumenten kann dies nicht verhindert werden. (...) Dem besonderen Schutzbedürfnis der Mieter ist angesichts der hohen und bleibenden Wohnungsüberschüsse genüge getan“ (Expertenkommission, 2000:78). Durch die Neuregelung wurden die Rechte der Wohnungseigentümer gegenüber denen der Mieter ausgeweitet: Eigentümer erhielten ein Instrument an die Hand, mit dem sie Mieter in zum Abriss vorgesehenen Gebäuden zum Auszug zwingen können. Es schützt sie zudem vor Verzögerungen beim Abriss, Klagen sowie Entschädigungszahlungen (vgl. Deutscher Mieterbund, 2011). Zudem gelten im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost die gesetzlichen Regelungen für Sozialpläne (§ 180 BauGB) und den Härteausgleich in Geld (§ 181 BauGB): Ein Sozialplan soll erstellt werden, wenn sich „Stadtumbaumaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen“ (vgl. § 180, Abs. 1 BauGB) auswirken. Konkrete Vorgaben darüber, wie Sozialpläne und Härteausgleich geregelt sein sollen, machen Bund und Länder jedoch nicht. Über Sozialpläne und Härteausgleich – und damit über die Bedingungen für die Bewilligung eines Härteausgleichs, dessen Umfang und Qualität, Umzugsbeihilfen, Ersatzwohnungen, Mietpreisbindungen für neue Wohnungen, Entschädigungszahlungen und andere mögliche Kompensationsmaßnahmen für erzwungene Umzüge – wird demnach in den jeweiligen Städten und Gemeinden entschieden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die im Zuge des Programms Stadtumbau Ost eingeführten institutionellen Regelungen darauf abzielten, die Zusammenarbeit der kommunalen Behörden mit der lokalen Wohnungswirtschaft (v. a. den kommunalen Gesellschaften und Genossenschaften) zu vertiefen und deren ökonomische Situation und Handlungsspielräume gegenüber den Mietern zu erweiterten. In Bezug auf die 133 Standards der lokalpolitischen Partizipation und die Arrangements der Umsiedlung und Sozialplanung blieb das Programm Stadtumbau Ost hingegen vage: Hier fehlten einheitliche Vorgaben; sie werden somit auf lokaler Ebene ausgehandelt. Soziale Behutsamkeit im Kontext des Programms Stadtumbau Ost: Empirische Befunde Partizipation in lokalpolitischen Entscheidungsprozessen Wählt man – wie in diesem Beitrag erfolgt – die Frage nach den Möglichkeiten zur Einflussnahme auf politische Entscheidungen (d. h. die Möglichkeit zur Ausübung von Macht) als Ausgangspunkt für die Analyse der Sozialen Behutsamkeit in der Stadterneuerung, so ist im Kontext des Programms Stadtumbau Ost ein sehr geringer partizipativer Gehalt zu konstatieren. Die lokalen Machtverhältnisse verschoben sich vielmehr zugunsten der lokalen Wohnungswirtschaft; die Bürger bzw. die vom Wohnungsabriss betroffenen Personen bildeten hingegen eine politisch marginalisierte Gruppe. Die neuen Governancearrangements, die in den teilnehmenden Städten und Gemeinden etabliert wurden, bilden diese ungleichen Machtverhältnisse ab. Zugang zu den lokalpolitischen Arenen erhielten nur ausgewählte Akteure, zu denen in erster Linie die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Wohnungsgenossenschaften zählten. Ergänzt durch externe Fachbeauftragte der Städte und Gemeinden (wie z. B. Sanierungsbeauftragte und Planungsbüros) und die Träger sozialer und technischer Infrastruktur bildeten sie gemeinsam mit den Vertretern aus Kommunalpolitik und –verwaltung im Kontext des Programms Stadtumbau Ost den Kreis lokalpolitisch relevanter Akteure (BMVBS, 2012a; BMVBS, 2010; Bernt, 2009; Tenz, 2009; Altrock, 2005; 134 Bernt, 2005; BMVBW/BBR, 2003). In diesen Zirkeln wurden die Entscheidungen über die Ziele des Programms Stadtumbau Ost in der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde und die Verwendung der finanziellen Mittel untereinander abgestimmt. Die Ziele und Maßnahmen wurden in Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) festgehalten. Zwar unterscheiden sich die lokalen Governancearrangements durchaus voneinander. In einigen Städten etablierten sich z. B. relativ langlebige und in sich geschlossene Koalitionen, die in Anlehnung an die urban regime theory (Stone, 2005; Stoker, 1995) auch als urbane Regime bezeichnet werden (Bernt, 2009; Franz, 2007). In anderen Städten formierten sich hingegen eher fragile Akteurskoalitionen (Altrock, 2005; BMVBW/ BBR, 2003). Und während in einigen Städten und Gemeinden die Kommunalbehörden als zentraler Akteur agierten, waren es in anderen Kommunen die Wohnungsunternehmen, die die Führung übernommen haben (Altrock, 2005; BMVBW/BBR, 2003). Die politischen Entscheidungsprozesse wurden zudem mit zunehmender Institutionalisierung immer exklusiver und undurchdringlicher für Dritte, so dass Bürgerbeteiligung immer mehr an Bedeutung verlor (BMVBS/BBSR, 2009; Tenz, 2009). Nur vereinzelt führte politischer Druck dazu, dass die Interessen der Mieter bzw. Betroffenen Gehör fanden. Fritsche schildert am Beispiel von Berlin-Marzahn Nord wie Betroffene durch Öffentlichkeits- und gezielte politische Netzwerkarbeit erfolgreich Einfluss auf die Stadtumbauplanungen nehmen konnten (Bernt/Fritsche, 2008:249f ). Die oben genannten Unterschiede in der lokalen Governance änderten jedoch nichts an der Tatsache, dass die lokalpolitischen Entscheidungen im Kontext des Programms Stadtumbau Ost – von wenige Ausnahmen abgesehen – fast immer ohne die Beteiligung der Bürger bzw. der vom Wohnungs- abriss betroffenen Personen getroffen wurden (Bernt, 2009; Tenz, 2009; Liebmann, 2007; Fritsche, 2006; Bernt, 2005; Kabisch u. a., 2004). Dieser Befund wird durch eine vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung herausgegebene Studie zur Bürgermitwirkung im Stadtumbau bestätigt (BMVBS/ BBSR, 2009). Selbst in Fällen, in denen substanzielle Konflikte zwischen kommunalen Behörden und Wohnungsunternehmen auftraten, erhielt Bürgerbeteiligung keinen höheren Stellenwert. In Stralsund und Leipzig weigerten sich beispielsweise einzelne Genossenschaften, Wohnungen abzureißen; in diesen Städten trafen die verbliebenen Kooperationswilligen die politischen Entscheidungen letztlich allein (Tenz, 2009; Bernt, 2005). Auch öffentliche „Informations- und Diskussionsveranstaltungen“ – als ein zentraler Aspekt politischer Partizipation – fanden tendenziell selten statt und wenn, dann eher unregelmäßig (BMVBS/BBSR, 2009:26; Tenz, 2009) – auch wenn Bernt und Fritsche (2008:239) für Leipzig und Berlin zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Lediglich in der Auftaktphase des Programms Stadtumbau Ost gab es eine Vielzahl von Veranstaltungen, in der Bürger die Planungen des Stadtbaus kennenlernen und öffentlich diskutieren konnten (BMVBS/BBSR, 2009). Hervorzuheben ist jedoch, dass diese Veranstaltungen in der Regel nicht ergebnisoffen angelegt waren: Die „Bürger [wurden] in vielen Kommunen erst dann über die Stadtumbauvorhaben informiert, [als] die Konzepte bereits erstellt und beschlossen“ waren (BMVBS/BBSR, 2009:25). In Greifswald und Stralsund verfolgten die Vertreter der kommunalen Behörden und der Wohnungswirtschaft auf den Veranstaltungen das Ziel, bereits beschlossene Ergebnisse zu präsentieren und um Akzeptanz für sie zu werben. In Interviews wurde offen zugegeben, dass es zum Zeitpunkt der öffent- lichen Diskussion keine Möglichkeit mehr gab, Änderungen herbeizuführen (Tenz, 2009). Auch Bernt und Fritsche bestätigen, dass die Praxis des Stadtumbau Ost durch „einseitige(...) Informationsveranstaltungen geprägt [war], auf denen Bewohner über bereits gefasste Beschlüsse in Kenntnis gesetzt wurden“ (Bernt/Fritsche, 2008:243). Diese Haltung zeigte sich bei Kommunalbehörden und Wohnungswirtschaft vor allem bei konkreten Abrissplanungen und wenn es um Einblicke in wirtschaftliche Daten und Kostenberechnungen der Unternehmen ging (BMVBS/BBSR, 2009; Tenz, 2009). Substanzielle Beteiligung gab es nur in den Fällen, in denen es um die Aufwertung der Baustrukturen in den (historischen) Innenstädten ging (BMVBS/BBSR, 2009). Auch die übrige Informationspolitik der Kommunen trug wenig dazu bei, die Chancen der Betroffenen auf politische Mitbestimmung im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost zu erhöhen. Der von BMVBS und BBSR herausgegebenen Studie zufolge, die auf den Daten aus Telefoninterviews mit 1014 Bürgerinnen und Bürgern in elf ausgewählten Städten und Gemeinden basiert, erhielt nur ein sehr geringer Teil der von Wohnungsabriss betroffenen Personen (8,5 %) direkt von den kommunalen Behörden Informationen zugestellt (BMVBS/BBSR, 2009). Nur etwa 10 % der kommunalen Behörden gaben spezielle Informationsbroschüren zum Stadtumbau Ost heraus. Diese wurden jedoch selten direkt an die Betroffenen selbst, sondern an Dritte ausgegeben (z. B. die Vor-Ort-Büros und Quartiersmanagementbüros) oder als elektronische Ressource ins Internet gestellt (BMVBS/BBSR, 2009:22ff ). Viele dieser Broschüren wurden – analog zu vielen anderen Beteiligungsund Informationsbemühungen – zudem nach kurzer Zeit wieder eingestellt (BMVBS/ BBSR, 2009:22-25). Nur auf ihren Web-Seiten stellte eine Mehrzahl der Kommunen regelmäßig Informationen zum Stadtumbau Ost zur Verfügung (BMVBS/BBSR, 2009:21f ). Aus135 kunftsfreudiger als die kommunalen Behörden zeigten sich indes die Wohnungsunternehmen: Etwa zwei Drittel aller Betroffenen erhielten von diesen Akteuren Informationen zugestellt (v. a. über Mieter- bzw. Mitgliederzeitungen) (BMVBS/BBSR, 2009:14). Es zeigte sich, dass die kommunalen Behörden darauf setzten, dass sich die Bewohner der Stadt in Eigeninitiative Informationen zum Programm beschafften. Dieses Vorgehen nennt die von BMVBS und BBSR herausgegebene Studie „einseitig“ (2009:29). Es ist für die betroffenen Personen bzw. interessierte Bürger mit einem hohen Aufwand verbunden, und es ließe sich zudem argumentieren, dass sich die kommunalen Behörden in Bezug auf ihre Informationsaufgaben ihrer politischen Verantwortung weitgehend entzogen haben. Die Gründe für diese unzureichenden Partizipationspraktiken sind vielfältig, und sie sind sowohl das Ergebnis des geänderten institutionellen settings als auch bestimmter lokaler Praktiken. Die politische Partizipation der betroffenen Bürger auf lokaler Ebene wurde strukturell enorm erschwert: Die spezifischen finanziellen Anreizsysteme (Rückbauförderung und Altschuldenhilfe) und Kooperationszwänge waren in ihrer Wirkung stark selektiv (Tenz, 2009). Mit den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und den Wohnungsgenossenschaften wurden zwei Akteure politisch gestärkt, die ohnehin aufgrund ihres Immobilienbesitzes (Eigentumsrechte) im lokalpolitischen Entscheidungsprozess eine „Vetomacht“ (Bernt/Fritsche 2008:253) besaßen und dank ihrer organisatorischen und personellen Ressourcen, der engen Verflechtungen mit der lokalen Politik sowie der Unterstützung durch Verbände auf Bundes- und Länderebene über relativ großen politischen Einfluss sowohl in den Städten und Gemeinden als auch in Bund und Ländern verfügten (Tenz, 2009; Bernt, 2005). Die geringe Bedeutung der Bürgerbeteiligung erklärt sich zudem daraus, dass das 136 institutionelle Gerüst des Programms Stadtumbau Ost zuallererst darauf ausgelegt ist, ausgewählte ökonomische und technische Probleme zu beseitigen. Zu diesen ökonomischen Problemen gehören: die Kosten, die Wohnungsunternehmen sowie Kommunen durch Wohnungsleerstände bzw. die „Stadtschrumpfung“ entstehen; die Altschuldenproblematik (die insbesondere die kommunalen Wohnungsgesellschaften und die Wohnungsgenossenschaften betrifft); und die zurückgehende Nachfrage, die sich durch zunehmenden Wettbewerb und changing consumer demands ergibt (Tenz, 2009). Die technische Prägung des Programms wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass institutionelles Design und politischer Diskurs von der Sorge um die Aufrechterhaltung der Infrastruktur sowie dem Versuch dominiert werden, in Zeiten der Schrumpfung vertraute (baulich-physische) Ordnung herzustellen. Die Angst vor der möglichen „Ghettoisierung“ der Großwohnsiedlungen, die Bezeichnung von Wohnungsleerständen als „Schandfleck“ und die Angst vor dem Auseinanderbrechen der Städte lässt sich sowohl in Formulierungen der Expertenkommission (2000) als auch in den Äußerungen lokaler Akteure erkennen (Tenz, 2009). Mängel in der Bürgerbeteiligung sind nicht zuletzt den aus dieser Gemengelage entstehenden „delikaten Verhandlungssituationen geschuldet, die nicht durch ‚zu viel’ Beteiligung gefährdet werden“ (Bernt/Fritsche, 2008:253) sollten. Daneben führte auch die strukturell bedingte Machtlosigkeit der Quartiersagenturen dazu, dass politische Partizipation im Kontext des Programms Stadtumbau Ost weitgehend bedeutungslos war. Einerseits waren die Quartiersagenturen selten in den politischen Entscheidungsprozess eingebunden, sondern selbst vom Informationsfluss abgekoppelt (BMVBS/BBSR, 2009:28; Tenz, 2009). Den Organisationen, die vielfach im Zuge anderer Städtebauförderungsprogramme (wie z. B. dem Programm Soziale Stadt) etabliert wurden (vgl. Bernt/Fritsche, 2008), fehlte es zudem an materieller und inhaltlicher Unabhängigkeit (BMVBS/BBSR, 2009; Tenz, 2009): Sie verfügten weder über ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen, um diese Aufgabe adäquat zu lösen noch waren die Quartiersagenturen vor der Einflussnahme durch die Kommunalbehörden geschützt. Darüber hinaus befanden sie sich in einem strukturellen Interessenskonflikt: Sie saßen „zwischen den Stühlen“ und es war unklar, ob sie die Interessen der lokalen Bevölkerung oder die der Geldgeber vertreten sollen. Das institutionelle Design des Programms Stadtumbau Ost sieht keine unabhängigen Quartiersagenturen vor (s. o.). Neben den strukturellen Faktoren hatten jedoch auch spezifische lokale Praktiken eine Bedeutung bei der Ausbildung bestimmter Partizipationskulturen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang v. a. der Aspekt, dass die lokalpolitisch Verantwortlichen Partizipation in der Regel als Information verstanden haben. Diese Vorgehensweise wurde damit begründet, dass man die Bürger nicht beunruhigen und keinen (weiteren) Widerstand gegen die Planungen provozieren wolle (BMVBS/BBSR, 2009:26; Liebmann, 2007). Darüber hinaus konstatiert Fritsche „bei Wohnungsunternehmen, Verwaltungsstellen und begleitforschenden Experten“ eine „mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit partizipativer Ansätze“ sowie eine „Scheu vor den Risiken und Nebenwirkungen nichtformalisierter und damit nur bedingt planbarer Verfahren, wie sie Beteiligungsverfahren mit sich bringen“ (Fritsche, 2006:211). Sie stellt zudem fest, dass im Kontext des Programms Stadtumbau Ost „Bewohner als zu beplanende Zielgruppe, nicht aber als Ratgeber oder gar Vertragspartner“ angesehen wurden (Fritsche, 2006:211). Eine andere Studie stellt fest, dass kommunale Behörden und Vertreter der Wohnungswirtschaft Widerspruch nur selten als legitime Meinungsäußerung anerkennen, sondern vielmehr häufig als unbotmäßige „Blockadehaltung“ und ungerechtfertigte „Einmischung ‚von außen’“ einstuften (BMVBS/ BBSR, 2009:25). Der geringe Einfluss der Quartiersagenturen auf die Bürgerbeteiligung lässt sich zudem damit erklären, dass den Quartiersagenturen seitens der kommunalen Behörden und der Wohnungswirtschaft in mehreren Fällen wenig Spielraum zugestanden wurde. In einigen Städten gibt es Belege dafür, dass Vertreter der kommunalen Behörden und/ oder der Wohnungsunternehmen versucht haben, substanziell Einfluss auf die (Informations-)Aktivitäten der Quartiersagenturen zu nehmen und deren Handlungsspielraum zu begrenzen. So war es einigen dieser Agenturen teilweise untersagt, bestimmte Informationen (v. a. über Abrissvorhaben) öffentlich zu kommunizieren (BMVBS/BBSR, 2009:28) bzw. ganz allgemein in einer Weise tätig zu sein, die nicht den Interessen der kommunalen Behörden entspricht (Tenz, 2009). In der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bzw. dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung herausgegebenen Studie wurden diese Praktiken als im Arnsteinschen Sinne „sehr nahe“ an der „Manipulation“ bezeichnet (BMVBS/BBSR, 2009:29). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Programm Stadtumbau Ost in partizipativer Hinsicht von Sozialer Behutsamkeit weit entfernt ist. In den Worten Arnsteins (1969) ausgedrückt bewegte sich Beteiligung im Kontext des Programms Stadtumbau Ost in der Regel auf dem Niveau von non-participation (Nicht-Partizipation) bzw. degrees of tokenism (Stufen der Alibipolitik). Formen der citizen power sind nicht belegt. Die Analyse zeigte, dass die Gründe für die geringe Qualität der Bürgerbeteiligung vor allem struktureller Natur sind. Die Handlungen lokaler Akteure waren nicht ohne Relevanz, doch wurde das Maß der Bürgerbeteiligung nicht in erster Linie auf lokaler Ebene bestimmt. 137 Fehlende politische Partizipation ist – wie Bernt und Fritsche (2008:253) klarstellen – kein „Problem der Auswahl adäquater Beteiligungs-‚Techniken’“; sie ist vielmehr strukturell bedingt. In dieser Hinsicht bewegt sich das Programm Stadtumbau Ost auf bekanntem Terrain: Es „reiht sich (…) ein in die Partizipation vernachlässigende, Bewohner als sozialplanerisches Problem definierende Praxis“ (Fritsche, 2006:211), die sich im Kontext der Entwicklung der ostdeutschen Großwohnsiedlungen seit 1990 weitgehend etabliert hat. Bernt und Fritsche konstatieren eine „Beteiligungsrealität, die noch weit hinter die Standards der 1980er Jahre zurückfällt“ (Bernt/Fritsche, 2008:243). Umsiedlungen und Sozialplanung: Organisatorische, rechtliche und finanzielle Arrangements In diesem Abschnitt wird dargestellt, welche organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Arrangements der Umsiedlung auf lokaler Ebene im Kontext des Programms Stadtumbau Ost getroffen wurden. Da das verfügbare Wissen über governance und Praktiken der residential relocation in Ostdeutschland recht begrenzt ist, können hier nur erste Tendenzen aufgezeigt werden. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie z. B. England, in denen Umsiedlungen im Kontext staatlich initiierter Wohnungsabrisse intensiv erforscht werden (Rosenfeld, 2010), steht eine systematische Erfassung der Geschehnisse in Deutschland noch aus. Im Zuge des Wohnungsabrisses mussten – wie oben bereits erwähnt – in den letzten zehn Jahren mindestens 100.000 Haushalte ihre Wohnungen räumen (BMVBS/BBSR, 2009:30). Geht man von durchschnittlich 1,5 Bewohnern pro Wohnung aus, war rein rechnerisch etwa 1 % der Bevölkerung in Ostdeutschland von einer Umsiedlung be138 troffen; in vielen Städten und Gemeinden waren es jedoch erheblich mehr. Die Umsiedlungen der betroffenen Bewohner wurden von den kommunalen Behörden und den beteiligten Wohnungsunternehmen arbeitsteilig erledigt; das Gros der Arbeit des Umzugsmanagements scheint allerdings an den kommunalen Wohnungsgesellschaften und den Genossenschaften hängen geblieben zu sein. Zu diesem Ergebnis kommen sowohl eine Untersuchung zum sozialverträglichen Rückbau von Wohnungen im Kontext des Programms Stadtumbau Ost aus dem Jahr 2003 (Hunger u. a., 2003) als auch eine neuere und breiter angelegte Studie von BMVBS und BBSR (BMVBS/ BBSR, 2009:30). Letztere stellt fest, dass die „Kommunikation rund um die Umsetzung von Abriss- oder Rückbauvorhaben (...) meist direkt zwischen Vermieter und Mieter“ erfolgte. Den Mietern wurde in der Regel ein Jahr im Voraus mitgeteilt, dass der Abriss des Wohnhauses geplant und ein Umzug erforderlich ist. Mitunter wurde gleichzeitig der Mietvertrag gekündigt. Die Studie fand zudem heraus, dass in der Regel „Einzelgespräche mit den Mietern“ stattfanden; in einigen Städten wurden jedoch auch spezielle Informationsveranstaltungen für die Bewohner eines Wohnhauses oder Stadtviertels durchgeführt. Die Studie führt weiter aus, dass die Einzelgespräche mitunter in Anwesenheit eines „Stadtumbaumanagers“ erfolgten (BMVBS/BBSR, 2009:30f ), ohne jedoch auf dessen Rolle näher einzugehen. Aus der Untersuchung geht nicht hervor, ob seitens der beteiligten Wohnungsunternehmen (oder auf Initiative der kommunalen Behörden) unabhängige Mieterberatungen in den Umsiedlungsprozess mit einbezogen wurden. In der genannten Studie wird betont, dass es üblicherweise die Wohnungsunternehmen waren, die den Umzug der betroffenen Bewohner finanzierten und weitere damit im Zusammenhang stehende Kosten tru- gen. Die Studie stellt zudem fest: „Die Höhe der Umzugsbeihilfen wird häufig individuell ausgehandelt.“ (BMVBS/BBSR, 2009:30). Die kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften übernahmen damit einen Teil der Aufgaben, der im Rahmen des Sozialplans üblicherweise von den Kommunen geleistet wird. Allerdings hebt die Studie auch hervor, dass einige Unternehmen die Gewährung der Umzugsbeihilfen an eine Bedingung knüpften, die die Wahlfreiheit der Mieter deutlich verringerte: Die Beihilfe wurde nur dann gewährt, wenn ein Mieter eine andere Wohnung aus dem Bestand des bisherigen Vermieters bezog – und nicht zu einem Konkurrenten auf dem Wohnungsmarkt abwanderte. Trotz dieser Einschränkung bescheinigt die Studie den Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland insgesamt ein „professionelles Umzugsmanagement“ betrieben zu haben (BMVBS/BBSR, 2009:30). Unklar bleibt, inwieweit die Handlungen der Wohnungsunternehmen im Auftrag bzw. im Einvernehmen mit der Stadt bzw. Gemeinde – wie im § 180 BauGB gefordert – stattfanden (und damit als Teil der sozialplanerischen Handlungen im Kontext des Programms Stadtumbau Ost gelten können). Offen bleibt auch, inwieweit sich die Angebote und Aktivitäten voneinander unterschieden – von Wohnungsunternehmen zu Wohnungsunternehmen und von Stadt zu Stadt. Übernahmen die Wohnungsunternehmen das Umzugsmanagement, stellt sich die Frage, für welche weiteren Aufgaben der Sozialplanung die kommunalen Behörden im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost verantwortlich zeichneten. Gemäß § 180 BauGB soll ein Sozialplan erstellt werden, wenn sich „Stadtumbaumaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen“ (§ 180, Abs. 1 BauGB) auswirkt. Sozialplan und Härteausgleich (§ 181 BauGB) können aus den Mitteln der Städtebauförderung finanziert werden können (§ 164a BauGB). Ob die kommunalen Behörden jedoch überhaupt regelmäßig einen Sozialplan erstellt haben, ist unklar; diese Frage wurde zumindest in offiziellen Veröffentlichungen zum Stadtumbau Ost nicht beantwortet. Im Evaluationsbericht des Jahres 2008 heißt es zu diesem Thema lapidar (BMVBS/BBR, 2008b:145): „Die Umfrage der Bundestransferstelle ‚Stadtumbau Ost’ von 2006 hat dies [das Thema Sozialplanung] nicht explizit abgefragt.“ Die verfügbaren Indizien weisen jedoch in die Richtung, dass die kommunalen Behörden die Soll-Vorschriften § 180 (Sozialplan) und § 181 (Härteausgleich) BauGB im Kontext des Programms Stadtumbau Ost nur selten angewendet haben. So ergab eine zu Beginn des Programms Stadtumbau Ost durchgeführte Untersuchung des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, dass noch keine der zehn untersuchten Städte einen Sozialplan geschaffen hatte (MSWV, 2002:81). So bleibt vorerst offen, in welcher Art und Weise kommunale Behörden die Betroffenen dabei unterstützten, nachteilige Auswirkungen der Umsiedlung zu vermeiden oder zu mildern. Auch ist unklar, ob die Städte und Gemeinden regelmäßig auf „öffentliche Leistungen“ (§ 180, Abs. 1 BauGB) hingewiesen haben und ob besondere Maßnahmen ergriffen wurden für „Betroffene [,die] nach ihren persönlichen Lebensumständen nicht in der Lage sind, Empfehlungen (...) zu folgen oder Hilfen zu nutzen“ (§ 180, Abs. 1 BauGB). Weiterhin bleibt offen, wie der Begriff der Härte in den jeweiligen Kommunen gefasst und in welcher Höhe ein Härteausgleich gewährt wurde. Ungeachtet der vermutlich fehlenden Sozialpläne führten der Wohnungsabriss und das oben beschriebene Umzugsmanagement der Wohnungsunternehmen offenbar nur selten zu offenen Konflikten. Allerdings 139 sind die Angaben hier widersprüchlich: Während die Studie von BMVBS und BBSR auf einer Textseite ein „hohes Verständnis vieler Bewohner für die Notwendigkeit des Stadtumbaus“ hervorhebt, berichtet sie an anderer Stelle von „Unterschriftenaktionen“ und „Demonstrationen“ gegen den Wohnungsabriss (BMVBS/BBSR, 2009:30,14). Der Evaluationsbericht zum Stadtumbau Ost (BMVBS/ BBR, 2008b:145) geht immerhin davon aus, dass 10 % der in der Untersuchung erfassten Konflikte mit „gerichtlichen Auseinandersetzungen“ endeten. Konflikte entstanden u. a. deshalb, weil sich die Wohnungsunternehmen oft scheuten, vollständige Informationen über die geplanten Wohnungsabrisse herauszugegeben. Allerdings gab es auch Wohnungsunternehmen wie z. B. in Leinefelde, die bewusst „Geheimniskrämerei“ vermieden (Hunger u. a., 2003:128). Die Konflikte mit den Mietern drehten sich zudem häufig um verbindliche Zeitpläne und Umzugskonditionen (BMVBS/BBSR, 2009:31). Einer Studie zum Wohnungsabriss in Weißwasser zufolge gehörte zu den typischen Forderungen der Mieter, dass die zu beziehende Wohnung in Bezug auf den Grundriss, die Höhe des Mietzinses und die qualitative Ausstattung etwa gleichwertig wie die vorherige sein sollte und sie langfristig gemietet werden kann (Kabisch u. a., 2004). Über die Gründe, warum die Städte und Gemeinden es offenbar in der Regel unterließen, die Anforderungen des Baugesetzbuchs in Bezug auf die Erarbeitung eines Sozialplans zu befolgen, lässt sich nur spekulieren. Es liegt jedoch nahe, zu schlussfolgern, dass die Kommunen den Aufwand und die finanziellen Kosten scheuten, ein formales Sozialplanverfahren durchzuführen. Es ist zudem zu vermuten, dass die Kommunalbehörden das Umzugsmanagement der Wohnungsunternehmen als ausreichend ansahen. Denkbar wäre jedoch auch, dass die kommunalen Behörden – ähnlich wie bei der Frage der politischen Partizipation – der Meinung waren, dass sich die Interessen der 140 Mieter den ökonomischen und (stadt-)technischen Anforderungen unterzuordnen haben (s. o.). Dieser Befund ist überraschend, stellen Sozialpläne (ebenso wie der Härteausgleich) doch ein zentrales Instrument zur Vermeidung oder Abmilderung nachteiliger Auswirkungen dar. Die Gründe, weshalb sich viele Wohnungsunternehmen um ein „professionelles Umzugsmanagement“ (BMVBS/BBSR, 2009:30) bemühten, sind offensichtlich ökonomischer Natur. Die Unternehmen bemühten sich, durch den Wohnungsabriss nicht den Mieter an die Konkurrenz zu verlieren. Sie versuchten daher mit der Bereitstellung einer Ersatzwohnung aus den eigenen Beständen und der Gewährung von Umzugsbeihilfen, das Umzugsgeschehen zu kontrollieren und in ihrem Sinne zu beeinflussen (BMVBS/ BBSR, 2009; Tenz, 2009; Hunger u. a., 2003). Dass die Wohnungsunternehmen überhaupt auf diese Weise aktiv werden konnten, hat nicht zuletzt mit der systematischen Verringerung der Mieterrechte im Kontext des Programms Stadtumbau Ost zu tun. Diese Mietrechtsreform stärkte die Macht der Vermieter gegenüber den Mietern und hatte dementsprechend einen Verlust an Handlungsoptionen letzterer zur Folge. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in Bezug auf die organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Arrangements der Umsiedlung und der Sozialplanung gewisse Diskrepanzen zwischen den Idealen der Behutsamen Stadterneuerung und den Strukturen und Praktiken des Programms Stadtumbau Ost erkennen lassen. Strukturelle Veränderungen wie z. B. der Abbau der Mieterrechte (insbesondere die oben erwähnte Einführung der Verwertungskündigung) und die staatliche Finanzierung des Wohnungsabrisses durch Wohnungsunternehmen führten dazu, den Mieterschutz zu verringern (statt zu stärken). Der Wettbewerb um Mieter auf angespannten Wohnungsmärkten und ökonomische Interes- sen der Wohnungsunternehmen übersetzte sich einerseits in ein gut organisiertes – und möglicherweise durchaus faires und sozialverträgliches – Umzugsmanagement; es verleitete einige Unternehmen jedoch auch dazu, ihre Macht auszunutzen und den Mietern Bedingungen zu stellen. Da – wie oben bereits zitiert – die „Höhe der Umzugsbeihilfen (...) häufig individuell ausgehandelt“ (BMVBS/BBSR 2009:30) wurde, hatten individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen der Mieter potenziell einen großen Einfluss auf das Verhandlungsergebnis. Fehlende Sozialplan- und Härteausgleichsverfahren deuten darauf hin, dass die kommunalen Behörden die Rechte und Interessen der Mieter längst nicht immer im Blick hatten. Auch wenn weitere Forschungen zu diesen Themen aufgrund der unzureichenden Datenlage erforderlich sind, scheinen die Etiketten „Soziale Behutsamkeit“ bzw. „Sozialverträglichkeit“ auf die Umsiedlung und die Sozialplanung im Kontext des Programms Stadtumbau Ost nur in Ansätzen zu passen. Schlussfolgerungen Das Ziel dieses Artikels war es, kritisch zu erörtern, welchen Stellenwert die Behutsamkeit im Kontext der Stadterneuerung der Gegenwart in Deutschland besitzt. Als theoretisches Konstrukt diente der Ansatz der Sozialen Behutsamkeit. Soziale Behutsamkeit wurde – in Anlehnung an das Konzept der Sozialverträglichkeit – als ein zweidimensionales Konstrukt konzeptualisiert, das die Arrangements der Partizipation in (lokal-)politischen Entscheidungsprozessen sowie die Arrangements von Umsiedlung und Sozialplanung umfasste. Aus diesem Blickwinkel wurde das Städtebauförderungsprogramm Stadtumbau Ost analysiert. Die Analyse zeigte, dass Soziale Behutsamkeit im Kontext des Programms Stadtumbau Ost eher klein geschrieben wurde. Diese Aussage gilt sowohl für die partizipativen Arrangements als auch für die institutionellen Regelungen und Praktiken der Umsiedlungen und der Sozialplanung. Die vom Wohnungsabriss betroffenen Personen waren im politischen Entscheidungsprozess weitgehend marginalisiert, da die politische Arena von den kommunalen Behörden, den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und den Wohnungsgenossenschaften dominiert wurde. Es waren v. a. strukturelle Gründe – insbesondere finanzielle Anreizsysteme, Kooperationszwänge und Eigentumsrechte –, die zu diesen ungleichen Machtverhältnissen und Einflussmöglichkeiten führten. Aber auch die strategischen Handlungen der an den Hebeln der Macht sitzenden lokalen Akteure begrenzte die Mitwirkungschancen der Bürger: Ein Verständnis von Partizipation als Information, die fehlende Unabhängigkeit der Quartiersagenturen, aber auch ökonomische Interessen der Kommunen und der Wohnungsunternehmen sowie eine eher technische Sicht auf Stadt, Planung und Gesellschaft führten dazu, dass Partizipation in den meisten Städten und Gemeinden nicht im Sinne von citizen power (Arnstein 1969) gelebt wurde. Bernt und Fritsche (2008:238) kommentierten diese Entwicklung mit den Worten: „Das ‚Mehr’ an Kooperation auf der Seite wirtschaftlicher Akteure wird mit einem ‚Weniger’ an demokratischer Teilhabe bezahlt.“ Kaum besser sind die Ergebnisse der Untersuchung in Bezug auf die Arrangements der Umsiedlung und der Sozialplanung. Da erhebliche Forschungslücken bestehen, sind diese Ergebnisse allerdings eher als Tendenzen denn als gesicherte Erkenntnisse zu sehen. Es waren in der Regel die Wohnungsunternehmen, die die Umsiedlung der Betroffenen organisierten und finanzierten. Auch wenn es vielfach faire Arrangements gegeben haben mag, übten einige Unternehmen doch eine gewisse Kontrolle aus, indem sie Umzugshilfen an Bedingungen knüpften. Die Kommunalbehörden unterließen es offenbar häufig, die Folgen des Pro141 gramms Stadtumbau Ost zu eruieren und durch geeignete Maßnahmen abzufedern. Gerade zu diesem Aspekt ist jedoch weiterer Forschungsbedarf erforderlich. Die kommunalen Akteure überließen das Management der Umsiedlung weitgehend den Wohnungsunternehmen. Die Konditionen der Umsiedlung unterscheiden sich von Stadt zu Stadt und von Unternehmen zu Unternehmen. Sie hängen in hohem Maße vom Verhandlungsgeschick des Mieters ab, weshalb neue Geographien der Ungleichheit in Bezug auf Umsiedlungsmanagement und Entschädigungsmaßnahmen entstanden sein dürften. Möglich wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch die Einführung der Verwertungskündigung und die Entscheidung der Bundesregierung und der Länderregierungen, auf konkrete und einheitliche Regelungen bezüglich sozialer Maßnahmen und Ausgleichszahlungen für erlittene Härten zu verzichten. Doch auch die ökonomischen Interessen der Wohnungsunternehmen und der kommunalen Behörden führten dazu, dass die rechtlichen und materiellen Belange der Betroffenen nur einen nachrangigen Stellenwert hatten. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Programm Stadtumbau Ost in sozialer Hinsicht weit hinter die Maßstäbe der be- 142 hutsamen Stadterneuerung zurückfällt. Allerdings gilt diese Aussage nicht notwendigerweise auch für die anderen Programme der Städtebauförderung, und eine entsprechende vergleichende Untersuchung würde vermutlich zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Denn die Städtebauförderung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ausdifferenziert, es gibt nicht mehr ein, sondern aktuell insgesamt acht verschiedene Programme, die unterschiedliche Ziele verfolgen und über ein unterschiedliches institutionelles Design verfügen. Während Programme wie die Soziale Stadt möglicherweise noch immer stark vom Geist der Behutsamkeit geprägt sind, ist das bei wirtschaftsorientierten Programmen wie z. B. Aktive Stadt- und Ortsteilzentren vermutlich weniger der Fall. Welche Tendenzen an Bedeutung gewinnen, deutet sich jedoch an: während Programme wie die Soziale Stadt und die verhältnismäßig stark formalisierten klassischen städtebaulichen Sanierungsund Entwicklungsmaßnahmen seit einiger Zeit finanziell an Substanz verlieren, werden andere Programme ausgebaut bzw. neue hinzugefügt (BBSR, 2012). Im Kontext der Städtebauförderung scheint Soziale Behutsamkeit für Bund und Länder nicht (mehr) an erster Stelle zu stehen. Literatur ALTROCK, Uwe (2005): Stadtumbau in schrumpfenden Städten – Anzeichen für ein neues Governance-Modell? In: Jahrbuch Stadterneuerung 2004/05, S.149-170 ARNSTEIN, Sherry R. (1969): A Ladder of Citizen Participation. In: Journal of the American Institute of Planners, 35, S.216224 BERNT, Matthias (2005): Die politische Steuerung des Stadtumbaus in Leipzig-Grünau. Diskussionspapier 24 des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ), Leipzig. Zugriff auf http://www.ufz.de/data/Diskpap-Bernt-25-20053679.pdf am 22. 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Das Leitbild der Behutsamkeit wurde im Rahmen der Berliner Internationalen Bauausstellung (IBA) 1987 entwickelt und hat seither Generationen von Planerinnen und Planern in ganz Deutschland und darüber hinaus geprägt. Zu seinen Merkmalen zählen Bestandsorientierung und Substanzerhaltung mit kleinteiligen baulichen Anpassungen und Verbesserungen, Bewahrung der vorhandenen sozialen Strukturen, sowie ein begleitendes institutionell-partizipatives, rechtliches und finanzielles Instrumentarium (vgl. Bernt, 2003:47ff ). Seine Entstehung als Reaktion auf die vorangegangenen abrissorientierten Flächensanierungen wurde gefördert durch einen tiefgreifenden kulturellen Wandel: Entstehung neuer politischer Kulturen nach 1968, aber auch Abkehr von der Moderne und die Wiederentdeckung traditioneller Stadtstrukturen. Trotz deutlicher Abstriche bei Verfahrenselementen sowie der Kritik an segregierender Aufwertung nach 1990 (Bernt, 2003:257ff ) kann die Behutsame Stadterneuerung zumindest unter dem Aspekt der baulichen Bestandserhaltung als gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte bezeichnet werden, da ein beträchtlicher Teil der altstädtischen und gründerzeitlichen Gebiete bereits in diesem Sinne saniert wurde. In diesen Quartieren fielen die steigende Werstschätzung des baulichen Bestandes und die Wiederentdeckung von traditionellen städtebaulichen Strukturen zusammen. Doch seither hat sich die ganze Arena der Stadterneuerung deutlich gewandelt. Wichtige äußere Rahmenbedingungen sind dabei: • die gestiegenen energetischen Anforderungen, • Divergenzen von wachsenden und schrumpfenden Regionen und die damit verbundene Leerstandsproblematik, • Aufgabe oder Verlagerung von flächenintensiven Nutzungen wie Industrie, Bahn, Militär und damit neue Flächenpotentiale, • neben einer deutlich verlangsamten Suburbanisierung die wieder steigende Attraktivität innerstädtischer Wohnlagen (Reurbanisierung), • der demographische Wandel sowie die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, • der Rückzug des Staates als Wirtschaftsakteur aus vielen Bereichen und das Auftauchen neuer privater Akteure z. B. auf dem Wohnungsmarkt. Die altstädtischen und gründerzeitlichen Quartiere haben heute meist schon einen guten Sanierungsstand erreicht, auch wenn in einigen Fällen eine erneute Stadterneuerung mit verändertem Schwerpunkt (wie z. B. zur Einzelhandelsentwicklung) stattfindet. Somit haben sich weitere Aufgabengebiete für die Stadterneuerung eröffnet: Konversionsflächen, Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre, Wohnsiedlungen 145 der 1950er Jahre, und auch über die suburbanen Einfamilienhausgebiete wird zumindest bereits diskutiert (BBR, 2008:36f ). Das rechtliche und fördertechnische Instrumentarium der Stadterneuerung wurde dementsprechend durch die Erweiterungen des Besonderen Städtebaurechts im BauGB und die neuen Programme der Städtebauförderung ausdifferenziert. Neben einer stärkeren Ausrichtung auf soziale und stadtwirtschaftliche Aspekte (Soziale Stadt, Aktive Stadtund Ortsteilzentren) hat sich die Stadterneuerung auch in baulicher Hinsicht neu orientiert: Statt einer erhaltenden Behutsamkeit stehen in dieser neuen Arena oft Abrisse oder tiefgreifende Umstrukturierungen im Vordergrund, wie besonders die Gebiete des Stadtumbaus in Ost und West zeigen. verbreitet war. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Siedlungen in gut ausgelasteten Wohnungsmärkten, wie Südbayern, dem auch die Beispiele entstammen, und weniger auf der Stadtumbau-Problematik in Schrumpfungsregionen. Rahmenbedingungen der Stadterneuerung in Wohnsiedlungen der 1950er Jahre Im Vergleich zum Entstehungskontext der Behutsamen Stadterneuerung sieht sich die Erneuerung der Siedlungen der 1950er Jahre einer Reihe von sehr unterschiedlichen äußeren und inneren Rahmenbedingungen gegenüber. Städtebauliche Situation Ein interessantes Beispiel für diese neue Konfiguration der Stadterneuerung bieten die Wohnsiedlungen der 1950er Jahre. Anders als die Gründerzeitviertel oder die Großsiedlungen der 1960/70er Jahre (v. a. in Ostdeutschland) standen sie bisher kaum im Zentrum einer größeren Debatte. Zwar gab es schon seit Ende der 1980er Jahre vereinzelte Projekte der „Neubauerneuerung“ mit einem Schwerpunkt auf Bauschadenssanierung und auch schon Nachverdichtung (vgl. Bodenschatz, 1990). Unter dem Eindruck der oben skizzierten Veränderungen, insbesondere in Bezug auf Energie, Reurbanisierung und demographischen Wandel, gewinnen jedoch die Potentiale dieser Siedlungen für die Stadtentwicklung heute eine gesteigerte Bedeutung und müssen neu bewertet werden. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Rahmenbedingungen und mögliche Strategien für eine Erneuerung hier bestehen und inwieweit die Ansprüche der Behutsamen Stadterneuerung, insbesondere in Bezug auf den baulichen Bestandserhalt, dabei erfüllt werden können. Entscheidend ist für diese Betrachtung nicht das Baujahr, sondern die im Weiteren beschriebene bauliche und städtebauliche Typologie, die von Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre 146 Die Wohnbausubstanz der 1950er Jahre lässt sich grob in drei verschiedene Typen einteilen: Einfamilienhäuser am (damaligen) Stadtrand, innerstädtische Mehrfamilienhäuser in der historischen Blockrandstruktur und größere Wohnsiedlungen aus Stadterweiterungen der Nachkriegszeit oder auf großflächig abgeräumten Kriegsbrachen. Die Siedlungen folgen dabei am deutlichsten den städtebaulichen Vorstellungen der Nachkriegsmoderne: Zeilenbebauung, seltener auch Punkthochhäuser, mit geringer baulicher Dichte und großen öffentlichen Grünflächen. Die Wohnquartiere selbst sind monofunktional gehalten, die in Quartierszentren ursprünglich vorhandenen kleinteiligen Nahversorgungseinrichtungen haben meist den doppelten Wandel in ihren Branchen und in ihrem Kundenstamm nicht überlebt. Die Grünflächen besitzen oft nur eine geringe Aufenthaltsqualität, die ebenerdigen Anlagen des ruhenden Verkehrs nehmen große Flächen ein. Damit widersprechen die Siedlungen genau den städtebaulichen Qualitäten, die seit der Postmoderne und im Zusammenhang mit der Behutsamen Stadterneuerung erst wiederentdeckt wurden: Dichte, Nutzungsmi- schung, klare Gliederung von öffentlichen und privaten/gemeinschaftlichen Räumen. Andererseits sorgen genau die Ruhe und das Grün für eine relativ hohe Bewohnerzufriedenheit (OBB, 2006:82,87,96,106). Wegen dieser Qualitäten wird im Zuge der Reurbanisierung zunehmend das Potential diskutiert, das die Siedlungen als innerstädtische Alternative zum ruhigen und grünen Wohnen am Stadtrand besitzen (BDA u. a., 2004). Durch das Stadtwachstum der darauffolgenden Jahrzehnte liegen die vorstädtisch wirkenden Siedlungen zudem oft in innenstadtnaher und damit verkehrlich und versorgungstechnisch günstiger Lage – allerdings auch in einer, die zu dichterer und lukrativerer Grundstücksnutzung anreizen kann. Stadterneuerung in diesen Gebieten bewegt sich also auf der städtebaulichen Ebene zwischen zwei Zielen: einerseits einer funktionalen Nachqualifizierung und Nachverdichtung aus ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen (Flächensparen, Nutzungsmischung), mit teils drastischen Eingriffen in die bestehende Struktur, und dem Erhalt der besonderen Wohnqualitäten andererseits (Abb. 1). Bauliche und energetische Situation Die Gebäude und Siedlungen der 1950er Jahre sind entstanden, um den gravierenden Wohnraummangel der Nachkriegszeit zu beheben. Im Gebäudebestand befinden sich deshalb Gebäude, welche langfristig modernen Lebensraum bieten sollten, aber auch solche, die ursprünglich nur als mittelfristige Notunterkünfte geplant waren. Üblicherweise handelt es sich um meist nur zwei bis vier Geschosse umfassende Zeilenbauten in lockerer Siedlungsstruktur. Die Gebäude profitieren von der lockeren Anordnung und sind deshalb meist gut belichtet; sie erhalten auch im Winter ausreichend Sonneneinstrahlung. Ihre Baukonstruktion ist meist massiver Ziegelbau, jedoch weist ein Teil der Gebäude materialbedingte Schwächen auf, weil sie als Notun- Abb. 1 Zwei- bis viergeschossige Zeilenbauten und weite öffentliche Freiflächen prägen die Siedlungen der 1950er Jahre. Siedlung an der Römerstraße in Weilheim (Foto: A. Schröer) terkünfte ohne langfristige Ausrichtung mit Material minderer Qualität oder mit schadstoffhaltigen Baumaterialien errichtet wurden. Zudem ist der baukonstruktiv bedingte Schallschutz häufig mangelhaft. Aus heutiger Sicht sind die Wohnungen eher klein und weisen kleingliedrige Grundrissstrukturen sowie niedrige Raumhöhen auf. Auch die Sanitäranlagen sind häufig zu klein und nicht zeitgemäß. Weitere bautypologische Merkmale sind fehlende barrierefreie Wohnungszugänge. Die Hochparterrebauten haben entsprechend dem Standard ihrer Entstehungszeit und der geringen Geschossigkeit keine Aufzüge. Falls vorhanden sind Freisitze wie Balkone oder Terrassen selten barrierefrei zugänglich und häufig sanierungsbedürftig. Auch das Thema Energie spielt bei der Frage nach dem angemessenen Umgang mit dem Gebäudebestand der 1950er Jahre eine große Rolle. Das Prinzip eines effizienten Umgangs mit Energie und einer ressourcenschonenden Bauweise wurde erst in den späten 1970er Jahren als Reaktion auf die Ölkrise entwickelt und im Jahre 1977 im Zuge der Wärmeschutzverordnung erstmalig angewandt. Ab diesem Zeitpunkt mussten Neubauten bestimmte Anforderungen an die Gebäudehülle und Anlagen147 füllen. Die Anforderungen an die Energieeffizienz von Neubauten und Sanierungen werden fortlaufend verschärft. Aktuell wurden im Rahmen des „Energiefahrplans 2050“ europaweit Ziele wie die Reduktion des CO2Ausstoßes um 85 - 90 % bis 2050 formuliert (vgl. EU, 2011). Fast 50  % des gesamten deutschen Gebäudebestandes wurden jedoch vor der 1. Wärmeschutzverordnung 1977 errichtet (BMVBS, 2007:4). Unter der Annahme, dass Gebäude alle 45 bis 65 Jahre umfassend saniert und dem bautechnischen Standard angepasst werden müssen, um den Wert der Gebäude zu erhalten (StMUG u.a., 2011:20), steht dies aktuell bei einem Großteil der Bestandsgebäude an. Die Siedlungsgebäude aus den 1950er Jahren bilden 12 % des Gebäude- und Wohnungsbestands in der Kategorie der kleinen Mehrfamilienhäuser. Dies entspricht ca. 6 % des gesamten Wohnungsbestandes in Deutschland (ARGE, 2011:35ff ). Zwar wurde fast der gesamte Gebäudebestand der 1950er Jahre in der Vergangenheit teilweise modernisiert. Es zeichnet sich jedoch deutlich ab, dass es bei den Sanierungsständen deutliche Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern gibt. Eine Untersuchung im Rahmen der Förderung durch das BBSR zeigt, dass die Gebäude in den neuen Bundesländern einen guten Modernisierungsstand und einen zeitgemäßen Standard aufweisen. Die Wohnqualität dieser Gebäude und deren Umgebung wird mehr geschätzt als die der später in industrieller Bauweise errichteten Siedlungen. Deshalb standen sie im Fokus der Privatisierung, woraus sich der gute Sanierungs- und Modernisierungszustand ergibt (vgl. GEWOS, 2009). Die Situation in den alten Bundesländern stellt sich hingegen anders dar. Bei den Wohnungsunternehmen der öffentlichen Hand stand lange Zeit der Wohnungsneubau im Vordergrund. Dadurch weisen viele der Gebäude aus den 1950er und 60er Jahren einen sehr hohen 148 energetischen, technischen und sanitären Modernisierungsbedarf auf. Die unzureichend gedämmten Außenbauteile führen häufig zu bauphysikalischen Problemen und zu Behaglichkeitseinbußen. Häufig ist ein energieeffizienter Betrieb der in die Jahre gekommenen haustechnischen Anlagen nicht möglich und die elektrische Verteilung entspricht in Umfang und Ausstattung nicht den modernen Ansprüchen. Die Verbrauchswerte für Heizung und Warmwasser sind entsprechend hoch. Eine Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. für kleinere Mehrfamilienhäuser zeigt auf, dass der überwiegende Anteil der betrachteten Gebäude Endenergieverbrauchswerte aufweist, die deutlich über dem durchschnittlichen Kennwert von 145 kWh/m²a bezogen auf die tatsächliche Wohnfläche und inklusive Warmwasser für kleine Mehrfamilienhäuser liegen. Vergleichbare Werte für den aktuell gesetzlich vorgeschriebenen energetischen Standard (EnEV 2009) für Neubauten gleicher Bautypologie liegen ca. 40 % darunter (ARGE, 2011: 45-48). Die Anlagentechnik der Gebäude entspricht häufig nicht mehr dem Originalzustand, denn der Wechsel von überwiegend handbeschickten Kohle- bzw. Holzöfen zu einer etagenweisen oder zentralen Wärmeversorgung erfolgte meist bereits. Da aufgrund des durchschnittlichen Erneuerungsintervalls der Wärmeerzeugung zwischen 20 und 25 Jahren diese sich wieder in einer Sanierungswelle befinden, ist die Qualität der Wärmeversorgung häufig besser als die bauphysikalische Qualität der Gebäudehülle. Das Optimierungspotential liegt in der Ertüchtigung der einzelnen Anlagenkomponenten, wie den Verteilleitungen, den Heizungspumpen und den Übergabesystemen. Eine energetische Sanierung ist neben der Senkung des Energiebedarfs auch wegen der Verbesserung der Behaglichkeit vorteil- haft. Die Gebäude der 1950er Jahre wurden überwiegend in Massivbauweise errichtet. Die Ziegel dieser Zeit weisen eine schlechte thermische Qualität auf. Auch die meisten obersten Decken und Dächer entsprechen nicht mehr dem heutigen Stand der Technik. Darüber hinaus lassen sich vereinzelt noch Einfachverglasungen, Glasbausteine oder Ornamentglas finden. Neben hohen Energieverlusten entstehen kalte Rauminnenflächen und Luftundichtigkeiten, die zu einer geringen Behaglichkeit in diesen Gebäuden führen. Mit einer energetischen Ertüchtigung der Gebäudehülle geht auch eine Steigerung der Behaglichkeit durch warme Raumoberflächen einher. Bei nachhaltigen Gebäudekonzepten spielt nicht nur die Einsparung von Energie für Raumwärme, sondern auch eine ressourcenschonende Bauweise eine wichtige Rolle. Bei einer Sanierung wird bereits vorhandene Bausubstanz genutzt und mit neuen Baumaterialien ergänzt. Die Angaben zu dieser „grauen Energie“ sind jedoch sehr unterschiedlich. Nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. wird der erhöhte Aufwand an Herstellungsenergiebedarf für einen Ersatzneubau gegenüber einer energetischen Vollmodernisierung im Mittel innerhalb von sechs bis zehn Jahren durch die zusätzliche Energieeinsparung des Neubaus ausgeglichen (ARGE, 2011:61ff ). Baukulturell befinden sich die Siedlungen in einer schwierigen Situation. Zwar wird die Bausubstanz der 1950er Jahre seit einiger Zeit als baukulturell bedeutsam und auch denkmalwert wiederentdeckt, der Massenwohnungsbau ist davon jedoch kaum betroffen. Die an der Behutsamen Stadterneuerung in Gründerzeitvierteln oder an aktuellen Neubauten geschulte diskursbildende Öffentlichkeit bringt für Architektur und Städtebau dieser Siedlungen nur ein begrenztes Interesse auf. Zudem zeigen sich deren sehr zurückhaltende Gestaltqualitäten oft in wenigen Details wie Fenster- Abb. 2 Viele Einfachmodernisierungen nehmen wenig Rücksicht auf die vorhandenen gestalterischen Qualitäten. Siedlung bei Farchant (Foto: A. Schröer) profilen, Türgliederungen und Putzbildern, die bei Modernisierungen höchst bedroht oder bereits zerstört sind. Die gestalterische Beliebigkeit vieler Modernisierungen vernichtet nicht nur das baukulturelle Erbe der Siedlungen, sondern könnte durchaus auch ihre Attraktivität auf dem Wohnungsmarkt mindern (Abb. 2). Wirtschaftliche und institutionelle Situation Aufgrund des unzeitgemäßen baulichen Standards sind viele der Siedlungen in die billigsten Wohnungsmarktsegmente abgestiegen. Zwar werden diese von besonders einkommensschwachen Schichten noch nachgefragt; ohne umfassende Modernisierungen werden aber viele Bestände langfristig nicht zukunftsfähig sein (ARGE, 2011:121, BDA u.  a. 2004). Viele Nachrüstungserfordernisse ergeben sich auch be149 reits durch zwingende Vorschriften wie z. B. aus der EnEV. Diesem Modernisierungsbedarf stehen jedoch begrenzte Finanzierungsquellen gegenüber. Die Bindungen aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau sind mittlerweile ausgelaufen, solange sie nicht durch neue Bindungen im Zuge von geförderten Modernisierungen ersetzt wurden. Als Folge können zwar leichter Mietsteigerungen, umlagefinanzierte Modernisierungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen durchgesetzt werden – jedoch Marktpotential vorausgesetzt und mit signifikant negativen Folgen für die Bestandsmieter. Zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit sollte zudem auch ein Vergleich mit den Neubaukosten angestellt werden. Studien zeigen, dass je nach angesetztem Wohnungsstandard Abriss und Neubau wirtschaftlicher sein können als eine Modernisierung, insbesondere wenn die Faktoren einer schwer erweiterbaren Kubatur, zu geringer Geschosshöhe, nur aufwändig herzustellender Barrierearmut, ungenügenden Schallschutzes etc. angetroffen werden (ARGE, 2011:101ff ). Danach ist eine rein energetische Sanierung durchaus wirtschaftlich, eine Vollmodernisierung inklusive Wohnraumanpassung und Maßnahmen zur Barrierefreiheit jedoch übersteigt die vergleichbaren Neubaukosten – sogar inklusive der Abrisskosten und des Aufwands für Ersatzwohnraum im Rahmen eines Umzugsmanagements – oft deutlich. Die vergleichbaren Neubaukosten bilden so eine weitere wirtschaftliche Grenze für den technisch möglichen Modernisierungsaufwand, die auch von einigen Förderprogrammen wie z. B. dem Bayerischen Modernisierungsprogramm verwendet wird (OBB, 2012:65). Um das Mietniveau sozialverträglich zu halten oder Modernisierungen überhaupt durchführen zu können, sind öffentliche Förderungen meist unumgänglich. Eine 150 vergleichsweise geringe Rolle spielt dabei die Städtebauförderung. Die Aufnahme von Siedlungen der 1950er Jahre in Programme der Städtebauförderung, vorzugsweise Stadtumbau West und Soziale Stadt, ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Im Stadtumbau West z. B. finden sich entsprechende Schwerpunkte vor allem in Schrumpfungsregionen in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen (vgl. BBSR, 2010). Eine bundesweit größere Rolle spielen Programme der Wohnungsbauförderung und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW); nutzbar sind auch Sonderprogramme für Energieeffizienz/ Erneuerbare Energien. Eine Ausweisung als Sanierungsgebiet ist hier aber nicht Pflicht, und so greift bei all diesen Förderungen nicht das ausgereifte Instrumentarium der Stadterneuerung mit seinen formellen Beteiligungsinstitutionen und seiner Einbettung in Integrierte Stadtentwicklungskonzepte. Ein besonderes Merkmal der Siedlungen ist die großmaßstäbliche Eigentümerstruktur. Auch wenn es in den letzten Jahren einen Trend zu Einzeleigentümern gegeben hat, ist ein großer Teil der Bestände noch in der Hand großer Wohnungsunternehmen, teils noch in öffentlicher oder genossenschaftlicher Trägerschaft. Diese können leichter eine Modernisierung ganzer Siedlungen „aus einer Hand“ planen und besitzen auch das nötige Potential z. B. zu einem Umzugsmanagement während der Bauphase. Ihre Portfolio-Strategien müssen jedoch meist besser als bisher mit der Stadtentwicklung abgestimmt werden. Probleme ergeben sich dabei insbesondere, wenn ein Eigentümerwechsel von lokalen und gemeinnützig orientierten Gesellschaften zu international tätigen Fondsgesellschaften stattgefunden hat (Happe u. a., 2010:235ff ). Soziale Situation Während in der Bewohnerschaft der lange Zeit bestimmende Anteil der Erstbezieher demographisch bedingt deutlich abnimmt, werden die Siedlungen durch den zunehmend als gering empfundenen Qualitätsstandard der Wohnungen zu einem bevorzugten Wohnort für einkommensschwache Haushalte mit hohem Migrantenanteil (Saphörster/Wendorf, 2011:58). Spannungen zwischen unterschiedlichen benachteiligten Gruppen sind möglich und können zu einem Imageproblem der Siedlungen beitragen. Angestammte Bewohner und Migranten weisen zwar jeweils oft eine hohe soziale Vernetzung in ihrer eigenen Gruppe auf, zählen aber nicht zu den alternativen und bürgerlichen Milieus, die die Behutsame Stadterneuerung im Kern mitgeprägt und mitgetragen haben. Lokale Gewerbetreibende fehlen fast völlig. Aktivierende Maßnahmen sind hier unumgänglich, um eine mehr als oberflächliche Beteiligung der Bewohner an einem umfassenden Sanierungsgeschehen zu erreichen. Für die alternde Generation der Erstbezieher stellen die vielfachen baulichen Barrieren ein großes Problem dar. Und auch wenn der derzeitige Wechsel eine temporäre Verjüngung der Bewohnerschaft bedeutet, müssen die Siedlungen auf eine tendenziell alternde Bevölkerung reagieren. Barrierearmut in Gebäuden und Freiräumen nützt dabei jedoch nicht nur Älteren, sondern vielen weiteren Bewohnergruppen mit eingeschränkter Beweglichkeit (ARGE, 2011:26). Modernisierungen, Mietsteigerungen oder Umwandlung in Eigentumswohnungen können eine Gefahr für die ansässigen Mieter bedeuten. Auch gesamtstädtisch entsteht ein Problem, wenn das wichtige Segment von besonders günstigen Wohnungen dadurch verkleinert wird. Die städtische Wohnungspolitik befindet sich hier in einem mehrfachen Spagat zwischen den Zielen der Erhaltung und Erweiterung eines gesamtstädtisch gut durchmischten Wohnungsangebots insbesondere vor dem Hintergrund auslaufender Mietpreis- und Belegsbin- Abb. 3 Die alternde Generation der Erstbezieher hat z. T. heute noch einen prägenden Anteil an der Bewohnerschaft. (Foto: H. Riemer) dungen, der Verhinderung einer lokalen Abwärtsspirale und von Stigmatisierung sowie der nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen oft gewünschten Ausnutzung attraktiver und gut erschlossener innerstädtischer Lagen für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen. Von den klassischen Gentrifizierungsprozessen, wie sie sich vorrangig in der ehemaligen Kulisse der Behutsamen Stadterneuerung der 1980er und 1990er Jahre abspielten, dürften die Siedlungen dagegen weit entfernt sein. Zwar bestehen Erwartungen, dass sie im Zuge der Reurbanisierung wieder an Attraktivität für Mittelschichtsbewohner gewinnen. Ohne umfangreiche Investitionen und Veränderungen dürfte dies jedoch unwahrscheinlich bleiben, da die Trägergruppen der Reurbanisierung gerade die urbanen, durch die Behutsame Stadterneuerung aufgewerteten Gründerzeitquartiere bevorzugen (Kabisch u. a., 2012:123). Die Siedlungen dagegen besitzen durch ihren vielfältigen Kontrast zu diesen urbanen Gründerzeitvierteln derzeit keine in größerem Maße erkennbare Attraktivität für Pioniere und gentrifier (Abb. 3). 151 Bauliche und städtebauliche Maßnahmen Die Siedlungen der 1950er Jahre sehen sich also einer Vielzahl von teils widersprüchlichen Herausforderungen gegenüber. Bevor nun im Folgenden unterschiedliche Strategien als Antworten darauf identifiziert werden, soll zunächst die Bandbreite möglicher Einzelmaßnahmen auf städtebaulicher und baulicher Ebene aufgezeigt werden. Handlungsfeld Städtebau: Nachverdichtung, Funktionsmischung, Wohnumfeld Die lockere, niedrige Bebauung der Siedlungen und die großen öffentlichen Freiflächen bieten ein hohes Potential für Nachverdichtung in verschiedener Form. Nachverdichtung schafft eine höhere und damit wirtschaftlichere Ausnutzung von Fläche und Infrastruktur wie z. B. einer Nahwärmeversorgung, die durch höhere Abnehmerdichte erst wirtschaftlich interessant wird. Nachverdichtung kann aber auch vorhandene städtebauliche Mängel, wie z. B. im Schallschutz, beseitigen und vor allem das Wohnungsangebot qualitativ, wie z. B. in Bezug auf Wohnungsgrößen und Ausstattung, ergänzen. Ein zukunftsfähiger Wohnungsmix in den Siedlungen bietet ein Angebot aus Wohnungen für junge Single-Erwachsene, aus größeren Wohneinheiten für Wohngemeinschaften für Jung und Alt, aus familiengerechten Wohnungen und barrierearmen Seniorenwohnungen (vgl. BDA u. a., 2004). Bereits 1994 veröffentlichte das Bayerische Innenministerium eine Beispielsammlung zur „Weiterentwicklung von Siedlungsgebieten“, deren bauliche Strategien noch heute Gültigkeit besitzen (vgl. OBB, 1994). Aufstockungen wie in München/Emilienhof sind unter Nutzung der vorhandenen Erschließung auch ohne Eingriff in die städtebauliche Gestalt möglich. Ergänzungen von Zeilenbauten durch Blockränder wie in München/Lortzingstraße schaffen eine zeitgemäßere Raumbildung und fungieren 152 als Schallschutz. Sie schaffen auch Platz für funktionale Ergänzungen wie Läden und Büros, die unter Umständen erst durch die Nachverdichtung wieder wirtschaftlich attraktiv werden, und Gemeinschaftsräume zur Stärkung der Nachbarschaften. Dazu gehören mindestens neue Nebengebäude oder -räume für Fahrräder und Kinderwägen sowie Wertstofftonnen, in größeren Siedlungen jedoch auch soziale Einrichtungen für Senioren oder Jugendliche. Neue Bautypologien wie Stadtvillen oder Reihenhäuser bereichern das Wohnungsangebot qualitativ deutlich. Meist ist dazu eine Bebauungsplanung notwendig, da nach den älteren übergeleiteten Bebauungsplänen oder nach §34 BauGB neue Typologien nicht umgesetzt werden können. Wichtig ist auch die Gestaltung des Wohnumfeldes. Parkplätze und Garagen können verlagert und konzentriert, im Zuge von Neubau- und Umgestaltungsmaßnahmen können Tiefgaragen angelegt werden. Somit entstehen Potentiale für Aufwertungen der Freiflächen. Dabei bietet sich auch die Schaffung privaten Grüns an Terrassen oder in Mietergärten an, allerdings unter Aufgabe des siedlungstypischen fließenden Freiraumes. Auch Spielplätze für verschiedene Altersgruppen und andere Gemeinschaftsflächen müssen oft neu geschaffen oder zumindest neu gestaltet und lärmverträglich integriert werden. Ebenso wie bei baulichen Maßnahmen ist auch hier eine Beteiligung der Bewohner sinnvoll (vgl. Felbinger u. a., 2011) (Abb. 4). Diesen ergänzenden und kleinteilig umgestaltenden städtebaulichen Maßnahmen gegenüber steht die Option von (Teil-)Abrissen. Im Falle einer Leerstandsbereinigung in Stadtumbau-Gebieten entsteht somit weiteres Potential zur Freiflächengestaltung oder Wiedernutzung durch andere Funktionen. In gut ausgelasteten Wohnungsmärkten wiederum können Abriss und Neubau bei hohem Modernisierungsbedarf oder hohem Verwertungspotential durch bevor- Abb. 4 Die Umwandlung der anonymen Freiflächen in Mietergärten sorgt oft für eine höhere Wohnqualität. Siedlung Am Eselsberg in Weilheim (Foto: A. Schröer) zugte Lagen eine wirtschaftlichere Lösung sein. Hier besteht die Chance zu baulich und städtebaulich zeitgemäßeren Lösungen wie im Beispiel Harthof in München, wo die nachkriegsmoderne Typologie durch Blockrandstrukturen ersetzt wurde. Noch deutlicher als bei Nachverdichtungen werden hier zu Lasten der originalen modernistischen Konzeption traditionellere städtebauliche Vorstellungen umgesetzt, wie sie im Zuge der historischen Behutsamen Stadterneuerung erst wiederentdeckt wurden. Verbunden mit Abriss und Neubau ist oft ein weitgehender Austausch von Bewohnern, solange nicht umfangreiche Wohnungsbauförderungen mit Bindungen verwendet werden. Größere Wohnungsunternehmen können hier immerhin einen Bestand an vergleichbaren Ersatzwohnungen anbieten (Abb. 5). Handlungsfeld Gebäude: Energie, Barrierearmut, Grundrisse Die Zeilentypologie bietet eine gute Ausgangsbasis für eine energetische Sanierung. Dabei sind drei Strategien – Energieeinsparung, Energieeffizienz und die Nutzung regionaler erneuerbarer Energien – zusammenzuführen. Grundsätzlich können diese Gebäude durch konventionelle Sanierungsmaßnahmen wie Abb. 5 Die Zeilensiedlung Am Hart in München wird zu einem großen Teil abgerissen und durch blockrandähnliche Neubebauung ersetzt. (Foto: Luftbild-Verlag H. Bertram) z. B. Dämmung der Außenwände, Erneuerung der Fenster und Dämmung des Daches auf ein sehr gutes Energieniveau gebracht werden. Die kompakte wärmebrückenarme Gebäudekubatur, die serielle Typologie und die lockere Bebauungsstruktur (Aufstellflächen für Baumaßnahmen) begünstigen die Umsetzbarkeit von großflächigen und rationellen Sanierungskonzepten. Dabei können sinnvolle Sanierungspakete geschnürt werden. So ist z. B. eine Dämmung der Außenwände immer sinnvollerweise in einer Kombination mit dem Austausch der Fenster umzusetzen. Die geringen Gebäudetiefen bieten ein hohes Potential für eine gute Besonnung im Tagesgang und eine gute Durchlüftung. Die lockere Bebauungsstruktur bietet durch die geringe Verschattung meist ein gutes Potential für eine aktive und passive Solarenergienutzung. Dabei ist eine strikte Südausrichtung nicht erforderlich. Solarthermische Anlagen bekommen insbesondere in Verbindung mit dezentralen Energieerzeugungssystemen wie z. B. Wärmepumpen einen hohen Stellenwert. Durch den Siedlungscharakter bietet es sich an, für ein ganzheitliches Energiekonzept über die oft übliche Einzelfallbetrachtung auf Gebäudeebene hinaus eine Gesamtbetrachtung auf Quartiersebene anzustellen. 153 Ziel sollte es sein, dass keine partiellen Einzelmaßnahmen durchgeführt werden, sondern dass eine übergeordnete Energieplanung auf städtebaulicher Ebene umgesetzt wird. Dabei umfasst die Erstellung eines ganzheitlichen Energieversorgungskonzepts auf Quartiersebene sinnvollerweise drei Phasen: die Bestands- und Potentialanalyse, die Konzeptentwicklung und die Umsetzung. Die Bestands- und Potentialanalyse ergibt einen detaillierten Überblick zur energetischen Situation vor Ort. Ermittelt und analysiert werden der bestehende Energiebedarf, die vorhandene Energieinfrastruktur sowie die im Untersuchungsgebiet verfügbaren Potentiale erneuerbarer Energien. Auf dieser Basis werden in der zweiten Phase Konzepte zur nachhaltigen Energieversorgung unter Berücksichtigung von Energieeinsparung und Effizienzsteigerung entworfen. Können lokale erneuerbare Energiepotentiale, wie beispielsweise Geothermie, hochtemperaturige Industrieabwärme, Solarenergie oder Holz erschlossen oder vorhandene Infrastruktur genutzt werden, ist die Umsetzung von zentralen Versorgungssystemen vorteilhaft. Dabei ist eine wirtschaftliche Umsetzung von Nahwärmenetzen stark an die Wärmeabnahme pro Trassenmeter gekoppelt. Eine ausreichend hohe Abnahmedichte kann zum einen aus einer hohen städtebaulichen Dichte oder auch aus Gebäuden mit einem hohen Energiebedarf resultieren. Die dritte Phase der Umsetzung der aufgestellten Konzepte ist über geeignete Planungsinstrumente (Sanierungssatzungen), Förderinstrumente, geeignete organisatorische und finanzielle Modelle und über die Einbindung der relevanten Akteure zu steuern. Durch diese umfassende Betrachtung wird ersichtlich, inwieweit eine Senkung des Energiebedarfs in welchem zeitlichen Horizont möglich ist und welche Versorgungsstrukturen daraus resultieren (vgl. StMUG u. a., 2011). (Abb. 6) Beim Handlungsfeld Barrierearmut bietet sich eine Vielzahl auch kleinteiliger Lösungen 154 Abb. 6 Die großen Dächer der Zeilenbauten eignen sich oft hervorragend für die Nutzung von Solarenergie. Siedlung in Ochsenfurt (Foto: H. Riemer) an. Denn die nachträgliche Installation von Aufzügen ist äußerst aufwendig und bei den geringen Geschossigkeiten meist nicht wirtschaftlich – in Einzelfällen können hier aber Aufstockungen oder Grundrissneuorganisationen mit Laubengängen entscheidend sein. Umso wichtiger ist es, zumindest die Erdgeschosswohnungen leichter zugänglich zu machen, wie z. B. durch Anschüttungen an Hochparterres. Wirklich barrierefreie Wohnungen lassen sich jedoch am leichtesten durch nachverdichtende Neubauten schaffen. Die oftmals zu kleinen Bäder können v. a. im Zuge von weiteren Grundrissänderungen vergrößert und neugeordnet werden. Da im Bestand ohnehin eher zu kleine und zu viele gleichartige Wohnungen vorhanden sind, können im Zuge der Sanierungs- und Umbaukonzepte größere Wohneinheiten durch Zusammenschluss geschaffen werden. Auch zusätzliche Gemeinschaftsräume auf Gebäudeebene können dabei entstehen. Vielerorts fehlende Freisitze lassen sich relativ leicht, z. B. durch vorgestellte Balkonregale, ergänzen und vergrößern ebenfalls Komfort und Wohnfläche. Eine große Herausforderung hierbei stellt die Tatsache dar, dass solche größeren Umbaumaßnahmen kaum im bewohnten Zustand durchführbar sind. Dies erfordert lang- fristige Planung seitens der Wohnungsbauunternehmen und mittelfristige Lösungen für Ersatzwohnraum, wie Neubauten oder Umzugsmanagement. Einfacher im bewohnten Zustand durchzuführen sind rein energetische und installationstechnische Maßnahmen. So kann die Installationsführung in die Außenwand verlegt werden; eventuell können auch bestehende, stillgelegte Kamine im Inneren zur Installationsführung herangezogen werden, insbesondere wenn zentrale lüftungstechnische Systeme nachgerüstet werden. Gestalterisch stoßen Modernisierungen auf die beschriebenen Probleme einer äußerst empfindlichen gestalterischen Detaillierung. Beispiele, die die vorhandenen Qualitäten erhalten, sind deswegen selten. Als Alternative zu der oft beklagten gestalterischen Beliebigkeit stechen dagegen Projekte wie das Komponistenviertel in Ingolstadt hervor, die die Siedlungen auch im Erscheinungsbild deutlich überformen und sich dabei an den aktuellen architektonischen Moden orientieren (Abb. 7). Strategien und Entwicklungspfade Idealtypisch lassen sich bei der Erneuerung der Siedlungen verschiedene Strategien und Entwicklungspfade unterscheiden, die auf die beschriebenen Maßnahmen zurückgreifen. Dabei zeigt sich allerdings, dass die Elemente der Behutsamen Stadterneuerung oft nur bruchstückhaft zum Einsatz kommen. Nullvariante Viele Siedlungen wurden bereits in den vergangenen zehn bis 15 Jahren in verschiedenem Umfang modernisiert; der dabei erreichte Standard ist in den meisten Fällen ausreichend für die nächsten Jahre. Möglich und sinnvoll können jeweils noch ergänzende Maßnahmen im Wohnumfeld sein, da frühere Modernisierungen oft nur bauliche Abb. 7 Auch wenn, wie hier in Ingolstadt, einige Architekturelemente der 1950er Jahre übernommen werden, verändern die zeitgenössischen Modernisierungen das Gesicht der Bauten meist grundlegend. Foto: (H. Riemer) Aspekte behandelten. Noch weiter zurückliegende Modernisierungen entsprechen jedoch oft nicht mehr den heutigen, v. a. den energetischen, Ansprüchen und erfordern erneutes Handeln. Einfache Modernisierung Eine einfache Modernisierung, z. B. nur von Hülle und Anlagentechnik, bedeutet einen weitgehenden baulichen, städtebaulichen und auch sozialen Bestandserhalt. Auf die Bewahrung vorhandener oder die Schaffung echter neuer Gestaltqualitäten wird dabei allerdings meist nicht geachtet. Eine Bewohnerbeteiligung findet meist nur in sehr geringem Umfang statt. Die Mieten bleiben aber, v. a. bei Einsatz entsprechender Förderung, für die Stammmieter meist bezahlbar. Dies sichert den Erhalt eines günstigen Wohnungsmarktsegments, birgt jedoch auch die Gefahr der Entstehung oder Verfestigung lokaler sozialer Brennpunkte und der mangelnden langfristigen Zukunftsfähigkeit der Siedlungen. Vollmodernisierung Hier werden zusätzlich Grundrissanpassungen sowie Maßnahmen zur Barriere155 armut usw. vorgenommen. Grundsätzlich bleiben auch hier bauliche und städtebauliche Strukturen erhalten, werden jedoch deutlich überformt. Damit sind oft durchaus attraktive neue Gestaltqualitäten und eine Neuordnung der Freiflächen verbunden. Im Vergleich mit Neubaukosten bewegen sich diese Maßnahmen an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit und bedürfen umfassender Refinanzierungsmöglichkeiten. Ein verträgliches Mietniveau ist hier nur bei erheblichem Einsatz von Fördergeldern denkbar. In den meisten Fällen aber werden die zu erwartenden Steigerungen eine Gefahr für einkommensschwache Stammmieter bedeuten, Zielgruppe sind denn auch meist neue Bewohnerschichten im Zuge der Reurbanisierung. Da größere Baumaßnahmen ohnehin nur im unbewohnten Zustand vorgenommen werden können, bietet sich bei größeren Wohnungsunternehmen die Bereitstellung von Umsetzwohnungen an, die evtl. auch langfristig als gleichwertiger Ersatz wahrgenommen werden. Umbau durch Nachverdichtung Während bei Nachverdichtung die vorhandenen Gebäude erhalten und vielleicht nur geringfügig modernisiert werden, werden durch die neu hinzukommenden Gebäude die städtebaulichen Strukturen deutlich verändert. Dies sorgt nicht nur für eine bessere Auslastung von Fläche und Infrastruktur, sondern beseitigt städtebauliche Mängel und ergänzt das Wohnungsangebot qualitativ. Dies ermöglicht einen Mix von günstigen einfach sanierten und von teureren neugebauten Wohnungen im Quartier, und damit eine soziale Mischung von Stammmietern und neu Hinzuziehenden. Es erfordert allerdings in besonderer Weise eine Planung „aus einer Hand“, d. h. durch einen einzigen Eigentümer. Der Siedlungscharakter ändert sich tiefgreifend, eine Neuordnung der Freiflächen ist dabei unerlässlich. Dabei findet oft eine Überformung des modernistischen Städtebaus durch nachmoderne bzw. tradi156 tionellere Formen wie Blockränder etc. statt, die eine höhere Attraktivität für die Trägergruppen der Reurbanisierung bieten. Abriss und Neubau Soll eine deutliche Steigerung des Wohnungsstandards erzielt werden, sind Abriss und Neubau eine Option, die bei hohem Modernisierungsbedarf und/oder hohem Vermarktungspotential wirtschaftlicher ist. Hierbei können vollständig neue bauliche und städtebauliche Lösungen entstehen, solange nicht auf vorhandene Baurechte zurückgegriffen werden muss. Die Folgen für die Bestandsmieter sind dabei nicht nur wegen der Baumaßnahmen, sondern v. a. auch wegen der folgenden Neubaumieten gravierend. Größere Wohnungsunternehmen können diese durch Ersatzwohnungen und Umzugsmanagement lindern, evtl. entstehen auch neue Bindungen bei Einsatz von Wohnungsbaufördermitteln. Der Widerstand von Bewohnern dagegen ist im Vergleich zu den Protesten im Entstehungskontext der Behutsamen Stadterneuerung allerdings deutlich geringer. Denn die betroffenen Bewohnergruppen besitzen nur ein geringes Artikulationspotential, und auch die weitere Öffentlichkeit bringt für die Siedlungen nur ein begrenztes Interesse auf. Auch hier werden vorzugsweise nachmoderne und traditionalistische städtebauliche Formen verwirklicht. Ersatzloser Abriss Dieser Beitrag beschäftigt sich v. a. mit der Erneuerung von Siedlungen in gut ausgelasteten Wohnungsmärkten. Bei hohen Leerständen dagegen können (Teil-) Abrisse eine Option sein. Die städtebauliche Struktur des Quartiers ändert sich dadurch gravierend, Aufwertungen des Wohnumfeldes für verbleibende Bauten sind jedoch möglich. Zur nötigen Finanzierung sowie zur Konfliktregelung bietet sich die Ausweisung eines Stadtumbaugebietes mit dem erprobten Instrumentarium aus Städtebauförderung und Besonderem Städtebaurecht an. Fazit und Ausblick Die westdeutschen Siedlungen der 1950er Jahre waren lange Zeit das „Aschenputtel“ der Stadterneuerung. Ihre schlechte Bausubstanz und ihr aus der Mode gekommener Städtebau verschafften ihnen ein schlechtes Image bei Wohnungssuchenden und Planern, eine öffentliche Debatte fand, wenn überhaupt, dann nur unter wohnungswirtschaftlichen Gesichtspunkten statt. Erst zwei neuere Entwicklungen haben sie wieder ins Licht einer breiteren Diskussion gerückt: Mit dem zunehmenden Druck zur energetischen Modernisierung wird verstärkt die Frage nach ihrer Zukunftsfähigkeit und nach der Sinnhaftigkeit ihres Erhalts gestellt. Gleichzeitig wird im Zuge der Reurbanisierung ihr Potential für neue Bewohnergruppen diskutiert, während sie gleichzeitig aber eine wichtige Rolle für einkommensschwache Haushalte spielen. Daneben gewinnen über die Debatten zum Denkmalwert der 1950er Jahre auch baukulturelle Aspekte an Bedeutung. Im Vergleich mit der historischen Behutsamen Stadterneuerung zeigt sich, dass deren Ansprüche im heutigen Kontext der Siedlungen schwer in Gänze durchsetzbar sind. Eine Einfachmodernisierung erhält zwar bauliche und städtebauliche Strukturen – wobei diese gerade im Gegensatz zu den im Kontext der Behutsamen Stadterneuerung entwickelten und weit verbreiteten Vorstellungen von Urbanität stehen. Auch deswegen drohen diese Gebiete dann aber im Zuge der Reurbanisierung gegenüber attraktiveren anderen Gebieten, z. B. sanierten Gründerzeitvierteln oder auch sanierten Großsiedlungen mit besserem Standard, zurückzufallen und sich zu sozialen Brennpunkten zu entwickeln. Auffangmaßnahmen dafür, wie z. B. Quartiers- oder Kiezmanagements, sehen sich wegen der Kürzung der entsprechenden Städtebauförderprogramme bzw. gerade wegen der geringen Mieten Finanzierungsschwierigkeiten gegenüber. Zudem werden die hohen Potentiale der Siedlungen zur gesamtwirtschaftlichen Energieeinsparung zu wenig genutzt. Weitergehende bauliche Änderungen, die z. B. bei Vollmodernisierungen nicht mehr baulich „behutsam“ genannt werden können, können außerdem zu Lasten der angestammten Bewohner gehen, solange sie nicht durch einen erheblichen Einsatz von Fördermitteln ausgeglichen werden. Auch dann ist jedoch nicht garantiert, dass eine der Behutsamen Stadterneuerung vergleichbare Bewohnerbeteiligung stattfindet, da das verbreitete Förderinstrumentarium dies so nicht vorsieht. Als „Königsweg“ können so Nachverdichtungen gelten, die zwar die städtebaulichen und auch Freiraumstrukturen gravierend verändern, jedoch gleichzeitig die Chance eines baulichen und sozialen Bestanderhalts gewähren. Ironischerweise orientieren sich viele der umfassenden städtebaulichen Neuordnungen bei Nachverdichtungen und Neubauten an den klassischen „urbanen“ Leitbildern aus dem Entstehungskontext der Behutsamen Stadterneuerung wie Blockrandbebauung und Funktionsmischung. Insgesamt ist jedoch zu beobachten, dass die Umstrukturierungen in den Siedlungen auf weit weniger Interesse stoßen als Prozesse in Gründerzeitvierteln. Der Grund dafür liegt neben der wenig artikulationsgeübten Bewohnerschaft sicher auch in ihrem heute wenig attraktiven baulichen und städtebaulichen Erbe. Doch auch außerhalb der Prinzipien der Behutsamen Stadterneuerung ist eine sinnvolle Entwicklung der Siedlungen durchaus möglich. Damit die Potentiale der Siedlungen für die gesamte Stadtentwicklung genutzt werden, muss sich die Diskussion stärker von Fragen der rein baulichen Sanierung auf die Ebene des Quartiers und auch der gesamtstäd157 tischen Wohnungspolitik verlagern. Durch ihren Siedlungscharakter können ganzheitliche Sanierungskonzepte auf der gesamten Quartiersebene unter Anwendung von Rationalisierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Grundlage für einen zukunftsorientierten Umgang mit den Siedlungen der 1950er Jahre können also nur integrierte Stadtteilentwicklungskonzepte bieten. Diese müssen die sich abzeichnende demografische Entwicklung, Fragen zur Energieeinsparung und Energieeffizienz, Stadtteilentwicklung, Wohnraumversorgung und Finanzierung berücksichtigen. Diese umfangreiche Herangehensweise erfordert eine detaillierte Auseinandersetzung mit den lokalen Gegebenheiten, um tragfähige Lösungen und Investitionsstrategien für die jeweiligen Wohnungsunternehmen zu schaffen. Entscheidungen, welche auf dieser Grundlage getroffen werden, werden vielerorts das gewohnte Stadtbild beeinflussen. Neben den städtebaulichstrukturellen Veränderungen führen Sanierungen unweigerlich zu Überformungen der Baukörper. Die Zeilenbauten der 1950er Jahre sind jedoch auch Zeitzeugen einer vergangenen Epoche; deshalb sind architektonisch anspruchsvolle Lösungen für erhaltenswerte Substanz ein Gebot. 158 Insbesondere für diese planerischen Teilkonzepte bietet sich das Planungsinstrument des Wettbewerbs an, um aus einer Vielzahl an Lösungen die optimale Strategie herauszufinden. Die Anforderungen und Rahmenbedingungen sollten allerdings im Vorfeld des Wettbewerbs geklärt werden, damit tragfähige Ideen aus den besten Einreichungen identifiziert werden können. Hierzu gehören Informationen zur Bausubstanz, Vorgaben zum Umfang des Neubaus, des Anbaus oder einer Erweiterung, die Möglichkeit eines Ersatzneubaus, Daten zur vorhandenen sozialen und technischen Infrastruktur usw. Fragen der Finanzierung können nicht über einen Architekturwettbewerb gelöst werden und sollten deshalb separat anhand einer Machbarkeitsstudie geklärt werden (vgl. CDC, 2010 und BMVBS, 2009). Eine Qualitätssicherung ist umso nötiger, als in den Siedlungen nur in Ausnahmefällen das bekannte Instrumentarium der Städtebauförderung und des Besonderen Städtebaurechts zum Einsatz kommt. Die häufiger eingesetzte Wohnungsbau- und Modernisierungsförderung stellt wesentlich weniger Ansprüche an Ganzheitlichkeit und beteiligende Verfahren – hier besteht deutlicher Bedarf für eine Neujustierung. Literatur ARGE (Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V). (Hg.) (2011): Wohnungsbau in Deutschland – 2011. Modernisierung oder Bestandsersatz. Kiel BDA (Bund Deutscher Architekten); DEUTSCHER STÄDTETAG; BUNDESVERBAND DEUTSCHER WOHNUNGSUNTERNEHMEN E.V. (Hg.) 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München 159 Arvid Krüger „Renewal Mainstreaming“: Stadterneuerung als rein kommunale Aufgabe? Stadterneuerung als Verstetigungsaufgabe Die aktuellen politischen Entwicklungen in der Stadterneuerung mit der „Kaltstellung“ der Programmsäule Soziale Stadt brauchen nicht als Anlass dienen, über Verstetigung in der Stadterneuerung nachzudenken, sie verschärfen aber das Problem. Gerade in der Sozialen Stadt hat sich gezeigt, an welchen Stellen eine behutsame Stadterneuerung Daueraufgabe ist, ja sein muss. Wo die lokalen Benachteiligungsmechanismen im gesamtstädtischen Kontext dauerhaft wirken, da bedarf es einer stetigen raumbezogenen, ganzheitlichen Intervention im Sinne der Behutsamen Stadterneuerung. Ein solches mainstreaming von Stadterneuerung hätte nicht nur die baulich-physischen Aspekte eines Quartiers im Blick und beschränkt sich nicht darauf, diese Aspekte isoliert im Rahmen einzelner Maßnahmen oder Projekte durch temporär wirkende Instrumente abzuarbeiten. Der politisch geführte Diskurs, Städtebauförderung auf genau diesen verengten Blick zu konzentrieren, würde bedeuten, dass Stadterneuerung nur noch in der Lage wäre, im Quartier die Hülle von etwas bereitzustellen, also beispielsweise einen materiellen sozialen Infrastrukturstandort. Aber ob dieser Standort bzw. seine Einrichtungen überhaupt den relevanten lokalen benachteiligten Gruppen nutzbar gemacht wird, ob die materielle Ausstattung des Quartiers überhaupt einer individuellen escape opportunity aus den Benachteiligungsmechanismen dienen kann, ob die Kommunikationsnetze des Quartiers inkludierend oder exkludierend wirken und wie es um die sym- bolische Kapazität des Quartiers bestellt wäre (vgl. Krüger, 2008:37ff ), all das ginge Städtebauförderung nichts mehr an, wenn sich diejenigen durchsetzen, welche eine Reduzierung auf das „Baulich-Physische“ wollen. Das entspräche dann auch nicht mehr einer Behutsamen Stadterneuerung. Berlin-Lichtenberg gehört nicht zu den entscheidenden Orten der Stadterneuerungsgeschichte (wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg); immerhin sind die Großsiedlungen des Bezirks Stadtumbaukulisse. Die Berliner Besonderheit beim Stadtumbau Ost besteht aber darin, dass die Gebiete nicht als Ganzes durch Stadtumbau entwickelt wurden, sondern dass überzählige Kitas und Schulen abgerissen und die Grünräume qualifiziert wurden. Die Interventionen des Stadtumbaus sind also nur punktuell und temporär, wogegen die Berliner Tradition der Stadterneuerung eher in einer ganzheitlichen Betrachtung des Quartiers liegt – von IBAZeiten bis zu den Aktionsräumen-Plus im Rahmen der Sozialen Stadt. Auch das neue Sanierungs-/Stadtumbaugebiet des Bezirks orientiert sich eher an der Methodik der temporären Intervention. Die Stadtumbaukulisse soll in einem über die letzten 20 Jahre im Gegensatz zu seinen Nachbarquartieren eher vernachlässigtem Altbauquartier den öffentlichen Raum qualifizieren – also werden Stadtparks und Grünplätze umgestaltet. Das Sanierungsrecht, explizit über drei Teilräume gelegt, dient auch dazu, drei konkrete Lösungen für drei konkrete Probleme zu finden: die ehemalige Stasizentrale der DDR, ein verfallenes denkmalgeschütztes Stadtbad und ein leer gezogener Krankenhauskomplex (Lindenhof ). Damit stellt sich 161 die Stadterneuerung Berlin-Lichtenbergs als ein auf das Notwendigste reduziertes Instrumentarium dar. Die Förderkulisse dient damit einzelfallbezogen und zeitweise zur Behebung eines einzelnen, aus dem Kontext herausgelösten städtebaulichen Missstandes. Das ist die eine Seite der Lichtenberger Stadterneuerungsgeschichte und -praxis. Die andere Seite der Stadterneuerungspraxis in Berlin-Lichtenberg entstand, weil der Bezirk in den letzten 20 Jahren eher außerhalb der Aufmerksamkeit gesamtstädtischer Debatten lag. Es haben sich endogen Instrumente einer präventiven Stadterneuerung entwickelt. Der demografische Wandel im Sinne einer veränderten Bevölkerungszusammensetzung in den Großsiedlungen bedeutet eine gleiche Aufgabenstellung wie in den Verstetigungsgebieten der Sozialen Stadt. Beide müssen sich mit folgender Frage auseinandersetzen: „Der integrative Ansatz des Programms [Soziale Stadt] und die Einbindung gesellschaftlicher Akteure benötigt in den Gebieten eine zumindest mittelfristige Förderperspektive. Eine Weiterentwicklung des Ansatzes könnte darin liegen, dass auch in ‚benachbarten‘ Politikfeldern Programme und Instrumente bereitgestellt werden, die vor allem in den benachteiligten Quartieren zur Anwendung kommen, passgenau gebündelt werden können und dabei den lokalen Besonderheiten Rechnung tragen“ (Anders u. a., 2012:268). Da die soziodemografische Lage BerlinLichtenbergs im Berliner Vergleich nie für die Aufnahme in das Programm Soziale Stadt „ausgereicht“ hat, musste sich der Bezirk bereits jetzt damit auseinandersetzen. Das Modellvorhaben Kiezmanagement in der dort gelegenen Großsiedlung Neu-Hohenschönhausen hat Wege aufgezeigt, wie eine behutsame, präventive Stadterneuerung aussehen kann. Das Modellvorhaben steht „[...] für neue Formen der öffentlichen 162 Intervention in der Stadtentwicklung. Diese ist besonders charakterisiert durch: • die Einbettung von Investitionen in einen dezidierten Managementprozess unter Einbeziehung der Akteure sowohl in den Gebieten als auch der öffentlichen Hände, • die Herausforderung fachlich und institutionell stark segmentierter Handlungsfelder durch einen problembezogenen und integrativen Ansatz, • die Schaffung von gebietsbezogenen Kommunikations- und Organisationsformen mit dem Ziel der Selbstorganisation in den Quartieren und • die Anschubförderung mit dem (zunächst wenig beachteten) Ziel einer Verstetigung in Form der Überführung ggf. erfolgreicher Strukturen in dauerhafte Trägerschaften vor Ort“ (Anders u.  a., 2012:269). Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern die sogenannte Stadtteilrunde den Anforderungen des ersten und dritten Punkts genügen kann, inwiefern die Ansiedlung dieser Stadtteilrunde an der Schnittstelle von Gemeinwesenarbeit und Stadterneuerung mit der im zweiten Punkt genannten Herausforderung umgehen kann. Die verbleibenden Stadtumbaumittel für die Großsiedlungen Berlin-Lichtenbergs (nach 2013) könnten in ihrer Zielstellung dem vierten Punkt zugeordnet werden. Berlin-Lichtenberg wäre im Rahmen der Verstetigung des konkreten Modellvorhabens Kiezmanagement zugleich eine Möglichkeit für eine, von vornherein kommunal und dauerhaft angelegte, präventive Stadterneuerung. Entscheidend in Berlin-Lichtenberg ist nämlich, dass ein Großteil der Ressourcen zur Umsetzung der präventiven Stadterneuerung bereits jetzt vom Bezirk erbracht wird. Diese Ressourcen kommen fragmentiert aus unterschiedlichen Ressorts mit jeweils unterschiedlichen raumorientierten Reformbemühungen und der Verstetigung von Sonderfördertatbeständen anderer Ressorts, die originär nichts mit Stadterneuerung zu tun haben. Es gab bzw. gibt seit 2009 bis 2013 mit dem Kiezmanagement die Möglichkeit, diese Ressourcen zu bündeln. Das war zwar nicht der Zweck des Kiezmanagements – ursprünglicher Zweck war die Erprobung der Partnerschaft zwischen Stadterneuerung und kommunaler Wohnungswirtschaft – aber dessen Effekt. Das Kiezmanagement, aus der Profession „Stadterneuerung“ stammend, war die Initialzündung dafür, dass mit einem konsequenten Raumbezug und einem konsequenten Blick auf die lokalen Benachteiligungsmechanismen als zeitgemäße Interpretation des „städtebaulichen Missstands“ eine lokale Steuerungsinstanz entstand. Stadtteilarbeit und Stadterneuerung in den Großsiedlungen Berlin-Lichtenbergs Der Bezirk Berlin-Lichtenberg besitzt mehrere Großsiedlungen, die in den 1960er bis 1980er Jahren errichtet wurden: • Friedrichsfelde Süd (auch genannt: HansLoch-Viertel/Sewanviertel): 1960er Jahre; ca 25.000 EW; • Friedrichsfelde Ost: 1970er Jahre; ca. 13.000 EW; • FAS/Frankfurter Allee Süd (Lichtenberg): 1970er Jahre; ca. 10.000 EW; • Fennpfuhl (Lichtenberg): 1970er/80erJahre; Prototypsiedlung für Marzahn; ca. 32.000 EW; • Fennpfuhl: Bauabschnitt nördl. Landsberger Allee (Hohenschönhausen-Süd); ca. 13.000 EW; • Neu-Hohenschönhausen, 1980er Jahre; ca. 55.000 EW. Kurzvorstellung der Großsiedlungen Die Siedlung Fennpfuhl wurde im Stadtteil Lichtenberg als Testfall für die Großsiedlung Marzahn errichtet, auch Hohenschönhausen steht in demselben Kontext der großmaßstäblichen Errichtung von Wohnsiedlungen für die stark wachsende Bevölkerung Ost- Abb. 1 Warnitzer Bogen (Foto: Kiezmanagement Welsekiez) berlins in den 1970er und 1980er Jahren. Alle Großsiedlungen haben unter dem Einbruch der Geburtenzahlen ab 1990 gelitten. Zudem begegneten sie im jeweils dritten Jahrzehnt ihrer Existenz dem zyklischen Phänomen, dass die Kinder der Erstbezieher-Generation bei der Gründung ihres eigenen Haushalts nicht automatisch in der Siedlung bleiben, in der sie aufgewachsen sind. Die Friedrichsfelder und Lichtenberger Großsiedlungen – etwas älter als Marzahn – haben bereits in den 1980er Jahren geringfügig begonnen ihre Bewohnerschaft zu erneuern und blieben nach 1990 relativ stabil. Ein hoher Anteil an Erstbeziehern war nach 1990 nicht mehr in dem typischen Alter, sich noch suburbane Wohnwünsche erfüllen zu können bzw. strebte mit zunehmendem Alter auch nach einer residenziellen Verfestigung: zentrumsnah, in städtebaulich stark durchgrünten Siedlungen mit hohem Komfort (Aufzüge, sanierte Bäder). Diese Wünsche konnten die nach 1990 zügig sanierten Plattenbauten erfüllen. Nichtsdestoweniger sank die Bevölkerungszahl stark, da die Siedlungen bei Haushaltsgründern in den 1990er/2000er Jahren im Gesamtberliner Kontext schlicht als Ziele außerhalb des Innenstadtrings nicht im Fokus standen. Erst in den letzten Jahren erhöhen sich die Zuzugszahlen; und gerade in den Randbereichen des Fennpfuhls ist heute auch ein für den Ostberliner Stadtrand vergleichsweise hoher und auch durchmischter 163 Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung zu verzeichnen. Gleichzeitig entdecken jüngere Angehörige der Mittelschicht die ringbahnnahen Quartiere Fennpfuhl, Frankfurter Allee Süd und mit Abstrichen auch das Sewanviertel, das zwischen dem Bahnhof Ostkreuz (Ringbahn) und Tierpark Berlin liegt. In den demografisch stabilen Lagen des Sewanviertels mit eher niedrigen Häusern aus den 1960er Jahren, in Frankfurter Allee Süd und in den zentralen Lagen Fennpfuhls an der Ringbahn rund um dessen zentralen Anton-Saefkow-Platz ist daher auch eine soziale Stabilität erkennbar. Die in den 1980er Jahren gebaute Großsiedlung Neu-Hohenschönhausen kommt erst in das dritte Jahrzehnt ihrer Existenz, d. h. der zyklische Wechsel der Erstbevölkerung findet gerade statt. Auffallend ist, dass nach den „kinderarmen“ 2000er Jahren die Kinderzahl massiv ansteigt; und tatsächlich finden sich unter den Haushaltsgründungen viele in Neu-Hohenschönhausen aufgewachsene Familien, die Kinder der Erstbezieher-Generation. Ergänzt durch eine Zuwanderung ärmerer Schichten aus anderen Stadtteilen sowie durch eine Zuwanderung von sogenannten Russlanddeutschen und Vietnamesen ergibt sich für Neu-Hohenschönhausen ein heterogeneres Bild, welches aber hinsichtlich Migration übersichtlicher als beispielsweise im Fennpfuhl ist. Für Neu-Hohenschönhausen, für Friedrichsfelde Ost sowie für die lageungünstigen Teile Fennpfuhls gilt, dass sie im sozialen Monitoring auffällig geworden sind. Dabei rutschen sie vom mittleren Entwicklungsindex in den niedrigen Entwicklungsindex. Sie liegen damit zwar deutlich oberhalb der Entwicklungsindizes der Quartiersmanagementgebiete oder der Aktionsräume-Plus (den Berliner Soziale-Stadt-Quartieren), aber im unteren Bereich auf Berlin-Lichtenberg bezogen. Deutliche Anzeichen einer sich sozial verschlechternden Lage sind in den Einschulungsuntersuchungen erkennbar und lassen 164 sich vereinfachend mit dem Phänomen einer abgehängten sogenannten „deutschen Unterschicht“ erklären. Nach Informationen des Jugendamts sind insbesondere für NeuHohenschönhausen erstmalig „WeitergabeTendenzen“ eines niedrigen sozialen Status erkennbar, da die durchmischten Quartiere der DDR-Zeit gemäß der Definition von Mischung dementsprechend auch hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenzen schwache Teilgruppen besaßen – deren Kinder gehören jetzt dieser „deutschen Unterschicht“ an. Nachbarschaftshäuser als „Nebenprodukte“ der Städtebauförderung Alle Großsiedlungen waren oder sind Stadtumbaugebiete bzw. Zielgebiete der Wohnumfeldmaßnahmen ostdeutscher Großwohnsiedlungen (Städtebauförderung der 1990er Jahre). Städtebaulich sind sie in einem guten bzw. sehr guten Zustand. Die öffentlichen Investitionen konzentrierten sich auf den Ausbau bzw. die Fertigstellung des stark durchgrünten öffentlichen Raums (teils unter Einbeziehung der Flächen der durch Stadtumbau abgerissenen Bausubstanz) und die Wohnungsqualität: energetische Sanierung, Bäder-/Strangsanierung, zum Teil Einbau von Aufzügen und Neugestaltung der Eingangssituationen (z. T. Conciergedienste). Viele im Rahmen des demografischen Wandels sowie des Klimawandels aktuelle Anforderungen wurden in den 1990er Jahren in den Plattenbauten nach damaligen Normen erfüllt. Mehrere Schulneubauten entstanden in der selben Zeit (vier in Neu-Hohenschönhausen, einer in Friedrichsfelde Süd), drei weitere regionale Schulstandorte mit denkmalgeschützter Bausubstanz wurden in der Bezirksregion Friedrichsfelde-Rummelsburg sowie in Frankfurter Allee Süd saniert (ehemalige Sanierungs-/URBAN-II-Gebiete). In Friedrichsfelde Süd (Renovierung), Frankfurter Allee Süd (Ersatzneubau) und NeuHohenschönhausen (Umbau) entstanden mit Städtebauförderungsmitteln aus aufgegeben Schulbauten große Nachbarschaftshäuser. Ergänzend entstanden in Neu-Hohenschönhausen, Friedrichsfelde Ost und in Fennpfuhl an dafür geeigneten Stellen in Ladenzonen bei den Wohnungsunternehmen weitere Nachbarschaftstreffs. Als Gebäudetypologie existieren Nachbarschaftshäuser und -treffs flächendeckend in den Großsiedlungen des Bezirks (Abb. 2 u. 3). Die typischen Angebote dort sind dem soziokulturellen Spektrum zuzuordnen (VAV 2013, Kiezspinne 2013). Diese Angebote sind ohne das Programm Soziale Stadt entstanden. Allerdings sind das Angebotsspektrum und die räumliche Bündelung als Nachbarschaftshaus bzw. -treff. mit entsprechenden Projekten der Sozialen Stadt vergleichbar. Dazu gehören u. a. • Familienarbeit, • Angebote für Senioren, • Angebote für Arbeitslose, • Angebote für russischsprachige Migranten, • ehrenamtliche Schülerhilfe, • Sozialberatung. Finanziert werden diese Angebote durch die kommale Regelförderung, durch Projektförderung (z. B. ESF) sowie durch die Arbeitsmarktförderung. Die Herausbildung von solchen soziokulturellen Infrastrukturstandorten ist in Lichtenberg hinsichtlich deren Genese eindeutig dem Feld der Gemeinwesenarbeit zuzuordnen, nicht der Stadterneuerung (s. u.). Im Rahmen von Stadterneuerung sind aber zwei andere Aspekte modellhaft anhand des Kiezmanagements ausprobiert worden: Wohnungswirtschaft und Stadtteil- bzw. Quartiersmanagement. Kiezmanagement als ergänzendes Instrument der Stadterneuerung – Modellvorhaben 2009 bis 2013 Das Kiezmanagement ist eine informell verfasste Institution, die prinzipiell nach den Grundsätzen der Stadterneuerung „im Geiste“ der Sozialen Stadt in einem Stadt- Abb. 2 Der Sitz des Kiezspinne e.V., das Nachbarschaftshaus Orangerie (Foto: Kiezspinne e.V.) Abb. 3 NBH im Ostseeviertel (Foto: Verein für ambulante Versorgung e. V.) umbaugebiet arbeitet. Gemäß des projektorientierten Paradigmas hat sich das Kiezmanagement Handlungsschwerpunkte gesetzt. Diese wurden im Rahmen eines Beteiligungsprozesses mit Bürgerschaft und lokalen Institutionen diskutiert (Sommer/ Herbst 2009) und durch die Bezirksverordnetenversammlung im Dezember 2009 beschlossen (WKM, 2009). Parallel und im Anschluss an diesen Prozess beteiligte sich das Kiezmanagement an mehreren Initiativen zur Entwicklung von Projekten in diesen Handlungsschwerpunkten. Das Spektrum reichte dabei von einer „Stadtteilmütter“-Initiative über einen Jugendbeteiligungsworkshop, eine Veranstaltungsreihe für die Siedlungsbewohner zu den umgebenden Landschaftsparks, einem Vernetzungsprojekt im Sinne von „Schule im Quartier“ bis hin zu einer Gesprächsreihe „Demografischer Wandel“. Gleichzeitig betreibt das Kiezmanage165 Abb. 4 Krugwiesenhof (Foto: Kiezmanagement Welsekiez)) sog. Lückekinder (Altersgruppe ca. acht bis 14 Jahre) in Kooperation mit umliegenden Grundschulen angesiedelt wurden. Gleichzeitig wurden andere Nutzungsstrukturen am Standort räumlich gestrafft, z. B. durch die gemeinsame Nutzung von Räumen durch verschiedene Träger. Diese planungsmethodische Leistung als Projektentwickler bzw. als Standortentwickler für soziale Infrastrukturstandorte ist eine explizit stadtplanerische Leistung und kann nicht ohne weiteres durch eine Institution der Gemeinwesenarbeit erbracht werden. ment Standortentwicklung für inzwischen drei soziokulturelle Infrastrukturstandorte im Kiez. Hier besteht eine enge Verbindung der Handlungsschwerpunkte des Kiezmanagements zu den Zielen der Gemeinwesenentwicklung. Durch die Anbindung des Kiezmanagements an die Wohnungswirtschaft, im konkreten Fall an das kommunale Wohnungsunternehmen, welches ca. ¾ der Bestände im Neu-Hohenschönhausener Welsekiez umfasst (ca. ½ der Bestände in ganz NeuHohenschönhausen), ist eine ständige Verknüpfung zwischen der Wohnungswirtschaft und der Stadterneuerung institutionalisiert. Das Kiezmanagement ist in seiner Rolle als Projektentwickler daher in der Lage, unterschiedlich ressortierte Fördertöpfe der öffentlichen Hand und die Stadtrenditeförderung der öffentlichen Wohnungsunternehmen in einen Zusammenhang zu bringen oder im Einzelfall zu kombinieren. Zusatzmittel aus der Städtebauförderung lassen sich ebenfalls durch das Kiezmanagement in die Projektentwicklung einbeziehen. Beispiel dafür ist das Stadtumbauprojekt Krugwiesenhof (Abb. 4). Hier sollte in einer aufgegebenen DDR-Kita, die ein freier Träger in Erbpacht erwarb, erneut eine Kita einziehen. Voraussetzung für die Förderfähigkeit des Projektes war – neben vielen technischen und finanziellen Parametern – die gesicherte Nutzung des Gesamtstandorts, wo durch (Co-)Initiative des Kiezmanagements eine Außenstelle des Stadtteilzentrums (zur Entwicklung dieser Institution s. u.), eine Begegnungs- und Qualifikationsstelle für Frauen sowie temporär Projekte für „Stadtteilmütter“, Migranten und Was bisher allerdings nicht aneinander gekoppelt wurde, waren die Neu-Hohenschönhauser Stadtumbauförderprojekte und die Projektentwicklungskapazität des Kiezmanagements. Das lag an der Logik der ministerialen Verwaltung (Senat von Berlin), die das Kiezmanagement nur als ein Einzelprojekt im Stadtumbau und nicht als lokale Steuerungsinstanz begreift. Die meisten Stadtumbauprojekte der Umsetzungszeit 2009 bis 2012 waren bereits vor 2009 in den früheren ISEK-Versionen beschrieben und durch die kommunale Verwaltung bzw. Planungsbüros zu einer Projektreife gebracht Abb. 5 Kirchplatz/Falkenbogen (Foto: Kiezmanagement Welsekiez) 166 worden. Aus finanziellen Gründen erfolgte die Umsetzung dann verzögert nach 2009. An den Stellen, wo umgesteuert werden konnte, nämlich bei der Priorisierung von 2010 entwickelten Projekten zur Umnutzung von prinzipiell multifunktionalen sozialen Infrastrukturstandorten hat das Kiezmanagement im Prozess informell mitgewirkt (wie beim Krugwiesenhof erläutert). Prinzipiell wäre das Kiezmanagement für die Projektentwicklung im Stadtumbau für NeuHohenschönhausen geeignet. Allerdings muss dann sichergestellt sein, dass die Priorisierung bei der Umsetzung von Projekten durch den Bezirk Berlin-Lichtenberg reaktionsschneller angepasst und ergebnisoffener gestaltet wird. Das Kiezmanagement konzentriert sich daher verstärkt auf seine wohnungswirtschaftliche Anbindung. Aus Sicht der Wohnungswirtschaft ist es für die Zukunftsfähigkeit der Großsiedlungen wichtig, dass die Mieterschaft der Mittelschicht gehalten werden kann. Dabei geht es weniger um den Zustand der Wohnungen, weil angesichts der nun 20 Jahre währenden freien Wahl auf dem Mietwohnungsmarkt man davon ausgehen kann, dass diejenigen, die als Mittelschicht immer noch „in der Platte“ wohnen, dies auch absichtlich und gewollt tun. Eine wohnungswirtschaftliche Entwicklungsstrategie besteht also darin, alles zu vermeiden, was für diese Schicht Push-Faktoren generiert und zum Wegzug führt. Diese „Haltestrategie“ ist bei der Herleitung der Handlungsschwerpunkte des Kiezmanagements in diese eingeflossen. Das Kiezmanagement als intermediäre Institution zwischen Wohnungswirtschaft und Verwaltung einerseits und Gemeinwesenarbeit und Bürgerschaft andererseits ist in seiner institutionellen Verfasstheit ein effizientes Mittel zur Ergänzung der bestehenden Strukturen zu einem Grundmodul Quartiersmanagement, wie es am Schluss dieses Aufsatz beschrieben wird. Es ist gewissermaßen das ergänzende fachliche Know-how aus der Profession Stadt- planung/Stadterneuerung in den jeweiligen lokalen Steuerungsgremien. Entwicklung von Stadtteilarbeit in Lichtenberg bis zum Jahr 2010 „Der Bezirk Lichtenberg in Berlin ist in der (berlinweit einmaligen) Situation, dass er über eine systematisch und langjährig geförderte personelle Infrastruktur zur Unterstützung sozialräumlicher Planung und Aktivierung verfügt“ (Hinte, 2011). Flächendeckend existieren „Stadtteilzentrum“ genannte Institutionen, welche am besten als lokaler Netzwerkknoten beschrieben werden können. Sie sind alle Teil der Gemeinwesenarbeit und vom Bezirk beauftragte freie Träger der Stadtteilarbeit. Dabei verfügen sie über eine Art regionales Monopol, da es eine eindeutige territoriale Zuordnung zu den fünf Bezirksregionen gibt. Sie bündeln vor Ort bürgerschaftliches Engagement, betreiben Orte für Begegnungsarbeit, sind maßgeblich an der Ausgestaltung der lokalen Bürgerbeteiligung beteiligt und stellen die Geschäftsstelle eines lokalen Verfügungsfonds (Kiezfond) dar. Sie sind Ansprechpartner für Bürgerinitiativen aller Art und fungieren als lokale Intermediäre zwischen Bürgerschaft und Verwaltung. Stadtteilzentren waren einem evolutionären Prozess unterworfen. Bezogen auf die Trägerschaft handelt es sich ausnahmslos um sozialwirtschaftliche Unternehmen aus dem Sektor Soziales: vorherrschend sind „Unternehmensbereiche“ wie Sozialberatung, Arbeitsmarktförderung sowie Integrationsarbeit aller Spezifika (Ebert, 2012). Gestartet sind sie als soziokulturelle Zentren bzw. Nachbarschaftshäuser. Grundlage des Beginns der Arbeit als soziokulturelle Zentren war 2000/2001 einerseits die Bezirksfusion und der damit zusammenhängende politische Wille, in dem neu gebildeten 250.000 Einwohner umfassenden Bezirk lokale Anlaufpunkte zu ermöglichen und die Stadtteile des Bezirks als Planungsräume (als 167 lebensweltliche Gebietseinheit) im Verwaltungshandeln zu verankern (BVV, 2001). In diesen Überlegungen taucht bereits der Begriff „Stadtteilzentren“ auf. Andererseits bestanden in den Vorgängerbezirken bereits seitens der Vereine und lokalen Initiativen, welche bezogen auf Neu-Hohenschönhausen in der Regel um 1990/91 herum entstanden, konkrete Überlegungen, sich in gemeinsamen zentral gelegenen Vereinshäusern als Stadtteilzentrum zu konzentrieren (Ebert, 2012). Das hierbei interessante Paradox bestand darin, dass die ursprüngliche bottom up entstandene Idee eines einzelnen Zentrums nicht umgesetzt wurde, sondern nach 2001 mit den vom Bezirk Lichtenberg eingeführten soziokulturellen Zentren eine sehr dezentrale Struktur bevorzugt wurde. Bis 2003 wurden zehn soziokulturelle Zentren eingeführt (BVV, 2003), man versuchte den 13 verwaltungsmäßig festgelegten Kiezen, weniger den fünf Bezirksregionen wie NeuHohenschönhausen gerecht zu werden. In den beiden gründerzeitlichen Kiezen des unabhängig von der eben benannten Gemeinwesenentwicklung laufenden URBANII-Gebiets entstanden weitere Treffs (Alte Schmiede und IKB/Neli-Treff ), ein weiterer ehrenamtlich getragener im Entwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht (Altes Lazarett). Obwohl die Zentren der drei letztgenannten Kieze nicht in die bezirklich vernetzte Stadtteilarbeit einbezogen wurden, entstand so ein fast flächendeckendes Netz an soziokulturellen Begegnungsstätten. In der Fassung der Gemeinwesenkonzeption von 2005 (BA Lichtenberg, 2005) werden die soziokulturellen Zentren dann als ein Produkt der sozialen Nachbarschaftsarbeit der 1990er Jahre benannt. Mithilfe der Städtebauförderung wurden wie oben beschrieben Nachbarschaftshäuser errichtet, sie sind die bauliche Ausprägung eines soziokulturellen Stadtteilzentrums. In den Jahren 2005 bis 2007 wurde dann die Gemeinwesenarbeit 168 als ständiges Element der kommunalen Aufgaben politisch abgesichert (BVV, 2007). Parallel dazu wurde ab 2001 ein Stadtteilmanagement in der Verwaltung eingerichtet, fünf Referentinnen der Bürgermeisterin wurden hierzu berufen. Diese fünf Verwaltungsmitarbeiterinnen haben in den zehn Jahren als Institution unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Arbeit gesetzt (BVV, 2009a). Allen Schwerpunkten gemeinsam waren die enge Zusammenarbeit mit den soziokulturellen Zentren, die lokale Repräsentanz der Verwaltungsspitze in den fünf Bezirksregionen sowie koordinierende Tätigkeiten. Parallel zu dieser Entwicklung der Gemeinwesenarbeit wurden in BerlinLichtenberg Stadtumbaugebiete ab 2002 eingerichtet und das Berliner URBAN-IIProgramm hatte in den Jahren von 2000 bis 2008 Gebiete im Bezirk als Kulisse. Zwei wesentliche Projekte waren der Ersatzneubau des Nachbarschaftshauses Kiezspinne sowie die denkmalgerechte Sanierung der Begegnungsstätte Alte Schmiede. Erstere wird inzwischen im Sinne der Verstetigung von URBAN-II durch den Senat von Berlin als Nachbarschaftshaus regelgefördert; letzteres ist heute dem kommunalen Jugendressort als Familienbegegnungsstätte zugeordnet. Im URBAN-II-Programm wurde ein Verfügungsfonds eingerichtet. Diese Idee wurde dann bezirksweit ab 2010 als Kiezfonds für alle 13 Kieze adaptiert. Wiederum parallel hierzu fand in der Verwaltung eine Reihe von Reformprozessen unter dem Stichwort „Sozialraumorientierung“ statt (Hinte, 2010). Nach 2006 wurde das Jugendamt des Bezirks vollständig sozialraumorientiert, d. h., die Mitarbeiter wurden in Gruppen zusammengefasst, deren Bezugsraum die Bezirksregion darstellt (drei Gruppen für je eine Region, eine Gruppe für zwei Regionen). Auch das Stadtplanungsamt bildete nun fünf Gruppen entsprechend der Bezirksregionen. Auf der Landesebene wurde ab 2008 eine Arbeitsgruppe einge- setzt, welche das Thema „Sozialraumorientierung“ für die gesamte Stadt Berlin durchdeklinieren sollte. Ein Ergebnis war das dazugehörige Handbuch (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2009), ein anderes die nach den Wahlen 2011 einzuführende Organisationseinheit „Sozialraumorientierte Planungskoordination“ (SPK), die eine Art Ressort „Sozialraumorientierung“ darstellen sollte. Die bereits vorhandenen Stadtteilmanagerinnen konnten in Berlin-Lichtenberg 2011 dann umgehend dieser neuen Struktur zugeordnet werden, und übernehmen dort entsprechend der Darstellungen aus dem Handbuch SRO die Gebietskoordination. Für die soziokulturellen Zentren stand 2009 eine entscheidende konzeptionelle Fortschreibung an, in deren Ende nicht nur die Abschaffung dieser Terminologie stand. Der Begriff „Stadtteilzentren“ tauchte wieder auf und symbolisierte die Abkehr vom Verständnis dieser Zentren als eine rein im Sozialbereich ressortierte Angelegenheit. Mit der Neuausschreibung zum 1. Januar 2010 als fünf „Stadtteilzentren“ (sowie zugeordnete Soziale Treffs) wurde die Bezirksregion wieder zum entscheidenden räumlichen Bezugspunkt. Sie blieben bis Ende 2011 im Ressort „Soziales“ angesiedelt, danach bei der SPK. Stadtteilzentren als lokale Agenturen für Bürgerbeteiligung Alle die oben beschriebenen parallelen Prozesse liefen unabhängig voneinander ab. Ihre Ergebnisse sind gemeinsam für die folgenden Überlegungen relevant. Durch die Verlagerung in das neue Ressort „Sozialräumliche Planungskoordination“ (SPK) werden die Stadtteilzentren zu lokalen Agenturen für Bürgerbeteiligung. Das schlägt sich in der Finanzierung nieder. Es werden „nur“ noch Mittel ausgereicht, die den Trägern ermöglichen ein Team von Stadtteilarbeitern zu bezahlen. Die Nachbarschaftshäuser und -treffs, in denen sich diese Stadtteilzentren befinden sowie ein Großteil der herkömmlichen Angebote der Gemeinwesenarbeit müssen anderweitig finanziert werden. In einer Konzeption von 2005 ist dieser Wandel bereits skizziert: „Das einzelne soziokulturelle Zentrum ist nicht vorrangig ein Ort, sondern eine Methode der Bündelung von ideellen und materiellen Ressourcen, von Kommunikationsmöglichkeiten, Informationen und Angeboten. [Sie sind] ... nicht mehr primär an einer Stadtteilarbeit mit sozial schwachen oder schwierigen Lebenslagen orientiert, sondern sie haben das Ziel, die Lebensqualität in einem Gemeinwesen so zu fördern, das auch Schwächere mitgetragen werden können“ (BA Lichtenberg, 2005:23). Mit diesem Schwenk übernehmen die Stadtteilzentren seit 2010 Aufgaben, die anderswo von einem Quartiersmanagement bzw. ähnlich gelagerten Vor-Ort-Büros aus der Stadterneuerung erbracht werden. Dazu gehören u. a.: • Beteiligung der Bürger an den relevanten Prozessen der Stadteilentwicklung (Arbeit an den Stadtteilentwicklungszielen, Teilhabe an der Stadtentwicklung); • Überblick über die lokale Akteurslandschaft und Milieus (Stärkung der lokalen Netzwerke, empowerment insbesondere artikulationsschwacher Milieus); • Koordinationsrolle für eine potenzielle Projektentwicklung (im Rahmen von Städtebauförderung, im Rahmen von Sonderprogrammen wie „Lokaler Aktionsplan“ des BMFSFJ, im Rahmen von ressortbezogener Ressourcenverteilung); • Moderationsrolle als „Intermediär“ in lokalen Entscheidungs- und Abwägungsprozessen; • Verwaltung des lokalen Verfügungsfonds (Kiezfonds). Nachrangig geworden, aber noch vorhanden und durch den Bezirk gewünscht, sind demgegenüber die soziokulturellen Aufgaben der Stadtteilzentren, zu denen die herkömmlichen Elemente der Gemeinwesenar169 beit wie Freiwilligenarbeit, Kiezfeste und Begegnungsstätten. In den Nachbarschaftshäusern und -treffs wird diese Arbeit inzwischen meist durch Mitarbeiter geleistet, die durch den jeweiligen Träger anderweitig finanziert werden, unterstützt durch Assistenzkräfte, die nicht an die Stadtteilzentren, aber an deren Träger durch das Job-Center vermittelt werden (2./3. Arbeitsmarkt). Im bürgerlichen Karlshorst experimentiert das Stadtteilzentrum mit Ansätzen des community organising. Als Agenturen für Bürgerbeteiligung ist die Rolle der Stadtteilzentren als „Intermediär“ hervorzuheben. Gemeinsam mit etwaig vorhandenen selbsttragenden Partizipationsstrukturen aus der Bürgerschaft (z. B. Bürgervereine und -aktive) organisieren sie Bürgerversammlungen und beteiligen sich maßgeblich an Ad-hoc-Partizipationsformen wie Zukunftswerkstätten und Planungsworkshops. Sie sind an der Durchführung von lokalen Fachrunden maßgeblich beteiligt (in Neu-Hohenschönhausen z. B. die Kiezfachgespräche und die Gemeinwesenkonferenz). Durch die Verwaltung der Kiezfonds sind sie in der Lage, Prozesse entweder anzustoßen oder in eine Gesamtstrategie für den Stadtteil einzubetten. Im Rahmen der Reform des Bürgerhaushalts im Laufe des Jahres 2012 werden die Stadtteilzentren als Interessenvertreter der Stadtteile in die bezirkliche Haushaltsplanung einbezogen (BVV, 2012). Stadtteilrunde als Modell für eine kommunal getragene Stadterneuerung Etablierung der Schnittstelle zwischen Stadterneuerung und Gemeinwesenarbeit Nachdem im Monitoring Soziale Stadt ab 2007 Teilgebiete Neu-Hohenschönhausens mit einem niedrigen Entwicklungsindex gekennzeichnet wurden, aber 2008 die Ent- Abb. 6 Stadtteilrunde Neu-Hohenschönhausen (Stand 2010/11) (Grafik: A. Krüger) 170 scheidung fiel, kein Quartiersmanagement (Soziale Stadt) einzurichten, reagierte der Bezirk mit der Idee, einen Teil der Haushaltsmittel für den Doppelhaushalt 2010/2011 für die soziale Quartiersentwicklung einzusetzen (400.000 Euro). Die Debatten auf lokalpolitischer Ebene fielen mit dem Start des Kiezmanagements im Oktober 2009 zusammen. Als die politische Entscheidung fiel, wurde in Neu-Hohenschönhausen der Wunsch artikuliert, mithilfe gemeinsamer lokaler Akteursworkshops die Verwaltung bei der Entscheidung über Projekte zu unterstützen. Zu diesem Zweck trafen die beiden Vertreter der Stadtteilzentren und eine Regionalkoordinatorin des Jugendamts mit der Stadtteilmanagerin zusammen und bezogen das neu eingerichtete Kiezmanagement mit ein. Die Akteure waren bereits indirekt vernetzt: • Die Stadtteilarbeit war in den soziokulturellen Zentren in der Geschäftsführung bzw. beim Vereinsvorsitz angesiedelt. Beide Träger sind in der Jugendarbeit tätig und daher über deren Netzwerkinstitutionen eingebunden. • Das Jugendamt besaß (und besitzt) detaillierte Kenntnisse über die soziale Situation des Stadtteils und führt außerdem die demografischen Statistiken, welche für das Monitoring Soziale Stadt herangezogen werden. • Die Stadtteilmanagerin in ihrer damaligen Funktion als Referentin der Bürgermeisterin (und gleichzeitig Finanzstadträtin), sollte die Schnittstelle Stadtteil / Finanzverwaltung bzgl. dieses Programms abdecken. • Das Kiezmanagement war (und ist) beauftragt, sich in die lokalen durch die Stadtteilzentren organisierten Netzwerke einzubinden. Die Akteursrunde, die sich in diesem Zusammenhang gebildet hatte, blieb zusammen, da ihr genug Themen für eine eigene Agenda blieben. Der Vorteil der dann schlicht Stadtteilrunde genannten ca. vierzehntägigen Treffen bestand darin, über die Referentin der Bezirksbürgermeisterin bestimmte soziale Stadtentwicklungstendenzen in die Kommunalverwaltung rückkoppeln zu können. Hier leistete das Jugendamt einen unschätzbar wertvollen Beitrag durch seine Sozialraumorientierung, die etwa in den Jahren 2006 bis 2008 umgesetzt wurde. Insbesondere die Situation junger Familien (steigende Kinderzahl, steigende Zahl armer Kinder, Gesundheitssituation der Einschulung, Arbeitslosigkeit alleinerziehender Mütter usw.), die in mehrfacher Hinsicht „Ursache“ für die Monitoring-Ergebnisse sind, kann durch das Jugendamt intensiv ausgeleuchtet werden, ohne dass sich die anderen Netzwerkakteure mit Einzelfallfragen der Jugendarbeit vertraut machen müssen. Außerdem fungiert die Regionalkoordination als Auftrag gebende Instanz der in freier Trägerschaft befindlichen Einrichtungen wie Jugendclubs, Kitas und Familienzentren und ist daher per se mit den lokalen Akteuren (als Auftragnehmern) vernetzt. Es bildete sich also eine Runde, die in der Lage war, einen Einfluss auf die Vergabe der Quartiersentwicklungsmittel zu nehmen, indem sie gemeinsame Workshops organisierten und damit Handlungsfelder für die Das Kiezmanagement wiederum konnte in dieser Zeit unterschiedliche Förderschienen z. B. aus ESF, SBauF und vom BMFSFJ abdecken und als Projektentwickler konzeptionell arbeiten. Für Projekte benötigt das Kiezma- Projekte präzisierten sowie einen gemeinsamen lokalen Konsens über die Stadtteilmanagerin an die bezirkliche Finanzverwaltung übermittelten. Sie lieferten eine integrierte Perspektive für die ansonsten ressortbezogen und inkrementalistisch handelnde Verwaltung. Die eigentliche Projektauswahl fand in einem (willkürlich zusammengesetzten) Beirat aus Verwaltungsmitarbeitern statt und wurde durch die Bezirksverordnetenversammlung sanktioniert (vgl. BVV, 2010a - d; 2011). 171 nagement lokale Partner für die Umsetzung, welche durch Vermittlung in dieser Runde akquiriert werden konnten. Das Stadtteilzentrum wiederum besitzt die Vermittlungskompetenz in Richtung Bürgerschaft und die Träger des Stadtteilzentrums sind selbst Akteure der Nachbarschafts- und Familienarbeit. Die Wohnungswirtschaft ist über das Kiezmanagement ebenfalls in diese Runde indirekt eingebunden. Davon profitiert die Stadtteilrunde, denn die öffentlichen Wohnungsunternehmen wissen als erste, wenn sich gravierende Veränderungen in der sozialen Situation der Mieterschaft ergeben bzw. wenn sich durch die Fluktuation quartiersbezogene Tendenzen erkennen lassen – im Fall Neu-Hohenschönhausens war es z. B. das stetige Sinken der Leerstandsrate für den preiswerten Wohnraum von ca. 5 bis 6 % auf unter 1 % – was einer Vollbelegung gleichkommt. Außerdem kann die Wohnungswirtschaft ihre Haltestrategien durch das Kiezmanagement in die Stadtteilrunde vermitteln. Die Stadtteilrunde kann den Fördersäulen Soziale Stadt oder Aktive Zentren vergleichbare Instrumente entwickeln, mit denen solche Haltestrategien umgesetzt werden können. Beispiele dafür sind das jährliche Bunte-Platte-Fest zum 1. Mai – ursprünglich gegen Nazi-Aufmärsche aus der lokalen Bevölkerung heraus erfunden – die (Weiter)entwicklung von Standorten der sozialen Infrastruktur oder die Umsetzung einer Bürgerbeteiligung bei einem privatwirtschaftlichen Vorhaben der (Einzelhandels-) Nahversorgung. Die Stadtteilrunde ist Mittelpunkt eines Netzwerks, welches sowohl organisierte Bürgerinitiativen (entspricht im Quartiersmanagement z. T. den Quartiersräten), Trägerlandschaften, lokale Verfügungsfonds und Bürgerbeteiligungsinstrumente umfasst. Dabei ergeben sich eindeutig eine Sphäre der Gemeinwesenarbeit und eine Sphäre der Stadtentwicklung bzw. Stadterneuerung. Die Soziale Stadt als Programmatik auf dieses Netzwerk zu beziehen, bedeu172 tet, einen wesentlichen Teil der Gemeinwesenarbeit in die Sphäre der Stadterneuerung zu ziehen. Hier gibt es in der Stadtteilrunde eine formale Aufgabenteilung, beispielsweise zwischen Stadtteilzentrum und Kiezmanagement, was nicht ausschließt, dass im konkreten Fall alle Personen der Stadtteilrunde an allen Themenfeldern mitarbeiten. Die Stadtteilrunde fungiert als informelle lokale Monitoring-Instanz der Ziele der Stadtteilentwicklung, unabhängig davon, ob es sich um die Stadtteilprofile (Sozialraumorientierung der Bezirksverwaltung), das Integrierte Stadtentwicklungskonzept des Stadtumbaugebiets, die Handlungsschwerpunkte des Kiezmanagements (entwickelt aus dem Zielbaum der Sozialen Stadt Berlin) oder die Handlungsziele des bezirklichen Quartiersentwicklungsprogramms von 2010/2011 handelt. Seit 2013 arbeiten die Stadtteilzentren methodisch ebenfalls mit Handlungsfeldern. Die Stadtteilrunde stimmt sich hinsichtlich einer Projektentwicklung bei strukturell neuartigen Projekten in der Logik des perspektivischen Inkrementalismus ab, was z. B. an Projekten im Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz Früchte getragen hat (z. B. Zwischennutzungsprojekte, einmal in der Thematik Urban Farming 2011, einmal in der Thematik Kunst & Kultur in Ladenleerständen 2012). Nicht zuletzt koordiniert die Stadtteilrunde die gesamte Bürgerbeteiligung vor Ort (Bürgerhaushalt, Bürgerversammlungen, Workshops und Ad-hoc-Beteiligungen) und entwickelt im Einzelfall neue Methoden. Eignung der Stadtteilrunde als Modell Wenn nun die Stadtteilrunde weiterentwickelt werden soll, dann bietet es sich an, auf die Skizze einer modularisierten Stadterneuerung (Krüger, 2008:150ff ) zurückzugreifen, deren Grundmodul als stetige Institution die Vor-Ort-Instanz zur Steuerung eines Stadterneuerungsprozesses sein kann. Rein kapazitär würde sich an der Stadtteilrunde nichts ändern, sie würde weiterhin zu ca. je 1/3 aus Mitarbeiter/-innen der kommunalen Verwaltung mit dort verankerten sozialraumorientierten Stellenbeschreibungen, aus Intermediären eines kommunal verankerten Stadtteilzentrums o. ä. und aus Fachpersonal der Stadterneuerung (i. d. R. Stadt- & Raumplanung) bestehen. Die Stadtteilrunde hätte der Skizze dieses Grundmoduls nach die im folgenden Abschnitt beschriebenen Aufgaben. Planungsmethodische Leistung Die lokale Erfassung von Benachteiligungsmechanismen im Quartier gelingt gerade durch die Einbeziehung des sozialraumorientierten Jugendamts, da hier die Kenntnisse zum laufenden Betrieb der meisten lokalen sozialen Infrastrukturen vorhanden sind (die Sprache des SGB XIII spricht von fallunspezifischer Arbeit bzw. Einrichtungen nach den §§ 11, 13 und 16 SGB XIII). Das Jugendamt ist in den meisten Fällen Auftraggeber und durch die Einbindung der Regionalkoordination des Jugendamts in die Einzelfallarbeit kann die Stadtteilrunde überblicksweise von dem Wissen um die Situation von Familien und Kindern profitieren (ohne dabei Einzelfallwissen zu erlangen, was in der Stadterneuerung auch nicht benötigt wird). Die Erfahrung mit SozialeStadt-Quartieren zeigt, dass eine Fokussierung auf Bevölkerungsgruppen im Alter von unter 27 Jahren (Altersgrenze des SGB XIII) die wesentlichen Gruppen hinsichtlich lokal wirksamer Benachteiligungsmechanismen erfasst. Die offene Flanke hinsichtlich der Konzentration auf „Unter-27-Jährige“ im Quartier sind die Stadtteilzentren in der Lage zu schließen. Die Arbeit mit Senioren, Arbeitslosen, Migranten etc. findet in der Regel in den Nachbarschaftshäusern und -treffs statt. Die Mitarbeiter dort verfügen durch eine unternehmens- bzw. trägerinterne Vernetzung über das entsprechende Wissen zu Benachteiligungsmechanismen im Stadtteil, z. B. Altersarmut, Vereinsamung, Arbeitslosigkeit oder Integrationshemm- nissen – auch hier, ohne Einzelfallwissen zu transportieren. Ein Teil dieser Gemeinwesenarbeit ist in Neu-Hohenschönhausen bisher die jährliche Gemeinwesenkonferenz gewesen, welche inzwischen von der Stadtteilrunde gemeinsam durchgeführt wird. Mit dieser weiterentwickelten Gemeinwesenkonferenz gelingt es, ex ante zu formulieren, welche Zielrichtung(en) die einzelnen Erneuerungsprojekte einschlagen sollen. Es gelingt also der Stadtteilrunde, entsprechend des perspektivischen Inkrementalismus eine Perspektive der Quartiersentwicklung zu formulieren. Da die Gemeinwesenkonferenzen Politik und Verwaltung sowie Trägerlandschaft und organisierte Bürgerschaft zusammenbringt, ist ein Wissensquerschnitt über die Problemlagen des Quartiers gewährleistet. Sie funktionieren dabei in dem setting einer Fachveranstaltung, auch wenn einzelne Bürgervertreter daran teilnehmen. Schließlich sind die Stadtteilzentren die Geschäftsstellen der Kiezfonds, also der lokalen Verfügungsfonds und – sicherlich nicht ohne Zufall – Geschäftsstelle für den Verfügungsfonds des 2011 bis 2013 laufenden Lokalen Aktionsplans für Demokratie und Toleranz. Damit wäre dieser wichtige Aspekt eines Quartiersmanagements bereits im Bestand der Stadtteilrunde vertreten. Koordinierende Leistung Die Stadtteilrunde ist kein Quartiersmanagement-Büro. Die Nachbarschaftshäuser und -treffs sind etablierte Infrastrukturstandorte im Quartier. Sie fungieren wie ein Vor-Ort-Büro: „Vor Einrichtung neuer lokaler Strukturen ist zu prüfen, inwiefern die Stadtteilkoordination an vorhandene, bereits ähnliche Koordinations- und Vernetzungsaufgaben wahrnehmende Institutionen im Stadtteil angebunden werden kann und wie diese ggf. hierzu weiter entwickelt werden können.“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2009:19). Konsequent ist es, die 173 Stadtteilrunde = OESPK + RKJ+ STZ + WKM Kiez/Bürgeraktive o.ä. Projekt Projekt Erneuerung nach Städtebauförderung oder vergleichbar Spezifische Förderung, governenziell orientiert Kiezfonds und Bürgerhaushalt Sektorale Projektentwicklung: LAP, BBWA, Kultur u.a. Konzept Entwicklung sozialer Projekte in NBH bzw. im Quartier (entsprechend soziale Stadt) Konzept Monitoring und Entwicklung sozialer Infrastrukturstandorte Gemeinwesenkonferenz und Kiezfachgespräche Lokale Entscheidungskompetenz Projekt Bürgerjury, Begleitgremium BHH OESPK: Organisationseinheit Sozialräumliche Planungskoordination, Gebietskoordination RKJ: Regionalkoordination nach Sozialraumorientierung des Jugendamts STZ: Stadtteilzentrum WKM: wohnungswirtschaftliches Kiezmanagement Abb. 7 Grundmodul 2012 (Grafik: A. Krüger) nicht aus der Verwaltung stammenden Mitarbeiter der Stadtteilrunde dort anzusiedeln. Es sollte geklärt sein, dass die jeweiligen Drittel der Stadtteilrunde (Verwaltung, Gemeinwesenarbeit und Stadterneuerung) personell und sachlich vernünftig ausgestattet sind: Ein klassisches Quartiersmanagement wird vollständig aus den Ressourcen der Städtebauförderung getragen, in diesem Modell wird es nur noch maximal ein Drittel der Leistung sein. Dieses kann ob seiner dann geringen Größe wiederum durch andere Akteure, wie öffentliche, aber auch genossenschaftliche Wohnungsunternehmen, getragen werden. 174 Das zweite Drittel kommt aus der Gemeinwesenarbeit, die in Berlin-Lichtenberg standardmäßig seit über zehn Jahren kommunal finanziert wird und an Intermediäre vergeben wird. Aus der Geschichte der Stadterneuerung lässt sich nicht genug betonen, wie wichtig es ist, diese Intermediäre im Stadtteil zur Verfügung zu haben. „Stadtteilzentren als Orte der Integration, des Engagements, der Teilhabe weiterentwickeln [heißt] (…) [m]it Quartiers- und Stadtteilmanagement kooperieren, hier v. a. Verknüpfung von Fachkompetenzen mit stadtentwicklungspolitischen Zielsetzungen, Einbrin- gung stadtteilbezogener Lösungspotenziale in die quartiersbezogenen Verfahren, Übernahme der Trägerschaft von Quartiersverfahren, Beitragen zur besseren Partizipation im Quartier, Förderung von Integration und stadtteilbezogener Gesundheitsförderung, Einbeziehung in Umsetzungs- und Verstetigungsprozesse“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2009:58f ). Das letzte Drittel muss aus der kommunalen Verwaltung kommen, dabei berücksichtigend, dass hier das sozialraumorientierte Jugendamt seinen Beitrag leistet (ggf. auch andere lokal wirksame soziale Ressorts). Durch diesen Beitrag wird auch gewährleistet, dass die Stadtteilrunde Zugang zum analytischen Wissen der Verwaltung und zu intra-administrativen Kommunikationsstrukturen hat. „Sozialraumorientierung als Strukturkonzept bedeutet für die Verwaltung: die Ressourcen und Potenziale der Quartiere zu kennen, Quartiere als eine Ebene zur Steuerung der Ressourcen zu nutzen“ (Senatsverwaltuung für Stadtentwicklung, 2009:9). Die Stadterneuerung in der Verfasstheit der Stadtteilrunde wird so zur Nutznießerin der kontinuierlichen Evaluation der Vor-Ort-Arbeit der Kommune. Dazu trägt auch die Einbettung des Bürgerhaushalts in das Aufgabengebiet der Stadtteilrunde bei, denn die Gebietskoordination (ehemaliges Stadtteilmanagement) als Teil der entsprechenden Organisationseinheit im Amt und das Stadtteilzentrum sind verantwortlich für den Stadtteildialog, die zweite Säule des Bürgerhaushalts neben dem Internetdialog. Kommunikative Leistung Hier liegt die eigentliche Stärke der Stadtteilrunde bzw. ihrer Mitglieder. Die Aufgaben der aktivierenden Beteiligung, Aufspürung der Beziehungsgeflechte im Quartier und Diskurs mit jenen, Teilhabe des Beziehungsgeflechts, Moderationsdienstleistungen sind Alltagsgeschäft eines im Gemeinwesen verankerten Stadtteilzentrums und eines in der Sozialen-Stadt-Programmatik arbeitenden Kiezmanagements. „Das Gelingen einer Politik und eines Verwaltungshandelns, das sich auch am Stadtteil/Quartier orientiert, wird sichtbar und erkennbar, wenn: auf lokaler Ebene ein wachsender Grad an Vernetzung erkennbar ist, d. h. verschiedene lokale Akteure dauerhaft zusammenarbeiten, es Personen oder Stellen gibt, die vor Ort die Verbindungen zwischen den verschiedenen Akteuren herstellen/herstellen helfen und so die Initiativen ‚in Bewegung‘ halten, und die außerdem Schnittstelle nach außen sind, die verschiedenen Verwaltungsressorts als fachkompetente Netzwerkpartnerinnen im Stadtteil sichtbar sind, die Kommunikationswege/Schnittstellen zwischen Verwaltung und lokaler Ebene klar und direkt sind“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2009:10). Beispiele für die praktische Bewältigung dieser Aufgabe sind die gemeinsame Organisation der Bürgerversammlungen (town hall meetings), die abgestimmte Organisation von Ad-hoc-Beteiligungen und das Stadtteilzentrum als Geschäftsstelle der Bürgerjurys des Kiezfonds. De facto stellt das Stadtteilzentrum eine Art Geschäftsstelle für die nichtinstitutionalisierten Bürgeraktive dar (welche in Neu-Hohenschönhausen formalisierte Quartiersräte substituieren), auch wenn dies eher im Selbstverständnis der Mitglieder der Bürgeraktive als im Selbstverständnis des Personals des Stadtteilzentrums zutrifft. Diese gehen emanzipatorisch davon aus, dass wenn die Bürgerschaft sich a) schon selbst ehrenamtlich organisieren will und sie dazu b) nach Einschätzung der beteiligten ehrenamtlich Tätigen auch befähigt sind, sie sich dann c) auch selbst organisieren soll und diese Aufgabe nicht an jemanden abgeben sollte. Die Bürgeraktive und -vereine werden hier wie Bürgerinitiativen behandelt. Sie erhalten Raum und im Einzelfall organisatorische Hilfe, aber ihre Anliegen und ihre Beteiligung sollen sie selbst organisieren. Professionelle Aufgabe des Stadtteilzentrums ist eher, die weniger Artikulationsfähigen zu befähigen. 175 Trägerversammlung und Bürgeraktive als grundlegende Instrumente der Beteiligung die Vor-Ort-Akteure der Stadtteilrunde dar (Hinte, 2011). Flächendeckend in Lichtenberg vorhandene Instrumente der Stadtteilarbeit sind Trägerversammlungen, die bottom up entstanden sind und keine fest definierten Standards besitzen. Gemeinsam allerdings ist ihnen eine zentrale Rolle der Stadtteilzentren sowie der SPK-Mitarbeiterin bzw. damaligen Stadtteilmanagerin der Verwaltung. Auch Formen der Bürgerbeteiligung sind etabliert und müssen nicht im Rahmen eines Stadterneuerungsprozesses aktiviert werden. Auch hier ist das Stadteilzentrum beauftragt, diese stehenden Formen der Bürgerbeteiligung konstruktiv zu begleiten (ausführlich vgl. Krüger, 2012). Das Verhältnis beider Instrumente zur Stadtteilrunde soll nun kurz dargestellt werden. Bürgeraktive und Bürgervereine Trägerversammlung In mehreren Stadtteilen (u. a. Lichtenberg, Friedrichsfelde-Rummelsburg, Karlshorst) gibt es unter dem Begriff „Forum“ eine offene, regelmäßige Versammlung aus Verwaltung, Trägervertretern und Vertretern aus der Bürgerschaft. In Hohenschönhausen-Nord hat sich etabliert, dass die nach § 78 SGB XIII ohnehin vorgeschriebene regionale Vernetzungs-Arbeitsgemeinschaft so viele weitere Institutionen inkorporiert hat (u. a. Stadtteilzentrum, Kiezmanagement), dass diese Arbeitsgemeinschaft die Aufgaben einer stadtteilorientierten Trägerversammlung übernimmt. Die Trägerversammlungen finden zum Teil auf der Ebene der Quartiere, zum Teil auf der Ebene der Stadtteile statt. In allen Fällen spielt das Stadtteilzentrum die zentrale Rolle bei der Pflege dieser lokalen Netzwerke; ergänzt durch die Anbindung an die kommunale Verwaltung mithilfe des Ressorts SPK. Die Stadtteilrunde kann hier auf existierende, von der Kommune stetig finanzierte Netzwerke zurückgreifen, dabei stellt die Gebietskoordination in der SPK – in der „Zentrale“ der Verwaltung – eine entscheidende Anlaufstelle für 176 Bürgeraktive und -vereine stellen ein Geflecht stehender Beteiligungsformen der organisierten Bürgerschaft dar. Solchen stehenden kontinuierlichen Strukturen wohnt die Gefahr inne, dass sich artikulationsfähigere Gruppen in diesen Gremien verfestigen. Insgesamt gibt es in allen Gebieten Lichtenbergs unterschiedliche Formen eines stadtteilorientierten, zivilgesellschaftlich getragenen Engagements (Fehlert/Krüger, 2013). Damit existieren kontinuierliche Ansprechpartner für professionell agierende Institutionen wie die Stadtteilrunde. Zu beachten ist aber der exklusive Charakter der Bürgeraktive gleichermaßen wie der Bürgervereine hinsichtlich der Integration aller Milieus und Gruppen des Quartiers. Gerade die Bürgervereine werden in der lokalen Politik als bequeme Alleinvertreter der lokalen Bürgerschaft gesehen – lokalprominente Politiker sind stetig dort in verantwortlicher Position tätig. Eine vergleichbare politische Strategie steckt hinter der öffentlich betonten Mitgliedschaft von Lokalpolitikern in manchen Bürgeraktiven. Aus professioneller Sicht muss daher darauf geachtet werden, bürgerschaftliches Engagement jenseits dieser klassischen Milieugruppen einzubeziehen – aber das unterscheidet diesen Ansatz für BerlinLichtenberg nicht von anderen Epochen oder Ansätzen der behutsamen Stadterneuerung. Schlussfolgerungen: Daueraufgabe und Dauerhaftigkeit Ressourcen der sozialraumorientierten Verwaltung Lichtenberg „leistet“ sich als De-facto-Kommune seit mehr als einem Jahrzehnt zusätzlich zu den Pflichtaufgaben eine Sozialraumorientierung. Anfangs unter der Maß- Abb. 8 Stadtteilrunde-Modell (Grafik: A. Krüger) gabe der Einführung eines Bürgerhaushalts gestartet ist inzwischen eine Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination (SPK) entstanden, welche neben einzelnen stabsstellenrelevanten Aufgaben (Katastrophenschutz) diverse raumorientierte Aufgaben bündelt, wie u. a.: • Bürgerhaushalt und damit verbundene Beteiligungsinstrumente (z. B. Kiezfonds), • Gebietskoordination (ehemaliges Stadtteilmanagement), • Stadtteilzentren (hier: die Verwaltungsaufgabe der Auftragsvergabe und des Controllings), • Kiezatlas (kartografisches soziokulturelles Informationssystem), • Datenkoordination (sozialräumliches Monitoring). Selbst wenn die kommunale Personalausstattung massiv reduziert wird (nach 2013), bliebe als politische Beschlusslage die kommunale Verantwortung für die genann- ten Aufgaben bestehen. Sofern also keine grundlegenden Reformen in der Lichtenberger Verwaltung vorgenommen werden (oder deren Abschaffung im Rahmen von Reformen auf Landesebene Berlin vorgenommen wird), kann davon ausgegangen werden, dass wesentliche Grundlagen für die Ermöglichung einer Stadtteilrunde ständig vorhanden sind. Ähnlich sieht es mit den Ressourcen des Jugendamts aus. Deren Sozialraumorientierung ist nicht ohne große Verwerfungen rückabwickelbar. Entscheidend für das Ermöglichen einer Stadtteilrunde ist ein Personaleinsatz, welcher es Mitarbeitern des Jugendamts ermöglicht, vor Ort die beauftragten Unternehmen (Träger) zu kontrollieren – hier kann von einem Eigeninteresse des Amts ausgegangen werden. Auch ist damit ein wesentlicher informeller Informationsfluss von der Verwaltungseinheit bezüglich der „Unter-27-Jährigen“ zu den 177 Akteuren im Stadtteil gewährleistet – bzw. der Informationsfluss retour, welcher es dem Jugendamt als Hauptfinanzier kommunaler sozialer Infrastruktur ermöglicht, quartiersadäquate Angebote bei den Trägern und Unternehmen der Sozialwirtschaft zu beauftragen. All dies wird lediglich durch die Tatsache eingeschränkt, dass es sich bei keiner der genannten Tätigkeiten um gesetzlich vorgeschriebene Pflichtaufgaben der Kommune handelt – auch nicht bei den infrastrukturellen Angeboten. Gesetzlich geregelt sind nur die Einzelfallhilfen. Ressourcen der Wohnungsunternehmen: öffentliche Gesellschaft(en) und Genossenschaften Die Lichtenberger Großsiedlungen sind zu großen Teilen im Besitz der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Howoge sowie einer Handvoll Genossenschaften, welche zum Teil ihre Firmensitze innerhalb bzw. in unmittelbarer Nähe der Großsiedlungen haben. Hier kann von einem dauerhaften Zustand der Eigentumsverhältnisse ausgegangen werden. Selbst wenn die sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften der Stadt Berlin zusammengelegt, aufgespalten oder irgendwie anders sortiert werden – sie bleiben kommunaler Besitz, solange die Stadt sich nicht für eine Veräußerung entscheidet. Ein zweites „Dresden“ ist in der Bundesrepublik (hoffentlich) unwahrscheinlich. Die Genossenschaften sind in der Regel älter als die jeweiligen Großsiedlungen, aber auch hier kann es als unwahrscheinlich gelten, dass umfassende Eingriffe in deren Bestand innerhalb des Systems der Bundesrepublik stattfinden werden. Damit sind diese dem öffentlichen bzw. dem genossenschaftlichen Auftrag verpflichteten Unternehmen dauerhafte Partner in den Siedlungen. Geschaffene bauliche Ressourcen: Nachbarschaftshäuser und -treffs Die Nachbarschaftshäuser als bauliche Artefakte sowie die Nachbarschaftstreffs in 178 bestimmten Erdgeschoss-Ladenzonen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft bzw. lokaler Genossenschaften sind und bleiben vorhanden: Es ist bei den Nachbarschaftshäusern gewährleistet, dass soziale, soziokulturelle bzw. gemeinwesenorientierte Angebote angesiedelt werden, da sie anderen Zwecken nicht sinnvoll zugänglich sind. Sie bleiben non profit. Die betroffenen Ladenzeilen sind im Laufe einer längeren Entwicklung in die Situation gekommen, auch kleinräumig immer eine etwas schlechtere Lagegunst zu besitzen als umliegende Einzelhandelsobjekte (so an der Landsberger Allee im Fennpfuhl, Grevesmühlener Straße bzw. Rhinstraße). So sind sie zu Vorzugsstandorten für soziale Einrichtungen geworden, eher inkrementalistisch als einer stadtteilbezogenen Strategie folgend (vgl. Krüger, 2008: 47ff; ähnlich auch Ebert, 2012). Solange also die Annahme stimmt, dass die Großsiedlungen Kulissen einer besonderen Stadterneuerung sein können, solange kann davon ausgegangen werden, dass die jeweils schlechtesten Lagen für den Einzelhandel schwer bzw. kaum vermietbar sind. Wenn zudem davon ausgegangen werden kann, dass bestimmte soziale Einrichtungen inzwischen seit über 20 Jahren in den betreffenden Ladenlokalen residieren und damit von einem Verfestigungseffekt im Verhältnis zwischen Sozialunternehmen und kommunalem oder genossenschaftlichem Vermieter gesprochen werden kann, dann kann postuliert werden, dass auch diese Standorte nachhaltig als Zentrum fungieren können. Damit sind in allen Großsiedlungen soziale Infrastrukturstandorte vorhanden, die dauerhaft als eine räumliche Hülle für jeweils relevante soziale, kulturelle und bzw. oder gemeinwesenorientierte Arbeit dienen können. Inwieweit die Trägervereine und Sozialunternehmen, die mit diesen Standorten assoziiert sind, auf dem Markt verbleiben werden oder dereinst durch andere Unternehmen der Sozialwirtschaft ersetzt werden, kann an dieser Stelle nicht prognostiziert werden. Auffällig ist, dass die soziale Lichtenberger Unternehmenslandschaft fast vollständig durch lokal verankerte mittlere Unternehmen geprägt ist, die man zum Teil sogar als inhabergeführt bezeichnen könnte, wäre diese Begrifflichkeit im Vereinsrecht vorgesehen. Dahinter steht die Tatsache, dass die meisten Unternehmen auf Vereinsgründungen in und kurz nach der Wendezeit (1989 bis 1992) beruhen und die damaligen Gründer/-innen auch heute, 20 Jahre später, in entscheidenden Positionen in diesen Sozialunternehmen tätig sind. Ein Generationswechsel dieser Gründergeneration steht in ca. zehn bis 15 Jahren an. einer lokalen Stadtentwicklungstrategie (Perspektive im Inkrementalismus). Der Bezirk Lichtenberg sieht ohnehin lokalen Entwicklungsstrategien vor (Bezirksregionenprofile). Diese überlappen sich methodisch mit einem integrierten Stadtentwicklungskonzept wie aus dem Stadtumbau bekannt, sind aber kein Substitut. Eine ressourcensparende parallele Pflege von kommunalen Bezirksregionenprofilen und durch die Stadtumbau-Zeit ohnehin vorhandenen integrierten Stadtentwicklungskonzepten für die Großsiedlungen durch dieselbe strategische lokale Instanz (Stadtteilrunde) ist bereits in Neu-Hohenschönhausen praktisch erprobt (nämlich die jährliche Gemeinwesenkonferenz). Dauerhaftigkeit Die Projektebene einer solchen dauerhaften Stadterneuerung wird durch unterschiedliche Ressourcen gespeist: die Regelförderung der Kommune, insbesondere des Jugendamts mit offenen Angeboten für die SGB-XIII-Zielgruppe „unter 27“ beinhaltet nicht nur Kitas und Jugendclubs, sondern ein breites Spektrum an quartiersbezogenen Angeboten. Die anderen SGB-geförderten Einrichtungen sind in der Lage, Beratungs- und Gemeinwesenangebote für unterschiedliche Altersgruppen und Milieus zu bieten. Die vorhandene Landschaft der „mittelständischen Sozialunternehmen“ ist durchaus in der Lage, zusätzliche Förderressourcen, aber auch zivilgesellschaftliche Ressourcen für Projekte einer sozialen Stadt zu akquirieren, ohne dies begrifflich mit der Sozialen Stadt zu verbinden. Zu guter Letzt sind die Synergieeffekte zwischen diesen Projekten nicht zu unterschätzen, die dank der Existenz einer strategischen Instanz gezielt verräumlicht werden können, zumeist in den Nachbarschaftshäusern und -treffs, aber auch an noch entwicklungsfähigen netzwerklichen bzw. multifunktionalen Infrastrukturstandorten (vgl. Krüger, 2008: 111f ). Damit kann die infrastrukturelle Kapazität der Siedlungen dauerhaft und nachhaltig gestärkt und gesichert werden. Die dauerhaft vorhandenen Ressourcen sind eben nicht die Ressourcen der Stadterneuerung. Das hier skizzierte Modell verdeutlicht, dass Stadterneuerungsressourcen erst noch als dauerhafte Ressourcen installiert bzw. gesichert werden müssen, um der Daueraufgabe Stadterneuerung gerecht zu werden. Dafür kann auf die hier beschriebenen Ressourcen zurückgegriffen werden, die Teilaspekte der Daueraufgabe Stadterneuerung abdecken. Das bedeutet nämlich, dass originär der Profession Stadterneuerung zuschreibbare Ressourcen weniger umfangreich sein müssen als vergleichsweise bei der Installation einer Soziale-Stadt-, Sanierungs- oder Stadtumbaukulisse. Kommune, Wohnungswirtschaft und Gemeinwesenarbeit sind in diesem Modell Erbringer dieser Ressourcen: Kommune und Gemeinwesenarbeit sind es durch die Beauftragung von Personen mit der Arbeit an Teilaspekten der Stadterneuerung (Bürgerbeteiligung, Gebietsmonitoring etc.). Die Wohnungswirtschaft selbst wäre Finanzier der originär personellen Ressourcen der Stadterneuerung. So entsteht eine Steuerungsinstanz im Sinne des perspektivischen Inkrementalismus für die Entwicklung und stetige Pflege 179 Insgesamt ist das Modell der Stadtteilrunde bzw. der Steuerungsinstanz an der Schnittstelle aus Gemeinwesenarbeit und Stadterneuerung unter Einbeziehung der sozialraumorientierten Teile der kommunalen Verwaltung in der Lage, konstruktiv mit den lokalen Benachteiligungsmechanismen einer Großsiedlung umzugehen. Die Einbeziehung der Wohnungswirtschaft mit wenigen kommunalen bzw. genossenschaftlichen playern ist institutionalisiert möglich. Es können die Interventionsfelder, welche sich um die infrastrukturelle, die netzwerkliche und die symbolische Kapazität (Krüger, 2008: 96ff ) des Quartiers bemühen, bearbeitet werden. Im Sinne des perspektivischen Inkrementalismus kann diese Steuerungsinstanz einerseits Projekte mit lokalen fachlich ressortierten Partnern initiieren, welche in diesen Interventionsfeldern stattfinden. Anderseits kann durch die Bündelung der gesamten (!) lokalen Bürgerbeteiligung einschließlich des kommunalen Bürgerhaushalts, Verfügungsfonds o. ä. bei dieser Steuerungsinstanz ein qualifizierter und stetiger bürgerschaftlicher Diskurs über die lokalen Entwicklungsziele geführt werden. Es kann auf diese Art und Weise in den Großsiedlungen ein auf Dauer angelegtes, „vermainstreamtes“ Steuerungsmodell eingeführt werden, welches einen Beitrag für die Zukunft einer behutsamen Stadterneuerung in jenem Sinne darstellen kann, als dass die behutsame Stadterneuerung selbst eine gesellschaftliche Daueraufgabe darstellt. Literatur ANDERS, Sascha u.a. (2012): Verstetigung im Programm Soziale Stadt – Erfahrungen aus der Praxis. In: Jahrbuch Stadterneuerung 2012, S.251-271 BA LICHTENBERG (2005): Konzeption des Bezirksamtes Lichtenberg zur Gemeinwesenentwicklung auf dem Weg zur Bürgerkommune. Berlin BVV (1990-2013): Drucksachen der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin, zit. wurden folgende Nr.: IV/322 (2001), 473/V (2003), 1322/V (2007), 1205/VI (2009a), 1388/VI (2009b), 1519/V (2009c), 1671/VI (2010a) 1706/VI (2010b), 1790/VI (2010c), 1803/VI (2010d), 1934/VI (2011), 0359/VII (2012). Die Drucksachen sind ab der V. Legislaturperiode unter im offiziellen Informationssystem der BVV Lichtenberg online abrufbar: www.berlin.de/ba-lichtenberg/ bvv-online/allris.net.asp. Zugriff am 4.4.2013. EBERT, Matthias (2012): [Interviewquelle: Leiter des Stadtteilzentrums für Neu-Hohenschönhausen und Vorsitzender des Trägervereins Lebensmut e. V.] mehrere Kurzinterviews im Frühjahr 2012, dabei auch Zugriff auf Dokumente aus dessen Privatarchiv, z. B. des Aufrufs zur Schaffung eines Sozio-Kulturellen Zentrums Hohenschönhausen im ehemaligen Institut für Lehrerbildung (später abgerissen) vom September 1995. FEHLERT, Nadine; KRÜGER, Arvid (2013): Konzeption Partizipation in der Stadtentwicklung, Bezirk Lichtenberg von Berlin. Gutachten des Büros Jahn, Mack & Partner für das Bezirksamt Lichtenberg. Beschluss zur BA-Vorlage 115/2013 des Bezirksamts Lichtenberg von Berlin vom 9. April 2013 HINTE, Wolfgang (2010): Ämterübergreifende Sozialraumorientierung in den Berliner Bezirksverwaltungen. Eine Arbeitshilfe für die Umsetzung des HB zur Sozialraumorientierung im 180 Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. HINTE, Wolfgang (2011): Anregungen zu Aufbau und Struktur einer Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination in Berlin-Lichtenberg. Gutachterliche Stellungnahme f. d. Bezirk Lichtenberg vom 10.1.2011 (n. veröffentl.) KRÜGER, Arvid (2008): Erneuerung der Erneuerung – Eine neue Rolle der Stadterneuerung im Kontext von Benachteiligungsphänomenen in der Stadtentwicklung. Berlin KRÜGER, Arvid (2012): Kommunikation und Partizipation als Schnittstelle zwischen Stadterneuerung und Gemeinwesenarbeit am Beispiel Neu-Hohenschönhausens (Berlin), Jahrbuch Stadterneuerung 2012, S.233-250 KIEZSPINNE (2013): www.kiezspinne.de (einschl. Unterseiten), Selbstdarstellung des Vereins Kiezspinne e. V. bzw. des Nachbarschaftshauses Orangerie und dessen Angebote. Zugriff am 4.4.2013. SENATSVERWALTUNG FÜR STADTENTWICKLUNG (Hg.) (2009): Handbuch Sozialraumorientierung – Grundlage der integrierten Stadt(teil)entwicklung in Berlin. Berlin VAV (2013): www.vav-hhausen.de (einschl. Unterseiten), Selbstdarstellung des Vereins für ambulante Versorgung e. V. bzw. des Nachbarschaftshauses im Ostseeviertel und dessen Angebote. Zugriff am 4.4.2013. WKM (2009): Handlungsschwerpunkte des Welsekiezmanagements, die Herleitung ist abrufbar unter: www.welsekiez. de/wp-content/uploads/2010/09/Herleitung-Handlungsschwerpunkte.pdf, die Handlungsschwerpunkte sind in der BVV-Drucksache 1519/VI vom 17.09.2009 dokumentiert. Zugriff am 4.4.2013. Petra Jähnke Stadterneuerung im Wandel? Akteursperspektiven aus Großstadtquartieren mit sozialen Problemlagen und partiellen Aufwertungstendenzen Richtungsänderungen ergeben sich in Prozessen der Stadtentwicklung nie „von allein“. Sie sind im weitesten Sinne Ergebnis von Kommunikationen, basierend auf – mehr oder weniger interessengeleiteten – Ideen, Einfällen, Visionen, und sie sind ein Ergebnis von Macht. Moabit und Wilhelmsburg (vgl. auch Christmann/Jähnke, 2011:217ff.). Abschließend widmet sich der Beitrag Schlussfolgerungen hinsichtlich der Zukunft von Beteiligungsmöglichkeiten und -verfahren in Großstadtquartieren. Machule/Usadel (2001:106) Was bedeutet heute (behutsame) Stadterneuerung in Großstadtquartieren im Umbruch? Wie wird sie von Bewohnern und weiteren Akteuren vor Ort im Kontext stadtentwicklungspolitischer Interventions- bzw. Entwicklungsansätze beurteilt und ggf. mit eigenen Aktivitäten unterstützt? Dies sind Fragen, die sich auch für Engagierte in benachteiligten Stadtteilen stellen, die am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) als Raumpioniere bezeichnet und im Rahmen der Forschung zu kommunikativen Raumkonstruktionen am Beispiel von Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg untersucht wurden. Mit Befunden zum Akteursfeld und zur Typisierung von Raumpionieren in beiden Fallregionen soll nachfolgend ein Diskussionsbeitrag zur Rolle dieser Akteure in Stadterneuerungsprozessen geleistet werden. Eingegangen wird dabei auch auf die Fragen: Wie wird Beteiligung heute in den untersuchten Fallregionen konkret umgesetzt? Welche Ansprüche haben Raumpioniere und welche Rolle spielen sie in Beteiligungsprozessen im Stadtteil? Welche Handlungsoptionen gibt es für sie und welche Problemlagen werden deutlich? Ausgangspunkt bildet dafür eine um Fragen der Bürgerbeteiligung ergänzte Darstellung der stadtentwicklungspolitischen Kontextbedingungen in Raumpioniere im Stadtquartier Das Forschungsprojekt „Raumpioniere im Stadtquartier – zur kommunikativen (Re-) Konstruktion von Räumen im Strukturwandel“ wurde von 2009 bis 2011 im Rahmen der Leitprojektforschung am IRS in Erkner realisiert (vgl. www.irs-net.de): Ziel war es, Antworten auf die Fragen zu finden, wer engagierte Akteure im Stadtteil sind, vor welchem sozio-kulturellen Hintergrund sie handeln und welche Raumbindungen sie haben, welche raumbezogenen Entwicklungsvorstellungen sie verfolgen und wie diese in lokalen Gruppen bzw. Netzwerken verhandelt werden (zu ausgewählten Ergebnissen vgl. z. B. Christmann/Büttner, 2012; Jähnke, 2012; Neumann/Schmidt, 2012). Außerdem wurde untersucht, in welche öffentlichen Diskurse deren Visionen bzw. Ideen eingebettet sind und wie diese in lokale Machtund Wissensordnungen eingeschrieben werden (vgl. Christmann/Mahnken, 2012 sowie den Beitrag von Mahnken in diesem Jahrbuch). Diesen Untersuchungen lag die Annahme zugrunde, dass es die „in den Köpfen“ verankerten (abwertenden) Deutungsmuster – bezogen auf Stadträume und (bestimmte) dort verortete Bürger bzw. Akteursgruppen – sind, die als wichtige Ansatzpunkte 181 für Quartiersentwicklungen betrachtet werden müssen. Solche Deutungsmuster, die auch als soziale Konstruktionen bezeichnet werden, entstehen in kommunikativen Aushandlungsprozessen und können auch nur in Kommunikationen transformiert oder modifiziert werden. Forschungsleitend war zudem, dass Akteure, die sozial-räumliche Visionen entwickeln bzw. Neues denken und Bestehendes verändern (wollen), darüber kommunizieren bzw. andere zur Kommunikation darüber anregen und so auch deren Raumvorstellungen beeinflussen (können). Dieser Ansatz, d. h. die Herstellung eines raumbezogenen Zusammenhangs zwischen Wissen, Handeln und Kommunikation, gilt in Verbindung mit Fragen der Raumentwicklung als neu und wird im IRS weiter ausgearbeitet. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie der kommunikativen Raumkonstruktion (vgl. z. B. Christmann, 2010 u. 2013). Der Begriff des Raumpioniers bezog sich in der Stadtforschung bisher zumeist auf zivilgesellschaftliche Akteure, die in ökonomisch (zeitweise) entwerteten Räumen Entfaltungs- bzw. Freiräume für eigene Lebensentwürfe sehen und dort Neues umsetzen (vgl. z.B. Lange/Matthiesen, 2005; Matthiesen, 2005). Dieses Verständnis wurde im o. g. Projekt als Oberbegriff auf alle lokal engagierten Akteure erweitert, die im Quartier bzw. Stadtteil mit neuartigen Ansätzen etwas bewegen oder verändern (wollen). Somit bezieht er auch Unternehmer und Selbstständige bzw. Kreative sowie Vertreter aus Politik, Verwaltung bzw. von Organisationen ein, die an Potenziale vor Ort anknüpfend sozial-räumliche Transformationsprozesse beabsichtigen, befördern und/oder umsetzen. Das Pionierhafte wird in dem hier zugrunde gelegten Forschungsansatz also nicht primär an Aktivitäten für neue oder alternative (Wieder-)Inwertsetzungen von gebauten Räumen oder Freiräumen – bezogen auf den Stadtteil oder das Quartier – festge182 macht, wie dies beispielsweise in Ansätzen zur Zwischennutzung geschieht (vgl. zu urban pioneers z. B. SenStadt 2007). Vielmehr steht das Neue im sozialen Handeln der lokal engagierten Akteure einschließlich der Wirkungen auf bzw. Wechselwirkungen mit anderen „Raumdimensionen“ im Mittelpunkt (Jähnke, 2012:3/10): Anders ausgedrückt, Raumpioniere agieren in einen „Matrixraum“, d. h. ihr Handeln bezieht sich sowohl auf den Raum als materiell-physisches Substrat als auch auf die gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen bzw. die gesellschaftliche Praxis, die institutionellen und normativen Regulationssysteme sowie das räumliche Zeichen-, Symbol- und Repräsentantensystem (Läpple, 1991:196f ). Sowohl Einzelakteure als auch Gruppen bzw. Netzwerke (im Sinne von „Raumpioniership“) sowie öffentliche Diskurse waren im Rahmen des Forschungsprojekts von konzeptioneller und analytischer Bedeutung. Für diesen Beitrag bildet die Perspektive der Einzelakteure die Grundlage, bei der die empirische Identifizierung von Akteurstypen im Mittelpunkt stand (vgl. zu ausgewählten Befunden auch Jähnke, 2012). Als Anknüpfungspunkt für nachführende Ausführungen wird zudem unterstellt, dass Raumpioniere mit einem sozial-räumlichen Transformationsanspruch in ihrem Agieren auch nachhaltige Entwicklungsansätze unterstützen, wenn sie Ressourcen und Potenziale vor Ort bzw. im Stadtteil einbeziehen, mit anderen über (neue) Raumvorstellungen kommunizieren und diese ggf. lokal (neu) verhandeln. Trotz ihres Erneuerungsstrebens verfolgen sie dabei zumeist ähnliche Zielstellungen bzw. Strategien, wie sie im Rahmen „Behutsamer Stadterneuerungen“ intendiert sind, da sie i. d. R. dem Vorhandenen an städtebaulicher Struktur, Quartiersfunktion, Bewohnerschaft und/ oder Engagementformen große Bedeutung beimessen. Unklar bleibt aber noch, in welchem Maße sie dabei sowohl bauliche als auch soziale und kulturelle Behutsamkeit in den Mittelpunkt stellen, wie sich diese im Einzelnen darstellt und welche Unterschiede ggf. deutlich werden. Zugrunde soll dabei ein Beteiligungsverständnis liegen, welches (politische) Beteiligung im Sinne von „Handlungen und Verhaltensweisen [definiert], die Bürgerinnen und Bürger freiwillig und mit dem Ziel verfolgen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politisch-administrativen Systems zu beeinflussen“ (Kaase, 2003:495ff nach Nanz/Fritsche, 2012:143). Im Mittelpunkt stehen hier allerdings nur die kommunale Ebene sowie Partizipationsformen, die auf Dialog ausgerichtet und als kollektiver Akt angelegt sind (Selle, 1996:68f ). Dies meint somit Formen jenseits von Wahlen, „Parteiarbeit“ oder Bürgerbegehren, wie z. B. die Beteiligung an Bürgerforen, Bürgerinitiativen oder Protestaktionen, ggf. auch im Rahmen des ehrenamtlichen Engagements in Vereinen (Vetter, 2008:10f ). Dazu gehören aber auch Angebotsbeteiligungen im Rahmen der Anhörungsrechte von Bürgern in Planungsverfahren in Form einer formalen Beteiligung oder informelle Verfahren der Bürgermitwirkung, wie Planungszellen oder runde Tische (Selle, 1996:69). (Behutsame) Stadterneuerung, Beteiligung und Bürgerengagement in Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg sind Stadtteile mit ausgeprägten sozialen Problemlagen und Negativimages und dies bereits seit längerem. Trotzdem identifizieren sich viele Bewohner mit diesen Räumen. Im Zusammenhang mit spezifischen Entwicklungskontexten waren und sind diese Gebiete für Förder- und Entwicklungsansätze prädestiniert, die den Einsatz öffentlicher Mittel mit Bürgerbeteiligung verbinden, wie dies mit Ansätzen zur „Behutsamen Stadterneuerung“ vor 30 Jahren begonnen wurde und heute v. a. mit Bund-Länder-Program- men, wie „Stadteile mit besonderem Handlungsbedarf – Soziale Stadt“, realisiert wird. Zudem gewannen Moabit und Wilhelmsburg in den letzten zehn Jahren durch ihre zentrumsnahe Lage – wenn auch in unterschiedlichem Maße  – stadtentwicklungspolitisch und aus Investorensicht an Bedeutung, was in partiellen Aufwertungstendenzen deutlich wird. So ist für beide Räume heute charakteristisch, dass Schrumpfung und Wachstum gleichzeitig stattfinden – allerdings räumlich disparat und lokal differenziert – was sowohl Stadtentwicklung als auch das Engagement der Bewohner und weiterer Akteure vor Ort vor neue und komplexere Herausforderungen stellt. In diesem Entwicklungskontext boten Moabit und Wilhelmsburg in der Vergangenheit nicht nur preiswerten Wohnraum und multikulturelles Flair, sondern auch Platz und Raum für Ideen, d. h. zahlreiche Nischen und Möglichkeiten für (sozial-räumliches) Akteursengagement und -initiative. Bürgerengagement reagierte aber in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten auch auf Erneuerungsansätze bzw. (Infrastruktur-)Investitionen – insbesondere auf Brachen und untergenutzten Flächen oder zur Aufwertung des Wohnungsbestandes – welche bei den bisherigen Bewohnern Verschlechterungen der Lebensqualität oder aber Verdrängungen befürchten ließ. Und schließlich fordern Engagierte, wenn sie Aufwertungsprozessen eher positiv gegenüber stehen, auch flankierende sozialverträgliche Strategien ein. So hat sich in beiden Stadträumen eine Engagementlandschaft mit verschiedenen Akteurskonstellationen, Zielstellungen und Handlungsformen entwickelt, die zudem sehr differenziert öffentlich wahrgenommen wird. Anfang der 1980er Jahre wurde unter dem Paradigma „Behutsame Stadterneuerung“ – eingeleitet mit Bürgerprotesten und Instandbesetzungen in Berlin und anderen bundesdeutschen Großstädten und mar183 kiert durch Modellprojekte der Berliner IBA zum Thema „Innenstadt als Wohnort“ 1984/1987 – dieser Ansatz zum Wendepunkt in der Stadtentwicklungspolitik. Bestimmend dafür war, dass er nicht nur eine Abkehr von den flächenhaften Abrissstrategien bei der Sanierung von Bestandsquartieren darstellte, sondern auch und vor allem neue Planungs-, Beteiligungs- und Trägerformen hervorbrachte (Roost/Schauz, 2008:12). Dies fand, exemplarisch für Berlin-Kreuzberg, seinen Niederschlag in zwölf Grundsätzen zur „Behutsamen Stadterneuerung“ (vgl. Hämer 1990:64f ). „Anders als bei herkömmlichen Planungen […] wurde mit diesen […] die Erfahrung der Betroffenen zur zentralen Entscheidungsgrundlage“, denn es wird sowohl die Einbeziehung der jetzigen Bewohner und Gewerbetreibenden in die Planung und Realisierung, die Regelung und Stärkung von Beteiligungs- und materiellen Rechten der Betroffenen sowie die Transparenz von Entscheidungen als auch die Bewahrung der Eigenart eines Stadtquartiers, die Priorität von Erhaltungsmaßnahmen, die Aufwertung öffentlicher Einrichtungen und Freiflächen, die Entwicklung neuer Trägerschaftsformen sowie die finanzielle Absicherung und Nachhaltigkeit von Erneuerungskonzepten eingefordert (Hämer 1990:64f ). In Berlin war das „so entstandene Modell auch nach der Wiedervereinigung ab 1990 im Wesentlichen [prägend]“ (Roost/Schauz 2008:12). Auch „die seither neugeschaffenen Instrumente für Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf, Konzepte zur sozialen Stadtentwicklung und für das Quartiersmanagement knüpfen bezüglich der Einbeziehung der Betroffenen an die im Zuge der IBA entwickelten Grundideen der behutsamen Stadterneuerung an“ (Roost/Schauz 2008:12). Ein wesentlicher Unterschied in Berlin ist allerdings, dass im Mittelpunkt öffentlicher Maßnahmen und Förderungen in den letzten Jahren die soziale Infrastruktur und das öffentliche Wohnumfeld und nicht (sozialverträgliche) Wohnraumsanierungen bzw. -erneuerungen standen (SenStadt 184 2005). Erst seit 2012 werden – angesichts sich verstärkender Gentrifizierungsprozesse in der Berliner Innenstadt – bezahlbare Wohnungen für Geringverdiener bzw. sozial Benachteiligte wieder ein stadtentwicklungspolitisches Thema. Dies ist ein Handlungsbedarf auf den Engagierte in Berlin-Moabit bereits seit längerem hingewiesen haben (vgl. z. B. WhM, 2010 oder MoabitOnline, 2008). Berlin-Moabit Moabit – als Stadtteil 1861 eingemeindet (Alt-Moabit) und im Zuge der Industrialisierung als typischer Arbeits- und Wohnstandort dynamisch gewachsen (Neu-Moabit) – lag nach der Teilung Deutschlands und Berlins wieder am „Stadtrand“. Die Entwicklungen ab 1990 verschafften der Insel zwischen Schifffahrtskanälen und der südlich angrenzenden Spree indes eine neue Innenstadtlage und öffentliche Aufmerksamkeit zwischen City-West, City-Ost und Regierungsviertel (Grothe, 2008:6). So wurden in diesem Stadtteil (Abb. 1) ab 1990 vorbereitende Untersuchungen in Problemgebieten durchgeführt, Sanierungsgebiete ausgewiesen und durch Sanierungsträger Betroffenenvertretungen eingerichtet. Nach Ablauf der Maßnahmen gründeten sich aus den Betroffenenvertretungen teils Bürgervereine, die bis heute aktiv sind. Das Bürgerengagement wurzelt hier aber auch in der alternativen Berliner Stadtentwicklungsszene der 1980er Jahre. Aus diesen Aktivitäten entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Formen des bürgerschaftlichen Handelns und des sozialen bzw. kulturellen Engagements. Zudem traten ab Mitte der 1990er Jahre neue Akteure auf den Plan, die weniger die Probleme des Stadtteils sondern vielmehr deren Potenziale sahen. Einzelne Quartiere (und Brachflächen) Moabits – insbesondere um den neuen Berliner Hauptbahnhof – erfuhren wachsende Aufmerksamkeit durch Stadtentwickler und Investoren vor allem für ausgewählte Nut- Abb. 1 Berlin-Moabit (Quelle: Christmann/Jähnke, 2011:219) zungen, wie Hostels und Hotels, aber auch höherwertiges Wohnen. Dies kollidierte z. T. mit Vorstellungen zu behutsamen Entwicklungen, was Proteste bzw. Engagement alteingesessener Bewohner hervorrief. Angesichts der sich in ausgewählten Gebieten Moabits weiter verschlechternder Sozialindikatoren, Infrastrukturausstattungen und stadträumlicher Qualitäten erfolgte in den 2000er Jahren die Ausweisung von „Soziale-Stadt-Gebieten“ mit der Einrichtung eines Quartiersmanagements sowie weiterer Städtebaufördergebiete bzw. -projekte mit entsprechenden Beteiligungsverfahren (wie „Stadtumbau-West“ oder „Aktive Stadtteilzentren“). Allerdings war und ist dies mit unterschiedlichen Gebietskulissen und Zeithorizonten verbunden. Dem soll u. a. mit einer vom Berliner Senat beschlossenen Rahmenstrategie zur integrierten Stadtteilentwicklung (vgl. SenStadt, 2009) „Aktionsraum plus“ abgeholfen werden. Das mit diesem Konzept für den „Aktionsraum plus Wedding/Moabit“ (2010) entwickelte Leitbild bescheinigt Moabit zwar das Potenzial, sich zu einem urbanen Lebensbereich mit attraktiven Wohn-, Arbeits-, Einkaufs-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten entwickeln zu können, setzt aber letztlich nur an der Überwindung gegenwärtiger Defizite und Probleme des Stadtteils (wie Exklusion, Segregation und Armut) an. Einen visionären Entwicklungsansatz, wie dies beispielsweise für Wilhelmsburg der Fall ist, gibt es für Moabit nicht. Dies wird auch in der Medienresonanz deutlich, die weiterhin ein zumeist negatives Bild des Stadtteils zeichnet (verbunden mit Begriffen wie Gewalt, Kriminalität, Gefängnis und Gericht). Hamburg-Wilhelmsburg Die Elbinsel Wilhelmsburg (Abb. 2) war die größte Landgemeinde des Preußischen Staates, die sich in Zeiten des industriellen Aufschwungs schnell entwickelte und im Zuge der Groß-Hamburg-Bildung 1937 eingemeindet wurde. Nach der großen Flut 1962 in Teilen zeitweise sogar als Wohnstandort aufgegeben, wurde das Gebiet zwischen Norder- und Süderelbe südöstlich der Hamburger Innenstadt bis Ende des 20. Jahrhunderts in der öffentlichen Wahrnehmung Hamburgs zumeist als terra incognita gesehen (Reinstorf, 2003:5ff ). 185 Abb. 2 Hamburg-Wilhelmsburg (Quelle: Christmann/Jähnke, 2011:218) Stadtentwicklungspolitisch stellt sich die Situation im Vergleich zu Moabit aber mittlerweile anders dar. Dem in der Öffentlichkeit negativ besetzten Bild (verbunden mit Begriffen wie Flut, Industrie, Verkehr und Gewalt (vgl. Weißbuch, 2002)), wird im Rahmen der offiziellen Stadtentwicklungspolitik seit Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem „Sprung über die Elbe“ eine neue Vision entgegengestellt und öffentlich kommuniziert. Diese zielt im Kontext des Leitbildes „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“ auf die vielfältigen Qualitäten Wilhelmsburgs als Wohn- und Arbeitsort in Verbindung mit den verfügbaren Entwicklungsflächen und -potenzialen ab (vgl. Hamburg, 2002). Anliegen ist es, dem Image als „armer“ und stigmatisierter Stadtteil zu begegnen. So sollen neue Bewohner, Investoren und Vertreter der „kreativen Klasse“ (vgl. Florida, 2002) angezogen werden. Wesentliche Grundlagen für stadtentwicklungspolitische Ansät186 ze wurden aber bereits 2001 im Ergebnis bürgerschaftlichen Engagements für die Sicherung der Lebensqualität auf dieser Insel – die durch Industrie- und Hafenansiedlungen oder städtische Infrastrukturanlagen sowie vernachlässigte Stadterneuerungsmaßnahmen wiederholt als bedroht angesehen wurde – im Ergebnis einer lange eingeforderten Zukunftskonferenz unter Beteiligung eines breiten Akteurskreises erarbeitet (vgl. Weißbuch, 2002). Trotz Stadterneuerungsmaßnahmen mit Bewohnerbeteiligungen in Teilgebieten seit Mitte der 1980er Jahre erreichte die Stimmung unter der Bevölkerung angesichts zunehmender sozialer Probleme Anfang der 1990er Jahre ihren Tiefpunkt und fand in massiven Bürgerprotesten sowie dem Zusammenschluss engagierter Bürger ihren Ausdruck. Das Betroffenheitsinteresse an der eigenen Stadtteilentwicklung ist bereits seit den frü- hen 1920er Jahren ein Thema in Wilhelmsburg, da mit der Aufgabe der kommunalen Planungshoheit der Insel deren Wert als Hafen- und Industriegebiet wachsende Priorität erhielt (Machule/Usadel, 2001:90). An diesen Entwicklungspfad knüpften bis Ende der 1900er Jahre ebenso entsprechende Stadtentwicklungskonzepte an. In diesem Zeitraum begannen auch – im Zuge der Entwicklung integrierter (Förder-)Programme – Beteiligungsverfahren in Wilhelmsburg, die „als besonderer Baustein der ‚Sozialen Stadtentwicklung in Hamburg’ bis heute aus dem Rahmen fallen“ (Machule/Usadel, 2001:89). So bot Wilhelmsburg als terra incognita einerseits über Jahrzehnte Entwicklungsnischen für Akteursengagement und -kreativität – und tut dies auch heute noch. Andererseits war dieser Stadtteil über mehrere Dekaden der „Nährboden“ für Bürgerwiderstand und Bürgerengagement, welches heute durch eine Reihe von Vereinen und sozialer bzw. kultureller Einrichtungen getragen wird. Mit dem stadtentwicklungspolitischen Paradigmenwechsel und mit Konzepten für die Erschließung der baulichen und Freiraumressourcen nach 2000 traten weitere Akteure auf den Plan, die die Potenziale des Stadtteils nutzen wollen und dabei eine stadträumliche Aufwertung im Blick haben. Deshalb erfolgt Stadterneuerung in Wilhelmsburg seit 2006/2007 (neben dem Weiterbestand von Sanierungsgebieten) vor allem unter dem Dach einer Internationalen Bauausstellung (zum IBA-Konzept vgl. z. B. Durth, 2008) und in Verbindung mit einer Internationalen Gartenschau (igs), um Stadtund Landschaftsentwicklung zu verzahnen. Unter dem Motto „Entwürfe für die Zukunft der Metropole“ stehen drei Leitthemen im Mittelpunkt: Kosmopolis (Suche nach neuen Wegen des Zusammenlebens), Metrozonen (interessante städtebauliche Lösungen für die „inneren Stadtränder“), Stadt im Klimawandel (Stadtwachstum im Einklang mit der Umwelt). Bauliche, kulturelle und soziale Programme und Projekte werden durch die Bündelung öffentlicher und privater Mittel ermöglicht (vgl. www.iba-hamburg.org). Der realisierte Projektmix verbindet mittlerweile spektakuläre Einzelprojekte mit (erfolgreichen) Stadterneuerungsstrategien (vgl. Petrin, 2008:28). Große Aufmerksamkeit gilt zudem der Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung (z. B. im Rahmen eines gemeinsamen Beteiligungsgremiums von Bürgerdialogen zu unterschiedlichen Themen u. ä.). Die induzierten Aufwertungsprozesse in Verbindung mit den verfolgten bzw. realisierten Beteiligungsstrategien werden von den engagierten Akteuren vor Ort aber z. T. sehr kritisch beurteilt (vgl. z.B. Schmidt, 2012). Bereits mit den bisherigen Ausführungen konnte verdeutlicht werden, wie unterschiedlich sich Fragen der Behutsamkeit und darauf bezogener Beteiligungen bei der Entwicklung von Stadtteilen mit sozialen Problemlagen und partiellen Aufwertungstendenzen stellen können. Aber gerade wenn bauliche bzw. Freiraumerneuerungsbedarfe – z. B. bei innerstädtischen Revitalisierungen (wie in Moabit) oder im Rahmen neuer/innovativer Funktions- und Nutzungskonzepte (wie in Wilhelmsburg) hoch bzw. politisch gewollt sind – stellt sich die spannende Frage, welches Augenmerk bei den im Stadtteil Engagierten auch auf soziale und/oder kulturelle in Verbindung mit baulicher Behutsamkeit gelegt wird. Ansprüche von Raumpionieren an (behutsame) Stadterneuerung und ihre Rolle in Beteiligungsprozessen Die nachfolgenden Darstellungen basieren auf der Bestimmung eines mehrdimensionalen Akteursfeldes und der Charakterisierung qualitativ gebildeter Akteurstypen in Moabit und Wilhelmsburg im Rahmen des o. g. IRS-Projekt (vgl. Christmann u. a. i. E.). Bereits vorliegende Ergebnisse wurden für diesen Beitrag zusammengefasst und um 187 Befunde hinsichtlich der Ansprüche zugeordneter Akteure an (behutsame) Stadterneuerungen sowie hinsichtlich deren Rolle in Beteiligungsprozessen erweitert. Empirische Grundlagen bildeten die in beiden Fallregionen mit Engagierten geführten problemzentrierten Interviews, wobei die Datenerhebung einem theoretischen sampling (vgl. Strauss/Corbin, 1996/1990) folgte. Die Gespräche wurden aufgezeichnet, transkribiert und anonymisiert sowie im Verständnis einer Grounded-Theory-Methodology (vgl. Mey/Mruck, 2009) qualitativ auswertet. Erste Befunde in Moabit und Wilhelmsburg verdeutlichten zunächst, dass Raumpioniere nicht nur sozial verankerte Akteure sein können, die sich projektorientiert mit innovativen Ideen in die Entwicklung ihres Quartiers bzw. Stadtteils, auch in Rahmen von Bürgerbeteiligung, rege einbringen und öffentlich präsent sind. Die Untersuchungen verwiesen darauf, dass diese Zuschreibung desgleichen für institutionell stark verankerte Akteure bestimmend ist, die in der öffentlichen Diskussion mit ihrem Projektengagement nicht nur wahrgenommen werden, sondern diese, ebenso wie Beteiligungsprozesse im Stadtteil, aktiv mitbestimmen. Schließlich konnte als Raumpionier auch der angesehen werden, der – bisher weitgehend allein – seine sozial-räumlichen Visionen im Rahmen einer ersten Projektidee umsetzt, dabei kaum öffentlich „sichtbar“ ist und sich wenig für lokale Bürgerbeteiligung interessiert. nehmung und Nutzung von Gelegenheiten im Raum) – und somit auch ihrer Interessen an Stadterneuerungsprozessen und Bürgerbeteiligungsformen – ließen sich fünf charakteristische Ausprägungen identifizieren (Abb. 3). Außerdem wurde deutlich, dass das raumwirksame, akteursspezifische Engagement als Prozess im Zeitverlauf interpretiert werden muss und zudem von einer Offenheit dieser Prozesse auszugehen ist. Trotz des hohen Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund gelang es nur selten, diese Stadtteilbewohner auch im pionierhaften Engagement zu verorten. Für Beteiligungsprozesse zeigte sich dies in noch viel stärkerem Maße. Pionierhafte Akteure Pionierhafte Akteure haben keine Ambitionen, sozial-räumliche Ideen für Veränderungen im Quartier zu entwickeln bzw. umzusetzen. Ihr Interesse gilt der Nutzung von Gelegenheitsstrukturen vor Ort (wie günstiger Wohn- und/oder Gewerberaum), d. h. sie setzen brachliegende Potenziale im Quartier wieder „in Wert“. Ihr raumbezogenes Wissen und ihre Identifikation mit dem Stadtteil ist gering. Sie sind nicht mit engagierten Akteuren oder Akteursgruppen lokal vernetzt. Da sie mit ihrem Lebensstil und ihren Wertvorstellungen – wenn auch nicht intendiert – Einfluss auf die lokalen sozio-kulturellen Bedingungen nehmen, bilden sie trotzdem eine spezifische Akteursgruppe in „Stadterneuerungsprozessen“. Raumpioniere Akteursfeld „pionierhaftes Engagement“ Das Akteursfeld „pionierhaftes Engagement“ umfasste als Heuristik aber bereits weitere Variationen. Im Ergebnis erster Analysen der unterschiedlichen „Absichten“ engagierter Akteure „für den Raum“, ihrer damit verbundenen Kommunikations- und Handelsstrategien sowie der dabei zugrunde liegenden Wissensbestände (ausgehend von der Wahr188 Raumpioniere im engeren Sinne, d. h. potenzielle, eigentliche oder etablierte Raumpioniere, bilden den Kern des Akteursfeldes. Sie engagieren sich im Quartier bzw. Stadtteil bürgerschaftlich und/oder professionell. Auch in Stadterneuerungsprozessen sind sie auf unterschiedliche Art und Weise aktiv. Die Nutzung vorhandener „Raumqualitäten“ verbunden mit der Entwicklung so- Abb. 3 Heuristik – „pionierhaftes Engagement“. Die mit Buchstaben versehenen Kreise verkörpern stellvertretend Einzelfälle. (Grafik: Christmann 2011, modifiziert) zio-kultureller, baulich-räumlicher und/oder sozial-räumlicher Visionen bzw. Projekte ist die Grundlage ihres Handelns. Da sie zur Umsetzung Mitstreiter und/oder Verbündete brauchen, entwickeln sie je nach Etablierung soziale Netzwerke und kommunikative Strategien („Raumpioniership“). Weil sie vor Ort nicht nur Gelegenheitsstrukturen vorfinden, sondern auch Entfaltungs- und Freiräume für ihre eigenen Lebensentwürfe und/oder ihre berufliche Entwicklung sehen, identifizieren sie sich mit dem Stadtteil oder Quartier und haben eine entsprechend große Raumbindung. „Potenzielle Raumpioniere“ entwickeln als Akteure vor allem innovative bzw. visionäre Vorstellungen von Aktivitäten in ihrem Quartier, greifen dabei bereits auf spezielles Raumwissen zurück, verfolgen aber keine sozial-räumlichen Handlungsansätze, die sie intendiert mit Problematiken im Stadtteil verbinden. Bürgerbeteiligung ist für sie bisher kaum ein Thema. „Eigentliche Raumpioniere“ verfügen über um- fangreiches Raumwissen und richten ihr proaktives Handeln, vor dem Hintergrund ihrer ebenso teils neuen, aber bereits lokal verankerten Lebensentwürfe (im Hinblick auf Wohnen und/oder Arbeiten) gezielt auf sozial-räumliche Veränderungen. Sie engagieren sich aktiv im Stadtteil sowie für/in Beteiligungsprozesse/n. „Etablierte Raumpioniere“ konzentrieren sich in ihrem sozial-räumlich intendierten Handeln auf der Grundlage ihres umfangeichen Raumwissens auf die Institutionalisierung bzw. Bewahrung des Neuen/Innovativen, d. h. auf bereits realisierte sozial-räumliche Ideen und Projekte im Stadtteil bzw. Quartier. In diesem Zusammenhang agieren sie teils reaktiv. Vor diesem Hintergrund und angesichts der festen Verankerung ihrer Lebensentwürfe im lokalen Kontext ist für sie Bürgerbeteiligung ein zentrales Thema. Engagierte Akteure Engagierte Akteure sind ebenso lokal verankert wie etablierte Raumpioniere und 189 Abb. 4 Raumpioniertypen (Quelle: eigene Auswertungen; Grafik: IRS) identifizieren sich mit ihrem Quartier oder Stadtteil. Ihr Raumwissen ist aber weniger umfangreich und sie greifen in ihrem Engagement auf bewährte Ansätze zur Gestaltung der Quartiersentwicklung, zur Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität vor Ort o. ä. zurück. Sie handeln zudem reaktiv, auch im Rahmen von Stadterneuerungsund Beteiligungsprozessen. Raumpioniertypen Die weitere Identifizierung von Typen stand im Einklang mit dem Ergebnis detaillierter Fallauswertungen, die verdeutlichten, dass sich Ausprägungen o. g. „pionierhaften Engagements“ bei bestimmten Akteuren überlagern bzw. dass Einzelfälle diesen nicht eindeutig zuzuordnen sind. Zudem wurden da190 für insbesondere die Akteure herangezogen, die sich im Bereich zwischen „potenziellen“, „eigentlichen“ und „etablierten Raumpionieren“, d. h. im Kern des Akteursfeldes, verorten ließen. Für jede der so identifizierten Gruppierungen waren – trotz gewisser Überschneidungen bei der Zuordnung – gemeinsame Charakteristika sowie Unterschiede bestimmbar, was die Bildung empirisch begründeter Typen rechtfertigte (vgl. Kluge, 1999; Kluge/Kelle 2010). Als Ergebnis lagen sieben „Raumpioniertypen“ (RP-Typen) sowie ein besonderer Einzelfall vor (Abb. 4). 1. RP-Typ: „Macher von Kunst im Raum“ mit experimentellen Ansätzen: Als „potenzielle Raumpioniere“ leben diese Akteure seit Jahren in der jeweiligen Stadt und seit längerem im Stadtteil. Charakteristisch sind ihre positive Identifikation mit dem Raum und ihr künstlerischer Habitus. Dies wird vor allem mit Individualität assoziiert und bestimmt ihr Handeln. Ihre Raumvision von Freiheit verbinden sie explizit mit ihren Lebensentwürfen und nutzen dazu Gelegenheiten und Freiräume vor Ort. Auch in der räumlichen Nähe von Wohnung und Arbeitsplatz (Atelier, Galerie o. ä.) drückt sich die enge Verbindung von künstlerischer Entfaltung und lokalem Engagement aus. Für diese Akteure ist der Stadtteil eine Bühne. Ihre Kunstprojekte sind neu/innovativ für den Raum, aber sie nehmen nicht oder nur mittelbar auf die sozialen Problematiken bzw. die Menschen des jeweiligen Stadtteils Bezug. In ihrer Kunst- bzw. Kultur-Community sind sie lokal, national und zumeist auch international gut vernetzt. Politischplanerischen Steuerungsinterventionen stehen sie kritisch gegenüber. Um ihre Lebensentwürfe und die Möglichkeiten ihrer künstlerischen Entfaltung zu sichern, sind sie an behutsamen Erneuerungsprozessen im Quartier bzw. Stadtteil interessiert (oder sie werden den Stadtteil in absehbarer Zeit verlassen). Dafür engagieren sich diese Akteure ggf. auch im Rahmen von Beteilungsprozessen. Mit ihren Projekten sind sie in der Öffentlichkeit „sichtbar“ bzw. präsent, manchmal auch provokativ. So tragen sie zur Außen-Imageverbesserung bei, auch wenn dies vielleicht gar nicht von ihnen gewollt ist. Außerdem werden die Ergebnisse ihres Engagements zumeist als Verbesserung der Lebensqualität im Stadtteil wahrgenommen bzw. als solche interpretiert. Dies löst bei anderen Engagierten vor Ort sowohl Zustimmung aus, wird aber auch mit Missfallen betrachtet, da partielle Aufwertungstendenzen und Verdrängungsprozesse befürchtet werden. Bei überlokalen Akteuren gilt ihr Engagement in der Regel als Imagefaktor und wird für Marketingstrategien genutzt. 2. RP-Typ: „Visionäre einer sozialen Gemeinschaft“ mit Projektideen: Diese Akteure schätzen ihr Quartier vor allem als Wohnort. Zwischen „potenziellen“ und „eigentlichen Raumpionieren“ angesiedelt, sind sie dadurch charakterisiert, dass sie sozial-räumliche Visionen haben und diese mit einer Reihe von Ideen verbinden. Das erste konkrete Projekt im Stadtteil ist unmittelbarer Bestandteil des eigenen Lebensentwurfs. Als Raumvision wird von ihnen zumeist das Bild der Insel betont. Mit dem Haus bzw. der Straße, wo sie schon seit längerem wohnen, verbinden sie eine hohe Identifikation. Ihr Engagement basiert zum einen auf bisherigen beruflichen Erfahrungen als „Manager“, zum anderen betreten sie mit einer sozial-räumlichen Orientierung ihres Engagements Neuland. Daher sehen sie in ihrer Projektidee auch Optionen für eine mögliche berufliche Neuorientierung und verbinden dies mit sozial-unternehmerischen Ambitionen. Das konzipierte/begonnene Projekt hat seinen Ort bzw. seine Zielgruppe im Stadtteil. Ob es sich zukünftig weiter sozial-räumlich verankern oder auch scheitern wird, bleibt bisher offen. Noch sind diese Akteure Einzelkämpfer und kaum mit anderen Engagierten im Quartier bzw. Stadtteil vernetzt – sie sind aber bemüht dies zu verändern. Öffentliche Präsenz zeigen sie nur im Internet und auf ihr Projekt bezogen. Beteiligung an der Quartiers- bzw. Stadtteilentwicklung ist für diese Akteure (bisher) kaum ein Thema. 3. RP-Typ: „Befähiger für soziale Integration“ mit Bildungs- und Kulturprojekten: Solche Akteure sind die „eigentlichen Raumpioniere“, d. h. sie zeichnet eine explizite Handlungsorientierung aus. Der Stadtteil ist für sie schon länger Arbeits- und/oder Wohnort, ursprünglich eher zufällig gewählt. Sie haben sozial-räumliche Intentionen, die an spezifischen Problematiken der städtischen Teilräume ansetzen. Zudem 191 sind die Vertreter diesen Typs überwiegend durch einen Migrationshintergrund gekennzeichnet. Ihre Hauptbetätigungsfelder beziehen sich auf Bildung und Kultur im Bereich Kinder- und Jugendarbeit. Hier können sie bereits auf erfolgreich realisierte Projekte zurückblicken. Die Raumvision dieser Akteure ist das multikulturelle Dorf. Selbstbefähigung und Integration stellen dabei zentrale Werte dar. Mit ihren Projekten sind sie lokal schon länger engagiert und etabliert. Ihr Handlungskontext ist entweder ein Pädagogikstudium, oder sie arbeiten als Hochschulabsolventen heute im Bildungsbereich mit entsprechender Berufserfahrung, ggf. auch auf kulturellem Gebiet. Ihre Bindung an den Stadtteil basiert vor allem auf diesem Engagement. Sie sind keine Einzelkämpfer, denn sie verkörpern den „Kopf“ eines Projektteams, eines Vereins oder sind Initiator der realisierten Projekte. In ihrer jeweiligen Bildungs- bzw. Kultur-Community sind diese Akteure gut verankert und strategisch vernetzt, auch über den Stadtteil hinaus. Projektbezogen entwickeln sie ausgeprägte soziale Beziehungen zu ihren Zielgruppen vor Ort. Ihr Engagement im Stadtteil ist projekt- und lösungsorientiert. Die Orientierung kennzeichnet auch ihr Interesse an Beteiligungsprozessen. Ansonsten zeigen sie wenig Präsenz im Stadtteil und werden trotz ihrer erfolgreichen Arbeit oft nur unzureichend öffentlich wahrgenommen. 4. RP-Typ: „Gestalter von lokalen Lebensräumen“ mit experimentellen Ansätzen und unternehmerischen Strategien: Den „eigentlichen Raumpionieren“ können auch diese Akteure zugeordnet werden. Sie verbinden mit ihrem Stadtteil, in dem sie schon lange wohnen und/oder engagiert sind, eine hohe Identifikation und sie haben ein ausgesprochen positives Raumbild. Charakteristisch für sie ist ein ausgeprägter unternehmerischer Habitus – vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlichen/betriebswirtschaftlichen Hochschulabschlus192 ses – sowie eine Orientierung auf pro-aktives und sozial-räumlich intendiertes Handeln. Zudem verbinden sie ihren Anspruch, zu gestalten, mit einem großen Maß an Selbstverantwortung, welche sie auch von anderen einfordern. Ihre sozial-räumliche Vision ist die eines Dorfes in der Stadt: Sie suchen eine soziale Gemeinschaft mit den Qualitäten von gegenseitiger Unterstützung und Hilfe (Nachbarschaft), charakterisiert durch Offenheit und Toleranz (Großstadt). Das Handeln dieser Akteure ist durch Experimentierfreude und Risikobereitschaft gekennzeichnet und sie schätzen Eigenständigkeit und Autonomie. Außerdem verdienen diese Akteure oft als Selbständige ihren Lebensunterhalt. Mit ihrem lokalen, zum überwiegenden Teil ehrenamtlichen Engagement (z. B. als Vereinsvorsitzende), verbinden sie immer wieder eigene Lebensentwürfe mit Aktivitäten bzw. Projekten im Stadtteil. Ihr besonderes Interesse gilt Initiativen, die ein soziales Anliegen mit unternehmerischen Ansätzen verknüpfen – wie im Sinne von Social Entrepreneurship (vgl. z. B. Jähnke u. a., 2011) oder Corporate Social Responsibility (vgl. z. B. Beckmann, 2007 u. Albers, 2011). Diese Akteure sind visionäre Macher, handeln pragmatisch und lösungsorientiert, auch in ihren Beteiligungsstrategien. Sie engagieren sich für behutsame Stadterneuerungsprozesse, um die lokale Lebensqualität und Spezifik des Stadtteils zu „sichern“. Sie sind auf mehreren Ebenen strategisch vernetzt und haben vor Ort vielseitige soziale Beziehungen – auch zu lokalen Investoren. Letzteres wird von anderen Raumpionieren teils kritisch gesehen und ggf. als „Verrat“ am sozialen Anliegen des Bürgerengagements interpretiert. 5. RP-Typ: „Veränderer von Stadträumen“ mit baulichen, kulturellen und sozialen Projekten sowie kommunikativen Strategien: Solche Akteure sind vor mehreren Jahren als Quereinsteiger zu „eigentlichen Raumpionieren“ im Stadtteil avanciert, da dieser städtische Raum zum Schwerpunkt ihres beruflichen Engagements wurde. Für sie steht die Veränderung von Orten im Mittelpunkt ihres mit sozial-räumlichen Transformationsansprüchen verbundenen Handelns. Vor dem Hintergrund ihrer Profession (Planung und Entwicklung) tragen sie in unterschiedlichen Rollen Verantwortung in einem institutionalisierten, stadtteilbezogen und zu großen Teilen aus öffentlichen Mitteln (auf Zeit) finanzierten Entwicklungsansatz. Dafür haben sie umfangreiche, d. h. monetäre, organisatorische und personelle Ressourcen zur Verfügung. Auch für diese Akteure fungiert der Stadtteil als Bühne, aber hier im Zusammenhang mit den Herausforderungen der Globalisierung und des Klimawandels. Ziel ist es, diesen für städtische Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Freizeit) attraktiver zu machen und dabei gleichzeitig sozialen Problemlagen und neuen energetischen/ klimatischen Anforderungen modellhaft zu begegnen. Diese Zielstellungen bestimmen nicht nur die entwickelten kommunikativen Strategien, sondern auch die umgesetzten, teils neu entwickelten Beteiligungsformen (für Bewohner bzw. Engagierte). Mit ihrer Institution und als Person zeigen sie eine (große) öffentliche Präsenz, die vor allem nach außen gerichtet ist, d. h. sich gesamtstädtisch und national bzw. international orientiert. Zahlreiche visionäre und innovative Projekte auf baulichem, kulturellem oder sozialem Gebiet wurden seither in institutionellen Kontexten entwickelt und zu großen Teilen bereits umgesetzt. Damit konnten diese Akteure eine große öffentliche und politische Aufmerksamkeit erzeugen und so auch Diskurse in bzw. über den Stadtteil bestimmen. Ihre lokale soziale Vernetzung ist stark projektabhängig, auch deshalb, weil sie Wissensbeständen vor Ort und Formen sozialen Kapitals (und somit sozialer und kultureller Behutsamkeit) in zahlreichen Projekten weniger Bedeutung beimessen als von anderen lokal Engagierten erwartet und eingefordert wird. Auch ihr dezidiert auf Zeit angelegtes Engagement (verbunden mit einem entsprechenden „Erfolgsdruck“) unterscheidet sie von weiteren Raumpionieren im Stadtteil. 6. RP-Typ: „Entwickler von Kultur- und Bildungsorten“ mit kommunikativen und partizipativen Strategien: Diese Akteure sind zwischen „eigentlichen“ und „etablierten Raumpionieren“ einzuordnen. Sie wohnen in der Regel schon lange vor Ort, was sie für soziale Problematiken sensibilisiert hat, und sie können ggf. bereits auf eine bürgerschaftliche Engagementkarriere im Stadtteil zurückblicken. Zudem haben sie ein positives, auf die lokalen sozial-räumlichen Potenziale ausgerichtetes Raumbild. Mit ihrem sozial-unternehmerisch intendierten Handeln tragen sie Verantwortung (als Vereinvorsitzende, Geschäftsführer o. ä. mit Hochschulabschluss) und sind als Person bzw. mit ihrer Institution im Stadtteil etabliert. In ihrer (heutigen) Rolle „verfügen“ sie über organisatorische, personelle und finanzielle Ressourcen (i. d. R. ermöglicht durch Mittel der öffentlichen Hand und eigene Einnahmen bzw. Spenden). Zudem ist die Einbeziehung bzw. Entwicklung lokalen bürgerschaftlichen Engagements zentrales Element der von ihnen institutionell verfolgten Ansätze. Eine Reihe der entwickelten Projekte ist neu bzw. innovativ für den Stadtteil. Mittelpunkt ihrer sozial-räumlichen Vision ist die gesellschaftliche Teilhabe aller – d. h. auch von Migranten, sozial Benachteiligten oder Menschen mit prekären Einkommensverhältnissen – welche durch den Zugang zu Bildung und/oder Kultur sowie durch Gelegenheiten der Information und Kommunikation ermöglicht werden soll. Dafür gibt es einerseits einen Ort im Stadtteil, der allen Bewohnern/Engagierten offen steht und für dessen Sicherung, Erhalt bzw. Weiterentwicklung sie sich auch persönlich engagieren. Zudem verfolgen diese Akteure explizit partizipative Strategien. Soziales Kapital – wie Vertrauen (vgl. z. B. Jansen, 2000:37f.) – halten sie besonders für den Zu193 gang zu den heterogenen Zielgruppen ihres Engagements bzw. ihrer Projekte für wichtig. In diesem Kontext sind sie strategisch vor Ort vernetzt und haben ausgeprägte soziale Beziehungen im Stadtteil. Ihr Engagement wird nicht nur öffentlich wahrgenommen und reflektiert, sondern findet z. T. auch durch Vertreter der städtischen Politik und Verwaltung Beachtung. Gemeinsam mit anderen an partizipativer Beteiligung interessierten Akteuren/Raumpionieren ist es ihr Ziel, Stadterneuerungsprozesse aktiv mitzubestimmen und in öffentlichen Diskursen Gehör zu finden. Von Engagierten, die „Erneuerung“ mehr Bedeutung beimessen als Behutsamkeit, grenzen sie sich ab. 7. RP-Typ: „Hüter der sozialen lokalen Gemeinschaft“ mit partizipativen Strategien: Diese Akteure sind „etablierte Raumpioniere“. Die lokale soziale Gemeinschaft stellt einen zentralen Wert ihrer Lebensqualität dar, und deren Sicherung ist für sie handlungsleitend. Sie wohnen schon seit langem im Stadtteil, engagierten sich hier für eine behutsame Stadterneuerung – auch mit innovativen Projekten (aus heutiger Sicht damals als „eigentliche Raumpioniere“) – sowie für Integration und Partizipation. Geprägt durch einen altruistischen Habitus ist ihr Engagement hauptsächlich ehrenamtlich. Mit ihrem Quartier verbindet sie eine hohe Identifikation. Ihre Raumvision prägt das Bild des Dorfes als soziale Gemeinschaft, welches „Schutz“ und soziales Miteinander ermöglicht. Dessen Bewahrung erachten sie nicht nur für sich, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund sowie für sozial schwache oder arme Bewohner für wichtig. Da sie durch partielle Aufwertungsprozesse im Stadtteil Gefahren der Ausgrenzung bzw. erste reale Fakten der Verdrängung wahrnehmen, verstärken sie ihr Engagement, rufen zur Bürgerbeteiligung auf und entwickeln diesbezüglich partizipative Strategien. Trotzdem ist ihr Handeln weniger pro-aktiv bzw. auf neue sozial-räumliche Projekte be194 zogen, sondern vornehmlich reaktiv. Dies verbinden sie aber durchaus mit kreativen Aktionen bzw. Aktivitäten. Sie können auf gut entwickelte Kommunikations- und Informationsnetzwerke und soziale Beziehungen im Quartier bzw. Stadtteil zurückgreifen und übernehmen ggf. auch Schlüsselstellungen vor Ort (als Moderator und/oder Interessenvertreter). Für diese Akteure ist es wichtig, ihren Überzeugungen treu zu bleiben und nicht an Authentizität zu verlieren. Im Zusammenhang mit ihrem Weltbild (das teils normativ ausgerichtet ist und sich von Wertstrukturen unternehmerischen Handelns deutlich abgrenzt) neigen sie zu Idealismus sowie zu sozialen Schließungsprozessen. Vor diesem Hintergrund grenzen sie sich zumeist von Raumpionieren mit anderen „Überzeugungen“ und/oder „offeneren“ Beteiligungsformen deutlich ab. Ihre öffentliche Präsenz über den Stadtteil hinaus ist gering, da sie ihre Netzwerke nicht dahingehend strategisch ausrichten bzw. nutzen. 8. Politisch-strategisch „Aktiver (Bürger) für lokale Lebensräume“ mit konzertierten Aktionen für eine sozialverträgliche Entwicklung: Dieser Akteur liegt mit seiner Spezifik – als besonderer Einzelfall – quer zu den identifizierten Typen und kann zwischen „eigentlichen“ und „etablierten Raumpionieren“ eingeordnet werden. Seit vielen Jahren wohnt und arbeitet er im Stadtteil. Er verbindet mit diesem eine hohe Identifikation und kann bereits auf eine längere, erfolgreiche Engagementkarriere zurückblicken. Mit konzertierten Aktionen und der Nutzung verschiedenster Beteiligungsformen tritt er gemeinsam mit anderen Raumpionieren für eine sozialverträgliche Entwicklung im Kontext von Transformationen im Stadtteil ein. Was ihn im Besonderen kennzeichnet, ist ein sozial-räumlicher Gestaltungsanspruch, der neue/innovative Ansätze einschließt, seine gleichzeitige Intention, die lokale soziale Gemeinschaft und den Lebensraum vor Ort zu „schützen“, sowie sein darauf bezogenes ambitioniertes Engagement, verbunden mit kommunikativen und partizipativen Strategien sowie ausgeprägter sozialer Vernetzung. Er ist damit nicht nur Integrationsfigur und öffentlich „sichtbar“, sondern agiert – geübt in der Auseinandersetzung mit Entwicklungskonzepten, die die Lebensqualität im Stadtteil betreffen – auch auf der politischen Ebene strategisch (erfolgreich). Gegenüber Raumpionieren mit weniger partizipativen Ansätzen bleibt er jedoch kooperativ. Regionale Spezifika Die „Macher von Kunst im Raum“, die „Befähiger für soziale Integration“ und die „Gestalter von lokalen Lebensräumen“ sowie die „Entwickler von Kultur- und Bildungsorten“ konnten als Akteurstypen in beiden Fallregionen identifiziert werden. Für die Kommunikations- und Handlungsstrategien dieser Raumpioniere ist die Regionsspezifik von untergeordneter Bedeutung, was prinzipiell auch im Hinblick auf deren Ansprüche an Stadterneuerung und ihre Rolle in Beteiligungsprozessen angenommen werden kann. Interessanter sind diesbezüglich die regionalen Unterschiede. In Moabit war das Raumpionierengagement – angesichts von Akteurstypen wie „Visionäre einer sozialen Gemeinschaft“ und „Hüter der lokalen sozialen Gemeinschaft“, die (fast) nur in dieser Fallregion identifiziert werden konnten – im Untersuchungszeitraum fragmentierter und (noch) mehr auf der Visions-, Ideen- bzw. Informationsebene angesiedelt als in Wilhelmsburg. Als Gründe können dafür sowohl heterogenere, stadtentwicklungspolitisch relevante Förderbzw. Entwicklungsansätze (mit unterschiedlichen Zeithorizonten und Gebietskulissen) auf der Umsetzungsebene, als auch die durch die Engagierten im Untersuchungszeitraum (noch) nicht so permanent wahrgenommenen Bedrohungen ihrer Lebens- und Freiräume sowie Wohnbedingungen angesehen werden. Vor dem Hintergrund aktueller Veränderungen auf dem Moabiter Wohnungsmarkt, verbunden mit Mietsteigerungen bzw. der Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen, ist mittlerweile ein verstärktes und sich formierendes Engagement „potenzieller“, „eigentlicher“ und „etablierter Raumpioniere“ zu beobachten – verbunden mit der Suche nach neuen/innovativen Lösungen für eine sozialverträgliche Stadtentwicklung. Für Wilhelmsburg, d. h. der Fallregion, wo eine gezielte und gebündelte stadtentwicklungspolitische (Aufwertungs-)Strategie verfolgt wird und wo in einem begrenzten Zeitraum und unter einem erklärten Ziel umfangreiche Ressourcen verfügbar sind, waren zum einen die „Veränderer von Stadträumen“ spezifisch. Zum anderen konnte nur hier der besondere Einzelfall des „aktiven (Bürgers) für lokale Lebensräume“ identifiziert werden. Seine Schlüsselrolle in Aktivitäten von „Raumpioniership“ vor Ort – vor dem Hintergrund der spezifischen Entwicklungs- und Engagementgeschichte auf der Insel – machte ihn (neben dem Typ des „Entwicklers von Kultur- und Bildungsorten“) in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion zum interessanten „Gegenspieler“ der „Veränderer von Stadträumen“ bzw. der Vertreter von Politik und Verwaltung. Typisch für aktuelle Entwicklungen in dieser Fallregion – im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Abschluss von IBA und igs – ist eine noch stärkere Formierung und Positionierung dieses Akteurs, verbunden mit der Aktivierung weiterer „Mitspieler“ und der Abstimmung mit anderen/neuen Initiativen. Rolle von Raumpionieren und deren Beitrag zur Behutsamkeit in Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg Wie ist es nun um die Behutsamkeit in Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg be195 stellt und welche Rolle können hier Raumpioniere in ihrer Typik spielen? Mit den vorgestellten empirischen Befunden ließ sich belegen, dass Verständnisse von Stadtteilentwicklung und dadurch bestimmte Formen der Bürgerbeteiligung bei den identifizierten Raumpioniertypen deutlich verschieden sein können. Das Spektrum der Zielstellungen reicht dabei von der Priorisierung des Neuen über den schwierigen Spagat zwischen Erneuerung und Bewahrung bis hin zur eindeutigen Schwerpunktsetzung auf kulturelle, soziale und bauliche Behutsamkeit im Interesse bisheriger Stadtteilbewohner im Sinne von Erhaltung. Werden bereits bei den Zielstellungen des Engagements von Raumpionieren im Stadtteil unterschiedliche Prioritäten gesetzt, resultieren daraus zumeist auch unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen an Beteiligung und an die Bedingungen für deren Erfolg. Und selbst wenn programmatisch soziale bzw. kulturelle Behutsamkeit im Mittelpunkt des Akteursengagements stehen (soll), schließt dies sowohl divergierende Erwartungen an die Umsetzung (einschließlich der Frage, wer überhaupt alles zum Kreis der Beteiligten gehört), als auch widersprüchliche Praktiken nicht aus. Hinzu kommt, dass selbst Akteuren mit Engagementerfahrung die Unterschiede (beispielsweise im Hinblick auf Zielsetzung oder Verbindlichkeit) zwischen einer Angebotsbeteiligung im Rahmen formeller Planungsverfahren oder der Mitwirkung in informellen Planungsprozessen nicht immer klar sind. Außerdem artikulieren Engagierte als „Planungslaien“ ihre Betroffenheit i. d. R. oft erst dann, wenn Entwicklungen für sie „sichtbar“ sind, d. h. Realität werden. Einspruchsmöglichkeiten sind dann längst nicht mehr gegeben und Einflussmöglichkeiten im Rahmen konventioneller Formen äußerst begrenzt. Dies wird durch die seit den 1990er Jahren möglichen verkürzten Planungs-, Entwicklungs- und Beteiligungsverfahren zudem 196 noch weiter begünstigt. Außerdem können bildungsferne Bevölkerungsgruppen bzw. solche mit Migrationshintergrund mit den eingeführten Bürgerbeteiligungen im Rahmen von Planungs- und Entwicklungsvorhaben kaum erreicht werden, und auch andere Formen der Partizipation sind ihnen schwer zugänglich. Aber nicht nur mangelndes Wissen über Verfahren bzw. Formen, sondern vor allem Differenzen in den Beteiligungserwartungen (und damit auch im Verständnis von Behutsamkeit) sind Auslöser von Kontroversen, sowohl zwischen den Vertretern der planenden Verwaltung und lokalen Akteuren als auch auf Stadtteilebene zwischen unterschiedlichen Raumpionier(-typ)en. Diese Problematiken sind insgesamt nicht neu und wurden beispielsweise bereits im Kontext von Sozialraumorientierungen in der Städtebauförderung ausführlich diskutiert (vgl. z. B. in Greiffenhagen/Neller, 2005 für das Programm „Soziale Stadt“). Auch in der Praxis der beiden Fallregionen zeichneten sich im Untersuchungszeitraum diesbezüglich kaum (nachhaltige) Veränderungen ab, auch weil alternative Ansätze, wie beispielsweise aufsuchende Beteiligungen, eine Ausnahme im Rahmen ausgewählter Projekte (auf Zeit) blieben. Vetter (2008:18ff ) arbeitet fünf Faktoren heraus, die für den Erfolg von lokalen Bürgerbeteiligungsverfahren von Bedeutung sind: Persönlichkeitsmerkmale der Beteiligten, Einstellungen und Verhaltensweisen der politischen und administrativen Eliten, Spezifika der Probleme, denen sich Beteiligung zuwendet, Beteiligungsformen und -verfahren mit ihren Eigenschaften sowie strukturelle, gesellschaftliche und historische Kontextbedingungen. Aus den vorliegenden Befunden können als weitere Faktoren die spezifischen, raumbezogenen Wissensbestände und Deutungsmuster der engagierten/betroffenen Akteure sowie jeweils „typische“ Kommunikations- und Handlungsstrategien benannt werden. Raumpioniertypen, wie „Befähiger für soziale Integration“ oder „Entwickler von Kulturund Bildungsorten“, schaffen durch ihren Integrations- und Partizipationsanspruch (z. B. vermittelt durch eine direkte persönliche Ansprache, die Arbeit in kleinen Gruppen sowie das Eingehen auf spezifische Lebenssituationen und -bedingungen bzw. -ansprüche) einen direkten Zugang zu (benachteiligten) Menschen im Stadtteil. Dieser könnte auch für weitere (neue) Formen der Beteiligung genutzt werden, vorausgesetzt auch vonseiten der Verantwortlichen sind die Bereitschaft und die Ressourcen vorhanden, sich darauf einzulassen. Zudem sind die „Entwickler von Kultur- und Bildungsorten“ dafür prädestiniert, im Zuge sozial-räumlicher Transformationen – über das eigene Projektinteresse und -engagement hinaus – als lokale Wissensspeicher, Kommunikatoren oder Vermittler im Stadtteil zu fungieren. Bedingung dafür wäre, dass sie frühzeitig in Veränderungs- und Entwicklungsprozesse einbezogen und an strategischen (Vor-)Entscheidungen beteiligt werden. Schließlich kann Raumpionieren als „Gestaltern von lokalen Lebensräumen“ eine Vorreiterrolle im Engagement für die Initiierung von Neuem (auch im Sinne von Beteiligung) zugeschrieben werden. Dies bedeutet allerdings dann für den Stadtteil, nicht nur von der Mobilisierung von Ressourcen, der Motivation und dem „Mitreißen“ weiterer Akteure vor Ort zu profitieren, sondern auch die Abgrenzungen von Akteuren mit anderen Wertstrukturen und Entwicklungsvorstellungen zu akzeptieren, was gegebenenfalls wieder Vermittler auf den Plan ruft. Resümee Abschließend lässt sich vor dem Hintergrund der vorgestellten Ergebnisse feststellen, dass behutsame Stadterneuerungen heute gerade in Stadtteilen im Umbruch (wie Berlin-Moabit und Hamburg Wilhelms- burg) – angesichts komplexer werdender Rahmenbedingungen und Interessenlagen von alten und neuen Bewohner, Investoren, Unternehmern und Unternehmen, Künstlern und Kreativen, kulturellen und sozialen Einrichtungen sowie Stadtentwicklern – ein besonderer Balanceakt und Aushandlungsprozess ist. Obwohl für deren Bewertung die zwölf Berliner Grundsätze (vgl. Hämer, 1990) nach wie vor Bedeutung haben sollten, scheint es heute mehr denn je erforderlich zu sein, die Vorstellung von Behutsamkeit lokal zu kommunizieren und zu präzisieren sowie anzupassen. Zudem kann sich heute kein Planungs- und Entwicklungsvorhaben auf Quartiers- oder Stadtteilebene mehr lokalen Bürgerbeteiligungsprozessen entziehen. Trotzdem ist die Umsetzung auch nach fast 30 Jahren stadtentwicklungspolitischer Erfahrung oft unbefriedigend bzw. bleibt widersprüchlich. Nach Vetter (2008:10ff ) kommen in der bisherigen Forschung und Anwendungspraxis Fragen zur Zielstellung von lokalen Bürgerbeteiligungen sowie zu deren Erfolgsbedingungen häufig zu kurz, und entsprechende Studien befassen sich zumeist nur mit Einzelfällen (Vetter, 2008:18). Mit der Beschreibung eines Akteursfeldes „pionierhaftes Engagement“ und der Identifizierung von Raumpioniertypen in zwei Fallregionen konnten nicht nur empirische Befunde zu unterschiedlichen Rollen und institutionellen Verankerungen von Akteuren, die mit neuartigen, sozial-räumlich orientierten Ansätzen etwas verändern oder bewegen wollen, zur Diskussion gestellt werden. Diese Ergebnisse bieten auch – vor dem Hintergrund der zentralen Rolle von Kommunikationsprozessen für die Stadtteilentwicklung und damit verbundenen Bürgerbeteiligungen – Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen. So ist für das Verständnis aktueller und zukünftiger Entwicklungen in solchen Stadtteilen sowie für die Frage nach möglichen 197 (behutsamen) Ansätzen – neben einer genauen Kenntnis der Akteurskonstellationen und Interessen von Engagierten sowie der Rolle von Raumpionieren – auch eine differenzierte Sicht und Analyse auftretender Konflikte und Machtkonstellationen notwendig. Dies sind Themen, die nicht nur die aktuellen Gentrifizierungsdebatten in beiden Fallregionen bestimmen (beispielsweise in Hamburg im Zusammenhang mit der Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ in Folge der „Neoliberalisierung“ von Stadt- entwicklung, vgl. z. B. Holm, 2010). Auch in einem IRS-Folgeprojekt mit zwei weiteren Untersuchungsräumen (Bremerhaven bzw. Halle) werden bis 2014 „Städtische Raumpioniere im Spannungsfeld von bottom-up und top-down untersucht (vgl. www.irs-net. de). Ziel ist es, den Dynamiken und dem Verlauf solcher Konflikte im Zusammenhang mit den verhandelten Interessen, raumbezogenen Wissensbeständen und Handlungslogiken der beteiligten Akteure auf die Spur zu kommen. Literatur AKTIONSRAUM PLUS WEDDING/MOABIT Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Hg.) (2010): Integriertes Stadtteilentwicklungskonzept für den Aktionsraum plus Wedding/ Moabit. Berlin. Zugriff auf http://www.stadtentwicklung. berlin.de/soziale_stadt/aktionsraeume_plus/download/INSEK_Wedding-Moabit_Internet.pdf am 15.10.2010 ALBERS, H.-H. (2011): Corporate Urban Responsibility. Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen bei der Stadtentwicklung. Frankfurt/New York BECKMANN, M. (2007): Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship. 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Auf „Raumpioniere“ fokussiere ich in diesem Beitrag im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg 2013 und mit der Internationalen Gartenschau 2013 (igs). Dabei interpretiere ich das stadtteilbezogene Wirken der Raumpioniere als bürgerorientierte Erneuerungsmaßnahmen. Die Perspektive des Behutsamkeitsparadigmas, das im Verlauf der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der IBA Berlin diskutiert wurde (vgl. Bodenstein,1994:4; S.T.E.R.N.,1990) beziehe ich somit auf den gegenwärtigen Stadtteildiskurs über Hamburg-Wilhelmsburg und auf Bürgerbeteiligungen im kommunikativen Umfeld der IBA und der igs. Schon im Jahrbuch Stadterneuerung 2001 kann man nachlesen, dass in Hamburg-Wilhelmsburg behutsame respektive bürgerorientierte Stadterneuerungsprozesse seit Mitte der 1990er Jahre und dann verstärkt ab dem Jahr 2000 eine größere Rolle im öffentlichen Diskurs spielen (Machule/Usadel 2001: 89 ff ). Den Wilhelmsburger Stadtteildiskurs betrachte ich deshalb im Folgenden als einen längerfristigen Prozess behutsamer Erneuerung und nicht als eine in zeitlicher Hinsicht begrenzbare Aufgabe. Dieses Verständnis von behutsamer Stadterneuerung als dauerhaften Prozess wurde auch im April 2012 auf der Tagung der Universität Kassel über „Die Zukunft der Behutsamkeit“ einmal mehr eingefordert (vgl. dazu den Beitrag von Schubert in diesem Band). Die Tagung in Kassel zeigte gerade aus dieser Perspektive der Dauerhaftigkeit, dass nach einer dreißig Jahre andauernden Behutsamkeitsdebatte noch keineswegs deren Ende zu konstatieren wäre. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Nach wie vor ist die Frage des behutsamen Umgangs mit Stadtentwicklung auch mit der Frage verbunden, „woher“ eine Stadt oder ein Stadtteil kommt und welche Selbstbeschreibungen der Bewohner auf welche Fremdzuschreibungen externer Akteure darüber existieren. Auch interessiert, ob und wie das Studium vorgängiger Zuschreibungen Planer und politisch Verantwortliche dazu befähigen kann, ein lokales Gespür für diskursive urbane Prozessverläufe zu entwickeln. Damit geht es in diesem Beitrag implizit auch um die Beflügelung der Metropolraumdebatte. Denn angesichts prosperierender Stadtkerne wie Hamburg-Mitte entwickeln städtische Akteure ihre Ansätze zur Lösung sozialer Problemlagen hier künftig vermutlich stärker vor einem diskursiven Hintergrund, damit sie sich in diesen unter städtebaulichem und planerischen Entwicklungsdruck stehenden „Zentrumsrändern“ über die Aneignung von lokalem Wissen besser einbringen können. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf einer behutsamen Erneuerungspolitik, die öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure in Wilhelmsburg gemeinsam verfolgen. Aus dem Blickwinkel der behutsamen Erneuerung soll damit nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Debatte über die Konzeptualisierung eines bewohner- bzw. bürgerorientierten Identitätsbe201 griffs erbracht werden (Christmann, 2004; Christmann/Mahnken, 2012; Lucarelli/ Berg, 2011:19; Kalandides, 2011:29). In Hamburg-Wilhelmsburg ist der öffentliche Diskurs seit Jahrzehnten wesentlich durch öffentliche Negativ-Zuschreibungen mitgeprägt (vgl. Machule/Usadel, 2001:96). Negativ-Zuschreibungen sind hier, wie noch gezeigt werden soll, nach wie vor von Bedeutung, weil darüber kommunikative Dynamiken im Spannungsfeld des behutsam inszenierten Vorgehens der IBA Hamburg 2013 (sowie der igs) und Raumdeutungen zivilgesellschaftlicher Akteure in Wilhelmsburg kommunikationsstrategisch anschließen. Der zentrumsnahe Untersuchungsraum Hamburg-Wilhelmsburg ist insofern ein aufschlussreiches Beispiel für eine behutsame Re-Konstruktions-Politik, weil sich in ihm als Folge einer planerischen Unsicherheit über Jahrzehnte hinweg ein negatives Image und eine „Wilhelmsburger Wut“ (Machule/Usadel, 2001:94) in der lokalen Öffentlichkeit verbreitet hat und weil man im Prozessverlauf der beiden internationalen Ausstellungen (IBA und igs) in jüngster Zeit beobachten kann, wie dieses WilhelmsburgImage von innen und außen diskursiv verarbeitet wird. Wilhelmsburg werden im historischen und gegenwärtigen Diskurs eine Reihe von Eigenschaften zugeschrieben, über die sich ein spezifisches Raumbild herausgebildet hat. Es überwiegen im Stadtteildiskurs problematische Zuschreibungen, die auf die besondere topografische Lage als Elbinsel unterhalb des Meeresspiegels, auf den historisch bedingten, hafenwirtschaftlichen Entwicklungsdruck und auf damit zusammenhängende negative Zuschreibungen im Planungsdiskurs (Raum für den Rest, Hinterhof der Metropole usw.) zurückzuführen sind (Machule/Usadel, 2001: 96). Für lokale Behutsamkeitspolitiken wie die der IBA, das ist die Vorannahme dieses Beitrags, bergen die hiermit zusammenhängenden 202 historischen Tiefenstrukturen des Stadtteils spezielle lokale Wissensordnungen, die bis heute einen weit unterschätzen Einfluss auf kommunikative Dynamiken und auf das Handeln von raumrelevanten, steuernden Akteuren im Stadtteil ausüben. Wie sind nun Raumpioniere im oben skizzierten Projektrahmen mit behutsamer Stadtteilentwicklung in Wilhelmsburg in Zusammenhang zu bringen? Dazu seien zunächst weitere Vorannahmen genannt: Ein wichtiges Kriterium für das bisherige Verständnis von Raumpionieren (vgl. Lange/Matthiesen, 2005) besteht darin, dass sie in einem sozialen Raum intervenieren und dass sie hierin neue Gestaltungsmöglichkeiten vorschlagen (Christmann/Mahnken, 2012). Diese können materieller oder auch nichtmaterieller Art sein. Entscheidend ist, dass Raumpioniere für die Selbst- und Fremdwahrnehmung in einem Raum potenziell etwas Neues einbringen können. Sie können einen sozialen Raum ggf. auf neue Art nutzen, umdeuten und darin Visionen und innovative Projekte oder Leitbilder mitentwickeln wie zum Beispiel den „Sprung über die Elbe“, der in Wilhelmsburg für die IBA von leitmotivischer Bedeutung ist. Aus der Entwicklungsperspektive der behutsamen Erneuerung sind Raumpioniere relevant, weil sie Kommunikationen im Stadtteil beeinflussen und weil sie als kommunikative Treiber, Akteure und Akteursnetze fungieren können. Dabei nehmen sie im Stadtquartier Einfluss auf Raumdeutungen von beteiligten Individuen und Gruppen; sie provozieren gegebenenfalls neue Sichtweisen und Handlungsformen. Herkömmliche Raumdeutungen können sie kritisch reflektieren und unter bestimmten Umständen mit neuen Deutungen und Interpretationen anreichern. In bisherigen Forschungsansätzen sind Raumpioniere meist mit Akteuren in Verbindung gebracht worden, die ihre Ideen über zivilgesellschaftliche Bottom-up-Ansätze entwickeln. Im vorliegenden Beitrag wird von dem Autor jedoch eine erweiterte Sicht auf Raumpioniere vorgeschlagen: Sie können durchaus zivilgesellschaftliche Akteure sein, sie können aber auch soziale Unternehmer sein, die in einem Stadtteil mit eigenen Projekten Jugendliche aus der Arbeitslosigkeit holen oder ältere Menschen in innovative Kulturprojekte einbinden wollen. Auch können sie freiberufliche Künstler bzw. Kreative sein. Oder sie können zwischen kommunalen bzw. staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen als Vermittler bzw. als Intermediäre agieren. Ein wichtiges Merkmal für Raumpioniere ist es, dass sie meist in Gruppen oder Netzwerken kommunizieren und handeln. In Netzwerken organisieren sie ihre Projekte zusammen mit anderen, wobei es auch vorkommen kann, dass sie darin auch gegen andere Raumpioniere agieren. mit nicht intendierten Folgewirkungen von Bürgerbeteiligungen stehen. Diesen Problemen ist aus Sicht des Autors nicht allein mit klassischen Inklusionsstrategien, wie sie in der nunmehr fünfzig Jahre andauernden Diskussion um bewohnerorientierte Stadterneuerungen (Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen Berlin, 1990:26) geführt wurden, sondern auch mit der Erarbeitung einer lokal ausgerichteten, höheren Diskurssensibilität der Akteure zu begegnen. Wie das Beispiel Wilhelmsburg zeigt, sind die „Erben“ des Behutsamkeitsparadigmas inzwischen nämlich gerade deswegen mit unvorhersehbaren Problemen behutsamer Strategieansätze konfrontiert, weil sich im Stadtteildiskurs kommunikative Eigendynamiken herausgebildet haben, die das lokale Wirken der Akteure stark beeinflussen. Das soziale Wirken von Raumpionieren lässt sich nach den bisherigen Befunden meist nicht kurzfristig bestimmen oder bewerten. Aber auch wenn die Raumpioniere, die in dem genannten Forschungsprojekt in Hamburg-Wilhelmsburg untersucht wurden, die komplexen Problemlagen vor Ort nicht von heute auf morgen lösen können, so können sie mit ihren Interventionen dennoch mittelfristig alternative Deutungen über den Stadtteil bzw. über das Quartier beeinflussen. Wenn es ihnen dabei gelingt, sich mit ihren Aktivitäten und Deutungen in öffentliche Diskurse einzubringen und lokale Diskursmacht zu entwickeln, können sie unter bestimmten Umständen sogar wichtige Impulse oder Korrekturhinweise für behutsame Erneuerungen geben. Der Forschungsgegenstand „Raumpioniere im Stadtquartier“, in dem die diskursive Einbindung von Raumpionieren erfasst wurde, wurde über drei Module untersucht (vgl. den Beitrag von Jähnke in diesem Band). Die Module sollen hier der Vollständigkeit halber genannt werden, auch, damit klar wird, wie die zu Grunde gelegte akteursorientierte Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) hier eingebettet war (vgl. dazu Keller, 2011). • Mittels problemzentrierter Interviews wurden Raumpioniere als Einzelakteure im Hinblick auf ihre Herkunft, auf ihre Raumvorstellungen, Ziele, kommunikativen Strategien und Vernetzungen mit anderen Akteuren befragt. • Auf der Basis einer fokussierten Ethnografie (vgl. Knoblauch, 2005) wurden die kleinen lokalen Öffentlichkeiten von Gruppen und Netzwerken mit ihren Faceto-face-Binnen- und Außenkommunikationen untersucht. Gefragt wurde, wie die Quartiere in den Stadtteilen verhandelt werden, was die kommunizierten Raumdeutungen beinhalten, inwiefern Nach den bisherigen Beobachtungen zeichnen sich inzwischen jedoch gerade im Hinblick auf die Entwicklung lokaler Diskursmacht von Raumpionieren neue Problemstellungen ab, die in Zusammenhang mit stadtteilspezifischen Eigendynamiken bzw. Methodische Rahmung 203 auf Raumdeutungen aus öffentlichen Diskursen Bezug genommen wird, inwieweit Raumdeutungen konkurrieren, wie sie umkämpft und wie sie anschlussfähig gemacht werden. • Die großen Öffentlichkeiten wurden dann über öffentliche Diskurse betrachtet. Wie bereits angedeutet, soll ihre Bedeutung vor dem Hintergrund einer behutsamen Erneuerungsstrategie in diesem Beitrag ausführlicher behandelt werden. Hierbei interessiert, inwieweit Raumpioniere öffentlich mit ihren Themen an lokale Behutsamkeitspolitiken anschließen können, wie Prozesse der behutsamen Erneuerung über öffentliche Diskurse von Gruppen und Akteuren gesteuert werden und wie darüber kommunikative Einbettungen innerhalb eines transformativen Stadtteils entstehen. Im Rahmen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) (Keller, 2011; 2012) haben wir in Wilhelmsburg untersucht, wie das soziale und kommunikative Handeln von engagierten Akteuren und Gruppen gegenwärtig in Umstrukturierungen eingebunden ist. Der Beitrag der WDA lag darin, über die Interpretation diskursiven Datenmaterials (Pressetexte, Buchveröffentlichen, Interviews, Homepages, Broschüren sowie nicht textförmige Daten wie Vergegenständlichungen in Form von Artefakten, technischen Infrastrukturen aber auch Interaktionen in Gremien usw.) zu rekonstruieren, wie sich Wissensordnungen und Wirklichkeitsdeutungen von Hamburg-Wilhelmsburg im Spannungsfeld von historischen und gegenwärtigen Diskursen im Lauf der Zeit zu ideellen Objektivierungen verfestigt haben. Über die analysierten Daten konnte vor diesem Hintergrund nachvollzogen werden: • welche stadtteilspezifischen, historischen Themen von den Akteuren und Gruppen reproduziert werden und welche Themen in der Gegenwart dominieren, • welche Protagonisten und Gruppie204 rungen bestimmte Themen in der Gegenwart umkämpfen und umdeuten, • wie die Massenmedien Raumdeutungen von Gruppen und Akteuren aufnehmen, • wie Raumpioniere diskursive Ressourcen, Strategien und Sprecherpositionen entwickeln. Sprecherpositionen sind dabei im Forschungsprogramm der WDA mit „Rollensets verknüpfte, institutionelldiskursive, strukturierte Orte für legitime Aussageproduktion[en] innerhalb eines Diskurses […]“ (Keller, 2011:235). Bezogen auf das Projekt Raumpioniere im Stadtquartier können dies zum Beispiel Zugehörigkeiten zu Gremien, Vereinen oder lokalen Redaktionen sein. Grundlage für die Diskursanalyse waren 70 Monographien und Stadtbeschreibungen über Hamburg und Wilhelmsburg im Zeitraum von 1800 bis 2010. Untersucht wurde, welche Eigenschaften Wilhelmsburg darin zugeschrieben werden und welche Topoi sich als thematische Kerne innerhalb der immateriellen Stadtkultur in vergangenen und gegenwärtigen Wirklichkeitsdeutungen herauskristallisieren. Hiermit verbunden ist die Annahme, dass Topoi „in kommunikativen Vorgängen des stadtbezogenen Diskurses entstanden“ sind (Christmann, 2004: 50). Die Diskursarena Hamburg-Wilhelmsburg Der Begriff „Diskurs“ wird in Zusammenhang mit sozialräumlichen Transformationen oft als ein kommunikativer Dachbegriff verwendet. Er verliert seine Bedeutungstiefe, wenn er in eine direkte Nähe zum Begriff „Diskussion“ gerät, etwa dann, wenn er auf temporär begrenzte Beteiligungs- und Integrationsangebote wie „Runde Tische“ oder auf Moderations- und Mediationsprozesse im öffentlichen Raum reduziert wird (Oppermann/Langer, 2000; Oppermann, 2005:631). Im Projektzusammenhang „Raumpioniere im Stadtquartier“ ist der Diskursbegriff jedoch, wie oben skizziert, anders gefasst: Über die Analyse diskursiver Praktiken und Ereignisse lassen sich aus dieser Perspektive prozessbedingte Vorstellungen, Zuschreibungen und Deutungen über das Innen- und Außenbild von Wilhelmsburg im historischen und gegenwartsbezogenen Verlauf rekonstruieren (vgl. auch Keller, 2012: 43). Diskurse bilden danach nicht nur, wie häufig in der planerischen Praxis angenommen wird, das kommunikative Dach für zeitlich begrenzte „Problemlösungstools“. Vielmehr verbinden sie vorgängiges (geschichtliches) und gegenwartsbezogenes lokales Wissen, das dann die Grundlage für Re-Konstruktionen sein kann. Damit sind sie die Orientierung gebende „Prozessbasis“ für die in der Einleitung dieses Beitrags angesprochenen dauerhaften städtischen Entwicklungsaufgaben. Raum- bzw. Wirklichkeitsdeutungen über einen Stadtteil entwickeln und verändern sich also aus dieser diskursiven Perspektive im Laufe der Geschichte (vgl. Christmann, 2004:51). In der planerischen bzw. in der Stadt gestaltenden Praxis ist diese Erkenntnis nicht immer selbstverständlich. Stadtteiltypische Themen können in einzelnen historischen Phasen dominieren. Sie können durch bestimmte diskursive Ereignisse aber auch wieder in den Hintergrund treten oder in Negativ-Zuschreibungen umschlagen. Letztere, nämlich Negativzuschreibungen, gelten besonders für den Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg mit seinen multiplen Problemlagen. Kennzeichnend sind dabei vor allem Dramatisierungen, die man in überregionalen und auch in lokalen Massenmedien vorfinden kann. Sie werden zum Teil auch von den Raumpionieren umgedeutet und aufgegriffen, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen und um bestimmte kommunikative Ziele zu erreichen. Dadurch kommt es bisweilen zu paradoxen Effekten, wenn Raumpioniere, die eigentlich Neues und für den Stadtteil Positives einbringen wollen, an diskursiv unterlegte Stigmatisierungen anschließen. Die vorhandenen Problemlagen in Wilhelmsburg bieten mit einer hohen sozialen Heterogenität, mit Kontaminationsflächen, mit einem Ausländeranteil von 33 Prozent (2009) und einem hohen Anteil an sozialen Leistungsempfängern von 25,5 Prozent im Jahr 2009 (www.statistiknord.de, 2011) im öffentlichen Gegenwartsdiskurs die öffentlichkeitswirksame Rahmung für die Thematisierung von Wilhelmsburg als Wohn- und Wirtschaftraum. Hier einige Beispiele dazu. Im Wilhelmsburger Inselrundblick (1/2009), einem sublokalen Medium, wird dem Hamburger Senat vorgeworfen, mit dem geplanten Kohlekraftwerk Moorburg „ein gefährliches Spiel mit der Deichsicherheit“ zu treiben und so die IBA Hamburg 2013 zu konterkarieren. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ bringt Wilhelmsburg am 8. April 2009 mit einem finsteren „Problemquartier, voller Gewalt und Armut“ in Verbindung, Wilhelmsburg wird als „Stadtteil der sozialen Gegensätze“ thematisiert (Schüle, 2009). Und die Bildzeitung verbindet mit Wilhelmsburg noch zehn Jahre (!) danach mit der sogenannten Kampfhundattacke vom 26. Juni 2000 (Bild.de 26.06.2010). Eine geringe Kaufkraft, schlechte Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrslärm sowie kriegsbedingte Bodenkontaminationen (Bornholdt, 2008:38), die in Zusammenhang mit der Hafenlage stehen, bieten weitere kommunikative Anschlüsse für Stigmatisierungen in der Diskursarena des Stadtteils. Sie werden teilweise von den Raumpionieren selbst aus unterschiedlichen Motiven genutzt, wodurch die Wahrscheinlichkeit medialer Anschlüsse an negative Zuschreibungen über den Stadtteil strategisch eingeplant wird. Dazu ebenfalls ein Beispiel: Der Raumpionier Manfred Howald, der in Wilhelmsburg als engagierter und in der Bevölkerung bekannter Vorsitzender eines Vereins agiert, weiß die Stigmatisierung für seine Aufmerksamkeitsstrategie zu nutzen. Er befasst sich mit seinen Vereinskollegen seit vielen Jahren mit der Entwicklung des Stadtteils, und es ist ihm seit langem daran gelegen, den Wilhelmsburg-Diskurs mitzu205 steuern. In einem Interview äußert er sich Ende 2009 dazu. Er weist darauf hin, dass es nach seiner Erfahrung auch „brisantere und böseste Stilmittel“ sind, über die sich engagierte Bewohner in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen: „Dass wir ‘ne Pressekonferenz veranstaltet haben mit dem Titel: Hilferuf aus der Bronx“ (Transkriptsegment H-ER17). Plötzlich habe man in der Zeit um den Millenniumswechsel „die gesamte Hamburger Presse am Tisch“ gehabt und so die vorher fehlende Aufmerksamkeit des Hamburger Senats bekommen. Am Beispiel des Raumpioniers Howald wird deutlich, dass in der öffentlichkeitsbezogenen Positionierung des Stadtteils eine Differenzierung zwischen good guy (zum Beispiel engagiertes Vereinsmitglied) und bad guy (zum Beispiel Verfasser skandalisierender Medienberichte) im Hinblick auf das mögliche Verfestigen medialer Stigmatisierungen unterkomplex ist. Unterschiedlichste Vorstellungen werden von einer Vielzahl von Akteuren kommunikativ hergestellt, umkämpft und diskursiv umgedeutet. Die medialen Folgewirkungen diskursiv unterlegter Selbstbeschreibungen, z. B. bewusste Bezüge auf bestimmte Reizwörter wie „Bronx“, die den Massenmedien zugespielt werden, verlaufen zum Teil eigendynamischer als von den Raumpionieren intendiert. Somit scheint Wilhelmsburg mit seinen Raumpionieren und ihren Selbstbildern auch für die behutsam angelegten Entwicklungsansätze des Senats im Rahmen der IBA Hamburg 2013 nur schwer überschaubar zu sein. Wilhelmsburg weist trotz seiner relativ räumlichen Überschaubarkeit eine Vielzahl konkurrierender Diskursakteure auf (öffentliche Ebene, zivilgesellschaftliche Ebene, Vereine, Arbeitskreise, Medien u. a.). Neuere Deutungen über Wilhelmsburg werden von Raumpionieren einerseits in eigenen Teilöffentlichkeiten und (wie oben gezeigt) über mediale Zugangsmöglichkeiten auf lokaler Ebene produziert. Interessanter206 weise werden diese Raumdeutungen stark über das Zusammenwirken von lokalen und überregionalen öffentlichen Diskursen hergestellt. Dabei kommen mit den überregionalen Massenmedien externe Diskursakteure ins Spiel, die ebenfalls ihren Einfluss auf lokale Behutsamkeitspolitiken ausüben. Mit dieser örtlichen und überörtlichen medialen „Mixtur“ sind Raumdeutungen deshalb nicht finalisierbar. Wilhelmsburgs Spezifik ist vielmehr durch den diskursiven Einfluss unterschiedlichster Medien und Akteure unterlegt, die weit davon entfernt sind, dauerhafte, verlässliche kommunikative Anlaufstellen für diejenigen Akteure zu sein, die etwa im Umfeld der IBA Hamburg 2013 mit behutsamen Erneuerungsszenarien befasst sind. In der Diskursarena können jederzeit Akteure auftreten, die neues Wissen über den Stadtteil einbringen und lokale Wahrnehmungen beeinflussen, sie können Orientierung geben (wie zum Beispiel über den von Raumpionieren erarbeiteten „Wissensspeicher“ einer lokalen Geschichtswerkstatt) oder auch Unsicherheit erzeugen (etwa über öffentlichkeitswirksame „Stigmatisierungstaktiken“ der Raumpioniere in den Printmedien). Die Erzeugung von diskursiv unterlegter Transparenz ist dabei für den Erfolg der IBA Hamburg 2013 umso pikanter, weil sie von Beginn an selbst auf eine behutsame Einbindung und auf das Orientierungswissen lokaler Raumpioniere fokussiert hat. Dieses Lokalwissen hat sie in Wilhelmsburg mit ortskundigen, engagierten Akteuren im Rahmen einer aufwändigen, der IBA vorgeschalteten Zukunftswerkstatt aufbereitet. Zu den bisherigen Befunden gehört in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für die Entstehung von diskursiven Einflussmöglichkeiten im Stadtteil konfliktreicher und vielschichtiger sind als sie von den Akteuren der IBA Hamburg 2013 und der igs in Wilhelmsburg eingeschätzt wurden. Zwar haben die Macher der IBA und der igs in ihrer auf Inklusion ange- legten Strategie eines „Sprungs über die Elbe“ den historischen Wilhelmsburg-Diskurs zu Grunde gelegt, indem sie früh den Rat ortskundiger Institutionen und Netzwerke eingeholt haben (zum Beispiel über die Zukunftswerksatt, über Mitglieder der lokalen Geschichtswerkstatt und über lokale, engagierte Vereinsmitglieder). Doch sind es trotz der aufwändigen Beteiligungs- und Transparenzstrategie, zu der beispielweise die „Bürgerdialoge“ oder das „Beteiligungsgremium“ der IBA und der Internationalen Gartenschau zählen, weitere, nicht involvierbare Akteure und Akteursnetze, die mit ihren jeweiligen Infrastrukturen und kommunikativen Ressourcen den Stadtteil auf eigene Art kommunikativ zu prägen suchen. Der historische Stadtteildiskurs über Hamburg-Wilhelmsburg Um die oben angesprochenen diskursiv unterlegten Zuschreibungen der Raumpioniere über den Identitätsraum Wilhelmsburg herleiten zu können, wird der historische Diskurs über Wilhelmsburg im Folgenden näher betrachten. Die darin enthaltenen Wissenselemente und Raumdeutungsangebote sind für die politische und administrative Praxis nach Meinung des Verfassers auch in Zukunft bedeutsam, weil sie innerhalb der lokalen Steuerungsprozesse stets ihre Wirkkraft (wieder)-entfalten können und weil es von Vorteil ist, zu wissen, wie vergangene Diskurse Einfluss auf gegenwärtige Diskurse ausüben. Im Anschluss an die historische Diskursanalyse sollen deshalb auch einige Bezüge zum Gegenwartsdiskurs hergestellt werden. „Die einträglichste Art, das Wilhelmsburger Marschland zu nutzen, ist durch Ochsen und Kuhweiden …“ (Reinstorf, 2003: 98). Derartige Beschreibungen, die an das vorindustrielle, ländlich geprägte Wilhelmsburg anknüpfen, finden sich häufig (Clausen, 2008; Markert, 2008). Ausführlich geschildert werden darin Anstrengungen früherer Generationen, die über Jahrhunderte damit beschäftigt waren, das Stromspaltungsgebiet der Elbinseln zu sichern und urbar zu machen (Reinstorf 2003). Dabei wird Wilhelmsburg in seiner frühen Phase des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts aus einer Doppelperspektive beschrieben, die eine Ambivalenz des Wilhelmburgbildes zeigt: Einerseits spielen Schilderungen einer ländlich und naturräumlich einzigartigen Idylle eine tragende Rolle, andererseits wird die Geschichte eines gefährlichen Inselraumes erzählt, in dem seine tatkräftigen Bewohner dauernd auf der Hut sein müssen, nichts geschenkt bekommen und den Deich wohl oder übel als „Kollektivgut“ zu pflegen haben (Clausen, 2008:18). Vorstellungen über Wilhelmsburg bis zum Ende des 19. Jahrhunderts werden jedoch meist noch romantisierend mit schilfumsäumten Pfaden, Wiesen und Wasservögeln verbunden, „der Wind kräuselt sanft das Wasser, die Gezeiten geben im immer gleichen Rhythmus den Tideauen ihre Gestalt. Eine Landschaft der Ruhe (...)“ (Markert, 2008:41). Geprägt war der Alltag auf der von den Heimatforschern als Idylle beschriebenen Elbinsel zunächst durch nur wenige Erwerbsmöglichkeiten, die ihre Bewohner hatten: „Seit Jahrhunderten lebten hier Milchbauern, Fischer und Schiffszimmerer“ (Markert, 2008:41). Industrialisierung, Arbeiterkultur und Zuwanderung Frühe Beschreibungen einer Inselidylle In den frühen Beschreibungen Wilhelmsburgs wird die Elbinsel als ein ländlicher Versorgungsraum geschildert. So zitiert der Heimatforscher Ernst Reinstorf einen Bericht des Amtmanns Braun vom 7. Februar 1786: Doch in einem Zeitraum von nur 30 Jahren setzten für Wilhelmburg ab 1880 mit der Industrialisierung Beschreibungen vom Agrarzum Industrie- und Hafenraum ein. Dessen Folgen wirken in den Darstellungen über Wilhelmsburg bis heute nach. In der loka207 len Öffentlichkeit wurde die rapide industrielle Entwicklung damals als abrupter Wandel wahrgenommen, auf den man mit den vorhandenen infrastrukturellen Möglichkeiten nicht vorbereitet war. Die Wilhelmsburger Zeitung schrieb 1890: „So haben wir denn in Wilhelmsburg das Unikum, dass mitten auf dem freien Felde eine Fabrik existiert, zu der es weder eine Straße, noch eine sonstige Zubewegung gibt“ (Markert, 2008:42). Geprägt war das öffentliche Bild Wilhelmsburgs danach zusehends durch Industrialisierung, Ausweitung der Hamburger Hafenwirtschaft und durch die Etablierung einer identitätsstiftenden Arbeiterkultur ab 1890 (Markert, 2008:52). So berichtet das der SPD nahe stehende Volksblatt Harburg-Wilhelmsburg 1903 von einem Besuch Rosa Luxemburgs: „Eine überaus stark besuchte Volksversammlung fand am Dienstag Abend im Lokale des Herrn Sievert am Vogelhüttendeich statt. Als Referentin war die Genossin Dr. Rosa Luxemburg erschienen (…) Am Schluss wollte der Beifall kein Ende nehmen (…). Ein brausendes Hoch auf die Sozialdemokratie schloss die imposante Veranstaltung (…)“ (Markert, 2008:52). Wilhelmsburg wurde mit seiner strategischen Hafenlage in den folgenden Jahren auch durch kommunikative Interventionen öffentlicher Institutionen, wie der Wasserbaudirektion Hamburg, und durch Entscheidungsträger im Umfeld des Hafenbaus zunehmend bekannter. Es wird ein Entwicklungsraum beschrieben, dessen „breite Randgebiete“ für Hafenerweiterungen interessant waren, sie werden 1928 in einer von Hamburg in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Bestandsaufnahme thematisiert (Wendemuth/ Böttcher, 1928:22). Auch der Fremdenverkehrsverein Hamburg kommuniziert 1927 die Hafennähe von Wilhelmsburg, das „sich ohne Zweifel zu einem mächtigen Industrie- und Hafengebiet entwickeln“ müsse (Fremdenverkehrsverein in Hamburg, 1927). „Mit der Ausweisung des Freihafens (…) setzte die Industrialisierung Wilhelmsburgs 208 einen grundlegenden gesellschaftlichen Strukturwandel in Gang. Neben verschiedenen Zulieferbetrieben für die Hafenwirtschaft entstanden eigenständige Industriebranchen. Damit einhergehend entwickelte sich eine ständige Nachfrage nach Arbeitern. Insbesondere Menschen aus den damaligen östlichen Gebieten Preußens zogen hierher. Es entstanden eigene polnische Wohnsiedlungen, die im Hamburger Raum ‚Klein Warschau‘ oder ‚Polnisches Konsulat‘ genannt wurden“ (Henatsch, 2008:129). In der damaligen Wilhelmsburger Gemeindezeitung spiegelt sich die Geringschätzung vor allem polnischer Zuwanderer. Sie werden mit negativen Stereotypen und Diffamierungen belegt, als „Pollacken“ und als gewaltbereit beschrieben. „Diese Rhetorik (…) kommt teilweise der Volksverhetzung nahe“ (Dietz, 2008:101), so die Einschätzung der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. Gleichwohl war „Wilhelmsburg (…) rot“ aus der Sicht seiner Bewohnerinnen und Bewohner (Schmid, 2008:141) und entwickelte sich in der Weimarer Republik im öffentlichen Bewusstsein zu einer Gemeinde der Arbeiter und der Arbeiterkultur. Um 1920 waren etwa 76 Prozent der Bevölkerung in Fabriken beschäftigt (Reinstorf, 2003: 275). Allerdings wurde das bis dahin zu Preußen gehörende Wilhelmsburg erst 1937 nach Hamburg eingemeindet und musste weitestgehend selbstständig sämtliche Kosten tragen. In dieser Situation wurde der enorme Anstieg der Bevölkerung von den Wilhelmsburgern kritisch gesehen. Zusätzliche soziale Infrastrukturen mussten bereitgestellt werden. Doch die vielen zugewanderten Arbeiter waren in Hamburg tätig und das Gemeinwesen in Wilhelmsburg konnte nicht von den Einkommens- oder Gewerbesteuern der in Hamburg ansässigen Betriebe profitieren (Hauschildt, 1986: 20). Damit setzte eine Negativentwicklung in der öffentlichen Wahrnehmung des Stadtteils ein, „Wilhelmsburg trug seither schwer an sei- nem Ruf als Hinterhof und Stiefkind der Metropole Hamburg“ (Markert, 2008:192). Verfestigung eines negativ besetzten Wilhelmsburg-Bildes Die Vielzahl der Industriebetriebe und der dort beschäftigten Arbeiter ließen Wilhelmsburg zunehmend abhängig werden von der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Hamburg. Brachte schon der Erste Weltkrieg „eine Zäsur in die rasante industrielle Entwicklung“ (Markert, 2008:49). So führte die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre zu einem Absatzeinbruch der Hamburger Industrie und der Werften. Auch in Wilhelmsburg setzte spätestens ab 1929 eine Massenarbeitslosigkeit ein und prägte das ohnehin schon schlechte Image zusätzlich. Es wurde für die Arbeiterbewegung in den nachfolgenden Jahren immer schwieriger, ihre erkämpften kommunikativen Spielräume in Wilhelmsburg auszubauen und Einfluss auf die lokale Entwicklung zu nehmen. Erdrückend wirkte sich vor allem das mächtige Aufkommen der Nationalsozialisten aus (Schmid, 2008:141). Anhänger der SPD und der KPD wurden von den Nationalsozialisten in Wilhelmsburg ab 1933 systematisch verfolgt. Die Kommunikation im öffentlichen Raum erstickte zusehends, denn (…) „es war verboten, mit mehr als vier Leuten zusammenzustehen (…).“ Ab der zweiten Jahreshälfte 1935 „war der gesamte Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur mundtot gemacht (…)“ und auch die Vereine in Wilhelmsburg unterstanden der Kontrolle der NSDAP (Markert, 2008:54). „Zeitungen mussten ihr Erscheinen einstellen oder ihre Redaktionen wurden auf Linie getrimmt“ (Schmid, 2008:145). Die in Hamburg berühmte Alltagsolidarität des Arbeiterortes Wilhelmsburg wich „bald einem Stimmungsmix aus Angst, Schweigen und Misstrauen“ (ebd.). Im Februar 1938 berichtete das Hamburger Tageblatt über die raschen Erfolge der NSDAP in Wilhelmsburg, die in der Folge der Neugliederungen nach dem Groß-Hamburg-Gesetz nun zur „größten Ortsgruppe“ des Kreises Harburg-Wilhelmsburg gehörte (Schmid, 2008:148). Doch bald nach dem Jubel der Nationalsozialisten kamen in Wilhelmsburg die angsterfüllten, als bedrohlich wahrgenommenen Jahre der Bombardierungen, des „Bunkerlebens“ und der Zwangsarbeiter (Schmid, 2008:151 ff). Erst allmählich erholte sich der Stadtteil wieder von den Auswirkungen des Krieges. Das Bild der Zerstörung wich in den fünfziger Jahren langsam durch die Errichtung neuer Gebäude im Bereich des sozialen Wohnungsbaus (Markert 2008:55). Um 1960 kamen dann mit dem Wirtschaftswachstum die ersten ausländischen Arbeiter nach Wilhelmsburg. Das Diskursereignis Sturmflut Kein Ereignis prägte die Deutungen und auch die neuere Planungsgeschichte des Stadtteils jedoch mehr als die Sturmflut von 1962 (Paech, 2008:161). Sie kostete auf der Elbinsel weit über 250 Menschen das Leben (Herlin, 2005:175) und ließ 20.000 Bewohner obdachlos werden. Sie wird danach immer wieder als tiefgreifender Einschnitt in die gesellschaftliche Entwicklung beschrieben. So wird der Stadtteildiskurs von Wilhelmsburg von den Bewohnern heute in „vor der Flut“ und „nach der Flut“ eingeteilt (Paech, 2008. 171). In einer Sondersitzung der Hamburger Bürgerschaft vom 21. Februar 1962 beschrieb der damalige zuständige Innensenator Helmut Schmidt die Lage unmittelbar danach wie folgt: „Die Katastrophe hat ein Ausmaß erreicht, wie wir es seit dem Hamburger Brand nur im Zweiten Weltkriege erlebt haben. Die Sturmflut von Freitag auf Sonnabend hat nach Mitteilung des Hydrographischen Instituts alle jemals in Hamburg gemessenen Sturmfluten übertroffen, einschließlich derjenigen von 1825, die seither als die bisher schwerste gegolten hatte“ (Herlin, 2005:175). Der Verein für Heimatkunde in Wilhelmsburg konstatiert im Vorwort des Bandes „Wilhelmsburg in Wort und 209 Bild“ von 1971 gleich im ersten Satz, dass „der Name unserer Insel (…) durch die große Sturmflut von 1962 weltbekannt geworden“ ist (Keesenberg/Dodegge/Wolfram,1971). Die Sturmflut brach im Februar 1962 in einer Phase der allgemeinen wirtschaftlichen Aufbruchstimmung in Deutschland ein. Auch in Wilhelmsburg herrschte in der öffentlichen Wahrnehmung die Vorstellung von einer durch technischen Fortschritt bedingten, grundsätzlichen Überlegenheit der städtischen Gesellschaft gegenüber ihrer nicht urban geprägten Umgebung. Die in Vergessenheit geratenen Flutbedrohungen früherer Phasen waren in einer allgemein technizistisch geprägten Atmosphäre der frühen sechziger Jahre somit auch in Wilhelmsburg kein öffentliches Thema. Man war sich der Insellage nicht mehr bewusst. Die Havarie des Jahres 1962 erschütterte diese Selbstwahrnehmung umso mehr und verdeutlichte der Bevölkerung die verletzliche, besondere topografische Lage Wilhelmsburgs als Insel auf fatale Weise. Sturmfluten hatte es auf der Elbinsel zwar schon häufiger gegeben, doch die letzte größere ist auf das Jahr 1855 zu datieren (Reinstorf, 2003: 72). Ob sich diese über 100 Jahre zurückliegenden Erfahrungen jedoch im kollektiven Gedächtnis der Wilhelmsburger erhalten konnten, muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden, denn die Bevölkerung schien im Februar 1962 unzureichend vorbereitet und unbedarft gewesen zu sein (Paech, 2008:161;170). Städtebauliche Ungewissheit Man kann feststellen, dass mit den Auswirkungen des vorangegangenen Zweiten Weltkriegs in Wilhelmsburg ohnehin schon ein hohes Maß an Negativbeschreibungen verbunden war. Diese Beschreibungen wurden Anfang der sechziger Jahre von einem überregionalen Diskurs des gesellschaftlichen Aufbruchs überlagert. Umso heftiger setzte die Wilhelmsburger Sturmflut einen dramatischen gesellschaftlichen Veränderungs210 prozess in Gang, der bis heute anhält und im öffentlichen Stadtraum, u. a. durch zahlreiche Markierungen der jeweiligen Wasserstände, zitiert wird. Auch die Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt kommt 2008 aufgrund ihrer historischen Analysen zu dem Schluss, dass die Flut das städtische Wilhelmsburg mehr veränderte als der Zweite Weltkrieg (Markert, 2008: 55). Bei „denjenigen, die die Hamburger Sturmflut im Jahr 1962 miterlebt haben, sind die Ereignisse nach wie vor bildgewaltig und gefühlsgeladen im Bewusstsein verankert“ (Paech, 2008:173). Viele der vorherigen Bewohner fanden nach der Flut in anderen Stadtvierteln modernere Wohnungen und zogen dorthin. Nach Senatsplänen sollte der bis dahin bewohnte westliche Teil Wilhelmsburgs zu einem ausschließlich industriell und gewerblich genutzten Gebiet durch den Hafen transformiert werden. Beabsichtigt waren die Ansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben und der allmähliche Abriss der Wohnbebauung (Günther, 2008: 91). Die Wahrnehmung einer großen Ungewissheit über die Zukunft als Wohnstandort veranlasste viele weitere Familien, die Insel zu verlassen. Daneben mussten einige Industriebetriebe aufgrund der entstandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufgegeben werden (Markert, 2008: 55). Frei gewordene Wohnungen konnten wiederum an Einwanderer vergeben und mit ausländischen Familien belegt werden. Somit fand eine gravierende Veränderung der Bevölkerungsstruktur Wilhelmsburgs statt (Dietz, 2008:105). Der ehemalige soziale und kulturelle Zusammenhalt auf der Insel war dadurch verlorengegangen (Hahn, 2008:121). Bis in die späten siebziger Jahre hinein kann man vor der Hintergrundfolie planerischer FlutNebenfolgen aus heutiger Sicht für die Stadtund Wohnungspolitik eine Konzeptlosigkeit seitens des Hamburger Senats konstatieren. Zu dieser Zeit waren die politischen und administrativen Interventionen der Senatsverwaltung in Wilhelmsburg vom Paradigma der behutsamen Erneuerung noch weit entfernt. Sozialer Brennpunkt und „Raum für den Rest“ Einen wichtigen Einschnitt stellen in den Wilhelmsburg-Beschreibungen die Strukturumbrüche der achtziger Jahre dar. Sie läuten gewissermaßen den Gegenwartsdiskurs in Wilhelmsburg ein. Die Schiffswerften hatten in den achtziger Jahren massive wirtschaftliche Probleme und es kam zu Massenentlassungen (vgl. Hahn, 2008:124). Neben dem Anstieg der Arbeitslosenraten stieg auch die Anzahl der von Sozialhilfe abhängigen Familien. Wilhelmsburg wurde erneut als „sozialer Brennpunkt“ und als vernachlässigter Stadtteil stigmatisiert. Als Ausdruck dieser Phase können u. a. die Wahlerfolge rechtspopulistischer und fremdenfeindlicher Parteien Ende der neunziger Jahre gedeutet werden (vgl. Markert, 2008: 57; Dietz, 2008:109). Das Thema Migration bekam nun Aufschwung im öffentlichen Diskurs. So sagte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau in einem Interview Anfang der neunziger Jahre: „Wenn Sie zum Beispiel in einem Stadtteil 50 Prozent und mehr Ausländer haben, muss es möglich sein zu sagen, jetzt ist Schluss. (…) Ich sage nicht das Boot ist voll. Aber in Wilhelmsburg ist es voll“ (zitiert nach Dietz, 2008:109). Das gegenwärtige Bild von Wilhelmsburg ist geprägt durch die ungünstige verkehrstechnische Lage der Elbinsel. Bedeutende Verkehrsachsen wie die Autobahn A1, die Wilhelmsburger Reichsstraße und eine Fernbahntrasse, die Hamburg mit den Räumen südlich der Elbe verbinden, durchqueren Wilhelmburg und werden in den Lokalmedien regelmäßig kritisch kommentiert. Diese Verkehrsachsen bestimmen die öffentliche Wahrnehmung der Elbinsel als Transitraum in dem „Wilhelmsburg (…) die Funktion eines zentralen Trittsteines bei der Elbüberquerung“ entwickelt (Bornholdt, 2008: 27). Solche Barrierewirkungen der Verkehrswege und der Hafenanlagen gegenüber Hamburg haben wesentlich zu einer gegenwärtig negativ besetzten Vorstellung von Wilhelms- burg als ein „Raum für den Rest“ und als Randstadt beigetragen (vgl. Bornholdt, 2008: 36). Grundlegend bleibt im gegenwärtigen Diskurs jedoch die Frage, welche Funktion der Stadtteil nach seinen vielen Strukturbrüchen künftig für die gesamte Stadt Hamburg übernehmen soll. Soll auf dem Gebiet Wilhelmsburgs der Hafen erweitert werden oder soll ein lebendiger Stadtteil entstehen? Dahinter verbergen sich Fragen, die den Wilhelmsburg-Diskurs schon lange durchziehen. Planerische Antworten sind dabei in den vergangenen 150 Jahren oft auf der Strecke geblieben, sei es durch das ungestüme Einsetzen der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts in einem vormals agrarisch geprägten Raum, sei es durch die Verletzungen des Zweiten Weltkrieges oder durch das traumatische Diskursereignis der Sturmflut im Februar 1962. Man kann in den Jahren nach dem Millenniumswechsel gleichwohl ein verstärktes öffentliches Interesse an einer positiven, diskursiven Umdeutung Wilhelmsburgs beobachten. Dies äußert sich gegenwärtig im medial gesteuerten Umfeld der IBA Hamburg 2013 und in einer damit verbundenen ansteigenden Berichterstattung über den Stadtteil in den Massenmedien. Lokal und zunehmend überregional gerät der Identitätsraum Wilhelmsburg in den Blick der Öffentlichkeit. Damit verbunden sind neue Deutungen, Stimmen, Meinungen und Gegenmeinungen über Wilhelmsburg, in denen das alte und das neue Wissen über die sozialräumliche Charakteristik und historisch unterlegte Verletzlichkeit der Elbinsel konkurriert. Gegenwärtige Diskursverarbeitungen Wer ist nun im Rahmen der IBA Hamburg 2013 maßgeblich beteiligt, wenn es in Wilhelmsburg gegenwärtig um den Anspruch einer behutsamen Stadterneuerung geht? 211 Mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten kann dies gelingen bzw. welche Schwierigkeiten können in diesem Fall beobachtet werden? Diejenigen Diskursakteure, die in dem Forschungsprojekt „Raumpioniere“ mit den Erhebungen im kommunikativen Umfeld der Internationalen Bauausstellung Hamburg 2013 und der Internationalen Gartenschau 2013 in den Blick genommen wurden, werden auf drei Ebenen verortet: • Senatsebene: die Top-down-Ebene im politisch-administrativen Umfeld des Hamburger Senats; • IBA und igs-Ebene: die intermediäre Ebene im operationellen Umfeld der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) und der Internationalen Gartenschau 2013 (igs); • zivilgesellschaftliche Ebene: engagierte Einzelakteure, Gruppen, Vereine usw. Die Maßnahmen des Hamburger Senats und der intermediären Ebene von IBA und igs orientieren sich nach den vorliegenden Befunden deutlich auf eine diskursiv angelegte Kommunikationsstrategie. Sie wird über eine professionelle PR-Unit der IBA gesteuert und in die lokalen Diskursarenen transferiert. Hiermit realisiert der Senat größere Einzelprojekte im Kontext einer Städtebau- und Klimapolitik, die überregional ausstrahlen soll. Projekte wie das „Bildungszentrum Tor zur Welt“, „Stadt für interkulturelle öffentliche Räume“ oder das „Weltquartier Weimarer Platz“ sollen Modellcharakter entwickeln und die Charakteristik Wilhelmsburgs als einen besonderen, historisch gewachsenen Erfahrungsraum lokal, überregional und global positionieren. Hier spielt es für die Strategie der Akteure eine wichtige Rolle, Wilhelmsburg als einen Inselraum zu kommunizieren, in dem in der Vergangenheit vielfältige Erfahrungen im Umgang mit Gefährdungen und plötzlich einsetzenden Veränderungsprozessen gemacht wurden. Entsprechend ist die strategische und erfolgreiche Diskurskoalition der IBA mit den Massenmedien lokal bzw. überregional 212 strukturiert. Demgegenüber fokussieren die zivilgesellschaftlichen Akteure auf eine Erhöhung der Binnenkommunikation durch umfangreiche E-Mail-Verteiler und durch mediale Koalitionen, die über das Lokale meist nicht hinausreichen. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Interventionen der zivilgesellschaftlichen Diskursakteure meist auf die Verbreitung neuer Gefährdungs- und Problemwahrnehmungen ausgerichtet sind. Die lokale Behutsamkeitspolitik der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs) wird von den engagierten zivilgesellschaftlichen Akteuren in Wilhelmsburg dadurch konterkariert, indem IBA und igs selbst als Gefährdung für den Stadtteil interpretiert werden. IBA und igs werden von den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die im Projekt untersucht wurden, überwiegend nicht als behutsame Erneuerer gedeutet. Als bedrohlich wahrgenommene Erneuerungsmaßnahmen der IBA und der igs werden umgehend in denjenigen Medien, die den zivilgesellschaftlichen Raumpionieren zugänglich sind, veröffentlicht. Hier werden zum Beispiel das Fällen von Bäumen oder Sanierungsvorhaben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft kritisch kommentiert und öffentlich verarbeitet. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft wird von den Raumpionieren teilweise sogar öffentlich angegriffen, da deren IBA-Aktivitäten in Wilhelmsburg wie beispielsweise im Hamburger Abendblatt vom 07.05.2010 mit „Gentrifizierung“ in Verbindung gebracht werden: „Abschied von Wilhelmsburg. Mieten und Nebenkosten steigen, vielen Alteingesessenen wird ihr Kiez zu teuer… die sogenannte Gentrifizierung laufe immer gleich ab“. Die Sequenz zeigt wie zahlreiche andere massenmediale Thematisierungen die in der Öffentlichkeit wahrgenommene bzw. befürchtete Umbruchsituation, nämlich den „Abschied“ vom vertrauten Wilhelmsburg an. Es ist in diesem Zusammenhang umso erstaunlicher, dass sich die drei Akteursebenen im zeitlichen Umfeld der Zukunftskonferenz zunächst grundsätzlich einig darin waren, wie die behutsame Gestaltung des Stadtteils vorangetrieben werden soll. In ihren Problemdefinitionen waren sich der Hamburger Senat, die IBA-Akteure und die zivilgesellschaftlichen Akteure in der konzeptionellen Phase um die Jahrtausendwende in Wilhelmsburg noch sehr nah. Damals wurde das problematische Image von Wilhelmsburg sowohl von den intermediären (IBA und igs-Akteure) als auch von den zivilgesellschaftlichen Raumpionieren im Zusammenhang mit der Hafenlage im „Weissbuch“ als „Raum für den Rest“, als „zentraler Abfallplatz“ und als „Lager- und Transitraum“ gedeutet (Zukunftskonferenz 2002). Gemeinsame Lösungsansätze wurden in dieser Diskurskoalition darin gesehen, die Elbinsel aus dem historisch gewachsenen Abseits in das Hamburger Zentrum zu führen und sie von ihren Lasten zu befreien, die sie durch ihre Deich- und Hafengeschichte bis heute davonträgt. Die Diskursfragmente der zivilgesellschaftlichen Akteure (etwa in Form des erwähnten Weissbuchs aus dem Jahr 2002) dienten der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt fortan als ein wichtiger Wissensspeicher für die Entwicklung des städtebaulichen Leitbildes „Sprung über die Elbe“ (2005). Obwohl die Akteursebenen eine konsensfähige Entwicklungsstrategie erarbeiteten, entsteht dann ab dem Jahr 2008 interessanterweise ein lokaler Gegendiskurs, den die zivilgesellschaftlichen Akteure in Wilhelmsburg zu steuern versuchen. Während die intermediären Raumpioniere IBA und igs weiterhin einen behutsamen Aufwertungsdiskurs verfolgen („Aufwertung ohne Verdrängung“), stellen zivilgesellschaftliche Raumpioniere, die einem engagierten Verein und partiell dem Akteursumfeld des Weissbuchs und der ehemaligen Zukunftskonferenz zugerechnet werden können, die Internationa- len Ausstellungen für Wilhelmsburg teilweise massiv infrage. Sie äußern sich ablehnend in lokalen (und zum Teil) überlokalen Medien und sie kündigen Diskurskoalitionen auf indem sie ihre Einbindung in Beteiligungsgremien abbrechen. Die Steuerung dieses Gegendiskurses der zivilgesellschaftlichen Akteure ist jedoch durch eine geringere Ressourcenausstattung gekennzeichnet. Den zivilgesellschaftlichen Raumpionieren gelingt es im Gegensatz zum Senat und zur IBA/igs letztendlich nicht, eine überregionale Diskursmacht zu entfalten, über die sie auch außerhalb Wilhelmsburgs Gehör finden. Umso präsenter sind sie in der lokalen Öffentlichkeit. Fazit Der in diesem Beitrag skizzierte diskursive Forschungszugang ermöglichte es, in der Bearbeitung des Projekts „Raumpioniere im Stadtquartier“ die diskursive Einbettung von Akteuren zu untersuchen, die daran beteiligt sind, eine Strategie der behutsamen Erneuerung zu realisieren. Festzuhalten bleibt nach den bisherigen Befunden, dass es in der Diskursarena von Hamburg-Wilhelmsburg trotz erheblicher, aufwendiger und langfristig angelegter Beteiligungen intermediärer und zivilgesellschaftlicher Akteure zu einer Überlagerung konkurrierender „Behutsamkeitsvorstellungen“ gekommen ist. Ein Grund kann in der unzureichenden Anschlussfähigkeit der Senatspolitik an die spezifische und durch historisch bedingte Stigmatisierungen geprägte Lebenswelt des Stadtteils Hamburg-Wilhelmsburg vermutet werden: Während der Senat letztlich mit außenwirksamen Projekten auf den historisch gewachsenen Referenzraum der Hafen- und Weltstadt Hamburg rekurriert, nehmen zivilgesellschaftliche Akteure eine neue Stigmatisierung Wilhelmsburgs wahr, in der sie ihre lokalen Belange vernachlässigt sehen. Trotz anfänglicher Erfolge und trotz der behutsamen, partizipativen Vorgehensweise des 213 Senats, der über die Vermittlung durch IBA und igs Einfluss auf die Strukturierung lokaler Governance-Arrangements zu nehmen versuchte, kommt es zum Bruch der Diskurskoalition. Es scheitert der zunächst gemeinsam entwickelte Steuerungsprozess zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Diskursiv angelegte Koalitionen der behutsamen Stadterneuerung stellen nach dieser Erkenntnis für weitere Analysen einen interessanten Zugang dar. Das gilt gerade im Zusammenhang innenstadtnaher Aufwertungsprozesse in Metropolen. Zwar ist es in Zeiten zunehmender öffentlicher Proteste in Zusammenhang mit zentrumsnahen Erneuerungsstrategien keine Besonderheit, wenn zivilgesellschaftliche Akteure und Gruppierungen Gegendiskurse in einem Stadtteil hervorbringen. Interessant wird es aber wie im Fall Hamburg-Wilhelmsburg dann, wenn eine zunächst robuste Diskurskoalition zwischen Senatsakteuren, intermediären Akteuren und zivilgesellschaftlichen Akteuren zerbricht – und dies, obwohl alle drei Ebenen fast über ein Jahrzehnt lang gemeinsam an einer behutsamen Erneuerungsstrategie gearbeitet haben. Die Frage, wodurch ein Zerbrechen solcher Diskurskoalitionen letztlich ausgelöst wird, ist im Einzelfall vermutlich nicht eindeutig zu beantworten sondern diskursiv – damit ist diese Frage dauernd zu stellen. Diskursive Analyseansätze können deshalb gerade in Krisenzeiten behutsamer Erneuerungsprozesse unterstützend dabei sein, wenn man kommunikative Friktionen besser verstehen und erklären möchte. Sie können, wie das Beispiel Hamburg-Wilhelmsburg verdeutlicht, auch den öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren dabei helfen, eigene Projekte und Strategien immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. „Diskurse“ wären dann aber nicht temporär angelegte „Zukunftskonferenzen“ oder „Runde Tische“ sondern dauerhafte lokale „Selbstverortungsprozesse“, die es den planenden und gestaltenden Akteuren im sozialen Raum ermöglichen, ihre Behutsamkeitspolitik im zeiträumlichen Umfeld zu qualifizieren. Literatur BODENSTEIN, Ingo (1994): Behutsame Stadterneuerung und organisierte Selbsthilfe bei der Erneuerung von Altbauten in den Neuen Bundesländern. Marburg BORNHOLDT, Hanna (2008): Kanäle, Straßen, Eisenbahnen – Die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Wilhelmsburg. In: Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg Honigfabrik e. V. / Museum Elbinsel Wilhelmsburg e. V. (Hg.): Wilhelmsburg: Hamburgs große Elbinsel. Hamburg. S.27-39 CLAUSEN, Sigrun (2008): Wer baut ein Haus? 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Auf der Grundlage der Definierung einer strukturellen Behutsamkeit wird der Begriff der Superposition vorgeschlagen, der die Erneuerung im erhaltenswerten Stadtensemble beschreibt. Dabei wird die zeitgenössische Intervention im denkmalgeschützten Stadtkörper als Überlagerung verstanden, welche sich aus der strukturellen, urbanen Logik herleitet und damit die denkmalverträgliche Kontinuität in der Entwicklung der Stadt gewährleistet. Das Aufscheinen des Behutsamkeitsbegriffes in der Denkmalpflege Seit John Ruskins grundlegenden Texten im 19. Jahrhundert zum richtigen Umgang mit erhaltenswerter Bausubstanz, bewegt sich die Theorie der Denkmalpflege zwischen den zwei gegensätzlichen Konzepten des Konservierens und des Restaurierens. John Ruskin akzeptierte das Denkmal in seiner überlieferten Materialität mit seiner Patina und propagierte dessen Konservierung, indem er schrieb: „Take proper care of your monuments, and you will not need to restore them“ (Ruskin, 1849:181). Viollet- le-Duc in Frankreich hingegen vertrat die Position der Restaurierung, die den Wiederaufbau frei interpretierter, mittelalterlicher Formen begrüßte: „Restaurer un édifice, ce n’est pas l’entretenir, le réparer ou le refaire, c’est le rétablir dans un état complet qui peut n’avoir jamais existé à un moment donné » (Viollet-le-Duc,1869:14). Zwischen diesen zwei Polen bewegt sich der Umgang mit der historischen Stadt bis heute: Aktuelle Beispiele hierfür sind einerseits die konservierende Pflege der Postkartenidylle in den Weltkulturerbe-Altstädten und andererseits der historisierende Wiederaufbau ganzer Stadtgebiete wie in Dresden oder Frankfurt. In diesem Spannungsfeld zwischen der reinen Konservierung und dem Wiederherstellen des Verlorenen sucht die Praxis der Denkmalpflege den „methodischen Kompromiss“ (Will, 2010:204), indem sie die regelmäßige Instandhaltung und die funktionale Anpassung der historischen Bausubstanz propagiert. Im Zentrum steht also eine „Maßnahme, die nach einer umsichtigen, gerechten Analyse aller historischen, kunsthistorischen und sonstigen erhaltenswerten Schichten am Denkmal diese in einem abgewogenen Verhältnis erhält und zur Darstellung bringt und gleichzeitig in den technischen Zustand des Gesamtwerkes, da, wo er stark fehlerhaft oder gefahrdrohend ist, konsolidierend eingreift“ (Mörsch, 1980:82). Dieser Umgang mit dem Denkmal entspricht der Methode der Reparatur, die unter dem Überbegriff der Instandsetzung insbesondere von Georg Mörsch an der ETH Zürich vertreten wurde. An einer ICOMOS-Tagung 1991 wurde erstmals „Behutsamkeit und Bescheidenheit“ eingefor217 dert, und es wurde „etwas wieder entdeckt, was früher eine Selbstverständlichkeit, nun aber in der Praxis verloren war und deshalb wissenschaftlich-theoretisch neu erarbeitet werden musste: die behutsame, möglichst traditionell ausgerichtete Reparatur als Prinzip der Denkmalpflege“ (Will, 2010:210). Die Aufgabe der Denkmalpflege wird also auch in aktuellen Publikationen generell mit der behutsamen Reparatur umschrieben. Dabei überlappt der theoretische Denkmaldiskurs durch den Begriff der Behutsamkeit – im Sinne einer schonenden Reparatur – zunehmend mit dem Nachhaltigkeitsbegriff (vgl. Wohlleben, 2003:9). Mit einigem Recht deklariert sich die Denkmalpflege zu einer Disziplin der Nachhaltigkeit, die behutsam und schonend mit unseren begrenzt verfügbaren Ressourcen umgeht. Die generelle Behutsamkeit im Umgang mit dem historischen Baubestand ist also sowohl theoretisch fundiert, als auch praktisch erprobt und hat sich bis heute bewährt. Ja, man kann sogar festhalten, dass der Denkmalschutz „ohne Zweifel auf dem Höhepunkt seiner inhaltlichen Reife angekommen ist“ (Kuder, 2008: 204). Dass die behutsame Reparatur des Einzelobjektes grundsätzlich die richtige Strategie der Denkmalpflege ist, wird an dieser Stelle nicht bestritten. Hingegen soll im Folgenden untersucht werden, welche Fragestellungen entstehen, wenn auch mit dem geschützten, städtischen Ensemble generell behutsam umgegangen wird, denn für den „städtebaulichen Denkmalschutz besteht zugleich immer auch eine unterschwellig wirkende Gefahr, den Schutz von historischen Gebäuden absolut zu setzen und damit vielleicht wohlmeinend über die rational definierten Ziele hinauszuschießen“ (Kuder, 2008: 205). Ein zu rigides Verständnis des behutsamen Denkmalschutzes im Zusammenhang mit einem vitalen Stadtensemble verstrickt sich in einen grundsätzlichen Widerspruch: Hans Georg Gadamer spricht von „Vorurteilen“, 218 die uns ganz generell das Verstehen von Sachverhalten erst möglich machen, und er meint damit, dass die Wirklichkeit nur im Verhältnis zu bereits bekannten Tatsachen verstanden und eingeordnet werden kann (Gadamer, 1990:281ff ). Erst das Gedächtnis ermöglicht uns das Verständnis der Welt. Die Theoretiker der Denkmalpflege leiten auf dieser Grundlage gerne ihre nachvollziehbare Legitimation her, indem die Denkmalpflege wesentlich über ihre Kultur- und insbesondere ihre Erinnerungsarbeit (Wohlleben, 2003:9) definiert wird. Dabei wird betont, dass Städte „gebaute Geschichte“ sind, denn sie ermöglichen uns, „die physische und damit sinnliche Erfahrung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und aus ihrer Tradition heraus die Zukunft neu zu gestalten“ (Merk, 2008:185). Die Stadt erklärt sich aus ihren kontextuellen Bindungen, die wesentlich durch ihre Geschichte bestimmt sind. So ist es naheliegend, die Stadt auch als „Ort des kollektiven Gedächtnisses“ (Lampugnani, 2002:59), als Ort der kontinuierlichen Geschichtsschreibung zu verstehen. Wird nun der Schutz des historischen Objektes – im Sinne der behutsamen Reparatur – absolut gesetzt, so kommt die kontinuierliche Entwicklung der Stadt zum Stillstand. Die Denkmalpflege beraubt sich der eigenen Legitimation, indem sie einerseits festhält, dass der Mensch „ein Grundbedürfnis nach Erinnerung“ (Furrer, 2007:13) hat, andererseits aber unserer Generation die Fähigkeit abspricht, Geschichte zu schreiben, das heißt also in Erinnerung zu bleiben. Mit der Strategie der generell behutsamen Reparatur in einem historischen Stadtensemble wird unsere Generation zum blinden Fleck in der Stadtgeschichte; sie wird – um in der Terminologie zu bleiben – nichts im kollektiven Gedächtnis ablegen. Die Altstadt unter der Käseglocke Nach dem radikalen Bruch mit den städtebaulichen Konzeptionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts durch die Moderne, sowie nach den Kriegszerstörungen, dem Wiederaufbau und den radikalen Stadtsanierungen in den 1950er und 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts, die das urbane Erscheinungsbild der mitteleuropäischen Stadt, insbesondere auch der Altstadt, radikal verändert hatten, wuchs die Kritik am modernen und nachmodernen Städtebau. Jane Jacobs zum Beispiel forderte die erneute Verschränkung von funktional unterschiedlichen Stadtnutzungen (Jacobs, 1961), Saverio Muratori (Muratori, 1960), und Aldo Rossi (Rossi,1982) führten die Lektüre des Ortes mit seiner historischen und morphologischen Permanenz wieder in die Diskussion ein und Christopher Alexander (Alexander, 1966) beharrte auf der funktionalen Komplexität der Beziehungen im städtischen Gefüge. Befruchtet durch diese Kritik entstand in den 1970er Jahren ein Paradigmenwechsel in der Denkmalpflege. Insbesondere die Altstadt wurde als städtisches Gefüge mit einer funktionalen Durchmischung wiederentdeckt und dessen historische Permanenz als Wert beschrieben, den es vor dem Verfall und der Kahlschlagsanierung zu schützen galt. Lucius Burckhardt, der Schweizer Stadtsoziologe, war einer der ersten, der das Ziel der „Stadtreparatur“ in Worte fasste, indem er mit seiner „Theorie des Flickwerks“ (Burckhardt, 1985) einer „behutsamen Stadterneuerung“ den theoretischen Boden bereitete. Diese theoretischen Auseinandersetzungen mit der historischen Stadt hatten in der Praxis vielfach erfolgreiche Auswirkungen: In den letzten 30 bis 40 Jahren sind viele denkmalgeschützte Stadtensembles vor dem Verfall gerettet worden. Insbesondere prestigeträchtige Altstädte, wie Lübeck, Stralsund oder Bamberg, die in die Weltkulturerbeliste aufgenommen wurden, erhielten die notwendige finanzielle Unterstützung, damit sie nach und nach behutsam saniert werden konnten. Besonders in den neuen Bundesländern sind hunderte von historisch bedeutsamen Innenstadtbereichen durch das Bund-Länder-Programm Städtebaulicher Denkmalschutz erhalten sowie Instand gesetzt worden. In der Altstadt von Bern, die keine Kriegszerstörung erfahren hat, ist die Sanierung mehrheitlich bereits seit Jahren abgeschlossen und die generelle Behutsamkeit in der Pflege der Weltkulturerbe-Stadt ist zu einer beschaulichen Tätigkeit geworden, indem in regelmäßigen Abständen die notwendigen Konservierungsarbeiten nach dem Prinzip der behutsamen Reparatur durchgeführt werden. Der soziale und kulturelle Wert der historischen Stadt ist zumindest in Mitteleuropa unbestritten, und so droht denn auch nicht mehr der Verfall durch Vernachlässigung oder die substantielle Zerstörung durch den Abriss. Die Beschränkung auf die reine Konservierung im Sinne einer generellen Behutsamkeit birgt jedoch neue Probleme: In den letzten Jahren ist eine zunehmende Musealisierung der Altstädte festzustellen, die ursächlich mit einer wachsenden Kommerzialisierung des historischen Stadtensembles zusammenhängt. In Bern beispielsweise ist dies ein schleichender Prozess: Nach und nach werden auch in der unteren Altstadt – die bis vor wenigen Jahren noch kein Geschäftszentrum war – die alt eingesessenen Ladenbesitzer und Handwerker durch nationale und internationale Verkaufsketten verdrängt. Dadurch entsteht ein massiver Preisdruck nach oben, der sich letztlich auch auf die Wohnungsmieten durchschlägt und in der Folge – den eben erst wiederentdeckten – sozialen und kulturellen Wert der komplexen, funktionalen Beziehungen in der Stadt gefährdet. Es droht die Degradierung der denkmalgeschützten Innenstadt zur Shoppingmall, die als verkaufsfördernde Dekoration den umsatzstarken, aber austauschbaren Geschäften dient. Um dieser Gefahr zu begegnen, sind verschiedene städtebauliche Maßnahmen gefragt, die neue urbane Entwicklungsperspektiven aufzeigen. In diesem Zusammenhang scheint das generelle Behutsamkeitspara219 digma in der Denkmalpflege an seine Grenzen zu stoßen. Was für das Einzelobjekt richtig erscheint, ist für das denkmalgeschützte, städtische Ensemble ungenügend, denn der generell behutsame Umgang mit dem Stadtkörper fokussiert auf die reine Konservierung und nicht auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt im Interesse der Bewohner. Die fehlenden Perspektiven für die Stadterneuerung werden insbesondere in Städten zum Problem, die trotz ihrem Welterbestatus weiterhin vitale Funktionen übernehmen, als Bundeshauptstadt wie Bern, als Hauptstadt einer Region wie Florenz, als Bezirkshauptstadt wie Regensburg oder als regionales Zentrum wie Lübeck und Wismar. In den beiden letztgenannten sowie in Bern wird die prekäre Situation zudem durch die charakteristische topographische Inseloder Halbinsellage verstärkt, die eine Entwicklung an den Stadträndern verunmöglicht. Am Beispiel der Altstadt von Bern soll nun gezeigt werden, wie ein differenzierter Behutsamkeitsbegriff im Umgang mit der denkmalgeschützten Stadt entwickelt werden könnte, der – trotz Kommerzialisierungsdruck und fehlender Landreserven – neue Entwicklungsperspektiven für die urbanen Zentren eröffnet. Dies geschieht über eine Qualifizierung der Konstanten und der Variablen in der historischen Entwicklung des Stadtgrundrisses und des Stadtkörpers, die es erlaubt, schützenswerte Strukturen von veränderbaren architektonischen Überformungen zu unterscheiden. Das Ende der Geschichte oder stabile Strukturen Das aktuelle polyzentrische Raumentwicklungskonzept definiert für die Schweiz drei Metropolitanregionen – Zürich, Basel und das Bassin lémanique mit den Städten Genf und Lausanne – sowie eine Hauptstadtregion, die aus der Stadt Bern und mehreren radialzentrisch gruppierten, mittelgroßen 220 Städten besteht. In der Mitte der Hauptstadtregion liegt die Altstadt von Bern, die den Metropolen raumplanerisch gleichgestellt ist. Sie ist das politische Zentrum des Landes, des Kantons sowie der Stadt und von beiden letzteren gleichzeitig auch noch deren kommerzieller Mittelpunkt. Die Altstadt übernimmt Zentrumslasten sowohl für das ganze Land als auch für die Region. Sie ist Sitz der Landes-, der Kantons- und der Stadtregierung und beherbergt einen wesentlichen Teil des entsprechenden Verwaltungsapparates, sowie der zugehörigen Restaurations- und Konsumbetriebe. Gleichzeitig ist die historische Stadt in ihrer topographischen Zwangslage äußerst dicht bebaut und einem rigiden Denkmalschutz unterstellt. 1983 ist das Ensemble in die Liste der Welterbestädte aufgenommen worden, was zu einem umfassenden Schutz der historischen Substanz geführt hat. Eine generelle Behutsamkeit im Umgang mit der Altstadt ist gesetzlich verankert worden, wodurch die Reparatur zum Mittel der Wahl in der Berner Denkmalpflege wurde. Die behutsame Instandhaltung der bestehenden Substanz ist auch in Bern zum denkmalpflegerischen Primat geworden. Das ist einerseits erfreulich, weil dadurch den Kahlschlagsanierungen oder auch nur dem Verfall Einhalt geboten werden konnte. Andererseits ist dies auch problematisch, da die Denkmalpflege zur Verhinderungsbehörde degradiert wurde, die nur ex negativo definiert, wie die Stadterneuerung möglich sein soll. Das Behutsamkeitsparadigma, verstanden als instandhaltenden Reparaturauftrag, bedeutet ja – wie oben gezeigt – letztlich das Ende der Geschichte, was aber mit den Ansprüchen der Hauptstadt einer sich entwickelnden Gesellschaft nur schwer vereinbar ist. Historisch lässt sich eindeutig belegen, dass die Stadt Bern seit ihrer Gründung um 1190 immer wieder teilweise substanziell erneuert wurde, ohne deren strukturelle Grundla- gen zu verletzen. Dass heutzutage – im Sinne der Konservierung – generell behutsam mit der denkmalgeschützten Bausubstanz umgegangen wird, erscheint in diesem Lichte somit eine historische Anomalie zu sein. Im Folgenden soll also für Bern kurz versucht werden, die historischen Stadtstrukturen herauszuschälen, die – trotz substanziellen Eingriffen ins Stadtgefüge – eine erstaunliche Permanenz des Stadtbildes im Sinne Rossis und eine kontinuierliche Entwicklung gewährleistet haben (Abb. 1). Bei der Stadt Bern handelt es sich um einen charakteristischen Ort für die zähringischen Stadtgründungen in der zweiten Hälfte des 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Topographie und Gründungsplan sind die wesentlichen Elemente des Stadtbildes (Hofer, 1952:22). Die Stadt wird dreiseitig vom Fluss umspült, liegt also auf einer ideal gelegenen Halbinsel, die Berchtold von Zähringen vermutlich um das Jahr 1191 zur Gründung einer Stadt veranlasste. Der mittelalterliche Stadtgrundriss hat die wechselnden Stilepochen überdauert und bestimmt das gesamtstädtische Erscheinungsbild. Inwiefern die mittelalterliche Hofstätte der Gründungstadt sich tatsächlich in der aktuellen Parzellierung der Altstadt nachzeichnen lässt, ist unter Stadthistorikern umstritten; dass sich die Altstadt auf der mittelalterlichen Grundstruktur über die Jahrhunderte bis zu ihrer heutigen Form kontinuierlich verdichtet hat, ist unbestritten (Baeriswyl, 2003:86ff ). Resultat der urbanen Kondensierung ist die Riemenparzelle, die mit ihrer schmalen Seite an die Gasse grenzt und in ihrer Addition die geschlossenen Gassenfronten definiert. Dies wiederum hat eminent architektonische Bedeutung (vgl. Locher, 2005:18ff ). Durch die Parzellierung erfährt die Gassenflucht eine dichtgestaffelte vertikale Gliederung durch hochrechteckige Fassaden. Dabei weisen alle Gebäude die gleiche Geschossigkeit, die gleiche Dachform, die durchgehende Arkade, und eine einheitliche Materialisierung in einem grünlichen Sandstein auf (Abb. 2). Abb. 1 Luftbild Berner Altstadt, 2005 (Foto: Luftbild Schweiz) Abb. 2 Kramgasse Bern, 2012 (Foto: M. Locher) Das Erscheinungsbild der Stadt ist heute barock geprägt, da die Mehrheit der Fassaden im 18. Jahrhundert komplett neu erstellt wurde. Zumindest in den Hauptgassen der unteren Altstadt hat sich also ein authentisches spätbarockes Stadtbild konserviert. Die Bestandsentwicklung in diesem dichten mittelalterlichen Stadtgefüge war während der vergangenen neun Jahrhunderte revolutionär und konservativ zugleich. Revolutionär war die Entwicklung, weil das architektonische Erscheinungsbild – bei gleichzeitiger kontinuierlicher Verdichtung – mehrmals komplett ausgetauscht wurde. Konservativ war die Erneuerung, weil sich alle Eigentümer an die bestehende Parzellierung sowie an die resultierenden Gassenfluchten gehalten haben und die architektonischen Realisierungsmöglichkeiten durch die rigiden Gestaltungsvorschriften sehr stark beschränkt und vereinheitlicht wurden. Es kann also zusammengefasst werden, dass die kontinuierliche Entwicklung der Stadt 221 gewährleistet wurde, weil erstens – bis auf wenige Ausnahmen – alle Generationen die räumliche Struktur, die in der Parzellierung begründet ist, respektiert haben. Zweitens bestand jederzeit ein Konsens aller Bauwilligen bezüglich des formalen Erscheinungsbildes des Stadtkörpers, d. h. bezüglich der Geschossigkeit, der Fassaden- und Fensterproportion sowie des Materials. Versucht man eine Gewichtung der konstituierenden Elemente des Stadtkörpers vorzunehmen, kann Folgendes festgehalten werden: Die normierende modulare Stadtanlage im Verbund mit dem Willen zur Durchsetzung der jeweiligen Bauordnung waren während achthundert Jahren Garant für eine kohärente Stadtentwicklung. Bauten unterschiedlicher Epochen ordnen sich auf der Grundlage des mittelalterlichen Stadtgrundrisses dem übergeordneten Stadtbild unter. Es scheint also richtig zu sein, im denkmalgeschützten Kontext mit den Konstanten, welche eine kontinuierliche Entwicklung gewährleisten, sehr behutsam umzugehen. Um hingegen eine substanzielle Bestandsentwicklung zu ermöglichen, müssen auch denkmalschutzverträgliche Variablen definiert werden, mit denen auf sich verändernde Anforderungen an die Stadt reagiert werden kann. In diesem Sinne wird an dieser Stelle für eine Abkehr von einer generellen Behutsamkeit hin zu einer strukturellen Behutsamkeit plädiert, welche einerseits die urbane Grundstruktur, die sich im Stadtgrundriss widerspiegelt, uneingeschränkt respektiert und andererseits flexibel genug ist, die zeitgenössische Überlagerung der bestehenden Struktur zuzulassen. Paradigmatisch können entsprechende Variablen am Beispiel von Bern in zweifacher Weise definiert werden: über bestehende, strukturelle Lücken im Stadtgefüge sowie über die Addition einer „zeitgenössischen Schicht“ auf die bestehende Struktur. Es handelt sich bei beiden Beispielen um eigentliche Zufügungen, wie sie in der Theorie 222 der Denkmalpflege am Einzelobjekt auch gut geheißen werden: „Zufügungen sind Maßnahmen, die aus Gründen der Nutzung, der Lesbarkeit, der Gesamtwirkung etc. für unabdingbar gehalten werden. Sie dürfen die originalen Bestandteile weder in ihrer Substanz noch in ihrer Wirkung beeinträchtigen“ (Furrer, 2007:26). Diese Formulierung geht jedoch nur vom Einzelobjekt aus. Was die konsequente Umsetzung der sogenannten Zufügung für ein ganzes Stadtensemble bedeutet, soll im Folgenden unter dem Begriff der Überlagerung beispielhaft erläutert werden. Überlagerungen des Stadtgefüges Die topographische Lage der Stadt Bern war verteidigungstechnisch günstig, für das Wachstum der Stadt stellte sie jedoch einen hemmenden Faktor dar. Substanziell konnte sich die Stadt nur Richtung Westen ausdehnen. Mit jeder Westerweiterung kamen jedoch die Befestigungsanlage und der davor liegende Graben innerhalb der Stadt zu liegen. Durch die Schleifung der Wehrmauer und durch das Auffüllen der Stadtgräben entstanden die für Bern typischen, durchgehenden Querräume westlich vor den Stadttoren, welche ursprünglich an ihren Nordund Südenden unbebaut waren. Da die mittig liegenden Hauptgassen bis heute im Stadtgrundriss von privaten Bürgerhäusern besetzt wurden, sind diese Querräume die einzigen Freiräume im Stadtgefüge. Es sind nun auch genau jene Bereiche, in denen seit dem 18. Jahrhundert die repräsentativen öffentlichen Bauten erstellt wurden, die durch die Hauptstadtfunktion und die entsprechenden Nutzungen erforderlich wurden. Diese Freiräume sind heute in repräsentativer Art besetzt und es ist ein strukturelles Merkmal der Altstadt, dass die repräsentativen Bauten nicht im Zentrum, sondern in Randlage realisiert wurden. Die Stadt konnte also nur an ihren Rändern substanziell weitergebaut werden und diese Entwicklung scheint gegenwärtig abgeschlossen zu sein. Abb. 3 Überlagerung der bestehenden Lücken im Stadtgefüge (Grafik: M. Locher) Aufgrund dieser historisch-typologischen Analyse des Stadtgrundrisses lassen sich jedoch auch heute noch Bruchstellen im städtischen Gefüge lokalisieren: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Landreserven auf der Aarehalbinsel knapp, sodass der tief liegende Flusslauf bis zum Ende des Jahrhunderts mittels vier Hochbrücken überspannt wurde. Die Brückenköpfe auf der Altstadtseite greifen im Bereich der genannten Querräume ins Gefüge ein, lassen jedoch bis heute verkehrstechnisch bedingte Resträume entstehen. Diese Lücken im Stadtgefüge – die aufgrund verkehrstechnischer Bruchstellen entstanden – werden erst in neuester Zeit als solche überhaupt wahrgenommen (vgl. z. B. Locher, 2005; Tobler, 2009). Aus stadtplanerischer Sicht wäre die Bebauung solcher Lücken sinnvoll und wünschenswert, weil dadurch neue, vitale Funktionen in die Stadt eingefügt werden könnten. Aus stadtarchäologischer und denkmalpflegerischer Hinsicht ist die Überlagerung der bestehenden Stadt in diesen Lücken unbedenklich, weil es sich ohnehin um Bruchstellen handelt (Abb. 3). Noch delikater als die Besetzung urbaner Lücken wird der Eingriff in die denkmalgeschützte Altstadt, wenn die bestehende, intakte Stadtstruktur überlagert werden soll. Auch für die Legitimation dieser zweiten beispielhaften Intervention muss zuerst einmal historisch argumentiert werden. Für die Stadt Bern – wie auch für viele andere historische Städte in Mitteleuropa – lässt sich problemlos belegen, dass die Stadtentwicklung auch ein Prozess der kontinuierlichen Verdichtung ist. Von der ersten Bebauung der Gründungsstadt mit vermutlich zweigeschossigen Holzbauten, über die spätmittelalterlichen dreigeschossigen Bürgerhäuser in Sandstein, bis zu den barocken viergeschossigen Stadthäuser, die bis heute das urbane Erscheinungsbild wesentlich prägen, kann die schrittweise Erhöhung der Ausnutzung nachgezeichnet werden. Dieser Verdichtungsprozess hatte auch immer wieder massive Auswirkungen auf das städtische Erscheinungsbild, das einem ständigen Wandel unterworfen war: Eine 223 Abb. 4 Spitalgasse Bern, rechts mittelalterliche Aufzugsgiebel, links spätbarocke Dachgestaltung, 1740 (Quelle: M. Locher, Privatbesitz) der Qualitäten der Berner Altstadt besteht im räumlich gefassten Gassenraum. Dieser entsteht im Wesentlichen einerseits aus der konsequenten Befolgung des Alignements, das zu einer durchgehenden Gassenflucht führt. Die räumliche Definierung entsteht andererseits auch ganz entscheidend durch die weit auskragenden Dachvorscherme der traufständigen Giebeldächer (vgl. Abb. 2). Sie bilden einen durchgehenden oberen Abschluss des Gassenraumes, der nicht einer gestalterischen Absicht, sondern einer funktionalen Neuerung entsprang. Der Dachraum wurde im Barock nicht mehr als Speicher, sondern als Bedienstetenkammer genutzt, wodurch der Aufzugsgiebel obsolet wurde. Dies hatte eminent architektonische Bedeutung, denn die rhythmisierende Abfolge der Giebel bewirkte ein vollständig anderes Gassenbild als die durchgehende Dachtraufe (vg. Abb. 4). Dass heute gerade dieser Zustand ohne die Giebel geschützt wird, ist ein zeitlicher Zufall. Auch hier stellt sich die begründete Frage, wieso wir gerade in unserer Generation am Ende der Entwicklung angelangt sein sollen, denn die Stadthistorie ist keine Geschichte des Konservierens und Reparierens sondern eine der Adaptionsfähigkeit der bestehenden Strukturen (Abb. 4). Das Beispiel der Aufzugsgiebel illustriert sehr genau, wie der Prozess der Überlagerung der bestehenden Stadt auf der Grund224 lage der strukturellen Behutsamkeit zu verstehen ist: Unter Berücksichtigung der weiter oben beschriebenen städtischen Grundstruktur wurde für die neue Nutzung des Dachraumes wahrscheinlich im 15. Jahrhundert ein architektonisches Element eingeführt, weil es hierfür eine funktionale Notwendigkeit gab. Mit der Nutzungsänderung 300 Jahre später verschwindet dieses Element jedoch wieder, ohne dass die strukturellen Grundlagen der Stadt beeinträchtigt wurden. Das städtische Erscheinungsbild verkraftet solche Eingriffe problemlos, wenn sie sich aus der inneren strukturellen Logik der Stadt entwickeln. Dies soll an einem Beispiel erläutert werden, das in die Zukunft weist: Der Wohnraum in der Altstadt von Bern leidet insbesondere daran, dass sich private Außenräume, die den heutigen Anforderungen ans Wohnen entsprechen, kaum mehr realisieren lassen. Dachterrassen wurden bis in die frühen 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts als unsensible Dacheinschnitte konzipiert und widersprechen heute den Anforderungen der Denkmalpflege. Ein mögliches Konzept zur Addition einer zeitgenössischen Schicht, die behutsam mit der städtischen Struktur umgeht, besteht in der Aufstockung der Treppentürme und der Ausbildung zu Loggias (Jucker, 2012). Diese Lösung entwickelt sich aus dem historischen Motiv des Feuerwachturms, der im 16. Jahrhundert gelegentlich als Erweiterung des Treppenturmes konzipiert wurde. Eine solcher Entwurfsansatz beweist seine strukturelle Behutsamkeit einerseits eben dadurch, dass er sich aus der inneren Logik der Stadt entwickelt und andererseits auch dadurch, dass er keine Einzellösung sein kann: Im historischen Kontext der vereinheitlichten Altstadt kann der architektonische Entwurf nur strukturell behutsam sein, wenn er sich im Sinne einer Überlagerung an jedem Einzelobjekt umsetzen lässt (Abb. 5). Die Berner Altstadt zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass architektonische Neuerungen freiwil- lig oder gezwungenermaßen immer von allen Eigentümern umgesetzt wurden. Nur so bleibt das übergeordnete strukturelle Gestaltungsprinzip der Vereinheitlichung gewährleistet. Strukturelle Behutsamkeit bedeutet also immer auch das gemeinsame Umsetzen von denkmalverträglichen Neuerungen durch alle Eigentümer. Das Superpositionsprinzip in der Denkmalpflege „Der Mensch braucht Erinnerung als Individuum und in seinen Gemeinschaften als Grundlage für die Gestaltung der Zukunft. Der Erinnerungsschatz des Menschen ist das geschichtliche Erbe als Ganzes“ (Furrer, 2007:13). So definiert die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege in der Schweiz die Grundlage für jegliche denkmalpflegerische Tätigkeit und hält fest, dass durch „konservatorische Maßnahmen“ der „materielle Bestand des Denkmals möglichst wenig“ verändert werden soll (Furrer, 2007: 21). In diesem Sinne ist – wie gezeigt – der behutsame Umgang mit der historischen Substanz das Primat in der Denkmalpflege und bedeutet in der praktischen Umsetzung die Reparatur des Vorhandenen. Beschränkt man die Intervention am historischen Objekt auf die bloße Instandhaltung bricht die kontinuierliche Geschichtsschreibung, anders formuliert, das kontinuierliche Addieren der zeitgenössischen, architektonischen Ausdrucksmittel ab, und damit geht die Erinnerungsmöglichkeit an eine ganze Epoche im historischen Kontext verloren. Dies scheint relativ unproblematisch zu sein bei der generell behutsamen Konservierung eines Einzelobjektes, widerspricht aber der theoretischen Legitimation der Denkmalpflege, wenn es um ein vitales, urbanes Gebäudeensemble geht. Hier wird deshalb ein eigentlicher Paradigmenwechsel vorgeschlagen: Für den Denkmalschutz im historischen Stadtensemble wird die generelle Behut- Abb. 5 Überlagerung der bestehenden Stadtstruktur in Bern, 2012 (Darstellung: M. Locher) samkeit durch eine strukturelle Behutsamkeit ersetzt, die es erlaubt, urbane Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Kontext, verstanden als Überlagerungen des Bestandes, unter dem Begriff der denkmalverträglichen „Superposition“ zusammenzufassen. Das Prinzip der Superposition ist in verschiedenen Wissenschaftsbereichen gebräuchlich. In der klassischen Mechanik bezeichnet die Superposition die ungestörte Überlagerung der Kräfte. Wirken auf ein Objekt verschiedene Kräfte, gilt das Prinzip der ungestörten Überlagerung, wobei sich die einzelnen Kräfte gegenseitig nicht beeinflussen, sondern sich zu einer Gesamtkraft vektoriell addieren. In der Informationstheorie beschreibt die Superposition die Überlagerung von Information auf einem Informationsträger, wodurch eine Maximierung der Informationsdichte erreicht wird. In der Architekturtheorie bedeutet die Superposition das geschossweise Übereinanderstellen von unterschiedlichen Säulenordnungen. Für die Denkmalpflege könnte man das Superpositionsprinzip basierend auf einer strukturellen Behutsamkeit folgendermaßen definieren: Ein historisches Stadtensemble kann sich in verschiedenen Zeiten in verschiedene funktionale und formale Richtungen entwickeln, wobei einzelne architektonische Elemente dazu gefügt oder auch verloren gehen können. Die einzelnen Entwicklungsstränge stören sich jedoch 225 nicht gegenseitig und bleiben idealerweise konstant über die Zeit ablesbar; einzig in der Summe der architektonisch ausgeprägten Entwicklungen entsteht kontinuierlich ein neues Gesamtbild. In diesem Sinne addiert jede Generation ihre Zeitschicht und leistet damit die von der Denkmalpflege eingeforderte Erinnerungsarbeit. Sie tut dies aber nicht in freier, künstlerischer Selbstverwirklichung, sondern auf der Grundlage einer strukturellen Behutsamkeit. Wie hier beispielhaft gezeigt bedeutet dies, dass sich die Intervention aus den jeweils individuellen Strukturen und Motiven des denkmalgeschützten Kontextes entwickelt. Der Eingriff ins Stadtgefüge kann deshalb auch keine individuelle Lösung sein, sondern muss im Konsens unter den Eigentümern durch finanzielle Anreize gefördert oder durch gesetzliche Regelungen erzwungen werden und an ei- ner Mehrheit der Einzelobjekte im Ensemble umgesetzt werden. Nur so kann eine kontinuierliche Entwicklung gewährleistet werden, die behutsam mit den historischen Strukturen umgeht. Und nur so scheint das Superpositionsprinzip Interventionen im historischen Stadtensemble möglich zu machen, welche die Verhinderungshaltung der generellen Behutsamkeit überwinden und zukunftsfähige sowie denkmalverträgliche Entwicklungsperspektiven für die historische Stadt freilegen. Die Beschränkung des Denkmalschutzes auf die strukturelle Behutsamkeit garantiert einerseits weiterhin ihre historische und morphologische Permanenz sowie die funktionale Komplexität und Variabilität der historischen Stadt. Die Superposition andererseits ermöglicht die zeitgenössische, urbane Adaption der denkmalgeschützten Stadt an sich verändernde gesellschaftliche Ansprüche. Literatur ALEXANDER, Christopher (1966): A city is not a tree. In: Design, N0 206, S.1-17 BAERISWYL, Armand (2003): Die ersten Jahrzehnte. In: Schwinges, Rainer (Hg.): Berns mutige Zeit. Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt. Bern BURCKHARDT, Lucius (1985): Die Kinder fressen ihre Revolution. Wohnen – Planen – Bauen – Grünen. Herausgegeben von Barzon Brock. Köln FURRER, Bernhard (2007): Leitsätze zur Denkmalpflege in der Schweiz. Zürich GADAMER, Hans Georg (1990): Wahrheit und Methode. Grundzüge der Hermeneutik. Tübingen HOFER, Paul (1952): Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band 1. 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Wohneinheiten in den Großwohnsiedlungen der osteuropäischen postsozialistischen Länder lebten, ein Anteil von 42 % der Gesamtbevölkerung (IRS, 1994:29). Über den aktuellen Bestand sind nur vereinzelt Angaben verfügbar, so dass die genannten Schätzungen in der Literatur weiterhin verwendet werden. Die Länder Osteuropas stehen bezüglich ihrer Großwohnsiedlungen vor großen Herausforderungen, insbesondere wegen eines hohen baulichen Sanierungsbedarfs. Der vorliegende Beitrag analysiert diese Herausforderungen und diskutiert, ob das Konzept der Behutsamen Stadterneuerung für die Sanierung der Siedlungen Osteuropas eine Rolle spielen kann. Das Konzept der Behutsamen Stadterneuerung In den 1970er Jahren entstand in Berlin eine deutliche Kritik an den vorherrschenden Kahlschlag- bzw. Flächensanierungen. Zu Änderungen der Sanierungspraxis kam es aber erst Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre, nachdem sich in Kreuzberg viele Mieterinitiativen für einen Abrisstop und eine alternative Instandsetzung der sanierungsbedürftigen Altbaubestände eingesetzt hatten und es zu Hausbesetzungen und Straßenschlachten gekommen war. In Berlin wurde 1978 eine Internationale Bauausstellung (IBA) beschlossen, die alternative Leitbilder und Planungen der Stadterneuerung mit einer Wendung zur Innenstadt und zur Verbesserung der vorhandenen Bausubstanz schaffen sollte. Im Zuge der IBA wurden die zwölf Grundsätze zur Behutsamen Stadterneuerung entwickelt, die 1983 vom Berliner Abgeordnetenhaus zustimmend zur Kenntnis genommen wurden. In den zwölf Grundsätzen werden die wichtigsten Aspekte der Behutsamen Stadterneuerung aufgeführt. Betont werden insbesondere die Orientierung von Sanierungen an den Bedürfnissen der Bewohner und deren Beteiligung, die Erhaltung der Bausubstanz und eine mit der Sanierung einhergehende Sozialplanung (Bernt, 2003:34ff; Düwel/Gutschow, 2001:252ff ). Die Entstehung der Behutsamen Stadterneuerung wurde durch eine besondere Akteurskonstellation in Berlin begünstigt. Einen großen Einfluss hatte die IBA, die politische Forderungen der Bewohner Kreuzbergs in fachliche Konzepte umsetzte. Unterstützt wurden die behutsamen Ansätze der IBA vom Kreuzberger Bezirksstadtrat, der selber aus der Mieterbewegung stammte und aufgrund der Berliner Verwaltungsstruktur einen großen Einfluss auf die Stadterneuerung hatte. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Behutsamen Stadterneuerung nahm auch die gut vernetzte Besetzerbewegung ein, die eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit hatte und durch ihre Aktionen den notwendigen politischen Druck aufbaute, Änderungen der Sanierungspraxis zu beschließen. Als weiterer relevanter Akteur traten die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften auf, die einer Einführung des Leitbilds schließlich 227 positiver gegenüberstanden, als dies renditeorientierte Unternehmen getan hätten. Eine weitere Grundlage des Erfolgs waren die für die Stadterneuerung bereitstehenden großen öffentlichen Finanzmittel (Bernt, 2003:63ff). Nach der Wende wurden die Konzepte auch auf die Sanierung ostdeutscher Altbaubestände angewandt (Bernt, 2003:122ff ). Die mit dem Konzept der Behutsamkeit verbundenen Prinzipien sollten in den 1990er Jahren auch bei den sanierungsbedürftigen ostdeutschen Großwohnsiedlungen beachtet werden. Doch durch den hohen Leerstand steht der Grundsatz der Behutsamkeit, die Bausubstanz zu erhalten, in Frage und wurde praktisch in der Erneuerung der Siedlungen nicht mehr befolgt. Als Konsequenz wurden 300.000 Wohnungen im Rahmen des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost abgerissen (BMVBS, 2012:7). Abb. 1 Unsanierte Großwohnsiedlung in IvanoFrankivsk, Ukraine (Quelle: GIZ 2009) Der Bedarf einer Erneuerung von Großwohnsiedlungen in Osteuropa Im Folgenden wird der Bedarf einer städtebaulichen Erneuerung der Großwohnsiedlungen in den osteuropäischen Ländern skizziert. Dabei wird zuerst auf den baulichtechnischen Sanierungsbedarf der Gebäude und anschließend auf den weitergefassten Erneuerungsbedarf in der technischen und sozialen Infrastruktur und im Wohnumfeld der Siedlungen eingegangen. Baulich-technischer Sanierungsbedarf Eine der größten Herausforderungen, vor denen die postsozialistischen Länder bezüglich ihrer Großwohnsiedlungen stehen, ist deren enormer baulich-technischer Sanierungsbedarf (Abb. 1). Sie wurden in industrieller Bauweise, insbesondere der Plattenbauweise errichtet. Die Ausrichtung dieser Bautechnik auf Einfachheit, Schnelligkeit und geringe Kosten führte in den sozialistischen Ländern zur Verwendung 228 unerprobter Materialien und Konstruktionsmethoden und damit zu vielen Siedlungen mangelhafter Qualität (Weeber/Rees, 1997:7f; Wassenberg u. a., 2004:11). Da die Bauwirtschaft im Sozialismus fast ausschließlich auf den Neubau ausgerichtet war, wurde die Instandsetzung von Gebäuden fast komplett vernachlässigt. Mindere Bauqualität, Alterung und mangelhafte Erhaltung führen zu einem hohen Sanierungsbedarf der Großwohnsiedlungen in allen Ländern Osteuropas. Für die ostdeutschen Plattenbauten hat Kalleja (1999:15) festgestellt, dass ein Abriss aufgrund einer mangelhaften Standsicherheit nicht in Betracht gezogen werden muss. Dagegen bewerten Hirt und Stanilov zehn Jahre später (2009:67) den baulichen Zustand mancher Großwohnsiedlungen Osteuropas so negativ, dass die Gefahr eines Zusammenbruchs besteht. Neben baulich-technischen Problemen, wie Feuchtigkeit durch undichte Decken, de- fekter Wasserver- und -entsorgung, beschädigter Fassaden und nicht funktionierender Beleuchtungen, ist besonders ein gravierender Energieverlust zu verzeichnen. Laut Hirt und Stanilov (2009:66f ) verbrauchen die Gebäude durchschnittlich zwei- bis dreimal so viel Heizenergie wie Gebäude in klimatisch vergleichbaren Ländern Westeuropas. Kalleja (1999:4) spricht von einem Einsparungspotential bis zu 60 % im Heizenergiebedarf durch Maßnahmen wie Wärmedämmungen (Abb. 2) und Modernisierungen der Heizungsanlagen. Ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche energetische Sanierung liefert die tschechische Großwohnsiedlung Nový Liskovec in Brno, in der der Heizenergieverbrauch um 65 % gesenkt werden konnte und in der das Warmwasser über eine Brauchwassersolaranlage bereitgestellt wird. Zudem hat man sich dort nicht auf die technische Sanierung beschränkt, sondern den öffentlichen Raum um die Siedlung aufgewertet. Ein weiteres positives Beispiel für eine gelungene energetische Sanierung von Großwohnsiedlungen zeigt das 2006 mit dem Europäischen Solarpreis ausgezeichnete Solanova-Projekt in Ungarn, in dem Energieeinsparungen von 80 % erreicht wurden (Großmann/Kabisch, 2009:232). Großmann und Kabisch (2009:229ff ) beurteilen das Potential von Großwohnsiedlungen für die Adaption und Mitigation der Klimawandelfolgen generell als sehr hoch. Neben den genannten baulichen Maßnahmen können Modernisierungsmaßnahmen durch veränderte Ansprüche der Bewohner notwendig werden. Untersuchungen in Ostdeutschland haben ergeben, dass die Wohnungen den Anforderungen der Bewohner bezüglich Größe und Zuschnitt nicht mehr entsprechen und dies in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einer der häufigsten Gründe für einen Auszug aus Großwohnsiedlungen war. Obwohl Auszüge und Leerstand in den meisten postsozialistischen Ländern Abb. 2 Teilsanierte Großwohnsiedlung mit Wärmedämmung in Ivano-Frankivsk, Ukraine (Quelle: GIZ 2009) keine gravierenden Probleme darstellen, kann aufgrund der ähnlichen Bauweise Unzufriedenheit bei den Bewohnern über ihre Wohnungen entstehen. Kritisiert werden häufig zu geringe Raumgrößen (insbesondere der Kinder- und Schlafzimmer) und ungünstige Grundrisse. Baulich sind Grundrissveränderungen ohne Änderungen der Statik möglich, z. B. durch die Zusammenlegung von nebeneinander oder übereinander liegenden Wohnungen. Allerdings eignen sich solche Modelle eher für Ostdeutschland als für die postsozialistischen Länder, da erst durch Leerstand solche Maßnahmen praktikabel werden (Liebmann, 2004:112; Weeber/ Rees, 1997:11). Wohnumfeld und Infrastruktur Der baulich-technische Sanierungsbedarf ist allerdings nicht das einzige Problem der Großwohnsiedlungen in Osteuropa. Ein Erneuerungsbedarf besteht auch in der Infrastrukturausstattung der Siedlungen sowie in ihren Wohnumfeldern. In den postsozialistischen Ländern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine flächendeckende technische Basisinfrastruktur aufgebaut, die sich heute jedoch häufig in schlechtem Zusstand befindet, da ihre Erhaltung und Instandsetzung jahrelang vernachlässigt wurden. Als außerordentlich problematisch gelten in vielen Ländern, insbesondere in denen außerhalb der EU, eine zuverlässige und saubere Was229 serversorgung, adäquate Sanitäranlagen und die Müllentsorgung. In Weißrussland entsprechen 34 % des Trinkwassers nicht chemischen Standards, in Russland 22 % und in Georgien 15 %. In Weißrussland und Georgien, wie auch in Armenien, Moldawien und der Ukraine ist zudem eine regelmäßige Wasserversorgung nicht gewährleistet (Hirt/ Stanilov, 2009:12 und 97). Die verkehrliche Erschließung der Großwohnsiedlungen ist aufgrund ihrer Lage an den Rändern der Städte für ihre Bewohner immens wichtig. Während sie zur Zeit des Sozialismus als positiv bewertet werden konnte (Liebmann, 2004:116), hat sie sich nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder deutlich verschlechtert. Auf der einen Seite haben die finanziell klammen Gemeinden die Subventionen des ÖPNV zurückgefahren, auf der anderen Seite ist durch einen Anstieg des privaten Pkw-Besitzes ein neuer hoher Bedarf für die Infrastruktur des ruhenden und fließenden Verkehrs entstanden (Hirt/ Stanilov, 2009:65 und 98). Die Ausstattung der Städte mit sozialer Infrastruktur und Möglichkeiten der Nahversorgung erfolgte in den sozialistischen Staaten Osteuropas flächendeckend nach den Grundsätzen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (IRS, 1994:65ff ). Für die heutigen Staaten sehen Dekker und Kempen (2005:39f ) jedoch fast immer einen Mangel an Gesundheits- und Gemeinschaftseinrichtungen sowie an Einkaufsmöglichkeiten. Nach 1990 wurden allerdings vermehrt kleine, häufig informelle Läden eröffnet. Das Wohnumfeld der Großwohnsiedlungen der postsozialistischen Länder ist geprägt durch öffentliche, schlecht erhaltene Freiflächen. Auf private Freiflächen in den Großwohnsiedlungen wurde während des Sozialismus vollständig verzichtet, da das Prinzip der „sozialistischen Lebensweise“ vollständig auf das Leben in Gemeinschaften, wie der Hausgemeinschaft, der Familie oder der 230 Arbeit ausgerichtet war (IRS, 1994:65ff ). Hier könnte in Erneuerungskonzepten angesetzt werden, indem die Freiräume in öffentliche, gemeinschaftliche und private Räume differenziert werden, um so eine spezifische räumliche Identität zu schaffen, die den monotonen Siedlungen häufig fehlt (SpalinkSievers, 2007:26). Die Inwertsetzung und die Pflege der Freiund Grünflächen sind notwendig, um das Lebensgefühl der Bewohner der Siedlungen zu verbessern. Befragungen von Bewohnern haben ergeben, dass die Unzufriedenheit mit dem Wohnumfeld ein wesentlicher Grund für den Auszug aus den Siedlungen sein kann (Liebmann, 2004:113). Das Konzept der Behutsamen Stadterneuerung als Lösung? Die Ausführungen zeigen, dass sowohl ein baulich-technischer Sanierungsbedarf der Großwohnsiedlungen Osteuropas als auch Erneuerungsmaßnahmen in ihrem Umfeld und in ihrer Infrastrukturausstattung notwendig sind. Die auf den Erhalt und die Sanierung von Wohnungsbeständen ausgerichtete Behutsame Stadterneuerung liefert Lösungen für diesen Bedarf. Ob die Behutsame Stadterneuerung als Konzept für eine Erneuerung der Großwohnsiedlungen in Osteuropa ausreichend ist, kann damit aber noch nicht beantwortet werden. Auf der einen Seite muss überprüft werden, ob es Entwicklungen und Rahmenbedingungen in Osteuropa gibt, für die die Behutsame Stadterneuerung keine Lösungen hat, und auf der anderen Seite muss untersucht werden, ob die Voraussetzungen für die Einführung des Konzeptes der Behutsamen Stadterneuerung in Osteuropa gegeben sind. Im Folgenden wird zuerst auf soziodemographische Entwicklungen in Osteuropa eingegangen, die einen Einfluss auf die Nachfrage nach Wohnraum haben. Danach werden die für die Sanierung der Großwohnsiedlungen relevanten Akteure untersucht, da sich bei der Entstehung des Konzepts der Behutsamen Stadterneuerung die Akteurskonstellation aus engagierten Mieterinnen und Mietern der Wohnungen, der lokalen Politik und Stadtplanung sowie den kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin als Erfolgsfaktor gezeigt hat. Zuerst wird auf die Bewohner, die in Osteuropa zugleich die Eigentümer der Wohnungen sind, eingegangen. Anschließend werden die Stadtplanung und die für die behutsame Erneuerung wichtigen Möglichkeiten der Beteiligung der Bewohner und der Finanzierung von Sanierungen diskutiert. Soziodemographische Trends und der Bedarf an Wohnraum Die ostdeutschen Großwohnsiedlungen wiesen in den letzten 20 Jahren einen hohen Leerstand auf. Der Grundsatz der Behutsamen Stadterneuerung, die Bausubstanz zu erhalten, wurde deshalb im Rahmen der Erneuerung der Siedlungen nicht mehr durchgehend befolgt. Die Ursachen für den Leerstand liegen im demographischen Wandel und im Wegzug der Bevölkerung. Die osteuropäischen Länder sind ebenfalls von einem demographischen Wandel mit einem Rückgang und einer rasanten Alterung der Bevölkerung betroffen. Im Untersuchungsraum liegen allerdings unterschiedliche Entwicklungen des städtischen und ländlichen Wachstums der Bevölkerung vor, die von einer „schnellen Urbanisierung“ mit einem städtischen Wachstum von sechs bis elf Prozent bis zu einem „schnellen Rückgang“ mit einer Abnahme der Bevölkerung von 6,5 bis 18 % sowohl bei der ländlichen als auch bei der städtischen Bevölkerung reichen (Abb. 3). Die unterschiedlichen Urbanisierungstendenzen sowie die langfristig sinkende Bevölkerung führen zu einer differenzierten Nach- Abb. 3 Typen von Ländern nach ihrer Bevölkerungsentwicklung (Grafik: F. Beran nach Hirt/Stanilov 2009:18ff ) 231 frage an Wohnraum. Die genauen Auswirkungen auf die Nachfrage an Wohnungen in Großwohnsiedlungen lassen sich allerdings schwer einschätzen, da es bisher wenige Untersuchungen dazu gibt (aktuell forscht das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zu diesem Thema im Projekt „Polnische und deutsche Großwohnsiedlungen gestern, heute und morgen“, vgl. UFZ, 2012). In den Ländern mit einer stark zurückgehenden Bevölkerung (z. B. Rumänien, Ukraine) könnten sich die Wohnungsmärkte, die heute einen hohen Druck aufweisen, entspannen. Die Erfahrungen in Ostdeutschland zeigen demgegenüber, dass sinkende Bevölkerungszahlen zu Leerstand und damit u. a. zu Problemen der Kommunen in der Infrastrukturausstattung der Siedlungen führen können. In den postsozialistischen Ländern existiert bis jetzt so gut wie kein Wohnungsleerstand. Annegret Haase (2012:3ff ) stellt beispielsweise für Polen fest, dass trotz hoher Bevölkerungsverluste bisher Wohnungsleerstände kaum eine Rolle spielen und dass sogar in den Großwohnsiedlungen weiter verdichtet wird. Als Ursache sieht sie den weiterhin angespannten Wohnungsmarkt, da seit dem Zusammenbruch des Sozialismus nur wenige Wohnungen gebaut wurden. Allerdings gibt es aufgrund der Eigentümerstrukturen (siehe unten) nur wenige Untersuchungen zum Leerstand. Zumindest für einige Länder Mittel- und Osteuropas wird ein „verdeckter Wohnungsleerstand“ vermutet, der durch die Abwanderung von Wohnungsbesitzern entsteht, die ihren vorher selbstgenutzten Wohnraum aber aufgrund einer zu geringen Nachfrage nicht vermieten oder veräußern können (Weidner u. a., 2010:17). Die mit dem demographischen Wandel einhergehende Alterung der Bevölkerung hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach der Wohnform. Der erhöhte Bedarf an barrierefreiem Wohnraum, der den Bewohnern eine möglichst lange Selbstständigkeit gewährt, kann auch in Großwohnsiedlungen, bei232 spielsweise durch den Einbau von Aufzügen und Rampen, erreicht werden, wie Beispiele in Deutschland zeigen (BMVBS, 2009). Das Konzept der Behutsamen Stadterneuerung hat – wie es die Erfahrungen in Deutschland illustrieren – zumindest für einen umfangreicheren Leerstand wenige Lösungsansätze. Solange aber die Wohnungsnachfrage in Osteuropa groß genug bleibt, spricht diese Entwicklung nicht gegen eine behutsame Erneuerung der Großwohnsiedlungen. Bewohner und Eigentumsverhältnisse Zur Entstehung des Konzepts der Behutsamen Stadterneuerung haben die Bewohner der sanierungsbedürftigen Wohnungen und Gebäude in Kreuzberg über Mietervereine, Proteste und Hausbesetzungen einen entscheidenden Anteil beigetragen. Bei den Bewohnern handelte es sich in erster Linie um Mieter, die vor Mieterhöhungen Angst hatten. In den postsozialistischen Ländern Osteuropas wurden während der Transformationsphase fast alle Wohnungen in Großwohnsiedlungen privatisiert. Gekauft wurden die Wohnungen fast immer von den Bewohnern zu sehr geringen, teilweise symbolischen Preisen (Clapham/Kintrea, 1996:177f; Murie u. a., 2005:90). Die Eigentumsstrukturen haben sich dadurch gravierend geändert (Abb. 4). Heute können die osteuropäischen Länder, die im Vergleich zum EU-Durchschnitt von 62 % sehr hohe Privateigentumsanteile haben, als „Nationen von Wohnungseigentümern“ bezeichnet werden (Tsenkova, 2003:199). Eine Ausnahme bildet Polen, in dem sich die meisten Großwohnsiedlungen weiterhin im Eigentum von Genossenschaften befinden (Clapham/Kintrea, 1996:178). Private oder kommunale Wohnungsunternehmen, die in der Behutsamen Stadterneuerung ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen, haben für die Großwohnsied- Abb. 4 Anteile der Wohnungen in Privatbesitz in ausgewählten Ländern Osteuropas. Soweit nicht verzeichnet, liegen keine Daten für die Jahre 1989/90 vor. (Grafik: F. Beran nach Tsenkova 2003:199; Durmanov/Dubbeling 2004: 210; Weltbank 2006:16) lungen in Osteuropa eine geringe Bedeutung (Weidner u. a., 2010:17). Das private Eigentum an Wohnraum bietet in westeuropäischen Ländern häufig Schutz vor Armut. In den Ländern Osteuropas kann dies allerdings nicht festgestellt werden. Private Wohnungseigentümer unterliegen dort in etwa den gleichen Risiken wie andere Bevölkerungsteile, von Armut betroffen zu sein (Mandic, 2010:224). Zudem führt der hohe Anteil von Eigentumswohnungen am Wohnungsbestand von Großwohnsiedlungen zu Schwierigkeiten bei ihrer Sanierung. In manchen Ländern Osteuropas wurde die Zuständigkeit für die Erhaltung und Modernisierung bis jetzt nicht rechtlich festgelegt, in anderen Ländern, wie Bulgarien, Litauen und Lettland, sind die einzelnen Wohnungen im Privateigentum, aber die Kommunen besitzen noch den Boden und/oder Teile der Gebäude wie die Außenhülle, die Keller und die Treppenhäuser (Tsenkova, 2003:199; Weltbank, 2004:1). Auch wenn die Zuständigkeit rechtlich bei den privaten Wohnungseigentümern liegt, ist das Management der Siedlungen häufig schwierig, weil bisher nur ein kleiner Teil der Bewohner in Eigentümergemeinschaften organisiert ist. Im Gegensatz zu den beschriebenen Eigentumsverhältnissen handelt es sich bei den im Rahmen der Behutsamen Stadterneuerung durchgeführten Sanierungen in Deutschland in erster Linie um Wohnungsbestände kommunaler Wohnungsbaugesellschaften und bei den Bewohnern um Mieter. Eine Übertragung der Ansätze der Behutsamen Stadterneuerung reicht also an dieser Stelle nicht aus. Als grundlegende Voraussetzung für Sanierungsmaßnahmen werden handlungsfä233 hige Wohnungsmanagementstrukturen gesehen (Liebmann, 2006:222f ). Aufgrund der hohen Privateigentumsanteile bietet sich die Einrichtung von Wohnungseigentümergemeinschaften an. Obwohl in fast allen Ländern Osteuropas während der Transformation hierfür die rechtlichen Grundlagen geschaffen wurden, hat sich die Einführung der Gemeinschaften aus organisatorischen, institutionellen und finanziellen Gründen als schwieriger Prozess erwiesen (UNECE, o.J.:5). Zudem haben sich in den Fällen, in denen Eigentümergemeinschaften gegründet worden sind, häufig die gesetzlich festgelegten Zustimmungsquoten für Sanierungsmaßnahmen als zu hoch erwiesen. Einige Länder, z. B. die baltischen Staaten und Polen, haben mittlerweile ihre Gesetze geändert, so dass einfache Mehrheiten für den Beschluss einer Sanierung ausreichen (Weltbank, 2004:2; Wollschläger, 2007:46). Segregationstendenzen und Bewohnerzufriedenheit Die osteuropäischen Staaten unterliegen seit Beginn der Transformation und verstärkt seit etwa der Jahrtausendwende Trends der Stadtentwicklung, die westeuropäische Staaten bereits länger beschäftigen. Dazu zählen Suburbanisierungs-, Segregationsund Gentrifizierungsprozesse, die sich z. B. in der Entwicklung von gated communities zeigen. Aber im Gegensatz zu den westeuropäischen weisen die osteuropäischen Großwohnsiedlungen weiterhin eine gute soziale Durchmischung auf, da die Wohnungen während des Sozialismus nicht nach Preisen, sondern staatlich verteilt wurden (Liebmann, 2006:215; Temelová, 2011:1813f; Hegedüs/Tosics, 1996:37). Allerdings scheint auch für die Großwohnsiedlungen eine Gefahr der Segregation zu bestehen. Aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass bei einer freien Wohnungswahl zwischen freistehenden Einfamilienhäusern, renovierten Gebäuden in den inneren Städten und renovierten Großwohnsiedlungen letztere am wenigsten gewünscht sind. Allerdings kann 234 eingeschränkt werden, dass Großwohnsiedlungen in Städten, in denen hohe Anteile an dieser industriellen Bauweise vorherrschen, z. B. in St. Petersburg oder Sofia, weniger stark abgelehnt werden als in den anderen Untersuchungsstädten. Zudem zeigen sich diese Wohnwünsche noch nicht im tatsächlichen Umzugsverhalten der Bewohner, da sie weiterhin eine geringe Wohnmobilität aufweisen. Verstärkt wird die geringe Wohnmobilität durch die beschriebenen hohen Privateigentumsanteile und weiterhin angespannten Wohnungsmärkte (Brade u. a., 2009:235ff). Diesen Wohnwünschen steht eine weiterhin recht hohe Wohnzufriedenheit der Bewohner der Großwohnsiedlungen gegenüber. Als die Siedlungen gebaut wurden, galten sie als geräumig und modern und boten im Vergleich zum alten Wohnbestand eine hohe Wohnqualität (Dekker u. a., 2005:3). Heute gibt es zwar differenziertere Meinungen zu dieser Wohnform, sie erfährt aber weiterhin eine relativ große Akzeptanz (Liebmann, 2006:219). Negativ beeinflusst werden kann das Image der Siedlungen allerdings durch ihre objektive und subjektive Sicherheitslage. Das Beispiel der Großwohnsiedlung Wrzeciono in Warschau (Polen) zeigt, dass auch in Osteuropa vereinzelte Großwohnsiedlungen große Sicherheitsprobleme – hier durch Drogen- und Alkoholprobleme, Diebstähle und Überfälle – aufweisen, die zu Angst bei anderen Bewohnern und zu einem schlechten Image in der Öffentlichkeit führen (Dekker/Kempen, 2005:40ff ). Allerdings hat bisher noch kein Wechsel des Images der Siedlungen von einer bevorzugten Wohnform zu einer negativ beurteilen – im Gegensatz zu Westeuropa – stattgefunden (Hall u. a., 2005:78). Die Wohnzufriedenheit sowie die Bindung der Bewohner an ihren Wohnort können durch Sanierungen positiv beeinflusst werden, wie eine als Intervallstudie durchgeführte Bewohnerbefragung in der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau zeigt (Großmann/Kabisch, 2009:230). Ein Grundsatz der Behutsamen Stadterneuerung ist die Einbeziehung sozialer Pläne in die Konzepte der Sanierung. Die Ausweisungen von Sanierungsgebieten während der Flächensanierungen der 1970er Jahre in Deutschland lösten Abwärtsspiralen für die betroffenen Gebiete aus, da die Wohnungsbesitzer einen Abriss voraussahen und nicht mehr in ihren Bestand investierten, wodurch der Bestand verfiel und es zu Wegzügen Besserverdienender und damit zu Segregation kam (Bernt, 2003:38f ). Eine Berücksichtigung sozialer Komponenten in den Sanierungen ist in Osteuropa ebenfalls aufgrund der Zunahme der Segregation und den generell seit 1990 wachsenden sozialen Problemen in der Bevölkerung notwendig (Tosics, 2004:11). Stadtplanung Das politische und planerische System war während des Sozialismus stark zentralistisch und hierarchisch geprägt. Die Stadtplanung diente in erster Linie der Umsetzung übergeordneter staatlicher Pläne, die häufig durch die Wirtschaftsplanung dominiert wurden. Großwohnsiedlungen wurden im großen Maßstab in bestehenden oder neuen Städten errichtet, die zu wirtschaftlichen Zentren aus- bzw. neugebaut wurden (Brade u. a, 1998:58; Tosics, 2004:9). Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten um 1990 kam es in allen Ländern – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß – zu einer Dezentralisierung, einer Liberalisierung und einer Deregulierung des politischen, administrativen und ökonomischen Systems. Die Städte erhielten eine größere politische Macht und mehr Zuständigkeiten im Bereich der Stadtplanung. Trotzdem gestaltete sich insbesondere in den 1990er Jahren die Stadtplanung als sehr schwierig für die Kommunen. Zum einen stand die Planung generell als unerwünschtes Überbleibsel des Sozialismus in der Kritik, zum anderen fehlte es an finanziellen Mitteln und qualifiziertem Personal, das den neuen Ansprüchen an die Planung genügte. Negativ wirkten sich zudem eine institutionelle Desorganisation und eine fehlende Regionalplanung aus (Hall u. a., 2005:79; Hirt/ Stanilov, 2009:2ff ). Seit dem Jahr 2000 etwa wurde die Stadtplanung insbesondere durch eine Verbesserung der institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen gestärkt. In Russland zeigte sich dies beispielsweise über die Verabschiedung von etwa 200 neuen Masterplänen für die Städte, die vorher noch mit Plänen aus der Zeit vor 1990 gearbeitet hatten (Hirt/Stanilov, 2009:27). In den zentralund osteuropäischen Staaten, die 2004 der EU beitraten, fanden die politischen Transformationen im Rahmen der EU-Osterweiterung schneller statt als in den anderen postsozialistischen Staaten. Spezielle Gesetze für die Stadterneuerung, die damit einen rechtlichen und planerischen Rahmen für die Sanierung der Großwohnsiedlungen geben könnten, gibt es laut Liebmann allerdings in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas nicht. Zudem würde „den Großwohnsiedlungen in der Stadtentwicklungsplanung oft nur eine nachrangige Bedeutung beigemessen“ (Liebmann, 2006:216). Hirt und Stanilov (2009:121f ) sehen dagegen in den EU-Mitgliedern und EU-Beitrittsländern eine stärkere Umsetzung von Sanierungsvorhaben von Großwohnsiedlungen. Auch Neugebauer u. a. (2001:33f ) weisen auf eine gestiegene Bedeutung des Themas der Sanierung von Großwohnsiedlungen auf der lokalen und der nationalen Ebene seit Anfang der 2000er Jahre hin. Als Belege führen sie die Einführung nationaler Förderprogramme für die Sanierung von Großwohnsiedlungen wie 2005 in Ungarn und 2004 in Litauen an. Das in Russland 2007 eingeführte Förderprogramm für Sanierungen beurteilen sie dagegen kritischer, da es nicht explizit für Großwohnsiedlungen der 1970er bzw. 1980er Jahre ausgeschrieben ist. Die Förderprogramme sind für die Finanzierung 235 von Sanierungen entscheidend und werden weiter unten noch einmal aufgegriffen. Beteiligung Eines der wesentlichen Prinzipien Behutsamer Stadterneuerung ist die Beteiligung der Bewohner an der Planung und der Umsetzung der Sanierungsvorhaben. In dreien der zwölf Grundsätze der Stadterneuerung wird die Bedeutung der Beteiligung betont. Durch die beschriebenen Eigentümerstrukturen ist eine Sanierung der Großwohnsiedlungen in Osteuropa ohne eine Beteiligung oder sogar einen Beschluss der Bewohner (falls das Management der gesamten Gebäude von den Kommunen an eine Wohnungseigentümergemeinschaft übergeben wurde) gar nicht möglich. Da den Kommunen in Stadterneuerungsprozessen eine wesentliche Rolle zukommt (z. B. als Initiatoren der Erneuerung, in der Finanzierung, in der Wohnumfeld- und Infrastrukturgestaltung), sind die Voraussetzungen für Beteiligungsprozesse in Osteuropa zu untersuchen. Im Sozialismus gab es zwar offiziell einen Anspruch auf Partizipation in der Stadtplanung, dem aber in der Realität nicht entsprochen wurde. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurden zwar in fast allen postsozialistischen Staaten Gesetze eingeführt, die eine Beteiligung in Planungsprozessen vorschreiben, doch in der Planung werden sie häufig noch nicht umgesetzt (Hirt/Stanilov, 2009:53). Ursachen hierfür sind die genannte kritische Stellung der Planung, das für die Anwendung partizipatorischer Instrumente nicht ausgebildete Personal und die Tatsache, dass die Bürger keine Partizipation gewohnt sind. In einigen Transformationsländern wird zudem die geringe Partizipation der Bürger mit der urban regime theory erläutert (z. B. in Russland). In diesen Ländern gibt es stabile Koalitionen von privaten Akteuren mit Einfluss auf die Stadtpolitik und institutionellen Einrichtungen, die als „urbane Regime“ nur ein ge236 ringes Interesse an Partizipation haben, da sie ihre Macht sichern wollen (Hirt/Stanilov, 2009:59). Der große Einfluss privater Interessen auf die Planung wird aber nicht nur negativ gesehen. So können (informelle) Vereinbarungen zwischen Kommunen und privaten Investoren funktionieren und damit auch eine Chance für die Stadtentwicklung bieten (Weidner u. a., 2010:18f ). Die EU-Mitgliedsländer Osteuropas sind im Grad und in der Auswahl von Instrumenten der Beteiligung weiter als die anderen postsozialistischen Staaten. Sie haben begonnen, integrative Ansätze der Planung in ihre Politik aufzunehmen und auch informelle Planungsinstrumente, z. B. Stadtentwicklungskonzepte, anzuwenden. Allerdings ist die Anwendung einer integrativen Stadtplanung eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme europäischer Fördermittel und von daher nicht überzubewerten (Scott/Kühn, 2012:1094; Weidner u. a., 2010:14ff ). Einen hohen Grad an Beteiligung in Stadterneuerungsprozessen in Osteuropa zu erreichen, erfordert also noch einiges Bemühen aller relevanten Akteure. In Deutschland ist der hohe Beteiligungsgrad der Behutsamen Stadterneuerung eines der bedeutendsten Ergebnisse der sozialen Protestbewegung der 1970er und 1980er Jahre in Berlin. Seitdem wurden in der Behutsamen Stadterneuerung umfangreiche Erfahrungen mit verschiedenen Beteiligungsinstrumenten gesammelt, die auch für Osteuropa interessant sind. Finanzierung Baulich-technische Sanierungen sind häufig günstiger als der Neubau von Wohnungen und deshalb anzustreben (Köhler, 2005:55). Der Finanzbedarf für die Sanierung von Großwohnsiedlungen in Osteuropa wird insgesamt aber so hoch geschätzt, dass er von manchen Autoren als unmöglich zu decken angesehen wird (Tsenkova, 2003:202). Die Sanierungen können über eine Kombination aus Eigenkapital, Fremdkapital und staatlichen Subventionen finanziert werden. In den westlichen Ländern nimmt dabei das Fremdkapital mit 60 bis 80 % den größten Teil der Investitionen ein. Durch Eigenkapital werden gewöhnlich zwischen 15 und 25 % der Investitionen finanziert. Der Anteil der staatlichen Wohnungssubventionen kann stark schwanken und beispielsweise in Deutschland beim sozialen Wohnungsbau bis zu 15 % betragen sowie bei energetischen Modernisierungen noch darüber hinausgehen (BMVBS/BBR, 2007:19). Da sich die Wohnungen der Großwohnsiedlungen in Osteuropa größtenteils im Privateigentum befinden, bestimmt der finanzielle Spielraum der Bewohner den möglichen Eigenanteil für die Sanierungen. Auch wenn die Bewohner keine Miete zahlen müssen, stellt sich ihre finanzielle Situation häufig schlecht dar. Die seit Beginn der Transformation gestiegenen Unterhaltskosten, insbesondere für Heizen, Elektrizität, Wasser und Abwasser, haben eine Verschlechterung des Verhältnisses der Wohnkosten zum Einkommen bewirkt. In Ungarn können beispielsweise 20 % aller Haushalte die Ausgaben für Wohnen nicht mehr regelmäßig bezahlen. Tosics (2004:10f ) schätzt, dass der Anteil der Bewohner in Großwohnsiedlungen noch höher ist. Die Finanzierung von Sanierungen über das Eigenkapitel der Einzelbesitzer wird aufgrund ihres geringen Zahlungspotentials als nicht durchführbar beurteilt (Weidner u. a., 2010:13). Fremdkapital bietet eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für Sanierungen, die jedoch durch die langsame Entwicklung der Finanzmärkte in den postsozialistischen Ländern erschwert wird (UNECE, 2005:1). Beispielsweise spielen in Russland Kreditfinanzierungen bei Sanierungen nur eine geringe Rolle. Der Aufbau eines Hypothekenmarktes ist zwar zu verzeichnen, und die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau wurden verbessert, aber aufgrund der hohen Inflationsraten sind die Zinsen für Hypotheken sehr hoch (BMVBS/BBR, 2007:19f). Zudem ist es für die Eigentümergemeinschaften bzw. Bewohner schwierig, Kredite auf dem Kapitalmarkt zu erhalten. Dafür benötigen sie Sicherheiten, wie ein größeres Vermögen oder den Nachweis der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Zahlungsansprüche gegenüber den einzelnen Eigentümern, über die sie nicht verfügen. Kommunen können ihnen Sicherheiten ermöglichen, indem sie beispielsweise für die Eigentümergemeinschaften bürgen. Allerdings würden von den Eigentümergemeinschaften zu Marktkonditionen aufgenommene Kredite zu einer Mehrbelastung für die Haushalte durch Zinsen und Tilgungen führen, die sich nur ein sehr geringer Teil der Haushalte leisten könnten (BMVBS/BBR, 2007:22f und 45ff ). Die Schwierigkeiten der Eigentümer, die Sanierungen zu finanzieren, können durch staatliche Subventionen gemindert werden. Es können beispielsweise Fonds eingerichtet werden, aus denen Teile der Sanierungen direkt bezahlt werden. Wie bereits geschildet, haben viele Staaten mittlerweile solche Förderprogramme beschlossen. Trotzdem werden bisher wenige Sanierungsprojekte umgesetzt. Teilweise ist die finanzielle Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer so gering, dass sie die notwendigen Aufstockungen der Fördermittel nicht leisten können. Zudem verhindern weiterhin ungeklärte Management- und Eigentumsverhältnisse die Sanierungen (Weidner u. a., 2010:14). Die Behutsame Stadterneuerung steht heute in Deutschland auch in Frage, weil es an finanziellen Mitteln der Kommunen fehlt, die Sanierungen in dem gleichen Maße wie noch in den 1980er und 1990er Jahren zu unterstützen. Vor dem gleichen Problem stehen die osteuropäischen Kommunen, die ebenfalls finanziell sehr schwach ausgestattet sind (Weidner u. a., 2010: 15f; Haase, 237 2012: 7; Neugebauer u. a., 2011: 40). Auch wenn die Behutsame Stadterneuerung keine Lösung für die große Differenz zwischen dem gesamten Finanzierungsbedarf und den vorhandenen Finanzmitteln für Sanierungen hat, liefert sie mit ihrem Grundsatz, stufenweise zu erneuern, eine gute Möglichkeit, die Kosten für Sanierungen über einen längeren Zeitraum zu dehnen. Über die genannten Vorschläge hinaus ist eine asymmetrische Förderung sinnvoll, die finanzielle Mittel für einzelne Haushalte in Abhängigkeit von ihrem Einkommen bereitstellt. Beispielsweise gibt es in Litauen einen staatlichen Fonds für die Sanierung von Großwohnsiedlungen, der Familien mit geringen Einkommen bis zu 100 % unterstützt (Weidner u. a., 2010:47). Schlussfolgerungen Die Großwohnsiedlungen der postsozialistischen Länder Osteuropas weisen einen hohen Erneuerungsbedarf auf. Viele Autoren sehen die Entwicklung der Siedlungen als Abwärtsspirale sich überlagernder Verfallsprozesse, die sich gegenseitig beeinflussen und bedingen (u. a. Dekker/Kempen, 2005:43; Liebmann, 2006:222). Baulichtechnische Mängel und schlecht erhaltene Wohnumfelder führen zu einer sinkenden Bewohnerzufriedenheit und zu einem negativeren Image. Dies kann Segregationsprozesse auslösen, da einkommensstarke Haushalte fortziehen. Der Anteil der Haushalte mit geringem Einkommen an der Bewohnerschaft steigt, die sozialen Probleme intensivieren sich und das Image verschlechtert sich weiter. Die genannten Probleme treten in fast allen postsozialistischen Staaten auf, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Es bestehen Unterschiede zwischen den geographischen Regionen (z. B. Zentral- und Osteuropa und Südosteuropa), innerhalb der Regionen, innerhalb der Länder und sogar innerhalb 238 der Städte. Konzepte für die Sanierung von Großwohnsiedlungen können somit nicht vollständig übernommen werden, sondern müssen für einzelne Großwohnsiedlungen und ihre spezifischen Bedingungen angepasst werden. Die Behutsame Stadterneuerung liefert viele gute Ansatzpunkte für eine Sanierung der Großwohnsiedlungen Osteuropas, auch wenn ihr grundsätzlicher Erhalt nicht in Frage steht, da sie einen geringen Leerstand, eine weiterhin relativ hohe Bewohnerzufriedenheit aufweisen und die vorhandenen Besitzstrukturen und fehlenden Finanzmittel für einen großmaßstäblichen Wohnungsneubau einem Abriss entgegenstehen. Für die Sanierung der Großwohnsiedlungen sind die Zusammenarbeit der Kommunen mit den Bewohnern und Eigentümergemeinschaften und die Beteiligung aller Akteure am Planungsprozess von hoher Bedeutung. Die Erneuerungskonzepte sollten aufgrund der steigenden sozialen Probleme und den beginnenden Segregationsprozessen soziale Planungen berücksichtigen. Die Stärken Behutsamer Stadterneuerung können hierbei genutzt werden. Die Erfahrungen aus der Behutsamen Stadterneuerung können allerdings nicht eins zu eins auf die Länder Osteuropas übertragen werden. Einer der ersten Schritte vor Sanierungen muss aufgrund der komplexen Eigentümerstrukturen die Klärung der Zuständigkeiten und des Managements der Siedlungen sein. Eigentümergemeinschaften bieten sich aufgrund der hohen Privateigentumsanteile für gewöhnlich als Managementform an. Die Behutsame Stadterneuerung bietet zudem keine Lösung für die Differenz zwischen dem riesigen Finanzbedarf für Sanierungen und dem Zahlungspotential der Eigentümer und Kommunen. Mit der Forderung nach einer schrittweisen Umsetzung einzelner Sanierungsmaßnahmen liefert sie aber zumindest einen Ansatz, diesen Finanzierungsproblemen entgegenzu- treten. Die Lösung einzelner Probleme wie beispielsweise der Heizungsaustausch wird allerdings die sich überlagernden Verfallsprozesse der Großwohnsiedlungen nicht beenden. Notwendig sind darüber hinausgehende integrierte Erneuerungskonzepte, um die Abwärtsspirale der Siedlungen zu durchbrechen und damit nachhaltig einen qualitativ hochwertigen Wohnraum für viele Menschen in Osteuropa sicherzustellen. Behutsamkeit sollte bei diesen integrierten Ansätzen im Vordergrund stehen. Literatur BMVBS (Hg.) (2012): 10 Jahre Stadtumbau Ost – Berichte aus der Praxis. Berlin József; Kintrea, Keith (Hg.): Housing privatization in Eastern Europe. Westport, Conn. u. a., S. 15-39 BMVBS (Hg.) (2009): Energetische Sanierung von Großwohnsiedlungen auf der Grundlage von integrierten Stadtentwicklungskonzepten. Berlin HIRT, Sonia; STANILOV, Hiril (2009): Twenty Years of Transition: The Evolution of Urban Planning in Eastern Europe and the Former Soviet Union, 1989-2009. In: UN-HABITAT (Hg.): Human Settlements Global Dialogue Series, Heft 5. BMVBS/BBR (Hg.) (2007): Konzeption zur Sanierung und Modernisierung eines Wohngebäudes in Plattenbauweise in St. Petersburg. 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Er war dort erfolgreich, wo er soziale, politische, wirtschaftliche, ökologische und denkmalpflegerische Interessen zusammenbrachte. Die Grenzen der Behutsamkeit liegen – so die These dieses Beitrags – zum einen in exogenen Rahmenbedingungen und zum anderen in endogenen Konflikten. Zu den Rahmenbedingungen gehört, dass sich die behutsame Stadtentwicklung gegen ökonomische Interessen kaum durchsetzen lässt. Im globalen Zusammenhang ist dies in urbanen Kontexten unter hohem Flächenverwertungsdruck zu beobachten– insbesondere wenn eine Tradition in der Wertschätzung baulichen Erbes und sozialer Strukturen nicht ausgeprägt ist. Neben den exogenen Rahmenbedingungen ist die Behutsamkeit in der Praxis aber auch durch endogene Konflikte an ihre Grenzen gestoßen: Es wird zunehmend schwieriger, Konflikte zwischen den begriffsimmanenten Ansprüchen der sozialen, baulich-funktionalen und ökologischen Behutsamkeit auszuhandeln. Dies zeigt sich sowohl in Deutschland, einem Industrieland mit fundierten Erfahrungen in der behutsamen Stadterneuerung, als auch in dem Schwellenland Brasilien, dessen vergleichsweise marginale Stadterneuerungspraxis von der Bekämpfung des Wohnungsdefizits geprägt ist. Der Beitrag zeigt stellvertretend anhand der Situationen in diesen beiden Ländern auf, welche typischen Konfliktfelder sich in sehr unterschiedlichen Beständen abzeichnen und welche Rolle grundsätzlich ähn- liche Wertesysteme und Demokratie dabei spielen. Abschließend wird erörtert, unter welchen Voraussetzungen die Ansprüche der Behutsamkeit als Grundpfeiler einer nachhaltigen Stadtentwicklung zukunftsfähig sind. Facetten der Behutsamkeit Das Wort „Behutsamkeit“ ist aus der Mode gekommen. Der Begriff „Stadterneuerung“ beinhaltet für Planerinnen und Planer im deutschsprachigen Raum heute implizit – auch ohne den Zusatz „behutsam“ – den Anspruch der Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Rücksicht, Geduld, Prozessorientierung, Mitwirkung – kurz all jenes, was sie in der Kahlschlagsanierung vermissten. Behutsame Stadterneuerung ist die Antithese zu brutalen „großen Würfen“, die immer gegen Interessen – von Mächtigen und Ohnmächtigen – durchgesetzt werden müssen. Brutale Eingriffe sind nicht konsensfähig. Behutsamkeit dagegen – auch das schwingt implizit in dem Begriff mit – baut auf Konsens. Abb. 1 Befragung von Bewohnern einer Favela in Fortaleza im Rahmen von Planungen für eine behutsame Erneuerung (Foto: A. Nelle ) 241 Demokratische Stadtentwicklung ist auf die Unterstützung eines breiten Spektrums von Akteuren und Interessen angewiesen. In diesem Kontext verspricht Konsens einer Top-down-Brutalität überlegen zu sein. Grob umrissen umfasst die behutsame Stadterneuerung die gleichzeitige Berücksichtigung dreier Ansprüche: • soziale Behutsamkeit, das betrifft den Umgang mit Bewohnern, sozialen Beziehungen und die Gestaltung des Erneuerungsprozesses; • baulich-funktionale Behutsamkeit, das heißt den behutsamen, auf Bestandserhalt ausgerichteten Umgang mit gebauten und funktionalen – insbesondere historischen – Strukturen und • ökologische Behutsamkeit, was eine Bandbreite von Facetten beinhaltet: vom Umgang mit bzw. der Bereitstellung von Freiflächen und Begrünung über den Ressourcen schonenden Einsatz von Materialien bis zur energetischen Sanierung. Diese Zusammensetzung sicherte der Strategie der Behutsamkeit über viele Jahre die Unterstützung diverser Interessengruppen. In Deutschland identifizierten sich konservative Vertreter der Denkmalpflege ebenso damit wie Hausbesetzer und „Ökos“. Für regierende Politiker versprach die behutsame Stadterneuerung einerseits die Konfliktbefriedung und andererseits die Einlösung von Bestrebungen zur Demokratisierung und Dezentralisierung von Planungsprozessen. Letzteres spielte in Brasilien ab den 1980er Jahren eine entscheidende Rolle (Cardoso/ Ribeiro, 2006:15). Auch die Wirtschaftlichkeit der Kahlschlagsanierung wurde in Deutschland ab Mitte der 1970er Jahre zunehmend in Frage gestellt (Becker, 1991:90; Herlyn 1991:178). In Brasilien wurde ebenfalls kritisiert, dass die Bekämpfung des Wohnungsdefizits durch das Beräumen besetzter Grundstücke und die Umsiedlung der Bewohner in Neubau242 Abb. 2 Verlegung von Entwässerungsleitungen in einer Favela in São Paulo als behutsame Maßnahme zur Verbesserung der technischen Infrastruktur (Foto: A. Nelle) siedlungen an der Peripherie nicht nur unsozial, sondern auch ineffektiv sei. Mit der Auflösung des Planungsmonopols der Banco Nacional de Habitação und der Demokratisierung des Landes ab 1988 verschob sich der Fokus vom staatlichen Siedlungsneubau auf die Entwicklung von Alternativen (Cardoso, 2006:78). Dazu gehörte u. a. die Urbanisierung informeller Siedlungen (urbanisação de bairros e favelas), die als behutsame Stadterneuerung bezeichnet werden kann: Es geht um eine bedachtsame technische, städtebauliche und rechtliche Regulierung unter Mitwirkung der Bewohner. Quartiersentwicklung soll im Konsens mit den Bewohnern umgesetzt werden. (Abb. 1 u. 2) Vorraussetzungen für Behutsamkeit: exogene Rahmenbedingungen Der Optionsraum für behutsame Stadterneuerungsansätze wird durch gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen strukturiert. Die Anerkennung und Wertschätzung der drei oben genannten Behutsamkeitsaspekte sind gesellschaftlich-politische Voraussetzungen für bedachtsame Stadterneuerung. Das Verständnis, dass Sozialräume die Stadt konstituieren und einen Anspruch auf Erhalt haben, hat sich sowohl in Deutschland als auch in Brasilien langsam im Rahmen von Demokrati- sierungsprozessen entwickelt. Ebenso etablierte sich eine gesellschaftliche und politische Wertschätzung existierender Stadtstrukturen durch eine öffentliche Diskussion über Identität und Baukultur. Aber nur wenn ökonomische Interessen im Einklang – oder zumindest nicht im Konflikt – mit den Ansprüchen der behutsamen Stadterneuerung stehen, lässt sie sich auch umsetzen. Sowohl in Deutschland als auch in Brasilien war die Anzweiflung der Wirtschaftlichkeit der Kahlschlagsanierungen eine wichtige Voraussetzung für den Durchbruch der behutsamen Stadterneuerung. Gleichwohl stehen wirtschaftliche Interessen und vermeintlich prioritäre Stadtentwicklungsziele einem Erhalt von städtebaulichen und sozialen Strukturen bis heute häufig entgegen. Dann kommt es weiterhin zum Kahlschlag. In Deutschland zeigt sich das zum Beispiel in einer 50er-JahreSiedlung in München Harthof (vgl. Beitrag von Achim Schröer in diesem Band) und in einer Debatte um den flächenhaften Abriss von Gründerzeitbauten in Duisburg-Bruckhausen (SZ vom 24./25. März 2012:V2/3). In Brasilien ist zu beobachten, dass im Zuge der Vorbereitungen zur Fußballweltmeisterschaft 2014 marginale Siedlungen dem Ausbau der Transportwege in den Austragungsorten weichen müssen. Im Konflikt zwischen dem Erhalt existierender Strukturen und dem Ausbau der städtischen Infrastruktur unterliegt die soziale Behutsamkeit. Baulich-funktionale Behutsamkeit im Umgang mit historischen Gebäuden und Stadtstrukturen genießt in Deutschland im internationalen Vergleich ein hohes Maß an gesellschaftlicher Anerkennung und politischer Unterstützung – obgleich auch hier die Akzeptanz für den Erhalt sanierungsbedürftiger, historischer Bauten und Strukturen im Konflikt mit ökonomischen Erwägungen an ihre Grenzen stößt. Dies ist zum einen der Fall, wenn sich in strukturschwachen Regionen keine Verwertungsperspek- tive abzeichnet. Zum anderen, wenn der Erhalt rentablen Verwertungsinteressen entgegensteht. Während letzteres in deutschen Städten überwiegend Einzelbauwerke betrifft und fast immer eine Lobby von Abrissgegnern auf den Plan ruft, verschwinden in den boomenden Städten der Entwicklungsund Schwellenländer ganze Stadtquartiere ohne größere Debatten. Sehr viel radikaler als in Brasilien zeigt sich das heute in anderen Schwellenländern mit einem starken Wachstum der städtischen Bevölkerung, wie z. B. China (vgl. Cai, 2011:58f ). Wo Städte stark wachsen und ein paralleler Prozess von Verdichtung und Fragmentierung einsetzt (vgl. Abramo, 2009), vollzieht sich die Neuordnung und Überformung städtebaulicher Strukturen weder baulichfunktional, noch sozial oder ökologisch behutsam. Neben dem ökonomischen Verwertungsdruck spielt dabei aber auch die Tradition und Kultur der Wertschätzung historischer Bausubstanz eine Rolle. Sie nimmt in Brasilien zu. Gleichwohl bezieht sie sich vorwiegend auf herausragende Einzelbauwerke und wenige koloniale Altstadtensembles, die Potenzial für die Entwicklung des Fremdenverkehrs aufweisen. In der öffentlichen Behutsamkeitsdebatte in Brasilien verbinden sich soziale und denkmalpflegerische Aspekte nur begrenzt, bzw. in Einzelfällen, wie bei der Erneuerung des als Weltkulturerbe anerkannten Altstadtquartiers Pelourinho in Salvador de Bahia (Nobre, 2002:117ff ) und den kommunalen Entwicklungsprojekten im Zentrum von Belém im Bundesstaat Pará (Trinidade/Wehrhahn, 2010:45f ). Bei der Forderung nach einer behutsamen Stadterneuerung für informelle Wohnsiedlungen bietet der materielle und historische Wert der Bausubstanz kaum ein Argument für deren Erhalt. Differenzierter werden dagegen für einige konsolidierte Gebiete die entstandenen städtebaulichen Qualitäten bewertet. 243 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die behutsame Stadterneuerung ein Ansatz ist, der sich in gesellschaftlichen Kontexten etabliert, die von der Wertschätzung historischer Bausubstanz geprägt sind und in denen der Anspruch einer demokratischen und sozialen Stadtentwicklung gesellschaftlich und politisch unterstützt wird. Obgleich die behutsame Stadterneuerung auch in diesem Umfeld in Konflikt mit ökonomischen Interessen gerät, entzünden sich dort zumindest Debatten über Prioritätensetzungen. Abb. 3 Typische Konflikte zwischen sozialen, baulich-funktionalen und ökologischen Behutsamkeitsansprüchen (Grafik: A. Nelle) Grenzen der Behutsamkeit: endogene Konflikte Neben den exogenen Rahmenbedingungen, die den Optionsraum für die behutsame Stadterneuerung einschränken können, tauchen in der Praxis auch endogene Konflikte auf, wenn die begriffsimmanenten sozialen, baulich-funktionalen und ökologischen Ansprüche in Widerspruch zueinander geraten. Typische Konfliktfelder zeichnen sich paarweise ab: soziale und baulich-funktionale Behutsamkeit streiten um Verdrängung versus Aufwertung; soziale und ökologische Aspekte geraten in Bezug auf Verdrängung von Bewohnern versus Freiflächen in Konflikt. Baulich-funktionale und ökologische Ansprüche schließlich kämpfen um Denkmalerhalt versus energetische Sanierung (vgl. Abb. 3). Anhand einiger Beispiele soll verdeutlicht werden, dass es sich bei diesen Konflikten um Archetypen handelt, die in sehr unterschiedlichen Kontexten zu beobachten sind. Soziale versus baulich-funktionale Behutsamkeit In Deutschland hat die Sanierung von Gebäuden und die Aufwertung öffentlicher Räume in Sanierungsgebieten – vor allem in prosperierenden Regionen – mittel- bis langfristig vielerorts dazu geführt, dass jenes Mietwohnungsmarktsegment ver244 Abb. 4 Sanierte Altbauten: schön, aber teuer (Foto: A. Nelle) schwunden ist, das dem Einkommen der ursprünglichen Bewohner entsprach. Unter dem Begriff der Gentrifizierung ist dieser Prozess der sozialen Verdrängung in vielen Ländern beobachtet und kritisiert worden (u. a. Smith, 1996; Jones/Varley, 1999; Lees, 2008; Holm, 2010). Die auf Substanzerhalt orientierte Gebäudesanierung und die behutsame Umfeldentwicklung sollten die Wohnqualität der Quartiere verändern. Der Erfolg der Quartiersentwicklung bedeutete aber auch die Steigerung des Marktwerts der Immobilien und der erzielbaren Mieten. Mittel- bis langfristig haben die für den Erhalt des Milieus konzipierten Instrumente, wie Sozialpläne und Mietpreisbindungen, eine Verdrängung nicht aufgehalten (Abb. 4). In Brasilien umfassen die Urbanisierungsprogramme eine technische und urbanistische Aufwertung. Durch die Bereitstellung und Verbesserung der städtischen technischen Infrastruktur, wie Wasser, Abwasser, Strom, Kanalisation, Müllabfuhr und Straßenreinigung, können für die Bewohner Kosten für legal bezogene Versorgungsleistungen entstehen, die sie sich nicht leisten können. In der Folge werden die wirtschaftlich schwächsten Mitglieder der Sozialgemeinschaft zu einem Umzug gezwungen, es setzt ein Verdrängungsprozess ein (Werna u. a., 2001:73) (Abb. 5). Ebenfalls konfliktbehaftet ist in Brasilien die Umsetzung der baulichen und städtebaulichen Aufwertung, die den Einhalt der Wohnungsbaugesetze in Bezug auf die Konstruktion und Fläche der Wohneinheiten, die Bebauungsdichte, die Abstandsflächen usw. betrifft. Hygienische, konstruktive und sicherheitstechnische Standards in der stark verdichteten Bebauungsstruktur zu etablieren, gelingt nur durch „Entdichtung“ – also Teilabriss. Selbst wenn diese baulichen Eingriffe verhältnismäßig behutsam realisiert werden können (was oftmals nicht der Fall ist, da Schneisen für Feuerwehrzufahrten geschaffen werden müssen), gehen insbesondere jene Gebäudeerweiterungen verloren, die die Besetzer geschaffen haben, um Wohnraum zu vermieten. Ihre Mieter werden durch die Abrisse verdrängt, und die Besetzer selbst verlieren eine Einkommensquelle. Dies kann eine Welle der Abwanderung in informelle Siedlungen auslösen. Die Situation in Brasilien ist typisch für die Probleme der Slumaufwertung in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern (vgl. Davis, 2007:87). Beide beschriebenen Problemlagen zeigen dahingehend Gemeinsamkeiten, dass selbst ein behutsames Vorgehen in der baulichen und städtebaulichen Quartierserneuerung, das im Konsens mit Bewohnern initiiert wird, soziale Verdrängungsprozesse einleitet. Damit werden wesentliche Abstriche an den Anspruch einer sozialen Behutsamkeit in dem Konflikt deutlich. Abb. 5 Stromanschluss in einer Favela: schön, aber teurer als illegal (Foto: A. Nelle) Soziale versus ökologische Behutsamkeit In Brasilien, sowie in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, besetzen vom formellen Wohnungsmarkt ausgeschlossene Familien öffentliche Grundstücke. Oft handelt es sich um sensible Uferbereiche und Freiflächen, die für ein gesundes Stadtklima bedeutend sind und deshalb aus ökologischen Gründen von einer Bebauung freigehalten werden sollen. Die Besiedlung und die damit zusammenhängende Verschmutzung durch Abwasser und Hausmüll verursachen ökologische Probleme. Auflagen des Umwelt- und Naturschutzes lassen sich mit dem Verbleib der Bewohner nicht vereinbaren. Deshalb kommt es zu Räumungen. Sie gehen zwar in Brasilien immer öfter mit Umsiedlungskonzepten einher, stellen aber dennoch radikale Eingriffe dar, die gewachsene soziale Gemeinschaften zerstören. Das übergeordnete ökologische Interesse der Freiflächensicherung steht hier über den Einzelinteressen der Bewohner (Abb. 6). Anders sieht es in der allgemeinen Siedlungspolitik aus, die vielerorts eine Ausweitung der Siedlungskörper vorantreibt. Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus wird argumentiert, dass eine ökologisch sinnvolle vertikale Nachverdichtung der Stadtstruktur aus sozialen Gründen nicht vertretbar sei. Die Zielgruppe der Zuwanderer aus ländlichen Regionen täten sich mit dem Wohnen im Geschosswohnungsbau schwer, und 245 Abb. 6 Abriss einer illegalen Siedlung im Naturschutzgebiet Papicú, Fortaleza 2008 (Foto: A. Nelle) Abb. 7 Energetisch sanierte Gründerzeitfassade ohne Rücksicht auf Baukultur (Foto: A. Nelle) das Umlegen von Betriebskosten, die in Mehrfamilienhäusern entstehen, sei den einkommensschwachen Haushalten nicht zuzumuten. samen Umgang mit historischer Bausubstanz praktisch ausschließen. Problematisch ist insbesondere, dass die Richtlinien zur Fassadendämmung stark von Dämmstoffproduzenten geprägt wurden (vgl. ART vom 6.12.2007). Dies erschwert die Implementierung alternativer Lösungen, die den Erhalt historischer Fassaden in den Vordergrund stellen. Die Behutsamkeit im Umgang mit baulichem Erbe einerseits und mit natürlichen Ressourcen andererseits geraten so in einen Widerstreit (Abb. 7). Auch in Deutschland unterliegen ökologische Behutsamkeitsansprüche gegen soziale, wenn es darum geht, randstädtische Wohnsiedlungen und Einfamilienhausgebiete in Frage zu stellen. Hier dominiert die Konfliktvermeidung zwischen ökologischen und sozialen Ansprüchen. Das mag daran liegen, dass es eine starke und sozial breit aufgestellte suburbane Lobby gibt. Diskutiert wird dagegen der Konflikt zwischen sozialen und ökologischen Aspekten in Bezug auf energetische Gebäudesanierungen, die zu Mietsteigerungen führen können und in der Folge einkommensschwache Haushalte verdrängen. Der Konflikt zwischen sozialer und ökologischer Behutsamkeit ist jedoch – mit Ausnahme des letztgenannten Beispiels – im Wesentlichen ein Konflikt auf gesamtstädtischer Ebene. Baulich-funktionale versus ökologische Behutsamkeit In Brasilien sind die Überbauung der Grundstücke und die Verdichtung in konsolidierten informellen Siedlungen weit entfernt davon, sich durch zurückhaltende Eingriffe an bestehende Bauordnungen anpassen zu lassen (Rocha/Carvalho/Moretti, 2002). Zudem lassen sich vielerorts Auflagen des Umwelt- und Naturschutz nicht mit dem Erhalt bestehender Baustrukturen vereinbaren. Abriss ist baulich ebenso wenig behutsam wie sozial, erhält aber die für das Stadtklima wichtigen Freiflächen und Gewässer (Abb. 8). Anders sieht dies mit dem Konfliktpaar baulich-funktionale versus ökologische Behutsamkeit aus, obgleich es hier einige Analogien zu den sozialen versus ökologischen Aspekten gibt. In Deutschland produzieren Klimaschutzbestrebungen Auflagen zur energetischen Sanierung, die einen einfühl- Zusammenfassend zeigen die Beispiele, dass es drei Konfliktpaare gibt, von denen insbesondere zwei – Soziales versus BaulichFunktionales und Baulich-Funktionales versus Ökologisches – auf eine „Krise der Behutsamkeit“ der Stadterneuerung hinweisen. Die Konflikte zwischen ihren Behutsamkeits- 246 sen. Erst im Praxistest hat sich gezeigt, dass der Konsens der einzelnen Behutsamkeitsansprüche bisweilen – und gerade in seinen mittel- bis langfristigen Folgen – utopisch war. Abb. 8 Abriss von Häusern in einer Favela zur Freilegung eines Flusslaufs (Foto: A. Nelle) ansprüchen lassen sich nicht auflösen. Hier kann es in der Praxis nur um Prioritätensetzung gehen – also um eine Gewichtung der Behutsamkeitsaspekte. Fazit: zur Zukunftsfähigkeit der Behutsamkeit Der Leitgedanke der behutsamen Stadterneuerung steht heute in zweierlei Hinsicht auf dem Prüfstand: in Bezug auf endogene Konflikte und exogene Rahmenbedingungen. Die endogenen Konflikte der behutsamen Stadterneuerung sind in der praktischen Implementierung deutlich geworden: Theoretischer Anspruch und Umsetzungsmöglichkeiten haben sich auseinander bewegt. In der Praxis sind viele Kompromisse an die Ansprüche der behutsamen Stadterneuerung eingegangen worden. Insbesondere der langfristige Erhalt bestehender sozialer Strukturen hat sich nicht immer einlösen lassen, weshalb das Anliegen der sozialen Behutsamkeit an Glaubwürdigkeit verloren hat. Aber auch die baulich-funktionale Behutsamkeit ist, wie die Beispiele gezeigt haben, relativ. Ein Kern der „Krise der Behutsamkeit“ ist heute die Frage, ob die Theorie noch Orientierung für die Praxis bieten kann. Sie ist ja gerade nicht als Utopie angetreten, von der wir behaupten könnten, dass sie zu radikal war, um sich umsetzen zu las- Unter den exogenen Rahmenbedingungen spielt die Unvereinbarkeit ökonomischer Interessen mit den Ansprüchen der behutsamen Stadterneuerung eine wesentliche Rolle. Behutsamkeit scheitert am häufigsten an diesem Konflikt. Er stellt den Leitgedanken immer wieder auf den Prüfstand. Die Ansprüche der behutsamen Stadterneuerung haben rein profitorientierte Verwertungsstrategien jedoch stets in Frage gestellt. In Deutschland und Brasilien ist das Augenmerk dadurch auf andere Prämissen gelenkt worden: auf den Wert existierender Gebäude, Stadt- und Sozialstrukturen sowie auf die Relevanz demokratischer Teilhabe an Stadtentwicklungsprozessen. Im globalen Kontext dagegen ist auffallend, dass die Wertschätzung dieser Aspekte in vielen Ländern kaum existiert. Nicht nur der wirtschaftliche Druck, unter dem die rasante Transformation vieler Städte in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfindet, ist Grund dafür, dass behutsame Stadterneuerung dort kein Thema ist. Es differieren auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Wertschätzung solcher Ansätze. Langjährige Debatten im Bereich der Denkmalpflege zeigen, dass abendländische Auffassungen von Denkmalwert und -authentizität z. B. von asiatischen abweichen (Nelle, 2007:28f ). Dementsprechend ließe sich auch diskutieren, inwieweit die Ansprüche der behutsamen Erneuerung für die Stadtentwicklung unter den exogenen Rahmenbedingungen anderer kultureller und politischer Kontexte als Leitbild taugen. Gleichwohl verdeutlicht der deutsch-brasilianische Vergleich, dass auch unter divergenten Ausgangsbedingungen und Pro247 blemlagen vergleichbare Vorstellungen einer demokratischen, dezentralen Form konsensorientierter Stadtteilentwicklung wachsen können. Die Grundpfeiler der Behutsamkeit – die sozialen, baulich-funktionalen und ökologischen Ansprüche – sind Ausdruck einer differenzierten Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Diese Auseinandersetzung findet in Deutschland und Brasilien statt. Dennoch ist die behutsame Stadterneuerung in Brasilien noch längst keine Selbstverständlichkeit und in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr. Ihre Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit steht im Konflikt mit ökonomischen Rahmenbedingungen und ist abhängig von politischer und gesellschaftlicher Unterstützung. Letztere ist auch dadurch gefährdet, dass die Behutsamkeitsansprüche in der Praxis in einen Prioritätenkonflikt miteinander geraten. Diese Konflikte gilt es zu überwinden, damit die Ansprüche der Behutsamkeit als Grundpfeiler einer nachhaltigen Stadtentwicklung zukunftsfähig sind. Patentrezepte gibt es dafür nicht und Ansätze zur Überwindung der Konflikte unterscheiden sich entsprechend der Problemkonstellationen. Gleichwohl existieren sowohl in Brasilien als auch in Deutschland einige Instrumente zur Vermittlung der Konflikte, die aber nicht immer angewendet werden. In Brasilien gibt es Anstrengungen den Konflikt zwischen baulich-funktionalen und sozialen Behutsamkeitsansprüchen bei der Erneuerung informeller Siedlungen durch eine Reform der Baugesetze zu entschärfen. Es wurden Sonderregeln für die Slumaufwertung geschaffen – z. B. werden geringere Abstandsflächen und Zimmergrößen rechtlich akzeptabel. Dadurch wird ein behutsamerer Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz möglich. In der Konsequenz werden weniger Bewohner verdrängt. 248 In Deutschland könnte es in den Städten, in denen eine soziale Verdrängung durch Sanierung und Aufwertung von Wohngebieten zu befürchten ist, sinnvoll sein, Instrumente aus dem besonderen Städtebaurecht wie die Genehmigungspflicht von baulichen Änderungen, langfristige Mietpreisbindungen und eine Sozialplanung wieder stärker in die Gestaltung von Erneuerungsprozessen einzubeziehen, um den Anspruch der sozialen Behutsamkeit zukunftsfähig zu machen. Eine weitere Möglichkeit wäre, zu diesem Zweck neue Instrumente zu konzipieren – bspw. die Rentabilität baulicher Sanierungsstandards in Haus- bzw. Blockkonzepten anzusetzen und darin Quoten für unterschiedliche Sanierungs- und Mietobergrenzen festzulegen. Das Denken in Gebietskonzepten, das sich derzeit in der energetischen Stadterneuerung abzeichnet, ist ein Ansatz, Konflikte zwischen baulich-funktionalen und ökologischen Prioritäten auszuloten. Hier könnte noch stärker ein „ökologischer Rucksack“ oder „Fußabdruck“ betrachtet werden, der auch die energetischen Eigenschaften der Bebauungsstruktur und den Emissionsbeitrag unterschiedlicher Transportarten in eine ökologische Lagebewertung einbezieht. Dadurch könnten die ökologischen und ökonomischen Kosten sichtbar werden, die die Stadtgesellschaft für den Unterhalt von unterschiedlichen Stadtgebieten aufzubringen hat. Damit würde ein Anhaltspunkt für Prioritätensetzungen geliefert, die sich aus dem Konfliktpaar baulich-funktionale versus ökologische Behutsamkeit ergeben. Eine solche Betrachtung wäre auch für die gesamtstädtische Siedlungsentwicklung in Brasilien interessant. Im Praxiskonflikt zwischen baulicher und ökologischer Behutsamkeit geht es in Brasilien jedoch in erster Linie darum, dass Bewohnern informeller Siedlungen in Naturschutzgebieten der Erhalt ihrer Häuser stets wichtiger sein wird als ökologische Belange. So kann eine Prioritätensetzung der Stadterneuerung auf ökologische Belange nur mit der Schaffung adäquater Wohnalternativen verbunden werden. Das brasilianische Stadtstatut (Estatuto da Cidade) sieht bereits vor, dass für Wohnungen, die im Zuge von Stadtentwicklungsmaßnahmen abgerissen werden, Alternativen in der Nachbarschaft des Standortes angeboten werden müssen. Dies ist ein Schritt, ökologische, baulich-funktionale und soziale Behutsamkeitsansprüche zu vereinbaren. Die Ansätze werden jedoch nicht konsequent umgesetzt und lösen nicht die Hauptprobleme – das sehr hohe Wohnungsdefizit in Brasilien und den fehlenden Zugang einkommensschwacher Haushalte zum formellen Wohnungsmarkt (vgl. Werna u. a., 2001:47). Da sich jedoch keine umfassende Bodenreform oder eine schnelle Reduktion des Wohnungsdefizits abzeichnet, besitzt die Gestaltung der Symptombekämpfung in Form einer behutsamen Stadterneuerung auch in Zukunft eine hohe Relevanz in der Stadtentwicklung Brasiliens. Eine Gemeinsamkeit zwischen Brasilien und Deutschland – und die wichtigste Grundlage für die Zukunft der Behutsamkeit – ist, dass die soziale Behutsamkeit sich nur stärken lässt, wenn die von Erneuerungsmaßnahmen betroffene Wohnbevölkerung zumindest Kenntnisse ihrer Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten besitzt sowie die personellen, institutionellen und auch finanziellen Kapazitäten ihre Prioritäten zu artikulieren, in Planungsprozesse einzubringen und die Durchführung vereinbarter Planungen einzufordern. Gerade weil die Bewohnerschaft der Gebiete, in denen Stadterneuerung ansetzt, in Brasilien – aber häufig auch in Deutschland – über ein geringeres formales Bildungsniveau verfügt, ist hier eine Unterstützung im Sinne eines community capacity building notwendig. Dies zu garantieren ist die Grundlage, um Konflikte der Behutsamkeitsansprüche sichtbar werden zu lassen und Prioritäten auszuhandeln. Nur auf dieser Basis hat die behutsame Stadterneuerung eine Zukunft. 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Ebenso wie der reine Begriff scheint das städtebauliche Leitbild der Behutsamkeit zumindest heute sehr sympathisch und selbstverständlich, was allerdings nicht immer so war und was durch neuere Entwicklungen zunehmend in Frage gestellt wird. Insgesamt kann man also eine Situation konstatieren, in der nicht mehr klar ist, was man im Städtebau tun soll. In dieser Situation der Unsicherheit mag es zur Beantwortung der Frage nach der moralischen Verbindlichkeit der Forderung nach einem behutsamen Städtebau hilfreich sein, ein moralisch-normatives Konzept wie das der Behutsamkeit, aus Sicht der auf die Untersuchung der Moral spezialisierten Wissenschaft zu beurteilen. Letztere ist die Moralphilosophie beziehungsweise die Ethik, deren Gegenstand die Moral ist und in der versucht wird, moralische Aussagen rational zu begründen oder sie zu widerlegen: „Moral bezeichnet einen Bereich des menschlichen Lebens, der von Kunst, Wissenschaft, Recht oder Religion verschieden ist; Moral ist die Gesamtheit der moralischen Urteile, Normen, Ideale, Tugenden, Institutionen. (…) Ethik ist (…) die philosophische Untersuchung des Bereichs der Moral; sie ist die philosophische Disziplin, die nach der Begründung der Moral fragt. Anstelle von Ethik gebraucht man auch die eindeutigere Bezeichnung Moralphilosophie.“ (Ricken, 1998:14) Es handelt sich also bei diesem Aufsatz um eine moralphilosophische Analyse der Maxime der Behutsamkeit beziehungsweise des städtebaulichen Leitbildes der Behutsamkeit. Zurückgegriffen wird dabei in erster Linie auf Konzepte und Autoren der Philosophie bzw. der Ethik. In einem ersten Schritt (Rückblick) ist dabei die heutige Situation und deren Entstehung kurz zu skizzieren. Dann ist zu fragen, was Städtebau überhaupt mit Moral zu tun hat. Daran anschließend lautet die nächste zentrale Frage, welche Art von Forderung (aus Sicht der Ethik) diejenige nach Behutsamkeit ist. Im Folgenden ist die Frage nach der moralischen beziehungsweise ethischen Verbindlichkeit zu stellen. Und abschließend werden Überlegungen angestellt, was Behutsamkeit im Städtebau heute aus Sicht der Ethik bedeuten könnte. Insofern die Mittel und das Wissen der Philosophie dazu ungeeignet sind, kann es hier zwar nicht darum gehen, konkrete städtebauliche Vorschläge zu entwickeln, wohl aber kann die Ethik genauer spezifizieren, was es heißt sich eine Maxime – wie die der Behutsamkeit – für einen bestimmten Bereich zum Maßstab des Handelns zu machen. Rückblick Ein Blick zurück zeigt, dass die Forderung nach einem behutsamen Stadtumbau in den letzten 30 Jahren zum vorherrschenden Paradigma im Städtebau wurde, und das, obwohl Behutsamkeit als städtebauliches Paradigma geschichtlich betrachtet die ab251 solute Ausnahme des geplanten, d. h. nicht informellen Städtebaus darstellt. Für bekannte und einflussreiche Planer wie Haußmann oder Le Corbusier war ein behutsames Vorgehen im Städtebau nicht nur keineswegs selbstverständlich, sondern schlicht fachlich falsch. Darüber hinaus bezeichnete Le Corbusier nicht-radikale Lösungen als moralisch verwerflich und gefährlich, weil damit die drängenden Probleme der Wohnungsnot und der hygienischen Mängel nicht zu beseitigen seien (Le Corbusier: 1929; 1954; 1964). In seinem Werk „Städtebau“ stellt er zunächst fest: „Ein Städtebau, der sich um Glück oder Unglück sorgt, der es sich zur Aufgabe macht, das Glück zu schaffen und das Unglück zu verbannen, das wäre eine würdige Wissenschaft in dieser Zeit der Verwirrung.“ (Le Corbusier, 1929:53) Dieser Forderung könnten sich auch aus heutiger Sicht vermutlich die meisten anschließen, den Schlüssen die Le Corbusier zur Umsetzung seines moralischen Antriebs – nämlich den Menschen Glück zu schenken – aber eher nicht: „Ich denke also ganz kühl daran, dass man auf die Lösung verfallen muss, das Zentrum der Großstädte niederzureißen und wieder aufzubauen, dass man ebenfalls den schmierigen Gürtel der Vorstädte niederreißen, diese weiter hinausverlegen und an ihrer Stelle nach und nach eine freie Schutzzone setzen muss, (...)“ (Le Corbusier, 1929:83). Angesichts solcher Zitate mag man ermessen wie „revolutionär“ die Forderung nach Behutsamkeit im Städtebau war, als sie zum ersten Mal erhoben wurde. Dennoch oder vielleicht auch gerade wegen der fehlenden Tradition konnte sich Behutsamkeit als normatives Leitbild der Stadtplanung seit den 1980er Jahren vor allem im Gefolge der IBA-Berlin und durch die Arbeit von Behutsamkeits-Pinonieren wie Hardt-Waltherr Hämer oder Cornelius van Geisten etablieren (Eichstädt, u. a., 2009; Bollé/Schütze, 2007). Mittlerweile ist den zwölf Grundsätzen der Stadterneuerung sogar ein eigener Wikipedia-Eintrag (Wikipedia, 2012) gewid252 met. Allerdings wird die normative Selbstverständlichkeit, die heute mit dem Leitbild der Behutsamkeit einhergeht, in den letzten Jahren wieder und zunehmend durch städtebauliche Entwicklungen infrage gestellt, in denen ein behutsames, vorsichtiges und sehr zurückhaltendes Vorgehen nicht angebracht erscheint oder schlicht nicht bezahlbar ist. Dies geschieht allerdings nicht ohne ungute Gefühle, um nicht zu sagen ohne ein schlechtes Gewissen der einschlägigen Protagonisten. Auf der einen Seite die moralische Intuition, dass Behutsamkeit als ein selbstverständlicher normativer Imperativ moralisch geboten sei und auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass es bisweilen sinnvoller sein kann, einem vorsichtigem Umbau die Tabula-rasa-Lösung vorzuziehen. In dieser Situation, in der in vielen Fällen funktionale, ökonomische und eventuell sogar soziale Fakten gegen das Paradigma der Behutsamkeit sprechen, scheint auch der moralische Imperativ eines behutsamen städtebaulichen Vorgehens seine Eindeutigkeit verloren zu haben. Dies gilt besonders, weil nicht-behutsame Lösungen (zumindest) in vielen Fällen auch moralisch motiviert sind. Auch städtebauliche Maßnahmen, die zu einem großen Teil aus Abbruchmaßnahmen bestehen, erfolgen heute nicht nur zur Profitmaximierung, so, wie sie erfolgen, sondern der Idee nach ebenfalls zum Wohle der Bewohner beziehungsweise der Gesellschaft. Hier stellt sich die Frage, ob Behutsamkeit trotzdem, also quasi unbedingt und um ihrer selbst willen, „gesollt“ ist. Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst der grundsätzliche Zusammenhang von Städtebau und Moral beleuchtet. Was hat Städtebau mit Moral zu tun? Behutsamkeit ist ein Wort, das quasi von selbst moralische Konnotationen hervorruft und das auch als normatives Konzept sehr direkt mit moralischen Vorstellungen verbunden ist. Ist aber der Städtebau überhaupt ein Thema für die Ethik und wenn ja, warum? Erstere Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten. Der Grund liegt darin, dass städtebauliche Maßnahmen und sogar Konzepte Menschen und Gesellschaft in starker Art und Weise beeinflussen. In der Terminologie der Ethik ausgedrückt, ist Architektur und Städtebau eine Bedingung der Möglichkeit eines guten Lebens. Mit dem Ausdruck „gutes Leben“ ist dabei allerdings nicht ein Leben in materieller Sorglosigkeit gemeint. Das „gute Leben“ oder auch das „glückliche Leben“ bezeichnet in der Ethik seit Aristoteles vielmehr eine gelingende Lebensführung in einem umfassenden Sinne (Aristoteles, 1984). Dieses hängt, wie auch ein angenehmes Leben im nichtphilosophischen Sinne, stark von Architektur und Städtebau ab und zwar sowohl für jedes Individuum als auch für eine Gesellschaft. Neben verschiedenen anderen Gründen liegt dies vor allem daran, dass Architektur und Städtebau allererst die Möglichkeit schaffen, das menschliche Grundbedürfnis nach sozialer Interaktion in würdiger Weise zu befriedigen. Der Umstand, dass Architektur und Städtebau wichtige Bedingungen gelingender sozialer Interaktion sind, ist dabei alles andere als eine überraschende oder neue Erkenntnis, und dementsprechend lässt sich diese Feststellung auch in der Geschichte der Architekturtheorie bei diversen Autoren feststellen. Leon Battista Alberti beispielsweise betont besonders die soziale Kraft von Architektur: „Es gab Leute, die sagten, dass das Wasser oder Feuer die Anfänge boten, auf Grund deren sich die menschliche Gesellschaft bildete. Wenn ich aber die Nützlichkeit und Notwendigkeit von Decke und Wand betrachte, so werde ich natürlich davon überzeugt sein, dass diese in viel höherem Grade dazu beigetragen haben, die Menschen zu vereinigen und zusammenzuhalten.“ (Alberti, 2005/[1452]: 10). Ebenfalls wegen der gesellschaftsbildenden Funktion der Architektur ist für Gottfried Semper der Herd das erste Element seiner Vier Elemente der Baukunst von 1851: „Das erste Zeichen menschlicher Niederlassung und Ruhe nach Jagd, Kampf und Wanderung in der Wüste ist heute wie damals, als für die ersten Menschen das Paradies verloren ging, die Einrichtung einer Feuerstätte und die Erweckung der belebenden und erwärmenden speisebereitenden Flamme. Um den Herd versammelten sich die ersten Gruppen, an ihm knüpften sich die ersten Bündnisse, an ihm wurden die ersten rohen Religionsbegriffe zu Culturgebräuchen formulirt. Durch alle Entwickelungsphasen der Gesellschaft bildet er den heiligen Brennpunkt, um den sich das Ganze ordnet und gestaltet. Er ist das erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst. Um ihn gruppiren sich drei andere Elemente, gleichsam die schützenden Negationen, die Abwehrer der dem Feuer des Herdes feindlichen drei Naturelemente; nämlich das Dach, die Umfriedung und der Erdaufwurf“ (Semper, 1851: 54-55). Architektur und Städtebau sind also für das gute Leben der Menschen als Individuen und vor allem auch als Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Wiederum in den Worten Albertis: „Endlich sei noch gesagt, dass die Beständigkeit, das Ansehen und die Zier eines Gemeinwesens am meisten des Architekten bedürfe, der es bewirkt, dass wir zur Zeit der Muße in Wohlbehagen, Gemütlichkeit und Gesundheit, zur Zeit der Arbeit zu aller Nutz und Frommen, zu jeder Zeit aber gefahrlos und würdevoll leben können“ (Alberti, 2005/[1452]:13). Dieser Umstand wurde auch von Moralphilosophen erkannt und entsprechend betont: „Es gibt keine guten lebensfähigen Gemeinschaften ohne gut gestaltete Räume. Menschliche Beziehungen sind erst dann gestaltet, wenn sie in gestalteten Räumen Platz finden. Humane Beziehungen können nicht auf Bäumen und Straßen stattfinden, die benötigen Behausungen. Die Frage nach der richtigen und guten Gestaltung ist deswegen genauso wichtig wie die Frage nach dem guten Le253 ben; letztlich sind beide Fragen gar nicht voneinander zu trennen“ (Vossenkuhl, 1998: 36). Aus dem Umstand, dass mit dem sozialen Leben ein absolutes Grundbedürfnis des Menschen in starkem Maße von der Gestaltung der gebauten Umwelt abhängt, ergibt sich für die daran Beteiligten eine große Verantwortung und insofern ist Städtebau ein hochgradig moralisch bedeutsames Tätigkeitsfeld. Daneben gibt es noch weitere Faktoren, die Architektur und Städtebau zu einer Bedingung der Möglichkeit des guten Lebens und damit zu einem moralischen Thema machen. Diese können hier allerdings nicht im einzelnen diskutiert werden (vgl. dazu Düchs, 2011a). Was ist Behutsamkeit aus Sicht der Ethik? In dieser Situation, die Architekten und Städtebauern – wie die obigen Zitate belegen – zumindest intuitiv seit jeher bewußt ist (und auch in den 1970er und 1980er Jahren war), erscheint das Konzept der Behutsamkeit als eine Möglichkeit, der moralischen Verantwortung gerecht werden zu können. Planer sollten bei städtebaulichen Projekten und insbesondere beim Stadtumbau behutsam vorgehen, so die Forderung des Behutsamkeitsparadigmas. Gemäß einem intuitiven Verständnis besagt diese Forderung, dass die städtebaulichen Maßnahmen zurückhaltend, vorsichtig und mit Rücksichtnahme auf bestehende bauliche, soziale und funktionale Strukturen erfolgen sollen. Ein Blick in die zwölf Grundsätze der Stadterneuerung von März 1983 bestätigt die intuitive Einschätzung. Architekturgeschichtlich ist die Forderung nach einer behutsamen Stadterneuerung als Antwort auf die in den 1960er und 1970er Jahren vorherrschenden Kahlschlag-Sanierungen zu verstehen, in denen ganze Stadtviertel oft gegen die Interessen der Bewohner abgerissen und dann, vermeintlich optimiert, wieder aufgebaut 254 wurden. Die zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung fordern demgegenüber einen vorsichtigen und zurückhaltenden Umgang mit bestehender Bausubstanz, Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Bewohner und die bestehenden sozialen Strukturen, Beteiligung der Bewohner sowie (neben weiteren Dingen) transparente Verfahren. Wie aber ist die Forderung nach Behutsamkeit aus Sicht der Ethik zu interpretieren? Wenn man zur Klärung dieser Frage ein etymologisches Wörterbuch bemüht, fallen besonders die vorgeschlagenen Synonyme auf. „Behutsamkeit“ meint demnach in etwa das gleiche wie „Vorsicht“ oder „Sorge“. Im Städtebau scheint „behutsam“ in erster Linie im Sinne von „vorsichtig“ verwendet zu werden. Interessanter und ergiebiger als „Vorsicht“ ist für einen Moralphilosophen allerdings der Begriff beziehungsweise das Konzept der „Sorge“. Im Deutschen ist der Begriff sehr sensibel und facettenreich: „Sorge“ beziehungsweise das dazugehörige Verb „sorgen“ kann gebraucht werden im Sinn von „Fürsorge“ oder „umsorgen“. In diesem Sinn ist das Wort allerdings nicht synonym zu „Behutsamkeit“ oder „behutsam vorgehen“. „Sorge“ kann auch gemeint sein im Sinn von „sich Sorgen machen“, aber auch diese Bedeutung entspricht nicht ganz der intendierten. Synonym zu „Behutsamkeit“ ist eher Sorge im Sinn von „sorgend bedenken“. Es geht hier nicht darum, irgendjemanden materiell zu „versorgen“ oder zu „umsorgen“. Ebenso geht es nicht darum „sich Sorgen zu machen“ im Sinne von „ängstlich sein“. Mit der Forderung nach „Behutsamkeit“ oder nach einem „behutsamen Vorgehen“ ist vielmehr gemeint, dass man die von einer Handlung betroffenen Personen in ihren Bedürfnissen zu respektieren hat und „Anteil nehmen“ sollte. Behutsamkeit im Sinne von „sorgend bedenken“ macht auch eine weitere wichtige inhaltliche Spezifizierung deutlich. Man kann sich zwar auch um Dinge, wie z. B. die Bausubstanz eines Hauses, Sorgen machen, eine moralische Verbindlichkeit von Behutsamkeit ist unmittelbar aber nur gegeben, wenn es um Personen geht, beziehungsweise – ethisch ausgedrückt – wenn es um Subjekte geht, die moralisch um ihrer selbst willen zu achten sind. Und das sind, gemäß der philosophischen „Mainstream-Position“ des gradualistischen Sentientismus nur Menschen und hochentwickelte Tiere (Ott, 2003). Insofern also durch das Handeln im Städtebau Menschen betroffen sind, sollte dieses Handeln behutsam im Sinne von „sorgend bedenkend“ erfolgen. Im Umgang mit Bausubstanz und Funktionen kann Behutsamkeit höchstens mittelbar angebracht sein, wenn das Wohlergehen von Menschen durch einen nicht behutsamen Umgang gefährdet ist. Das heißt, weil ein Haus für einen Menschen zum Beispiel einen emotionalen Wert darstellen oder aber für eine Gesellschaft ein wertvolles kulturelles Erbe sein kann, kann es geboten sein, behutsam mit diesem Haus umzugehen. Direkt muss man aber nur im Umgang mit Menschen behutsam sein, weil man nur gegenüber Subjekten, die um ihrer selbst willen zu berücksichtigen sind, eine unmittelbare moralische Verpflichtung hat, nicht jedoch gegenüber Häusern oder den diesen innewohnenden Funktionen. Ethisch formal ist das Paradigma der Behutsamkeit als eine Maxime zu verstehen. Immanuel Kant definiert zu Beginn der Kritik der praktischen Vernunft „Maxime“ und „Gesetze“ folgendermaßen: „Praktische Grundsätze sind Sätze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind subjektiv oder Maximen, wenn die Bedingung nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen wird; objektiv aber oder praktische Gesetze, wenn jene als objektiv, d. i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig erkannt wird.“ (Kant, 1990/[1788]:21). Er versteht unter „Maxime“ also ein „subjektives Gesetz, nach dem man wirklich handelt“, ein „subjektives Prinzip des Wollens“. Etwas weniger verklausuliert könnte man also sagen, dass eine „Maxime“ eine selbstgewählte übergeordnete Handlungsorientierung mit großem Abstraktionsgrad ist. Erläutert wird sie durch konkretere Regeln beziehungsweise Prinzipien mit mittlerem Abstraktionsgrad. Im Gegensatz zu objektiven „Gesetzen“ ist eine „Maxime“ nicht im Sinne einer absoluten Pflicht zu verstehen, aber auch nicht im Sinne einer bloß neutralen Handlungsoption. „Maximen“ und auch die ihnen untergeordneten Prinzipien haben normative Verbindlichkeit ohne den Charakter von Zwang zu haben. In der Terminologie der Ethik: Es handelt sich um Prima-facie-Pflichten. Das heißt, derlei Handlungsvorschriften gelten aus ethischer Sicht zwar normalerweise immer und überall, können aber im Einzelfall außer Kraft gesetzt oder anderen „Maximen“ beziehungsweise Prinzipien untergeordnet werden. Es gibt also kein unantastbares Gesetz, auf das sich der Handelnde in Fällen moralischer Unsicherheit berufen könnte, sondern die moralische Urteilskraft des Einzelnen ist bei Konfliktsituationen mit „Maximen“ oder Prinzipien gefragt. Sollten wir im Städtebau behutsam sein und, wenn ja, warum? Für die Praktiker des Städtebaus interessanter als die metaethische Frage nach der Art der Forderung ist diejenige, ob man behutsam vorgehen sollte und, wenn ja, woraus sich diese moralische Verbindlichkeit ergibt. Wie oben erläutert, ist die Forderung nach Behutsamkeit als die nach einem sorgenden Bedenken der vom eigenen Handeln betroffenen Personen zu verstehen. Zur Überprüfung der moralischen Berechtigung kann man auf eine Debatte in der Medizinethik verweisen. Hier wurde und wird ein sehr altes Prinzip des medizinischen Ethos, die Fürsorgepflicht kontrovers diskutiert. Die umstrittene Frage ist die, ob es eine po255 sitive Fürsorgepflicht des Arztes für seinen Patienten gibt oder nur eine quasi negative Pflicht zur Vermeidung von Schaden für den Patienten: „Some deny that morality includes any form of positive obligations. They hold that beneficence is purely a virtuous ideal or an act of charity, and thus that persons are not morally deficient if they fail to act beneficiently.“ (Beauchamp/Childress, 2009:198) Ohne diesen Streit hier ausführlicher darstellen zu können, kann man sagen, dass eine positive Fürsorgepflicht zwar mit Gründen bestritten werden kann, allerdings geht es im Städtebau strukturell betrachtet immer um die Schaffung eines positiven Zustandes in der Zukunft, nicht nur um die Vermeidung eines negativen Zustandes. Das Handeln des Architekten und des Städtebauers zielt also strukturell betrachtet immer darauf einen bestehenden Zustand zu verbessern und so für die Menschen zu sorgen. Und insofern diese Arbeit für das individuelle angenehme und gute Leben sowie den Zustand der Gesellschaft von enormer Bedeutung ist, ist der in der Gestaltung der gebauten Umwelt Tätige auch moralisch dazu verpflichtet, seine Arbeit in sorgender Art und Weise zu machen und somit dem Prinzip der Fürsorge zu folgen. Da aber Fürsorge in zu starkem Maße medizinische Konnotationen weckt, ist es für den Bereich Städtebau angebrachter von einer moralischen Pflicht zur Sorge zu sprechen. Sollten wir also im Städtebau aus moralischen Gründen behutsam vorgehen? Die eindeutige Antwort ist ja, wenn Behutsamkeit verstanden wird als ein Vorgehen, in dem Mensch, Gesellschaft und gegebenenfalls Natur sorgend bedacht werden. Die Maxime der Behutsamkeit ist also als gerechtfertigte moralische Forderung anzusehen, wobei – wie erwähnt – eine direkte moralische Verantwortung immer nur gegenüber Menschen besteht und eine Verantwortung gegenüber Dingen oder Funktionszusammenhängen lediglich mittelbar konstruiert werden kann. 256 Was könnte Behutsamkeit im Städtebau heute aus Sicht der Ethik heißen? Die Forderung nach Behutsamkeit ist als moralisch mit Recht zu fordernde Prima-facieMaxime zu verstehen, das heißt als eine übergeordnete allgemeine Handlungsorientierung, die zunächst gilt und nur in Konfliktsituationen – und auch dann nur mit guten Gründen – zugunsten einer anderen Handlungsoption „geopfert“ werden darf. Mit dieser Feststellung ist zwar immerhin eine ethische Verbindlichkeit gewonnen, allerdings weiß der einzelne Städtebauer für seine berufliche Praxis damit noch nicht sehr viel mehr. Was also heißt Behutsamkeit im Städtebau konkret? Wie eingangs angedeutet, lässt sich eine Maxime durch verschiedene moralische Prinzipien etwas konkreter fassen. Einschränkend muss man allerdings sofort hinzufügen, dass vonseiten der Ethik keine genauen Handlungsanweisungen zu erwarten sind, sondern immer nur relativ abstrakte Überlegungen zur moralischen Angemessenheit bestimmter Handlungsoptionen. Alles andere ist aber weder intendiert noch sinnvoll möglich. Wie also kann man die Maxime der Behutsamkeit ethisch genauer erläutern? Als Modell kann hier wieder die Medizinethik dienen und darin insbesondere der Ansatz der Prinzipienethik. Die Idee dieses Ansatzes, der in der Medizinethik der letzten 30 Jahre trotz metaethischer Probleme (Beauchamp, 2001; Rauprich/Steger 2005) vorherrschend war, ist, sich einer ethischen Letztbegründung zu enthalten und mit Prinzipien mittleren Abstraktionsgrades das Handeln von Ärzten in moralischer Hinsicht zu strukturieren und zu orientieren. Insofern dieser Ethikansatz auf eine Letztbegründung verzichtet und durch mehrere Prinzipien ersetzt, die zudem nur eine Prima-facie-Gültigkeit haben, kann er auch nicht den Anspruch erheben, jeden moralischen Konflikt deduktiv von einer obersten Letztbegründung hinab lösen zu können. Demgegenüber ist die moralische Sensibilität und Urteilskraft des Handelnden gefragt, da in jedem Einzelfall anhand der Prinzipien neu geurteilt werden muss. Die für den Bereich der Medizin weitgehend bekannten und akzeptierten Prinzipien sind: Gerechtigkeit, Schadensvermeidung, Autonomie und Fürsorge. Auch für den Städtebau kann man diese Prinzipien übernehmen, insofern aber hier Behutsamkeit im Sinne von Sorge als übergeordnete Maxime bestimmt wurde, entfällt das Prinzip der Fürsorge. Stattdessen sind aber noch die für Architektur und Städtebau einschlägigen Prinzipien Schönheit und Nachhaltigkeit zu ergänzen. Die Maxime der Behutsamkeit lässt sich also durch die genannten Prinzipien erläutern. Damit diese aber nicht ebenso abstrakt bleiben wie die übergeordnete Maxime, sind sie einzeln auf den Städtebau zu beziehen. Dabei wäre zu fragen, warum das jeweilige Prinzip im Städtebau eine Rolle spielt und es wäre genauer zu erörtern, was das jeweilige Prinzip für das Handeln des Planers bedeutet. Im Folgenden werden dazu einige Andeutungen gemacht, die allerdings fragmentarisch bleiben müssen. Schadensvermeidung Schadensvermeidung spielt im Städtebau eine Rolle, weil das Handeln in diesem Bereich sowohl direkt, insbesondere aber auch indirekt durch Beeinflussung des physischen und psychischen Wohlbefindens schädigen kann. Einschlägige Beispiele, wie die berühmt-berüchtigte Siedlung Pruitt Igoe in St. Louis (USA) (Schlüter, 1997) oder Entsprechungen in den Banlieus von Paris und anderswo, sind zahlreich. Schadensvermeidung heißt für den Städtebauer also zum einen die Vermeidung von körperlichen Schäden, was in der Regel durch die Einhaltung von entsprechenden Gesetzen, aber auch durch kritische Aufmerksamkeit gegenüber Gesetzen zu erreichen ist. Zudem ist Schadensvermeidung zu verstehen als Vermeidung der Störung des Wohlbefindens und das wiederum heißt insbesondere gegenüber psychischen und soziokulturellen Bedürfnissen der Bewohner aufmerksam und sensibel zu sein. Autonomie Architektur und Städtebau sind Voraussetzung der Erfüllung diverser Bedürfnisse von Menschen und sie sind auch unmittelbar Bedürfnisse. Diese sind häufig sehr private bzw. solche aus dem Bereich des persönlichen guten Lebens. Nun besteht zwischen den Menschen, deren Bedürfnisse zu erfüllen sind, als Laien und Architekten beziehungsweise Stadtplanern als Experten ein stark asymmetrisches und nicht selten konfliktbeladenes Wissensverhältnis. Mit anderen Worten: Die Experten wissen oder meinen oft genug zu wissen, was in bestimmten Situationen aus städtebaulicher oder architektonischer Sicht die richtige Maßnahme ist, aber die Laien sehen dies anders. Das Prinzip der Autonomie gebietet es in dieser Situation, die Wünsche der Betroffenen ernst zu nehmen und nicht mit und durch Expertenwissen zu „entwerten“. In der Terminologie der Ethik ausgedrückt, gilt es für die bei der Gestaltung der gebauten Umwelt Tätigen hier einen Mittelweg zu finden zwischen paternalistischer Bevormundung und teilnahmsloser Erfüllung der Wünsche Betroffener. Eine teilnahmslose Erfüllung von Bewohner- und Nutzerwünschen ggf. auch gegen besseres Wissen und gegen eigene Ideale lässt zum einen der Respekt vor der eigenen Autonomie nicht zu und stellt zum anderen, wie die paternalistische Bevormundung, eine nicht-sorgende Herangehensweise dar. Autonomie in Architektur und Städtebau heißt dementsprechend zum einen die Antizipation der Bedürfnisse aller Betroffenen, 257 zum zweiten auch die konkrete Erfragung dieser Bedürfnisse und zum dritten schließlich auch die Beachtung der Bedürfnisse aller Betroffenen, allerdings nicht als bedingungs- und teilnahmslose Dienstleistungserfüllung, sondern unter Beachtung anderer und eventuell auch gegensätzlicher individueller, vor allem aber auch gesellschaftlicher Bedürfnisse. Gerechtigkeit Vermutlich seit Menschen in Gemeinschaften miteinander leben, ist Gerechtigkeit ein wichtiges Thema. Auch Aristoteles hat ausgiebig über Gerechtigkeit nachgedacht und das fünfte Buch seiner „Nikomachischen Ethik“ dem Thema gewidmet (Aristoteles, 1985/[um 350 v. Chr.]). Für ihn geht es bei Gerechtigkeitsfragen immer um den Ausgleich zwischen verschiedenen Beteiligten, wobei aber nicht jeder gleich zu behandeln ist sondern jeder gemäß „seinem Verdienst“ oder seiner „Würdigkeit“. Legt man den Ansatz zugrunde, dass Gerechtigkeitsfragen solche des Ausgleichs zwischen verschiedenen Parteien sind, so ist selbstverständlich, dass das Thema Gerechtigkeit auch in Städtebau und Architektur eine Rolle spielt, ganz einfach, weil immer mehrere Parteien und die Gesellschaft betroffen sind. Eine genauere Betrachtung von Gerechtigkeit im Bereich der Gestaltung der gebauten Umwelt zeigt verschiedene Aspekte. Zum ersten kann man Gerechtigkeit verstehen als Berücksichtigung aller von einem Bauvorhaben betroffenen Personen. Dabei sind alle Individuen aber auch gesellschaftliche Gruppen, Institutionen und die Gesellschaft als Ganzes gemeint. Daneben können sich auch Städtebauer nicht der Tatsache entziehen, dass ihr Handeln die soziale Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft beeinflusst. Dies gilt dabei sowohl für intragenerationell als auch intergenerationell verstandene Gerechtigkeit. Dabei ist es nicht die Aufga258 be der Städtebauer soziale Ungleichheiten direkt zu bekämpfen oder zu beseitigen. Direkte Forderungen in diesem Sinn lassen sich hier ethisch nicht begründen, allerdings sollten sich Städtebauer und auch Architekten zumindest der sozialen Relevanz ihrer Tätigkeit bewusst sein. Der Philosoph Konrad Ott drückt dies folgendermaßen aus: „Architekten können sich kaum von dem Wissen distanzieren, dass sie an der Erfüllung eines primären und universellen Bedürfnisses (im Sinne Martha Nussbaums) mitwirken. Architekten werden dieses Bedürfnis aber immer nur für einige, also privativ befriedigen können. Aus dieser Einsicht heraus könnte sich eine Einstellung herausbilden, deren Kern moralisch motivierter Degout wäre gegen das Protzige und Luxurierende und gegen die aufdringlichen Insignien äußerlichen Erfolgs. Diese Einstellung hat etwas mit Scham gegenüber all denen zu tun, die von der Nutzung der Architektur ausgeschlossen werden. Viel mehr läßt sich hierzu nicht sagen“ (Ott, 1997: 751). Schönheit Entgegen einer ersten intuitiven Einschätzung ist auch das Thema Schönheit von großer moralischer Relevanz. Diese Einschätzung wäre für Platon, der im „Symposion“ eine enge Einheit des Schönen und des Guten beschrieben hat, und die meisten Philosophen bis hin zu Kant, der dem Schönen als ein Symbol der Sittlichkeit großen Wert beimaß (Vossenkuhl, 1992; Kant, 2001/ [1790]), völlig selbstverständlich gewesen. Da aber Schönheit heute im Allgemeinen als mehr oder weniger rein subjektiver Begriff gilt, ist diese Einschätzung nicht mehr selbstevident. Hierzu ist allerdings zunächst festzuhalten, dass Schönheit eben nicht als rein subjektiver Begriff zu verstehen ist. Bis zu einem gewissen Grad kann man intersubjektiv vermittelbar bestimmen, was schön ist und was nicht. Des Weiteren ist das Streben nach Schönheit vor allem in der Architektur von nicht zu leugnendem großen Einfluss und auch im Städtebau ist es relevant. Bedeutend ist Schönheit selbstverständlich auch für die Bewohner, auch wenn sich die Schönheitsbegriffe der Städtebauer und Architekten von denen der Bewohner unterscheiden mögen. Tatsächlich scheint Schönheit dabei nicht nur eine Marginalie zu sein, sondern ein elementares Bedürfnis. Das zeigt sich zum einen an der langen Tradition menschlicher „Verschönerungsbemühungen“, die von den Zeichnungen der Altamira-Höhle bis zur Gegenwart reicht, und zum anderen daran, dass selbst Menschen, die längere Zeit in extremen Umgebungen zu verbringen haben, versuchen ihre Umgebung schön zu gestalten (Tillmanns/Sagner, 2003). Wenn Menschen also – was zumindest nicht unwahrscheinlich ist – ein Grundbedürfnis nach Schönheit haben, dann ist die Opposition von Schönheit und Gutheit sinnlos: Es ist Teil des moralischen Handelns Schönheit anzustreben und das Streben nach Schönheit ist auch moralisch erstrebenswert. Es bleibt aber selbstverständlich zu fragen, was Schönheit in Architektur und Städtebau heißt. Schönheit kann zunächst – sehr defensiv – verstanden werden, als sorgfältige Gestaltung. Aus dem Gegenteil dazu, der gestalterischen Gleichgültigkeit – ergibt sich der moralische Verpflichtungscharakter: Diese verbietet sich aus ethischer Sicht, weil sie dem und den Menschen nicht gerecht wird. Schönheit kann – etwas offensiver und konkreter – mit Kant auch gefasst werden, als das, „was (...) bloß gefällt“ (Kant, 2001/[1790]:56/ B15). Doch auch das Streben nach Schönheit in diesem Sinn ist aus moralischen Gründen zu fordern. Denn Schönheit, verstanden als das, was gefällt, ist auch ein Grundbedürfnis des Menschen, das es bei der Gestaltung der gebauten Umwelt zu beachten gilt, wenn man dem Menschen gerecht werden will, was man aus moralischen Gründen sollte. An dieser Stelle könnte man als Gestalter einwenden, dass das, was Städtebauern gefällt, nicht unbedingt den Bewohnern gefällt. Insofern aber hier das Leben vieler Bewohner betroffen ist, ist zumindest Zurückhaltung mit sehr ausgefallenen Konzepten von Schönheit angebracht. Nachhaltigkeit Wir leben in einem Zeitalter, in dem es der Mensch geschafft hat seine eigenen natürlichen Lebensgrundlagen durch jahrelangen Raubbau zu gefährden. Großen Anteil an diesem letztlich menschheitsgefährdenden Ressourcenverbrauch haben der Bau und der Betrieb von Gebäuden. Um die Chancen zukünftiger Generationen auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse wahren zu können, (Brundtland, 1987:43) ist eine dauerhaft umweltgerechte Architektur und ein ebensolcher Städtebau erforderlich. Das Konzept der Nachhaltigkeit bezeichnet zwar heute sehr viel und ist über diese Bedeutungsfülle nahezu inhaltleer geworden; in seinem Kern allerdings meint er ein dauerhaft umweltgerechtes Handeln (SRU, 1994) und sollte sinnvollerweise auf diesen Kern zurückgeführt werden (Düchs, 2011; 2012). Die Ausformulierung dessen, was Nachhaltigkeit in Architektur und Städtebau konkret bedeuten könnte, müsste auf Grundlage eines ausgearbeiteten Nachhaltigkeitskonzeptes aus der Umweltethik erfolgen, was bis dato nur selten versucht wurde (Jörissen u. a., 2005; Ott/Döring, 2004). In jedem Fall dürfte ein dauerhaft umweltgerechtes Bauen und Städte-Bauen nicht nur an einer Steigerung der Ressourceneffizienz orientiert sein, sondern müsste – ohne dies hier ausführlich begründen zu können – stärker Fragen der Suffizienz und der Resilienz beachten. Das städtebauliche Leitbild der Behutsamkeit aus Sicht der Ethik – was bleibt? Zusammenfassend sind die folgenden Punkte aus obiger Diskussion zum Leitbild der Behutsamkeit im Städtebau festzuhalten. 259 Die Tätigkeit des Architekten und des Städtebauers ist als moralisch hochrelevant anzusehen, wobei der Grund dafür im großen Einfluss auf die Möglichkeit der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse des Menschen liegt. Die im Städtebau seit den 1980er Jahren vorherrschende Forderung nach Behutsamkeit ist als eine Maxime anzusehen, das heißt, als eine übergeordnete sehr allgemeine Handlungsorientierung. Ihr kommt eine hohe moralische Verbindlichkeit zu, wobei es sich aber nicht um eine absolute Pflicht handelt. Verstanden werden kann Behutsamkeit im Sinne von „im Handeln sorgend bedenken“. In diesem Sinne sollte Behutsamkeit eine Selbstverständlichkeit im Handeln von Städtebauern und Architekten sein, weil und insofern es um Menschen geht, die in ihrem Wohlbefinden und in ihrem guten Leben beeinflusst werden. Das impliziert allerdings auch, dass Behutsamkeit gegenüber Dingen oder Strukturen nur moralisch relevant ist, wenn Menschen von Änderungen betroffen sind. Behutsamkeit ist also moralisch „gesollt“, wenn Menschen unmittelbar betroffen sind; eine Prüfung im Einzelfall ist nötig, wenn Menschen nur mittelbar betroffen sind. Problematisch bleibt, dass sich aus der moralischen Maxime der Behutsamkeit keine bestimmten, immer gültigen und konkreten Gestaltungen oder bestimmte Vorgehensweisen ableiten lassen. Die Ethik kann nicht entscheiden, ob es im Einzelfall behutsam ist Stadtviertel zu erneuern oder abzureis- 260 sen und sie kann auch keine Vorgaben machen in welchem Stil zu bauen sei. Aufbau oder Rückbau – beides mag angebracht sein, aber beides hat in behutsamer Art und Weise zu erfolgen. Das mag im Fall vom Rückbau sehr komisch klingen, allerdings darf man hier nicht den Fehler machen, das geforderte behutsame Vorgehen auf die tote Substanz, die reine Materie der Stadt zu beziehen. Behutsamkeit ist nur gefordert im Umgang mit den Menschen. Und hier gilt aus Sicht der Ethik: egal welche Maßnahmen letztlich für nötig befunden werden, das Vorgehen bei der Planung und der Umsetzung sollte behutsam erfolgen. Was das im Einzelfall heißt kann der Ethiker nicht sagen, aber man kann die Maxime der Behutsamkeit mit den genannten Primafacie-Prinzipien  –  Schadensvermeidung, Autonomie, Gerechtigkeit, Schönheit und Nachhaltigkeit – etwas näher untersuchen und/oder erklären, was mit ihr in Bezug auf das architektonische und städtebauliche Handeln gemeint ist. Es bleibt aber immer so, dass die moralische Urteilskraft und die moralische Sensibilität jedes einzelnen im Städtebau oder in der Architektur Beschäftigten gefordert ist. Moralische Sensibilität und Urteilskraft zu „trainieren“, um moralische Konflikte und Situationen, in denen ein behutsames Vorgehen angebracht ist, besser antizipieren, wahrnehmen und letztlich lösen zu können, kann man allerdings als Teil einer Maxime der Behutsamkeit auch von Architekten und Städtebauern fordern. Literatur ALBERS, Gerd; WÉKEL, Julian (2008): Stadtplanung: Eine illustrierte Einführung. Darmstadt ALBERTI, Leon B. 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Zugriff am: 02.04.2012 261 Theorie und Geschichte Christian von Oppen Monumentalstadt Lissabon: ein (Papier-)Projekt der Salazar-Diktatur Die Vogelperspektive von 1936 zur Planung von Luís Cristino da Silva (1896-1976) für die Verlängerung der Avenida da Liberdade zeichnet ein Bild von Lissabon, dessen monumentaler, großstädtischer Ausdruck sich im gegenwärtigen Stadtbild nicht wiederfindet. Der Anblick der Vogelperspektive ruft Erinnerungen an die Vogelschau der von Albert Speer (1905-1981) geplanten Nord-Süd Achse für Berlin oder an der vom Sowjetpalast geplanten Südwestachse in Moskau wach. Die Parallelen zwischen den Darstellungen sind nicht zufällig. Der Wettbewerb der politischen Systeme in dem eigenen Land und unter den Diktaturen übte großen Druck auf die Selbstdarstellung der jeweiligen Regierung aus. Sie legitimierten ihre Herrschaft mit dem Versprechen, nur sie könnten die drängenden Probleme des 20. Jahrhunderts lösen. Um 1900 sah sich Europa, forciert durch die Industrialisierung, mit einem scheinbar ungebremsten Wachstum der Städte konfrontiert. Die Suche nach Lösungen für die Wohnungsnot, für den Mangel an Grün- und Erholungsraum sowie für den wachsenden Verkehr gehörten zu den Aufgaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Sonne 2010: 30). Der notwendige Umbau der vorindustriellen Stadtstruktur in Folge der Modernisierung führte vor dem Ersten Weltkrieg zu einer neuen Stadtvision, der Monumentalstadt. Vor allem die Altstädte entsprachen nicht mehr den Vorstellungen von Großstadtzentren selbstbewusster Metropolen. Die radikale Umgestaltung der Zentren wurde begleitet von Straßendurchbrüchen und Erweiterungen, von Abbruch und Zusammenlegung von Parzellen für Großbauten (Nägelke 2010: 132-133). Insbesondere die monumentale Umgestaltung der Hauptstadtzentren entwickelte sich zum Aushängeschild der europäischen Großmächte. Nach dem Ersten Weltkrieg und verstärkt nach der Weltwirtschaftskrise übernahmen die Diktaturen in Italien, der Sowjetunion und Deutschland den Wettbewerb um den monumentalen Ausbau ihrer Hauptstädte. Sie führten dabei bewusst die Prestigeprojekte der Vorgängerregierungen fort, um ihre Stärke, Effizienz und Schnelligkeit zu beweisen (Bodenschatz 2013). Gleiches gilt auch für Portugal. Die häufig vertretenen These, dass die portugiesische Diktatur bei der Inszenierung ihres Machtanspruches auf Prachtbauten verzichtete (Prutsch 2012: 47), kann zumindest für die entscheidende Phase von 1932 bis 1947 (Lewis 1978: 631-632) widerlegt werden. Das auffälligste Beispiel hierfür ist das Kastell St. Georg. Es war das Schlüsselelement in der programmatischen Überschreibung des kollektiven Erinnerungsträgers „Stadt“. 1938 wurde der schlichte Gebäudekomplex des Kastells im Rahmen von umfangreichen Restaurierungsarbeiten von den vielen Bauschichten, die sich in seiner über 800 Jahre alten Baugeschichte angelagert hatten, befreit. Der Rückbau war keine wirkliche Suche nach dem ursprünglichen Baukörper. Er sollte die Idee der einen historischen Wahrheit, der História Única, verbildlichen (Pereira 1997: 100): Mit der Vertreibung der Mauren und der Reichsgründung begann nach offizieller Lesart 1140 der politische wie kulturelle Aufstieg Portugals, mit dem sich die sog. wahre portugiesische Architektonik entwickelte (Sokol 1957: 52). Befreit von jeder stilgeschichtlichen Überlagerung 265 vermittelt das Phantasieprodukt des Estado Novo das Bild einer wehrhaften mittelalterlichen Burg und sollte so die Erinnerung an den heroischen Sieg über die Mauren und die Geburt Portugals wach halten. In dem Bestreben nach Selbstdarstellung beschränkte sich die portugiesischen Diktatur nicht auf einzelne Bauwerke, sondern entfaltete ein umfängliches Städtebauprogramm. Die ersten Bestrebungen zur Umgestaltung Portugals und insbesondere Lissabons unternahm noch die 1926 durchgesetzte Militärdiktatur unter General Manuel de Oliveira Gomes da Costa (1863-1929). 1927 wurde der französische Landschaftsarchitekt und Gründungsmitglied der Société françaises des urbanistes Jean Claude Nicolas Forestier (1861-1930) als Berater bei der Erstellung eines Generalbebauungsplans nach Lissabon berufen. Mit seiner Machtübernahme 1932 ernannte António de Oliveira Salazar (1889-1970) seinen Vertrauten und bauerfahrenen Bildungsminister, den Ingenieur Duarte José Pacheco (1900-1943), zum Bauund Verkehrsminister. Pacheco war in den für das Regime bedeutenden 1940er Jahren der wichtigste Minister in Salazars Kabinett (Raimundo 2009:151ff ). 1934 folgte der französische Urbanist Alfred Donat Agache (1875-1959) der Einladung Pachecos, einen Stadtentwicklungsplan für Lissabon mit Schwerpunkt auf der Costa del Sol, die sich westlich von der Hauptstadt anschließt, zu entwickeln. 1938 erhält der Professor des Institut de l’Urbanisme de Paris Étienne de Groër (1882-1952) auf Empfehlung Agaches den Auftrag einen neuen Generalbebauungsplan für Lissabon zu erstellen. De Groër begleitete die Entwicklung des Generalbebauungsplans (Plano Director de Lisboa) von 1938-40 und von 1946-48. Die Berufung bedeutender französischer Urbanisten in vier Planungsphasen – Forestier (1927), Agache (1934-1936) und de Groër (1938-40 und 1946-48) – unterstreicht die große Bedeutung der städtebaulichen Gestaltung Lissabons für die Diktatur. Die meisten Projekte, 266 die unter der Herrschaft Salazars realisiert wurden, hatten ihren Ursprung noch vor dem Militärputsch. So waren auch die Verlängerung der Avenida da Liberdade, die Gestaltung des Uferbereichs westlich der Praça do Comércio, die Anlage der Avenida Ribeira das Naus, der Ausbau der Avenida Almirante Reis und die ästhetische Verbesserung der Baixa waren schon während der Ersten Republik (1910-1926) Themen der städtebaulichen Debatten (Mangorrinha 2007:124). Der Gedenkkult der portugiesischen Diktatur António Joaquim Tavares Ferro (1895-1956), der erste Direktor des Amtes für nationale Propaganda (Secretariado de Propaganda Nacional (SPN)), nahm entscheidenden Einfluss auf das noch heute gängige Bild der großstadtfeindlichen Diktatur. Er stilisierte Salazar zum filho do campo in klarer Abgrenzung zur städtisch geprägten Ersten Republik (Prutsch 2012:42). Als am 5. Juli 1932 Salazar zum Ministerpräsident ernannt wurde, hielt sich die Militärdiktatur in Portugal schon über fünf Jahre an der Macht. Mit dem Putsch 1926 endete die Erste Republik Portugals, die von sozialer Instabilität, politischer Diskontinuität, wirtschaftlichem Misserfolg und kolonialpolitischer Orientierungslosigkeit geprägt war (Rosas 1997:1318). Salazar wandte sich mit seinem Gesellschaftsprojekt entschieden von der Ersten Republik ab. Er machte die urbanen Eliten für die Zerstörung der ländlichen Kultur und das unkontrollierte Wachstum der Städte verantwortlich. Karikierend kritisierte die Propaganda Ferros die städtisch geprägten Intellektuellen, die – in den Kaffeehäusern debattierend – unfähig waren, das Land zu führen. Mit der Zustimmung per Referendum zum autoritären Einparteienstaat 1933 und der Gründung des Neuen Staates (Estado Novo) unter der Führung Salazars, des Salvador, versprach die Diktatur den Beginn eines neuen goldenen Zeitalters (Ano Áureo) (Prutsch 2012:45). Ferro entwarf für diesen Estado Novo, inspiriert vom faschistischen Italien (Almeida 1994:55), das Modell der Política do Espírito, eine Politik, die sich an der weltgeschichtlichen Bedeutung des portugiesischen Geistes orientieren und eine moralische Erneuerung der Gesellschaft mit Hilfe einer Rückbesinnung auf die Größe der portugiesischen Nation erreichen sollte (Corkill u. a. 2009:385). Er inszenierte um das Versprechen eines wiedererstarkenden modernen Portugals bei Beibehaltung der traditionellen Werte einen Erinnerungskult, der auf den Schlüsseldaten 1140 (Gründung Portugals), 1640 (wiedererlangte Unabhängigkeit von Spanien) und 1940 (Aufbruch in das neue goldene Zeitalter) aufbaute (Corkill 2009:390). 1934 fasste Ferro die Prinzipien der Política do Espírito im Decálogo do Estado Novo zusammen. Trotz der Stilisierung der Person Salazars zum filho do campo und der inszenierten Großstadtfeindschaft übernahm der Umbau der Städte, insbesondere der Hauptstadt in Ferros Propaganda eine entscheidende Rolle. Die ideologische Botschaft sollte für eine zum größten Teil aus Analphabeten bestehenden Bevölkerung durch Denkmäler, symbolische Bauten und ein gebautes Bildprogramm vermittelt werden, das zudem die politische Handlungsfähigkeit des autoritären Staates beweisen konnte (Oppen 2012:54). Die Pläne von Jean Claude Nicolas Forestier aus dem Jahre 1927 zur Verlängerung der Avenida da Liberdade und zur Neuordnung der Uferbebauung westlich der Praça do Comércio Nach dem Militärputsch von 1926 berief die Stadtverwaltung von Lissabon eine Kommission zur Entwicklung eines Generalbebauungsplan ein, um das Wachstum der Stadt zu steuern. Die Kommission übertrug die Leitung der Planung an den international erfahrenen französischen Landschaftsarchitekten und Gründungsmitglied der Société françaises des urbanistes Jean Claude Nicolas Forestier. Forestier wurde durch seine planerischen Ideen für Paris bekannt, die er 1908 unter dem Begriff der Avenue-Promenade in dem Buch „Grandes villes et systèmes de parcs“ zusammenfasste. Die Avenue-Promenade sollte ein breiter begrünter Verkehrsraum sein, der die über die Stadt verteilten Parks verbinden sollte. Von 1923 bis 1925 konnte Forestier seine Ideen zur Avenue-Promenade in die Planungen für den Großstadtraum Buenos Aires in Form der Avenidas-paseo einbringen (Lima 2012:5). Von 1925 bis zu seinem Tod 1930 arbeitete er auf Kuba an einem Masterplan für Havanna. Seinen Aufenthalt auf Kuba unterbrach der gefragte Landschaftsarchitekt im Jahr 1927, um die Arbeit am Generalbebauungsplan für Lissabon zu begleiten. In diesem Jahr entwickelte Forestier zwei städtebauliche Studien. Die erste knüpfte an den Planungen der Brüder Alberto und Eugénio Mac Bride an, die Avenida da Liberdade, die 1879-1886 nach den Vorbildern der Pariser Boulevards entstanden war, über einen Hügel jenseits der Stadt zu verlängern. Die neue Achse sollte wie der Champ-de-Mars in Paris die Stadt mit einem neu anzulegenden Stadtwald verbinden (Camarinhas 2006:9). Forestier kombinierte die Planungen der Gebrüder Mac Bride mit der Idee von Miguel Ventura Terra (1866-1919) von 1910, in Verlängerung der Achse der Avenida auf dem Hügel ein symbolträchtiges Gebäude zu errichten, das die neue Stadtkrone Lissabons darstellen sollte (Abb. 1). In einer zweiten Studie schlug Forestier eine neue Uferpromenade im Bereich der Ribeira das Naus zwischen der Praça do Comércio und dem westlich anschließenden Cais do Sodré vor. Der Entwurf übernahm die orthogonale Ordnung der Baixa, an der die Blockränder der Bebauung, die Wege der Grünlagen bis hin zur Führung der Uferkannte ausgerichtet wurden (Lôbo 1993:26ff ). Der Vorschlag ging auf eine städtebauliche Idee zurück, die 1870 von dem französischen 267 samte Stadt erhofft. Dennoch beeinflussten seine beiden Studien fast die gesamte Planungsgeschichte der portugiesischen Diktatur. So blieben sowohl die Verlängerung der Avenida da Liberdade als auch der Ausbau der Ribeira das Naus Kernthemen im Städtebauprogramm der Salazar-Diktatur. Offiziell wurde die Umsetzung von Forestiers Planung zwei Jahre später aus technischen und finanziellen Schwierigkeiten aufgegeben. Vor allem scheiterte sie aber an den wachsenden Vorbehalten portugiesischer Städtebauer gegenüber ausländischen Planern, die in der wichtigsten Tageszeitung, der Diáro de Notícias, veröffentlicht wurden (Camarinhas 2006:9ff ). Abb. 1 Forestier versuchte mit dem S-förmigen Verlauf der Avenida da Liberdade auf die topographischen Gegebenheiten zu reagieren (1927). (Quelle: Planos de Urbanização. A Época de Duarte Pacheco. Lissabon 1993:27) Ingenieurs Aimé Thomé de Gamond (18071876) publiziert wurde. Thomé de Gamond wollte die Innenstadt von Lissabon um 350 Hektar durch eine Aufschüttung im Uferbereich des Tejos parallel zum Raster der Baixa vergrößern. Das wichtigste Element in seinem Entwurf war ein Boulevard von 115 Metern Länge, der parallel zur neuen Uferkante die Praça do Comércio mit der Straße nach Cascais verbinden sollte (Figueira 1949:34ff ) (Abb. 2). Die Pläne von Luis Cristino da Silva für die Verlängerung der Avenida da Liberdade in den 1930er Jahren Der Umfang der von Forestier 1927 vorgestellten Arbeitsergebnisse enttäuschte die Erwartungen der Stadtverwaltung. Die Kommission zur Entwicklung eines Generalbebauungsplan hatte sich von Forestiers Arbeit ein Entwicklungskonzept für die ge268 In Folge der Auseinandersetzung über die Verlängerung der Avenida da Liberdade übertrug die Stadtverwaltung von Lissabon 1930 dem portugiesischen Architekten Luis Cristino da Silva (1896-1976) die Aufgabe, die Planungen von Forestier zur Verlängerung der Avenida da Liberdade fortzuschreiben, ohne die utopische Geste des Entwurfs zu übernehmen. Zwei Jahre später präsentierte da Silva die ersten Ergebnisse. Im Mittelpunkt seines Entwurfs stand am nördlichen Ende ein Justizpalast, der zusammen mit einem Triumphbogen die neue Stadtkrone Lissabons bilden sollte. An diesem Entwurfskonzept hielt die Stadtverwaltung im Grundsatz bis 1945 fest. So berücksichtigten die Vorarbeiten von Étienne de Groër zum Generalbebauungsplan Ende der 1930er Jahre zunächst noch dieses Vorhaben. In dem 1948 abschließend veröffentlichten Generalbebauungsplan fand die Verlängerung der Avenida da Liberdade jedoch keine Erwähnung mehr. Im Gegensatz zur Avenida da Liberdade war die Umgestaltung der Ribeira das Naus sowohl in den späteren Planungen von Alfred Donat Agache wie von de Groër ein zentrales Entwurfsmotiv (Abb. 3). Die langjährige Auseinandersetzung, die zunehmend vom autoritären Staat als Problem wahrgenommen wurde, konnte erst 1945 durch den Kompromiss, den Park zu erhalten und den Boulevard nur Abb. 2 Thomé de Gamonds kühner Plan zur Erweiterung Lissabons (1870). (Quelle: Revista Municipal, 40/1949:38) optisch über eine Sichtachse zu verlängern, beigelegt werden (Tostões 1999:84). Die Pläne für eine neue Stadtkrone am oberen Ende des Parks in der Achse der Avenida da Liberdade wurden 1948 aufgegeben. Alfred Donat Agaches Entwicklungsplan (1934-1935) für die Costa del Sol und die Umgestaltung der Ribeira das Naus Mit der Gründung des Estado Novo durch Salazar erfuhr der Städtebau in Portugal ei- Abb. 3 Die Stadtkrone in Luís Cristino da Silvas Entwurf zur Verlängerung der Avenida da Liberdade von 1936 wiederholte mit der Anordnung der rahmenden Bebauung und des Triumphbogens die Raumkomposition des Praça do Comércio. (Quelle: Fundação Calouste Gubenkian, Bilioteca de Arte) ne entscheidende Beschleunigung. Nach einer weiteren Bestätigung seiner Machtbefugnisse durch ein Referendum 1933 musste Salazar sichtbare Erfolge aufweisen. Aufgrund seiner praktischen Bau- und Verwaltungserfahrungen wurde 1932 der vorherige Bildungsminister und Ingenieur Duarte Pacheco (1900-1943) zum Bau- und Verkehrsminister ernannt. Pacheco war die einzige Person in Salazars Kabinett, die aufgrund ihrer Kontakte zu wichtigen privaten Institutionen, zur Stadtverwaltung und zu staatlichen Organen sicherstellen konnte, dass die ehrgeizigen Baupläne des Regimes zu großen Teilen umgesetzt werden konnten (Lôbo 1993:35ff ). In seinen Amtszeiten (1932-36 und 1938-43) wurde das Stadtbild der meisten portugiesischen Städte entscheidend geprägt, wobei der Gestaltungsschwerpunkt auf der Hauptstadt Lissabon lag (Baptista 2008:40). Unter seiner Leitung begannen 1938 die Vorarbeiten zur großen Leistungsschau der Diktatur, der Exposição do Mundo Portugues, die in dem bedeutenden Gedenkjahr 1940 zelebriert werden sollte. Mit den Vorbereitungen zur Ausstellung wuchs das Interesse der intellektuellen Elite und der politischen Entscheidungsträger an einem auf nationalen Werten beruhenden monumentalen Ausbau der Hauptstadt (Tostões 2010:34). Im Februar 1933 verkündete Pacheco in einem Interview, dass der französische Urbanist Alfred Donat Agache (1875-1959) 269 seiner Einladung folgen werde, einen Entwicklungsplan für den Küstenstreifen ausgehend von dem Terreiro o Paço (Praça do Comércio) entlang der Tejomündung bis zur Küstenstadt Cascais zu entwickeln. Bereits 1932 war Agaches Buch „La Remodélation d’une capitale“ erschienen, in dem er seine Planung zur Umgestaltung von Rio de Janeiro vorgestellt hatte. Aufmerksam wurde Pacheco auf Agache durch den Architekten Porfírio Pardal Monteiro (18971957). Dieser hatte 1932 Agache auf der I Réunions Internationales d’Architectes (RIA) in Moskau kennengelernt, welche die französische Zeitschrift l‘Architecture d’Aujourd‘hui zum Thema Städtebau, Neustädte und Sanierung von Altstädten organisiert hatte (André 2012:2). Agache, Mitglied der Societé Française des Urbanistes, begriff die Stadt als einen lebenden Organismus, dessen Wachstum zur Verbesserung der Wohnungsbedingungen, der hygienischen Verhältnisse und der Stadtgesundheit beeinflusst werden muss. Er sprach sich für eine Entflechtung der Funktionen aus: Wohngebiete, Industrie und Gewerbe sowie Zentrumsfunktionen sollten jeweils voneinander getrennt sein. Für seine Studien benutzte er moderne Analysemethoden wie die Technik der Luftbildauswertung, Datenerfassung und statistische Wachstumsprognosen. In seinem Auftrag wurden soziale, wirtschaftliche, geographische und verkehrstechnische Erhebungen durchgeführt und in Diagrammen, Schaubildern und Tabellen zusammengefasst. Von 1934 bis 1935 entwickelte Agache eine ausdifferenzierte Studie, in der für den Zentrumsbereich Denkmäler, schützenswerte Ensembles aber auch Nutzungszonen empfohlen wurden (André 2012:5). In einem Überblicksplan legte Agache Entwicklungsachsen parallel zu den großen Radialstraßen fest. In einer detaillierten Planung zum Küstenstreifen zwischen Cascais und Lissabon, der Costa del Sol, stellte Agache eine Bandstadt parallel zu der Flussmündung und den Ausbau einer 270 Küstenstraße, der Avenida Marginal, vor. Der Plan legte schützenswerte malerische Landschaftsbereiche fest, wies der wachsenden Stadt klar begrenzte Baufelder zu und gliederte den Bebauungsgürtel in unterschiedliche Funktionsabschnitte (Abb. 4). Agaches Entwurf für die Avenida Marginal schloss eine Überarbeitung des Uferbereichs zwischen Praça do Comércio und Cais do Sodre mit ein. Die Küstenstraße dominierte die Planung zur Umgestaltung der Ribeira das Naus. Sie verlief zur Verbesserung des Verkehrsflusses diagonal zur Baixa und versuchte damit zwischen den Orientierungen der Stadtteile zu vermitteln. Der Vorschlag für diesen Küstenabschnitt stand – wie schon jener Forastiers – unter dem Einfluss der 1870 veröffentlichten kühnen Vision von Thomé de Gamond. De Gamonds Vorschlag, die alten Werftanlagen der Ribeira das Naus zu Gunsten einer neuen Uferpromenade abzubrechen, erhielt nach der Sturz der Monarchie neue Unterstützung. Noch im Februar 1910 legte die Sociedade Propaganda de Portugal, die 1909 zur Förderung des Tourismus in Portugal geründet wurde, einen Plan zur Verschönerung der Uferbereichs zwischen Praça do Comércio und Cais do Sodre vor. Entwurfsbestimmende Detailpunkte der Planung waren eine Uferstraße, die der bestehenden Uferkannte folgte, und die Umwandlung der Werftanlagen in einen Park. Der Ingenieur António Belo erweiterte 1921 den Vorschlag der Sociedade Propaganda de Portugal um eine der Verbindungsstraße vorgelagerte Bebauung. Diese sollte im Bereich der Praça do Comércio Ministerien vorbehalten sein, der mittlere Abschnitt sollte zwei Hotels aufnehmen und mit der Hafenverwaltung am Cais do Sodre enden. Die vorgelagerte Bebauung hätte mit den Ministerien Teile der Ansicht des Praça do Comércio vom Tejo aus verdeckt und damit das symmetrische Bild des Platzes als Tor zur Welt empfindlich gestört. Mit einer kleinen Promenade vor der Uferbebauung übernahm Belo ein wichtiges Motiv von de Gamonds Idee (Abb. 5). Agaches Entwurf lehnte sich stärker an den Vorschlägen Belos an als an den streng formalen Entwurf Forestiers. Trotz der umfänglichen Grundlagenermittlung war Agaches Entwurf umstritten. Die Hafenverwaltung von Lissabon stellte 1941 einen Gegenentwurf zu der Studie von Agache vor. Sie schlug sechs gleichförmige Blöcke, ausgerichtet am Raster der Baixa im Bereich der alten Werftanlagen, und einen abschließenden doppelt so großen Block zum Cais do Sodre vor. Zur Wasserseite sollte der L-förmigen Bestandsbebauung eine weitere Fassade vorgestellt werden, um so eine einheitliche flussseitige Fassadenfront zu erreichen (Silva 1941:10-14) (Abb. 6). Der 1948 vorgestellte Plano de Remodelação da Baixa (Plan zur Modernisierung der Unterstadt) des Architekten und Städtebauer João Guilherme Faria da Costa (1906-1971) enthielt ebenfalls einen Vorschlag zur Neugestaltung der Ribeira das Naus. Faria da Costas Plan sah ebenfalls eine Schließung des L-förmigen Blocks vor. Auch führte er die uferseitige Fassadenfront der Bebauung an der Praça do Comércio in Richtung Westen fort. Die vorgelagerte Uferpromenade sollte in einen rechteckigen Platz münden, der wie die Bebauung an dem Raster der Baixa ausgerichtet war. Der Platz sollte das Gelenk zwischen dem orthogonalen System des Zentrums und der diagonal dazu verlaufenden Avenida Marginal bilden (Abb. 7). Die meisten Entwurfsbeiträge zur Umgestaltung der Ribeira das Naus verlängerten das strenge Raster der Baixa und nahmen damit den Abbruch wichtiger Teile des historischen Baubestands in Kauf. 1949 erschien ein Artikel in der Revista Municipal, der bemängelte, dass fast alle Entwürfe, auch der Vorschlag von Faria da Costa, die historische Bedeutung der Bestandsbebauung nicht berücksichtigt hätten. In dem Artikel wurde ein Gegenentwurf vorgestellt, der behutsam die historische Bebauung integrierte (Abb. 8). Trotz der anhaltenden Kritik hielt die Stadtverwaltung von Lissabon an der Planung von Faria da Costa fest. Bis 1959 ließ sie u. a. von dem Architekten Cristino da Silva Entwürfe für den ersten großen Ministeriumsneubau an der Ribeira das Naus auf der städtebaulichen Grundlage von Faria da Costas Planung entwickeln. Nach der Präsidentenwahl 1958 wurde die Umsetzung von großen Bauvorhaben immer schwieriger, was vor allem auf den bereits beginnenden inneren Zerfallsprozess der autoritären Staatsführung Portugals zurückzuführen war (Lewis 1978:632f ). So wurde keine der Entwurfsideen zur Ribeira das Naus innerhalb der sechunddreißigjährigen Herrschaft Salazars realisiert. Étienne de Groërs Generalbebauungsplan (1938-40 und 1946-48) und die Ausgestaltung der Avenida Almirante Reis Im Januar 1938 beschloss der Planungsausschuss der Stadt Lissabon, einen Generalbebauungsplan für Lissabon und Umgebung erstellen zu lassen. Auf Empfehlung Agaches wurde hierfür der Professor des Institut de l’Urbanisme de Paris Étienne de Groër (18821952) angefragt. Agache kannte de Groër aufgrund dessen Mitarbeit an den Plänen für Rio de Janeiro gut. Noch im selben Jahr folgte de Groër der Einladung nach Lissabon, die Leitung der Erstellung eines neuen Generalbebauungsplann zu übernehmen. Mit dem Einfluss de Groërs änderte sich die Stadtentwicklungspolitik Lissabons. De Groër forderte von der Stadtverwaltung, effektive Instrumente zur Steuerung der unterschiedlichen Interessen, von privaten und öffentlichen Bauherren zu entwickeln, um die Hauptstadt im Sinne des Allgemeinwohls entwickeln zu können. De Groërs planerische Haltung war noch von den Ideen 271 Abb. 4 Die Abb. 5 Die Abb. 6 Die Abb.4-6 Agaches Entwurf zur Neuordnung des Uferbereichs westlich des Praça do Comércio, dominiert von der nach Cascais führenden Avenida Marginal (oben) und Vorschlag von Atónio Belo von 1921 mit Parallelen zur Agache-Planung (Mitte); Gegenentwurf der Hafenverwaltung von Lissabon (unten) (Quelle: Revista Municipal, 8-9/1941:11; 9; 13) 272 der Stadtbaukunst geprägt, wurde aber auch von den Ideen des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) beeinflusst (Tostões 2008:208f ). Der ausländische Experte erstellte zusammen mit Faria da Costa in den Jahren von 1938 bis 1940 sowie von 1946 bis 1948 im Auftrag der Stadtverwaltung auf der Grundlagen der Planta da Cidade de Lisboa von 1911 und der Planta da Cidade de Lisboa von 1935 einen radial organisierten Generalbebauungsplan, in dessen Mittelpunkt die Zona Central, der Stadtkern, lag (Mangorrinha 2007:127-131) (Abb. 9). Der Plan teilte die Stadt in unterschiedliche Funktionsbereiche. Ein wichtiges Element seiner Entwurfsarbeit war die Verkehrsplanung. So waren der Ausbau und die Verlängerung der großen Radialstraßen sowie die verkehrsgerechte Umgestaltung des Stadtzentrums entwurfsprägend. Die Radialen verbanden die konzentrisch angeordneten und den Stadtraum gliedernden Verkehrsringe mit dem Zentrum. Ein Planungsschwerpunkt lag auf den Übergängen zwischen den Radialstraßen und dem streng orthogonalen Straßenraster der Baixa. Bei der Avenida da Liberdade, die 1886 aus dem Volksgarten Passeo Publico entwickelt wurde (Tostões 2008:174ff ), bot sich durch die vermittelnde Raumwirkung des Rossio am Übergang zwischen Avenida und Baixa eine gefällige Raumfolge an. Der Stadtraum gab bezüglich der gestalterischen sowie verkehrstechnischen Anbindung der Avenida Almirante Reis mit der Zona Central keine klare Lösung vor (Brito 2008:177). Ebenso stellte die Anbindung der Küstenstraße Avenida Marginal an die Baixa die Planer vor einige Probleme. Dennoch waren sowohl die Avenida Almirante Reis als auch die Avenida Marginal wichtige Achsen in der Selbstdarstellung der Diktatur. Die Avenida Marginal verband das Gelände der im Erinnerungskult des Regimes bedeutende Exposição do Mundo Portugues in Belém mit der Praça do Comércio, dem symbolischen Tor zum Imperio. Die Avenida Almirante Reis wiederhe- Abb. 7 Die Umgestaltung des Zentrums im Rahmen des Generalbebauungsplans von 1948 beinhaltete auch eine Überplanung des Uferbereichs westlich der Praça do Comércio durch Faria da Costa. (Quelle: Revista Municipal, 42/1949:43) Abb. 8 Der Gegenentwurf, den die Revista Municipal 1949 veröffentlichte, geht ausschließlich auf das Thema der ästhetischen Verbesserung der baulichen Situation und auf den Erhalt wichtiger historischer Gebäude ein. (Quelle: Revista Municipal, 42/1949:44) rum führte zum neuen Tor, dem Flughafen. An der Achse stand das prestigeprächtige Projekt der Universitätsstadt der neugegründeten Technischen Hochschule (Instituto Superior Técnico), eingebettet in neue urbane Wohngebiete für eine aufstrebende Mittelschicht, die sich deutlich von den suburbanen Siedlungen an der Peripherie unterschieden. Die Praça do Areeiro (19411956) bildete formal den monumentalen Abschluss der linear verlaufenden Avenida Almirante Reis. Drei historisierende Wohnhochhäuser dominierten den Platz. Sie sollten Ordnung, Stabilität und Kontinuität symbolisieren (Marat-Mendes 2010:8f ) (Abb. 10). Die rasche Gentrifizierung dieses traditi273 Abb. 9 In dem Generalbebauungsplan von 1948 wurde die Bedeutung der Radial- und Ringstraßen farblich hervorgehoben. (Quelle: Lisboa. O Plano da Baixa hoje, Ausstellungskatalog (2008) Lissabon) onell einkommensschwachen Stadtgebiets entlang der Avenida Almirante Reis erreichte die Diktatur durch Enteignungen, für die, aufgrund des geringen Bodenwertes, sehr niedrige Entschädigungen geleistet werden mussten. Insgesamt konnte eine Fläche enteignet werden, die genug Raum für die Radiale und für angrenzende Stadtquartiere bot. Finanziert wurde das Projekt über den Bodenwertzuwachs nach den Enteignungen (Silva 1994:42-51). Die Avenida Almirante Reis wurde zu einem der wichtigsten Stadtentwicklungsprojekte und demonstrierte die Handlungsfähigkeit der Diktatur (Oppen 2012:55). Mit diesem Erfolg erhöhte sich der Druck, eine Lösung für die Anbindung der Avenida an die Altstadt zu finden. Die Avenida Almirante Reis ging im Bereich der Altstadt unmerklich in die Rua da Palma über, die sich im Gewirr der Gassen des Stadtteils Mouraria verlor. Die Mouraria, deren Ursprung auf das Maurenviertel außerhalb der Stadtbefestigung zurückgeht, beherbergte traditionell gesellschaftlich ausgeschlossene Bevölkerungsschichten. Ihr Erscheinungsbild und ihre soziale Struktur entsprachen in der Wahrnehmung der Diktatur nicht der Bedeutung des Knotenpunkts zwischen einer der wichtigsten Radialen des Regimes und dem Zentrum des Imperio. Die ersten Planungen zum Ausbau der 274 Abb. 10 Luís Cristino da Silva formulierte 1936 mit dem Turm und der platzfassenden Bebauung einen klaren städtebaulichen Endpunkt der Avenida Almirante Reis. (Quelle: Fundação Calouste Gubenkian, Bilioteca de Arte) Avenida Almirante Reis entstanden während der 1. Republik und wurden nach der Machtübernahme durch das Militär zügig vorangetrieben (Mangorrinha 2007:122). 1932 beschloss die Stadtverwaltung Enteignungen im Bereich der Mouraria, die mit verkehrsplanerischen Zwängen begründet wurden. Unter der planerischen Aufsicht von de Groër begannen 1946 die Abrissarbeiten (Silva 1946:14f ). Einige Wohnblöcke der Mouraria wurden abgebrochen, um Raum für einen neuen Platz, die Praça de Dom João I, zu schaffen. Der Platz sollte ein gewaltiger Verkehrsknotenpunkt werden, der über zwei Straßentunnels sowohl mit der Avenida da Liberdade als auch mit der Uferpromenade östlich von der Praça do Comércio kurzgeschlossen werden sollte. Ihn sollten achtgeschossige Neubauten rahmen, in welche vierzehngeschossige Hochhäuser integriert werden sollten. Der neue Platz sollte mit seiner Bebauung auf die Hochhäuser an der Praça do Areeiro am anderen Ende der Avenida Almirante Reis spiegelbildlich reagieren und so der Achse einen erlebbaren Rahmen geben (Tostões 2008:214). In der Verlängerung der Achse unmittelbar hinter dem projektierten Platz lag in der Baixa die Praça da Figueira. Aufgrund der hygienischen und verkehrstechnischen Probleme, die das Planungsteam um de Groër im Bereich des zentralen Marktes sahen, wurde die Markthalle auf der Praça da Figuei- Abb. 11 Der Plan zur Sanierung der Baixa von Faria da Costa (1948) hob deutlich die Eingriffe im Bereich des Anschlusses der Avenida Almirate Reis hervor. (Quelle: L‘urbanism de Lisbonne. Éléments de théorie urbaine appliquée. Paris 2012:132) ra 1949 abgerissen. Die Fassaden, die vorher durch die Halle verdeckt waren und mit dem Abriss nun an einem Platz lagen, genügten nicht den Ansprüchen, die an den zurückgewonnenen Platz gestellt wurden. In der Folge wurden drei schmale Riegel geplant, die die Nord-, Ost-, und Südseite des Platzes abschließen sollten (Tostões 2008:212ff ). Die Abbrucharbeiten der Markthalle aber auch der mittelalterlichen Mouraria riefen in Teilen der Öffentlichkeit Proteste hervor (Camarinhas 2006:16). Kritisch wurde die Studie auch vom Stadtplanungsamt (DirecçãoGeral dos Serviços de Urbanização – DGSU) aufgenommen, das in den vorgeschlagenen Maßnahmen die Gefahr einer auseinanderbrechenden Stadtstruktur sah (Mangorrinha 2007:131) (Abb. 11). Faria da Costa verteidigte den Vorschlag zur Flächensanierung nicht nur mit den Zwängen des wachsenden Verkehrs und der Notwendigkeit, bessere Wohnverhältnisse zu schaffen, sondern auch mit dem Argument der Verantwortung des Staates gegenüber dem rechtschaffenen Bürger. Es sei die Aufgabe des Staates mit dem Abbruch der Mouraria, ein Quartier für die boa gente (guten Menschen) der Gesellschaft zu schaffen (Camarinhas 2006:18). Die Umsetzung des städtebaulichen Auftakts für die Avenida Almirante Reis fiel wie die Planungen zur Ribeira das Naus in die Phase des schleichenden Machtverlustes Salazars. Die Umsetzung des Projekts kam nicht über den großflächigen Abriss der Mouraria hinaus. Die Fläche die für die geplante Praça Dom João I in den Stadtraum gebrochen wurde, präsentiert sich bis heute als die Praça Martim Moniz. 275 Die Überlegungen zur ästhetischen Verbesserung des Rossio 1934 und Étienne de Groërs Sanierungsplan für die Baixa 1948 Die zurückhaltende Architektur und der streng orthogonale Grundriss mit seiner dezent ausdifferenzierten Straßenhierarchie des Stadtkerns, der Baixa, spiegelten nicht die Vorstellungen der Diktatur von dem Zentrum ihres Imperio wieder. Allenfalls entsprach die Schlichtheit und repetitive Raumordnung ohne Pathos dem offiziellen Geschichtsbild des Estado Novo, welches die Regierungszeit des Marquis de Pombal (1699-1782), in der die Baixa nach dem großen Erdbeben von Lissabon wiederaufgebaut wurde, als eine Phase des wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs darstellte (Prutsch 2012:45). Dieses Geschichtsverständnis hatte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Portugal durchgesetzt. Die Kunsthistoriker und Architekten dieser Zeit sahen in dem Stil des Wiederaufbaus der Baixa einen Bruch mit der großen Bautradition Portugals. Sie prägten die damals gängige Meinung, dass die dem Pragmatismus geschuldete Monotonie ohne Akzente, der Mangel an Symbolik und an Phantasie dem Zentrum einer Hauptstadt unwürdig sei (Leal 2004:7). Ausgenommen von der Kritik war der größte Platz der Baixa, die Praça do Comércio. Nach den Beben von 1755 übernahm sie die Lage des vorherigen Schlossplatzes (Terreiro o Paço) am Tejoufer. Die rahmende Bebauung war der staatlichen Verwaltung vorbehalten. Freigehalten für feierliche Zeremonien war sie das exklusive Tor zur überseeischen Welt, zum Imperio (Rossa 2008:59ff ). Aufgrund ihrer klaren Symbolik und des darauf abgestimmten Bildprogramms mit zurückhaltenden, noblen Fassaden, Turmbauten und Triumphbogen wurde die Praça do Comércio 1910 unter Ensembleschutz gestellt. Während des Estado Novo befanden sich die wichtigsten staatlichen Ministerien an der Praça do Co276 mércio. Salazar strebte nie eine Verlegung des staatlichen Zentrums an. Der Rossio, der spiegelbildlich zur Praça do Comércio das Tor zum Land symbolisierte, war der zweitwichtigste Platz in der Baixa, allerdings nur halb so groß wie sein seeseitiger Zwilling. Die Fassaden der raumbildenden Häuser des Rossio hoben sich nicht wie bei der Praça do Comércio durch ihren Fassadenschmuck von denen der umliegenden Straßenzüge ab, auch war das einheitliche Erscheinungsbild durch Abriss und Ergänzung verloren gegangen. Aufgrund des Vergleichs mit der Praça do Comércio bestimmte die ästhetische Aufwertung des Rossio noch vor dem Militärputsch die städtebauliche Debatte Lissabons. Die Stadtverwaltung von Lissabon lobte 1934 einen Wettbewerb zur besseren Gestaltung des Rossio aus (O melhoramento estético do Rossio). Unter der Leitung des Kulturstadtrates legte die Wettbewerbsjury fest, dass eine einheitliche Grundstruktur des Platzes wiederhergestellt werden sollte. Die Fassadenentwürfe sollten den Geist der pombalinischen Architektur aufgreifen, ohne die primitive Gestaltung des Wiederaufbaus fortzuschreiben. Des weiteren sollten in die ästhetischen Überlegungen die dringenden technischen Bedürfnisse der zeitgenössischen Stadt mit einfließen. José Ângelo Cottinelli Telmo (1897-1948), der spätere Chefarchitekt der Exposição do Mundo Portugues, ergänzte in seinem Beitrag die neobarock überformten Fassaden durch acht große Torbauten, um sowohl die zentrale Bedeutung des Platzes in der Raumkomposition der Baixa zu betonen als auch die Verkehrsanbindung des Platzes zu verbessern. Den radikalsten Vorschlag reichte Carlos João Chambers Ramos (1897-1969) ein. Seine Planung sah vor, die Größe des Rossios auf die Maße des Praça do Comércio zu verdoppeln. Hierfür hätten Teile der östlichen Wohnbebauung, die Kirche Santo Domingo und die Markthalle auf der Praça da Figueira abgerissen werden müssen. Die Rua Augusta ausgehend vom Tri- Abb. 12 Die städtebaulichen Projekte wurden während des Estado Novo in Zeitungen und Illustrierten breit kommuniziert. So berichtete O Século Ilustrado 1934 auf einer Doppelseite umfänglich über den Wettbewerb zur ästhetischen Verbesserung des Rossio. (Quelle: Lisboa. O Plano da Baixa hoje. Ausstellungskatalog (2008), Lissabon ) umphbogen an der Praça do Comércio hätte den Rossio zentral erschlossen und wäre über den Platz mit den beiden symbolträchtigen Radialstraßen, der Avenida da Liberdade und der Avenida Almirante Reis, verbunden worden. Die Rua Augusta sollte zu der zentralen Achse der Hauptstadt des Imperio werden (Tostões 2010:34f ). Ramos monumentaler Entwurf entsprach ganz den Bestrebungen der Zeit, die Zentren der Hauptstädte der Bedeutung der Nation im internationalen Wettbewerb anzupassen. Mit der Auswertung der Wettbewerbsbeiträge vergab die Jury den zweiten Preis an Cottinelli Telmo, da sie keinen der eingereichten Projekte für den ersten Preis würdig erachtete (Abb. 12). Der Wettbewerb löste nach Bekanntgabe der Ergebnisse eine heftige Debatte aus, welchen Wert dem städtebaulichen Erbe der Baixa beigemessen werden sollte. Porfírio Pardal Monteiro, der in der Wettbewerbsjury die portugiesische Architektenkammer vertrat, war einer der ersten Experten, der die städtebauliche Qualität des Wiederaufbauplans von 1758 erkannte und sich vehement für den Erhalt der systematischen und repe- titiven Struktur der Baixa einsetzte (Tostões 2010:32). Ein Jahr später, 1935, räumte Ramos ein, dass sein Wettbewerbsbeitrag die homogene Struktur der Baixa, das Zentrum Lissabons, auseinander gerissen hätte. 1948 stelle Étienne de Groër zusammen mit dem Generalbebauungsplan einen Sanierungsplan für die Baixa vor. Ihm ging eine detaillierte Studie voraus, in der de Groër herausarbeitete wie viel von der Bausubstanz abgerissen oder ersetzt werden könnte, ohne dass der Charakter des Zentrums verändert werden würde (Marat-Mendes 2010:7). De Groër leitete seinen Sanierungsvorschlag aus verkehrstechnischen und gesundheitlichen Erfordernissen ab. Das Hauptproblem sah er in der Dichte des Zentrums. Er schlug deshalb vor, jeweils zwei der schmalen Wohnblöcke zusammenzulegen. Die beiden gegenüberliegenden Längsseiten des jeweiligen Blocks hätten dafür abgebrochen werden müssen. Die Straße zwischen den Blöcken wäre zu Gunsten des neuen Innenhofes entwidmet worden. Der neu geschaffene Innenhof sollte der Belichtung und Belüftung der ihn umschließenden Bebauung 277 ner Kahlschlagsanierung der Mouraria versuchte de Groër durch gezielte Eingriffe den allgemeinen Charakter der Baixa zu erhalten, obwohl dies zunächst nicht den Vorstellungen der Diktatur von dem Zentrum ihrer Hauptstadt entsprach. Der Wettbewerb zur ästhetischen Verbesserung des Rossio und die Sanierungsvorschläge für die Baixa zeigen, dass sich entgegen der häufig vereinfachten Vorstellung von Städtebau und Architektur während des Estado Novo im Lauf der städtebaulichen Debatten ein Bewusstseinswandel zugunsten der Qualität des historichen Baubestandes entwickeln konnte. Fazit Abb. 13 Die rot hervorgehobenen Parzellen im Planausschnitt der Grundlage des Generalbebauungsplans (1948 zeigen den Umfang der geplanten Maßnahmen im Bereich der Baixa. (Quelle: Lisboa. O Plano da Baixa hoje. Ausstellungskatalog (2008), Lissabon) dienen, aber auch Parkraum für 40 Autos bieten. Mit den Stellplätzen im Innenhof wollte de Groër die verbliebenen Straßen in der Baixa vom ruhenden Verkehr freihalten (Tostões 2008:209f ). Der Sanierungsvorschlag de Groërs spiegelt den Wandel im Bewusstsein für die bestehende Stadt wieder, der die städtebaulichen Planungen des Estado Novo begleitete. Im Gegensatz zu Faria da Costas Vorschlag ei278 Die großen Projekte des Estado Novo dienten dazu, durch eine Demonstration von Stärke, Effizienz und Schnelligkeit die Zustimmung der eigenen Bevölkerung zur Diktatur zu sichern. Sie dienten aber auch der außenpolitischen Demonstration der Größe des neuen Portugals. Die Rezeption der städtebaulichen Produkte im Ausland spielte daher eine bedeutende Rolle. Die Veröffentlichung der Planung für die Universitätsstadt von Pardal Monteiro aus dem Jahre 1934 sowohl in L’architecture d’aujourd’hui als auch in der Zeitschrift Moderne Baukunst waren ein bedeutender Erfolg für die Propaganda (Tostões 2009:58) gemessen an der geringen Aufmerksamkeit, die der portugiesischen Architektur in der Regel im Ausland wiederfuhr. Eine wichtige Aufgabe der großen Leistungsschau der Diktatur, der Exposição do Mundo Portugues, war die Mobilisierung internationaler Aufmerksamkeit. Der internationale Austausch städtebaulicher Erfahrungen lag im Interesse der Diktatur, die mit dem Versprechen einer Erneuerung des Landes unter Bewahrung traditionaler Werte gefestigt werden konnte. Hierfür war die Diktatur allerdings auf ausländische Experten wie Forestier, Agache und de Groër angewiesen. Die Berufung dieser Experten verstärkte ohne Zweifel das Interesse des Auslands an den Entwicklungen in Portugal, unterstrich aber auch das noch nicht hinreichend entwickelte Niveau der eigenen nationalen Fachwelt. Dennoch gelang es nicht, Forestier oder Agache langfristig zu binden. Portugal befand sich in einem weltweiten Wettbewerb um Experten, bei dem es nur bedingt mithalten konnte. Das Land musste mit seinen Planungsaufgaben mit anderen prestigeträchtigen Projekten wie den Generalbebauungsplänen für Buenos Aires oder für Rio de Janeiro konkurrieren. Die Diktatur förderte daher nicht nur den Dialog der nationalen Experten mit der internationalen Fachwelt, sondern engagierte sich auch für den Aufbau eines Ausbildungsprogramms für Architekten und Stadtplaner. Hierfür erhielt Étienne de Groër die Einladung, eine Städtebauprofessur an der Hochschule der Künste in Lissabon (Escola Superior de Belas Artes de Lisboa) einzurichten (Moniz 2011:390ff ). Das Angebot lehnte de Groër jedoch nach kurzen Verhandlungen ab. Die großen städtebaulichen Projekte in Lissabon entstanden vor diesem Hintergrund in einem komplexen Verhältnis von nationaler Orientierung und internationalem Einfluss. Die nationalen Architekten und Städtebauer mussten sich mit den berühmten und hofierten ausländischen Experten auch in konzeptioneller Hinsicht arrangieren, und sie befanden sich aufgrund der Aufträge in direkter Abhängigkeit der Staatsführung. Sie hatten aber die große Chance, das Modernisierungsversprechen der Diktatur im Rahmen auszulotender Spielräume fachlich zu interpretieren – und dies etwa mit Blick auf die Architektur in einer größeren stilistischen Vielfalt, als oft angenommen wird. So konnte sich, wie im faschistischen Italien, auch während der Diktatur Salazars eine eigenständige moderne Architektur in Portugal entwickeln (Caldas 1997:26ff ). Ebenso entstand die Monumentalisierung der portugiesischen Architektur und des Städtebaus aus dem internationalen Dialog. So war selbst das Bestreben, die Größe und Bedeutung der eigenen Diktatur durch Prachtbauten im Stadtraum zu inszenieren, vom Wettbewerb des monumentalen Ausbaus der Hauptstädte der großen europäischen Diktaturen in Deutschland, Italien und der Sowjetunion, an denen sich der Estado Novo zu orientieren versuchte, beeinflusst. Parallel zu der 1948 präsentierten Ausstellung über 15 Jahre öffentliche Bauaufgaben (15 Anos de Obras Públicas 1932-1947) wurde der erste Architektur-Kongress (1.° Congresso Nacional de Arquitectura) in Lissabon abgehalten. Statt des erwarteten Konsenses zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Architekten sah sich die Diktatur Vorwürfen der jüngeren Architektengeneration ausgesetzt, die den starken gestalterischen Einfluss, den die Diktatur auf ihren Berufsstand ausübte, bemängelte. Dies war der sichtbare Ausdruck dessen, dass sich das Verhältnis zwischen Experten und Staatsführung zu verändern begann. Retrospektiv lässt sich auf diesem Architektur-Kongress der erste offene Bruch zwischen den Planern und der Diktatur (Tostões 1997:38) erkennen (Abb. 13). 279 Literatur Almeida, Pedro Veira de (1994): The Notion of „Past“ in the Architecture oft the Difficult Decades. In: Rassenga 59. Mailand, S. 52-61 André, Paula u. a. (2012):Alfred Donat Agache urban proposal for Costa do Sol. From the territory to the city. www.fau.usp. br/iphs/abstractsAndPapersFiles/Sessions/25/ANDRE_MARAT-MENDES_RODRIGUES.PDF Zugriff am 3.11.2012. Baptista, Marta Raquel Pinto (2008): Arquitectura como instrumento na construção de uma imagem do Estado Novo. Coimbra Bodenschatz, Harald (2013): Urban Design for Mussolini, Stalin, Hitler and Franco. (unveröffentlichtes Manuskript) Brito, Vasco u. a. (2008): Elementos para o estudo do Plano de Urbanização da Cidade de Lisboa (1938). 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Von der Stadterneuerung zur Integrierten Stadtteilentwicklung Nach der Stadterneuerung in kleinen Schritten (1980) folgte das Revitalisierungsprogramm (199–1998), das Armutsbekämpfungsprogramm (1994–1997), die Soziale Stadtteilentwicklung (1998–2005), die Aktive Stadtteilentwicklung (2005–2008) oder die Initiative Lebenswerte Stadt Hamburg (2007–2008). Mit diesen Programmen war Hamburg – zusammen mit anderen Kommunen und Bundesländern – auch Vorreiter bei dem im Jahr 1999 gestarteten Städtebauförderungsprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“. Das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) kann als eine konsequente Weiterentwicklung der Vorläuferprogramme gesehen werden. Es soll die soziale Kohäsion in der Stadt fördern und Quartiere, in denen sozialräumliche Segregations- und Polarisierungsprozesse gravierende Ausmaße annehmen, stabilisieren. Da es von den Praktikern als überstrukturiert empfunden wurde, ist es im Sommer 2012 vom Hamburger Senat weiterentwickelt worden. Ziele des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung und seiner Weiterentwicklung Das Rahmenprogramm bildet in Hamburg das Dach für die Programmsegmente der Bund-Länder-Städtebauförderung: Soziale Stadt – Investitionen im Quartier, Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, Aktive Stadt- und Ortsteilzentren, Stadtumbau West, Städtebaulicher Denkmalschutz sowie für landesfinanzierte Fördergebiete. Zurzeit gibt es 56 laufende Fördergebiete, von denen elf Gebiete in mehr als einem Programmsegment angemeldet sind und sich räumlich überlagen (Abb.1). Die Aufgabe des Rahmenprogramms ist es, dazu beizutragen, Hamburg als gerechte und lebenswerte Stadt weiterzuentwickeln. Die gesamtstädtischen Leitziele der Integrierten Stadtteilentwicklung sind: • Verbesserung der Lebensbedingungen durch soziale und materielle Stabilisierung des Fördergebiets; • Verbesserung der Entwicklungsperspektiven für die Menschen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Wirtschaft und Integration; • Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten und der Eigenaktivität der Bürger/innen; • Abbau bzw. Beseitigung städtebaulicher Defizite wie Funktions- und Substanzschwächen bei der technischen und sozialen Infrastruktur, den privaten Gebäudenutzungen und im öffentlichen Raum. Das vom Hamburger Senat (CDU-GAL-Koalition) im Juli 2009 beschlossene Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung 283 Abb. 1 Fördergebiete der Integrierten Stadtteilentwicklung in Hamburg, Dezember 2012. (Quelle: BSU/WSB) fand bundesweit zwar durchaus viel Beachtung und ein positives Echo, doch gerade Praktiker der Stadtteilentwicklung und Politiker in den Bezirken empfanden es als zu komplex und überstrukturiert. Für die Gebietsentwicklung in der Praxis wenig geeignet, da zu aufwändige Verwaltungsverfah284 ren implementiert wurden, kritisierten die einen; zu viel Bedeutung würde Analysen, Konzepten, Evaluationen und Controlling beigemessen, monierten die anderen. Der SPD geführte Hamburger Senat griff diese Kritik auf und beschloss zu Beginn der neuen Legislaturperiode 2011 in seinem Ar- beitsprogramm, die Umsetzung der Integrierten Stadtteilentwicklung in den Bezirken zu beschleunigen und ihre Praxistauglichkeit zu erhöhen. Der Anspruch des Rahmenprogramms, die Perspektiven für die Menschen in den benachteiligten Gebieten in einem integrierten, viele Fachpolitiken einbeziehenden Ansatz unter umfassender Beteiligung der Bewohner/innen und lokalen Akteure zu entwickeln, stand nicht zur Disposition. Es galt jedoch die inhaltliche Komplexität zu reduzieren, Verfahrensabläufe zu Problem- und Potenzialanalysen, Gebietsfestlegungen, Integrierten Entwicklungskonzepten und deren Fortschreibung, Evaluation und Bilanzierung sowie zum Controlling zu vereinfachen. Die hohen Ansprüche an fachressortübergreifend abgestimmte Analysen und Konzepte sollten nicht dazu führen, dass in der praktischen Umsetzung die Gebietsentwicklung überfordert und die Umsetzung von Projekten gelähmt werden. Die Bezirke sollten dazu in ihrer Handlungsfähigkeit und die Steuerungsfunktion gestärkt werden. Nach einem intensiven Diskussionsprozess einigten sich die Behörden für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und die sieben Bezirksämter auf den Erlass einer Globalrichtlinie, die für die künftige Umsetzung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung die Aufgabenwahrnehmung und Verantwortlichkeiten zwischen Bezirksämtern und der BSU regelt. Danach ist die BSU für die Umsetzung der gesamtstädtischen Zielsetzungen des Rahmenprogramms zuständig, während die Bezirksämter den Gebietsentwicklungsprozess und die operative Durchführung der Gesamtmaßnahmen in den Fördergebieten steuern (BSU 2012a). Die Förderrichtlinien regeln darüber hinaus, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien einzelne Maßnahmen und Vorhaben in der Integrierten Stadtteilent- wicklung förderfähig sind. Hierin wird das Profil der Programmsegmente entsprechend der Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung (VV Städtebauförderung) beschrieben. Fördervoraussetzung ist in allen Programmen ein unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erstelltes integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (BMVBS 2012a). Hamburg spezifisch wird darüber hinaus geregelt, dass auch nicht-investive Projekte aus Landesmitteln förderfähig sein können (BSU 2012b). Das weiterentwickelte Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung wird insbesondere durch einen Leitfaden in seiner Umsetzung konkretisiert. Dieser dient als Arbeitshilfe in der Praxis. Seine Grundstruktur entspricht der Abfolge von Stationen, die vom Beginn bis zum Ende einer geförderten Gebietsentwicklung durchlaufen werden. Er beschreibt für alle Phasen der Gebietsentwicklung die entscheidenden Meilensteine und wie diese zu erreichen sind. In einem 2011 als behördenübergreifende Veranstaltungsreihe begonnenen Qualitätsentwicklungsprozess wurde der Leitfaden gemeinsam mit den Bezirken, Fachbehörden und Gebietsentwicklern sowie Wissenschaftlern erarbeitet (BSU 2012c). Als Charakteristika Integrierter Stadtteilentwicklung in Hamburg lassen sich nach wie vor herausstellen: • Projektförderungen sind nur innerhalb festgelegter Fördergebiete möglich; • quartiersbezogene Analysen, integriertes Planen erfolgen auf der Grundlage integrierter Entwicklungskonzepte; • es gibt eine umfassende Bürgerbeteiligung und Aktivierung der Bürger/innen sowie der lokalen Akteure (Stadtteilbeirat, Stadtteilbüro, Verfügungsfonds, lokale Öffentlichkeitsarbeit); • Gebietsmanagement: getragen vom Bezirksamt und einem meistens extern beauftragten Gebietsentwickler; • Einbindung von Fachpolitiken in den Ge285 bietsentwicklungsprozess: in vielfältigen Handlungsfeldern werden Ansatzpunkte für konkrete Vorhaben und Aktivitäten geprüft; • verbindliche fachressortübergreifende Kooperation und Konzeption – abgestimmtes Handeln zwischen Fachbehörden, Bezirksämtern und privaten Akteuren: integrierte Stadtteilentwicklung kann nur funktionieren, wenn relevante Fachressorts und private Akteure die Quartiersentwicklungen unterstützen; • Bündelung des Ressourceneinsatzes auf Projektebene: mit Mitteln der Integrierten Stadtteilentwicklung werden in der Regel 50 % der förderfähigen Gesamtkosten eines Projektes gefördert; • Etablierung selbsttragender Strukturen in den Quartieren: Möglichkeiten, Beteiligungsgremien und Vernetzungsstrukturen zu verstetigen sollen frühzeitig geprüft werden. Diese Charakteristika sind durch die Leipzig Charta und das bundesweite Bekenntnis zur Integrierten Stadtentwicklungspolitik als Instrument nachhaltiger Stadtentwicklung anerkannte und gängige Praxis in den Bundesländern (BMVBS 2012b:17f ). Die Besonderheit in Hamburg ist die Stringenz, mit der diese Ansätze in allen Fördergebieten verfolgt werden. Ausrichtung der Fachpolitiken auf die Quartiere der Integrierten Stadtteilentwicklung Für die Stadtteilentwicklung in den Fördergebieten ist ein integriertes und abgestimmtes Vorgehen erforderlich. Die für die Gebietsentwicklung relevanten Fachpolitiken sollen dazu nach dem Willen des Hamburger Senats auf die Quartiere ausgerichtet und mit den Zielen der Gebietsentwicklung koordiniert werden (FHH 2011:18, Abs. 8., Ziff. 112). Angestrebt werden eine verbindliche fachressortübergreifende Kooperation und Konzeption in den Fördergebieten sowie 286 eine Ressourcenbündelung verschiedener Programme, Fachressorts und privater Akteure, um die Wirksamkeit der Gebietsförderung zu erhöhen (Abb. 2). Alle relevanten Fachpolitiken in den Gebietsentwicklungsprozess einzubeziehen, bedeutet, sie bei der Erstellung der Problem- und Potenzialanalyse sowie des Integrierten Entwicklungskonzepts zu beteiligen und konkrete Projekte gemeinsam mit ihnen zu planen und zu finanzieren. Für eine erfolgreiche Quartiersentwicklung ist eine gemeinsame Verantwortung erforderlich, die nicht allein von den Bezirksämtern und der BSU, sondern von allen Fachbehörden getragen wird, die die Entwicklungsperspektiven des Quartiers unterstützen können. Zu den Handlungsfeldern, die für die Quartiersentwicklung relevant sein können, zählen: • städtebauliche Strukturen, • Wohnen, lokaler Wohnungsmarkt, Wohnungswirtschaft, • Wohnumfeld und öffentlicher Raum, • Beschäftigung, Qualifizierung, Arbeitsmarkt, Ausbildung, • Bildung, • Familienförderung, • Soziales, Seniorenarbeit, Inklusion/ Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, • Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, • lokale Ökonomie, • Kultur im Stadtteil, • Gesundheitsförderung, • Umwelt und Verkehr, • Kriminal- und Gewaltprävention, • Sport und Freizeit, • Image, • Beteiligung, Aktivierung, lokale Partnerschaften und Vernetzung. Auch die Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) werden in der neuen Förderperiode 2014–2020 Abb. 2 Programmstruktur Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (Quelle: BSU/WSB) strategisch auf die festgelegten Fördergebiete der Integrierten Stadtteilentwicklung ausgerichtet. In der künftigen Förderperiode des ESF sollen mindestens 5 % der ESFMittel für Projekte in den Fördergebieten der Integrierten Stadtteilentwicklung eingesetzt werden. Diese Maßnahmen sollen von den zentralen Akteuren der Stadtteilentwicklung – einschließlich Gebietsentwickler, Bezirksamt, BSU und Fachbehörden – quartiersbezogen entwickelt werden. Aufgrund der hohen Übereinstimmung der stadtweiten und gebietsbezogenen Ziele der Integrierten Stadtentwicklung mit den Zielen des ESF, die Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern, Bildung und lebenslanges Lernen zu fördern, die soziale Eingliederung zu steigern und einen Beitrag im Kampf gegen die Armut zu leisten, sollen zudem die vorgesehenen ESF-Maßnahmen dahingehend geprüft werden, ob Projekte in geeigneten Fällen künftig mit sozialräumlichen Schwerpunkten für die Gebiete der Integrierten Stadtteilentwicklung ausgeschrieben werden sollen. In der strategischen Ausrichtung des EFRE in Hamburg soll die Unterstützung der Integrierten Stadtteilentwicklung eine von drei Prioritätsachsen bilden. 20 % der für Projekte einsetzbaren EFRE-Mittel soll auf diese Achse konzentriert werden. Der Einsatz der EFREFördermittel wird dabei auf die festgelegten Fördergebiete fokussiert und soll folgenden Maßnahmefeldern dienen: Durch Förderung von Investitionsprojekten sowie der Etablierung ihrer konzeptionellen Angebotsstruktur sollen neue Orte für soziale, kulturelle und ökonomische Aktivitäten geschaffen oder die Funktionsfähigkeit bestehender Angebote verbessert, städtebauliche Defizite verringert, die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raumes erhöht 287 Abb. 3 Gebietsmanagement im RISE (Quelle: BSU/WSB) und die betroffenen Stadtgebiete dadurch funktional und städtebaulich aufgewertet werden. Die lokale Ökonomie soll aktiviert und gestärkt werden. Zur Stabilisierung und Entwicklung der lokalen Ökonomie in benachteiligten Gebieten sowie zur Verbesserung der Entwicklungsperspektiven der dort lebenden Bewohner/innen sollen auch Gewerbezentren und -höfe, Gründeretagen sowie Zentren für Selbständige gefördert werden. Gebietsmanagement in der Integrierten Stadtteilentwicklung Das Gebietsmanagement der Bezirksämter wird in der Regel unterstützt durch den Einsatz eines externen Gebietsentwicklers in den Fördergebieten (Abb. 3). Dieser ist mit der Erstellung eines Integrierten Entwicklungskonzepts und dessen Umsetzung un288 ter umfassender Beteiligung der Bevölkerung und zentraler Akteure beauftragt. Um die Fachpolitiken in den Fördergebieten zu koordinieren, richten die Bezirksämter Koordinierungskreise ein und benennen – ebenso wie die Fachbehörden – RISE-Koordinator/innen. Es werden folgende Phasen des Gebietsentwicklungsprozesses unterschieden: • Einstiegsphase (von der Gebietsauswahl über die Problem- und Potenzialanalyse bis hin zur Gebietsfestlegung und Aufnahme in das Landesprogramm); • Hauptförderphase (ab Aufnahme in das Landesprogramm, Erstellung und Umsetzung des Integrierten Entwicklungskonzepts); • Nachsorgephase (mit der Beendigung der Hauptförderphase zum Abschluss letzter Projekte der Gesamtmaßnahme und Einleitung des Ausstiegs aus der Förderung im Rahmen der Integrierten Stadtteilentwicklung); • Verstetigung (Gebiet und umgesetzte Projekte kommen vollständig ohne Mittel der Integrierten Stadtteilentwicklung aus, selbsttragende Strukturen sind etabliert bzw. finanzielle Absicherungen durch andere Stellen sind sichergestellt). Bürgerbeteiligung und Aktivierung Ein zentrales Prinzip der Integrierten Stadtteilentwicklung ist die Beteiligung und Aktivierung der Bürgerinnen und Bürger sowie von Institutionen und Akteuren im Quartier einschließlich der sozialen und soziokulturellen Einrichtungen, der Grundeigentümer und der lokalen Unternehmen. Durch die Förderung und den Aufbau von Kooperationsstrukturen und Netzwerken sollen Eigenkräfte und die Mitwirkung der Bevölkerung und lokaler Akteure gestärkt werden. Ein eigenständiges Stadtteilleben soll befördert und die Bewohner/innen motiviert werden, in Initiativen und Vereinen mitzuwirken und sich dauerhaft in ihrem Quartier zu engagieren. Insbesondere sollen solche Aktivitäten gefördert werden, durch die sich tragfähige Akteurspartnerschaften bilden können. Frühzeitig müssen Anreize geschaffen werden, um die Bewohner zu mobilisieren und zu aktivieren. Die Quartiersbeiräte spielen für den Aufbau selbsttragender Strukturen eine wichtige Rolle. Dazu richten die Bezirksämter gebietsbezogene Beteiligungsgremien ein (vgl. Auflistung der Gremien in: Bürgerschaft 2012a), deren Zusammensetzung gewährleisten soll, dass unterschiedliche Interessen und Sichtweisen aus dem jeweiligen Gebiet vertreten sind. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, insbesondere auch Bewohner/innen mit Migrationshintergrund, sollen für den Beteiligungsprozess gewonnen werden. Das Beteiligungsgremium wirkt an der Willensbildung sowohl bei der Erstellung der Konzepte als auch der Initiierung und Ausgestaltung bis zur Umsetzung und Inbetriebnahme konkreter Projekte mit (vgl. BSU 2012a:15f ). Anspruch des Rahmenprogramms ist es, insbesondere die Verstetigung von Beteiligung und Aktivierung frühzeitig vorzubereiten, ehrenamtliches Engagement zu fördern und Finanziers nach Rückzug der Städtebauförderung zu gewinnen. Doch die Etablierung selbsttragender Strukturen erweist sich in der Praxis als schwierig. Netzwerke und Beteiligungsstrukturen benötigen in der Regel auch nach Ende der Gebietsförderung weiterhin eine finanzielle Unterstützung. Oft fehlen engagierte Partner in den Quartieren, die die Finanzierung selbst auf niedrigem Niveau absichern. Als strategische Partner gilt es hier noch stärker Wohnungsunternehmen, wie bspw. die städtische Gesellschaft SAGA/ GWG mit ihrem Unternehmen Pro Quartier, zu gewinnen. Verstetigung von Projekten und Beteiligungsstrukturen Wenn die Bilanzierung vor Ende der Hauptförderung zu dem Schluss kommt, dass weiterer Handlungsbedarf für einzelne Projekte und bestimmte zu etablierende Strukturen besteht, kann sich eine Nachsorgephase anschließen. Umgesetzt wird dies im Rahmen degressiver Fördersätze mit bis zu dreijähriger Laufzeit. In dieser Phase gilt es spätestens, die Verstetigung von Projekten und Strukturen abzusichern. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts des BMVBS zur Sicherung tragfähiger Strukturen für die Quartiersentwicklung im Programm Soziale Stadt (BMVBS 2012c) bestätigen, dass die Absicherung und Verstetigung von Maßnahmen und Beteiligungsstrukturen zwar bundesweit als dringender Handlungsbedarf erkannt ist, viele Quartiere von einer Sicherung tragfähiger Strukturen jedoch noch deutlich entfernt sind. Auch in Hamburg sind bislang nur auf den Einzelfall bezogene 289 Lösungen für einen Stadtteilbeirat in dem ehemaligen Fördergebiet oder für die Weiterfinanzierung bestimmter quartiersbezogener Projekte gelungen. gewählte Sozialindikatoren beobachtet, die u. a. auch im bundesweiten kleinräumigen Städtevergleich herangezogen wurden (vgl. Donke/Seidel-Schulze/Häußermann 2012). Um den Betrieb stadtteilbezogener Einrichtungen, insbesondere auch der durch RISE initiierten Quartierszentren oder Bildungs- und Gemeinschaftszentren, durch die Bezirksämter auch nach Rückzug der Städtebauförderung finanziell abzusichern, wurde aktuell durch die Hamburgische Bürgerschaft im Rahmen der Beratungen zum Haushaltsplan 2013/2014 ein neuer Haushaltstitel „Quartiersfonds bezirkliche Stadtteilarbeit“ bei den Bezirksämtern in Höhe von 1,5 Mio. Euro p. a. eingerichtet (Bürgerschaft 2012b). Dieser Fonds soll die Bezirke in die Lage versetzten, notwendige Maßnahmen der Stadtteilarbeit zu unterstützen und verlässliche Strukturen in den Quartieren abzusichern. Damit sind neue finanzielle Handlungsmöglichkeiten in der Gebietsentwicklung erschlossen worden, die auch die Centermanagement-Aufgaben in den Quartierszentren nachhaltig sichern können. Sozialmonitoring Mit dem Hamburger Sozialmonitoring lassen sich – in den Abgrenzungen der Statistischen Gebiete – Bereiche mit signifikanten Abweichungen zum gesamtstädtischen Durchschnitt in der Entwicklung relevanter Sozialindikatoren frühzeitig erkennen. Zugleich lassen sich die aus der Förderung entlassenen Gebiete, die aktuellen Fördergebiete sowie die Verdachtsgebiete in ihrer sozialen Entwicklung gegenüber anderen Stadtbereichen beobachten. Bei der Festlegung neuer Fördergebiete spielt das Sozialmonitoring daher eine bedeutende Rolle. Ein Automatismus der Aufnahme neuer Fördergebiete auf der Grundlage der Ergebnisse des Sozialmonitorings ist damit jedoch nicht verbunden. Gebiete, bei denen das Sozialmonitoring auffallende Ungleichheit gegenüber der sozialen Entwicklung anderer Teile der Stadt anzeigt, sollen unter Einbeziehung des örtlichen Erfahrungswissens der Bezirksämter zunächst Gegenstand politischer Auswertungen in den Bezirken und ggf. weiterer Vorprüfungen werden (Abb. 4). Zur verbesserten gesamtstädtischen Steuerung wurden mit RISE auch neue Instrumente der programmatischen Steuerung in Hamburg eingeführt. Wichtige Steuerungsfunktion für die Integrierte Stadtteilentwicklung kommt dabei dem in 2010 erstmalig erprobten Sozialmonitoring zu (BSU 2010). Grundlage des Sozialmonitorings ist ein Set von kleinräumigen Daten und Indikatoren. Diese dienen als Informationsgrundlage für die Integrierte Stadtteilentwicklung und werden in einen behördenübergreifenden Datenpool zur Nutzung innerhalb der Verwaltung eingestellt. Aufbau und Betrieb des Datenpools werden vom Statistikamt Nord koordiniert. Im Sozialmonitoring werden jährlich wenige aus- Das Sozialmonitoring besitzt auch für andere Fachpolitiken steuernde Funktionen wie z.  B. in den Bereichen Bildung (vgl. auch Hamburger Bildungsmonitoring unter www.bildungsmonitoring.hamburg.de), Integration, Soziales, Familienpolitik, Kultur im Stadtteil, Sport und Freizeit sowie Sicherheit. Vorhandene sozialräumliche Infrastrukturen und Angebote werden verstärkt daraufhin überprüft, ob und inwieweit sie in der Lage sind, den durch Sozialindikatoren angezeigten kleinräumigen Bedarfslagen angemessen zu begegnen, oder ob ggf. Umsteuerungen von Angebotsstrukturen erforderlich sind. Dafür ist das Sozialmonitoring in Hamburg bereits ein anerkanntes und geschätztes Hilfsmittel. 290 Abb. 4 Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung, Gesamtindex 2012. (Quelle: BSU 2012d bzw. Zugriff auf: www.hamburg.de/contentblob/3724402/data/gesamtindex-2012.pdf ) Evaluation und Controlling Neben dem Sozialmonitoring sieht RISE zwei weitere gesamtstädtische Steuerungsmodule vor. Zum einen wurde ein übergreifendes Evaluationskonzept auf der Pro- gramm- und auf der Gebietsebene beschlossen (BMVBS 2012d). Zum anderen wurde ein komplexes Controllingsystem eingeführt, das in der Lage ist, mit der Vielfalt von Projekten und Aktivitäten in der Integrierten Stadtteilentwicklung umzugehen. Es dient 291 Abb. 5 Wort-Bildmarke der Integrierten Stadtteilentwicklung in Hamburg (Quelle BSU/WSB) Abschlussbilanzierungen vorbereitet werden. Evaluation und Bewertung der Integrierten Entwicklungskonzepte sollen als Zwischenbilanzierung zur Halbzeit und als Abschlussbilanzierung sechs Monate vor Ende der Hauptförderphase zur Überprüfung und Qualitätssicherung der Gebietsentwicklungsprozesse erfolgen. Bei der Bilanzierung sollen Auswertungen der aktuellen Ergebnisse des Sozialmonitorings, der Controllingdaten, der Ergebnisse der Selbstevaluation sowie das Feedback aus den Quartiersbeiräten zum bislang Erreichten berücksichtigt werden. Verbunden ist daher mit dem Controllingsystem auch die Erwartung, dass die im Rahmen der Städtebauförderung notwendigen Evaluationen von Fördergebieten in Hamburg künftig effektiv betrieben werden können. Abb. 6 Newsletter „Hamburg. Deine Perlen“ (Quelle: BSU/WSB) dem gesamtstädtischen und gebietsbezogenen Finanz- und Fachcontrolling. Es liefert die notwendigen Informationen für die gesamtstädtische Mittelsteuerung und stellt Daten für das projektbezogene Controlling bereit. Dazu wurde eine neue Software entwickelt, die nun gesamtstädtisch angewandt wird (vgl. BSU 2012a:14). Projekte in der Integrierten Stadtteilentwicklung variieren bezüglich der Projektart, Planungsabläufe, Finanzvolumina und Finanzierungspartner sehr stark. Für das projektbezogene Fachcontrolling werden Zielsetzungen einzelner Projekte hinsichtlich Leistungen und Wirkungen erfasst. Zugleich werden die gebietsbezogenen Leitziele, die Zielsetzungen auf Ebene der einzelnen Handlungsfelder sowie die Projekte je Handlungsfeld im Controllingsystem beschrieben. Damit liefern Auswertungen des Controllingsystems die Datengrundlage für gebietsbezogene Evaluationen. In jedem Fördergebiet sind dazu Selbstevaluationen zur Bewertung der Zielerreichung vorgesehen, auf deren Grundlage Zwischen- sowie 292 Kommunikationskonzept und Öffentlichkeitsarbeit Die Debatten um die Kürzungen im Programm Soziale Stadt durch den Bund sowie zur Höhe der Bundesmittel insgesamt für die Städtebauförderung haben die Themen im politischen Raum deutlich präsenter werden lassen. Sie haben die Bedeutung der Kommunikation der Erfolge der Städtebauförderung herausgestellt und gezeigt, dass diese Kommunikation als gute Praxis der Nationalen Stadtentwicklungspolitik von Bund, Ländern und Kommunen ein strategisches Aufgabenfeld der Städtebauförderung sein muss (BMVBS 2012e:39, 41), das es noch profilbildender zu betreiben gilt. Die Städtebauförderung besser zu kommunizieren und ihre Erfolge sichtbarer zu machen, ist auch für Hamburg ein wichtiges Anliegen. In den letzten Jahren wurde verstärkt in die stadtweite Kommunikation und verbesserte Öffentlichkeitsarbeit der Städtebauförderung bzw. Integrierten Stadtteilentwicklung investiert. Entwickelt wurde ein Bildlogo, das mit der Wortmarke „Ham- burg. Deine Perlen. Integrierte Stadtteilentwicklung“ für unsere Sache wirbt (Abb. 5). Quartalsweise erscheint der Newsletter „Hamburg. Deine Perlen“ zu verschiedenen Schwerpunktthemen, wie zur Weiterentwicklung des Rahmenprogramms, zum aktuellen Bericht des Sozialmonitorings oder zum Wohnungsbauprogramm des Hamburger Senats (Abb. 6). Gemeinsam mit den beteiligten Fachbehörden und Bezirksämtern wird in öffentlichkeitswirksamen Terminen gezeigt, wie die Stadtteilentwicklung in den verschiedenen Quartieren sichtbare Früchte trägt. So wurde die Eröffnung des Bildungs- und Gemeinschaftszentrums Süderelbe in Neugraben oder auch die finanzielle Absicherung des Centermanagements im Quartierszentrums Barmbek Basch medienwirksam begleitet. Soziale Erhaltungsverordnungen zum Schutz der Bevölkerung vor Verdrängung Zur Absicherung der erreichten Quartiersentwicklung kommt in innerstädtischen Sanierungsgebieten dem Instrument der Sozialen Erhaltungsverordnung eine zunehmende Bedeutung zu. Gerade die innerstädtischen Sanierungsgebiete unterliegen in Hamburg einem enormen Aufwertungsdruck. Zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen werden daher für ausgewählte Quartiere Soziale Erhaltungsverordnungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB erlassen. Dazu gehört z. B. St. Pauli. Hier bestanden bzw. bestehen mehrere förmlich festgelegte Sanierungsgebiete (nördlich der Reeperbahn Schilleroper, Karolinenviertel, Wohlwillstraße), in denen behutsame und bestandsorientierte Stadterneuerungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Bauliche und städtebauliche Missstände konnten beseitigt, städtebauliche und funktionale Qualitäten konnten gesichert und weiterentwickelt und das Viertel stabilisiert werden. Der gründerzeitliche Wohnungsbestand gilt heute, auch dank der vielfältigen Investitionen in die soziale, kulturelle und Bildungsinfrastruktur sowie den öffentlichen Raum, als begehrtes Quartier. Die Aufwertungstendenzen wurden ver stärkt durch großflächige Umstrukturierungen im Umfeld, die sich auf den Stadtteil auswirkten. Aufwertungs- und Verdrängungsdruck sind gewachsen. Mit Aufhebung der Sanierungsgebiete gehen auch die sanierungsrechtlichen Schutzinstrumente nach dem BauGB für das Quartier verloren. Um den drohenden weiteren Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen vorzubeugen und die Ziele der Sanierung abzusichern, wurde daher für den gesamten Stadtteil St. Pauli eine Soziale Erhaltungsverordnung erlassen (Bezirksamt Hamburg-Mitte 2011). Erforderlich ist hierfür ein mehrstufiges Verfahren. Der Bezirk stößt zunächst eine Plausibilitätsuntersuchung unter Verwendung vorhandener Daten für ein Verdachtsgebiet an. Die Bezirksversammlung beschließt auf Basis der Ergebnisse, ob ein weiteres Prüfverfahren auf der Grundlage einer Bewohnerbefragung für den Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung erfolgen soll. Nach einer positiven Entscheidung wird die Aufstellung einer Sozialen Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB vom Senat beschlossen und die repräsentative Befragung der Wohnbevölkerung im Verdachtsgebiet durch die BSU eingeleitet. Ziel der Erhebung ist es, die soziale Struktur des Gebietes zu erfassen, Aufwertungs- und Verdrängungspotenziale sowie den Verdrängungsdruck im Gebiet festzustellen und die daraus zu erwartenden städtebaulichen Folgen von Aufwertung und Verdrängung zu ermitteln. Die Erhebung muss erhärten, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung vorliegen: Verdrängungspotenzial muss aufgrund der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Gebiet gegeben sein, Aufwertungspotenzial nachgewiesen werden und Verdrängungsdruck muss für diese Bewohner/innen belegbar sein. 293 Der Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung muss zweckmäßig für die Zielerreichung sein. Erst in Verbindung mit der Umwandlungsverordnung und der Ausübung des Vorkaufsrechtes ist das Schutzinstrument der Sozialen Erhaltungsverordnung in besonderem Maße geeignet, den festgestellten Verdrängungseffekten entgegenzuwirken. Mit der Umwandlungsverordnung, die sich auf sämtliche hamburgischen Gebiete nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB erstreckt, bedarf die Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum an Gebäuden, die ganz oder teilweise dem Wohnzweck dienen, der Genehmigung. Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB können in Gebieten mit Sozialen Erhaltungsverordnungen zum Schutz der Sozialstruktur insbesondere spekulative Verkäufe von Gebäuden erheblich eingeschränkt werden. Mit dem städtebaulichen Instrument der Sozialen Erhaltungsverordnung lassen sich jedoch keine mietrechtlichen Schutzinteressen verfolgen. Ein individueller Schutz von Mietern vor Mietpreissteigerungen, die in vielen innerstädtischen Vierteln Hamburgs gravierende Ausmaße angenommen haben, kann mit diesem Rechtsinstrument nicht erreicht werden. Mietpreissteigerungen lassen sich dadurch nicht verhindern. Der Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung soll jedoch das Interesse von Investoren und Spekulanten an einem Quartier mindern und in diesem Geleitzug erhofft man sich auch einen geringeren Druck auf die Mieten. Eigentümer, deren Gebäude in diesen Stadtteilen liegen, müssen • bauliche Änderungen (Modernisierungen, Umbauten u. Erweiterungen der Wohnung) mit mietsteigernder Wirkung, • Änderungen der Nutzungsart, • den Abriss von Gebäuden oder Gebäudeteilen und • die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen 294 beim zuständigen Bezirksamt beantragen und genehmigen lassen. Dort wird überprüft, ob durch die beabsichtigten Maßnahmen nachteilige Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung zu befürchten sind. Erfahrungen aus dem ältesten Gebiet mit einer Sozialen Erhaltungsverordnung in Hamburg – der südlichen Neustadt – zeigen, dass hier Gentrifizierungstendenzen im Vergleich zu anderen innerstädtischen Gebieten eingedämmt werden konnten (vgl. Bürgerschaft 2012c). Abgesehen von der Tatsache, dass der weitere Erlass Sozialer Erhaltungsverordnungen erst so spät forciert wurde, dass in vielen Quartieren längst Fakten geschaffen und einkommensschwache Bevölkerungsgruppen bereits teilweise verdrängt wurden, gibt es die berechtigte Hoffnung, dass mit dem Erlass Sozialer Erhaltungsverordnungen in weiteren Hamburgern Vierteln ein Beitrag zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Verdrängung erzielt wird (Abb. 7). Fazit Ob die hier vorgestellte Weiterentwicklung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung die Bedingungen für die Entwicklung benachteiligter Quartiere verbessert, wird die künftige Praxis belegen müssen. Hamburg wird alles daran setzen, seine hohen Ansprüche an die Qualität der Gebietsentwicklungsprozesse aufrecht zu erhalten und zugleich die Verfahren zu vereinfachen. Ob dieser Spagat gelingt, wird sich zeigen, wenn nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praktiker in Zukunft ein positives Urteil über RISE fällen werden. Geprägt werden die Bedingungen für eine gute Praxis aber nicht allein auf Hamburger Ebene, sondern insbesondere durch die Vorgaben des Bundes. Hamburg hat sich mit dem Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung dem Leitgedanken der Sozialen Stadt verpflichtet. Angesicht M. 1: 30.000 im Original Verfahrensstand der Sozialen Erhaltungsverordnungen in Hamburg 0 500 1.000 2.000 Meter Plausibilitätsprüfung wird vom Bezirksamt durchgeführt Plausibilitätsprüfung abgeschlossen, Vorbereitung Aufstellungsbeschluss durch BSU Bezirk Wandsbek Aufstellungsbeschluß des Senats, Repräsentativerhebung wird von BSU durchgeführt Bezirk Hamburg-Nord Repräsentativerhebung abgeschlossen, Erlass durch Bezirksversammlung in Vorbereitung Barmbek/Dulsberg Erlassene Soziale Erhaltungsverordnungen Bezirksgrenzen BSU / WSB 216 Stadtteilgrenzen Stand: Dezember 2012 Bezirk Eimsbüttel Bezirk Altona Eimsbüttel-Süd Sternschanze St.Georg Osterkirchenviertel St.Pauli Altona-Altstadt Südliche Neustadt Bezirk Hamburg-Mitte Kartengrundlage : Landesbetrieb Geoinformation und Vermesung Abb. 7 Geplante und erlassene Soziale Erhaltungsverordnungen in Hamburg, Stand: Dezember 2012 (Quelle: BSU/WSB, www.hamburg.de/soziale-erhaltungsverordnungen) der drastischen Kürzungen im Programm Soziale Stadt bei gleichzeitigem Förderausschluss nicht-investiver Vorhaben durch den Bund, sind die Rahmenbedingungen für die auf soziale Kohäsion abzielende Hamburger Förderpolitik in der Integrierten Stadtteilentwicklung denkbar ungünstig. Die Mittelausstattung der Programme durch den Bund erfolgt für Hamburg jenseits regionaler bzw. kommunaler Erfordernisse. So erhält Hamburg künftig mehr Bundesfinanzhilfen im Programm Kleine Städte und Gemeinden und fast genauso viele Mittel für den Städtebaulichen Denkmalschutz wie für das Programm Soziale Stadt. Besonders evident wird das Missverhältnis zu den tatsächlichen kommunalen Bedarfslagen durch das Umschichtungsverbot. Es ist den Bundesländern nicht gestattet, Programmmittel zugunsten der Sozialen Stadt umzuschichten (BMVBS 2012a:17). Selbst die Mittel für das Programm Kleine Städte und Gemeinden darf Hamburg, das dieses Programm – eben- so wie die anderen Stadtstaaten – aufgrund seines inhaltlichen Profils nicht anwenden kann, nicht zugunsten der Sozialen Stadt einsetzen (BMVBS 2012a:14). Darüber hinaus erschwert die starke Betonung investiver Vorhaben die Umsetzung der Städtebauförderung in der Praxis. Nichtinvestive Vorhaben sind nach den langjährigen Hamburger Erfahrungen nicht nur Beiwerk, sondern das Salz in der Suppe, um erfolgreiche Städtebauförderung zu betreiben und die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern. Fiskalisch ist es daher höchste Zeit, diesen „städtebaulichen Missstand“ auf Bundesebene zu beenden und die Handlungsspielräume der Länder, die Städtebauförderung bedarfsgerecht einzusetzen, endlich zu verbessern. 295 Literatur Bezirksamt Hamburg-Mitte (2011): Begründung zum Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung vom 15.12.2011 teilentwicklung. Leitfaden für die Praxis. Zugriff auf: www. hamburg.de/rise BMVBS (2012a): Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.): Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2012. Berlin BSU (2012d): Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung (Hg), Integrierte Stadtteilentwicklung. Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung – Bericht 2012. Zugriff auf: www.hamburg.de/rise BMVBS (2012b): Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg): 5 Jahre Leipzig Charta – Integrierte Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung einer nachhaltigen Stadt. Berlin BMVBS (2012c): Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg): Sicherung tragfähiger Strukturen für die Quartiersentwicklung im Programm Soziale Stadt. Forschungen Heft 153. Berlin BMVBS (2012d): Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.): Evaluierung der Städtebauförderung. Leitfaden für Programmverantwortliche. Berlin BMVBS (2012e): Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.): Zukunft der Städtebauförderung. Dokumentation von zwei Werkstattgesprächen von Bund, Ländern, Kommunen und Verbänden am 30.05. und 16.08.2012. Berlin, 2012 BSU (2012a): Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung (Hg), Weiterentwicklung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung und Globalrichtlinie. Zugriff auf: www.hamburg.de/rise BSU (2012b): Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung (Hg), Förderrichtlinien für Maßnahmen im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung. Zugriff auf: www.hamburg.de/rise BSU (2012c): Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung (Hg), Integrierte Stadt- 296 BSU (2010) (Hg.): POHL, Thomas; POHLAN, Jörg; SELK, Achim: „Pilotbericht Sozialmonitoring im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE)“, Hamburg. Zugriff auf www.hamburg.de/sozialmonitoring Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (2012a): Große Anfrage „Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE)“, Hamburg. Drs. 20/3827, 24.05.2012 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (2012b): Antrag „Haushaltsplan-Entwurf 2013/2014, Einzelpläne 1.2–1.8 und 9 - Hamburg 2020: Einrichtung eines „Quartiersfonds bezirkliche Stadtteilarbeit“, Hamburg. Drs. 20/6154, 06.12.2012 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (2012c): Große Anfrage „Phänomene und Auswirkungen der Gentrifizierung und Segregation“, Hamburg. Drs. 20/4998, 14.09.2012 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (2009): Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE). Hamburg. Drs. 19/3652, 21.07.2009 DOHNKE, Jan, SEIDEL-SCHULZE, Antje, HÄUSSERMANN, Hartmut, (2012): Segregation, Konzentration, Polarisierung – Sozialräumliche Entwicklung in deutschen Städten 2007-2009. Berlin, difu-Impulse Bd. 4/2012 FHH (2011): Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Arbeitsprogramm des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 10. Mai 2011 Hannah Baltes, J. Alexander Schmidt Stadt begegnet Klimawandel – Klimaanpassung im Bestand Stadterneuerung und Stadtumbau sind die Arbeitsfelder der Stadtplanung für die nächsten Jahrzehnte, da die Städte in Deutschland nahezu vollständig gebaut sind. Große Neubaumaßnahmen werden zukünftig nur noch vereinzelt durchgeführt werden. Vielmehr stehen der Umgang mit dem Bestand und die Anpassung des Bestandes an sich ändernde Randbedingungen im Vordergrund mit dem Ziel, langfristig nachhaltige und qualitativ hochwertige Stadtstrukturen zu garantieren und den Menschen eine gute und vielseitige Lebensqualität zu bieten. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es notwendig, auch zukünftige Entwicklungen wie z. B. den Klimawandel und seine zu erwartenden Folgen miteinzubeziehen. Die Anpassung des Bestandes an die Folgen des Klimawandels, insbesondere an zu erwartende Hitzewellen und Starkregenereignisse, wird zukünftig ein wesentlicher Aspekt der Stadtplanung sein. Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten, die ersten Anzeichen sind bereits heute in Deutschland spürbar, wenn sie auch noch nicht bedrohlich erscheinen. Dennoch dürfen die Wirkungsfolgen des Klimawandels nicht unterschätzt werden: Das Wissen darum macht ein frühzeitiges Handeln unabdingbar. Städte und Ballungsräume wie beispielsweise das Ruhrgebiet sind aufgrund ihrer stadtstrukturellen und infrastrukturellen Merkmale besonders betroffen und weisen in Bezug auf die Wirkungsfolgen eine hohe Vulnerabilität auf. Diese Vulnerabilität wird noch verstärkt durch den demographischen Wandel, einerseits durch die damit einhergehende Überalterung der Bewohner und ihre besondere Anfälligkeit für die Folgen des Klimawandels, andererseits durch die Verschärfung sozialer Disparitäten und die Vernachlässigung benachteiligter Stadtteile. Diese Entwicklung könnte noch durch den sich abzeichnenden Trend verstärkt werden, dass ältere Menschen aus der Peripherie wieder zurück in die verdichteten und damit besonders anfälligen Stadtbereiche ziehen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren bedroht in Zukunft die Lebensqualität in der Stadt und die Gesundheit der Bewohner (vgl. MUNLV 2009; Gartland 2008). Eine besondere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit dem Bestand. In Bezug auf die Klimaanpassung geht es darum, den Bestand an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen und seine Vulnerabilität zu verringern. Dabei muss vorsichtig und schrittweise vorgegangen werden und es ist besonderer Wert auf kleinteilige Maßnahmen zu legen. Die Ebene des Quartiers erlangt daher eine zentrale Bedeutung. Ein Quartier ist überschaubar und dennoch ausreichend groß, so dass Maßnahmen auf struktureller Ebene betrachtet werden können. Dennoch ist es so detailliert, dass auch kleinteilige Maßnahmen an einzelnen Grundstücken und Gebäuden zu integrieren sind. Zudem ist die Ansprache der Akteure (Eigentümer, Mieter etc.) auf dieser Ebene gut durchführbar. Modellvorhaben der Stadt Essen im Experimentellen Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) Mit dieser Thematik und weiterführend mit möglichen Lösungsstrategien beschäftigt 297 Abb. 1 Ist-Zustand und Abgrenzung des Plangebiets; Quelle: Deutsche Grundkarte sich das Essener Modellvorhaben „Stadt begegnet Klimawandel – integrierte Strategien für Essen“ im Rahmen der ExWoSt-Förderung. In diesem Modellvorhaben wurde die Thematik der Klimaanpassung auf verschiedenen Maßstabsebenen bis hinunter auf die Quartiersebene betrachtet. Der Fokus wurde auf die bereits heute schon belasteten hochverdichteten innerstädtischen Bereiche gelegt. Es wurden unter Einbezug verschiedener Maßnahmen Szenarien für Quartiere entwickelt, für ein Neubauvorhaben und für ein Bestandsquartier. Die Szenarien und ihre Wirksamkeit wurden, anhand von mikroklimatischen Simulationen durch das Modell ENVI-met, auf ihre Wirksamkeit hin überprüft (Temperatur, PMV-Index und Wind). Während für das Neubauquartier ein Szenario entwickelt wurde, welches eindeutig zu einer Verbesserung der bestehenden Situation und einer Temperaturreduktion an einem heißen Tag von bis zu 5° C führt, sind die Ergebnisse bei der Betrachtung des 298 Bestandsquartiers nicht ganz eindeutig. Im weiteren wird das Szenario des Bestandquartiers genauer erläutert. Szenario „Bestandsquartier“ Das Plangebiet liegt in Essen Altendorf. Der gesamte Stadtteil Altendorf ist problematisch auf Grund seiner dichten baulichen und seiner sozio-demographischen Struktur. Neben einem hohen Ausländeranteil und einem hohen Arbeitslosenanteil sind Leerstände und ein sehr geringer Freiflächenanteil ein Problem. Daher wurde Altendorf sowohl in das Programm Soziale Stadt als auch in die Stadtumbau-West-Förderung aufgenommen. In dieser Gebietskulisse liegt auch das Gebiet des Feinszenarios mit dem Fokus auf den Umgang mit Bestandsquartieren. Das Plangebiet besteht aus einem Wohngebiet mit überwiegend Blockrandbebauung und einem geringen Freiflächenanteil. Prägend ist ein Grünzug, der von Westen nach Osten verläuft und den Marktplatz mit einbindet. Im Norden grenzt ein wesentliches Stadtentwicklungsprojekt an, welches sich zur Zeit in der Umsetzung befindet. Dabei wird ein See – der Niederfeldsee – gebaut und im Zuge dessen, einige alte Gebäudestrukturen abgerissen und durch neue Solitärbauten ersetzt, die sich auch auf den Bereich des Plangebietes erstrecken. Dieses Projekt wird durch ein großes Wohnungsbauunternehmen durchgeführt, um Leerständen zu begegnen und neue Wohnformen zu etablieren. Dieser Umstrukturierungsprozess ist einer der Ausgangspunkte für die Klimaanpassung in dem Plangebiet. Weiterhin befindet sich im Plangebiet eine alte Schule, die zukünftig abgerissen und durch Alten- bzw. Servicewohnen ersetzt werden soll. Im Rahmen des Programms Soziale Stadt wird zudem der Marktplatz neu gestaltet und aufgewertet (Abb. 1). Für die Entwicklung des städtebaulichen Szenarios zur Klimaanpassung wurde Wert darauf gelegt, dass der Charakter des Gebietes erhalten bleibt, seine bestehenden Potentiale genutzt werden und nur kleinteilige Maßnahmen durchgeführt werden, um eine möglichst realitätsnahe und umsetzbare Konzeption zu entwickeln. Bauliche Eingriffe wurden lediglich an der genannten Schule durchgeführt (Abb. 2) Folgende Maßnahmen wurden in das Szenario integriert: • teilweise Entsiegelung von Innenhöfen und Stellplätzen, • teilweise Begrünung von Innenhöfen, • Dachbegrünung von Nebenanlagen, • Begrünung oder Verschattung von (südexponierter) Fassaden, • Reduktion der Baumpflanzungen in einem bestehenden Grünzug zur besseren Durchlüftung, • Begrünung des Straßenraums. Ergebnisse Szenario „Bestandsquartier“ Wesentliche klimatische Verbesserungen sind in den Bereichen zu finden, in denen die Baustruktur im Rahmen der Entwicklung am Niederfeldsee verändert und die geschlossenen Blockstrukturen geöffnet wurden. Durch die Auflockerung der Bebauung konnte in Bereiche mit einer hohen Hitzebelastung, insbesondere in Innenhofbereichen, eine deutlich messbare Temperaturreduktion erreicht werden. Die kleinteiligen Maßnahmen innerhalb des Gebäudebestands zeigen nur geringe und räumlich sehr begrenzte Wirkungen. So kann z. B. eine Temperaturreduktion im Schatten neugepflanzter Bäume erzielt werden und eine geringere Aufheizung von Gebäudebereichen, deren Südfassaden verschattet wurden. Doch die Wirkung der Maßnahmen hat keine Effekte auf angrenzende Bereiche. Die Maßnahmen wirken nur genau dort, wo der Eingriff vorgenommen wird. Ein deutlicher Effekt ist in dem bereits bestehenden Grünzug zu erkennen. Durch die Wegnahme von Baumpflanzungen konnte hier eine Verbesserung der Belüftung erreicht werden, doch tagsüber nimmt dafür die Wärmebelastung auf Grund fehlenden Schattenwurfs zu. Eine Wirkung bei der Entsiegelung von Innenhöfen ohne Begrünungselemente mit Schattenwurf ist nicht erkennbar. Diese Maßnahmen helfen jedoch bei Starkregenereignissen, da durch wasserdurchlässige Materialien eine bessere Versickerung und so eine Entlastung der Kanalnetze ermöglicht wird. Dennoch soll dieses Szenario nicht zu der Erkenntnis führen, dass kleinteilige Maßnahmen keine Wirkung erzielen, sie sind jedoch durch klimatische Mikrosimulationen nicht direkt messbar und eindeutig zu belegen. Andere Studien z. B. in der Klimaanalyse der Stadt Essen (Stadt Essen 2002) belegen, dass auch kleinteilige Maßnahmen, wie z. B. die Begrünung und Entsiegelung eines einzelnen Innenhofs, durchaus lokale und mess299 Abb. 2 Städtebauliches Szenario zur Klimaanpassung im Bestand (Grafik: H. Baltes) bare Auswirkungen haben kann. So konnte durch Messungen ein Temperaturunterschied von durchschnittlich 0,6°C zwischen einem begrüntem und entsiegelten Innenhof und einem locker begrünten Platz beide in innerstädtischer Lage nachgewiesen werden (Stadt Essen 2002: 11). Im Handbuch Stadtklima (MUNLV 2010) können weitere Untersuchungen gefunden werden, die zu ähnlichen Ergebnissen führen. Auch hier ist ein deutlicher Unterschied zwischen den gemessenen Temperaturen des begrünten Innenhofs und dem direkt angrenzenden versiegelten und nicht verschatteten Straßenraum zu erkennen (Abb. 3). Dies führt einerseits zu der Erkenntnis, dass die Entwicklung und Simulation der Szenarien Grenzen hat und nicht unbedingt die gesamten kleinteiligen Auswirkungen sichtbar macht. Andererseits lassen die Ergebnisse die Schlussfolgerung zu, dass die kleinteiligen Maßnahmen zwar direkte Aus300 wirkungen am Ort des Eingriffs haben, für Ausstrahlungseffekte in angrenzende Bereiche aber flächendeckend durchgeführt werden müssen. Entsiegelung und zusätzliche Begrünung können in geschlossenen Innenhöfen die Hitzebelastungen beachtlich reduzieren und somit die Wohn- und Aufenthaltsqualität deutlich erhöhen. Schlussfolgerungen Die Ergebnisse des Modellvorhabens und der quartiersbezogenen Betrachtung zeigen, dass in neuen Wohnquartieren Aspekte der Klimaanpassung verhältnismäßig einfach und mit guten Resultaten umgesetzt werden können. Es besteht dabei die Möglichkeit, kommunale Leitlinien zu entwickeln, die bei einer Umsetzung Beachtung finden müssen. Im Umgang mit dem Bestand erscheinen die Möglichkeiten zur Klimaanpassung begrenzt und erfordern aufeinander abgestimmte, Abb. 3 Innenhofbegrünung an der Altendorfer Straße, Temperaturdifferenz begrünter Innenhof zum Außenbereich (Quelle: MUNLV 2010:167) behutsame und flexible Ansätze. Es ist kaum möglich, auf einen simplen Katalog einzelner Maßnahmen zurückzugreifen, es müssen vielmehr eine Vielzahl kleinteiliger Maßnahmen in Kombination, vor allem aber flächendeckend, durchgeführt werden. Die Effekte der Maßnahmenpakete können dabei nicht in Gänze quantitativ gemessen werden. Es handelt sich um einen komplexen Systemzusammenhang der Einzelmaßnahmen, die in einem engen Wechselwirkungsverhältnis mit positivem oder negativem feedback stehen. Bei der flächenhaften Umsetzung von Maßnahmen gibt es darüber hinaus zahlreiche erschwerende Rahmenbedingungen. So stellt sich die oftmals sehr heterogene und zersplitterte Eigentümerstruktur als besonderes Problem dar. Der Aufwand ist groß, um die Bedrohung der Lebensqualität durch die Wirkfolgen des Klimawandels und die Notwendigkeit von abschwächenden Maßnahmen zu verdeutlichen. Eine gezielte Ansprache der unterschiedlichen Akteure, wie private Eigentümer, Wohnungsbaugesellschaften und Mieter, ist unabdingbar. Es sollte daher versucht werden, mit bereits bestehenden Initiativen und Netzwerken zu kooperieren, um einen leichteren Zugang zu erhalten. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist es auch, Anpassungsmaßnahmen von kommunaler Seite zu fördern und zu unterstützen, da dies noch immer den größten Anreiz zum Handeln liefert. Auch wenn weiter oben die Grenzen der mikroklimatischen Simulation angesprochen wurden – gerade die Kleinteiligkeit vieler Maßnahmen könnte bei der Umsetzung im bestehenden Stadtquartier auch hilfreich sein. Viele Maßnahmen der Klimaanpassung sind mit wenig finanziellem und baulichem Aufwand zu betreiben und erhöhen gleichzeitig die Aufenthalts- und Lebensqualität. Ein an der Südfassade angebrachter Sonnenschutz z. B. ermöglicht den Aufenthalt im Freien auch an heißen Tagen, die attraktive Begrünung und Entsiegelung eines Innenhofes schafft auch Raum für nachbarschaftliche Kommunikation. Die Errichtung von Mulden zur Rückhaltung von Regenwasser können Außenräume aufwerten und führen ggf. zu Einsparungen durch 301 die Reduktion von Abwassergebühren. Jede Maßnahme, sei sie noch so kleinteilig und naheliegend, kann einen Beitrag leisten, im Bereich des Quartiers und lokal das Klima zu verbessern. Es liegt auf der Hand, dass die Vielfalt der Maßnahmen einem integrierten und im Hinblick auf das Zusammenwirken abgestimmten Gesamtkonzept folgen, das Schritt für Schritt behutsam umgesetzt werden kann, Grundstück für Grundstück, Haus für Haus, Innenhof für Innenhof. die kommunale Planungskultur erhalten und kontinuierlich als ein Aspekt „mitgedacht“ werden, ohne direkt im Vordergrund zu stehen. Für eine flächenhafte Umsetzung wird es immer darauf ankommen, „Gelegenheitsfenster“ bei städtebaulichen Projekten gezielt zu nutzen. Klimaanpassung muss mit anderen urbanen Entwicklungsprozessen kombiniert und zusammen gesehen werden, Klimaanpassung ergänzt Stadtentwicklung, Stadterneuerung, Stadtumbau durch einen zusätzlichen Mehrwert. Vor diesem Hintergrund muss klimaangepasste Planung als integraler Bestandteil der nachhaltigen Stadt Einzug in MUNLV (2010): Handbuch Stadtklima – Maßnahmen und Handlungskonzepte für Städte und Ballungsräume zur Anpassung an den Klimawandel. 302 Literatur GARTLAND, LISA (2008): Heat Islands – Understanding and Mitigating Heat in Urban Areas. London, Sterling STADT ESSEN (2002): Klimaanalyse der Stadt Essen. Stadt Essen, Umweltamt. VDI (1998): Verein Deutscher Ingenieure (1998): VDI-Richtlinie 3787, Blatt 2 – Umweltmeteorologie – Methoden zur humanbiometeorologischen Bewertung von Klima und Lufthygiene für die Stadt- und Regionalplanung, Teil I : Klima. Düsseldorf Susanne Dürr, Christina Simon-Philipp Stadterneuerung und öffentlicher Raum Wohnraum Stadt – Strategien, Projekte An die Gestaltung des öffentlichen Raums werden mannigfaltige Ansprüche gestellt (...). Nur die geschickte Verbindung von Funktionalität, Ästhetik, Sinnlichkeit und Aufenthaltsqualität schafft eine optimale Stadtraumqualität für möglichst vielfältige Nutzungen. (Stadt Zürich 2006) Der öffentliche Raum ist – seit Jahrzehnten unter wechselnden Leitbildern – das Herz der Stadterneuerung. Seine Gestaltung und Aufwertung, die Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen, Anforderungen, „Gesetzmäßigkeiten“ und Veränderungen sind ein wichtiger Gegenstand der Planungspraxis und der Stadtforschung. Dies zeigt sich in vielgestaltigen Stadterneuerungsprojekten und zahlreichen aktuellen Veröffentlichungen. Auf allen Ebenen der Politik gibt es einen Konsens, dass der öffentliche Raum von großer Bedeutung für das Gemeinwesen ist und dass er seinen Charakter als Allgemeingut dauerhaft beibehalten muss. Die Wahrnehmung des öffentlichen Raums und die Aneignung durch die Nutzer haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Der öffentliche Raum ist von großer Bedeutung für das Wohnen in der Stadt. Die Ansätze zu seiner Qualifizierung haben sich stark ausdifferenziert, partizipative Planungsformen, soziale und kulturelle Initiativen, temporäre Projekte, ein veränderter Blick auf die Nutzungsansprüche und die Umcodierung von Räumen haben an Bedeutung gewonnen. Dies hat die LBS Stiftung Bauen und Wohnen zum Anlass genommen, in einem Forschungsprojekt Strategien und Projekte zur Aufwertung des öffentlichen Raums zu untersuchen (2010-2012). In einem interdisziplinär zusammengesetzten Team wurde unter der Projektleitung von Dr. Gerd Kuhn, Prof. Susanne Dürr und Prof. Dr. Christina Simon-Philipp ein breites Themenspektrum mit dem Fokus auf das Wohnen und den öffentlichen Raum aufgearbeitet: Der öffentliche Raum in der Innenentwicklung; Plätze, Parks und Landschaft; Wohnstraßen und Wohnhöfe; die Wohnung, das Haus und der öffentliche Raum; das Wohnen am Wasser – das Wohnen mit dem Wasser; Kunst und der öffentliche Raum (vgl. Kuhn/ Dürr/ Simon-Philipp 2012). Wichtig war es dabei, die theoretischen Erkenntnisse mit konkreten Beispielen und Erfahrungsberichten zu unterlegen, um einen Praxisbezug herzustellen und die Übertragbarkeit zu beleuchten. In einleitenden Texten wurden europäische Tendenzen betrachtet. Das Fazit des Forschungsprojektes bildet die Grundlage des folgenden Beitrags. Die Ergebnisse des Projektes werden zusammenzufasst und einzelne Aspekte vertieft. Der öffentliche Raum in der Stadterneuerung – Einbindung in den Europäischen Kontext Die Stadterneuerung ist, spätestens seit Unterzeichnung der Leipzig Charta 2007 in Europa eine anerkannte staatliche Aufgabe. Das Deutsche Institut für Urbanistik (difu) hat 2012 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Zwischenbilanz erarbeitet und durch die Analyse internationaler Stadterneuerungsansätze die Bedeutung der integrierten Stadt(teil)entwicklung unterstrichen 303 (vgl. BMVBS 2012). In der Leipzig Charta wurde die Herstellung und Sicherung qualitätsvoller öffentlicher Räume in den Quartieren als eines der zentralen Handlungsfelder benannt. Die Länder verfolgen dabei sehr unterschiedliche Ansätze. In England setzt der Staat insbesondere auf steuerliche Anreize, in Frankreich wird zentralstaatlich gesteuert, insbesondere die Aufwertung sozialer Brennpunkte, sogenannter quartiers sensibles mit öffentlichen Geldern gefördert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Inwertsetzung öffentlicher Freiflächen und der Neudefinition der Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Bereichen im unmittelbaren Wohnumfeld. In Nordeuropa und Österreich werden ähnliche Ansätze wie in Deutschland verfolgt. Projekte, die neue Akzente setzen, sind beispielsweise in Kopenhagen entstanden. Die Stadt hat es sich zum Thema gemacht, im Rahmen der Stadterneuerung „öffentliche Räume für die Einwanderungsgesellschaft“ zu schaffen (z. B. Projekt „Forest of Ropes“ in Kopenhagen 2011). Die Gestaltung des öffentlichen Raumes ist in einigen europäischen Ländern mit großer Innovationskraft verbunden. Wichtig sind qualifizierte Konzepte und kreative Verwaltungen, die bereit sind, mehr als nur den mainstream umzusetzen. Kristallisationspunkt öffentlicher Raum – Spiegel des gesellschaftlichen Wandels Der öffentliche Raum ist ein Thema in allen Kommunen, unabhängig von ihrer Größe und ihrer demographischen Entwicklung. Die Aufwertung des öffentlichen Raumes wird seit Beginn der geförderten Stadterneuerung als Impulsgeber für Erneuerungsmaßnahmen eingesetzt – vor allem in den Innenstädten, Ortszentren und im Zusammenhang der innerörtlichen Wohnquartiersentwicklung. Der öffentliche Raum – seine Wesensmerkmale und seine Qualität – sind ein strategisches Steuerungsinstrument der Stadterneuerung. Dabei gewinnen Partizi304 pation (von top down zu bottom up), multifunktionale Räume, temporäre Projekte, Nutzungsüberlagerungen, (temporäre) Umcodierungen und künstlerische Interventionen an Bedeutung. Es geht um ganz unterschiedliche Raumtypen, vom kleinen intimen Quartiersplatz in Wohngebieten bis hin zu großen und repräsentativen Rauminszenierungen. Die Spannweite der Eingriffe und Maßnahmen ist groß: Es werden kostenintensive dauerhafte Platzgestaltungen ebenso wie temporäre Raumaneignungen geschaffen. Das Spektrum reicht von funktionalen Aufwertungen bestehender Plätze bis hin zu sehr kreativen, gestalterisch anspruchsvollen Installationen. Durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft und der Haushaltstypen, durch urban orientierte Nutzergruppen, aber auch durch die Suche nach Gemeinschaft gewinnt der öffentliche Raum als Sozialraum, als Ort des gesellschaftlichen Miteinanders an Bedeutung. Hier können sich unterschiedliche soziale und ethnische Gruppen, Menschen jeglichen Alters ungezwungen begegnen. Dem öffentlichen Raum gelingt es, einen sozialen Zusammenhalt in den Städten und Gemeinden herzustellen. Die soziale und funktionelle Ausdünnung in schrumpfenden Regionen sowie die steigende Nachfrage nach innerstädtischen Wohnstandorten, insbesondere in den prosperierenden Städten, erfordern die intensive Auseinandersetzung mit den Übergängen zwischen privatem (Wohn)Raum und öffentlichem Kommunikations- und Bewegungsraum (Abb. 1). Rückeroberung des Verkehrsraums als Sozialraum Das Leitbild der autogerechten Stadt hat bis heute weite Kreise gezogen – dennoch: seit den 1970er Jahren werden die Chancen der Revitalisierung öffentlicher Räume durch Nutzungsmischung und die Rückeroberung der Straße als Sozialraum im Rah- Abb. 1 Der öffentliche Raum ist Ort des gesellschaftlichen Miteinanders (Foto: S. Dürr) men der Stadterneuerung vorangetrieben. Die Öffnung des städtischen Raums für unterschiedliche Nutzerbedürfnisse erfordert einen anderen Umgang mit dem Auto. Quartiersstraßen können durch zentral oder unterirdisch untergebrachte Parkierung im Idealfall (weitgehend) autofrei gestaltet werden. Ein neuer Ansatz liegt in der Nutzungsüberlagerung öffentlicher Räume (vgl. Hellekes 2012). In der dicht bebauten Karlsruher Südweststadt werden in der Bürklinstraße fünf Stellplätze durch ein absolutes Halteverbot von 11 bis 18 Uhr dem Spielen vorbehalten. Das Projekt wurde ämterübergreifend und in intensiver Diskussion mit den Anwohnern umgesetzt. Obwohl es sich nur um fünf Parkplätze handelt, konnten ein wichtiger Impuls gesetzt und den Kindern in der unmittelbaren Wohnumgebung Spielbereiche eröffnet werden. Ein neuer Umgang mit dem Raum, der den Faktor Zeit mit einbezieht, der auf die Gleichwertigkeit der Nutzerbedürfnisse oder auf den Abbau von Barrieren und das „Vernähen“ von Stadtquartieren zielt (z. B. Konzept Überdeckelung Frankenschnellweg, Nürnberg), kann ganz neue Nutzungs-, Gestalt- und Erlebnisqualitäten schaffen. Der Boulevard als repräsentative Straßentypologie wird in Kopenhagen mit dem Umbau von Prags und Soender Boulevard neu interpretiert: beide linearen Räume erlauben nach der Reduktion von Verkehrsflächen und Verlangsamung des Verkehrs die Durchquerung angrenzender Wohnquartiere für Fahrradfahrende. Zusätzlich werden auf Basis einer Bewohnerbeteiligung unterschiedliche Funktionen integriert – Hybride aus Erschließung, Spiel-, Sportplatz und Quartierspark sind entstanden. Wie wichtig eine intensive Beteiligung und Öffentlichkeitsarbeit ist, machen auch die Ansätze deutlich, die trotz ambitionierter Konzepte (noch) nicht gut funktionieren (z. B. Shared-Space-Bereich Tübinger Straße, Stuttgart, 2012). In der Weiterentwicklung dieser Konzepte steckt viel Potenzial für die Qualifizierung des Stadtraumes. Neue Typologien des öffentlichen Raums Nicht nur Verkehrsräume, sondern auch durch Flächenumwidmung neu verfügbare Räume werden zurückerobert. Areale jeglicher Größe, Form und Funktion werden zu öffentlichen Räumen, die vor allem im dichten städtischen Wohnumfeld gebraucht werden. Dichte hat in Bezug auf das innerörtliche Wohnen nur Qualität, wenn dem öffentlichen Raum in der Planung und Umsetzung so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird wie dem gebauten Haus. Der öffentliche Raum ist der bisher nicht dagewesene Ersatz für den fehlenden privaten Freibereich. Neue Typologien entstehen: In Kopenhagen werden willkürlich gewachsene Flächen eines zentralen Busparkplatzes zum Community Park, der unregelmäßig in die Blockstruktur des Stadtteils Nordwest eingreift. Ein zuerst als Blockinnenbereich nachzuverdichtender Ort wird mit dem Banana Park öffentlicher Spiel- und Sportplatz. Höfe und Blockrandstrukturen, zuvor Sinnbild der privaten Nutzung, werden in Berlin und Tübingen geöffnet. Private Lagerhöfe werden in Karlsruhe zu urbanen Refugien für das Quartier. Abwechslungsreiche und überraschende Freiräume entstehen pragmatisch im Rahmen veränderter Ausgangssituationen. 305 Schnittstellen zwischen öffentlich und privat Neue Freiraumtypologien ziehen auch die Notwendigkeit neuer Lesarten des Raumes nach sich: vielfältige Überlagerungen und Bedeutungszuweisungen erschweren nun eine klare Zuordnung der Sphären privat und öffentlich. Die Erfordernis allgemeiner Zugänglichkeit manifestiert sich in diesen öffentlichen Räumen auch an der Kontaktstelle: zur Erhöhung der Frequentierung und Nutzbarkeit der öffentlichen Räume werden begrenzende Fassaden, wo möglich, funktional und räumlich in das Gestaltungskonzept integriert. Die Schnittstellen werden nicht mehr durch Distanz schaffende Verkehrsräume neutralisiert, sondern gezielt aktiviert: Brand- und Rückwände werden zu inszenierten Kulissen oder zum Standort neuer Nutzungsangebote. Es geht nicht (mehr) um die Definition eindeutiger Grenzen, sondern um die Bereiche des Übergangs sowie die Nutzungskonflikte, die den öffentlichen Raum prägen und ausbalanciert werden müssen. Ohne Kompromisse und Toleranz ist weder die Hinwendung zum öffentlichen Raum noch die Nutzung des öffentlichen Raumes nachhaltig möglich. Fassaden als entscheidende Kontaktstellen zwischen dem privaten Innenraum und dem öffentlichen Freiraum sind, wie alle Schnittstellen, von größter Bedeutung. Sie bilden als eine Schicht schwebender Zugehörigkeit Übergangsbereiche zwischen Innen und Außen. Die verschiedenen Zonen dieses Übergangs, neben der Fassade ebenso die Loggien und Balkone und die für die Urbanität eines Quartiers so wichtigen Erdgeschosszonen sind die sensibelsten Bereiche des innerstädtischen Wohnens und bedürfen größter Aufmerksamkeit. Netzwerk öffentlicher Räume Die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes ist ein wichtiges Gut. Die neuen, scheinbar 306 zufällig positionierten öffentlichen Räume werden gemeinsam mit schon bestehenden Freiflächen Teil eines öffentlichen oder halböffentlichen Freiraumnetzes. Sie werden hierarchisiert, Abfolgen und Sichtbeziehungen werden inszeniert, Orientierung geschaffen. Jeder einzelne Freiraum im Netzwerk hat standortbezogen spezifische räumliche und funktionale Begabungen und steht über der hieraus entwickelten individuellen Konzeption im Verbund mit anderen. Großmaßstäbliche wie quartiersbezogene Netze entstehen. In Neuhausen auf den Fildern entstand mit Schlossplatz, Kirchplatz und Ochsengarten ein Netzwerk öffentlicher Räume, in der jeder Freiraum eine Aufgabe erfüllt. Im Scharnhauser Park prägen öffentliche Räume in Fortsetzung der Landschaft Mitte und Gerüst des neu entstehenden, dichten Stadtteils bei Stuttgart. Diese Netzwerke erfordern einerseits strategisch orientierte Planungskonzepte, andererseits aber auch die Einbindung verschiedener Akteure. Übergeordnete städtebauliche Leitbilder liefern die Zielsetzung zur Entwicklung der Netze: Fahrradschnelltrassen als Teil der Grünraumstruktur vernetzen strahlenförmig die Kernstadt von Kopenhagen mit dem Umland, die Hamburger Hafencity wird zur Erweiterung der Innenstadt, in Karlsruhe verbinden die Grünräume Schwarzwald und Rhein. Die Gestaltung dieser übergeordneten Struktur basiert damit auf der individuellen Ausgangssituation, Eigenart und Begabung, auf räumlichen, landschaftlichen, infrastrukturellen oder kulturellen Zusammenhängen. Auch der Einsatz von Kunst im öffentlichen Raum unterstreicht diese Tendenz: Auch sie vernetzt sich, definiert, prägt, gestaltet Raumsequenzen und -ketten. Sichtbar ist dies beispielsweise am Limmatquai in Zürich. Das gesamte Limmatufer wird in die künstlerische Gestaltung mit einbezogen. In Lörrach erhielt die Innenstadt als Einkaufs- und Wohnstandort durch eine Platzfolge mit Kunstinterventionen ein neues Gesicht. Der öffentliche Raum, aber auch die begleitenden künstlerischen Inter- ventionen werden in Netzen und nicht mehr nur punktuell gedacht. prägt die Unverwechselbarkeit eines Ortes, die Impulse zur Identität sind orts- und situationsbezogen, aber darüber hinaus auch zeit- und leitbildbedingt. Freiraum zur Adressbildung Viele Quartiere der gebauten Stadt haben nach Jahrzehnten der Nutzung ihre ursprüngliche Attraktivität eingebüßt. Die Wohngebäude von morgen, aber auch identitätsprägende Kulturbauten sind gebaut, der Raum dazwischen aber bleibt variabel und bietet die Chance zur offensichtlichen Veränderung. Der öffentliche Raum – einzeln wie als Netzwerk betrachtet – übernimmt in der Stadterneuerung neben zeitgemäßen funktionalen Anforderungen die wichtige Aufgabe einer neu zu schaffenden Adressbildung. Vor allem in Kopenhagen unterstreichen unerwartete Dimensionssprünge und kräftige, materialunabhängige Farben die Unverwechselbarkeit der Freiräume eines Quartiers. Sie erinnern ironischspielerisch an Pop Art und die Megazeichen der Kommerzialisierung, reagieren auf verschiedene Bedürfnisse, aber auch auf ästhetische Bilder ihrer jugendlichen Zielgruppen. Hybride „Möbel“ unterstützen diese Adressbildung. Der Schwerpunkt der neuen „Freiraum-Wohnzimmer“ liegt auf den Eigenschaften ihrer Ausstattung. Überdimensionale plastische Objekte mit plakativer, bildhafter Wirkung prägen dort aktuelle Freiraumgestaltungen. Sie werden als Aufenthalts- und Inszenierungsfläche angeboten, als Treffpunkt, Bühne oder Tribüne, als Kommunikationsfläche unterschiedlicher Nutzergruppen. Sie sind erinnerungswürdig, identitätsstiftend: Im Banana Park ist eine sichelförmige Erdaufschüttung mit gelbem Kunststoffbelag überzogen, die künstliche Geländemodellierung zoniert den öffentlichen Raum. In Zürich, aber auch Neuhausen übernehmen gebaute, eher urbane Identifikationsobjekte wie Aussichtstürme, Gerüste oder Mauern die Rolle der Adressbildung in den „Parkplätzen“ der Quartiere. Das Zusammenspiel von Struktur, Raum und Aktivität Temporäre Raumnutzungen Temporäre Nutzungen haben große Potenziale, alternativ und unkonventionell auf die Unverwechselbarkeit des Ortes und seine Begabungen zu reagieren und damit eine neue Identität für kurze Zeit ins Licht der Öffentlichkeit zu stellen. Die zuvor meist nicht in der öffentlichen Wahrnehmung existenten Räume können damit in das Netz der öffentlichen Räume zurückgewonnen werden. Sie werden Image- und Impulsgeber von neuen Bedeutungen. Temporäre Elemente oder Aktionen definieren diese Räume neu oder leiten soziale Aktionen symbolisch ein. Die Erfordernisse der Kontinuität sollen allerdings temporäre Raumnutzung und Raumirritationen nicht behindern oder gar ausschließen. Diese prozessorientierte Strategie, mit temporären Räumen im Quartier städtebauliche Umbauprozesse einzuleiten, wurde auch in Stuttgart 21 angewendet: für einen Monat wurde im zukünftigen Stadtteil Rosenstein eine öffentlich zugängliche Plattform mit Schwimmbad eingefügt, der Bau und die Präsenz von öffentlichen Aktionen – Bauperformances – begleitet. Aber nicht nur eine einmonatige, sondern auch Abb. 2 Das Projekt Stuttgart PopUp! ist eine strategische Intervention durch temporäre Nutzung (Foto: Büro Umschichten Stuttgart) 307 länger andauernde Interventionen können Impulse geben: in Saarbrücken-Brebach stellt die evangelische Kirche das Umfeld der Kirche als Quartiersplatz in Erbpacht zur Verfügung (Abb. 2). Image bei Nacht Die Wahrnehmung und Nutzung des öffentlichen Raumes wandelt sich je nach Tageszeit stark. Der öffentliche Raum wird inzwischen auch zur Nachtzeit als erweiterter Lebensraum genutzt – Jugendliche feiern im Park, Jogger nutzen späte Abend- und frühe Morgenstunden. Die Ausdehnung der Nutzungsdauer auf die Nacht führt zur hervorgehobenen Bedeutung der Beleuchtung: nachts können überraschende neue Raumwahrnehmungen hergestellt werden. Bislang führten berechtigte Sicherheitsbedürfnisse oftmals zu einer schematischen Ausleuchtung öffentlicher Flächen. Inzwischen ist aber im Umgang mit Licht im Wohnquartier und öffentlichen Raum ein grundlegender Wandel eingetreten. So wird in beispielhaften Projekten das „soziale Licht“ als Qualität entdeckt. Präzise und sparsam eingesetztes Licht kann die objektive und subjektive Sicherheit im öffentlichen Raum positiver beeinflussen, die Atmosphäre des Platzes bei Nacht steigern und Geborgenheit fördern. Erinnerbare Bilder und Atmosphären werden mit dem nächtlichen Ort assoziiert: der kanalisierte Leutschenbach schwebt als blaues Neonlicht schlangengleich durch die nächtlichen Baumkronen des zentralen Platzes im ehemaligen Züricher Industriequartier Leutschenbach. Durch ein Lichtkonzept kann eine eigenständige Nachtidentität des einzelnen Freiraums, aber auch des Quartiers und der Stadt insgesamt entstehen. Kunst – Sensibilität und Radikalität Auch Kunst spricht das Emotionale an, kann Image schaffen und Prozesse in Gang set308 zen. Kunst im öffentlichen Raum zeigt eine andere, hochsensible Perspektive und Verknüpfung zwischen Planern und Adressaten. Es geht darum, sowohl von der Sensibilität als auch der Radikalität der Kunst zu lernen und dies als Erkenntnisgewinn in die Strategien zur Gestaltung und Aufwertung des öffentlichen Raums einzubinden. Ansätze und neue Steuerungsmodelle sind übertragbar. Kunst kann visuellen und emotionalen Themen Raum geben, kann aber auch Teil eines partizipativen Prozesses sein. Sie kann funktionale Aufgaben übernehmen oder auch zur Interaktion auffordern. Bei dem Projekt „Hohensteintisch“ handelt es sich um ein Ritual, das in einem kleinen Dorf mit mehreren Ortsteilen eine neue Öffentlichkeit und Identität schafft. Durch Tisch und Stühle entsteht eine neue symbolische Mitte, die als „Prozession“ von Jahr zu Jahr den Ortsteil wechselt. Kunst wird als Beitrag zur Ritualisierung des gemeinschaftlichen Miteinanders eingesetzt. Nutzungskonflikte Ein öffentlicher, gut genutzter Raum ist zugleich immer auch ein konfliktreicher öffentlicher Raum. Unterschiedliche Auffassungen und Anforderungen ins Gleichgewicht zu bringen, ist dabei eine entscheidende Aufgabe. Wenn es darum geht, divergierende Interessen auszutarieren, müssen alle Beteiligten – Bewohner, Gewerbetreibende, Kommune – eingebunden werden. Nur gemeinsam entwickelte und getragene Strategien haben langfristig Aussicht auf Erfolg. Öffentlicher Raum braucht Fürsorge, Veränderungsvisionen, Zeit und einen langen Atem in der Umsetzung. Das neue Leben im öffentlichen Raum führt mancherorts geradezu zu einer Festivalisierung und Mediterranisierung des Raumes. Das Stadtleben wird offener und kulturell vielfältiger. Die Schwelle zur Übernutzung des öffentlichen Raumes ist fließend und Abb. 3 Das Austarieren von Nutzungskonflikten erfordert die Einbindung aller Beteiligten (Foto: S. Romero) äußerst konfliktträchtig. Dies zeigt sich insbesondere auf den zentralen Plätzen an den aufgewerteten öffentlichen Uferzonen, beispielsweise in Malmö (Schweden) oder in Konstanz (Herosé-Areal) (Abb. 3). Alltagsnutzung – junge Stadtnutzer im öffentlichen Raum Der öffentliche Raum in Wohnquartieren wird durch die Alltagsnutzung bestimmt. Er ist der Ort alltäglicher Lebensvollzüge und nicht ein zweckbestimmter, monofunktionaler Ort der Freizeit. Öffentlichkeit findet im Alltag statt, daher macht es keinen Sinn, den öffentlichen Raum als wertvoll gestalteten „öffentlichen Repräsentationsraum“ an einem zentralen Ort der Stadt zu konzentrieren. Es gibt unterschiedliche Grade bzw. Arten der Öffentlichkeit: die allgemeine und die quartiersbezogene Öffentlichkeit sowie „öffentliche Rückzugsräume“, die vor allem für Jugendliche wichtige Aneignungsräume sind. Öffentliche Räume werden von verschiedenen Bewohnergruppen genutzt. Kinder und Jugendliche brauchen Frei-Räume im öffentlichen Wohn-Raum. Den Interessen und Bedürfnissen von Jugendlichen im öffentlichen Raum muss – nicht zuletzt aufgrund einer fehlenden Lobby – mehr Verständnis und Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Ohne Freiräume, in denen sie sich frei und unkontrolliert bewegen dürfen, werden sich Jugendliche nicht als verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft entwickeln können. Das Sozialverhalten von Jugendlichen im öffentlichen Raum bietet oftmals Konfliktstoff für die Anwohner. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Jugendliche aus den öffentlichen Räumen verdrängt werden. Ziel kann es nicht sein, Kindern und Jugendlichen nur funktionsspezifische Flächen zuzuweisen, sondern sie müssen in das Erscheinungsbild des öffentlichen Lebens integriert werden. Gelungen ist dies beispielsweise mit der Neugestaltung des Marienplatzes in Stuttgart; entstanden ist ein multikultureller Raum, der vielfältige Aktivitäten und Raumaneignungen zulässt. Dass das Kinderspiel zum Wohnen gehört, hat das Bundesverwaltungsgericht 1991 in seinem Urteil zu Kinderspielplätzen in allgemeinen Wohngebieten festgestellt. Wenn Kinder zu Jugendlichen heranwachsen, wird es schwierig. Dies zeigen unter anderem die Erfahrungen mit dem Stuttgarter Spielflächenleitplan, der erstmals Mitte der 1970er Jahre aufgestellt und zuletzt 2007 neu konzipiert und an veränderte Inhalte und gesellschaftspolitische Anforderungen angepasst wurde. Stuttgart hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, Deutschlands „kinderfreundlichste Großstadt Deutschlands“ zu werden (2003). In den letzten 35 Jahren wurden in Stuttgart 180 neue Spielstandorte und Bewegungsräume eingerichtet. Dennoch entspricht die Gesamtfläche von rund 105 Hektar Spielflächen nicht einmal einem Drittel der Flächen, die in der Stadt für PKW-Stellplätze vorgehalten werden. Durch Nachbarschaftseinsprüche können bisweilen skurrile Konflikte entstehen, die 309 zeigen, wie subjektiv das Wahrnehmungsvermögen ist und welch „emotionaler Sprengstoff“ bei der Planung von Bewegungsräumen für Jugendliche entstehen kann. Verkehrsimmissionen werden oft als gegeben oder unvermeidbar akzeptiert. Kinder und Jugendliche werden als „Störfaktoren“ empfunden. Bisweilen scheitern die Vorhaben für neue Bewegungsräume, wenn keine Planungssicherheit (in Form eines rechtsgültigen Bebauungsplanes) besteht oder die Nutzung der neu geschaffenen Freiräume wird auf wenige Stunden am Tag beschränkt. Die aktuelle Rechtslage ist restriktiv. Ohne eine Änderung des Immissionsschutzrechts ist eine langfristige Verbesserung der Aufenthaltssituation Jugendlicher im öffentlichen Raum nicht in Sicht (Abb. 4). Blaue Freiräume Neue Quartiere und Arrondierungen entfalten eine große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung für die Städte. Insbesondere die ehemaligen Hafenquartiere oder Uferzonen, die für das Leben und Wohnen in der Stadt zurück gewonnen werden, zeigen dies beispielhaft. An den Wasserlagen entstehen besonders attraktive Wohn- und Arbeitsorte, oftmals sind sie jedoch wenig vernetzt mit der gewachsenen Stadt. Die „blauen Freiräume“ erweitern die grünen Freiräume um eine neue Dimension, vor allem wenn die Uferzonen frei zugänglich sind. Dies ist in Konstanz sehr gut ablesbar. Die Stadt bemüht sich seit vielen Jahren, ihr Bodenseeufer der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gegen große Proteste wurde ein neuer Seeuferweg angelegt, um eine durchgängige Wegebeziehung entlang des Wassers zu ermöglichen. Die Neubebauung des Herosé-Areals sollte in diese Überlegungen einbezogen werden. Ziel war es, das Wasser in den städtischen Kontext zu integrieren und dem öffentlichen Raum dadurch eine neue Qualität zu geben. Stufen ermöglichen den direkten Zugang zum Wasser und steigern die Erlebnisqualität. Die Öffentlichkeit eignete sich die neuen Freiräume schnell an, was in starkem Gegensatz zur Privatheit des direkt angrenzenden hochwertigen Wohnraums stand, der als „Wohnen in ruhiger Bestlage“ hochpreisig vermarktet wurde. Je sonniger das Wetter, je lauer die Abende, desto deutlicher treten die Konflikte zwischen den Anwohnern und der Öffentlichkeit zu Tage. In der Folge kamen Ordnungshüter zum Einsatz und kommunal verordnete Glas- und Alkoholverbote. Alle Akteure haben aus dem Prozess gelernt: die Erdgeschosszonen müssen sich öffnen und dürfen nicht den Anspruch auf Privatheit erheben. Potenziale stecken in der Kombination von Wohnen und Arbeiten, als „Puffer“ zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Reine Wohngebiete können hier nicht die richtige Lösung sein. Eine frühzeitige Beteiligung aller künftigen Nutzer ist eine wichtige Basis. Sind öffentliche und private Bereiche zoniert, entsteht weniger Konfliktpotenzial in der Raumnutzung. Es muss eine Balance zwischen Kommerzialisierung, Mediterranisierung – der allzeitigen Belebung der Plätze – und dem Ruhebedürfnis der Anwohner gefunden werden. Partizipation – Öffentlicher Raum wird von allen genutzt Abb. 4 Brandwände werden zur Kulisse für Spielräume Jugendlicher (Foto: S. Dürr) 310 Eine bürgerschaftlich akzeptierte und mitgetragene Aufwertung des öffentlichen Raumes ist nicht möglich ohne Partizipation. Das Bedürfnis der Nutzer nach Beteiligungskultur, nach Dialog und Information fokussiert sich häufig auf die Gestaltung öffentlicher Stadträume und insbesondere der wohnungsnahen Freiräume und Spielplätze – hier motiviert die direkte Betroffenheit zur Meinungsäußerung. Die Integration aller Nutzergruppen wird zum Ziel, es gilt den Kreis der Beteiligten zu erweitern um einkommensschwache, ältere Menschen, Kinder, jugendliche Migranten und um zukünftige Anwohner. Stadtraums dar: vielfältige und abwechslungsreiche Freiräume in Reaktion auf spezifische und heutige Bedürfnisse garantieren allgemeine Begeisterung und Nutzung. Das kommunale Bemühen um Kinder als eine relevante Nutzergruppe, die tatsächlich die öffentlichen Räume im Wohnumfeld nutzt, ist besonders auffällig. Das hierfür entwickelte Instrument der Spielleitplanung wurde in Basel, Mannheim oder Karlsruhe in Ergänzung der Bauleitplanung eingesetzt. Kinder werden als Experten ihrer eigenen Situation befragt, über Streifzüge und mental maps geben sie Einblick in ihre Lebenswelt. Die Spielleitplanung richtet den Blick auf die gesamte Stadt als Spiel-, Erlebnis- und Erfahrungsraum, sie erfasst, bewertet und berücksichtigt die Freiräume, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten und aktiv werden. Mit der aufmerksamen, kritischen, material- und detailorientierten Wahrnehmung der Kinder können Stadtzentren und Quartiere als attraktive Familienstandorte gefördert werden. Klimaaktive öffentliche Räume Partizipation erfordert Behutsamkeit. Geschehensqualitäten können Gestaltqualitäten gegenüberstehen, auch in Gestaltungsfragen treten oftmals unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. Es sind daher frühzeitig Verfahren zu implementieren, die Interessenskonflikte aufgreifen und nach Möglichkeit im Konsens bewältigen. Das Landschaftsplanungsbüro SlA Architects in Kopenhagen benennt mit dem Video „let's not talk About Aesthetics“ den Konflikt und stellt gleichzeitig seine Ideologie zur Partizipation wie zur Gestaltung des bürgernahen Die Stärke der Bürgerbeteiligung erweist sich in der Identifikation mit ihrem Quartier sowie der höheren Akzeptanz der gemeinsam erarbeiteten Lösung. Aber auch in der Kraft zur Initialzündung, im Anstoßen und Beschleunigen eines Prozesses besitzen Bürgerstimmen großes Potenzial. Ebenso beeinflussen gegenwärtig Ökologie und Klimaeffizienz die Gestaltung öffentlicher Räume. Die Stadt als Ort des höchsten Energiebedarfs wird gleichgesetzt mit der schon seit den 1920er Jahren verfemten „steinernen Stadt“ und wird erklärtes Feindbild. Der Ruf nach mehr Grünfläche bestimmt die häufig von Bürgeraktivität initiierte und mit großer Leidenschaft geführte öffentliche Diskussion – die Nachverdichtung erreicht ihre Grenzen. Die Planungsgeschichte zur Neugestaltung des Schlossplatzes in Neuhausen auf den Fildern wurde von dieser Abwägung zwischen Freiraum und Bebauung geprägt: nach einer ursprünglich vorgeschlagenen Überbauung wurde nach Gründung einer Bürgerinitiative ein ausgewogener Kompromiss zwischen offen und gefasst, grün und grau, befestigt und unbefestigt umgesetzt (Abb. 5). Verbesserungen des Wohnumfelds versuchen damit globale Umweltschäden zu reduzieren. Mikroklima, thermische Behaglichkeit und Biodiversität werden zu Beurteilungskriterien und damit auch gestaltungsrelevant: Raumkonfigurationen berücksichtigen Durchlüftung und Windgeschwindigkeiten, überdachte öffentliche Räume dienen dem Witterungsschutz, aber auch der Unverwechselbarkeit des Ortes. Oberflächen und Materialien reagieren auf 311 Abb. 5 Die vorgeschlagene Überbauung des Schlossplatzes in Neuhausen wurde durch Grün ersetzt (Foto: P. Cheret) Strahlungstemperatur, die Wahl der Bepflanzung wird verbunden mit der Diskussion um CO2-Reduktion und Abkühlung. Teurer Baugrund und die damit einhergehende bauliche Verdichtung in der Stadt führen zu immer kleineren privaten Freiflächen mit Bodenbezug und zur Zunahme von Balkonen, Loggien oder Dachterrassen. Die Aneignung meist wohnungsnaher öffentlicher Flächen ist als Reaktion auf fehlende Gärten und auf die Sehnsucht nach individuellen Orten, aber auch nach mehr Grün in der Stadt zu verstehen. Dieses Gärtnern auf öffentlichem Grund hat Namen erhalten wie urban gardening oder guerilla gardening. Piratenbeete und Nachbarschaftsgärten entstehen nicht nur in Berlin oder Hamburg – in München wird mit dem Wettbewerbsbeitrag „Agropolis“ die Wiederentdeckung des Erntens und das Erleben der Jahreszeiten im urbanen Alltag gefeiert und zum Bestandteil des zukünftigen Leitbildes erklärt (Abb. 6). Die klimabedingten Anpassungsstrategien bergen Gestaltungschancen und Synergien: In Rotterdam entstehen watersquares, quartiersbezogene Spiel- oder Sportflächen, die ebenso als temporäre Flutungsflächen dienen. Die Regenwasserbewirtschaftung beeinflusst das Aussehen des Quartiersplatzes im Bornstedter Feld in Potsdam oder der Landschaftstreppe im Scharnhauser Park. Als Synergieeffekt der Koppelung von tech312 Abb. 6 Berlin Tempelhof – urban gardening: Gärtnern auf öffentlichem Grund (Foto: G. Kuhn) nischen Bedürfnissen und der Notwendigkeit, öffentlichen Raum zu schaffen, steht nun mehr Fläche zur Verfügung. Nach Regenfällen verändert das Wasser die Flächen, Pfützen versickern langsam, eine andere Vegetation wird möglich. Nach der ökologischen Planung der 1980er Jahre bleiben Gestaltung und Ökologie keine Gegensätze mehr. Wohnen und öffentlicher Raum – Wohnstraße und Wohnhof „Die Aneignung des Raumes ist das Resultat der Möglichkeiten, sich im Raum frei bewegen, sich entspannen, ihn besitzen zu können, etwas empfinden, bewundern, träumen, etwas kennenlernen, etwas den eigenen Wünschen, Ansprüchen, Erwartungen und konkreten Vorstellungen gemäß tun und hervorbringen zu können“ (Chombart de Lauwe 1977: 6). Wohnqualität in der Stadt erfordert ein entsprechendes Wohnumfeld und eine klare Abgrenzung der öffentlichen, gemeinschaftlichen und privaten Räume. Verkehrsberuhigte Straßen und Wohnhöfe sind daher charakteristisch für viele aktuelle Quartiersentwicklungen in der Stadt. Nach der Idee des Shared Space werden Konzepte erprobt, die auf die „Inklusion“ aller Nutzer und Verkehrsarten setzen und eine gegenseitige Rücksichtnahme einfordern. Dabei gewinnen temporäre Nutzungsoptionen an Bedeutung. Es gibt eine „Renaissance der Höfe“ und der Wohngruppenprojekte, in denen der Wohnhof einerseits für das gemeinschaftliche Wohnen und die Kommunikation und andererseits für die Abschirmung gegen den öffentlichen Raum steht. Die Wiederentdeckung der Höfe wurde durch die Stadterneuerungsmaßnahmen in den Gründerzeitquartieren eingeleitet, die seit dem Inkrafttreten des Städtebauförderungsgesetzes 1971 durchgeführt werden. Höfe werden entkernt, entsiegelt, begrünt und sind heute wichtige wohnungsnahe Freiräume in den dicht besiedelten Quartieren. Die Gestaltung ist variantenreich, von eher städtisch geprägten Höfen mit einem hohen Versiegelungsgrad, bis hin zu natürlich gestalteten Bereichen mit geringem Versiegelungsgrad. Heute gibt es kaum Planungen für städtisches Wohnen, die auf Wohnhöfe verzichten. Wohnhöfe sind ein prägendes städtebauliches Motiv – dabei wird Wert gelegt auf die Abgrenzung privater und öffentlicher Bereiche. In anderen europäischen Ländern geht man durchaus offener mit der Abgrenzung privater und gemeinschaftlich oder öffentlich genutzter Bereiche um. Die Wohnungen sind extrovertierter gestaltet und ein direkter Übergang zwischen den öffentlichen und privaten Bereichen ist häufig Usus (zum Beispiel Wohnbebauung Oerestad, Kopenhagen, Bjarke Ingels Group BIG, 2010). Auch im Stadt- und Siedlungsumbau findet sich das Motiv des Hofes (Abb. 7). Strenge Zeilenstrukturen der 1950er und 1960er Jahre werden durch städtebauliche Strukturen ersetzt, um die „fließenden“ Räume neu einzufassen und ihnen eine Mitte zu Abb. 7 Wohnhöfe sind wichtige wohnungsnahe Freiräume in dicht besiedelten Quartieren. (Foto: S. Hirzler) geben (z. B. Köln, Buchheimer Weg, ASTOC, 2012). Es werden Wohnhöfe gebaut, die eine sehr hohe, durchaus mit den Gründerzeithöfen vergleichbare Dichte aufweisen, jedoch in der Wohnungstypologie, der Grundrissdisposition und bei den Freiraumangeboten neue Ansätze wählen. Das Wohnen wird auf mehrere Ebenen verteilt mit variantenreichen Freibereichen in den unterschiedlichen Geschossen und nicht einsehbaren Dachterrassen: „Rückzug on the top“ (vgl. Ebner u.a. 2009:252). Die wohnungsbezogenen Flächen im Erdgeschoss werden minimiert oder entfallen und werden vollständig gemeinschaftlich genutzt. Wenn gemeinschaftlich genutzte Flächen von allen Bewohnern mitgetragen werden und die Gemeinschaftsflächen als Gewinn und nicht als verlorene Flächen angesehen werden, ist ein Umdenkungsprozess in Gang gesetzt worden (vgl. Zoderer 2001: 24). Für das Wohnen im städtischen Kontext werden die Gestaltung des öffentlichen und privaten Freiraums sowie die Nutzung und „Inbesitznahme“ des Wohnumfeldes zum zentralen Qualitätskriterium. Vor diesem Hintergrund sind Wohnstraßen und Wohnhöfe variantenreich einsetzbare Typologien, die geeignet sind, städtische Wohn-Räume zu schaffen und private oder gemeinschaftlich genutzte Bereiche im notwenigen Maß 313 zu schützen. Vor allem in der Diskussion um die Verdichtung der wachsenden Metropolen in Deutschland gewinnt der Umgang mit den Stadträumen – den privaten und öffentlichen Räumen – an Bedeutung (vgl. Stadtbauwelt, 2012). Soziale Quartiersentwicklung im Aufwind Heute stehen integrierte Strategien des Stadtumbaus und der sozialen Quartiersentwicklung im Vordergrund der Stadterneuerung. An Bedeutung gewinnt dabei der Erhalt bezahlbaren Wohnraums im Kern der Stadt. Die ganzheitliche Quartiersentwicklung räumt der Qualität und Nutzbarkeit des öffentlichen Raumes für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen einen wichtigen Stellenwert ein. Die Städtebauförderung ist das Investitions- und Leitprogramm für die Bündelung unterschiedlicher Programme. Nachhaltige Lösungen werden dort umgesetzt, wo alle Beteiligten an einem Strang ziehen: Stadtpolitik und Stadtverwaltung, Gewerbetreibende, Bürgerinnen und Bürger. Die angedrohten und teilweise vollzogenen Kürzungen der Mittel haben fatale Folgen auf die Weiterentwicklung der Quartiere. Eine neue Qualität in den Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf (Programm „Soziale Stadt“) war die Kopplung von investiven mit nichtinvestiven Maßnahmen. Die Erfahrungen zeigen, dass bauliche und nicht bauliche Maßnahmen auch weiterhin miteinander verknüpft werden müssen, um eine nachhaltige Wirkungen zu entfalten. Die vielfach zu beobachtende Konzentration auf die bauliche Gestaltung und bisweilen „Übergestaltung“ des öffentlichen Raumes ist zu hinterfragen. Das breite Spektrum erfolgreicher Ansätze zeigt die Spielräume der Stadterneuerungsinstrumentarien. Neue, kreative Strategien gewinnen dabei an Bedeutung: Temporäre Installationen, Raumpioniere, Szenografien (vgl. Umschichten, Stuttgart, z. B. PopUp (2008), 72 hours action 314 (2012) u. a.) Für die Wahrnehmung und Erlebbarkeit des öffentlichen Raumes eröffnen sich neue Dimensionen. „Wirtschaftsfaktor“ öffentlicher Raum Öffentliche Räume, die soziale und gestalterische Qualitäten haben, ziehen Investitionen nach sich und sorgen damit für Wertsteigerung. Der öffentliche Raum ist, und das wird nur selten thematisiert, ein „Wirtschaftsfaktor“, der ausstrahlt: Ein Euro Investitionen in den öffentlichen Raum zieht ein Vielfaches an privaten Folgeinvestitionen nach sich. Von zentraler Bedeutung für langfristige Erfolge ist eine hohe Kontinuität in der Programmebene. Integrierte Stadterneuerungsstrategien benötigen Verlässlichkeit und Verstetigung in der Umsetzung. Die Gestaltung des öffentlichen Raumes ist eine Aufgabe des Gemeinwesens. Deshalb ist die (geförderte) Stadterneuerung wichtigster Impulsgeber für die Aufwertung und Neudefinition des öffentlichen Raumes. Sie gibt den – für viele Städte und Gemeinden unverzichtbaren – Anstoß für Investitionen. Eine Vielzahl von Projekten im öffentlichen Raum hätte ohne Förderung nicht umgesetzt werden können. Ein Schrumpfen der Städtebauförderung ist daher kontraproduktiv. Resümee: Der öffentliche Raum – ein öffentliches Thema Die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raums zeigt, dass vielfältige Strategien zu seiner Qualifizierung führen. Der Umbau und die Aufwertung von Plätzen, Parks, Uferzonen oder Quartiersstraßen verdeutlicht die städtebaulichen Erfolgsgeschichten der Stadterneuerung. Der öffentliche Raum ist wieder der Mittelpunkt des Gemeinwesens. Die divergierenden, sich bisweilen widersprechenden Nutzerbedürfnisse zeigen aber auch, dass die Interessenskonflikte im- mer wieder austariert werden müssen. Es geht darum, die Überreglementierung des öffentlichen Raumes abzubauen und verkehrsdominierte Räume für die nicht motorisierte Nutzung zurückzugewinnen. Die Stadträume mit Zukunft sind vielfältig nutzbar und hybrid: vom funktionsgetrennten, autodominierten öffentlichen Raum zum nutzungsgemischten öffentlichen Raum. Ambitionierte Konzepte werden heute nicht mehr für einzelne Räume sondern für vernetzte Bereiche entwickelt, die als Ganzes die Stadtqualität definieren. Es ist deutlich geworden, dass der öffentliche Raum seit Jahrzehnten ein zentrales Thema der Stadterneuerung ist. Im öffentlichen Raum eröffnen sich die größten Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten für die öffentliche Hand. Der Stadtraum, sein Zustand und seine Gestalt, sind ein Indiz für die Wertigkeit eines Wohnstandortes. Er ist adressbildend. Er ist ein Indiz für die Identifikation der Menschen mit ihrem Umfeld und für die Stabilität eines Wohnstandortes. Im Gegenzug ist ein vom Verfall und Vandalismus bedrohter öffentlicher Raum das wichtige Indiz für nachteilige Entwicklungen in einem Quartier. Der Umgang mit den Stadträumen, vorwiegend im Bestand, ist ein Dauerthema ohne Dauerlösung. Dabei sollten lernende Prozesse im Vordergrund stehen. Partizipative, temporäre, experimentelle Ansätze (gestalterisch und methodisch) gewinnen an Bedeutung und nehmen einen neuen Stellenwert in der klassischen Stadterneuerungspraxis ein. Literatur BERDING, Ulrich; HAVEMANN, Antje; PEGELS, Juliane; PERENTHALER, Bettina (2010)(Hg.): Stadträume in Spannungsfeldern. Detmold BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG (BMVBS) (2012): 5 Jahre Leipzig Chartha – Integrierte Stadtentwicklung als Erfolgsbedingung einer nachhaltigen Stadt. Integrierte Stadtentwicklung in den 27 Mitgliedstaaten der EU und ihren Beitrittskandidaten. Berlin CHOMBART DE LAUWE, Paul-Henry (1977): Aneignung, Eigentum, Enteignung, Sozialpsychologie der Raumaneignung und Prozesse gesellschaftlicher Veränderung. 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Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. München NAGLER, Heinz; RAMBOW, Riklef; STURM, Ulrike (2004): Der öffentliche Raum in Zeiten der Schrumpfung. Berlin SCHROER, Markus (2006): Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums. Frankfurt am Main SCHUBERT, Dirk (2001) (Hg.): Hafen- und Uferzonen im Wandel. Analysen und Planungen zur Revitalisierung der Wasserfront in Hafenstädten. Berlin SELLE, Klaus (2002): Was ist los mit den öffentlichen Räumen? Analysen, Positionen, Konzepte. Aachen u. a. SENNET, Richard (1983): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt (Main) SIMON, Axel (2011): Der Ersatzneubau. Zürich Albisrieden, Architekten: Ballmoos Krucker, Bauherr: Baugenossenschaft Sonnengarten, Zürich In: Bauwelt 45, S. 26/27 STADT ZÜRICH (2006): Stadträume 2010, Strategie für die Gestaltung von Zürichs öffentlichem Raum. Zürich STADTBAUWELT (2012): Muss München dichter werden? Themenheft 195 (36) VORKOEPER, Ute; KNOBLOCH, Andrea (2012) (Hg.): Kunst einer anderen Stadt / Art of another city. Akademie einer anderen Stadt. Kunstplattform der IBA Hamburg. Berlin WÜSTENROT STIFTUNG (2009): Stadtsurfer, Quartierfans & Co. Stadtkonstruktionen Jugendlicher und das Netz urbaner öffentlicher Räume. Berlin ZIEHL, Michael u.a. (2012) (Hg.): Secondhandspaces. Berlin LETZGEN, Ake M.; RIENERMANN, Lisa (2010): Entdecke deine Stadt. Weinheim, Basel ZODERER, Peter (2011): Bauen als Genossenschaft bietet nicht nur ökonomische Vorteile. Interview mit Michael Obrist und Peter Zoderer vom Büro feld7. In: Bauwelt Heft 29, S. 22-29 METRON Themenheft Nr. 26 (2010): Hier treffen sich alle. Der ZUMTHOR, Peter (2006): Atmosphären. Basel 315 Stadterneuerung im Ausland Daphne Rebecca Frank Inclusive urban governance Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Die Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen stellt immer noch die wesentliche Motivation zum Aufbruch in die urbane Welt dar. Die Zuwanderung ist neben dem natürlichen Bevölkerungswachstum eine der Hauptursachen für das Städtewachstum. Insbesondere in den Ländern des Südens ist eine Zunahme an Bevölkerungsbewegungen zu verzeichnen. In Städten wohnt eine besonders große Anzahl an Menschen, die eine unterschiedliche Herkunft haben, auf engem Raum zusammen. Gleich ob Megacity oder Kleinstadt, die Städte stehen daher heute vor großen Herausforderungen: Das enorme Stadtwachstum hat zu einem großen Bedarf an Infrastruktur geführt. Der Bedarf an Land und Wohnraum kann nicht gedeckt werden. Arbeitsplätze sind nicht genügend vorhanden. Zusätzlich prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander, ländliche und städtische Lebensweisen und Lebenswelten. Diese Entwicklung bringt auch Ausgrenzung, Segregation und Polarisierung mit sich. Die Stadtverwaltungen haben daher folgendes Ziel: die Steuerung dieser lebendigen Stadtmaschinen und die Chancen einer Entwicklung für alle Bewohner, gleich welcher Herkunft und Zuwanderungsgeschichte, zu ermöglichen. Dabei liegt die Herausforderung darin, insbesondere arme und benachteiligte (oftmals indigene) Bevölkerungsgruppen in die Stadtentwicklung zu integrieren, um gleiche Lebensbedingungen zu ermöglichen. Die Herausforderung ist, wie ein Zusammenleben zwischen verschiedenen Kulturkreisen harmonisch organisiert und wie das Gemeinwohl in den Vordergrund gerückt werden kann. Dies betrifft nicht nur die Versorgung mit Wohnraum und Infrastruktur, sondern auch die Ermöglichung von Teilhabe und Partizipation an politischen Informationen und Entscheidungen, sowie die ökonomische und soziale Inklusion. Der öffentliche Sektor, der Privatsektor und die Zivilgesellschaft spielen dabei eine gleichbedeutend wichtige Rolle. Die Kernfragen, die sich aus der Herausforderung ergeben, sind: Was können Stadtregierungen bzw. Verwaltungen, die Zivilgesellschaft und der Privatsektor tun, um Inclusive-urban-governance-Prozesse zu stärken? Und: Was kann die deutsche internationale Zusammenarbeit bzw. Entwicklungszusammenarbeit konkret dazu beitragen? Die These, die sich daraus ableitet, lautet daher: Inclusive-urban-governance-Ansätze leisten einen Beitrag für eine erfolgreiche inklusive Entwicklung der Städte. Theoretischer Diskurs Inclusive urban governance in der Entwicklungszusammenarbeit Urban governance ist für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung demokratischer Gesellschaften. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), definiert: „Im Mittelpunkt stehen Normen, Institutionen und Verfahren, die das Handeln staatlicher und nichtstaatlicher sowie marktwirtschaftlicher Akteure regeln“ (BMZ, 2009: 5f.). Gemeinsam ist ihnen, dass es nicht nur um die Förderung von staatlichen Entscheidungsprozessen geht, sondern um 319 das Wie der Steuerung und Koordination verschiedener Akteure. Somit sind bei den lokalen Prozessen in Städten staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt, die zur Entwicklung beitragen. Das generelle Verständnis von governance bzw. urban governance basiert auf den Grundprinzipien: empowerment, Partizipation, Chancengleichheit bzw. Nichtdiskriminierung, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Zugang zu Basisdienstleistungen und Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen findet in erster Linie für die einzelnen Bürger und Bürgerinnen auf der lokalen und regionalen Ebene statt. Die Voraussetzung dafür, dass urban governance die unterschiedlichen Lebensweisen der Stadtbewohner mit einbezieht, ist, dass urban governance inklusiv sein muss. Soziale Inklusion ist ein vielschichtiges und umfassendes Konzept, welches auf gesellschaftliche Gruppen, die benachteiligt und ausgegrenzt sind, fokussiert. Benachteiligte Gruppen sind jedoch nicht zwangsläufig arm. Soziale Inklusion betrachtet multidimensionale Faktoren und beinhaltet u. a. soziale, ökonomische, politische und kulturelle Faktoren, wie z. B. Zugang zu Einkommen, Dienstleistungen, Gesundheit, Partizipation etc. Soziale Inklusion wird teilweise auch mit grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragestellungen verbunden (Silver, 1995; Levitas u. a., 2007; u. a. zu sozialer Exklusion). Verknüpft man die beiden Konzepte Inklusion und governance heißt inclusive urban governance folglich: gleiche Beteiligung, Behandlung und gleiche Rechte. Dies bedeutet, dass alle – also auch Arme, Frauen, Migranten, diverse ethnische Gruppen und andere benachteiligte Gruppen – das Recht haben, sich an lokalen Governance-Prozessen zu beteiligen und damit Entscheidungen beeinflussen können. Dies bedeutet aber auch, dass Institutionen und die Politik zugänglich, rechenschaftspflichtig und auf benachteiligte Gruppen ausgerichtet 320 sind. Die Bevölkerung soll einen gleichberechtigten Zugang zu Basisdienstleistungen, wie Bildung, Gesundheit etc., erhalten (Dias/ Sudarshan, 2007: 1). In der internationalen Diskussion hat inclusive urban governance einen bedeutenden Stellenwert. Dies verdeutlichen die Titel der internationalen Konferenz World Urban Forum von UN-Habitat. Sie lenken den Blick auf die Entwicklungssituation der Länder und die negativen Folgen von Ausgrenzung und Segregation. Sie verdeutlichen Aspekte der: inclusive city (Barcelona 2004), sustainable city (Vancouver 2006), und harmonious city (Nanjing 2008). Das World Urban Forum 2010 in Rio de Janeiro trug den Titel: „The right to the city - bridging the urban divide“, also das Recht auf Stadt und die Überbrückung der städtischen Unterschiede. Das World Urban Forum 2012 – „The urban future“ – stellte die Herausforderung dar, wie sich Städte und damit alle Bewohner wohlhabend („prosperous“) entwickeln können. Zu erwähnen ist, dass die Sichtweise von UN-Habitat auf eine inclusive city Aspekte von Menschenrechte, good urban governance und gerechtes Wachstum beinhaltet (UN-Habitat 2010). Generell zeigt die internationale Agenda deutlich auf, dass eine erfolgreiche Stadtentwicklung von urban governance mit einem inklusiven Ansatz abhängt. Governance kann auf nationaler Ebene anhand von messbaren Kategorien bewertet werden. Diese Kategorien können den derzeitigen Bedarf an politischen, ökonomischen und sozialen Reformen deutlich machen. Die Weltbank hat dafür einen sogenannten Governance-Index erstellt (The World Bank, 2010). Die Kategorien sind hier (1) Rechenschaftspflicht und Partizipation, (2) politische Stabilität und Abwesenheit von Gewalt, (3) Effektivität der Regierung, (4) Qualität der Regulierung, (5) Rechtsstaatlichkeit und (6) Korruptionskontrolle. Für die Länder der OECD gibt es ebenso einen nationalen Governance-Index, (sustaina- ble governance indicators für OECD Länder, Bertelsmann 2009: www.sgi-network.org). Diese Variablen messen sechs Kategorien: (1) Stand der Demokratie, (2) sozioökonomische Fragen, (3) Wirtschaft und Beschäftigung, (4) soziale Fragen inkl. soziale Kohäsion und Armut, (5) Sicherheit und Integration und (6) ökologische Nachhaltigkeit. Interessant ist bei diesem SGI-Index, dass soziale Kohäsion und Integrationsthemen, die somit Teile von Inklusion berücksichtigten, sogar in zwei Kategorien gemessen werden, d. h. die Gesamtperformance der Staaten wird durch eine inclusive governance beeinflusst. Weiter ist anzumerken, dass die Elemente Rechenschaftsplicht und Partizipation aufgegriffen worden sind. Die Kategorien sind gleichermaßen bzw. insbesondere für Kommunen gültig und anwendbar, da diese näher am Bürger agieren. Inclusive urban governance: Beispiele der Entwicklungszusammenarbeit Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des BMZ für die Implementierung von Vorhaben beauftragt wird, fördert urban governance in den Vorhaben der Kommunal- und Stadtentwicklung in Entwicklungsländern. Die Herausforderung für Regierungen und Verwaltungen ist es, inklusive Maßnahmen zu fördern. Die öffentlichen Ressourcen sind knapp und die Bedürfnisse der Bürger sind groß. Transparenz, Leistungsfähigkeit und Bürgerorientierung sind Kernelemente einer erfolgreichen und modernen Verwaltung. Die GIZ leistet dazu einen Beitrag. Die folgenden drei Beispiele aus der Dominikanischen Republik, Nepal und Sri Lanka verdeutlichen einige praktische Ansätze von politischer, sozialer, ökonomischer und räumlicher Inklusion, die mit einem Governance-Ansatz arbeiten. Der Bürgerhaushalt in der Dominikanischen Republik bezieht alle Bürger in die Entschei- dungsprozesse ein; durch transparent definierte Kriterien werden die besonders benachteiligten Stadtteile positiv bevorzugt. Lokale wirtschaftliche Entwicklung in Nepal baut darauf, dass durch bessere Ausbildung bessere Einkommensmöglichkeiten entstehen und sich durch die Entscheidungen der Stadtregierungen auch die ökonomische Entwicklung der Stadt verbessert. Das Beispiel in Sri Lanka zeigt den Ansatz, dass eine gemeinsame Sprache elementar für ein friedvolles Zusammenleben und sozialer Inklusion ist. Politische und räumliche Inklusion: Der Bürgerhaushalt – ein Beispiel in der Dominikanischen Republik Ein Bürgerhaushalt ist ein öffentlicher Entscheidungsprozess, bei dem die Beteiligung der Bürger eine tragende Rolle spielt. Die Schaffung von Transparenz über die Haushaltsmittel erfolgt durch Offenlegung und Prioritätensetzung über die zu investierenden Mittel mit den Bürgern. Weltweit bekannt wurde der erste Bürgerhaushalt (orçamento participativo) von Porto Alegre (Brasilien), der 1989 eingesetzt wurde. Der Bürgerhaushalt wurde von vielen anderen Städten und Ländern übernommen. Auch in Europa konnte sich das Modell verbreiten. Die GIZ (damals GTZ) unterstützte die Einführung eines Bürgerhaushaltes in der Dominikanischen Republik. Das Programm: Dezentralisierung und lokale Entwicklung von 2003 bis 2007 beriet den Nationalen Rat für Staatsreform und den Dominikanischen Gemeindeverband bei der landesweiten Einführung eines Bürgerhaushaltes. Im Jahre 2007 hatten 100 der 183 Kommunen in der Dominikanischen Republik einen Bürgerhaushalt eingeführt. Der Ablauf eines Bürgerhaushaltes ist in drei Phasen strukturiert und wird innerhalb eines Jahres durchgeführt: (1) Vorbereitung, (2) Erstellung des Haushaltes, (3) Umsetzung. Im 321 März/April beginnt die Vorbereitung. Die Stadtverwaltung gibt die Höhe der Haushaltsmittel, die für das folgende Jahr zur Verfügung stehen, bekannt. Über 40 % des Haushaltes müssen per Gesetz für öffentliche Investitionen umgesetzt werden. Der Bürgerhaushalt entscheidet nur über einen Teil des Investitionshaushaltes. Dieser Anteil liegt üblicherweise zwischen 50 und 70 % des Investitionshaushaltes. Es wird darüber hinaus eine ganze Reihe von Festlegungen getroffen, die die Regeln der Beteiligung und den gesamten Ablauf des Verfahrens betreffen. Dazu gehören auch die Durchführung von Schulungen und Aufrufe zu einer Bürgerbeteiligung. Der eigentliche Prozess des Bürgerhaushaltes (2) beginnt zuerst auf Stadtteilebene mit der Realisierung von öffentlichen Bürgerversammlungen. Dort werden die Prioritäten der Bürger diskutiert und festgelegt. Es erfolgt die Wahl eines Vertreters pro Stadtteil. Auf Gemeindeebene erfolgen dann mit den Vertretern der Stadtteile weitere Festlegungen der Prioritäten. Dies würde jedoch noch nicht zu einer ausgewogenen Entwicklung der Stadtgebiete beitragen, denn die unterschiedlichen Stadtteile verfügen über einen unterschiedlichen Zustand der Infrastruktur und der Einkommensverteilung. Der wesentliche Aspekt für den Inclusivegovernance-Prozess ist die Definition von transparenten, also nachprüfbaren Kriterien, die eben diejenigen Stadtteile bevorzugen kann, die in ihrer Entwicklung weiter zurückliegen. Die Stadtteile mit einer geringeren Basisinfrastruktur und einer hohen Armutsrate erhalten aufgrund der festgelegten Kriterien eine größere Wahrscheinlichkeit, von den Investitionen profitieren zu können. Sektorale Kriterien wie die Förderung von Gesundheits-, Bildungs- und Transportmaßnahmen können ebenfalls die Wertung beeinflussen. Am Ende des Prozesses steht eine gemeinsame Prioritätenliste. Die Stadtverwaltung hat nun den Auftrag, einen entsprechenden Haushaltsentwurf 322 dem Stadtrat vorzulegen. Meistens werden die zuvor getroffenen Entscheidungen vom Stadtrat respektiert. Der dritte Schritt des Prozesses ist die Umsetzung der im Beteiligungsprozess beschlossenen Projekte. Selbst in dieser Phase spielt die Beteiligung der Bürger eine wichtige Rolle. Bürgerkomitees haben die Aufgabe, die Baumaßnahmen zu begleiten und zu überwachen. Somit wird Transparenz geschaffen und Korruption nachweislich verringert. Die Stadtverwaltung und der Stadtrat geben am Ende Auskunft über die realisierten Maßnahmen und die Investitionen. Dies ist ein weiterer Schritt zur Schaffung von Transparenz durch Rechenschaftsdarlegung. Der Bürgerhaushalt hatte weitere vielfältige Auswirkungen. Die Akzeptanz der Bürgermeister stieg: In den Kommunalwahlen 2006 waren insbesondere jene Bürgermeister erfolgreich, die einen Bürgerhaushalt eingeführt hatten; 73 % von ihnen wurden wiedergewählt. Demgegenüber wurden von ihnen im nationalen Durchschnitt nur 50 % wiedergewählt. Ein Bürgerhaushalt hat auch Einfluss auf die Strukturen und Entscheidungsabläufe einer Stadtverwaltung – und hier sogar auf die nationale Ebene. In der dominikanischen Republik wurde eine nationale Beratungsstelle für Bürgerhaushalte gegründet. Träger ist der Nationale Rat für Staatsreform und der Dominikanische Gemeindeverband. Die Beratungsstelle unterstützt die Gemeinden bei der Einführung des Bürgerhaushaltes. Wichtig ist auch die Einbindung der Universität von Santo Domingo. Studenten und Absolventen des Ingenieurstudiengangs können ein Praktikum in den Gemeinden realisieren und diese beim Ablauf des Prozesses inkl. Bauüberwachung unterstützen. Die Prozesse hatten auch Auswirkung auf die nationale Gesetzgebung. 2007 verabschiedete der Kongress ein nationales Gesetz zur Durchführung von Bürgerhaushalten. Der entscheidendste Erfolgsfaktor ist jedoch die erfolgreiche Beteiligung der Bürger, gleich welcher Herkunft und welchen Migrationshintergrundes. Diese werden nicht nur informiert, sondern an den Entscheidungen und der Rechenschaftslegung beteiligt. Die Selbstorganisation wird gestärkt (Barth, 2010). Das Beispiel zeigt auf, wie die Beteiligung der unterschiedlichen Bevölkerung direkt realisiert werden kann. Transparente Entscheidungen erfolgen durch die Aufstellung von nachvollziehbaren Kriterien, die es ermöglichen, insbesondere benachteiligte Stadtteile bevorzugt zu behandeln. Selbst die Durchführung der Baumaßnahmen setzt eine höhere verantwortliche Rolle auf der Ebene der Basisgruppen voraus, was eine Rechenschaftslegung transparenter macht. Der Bürgerhaushalt verfolgt damit einen multidimensionalen Ansatz, der insbesondere die politische und räumliche Inklusion fördert. Ökonomische Inklusion: Lokale Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung – ein Beispiel aus Lekhnath, Nepal Die Förderung von angemessenen Einkommen und Beschäftigung ist ein wesentlicher Aspekt für eine inclusive governance. Die wirtschaftliche Globalisierung erhöht den Wettbewerbsdruck nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen den Regionen und Kommunen. Städte und Kommunen sind daher nicht nur mit wachsender Armut und einer rapiden Urbanisierung konfrontiert, sondern gleichzeitig mit einem zunehmenden nationalen wie internationalen Standortwettbewerb. Sowohl Unternehmen als auch Politik und Verwaltung stehen unter enormem Handlungsdruck, ihre Wettbewerbsfähigkeit auszubauen und so die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und Einkommen zu schaffen. Die GIZ unterstützt seit 2005 in Lekhnath, eine Stadt im Westen Nepals, die kommunale Wirtschaftsförderung. Lekhnath hat nach dem offiziellen Zensus über 41.000 Einwohner, eine Folge der starken Urbanisierung (im Land ist eine Urbanisierungsrate von ca. 4,9 % zu verzeichnen). In Nepal hat man mit dem Thema der lokalen Wirtschaftsförderung aus der Perspektive der Kommune ein neues Feld betreten. Obwohl die Gemeinden ihre Stadtentwicklungspläne festlegen und dementsprechend das Budget angleichen, wurde das Thema Wirtschaftsförderung bisher wenig berücksichtigt. Zu Beginn der Unterstützung wurden die Bedürfnisse und die bestehenden Wirtschaftspotentiale bestimmt. Dazu gehörte auch die Identifikation der Sektoren, die einen Beitrag zum komparativen Standortvorteil Lekhnaths geben können. Es fanden Diskussionsrunden mit der Wirtschaft, der Verwaltung und der Zivilgesellschaft statt. Hauptvertreter der Wirtschaft war die lokale Industrie- und Handelskammer. Die Zivilgesellschaft wurde durch Organisationen der marginalisierten Bevölkerungsgruppen (z. B. der Jalari) vertreten Es wurde eine Steuerungsgruppe gebildet, die eben aus diesen Vertretern der Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bestand. Dies war ein wichtiger Erfolgsfaktor, da so alle verschiedenen Standpunkte an einem Tisch ausdiskutiert werden konnten. Das Steuerungskomitee war für die gesamte Planung und Steuerung sowie den Interessensausgleich der Beteiligten des Prozesses verantwortlich. Es wurden außerdem Subkommitees gebildet, die jeweils für die Aktivitäten (Planung/Umsetzung/Koordinierung) im jeweiligen wirtschaftlichen Subsektor verantwortlich sind. Eine Reihe von Ausbildungsmaßnahmen, die an den konkreten Bedürfnissen und Potentialen ausgerichtet waren, fand statt. Dazu gehörte die Einführung neuer Produktionstechniken, die Unterstützung bei der Gründung von Kooperativen der Kleinunternehmer für eine gezieltere Vermarktung der 323 Produkte. Wesentlich war auch die Unterstützung bei der Wahrnehmung der Bürgerrechte gegenüber der Verwaltung und den Finanz- und Versicherungsinstitutionen. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass die enge Zusammenarbeit zwischen der Industrieund Handelskammer und der Stadtverwaltung zu der Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie geführt hat, die in die städtische Planung übertragen und integriert wurde. Diese verbesserten Rahmenbedingungen konnten sich daraufhin direkt auf die Umsetzung konkreter Maßnahmen auswirken: Es wurde zum Beispiel der Bau von einfachen Straßen und Zufahrtswegen, Lagerund Markteinrichtungen unterstützt. Diese Infrastruktur hat den gezielten Weiterverkauf und die Lagerung von Produkten der entsprechenden Subsektoren unterstützt. Insbesondere die Volksgruppe der Jalari hat davon profitiert, da sie vorher komplett ausgeschlossen war. Diese Gruppe lebt hauptsächlich von Fischzucht und hat durch die verbesserte Infrastruktur Zugang zu Märkten und nunmehr ein erheblich höheres Einkommen durch die auf den lokalen und regionalen Märkten verkauften Fische. Das Vorhaben konnte sich positiv auf die Schaffung von ca. 500 neuen Arbeitsplätzen auswirken. Die Beschäftigung hat sich um ca. 134 % in diversen Wirtschaftssektoren erhöht, wie sich dies auch auf das Einkommen positiv ausgewirkt hat (Taraschewski, 2010). Wesentlich bei diesem Ansatz ist, dass unterschiedliche Gruppen – der öffentliche Sektor, der Privatsektor und die Zivilgesellschaft – in einer Steuerungsgruppe mitentscheiden können. Die getroffenen Maßnahmen konnten zum einen die Infrastruktur verbessern, zum anderen auch die individuellen Einkommensmöglichkeiten. Insbesondere konnten marginalisierte Gruppen davon profitieren. Die sozioökonomische Frage wurde mit der Entwicklung der gesamten Stadt verknüpft. 324 Soziale Inklusion: Englisch-Sprachkurse für öffentliche Bedienstete – ein Beispiel aus Sri Lanka Sri Lanka hat 2009 den seit über 25 Jahre andauernden Bürgerkrieg offiziell beendet. Er hat jedoch im Norden und Osten des Landes zu einer sehr verlangsamten und unausgewogenen Entwicklung geführt. Die Nord- und Ostprovinzen befinden sich daher im Nachkriegszustand, der für große Bevölkerungsteile weiterhin akute Not mit sich bringt. Dies gilt in besonderem Maße für die Binnenflüchtlinge, vor allem im Gebiet des Vanni (Nordprovinz), aber auch für viele Teile der Ostprovinz. Die Flüchtlingslager werden sukzessive aufgelöst und die Bevölkerung an ihre alten Wohnorte zurückgebracht oder neu angesiedelt, meist unter schwierigsten Bedingungen und oft ohne ausreichende Überlebensgrundlage. Trotz der sich schrittweise einstellenden Normalisierung der Lebensverhältnisse (Sicherheitssituation, Freizügigkeit) und großer Anstrengungen des Staates, die Notlage der Bevölkerung zu mildern, bleibt die soziale Situation angespannt. Die beiden Provinzen (Norden und Osten) gehören zu den Regionen mit dem geringsten Einkommen im Land und haben zudem am meisten unter den Folgen des Bürgerkrieges zu leiden, wobei diesbezüglich genauere quantitative und qualitative Daten kaum zur Verfügung stehen. Während der Norden ein ethnisch homogenes Gebiet ist, bewohnt von der tamilischen Minderheit, umfasst die Ostprovinz alle drei Bevölkerungsgruppen: Muslime, Tamilen und Singhalesen (43 % Muslime, 40 % Tamilen, 17 % Singhalesen). In der Ostprovinz herrschen weiterhin inter-ethnische Spannungen. Sprachbarrieren sind daher weiterhin eines der wichtigsten Konfliktpotentiale. Die singhalesische Bevölkerung spricht kein Tamilisch, die tamilische Bevölkerung spricht kein Singhalesisch. Viele Geber sprechen weder Tamilisch noch Singhalesisch: sie sprechen nur Englisch, was zu weiteren Sprachbarrieren führt. Die englische Sprache wurde in der Vergangenheit als Trennung empfunden, da es den Unterschied zwischen den verschiedenen Einkommensgruppen deutlich machte. Heute jedoch ist die englische Sprache im öffentlichen Sektor gefragt, ebenso wird sie bei der Kommunikation mit den ausländischen Gebern benötigt. Das GIZ-Vorhaben „Verwaltungsförderung im Norden und Osten Sri Lankas in Trincomalee“ unterstützt die Durchführung von Englisch-Sprachkursen. Die Sprachförderung wird dabei als verbindendes Element bei Konfliktlösungen gesehen. In den Distrikten mit gemischter Bevölkerung werden daher alle Gruppen gleichermaßen gefördert, um Konflikte zu vermeiden. Es wurde ein Englisch-Programm mit dem Namen STEPS (Skills Through English for Public Servants) entwickelt, das sich an Bedienstete und Beamte des öffentlichen Dienstes richtet und Englisch-Kurse anbietet, die dem jeweiligen Kenntnisstand angepasst sind. Die Sprachkurse werden vom British Council im Auftrag der GTZ durchgeführt. Das Besondere dabei ist, dass es nicht nur um die Sprachvermittlung geht, sondern um die Vermittlung von Elementen wie good governance, multikulturelle Kommunikation und Konfliktlösung. Kritisches Denken und Diskussionen werden gefördert, um damit die Entwicklung von Lösungsstrategien zu fördern, z. B. werden Informationen der Medien kritisch hinterfragt. Es werden Möglichkeiten der inclusive governance – insbesondere die Einbeziehung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – aufgezeigt. Mit dem Englisch-Programm werden vor allem Personen in Schlüsselpositionen unterstützt, die zu einer positiven Veränderung beitragen können. Das Ziel, ein friedliches Miteinander zu schaffen, wird letztendlich während des Kurses praktisch eingeübt. Die Teilnehmer werden sorgfältig je nach Englisch-Niveau und nicht nur nach der hierarchischen Position ausgewählt. So erhält man z. B. in einem Kurs eine Mischung aus tamilischen, singhalesischen und muslimischen Teilnehmern, solche aus ländlichen und städtischen Distrikten, aus der zentralen und lokalen Verwaltung sowie unterschiedlichen Alters und beruflicher Positionen. Die Sprache ist hier das verbindende Element. Man trifft sich im Kurs, um Englisch zu lernen, jedoch geht es um viel grundsätzlichere Dinge: einen Beitrag für eine tolerante Gesellschaft zu leisten. Ein wesentlicher Faktor sind hierbei die britischen, politisch neutralen Lehrer, die nicht aus Sri Lanka stammen. Sie sind der neutrale Moderator und Ausbilder, was zur Vertrauensbildung beiträgt. Bisher wurden über 1500 öffentliche Bedienstete und teilweise auch Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen ausgebildet. Im Jahre 2008 wurde eine Studie erstellt, die aufzeigte, dass über 36 % der Teilnehmer immer noch – nach einem Jahr – die informellen Kontakte und die englische Sprache nutzten, um zwischen singhalesischen und tamilischen Institutionen zu kommunizieren. Somit diente der Kurs vor allem dazu, den gesellschaftlichen Kontakt über die Sprachbarrieren hinweg zu erhalten. Mehr als 50 % (ca. 600 Mitarbeiter) der Projektpartner gaben an, dass sie vermehrt ihr neues Wissen über gute Regierungsführung anwenden, sie effizienter arbeiten und daher größere Verantwortung von ihren Vorgesetzten zugewiesen bekommen. Außerdem wird erwähnt, dass verbessertes Englisch die Kommunikation mit Partnern in der Zentralverwaltung erleichtert und sie ein ausgeprägteres Bewusstsein zur Lösung von Konflikten entwickelt haben (Kennett, 2010). Die Kombination von Sprachförderung, interkultureller Kommunikation und Bildung ist das Besondere an diesem Konzept. Eine einheitliche Sprache und der Gedanken325 austausch fördern die informellen Kontakte der Beteiligten, die aus unterschiedlichen Hierarchieebenen der Verwaltungen kommen. Barrieren zwischen den verschiedenen Gruppen können so überwunden und eine inklusive Wirkung erzielt werden. Eine Sprache, die gemeinsam erlernt wird, ist dabei die Voraussetzung. Resümee Städte sind auch in Zukunft wichtige Motoren der Entwicklung. Aufgrund der starken Urbanisierung müssen Stadtregierungen in Entwicklungsländern die Frage lösen, wie die Rahmenbedingungen zur Inklusion der Bevölkerung geändert werden können. Die Herausforderung liegt in der Umsetzung von multidimensionalen inklusiven Ansätzen, die politische Teilhabe, Beteiligung an Entscheidungen und generelle Mitbestimmung aller Bewohner beinhalten. Es müssen vielfältige Lösungsansätze und inklusive Prozesse gestaltet werden, um der kulturellen Vielfalt und der persönlichen Lebenssituation jedes Einzelnen gerecht zu werden. Der dargestellten Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit können anhand von Governance-Messsystemen einen Beitrag zur nationalen governance leisten. Diese können anhand der Kriterien der Weltbank nachvollzogen werden: (1) Rechenschaftspflicht und Partizipation, (2) politische Stabilität und Abwesenheit von Gewalt, (3) Effektivität der Regierung, (4) Qualität der Regulierung sowie (6) Korruptionskontrolle. Bei dem OECDGovernance-Index wird ebenso nachvollziehbar ein Beitrag zu folgenden Kriterien geleistet: (1) Stand der Demokratie, (2) sozioökonomische Fragen, (3) Wirtschaft und Beschäftigung, (4) soziale Frage inkl. soziale Kohäsion und Armut, (5) Sicherheit und Integration. Zu den Kriterien Rechtsstaatlichkeit (5) (Weltbank-Index) und ökologische Nachhaltigkeit (6) (sgi-Index) konnte bei den Beispielen kein direkter Zusammenhang aufge326 zeigt werden. Insgesamt zeigt dies, dass die dargestellten Maßnahmen auf lokaler Ebene einen positiven Einfluss auf die gesamtstaatliche Entwicklung haben können. Gemeinsam ist allen drei dargestellten Beispielen, dass von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Prozesse unterstützt werden, die die Stadtbürger mit ihren Rechten und Pflichten wahrnehmen. Rechenschaftspflicht und Transparenz sind wichtige Elemente. Partizipation und politische Teilhabe, insbesondere für benachteiligte Gruppen, ist dabei der Kern für inclusive urban governance. Inclusive-urban-governanceAnsätze leisten daher einen Beitrag für eine erfolgreiche Gesamtentwicklung der Städte. Partizipation alleine führt jedoch nicht automatisch zu Inklusion. Es wurden daher konkrete Konzepte und Mechanismen entwickelt, die die benachteiligten Gruppen zwar in den Fokus rückt, aber gleichzeitig die anderen, nicht benachteiligten Bevölkerungsgruppen miteinbezieht oder nicht ausschließt. Es geht darum, alle Gruppen im konstruktiven Miteinander in informellen Beteiligungsprozessen zu fördern. Die drei Konzepte der aufgezeigten Beispiele sind zwar meistens nur auf eine Dimension ausgerichtet, also sozial oder wirtschaftlich, oder politisch etc., sie befördern damit aber weitere Dimensionen. Das heißt z. B., dass die wirtschaftliche Verbesserung auch positive soziale und räumliche Auswirkungen auf die benachteiligte Gruppe haben kann. Der Menschenrechtsansatz, (der insbesondere bei der Sichtweise von UNHabitat zu finden ist) wurde von keinem der aufgezeigten Beispiele explizit verfolgt, was u. a. mit der politischen Situation der Partnerregierungen bzw. Länder zusammenhängt. Damit wird auch deutlich, dass diese Vorhaben immer nur einen spezifischen Beitrag zu inclusive urban governance leisten können. Der politische Wille, etwas verändern zu wollen, ist daher immer noch eine Grundvoraussetzung dafür, um überhaupt Inclusive-urban-governance-Ansätze erfolgreich fördern zu können. Insbesondere in Ländern mit einem hohen Konfliktpotential und in autoritären Regimen wird dies weiterhin eine Herausforderung bleiben. Die Beispiele zeigen jedoch auf, dass es bei informellen Beteiligungsmechanismen auch einige Handlungsspielräume für die Beförderung von Inklusion gibt. Staaten, Gesellschaften, Städte, Volkswirtschaften und Kulturen in verschiedenen Regionen der Welt sind zunehmend untereinander verbunden und voneinander abhängig. Die Welt hat sich durch die Globalisierung verändert und wird sich weiter verändern. Die globalen wirtschaftlichen Zusammenhänge wachsen. Doch die Globalisierung hat sich ungleich ausgewirkt: Immer größere Unterschiede im Lebensstandard von Menschen in verschiedenen Teilen der Welt treten auch in Zukunft deutlicher hervor. Diese Unterschiede werden auch innerhalb einer Stadt sichtbar. Die vorgestellten Beispiele der deutschen Entwicklungszuammenarbeit stellen Inclusive-urban-governance-Ansätze in den Mittelpunkt und versuchen damit eine lokale Antwort auf diese komplexen globalen Zusammenhänge zu geben. Literatur Barth, J. (2010): Fact Sheet Bürgerhaushalt, GIZ BMZ (2009): Förderung von Good Governance in der deutschen Entwicklungspolitik, BMZ Konzepte 172. Bonn Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2009): Experimenteller Wohnungs- und Städtebau, Migration/Integration und Stadtteilpolitik, Nr. 34/2 Dias, C.; Sudarshan, R. (2007): Introduction: Inclusive governance for human development. 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Zugriff auf: www.info.worldbank.org/governance/wgi/sc_ country.asp am 10.6.2013. UN-Habitat (2010): State of the world´s cities 2010/2011: Bridging the urban divide. London, Earthscan 327 Martin Hoelscher Stadt und Zivilgesellschaft – das Konzept der integrierten sozialen Entwicklung in Medellín (Kolumbien) Lateinamerika hat nach Jahrzehnten neoliberaler Politik und nur unzureichender politischer Unterstützung ärmerer und indigener Bevölkerungsgruppen durch zwar demokratisch legitimierte, aber häufig autoritäre Regime seit Ende der 1990er Jahre wieder zu mehr sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung gefunden. Die seit Beginn des 21. Jahrhunderts gewählten Regierungen haben ihre Politikziele stärker als in den vorangegangenen Jahrzehnten an den ökonomischen und sozialen Bedürfnissen einer breiten Mehrheit ihrer Bevölkerung ausgerichtet: „Die Regierungen, die zwischen 2001 und 2010 an die Macht kamen, … begannen, im Kleinen aufzubauen, was andere im Großen demontieren: ein auf Umverteilung und Solidarität fußendes Gemeinschaftsmodell, das andere nicht bevormunden will.“ (Schoepp, 2011:17). Das vorläufige Ende der politischen und gesellschaftlichen Konflikte lenkt inzwischen die berechtigten Erwartungen vieler Menschen auf bessere ökonomische Chancen und neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation. Sie äußern sich vor allem in den Städten. Auch nach Abkehr von einer an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Wirtschaftspolitik ist der Human Development Index (HDI) auf dem lateinamerikanischen Subkontinent fast kontinuierlich gestiegen. Die Andenländer Ecuador (HDI 0,720, Rang 83), Kolumbien (HDI 0,710, Rang 87, +1 gegenüber 2010) und Peru (HDI 0,725, Rang 80, +1 gegenüber 2010) haben 2011 den durchschnittlichen Wert aller lateinamerikanischen und karibischen Länder, HDI 0,731, annähernd erreicht (DG- VN, 2011:26-28). Während die dynamischen Ökonomien der Schwellenländer Brasilien und Mexiko und mit Argentinien und Chile auch die traditionell europäisch geprägten Länder des südlichen Lateinamerika ohnehin im Fokus der europäischen Wahrnehmung stehen, werden inzwischen auch die Andenländer nicht mehr in erster Linie als stigmatisiert wahrgenommen: „Während Europa mit sich selbst beschäftigt ist, bringen sich aufstrebende Märkte wie Peru und Kolumbien im globalen Wettbewerb in Position“ (Etzensberger, 2012:24). Sie haben zu einem neuen ökonomischen und sozialen Selbstbewusstsein gefunden, für das Kolumbien als Beispiel dienen kann. Hintergründe Um die neu gewonnene Zukunftsfähigkeit Kolumbiens zu verstehen, ist zunächst ein Blick auf die Geschichte des Landes notwendig. Groß-Kolumbien ist, gemeinsam mit Ecuador, Panama und Venezuela, 1821 aus dem spanischen Vizekönigreich Nueva Granada hervorgegangen. Sante Fé de Bogotá, bereits die Hauptstadt des Vizekönigreichs, wurde mit der Unabhängigkeit zur Hauptstadt des neuen Landes, das sich nach der Abspaltung Ecuadors und Venezuelas 1830 schließlich ab der Mitte der 1880er Jahre Republik Kolumbien nannte (Niess, 1991:177). Panama erlangte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Unabhängigkeit von Kolumbien. Die kolumbianische Geschichte im 20. Jahrhundert ist von anhaltenden Konflikten zwischen den beiden großen Parteien, den eher an einer urban verwurzelten sozialen 329 Entwicklung orientierten Liberalen und den an den Interessen des ursprünglich ländlichen Großbürgertums orientierten Konservativen, um die Vorherrschaft im Staat geprägt. Sie entluden sich bereits in den Jahren um die Jahrhundertwende im Krieg der Tausend Tage mit mehr als 100.000 Opfern, mehr noch in der sogenannten Violencia, die nach der Ermordung des überaus populären liberalen Präsidentschaftskandidaten Gaitán und der Zerstörung der Innenstadt von Bogotá in nur einer Woche radikalster Ausschreitungen aller politischer Lager im April 1948 das gesamte Land erfasste und schließlich ca. 200.000 Menschenleben kostete. Die Violencia wurde erst 1957 durch einen Militärputsch beendet und von einer die Demokratie de facto aushebelnden Machtteilung zwischen den politischen Eliten der Konservativen und Liberalen abgelöst, die die Politik des Landes für Jahrzehnte bestimmen sollte. Die für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristischen gesellschaftlichen Konflikte – die politisch motivierte Gewalt überwiegend linker Guerillagruppen, die brutalen Morde der global agierenden Drogenmafia und die ursprünglich zum Schutz der ländlichen Oligarchien agierenden Paramilitärs – haben aus heutiger Sicht auch ihre Ursache in den verfestigten sozialen Strukturen und der Lähmung jeden gesellschaftlichen Engagements in Folge der Violencia. Erst mit einer auf Entwaffnung der paramilitärischen Milizen und Bekämpfung der linken Guerillagruppe FARC ausgerichteten Law-and-Order-Politik unter Präsident Alvaro Uribe in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts sowie der Wahl mehrerer für soziale Reformen und eine aktiv gelebte Stadtkultur eintretender Kommunalpolitiker in den großen Metropolen – so Antanas Mockus und Luis Eduardo Garzón in Bogotá, Sergio Fajardo und Alonso Salazar in Medellín – konnte diese Lähmung nachhaltig beendet werden. Im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhun330 derts ist Kolumbien heute ein zwar sozial und gesellschaftlich noch nicht vollständig befriedetes, aber politisch weitgehend stabiles, wirtschaftlich prosperierendes und insgesamt optimistisches Land, in dem der Zugang möglichst vieler Menschen zu Wohlstand und Entwicklung so wenig in Frage steht wie die weitere Pazifizierung der tradierten sozialen und gesellschaftlichen Konflikte. Heute noch von einem failed state zu sprechen ist deshalb weder gerechtfertigt noch angesichts der faktischen Verbesserungen angemessen (Abb. 1). Das heutige Kolumbien ist mit einer Fläche von ca. 1.139.000 km² das fünftgrößte, mit einer Einwohnerzahl von ca. 46.400.000 EW das drittgrößte lateinamerikanische Land. Der Subkontinent ist im globalen Vergleich relativ dünn besiedelt: in Kolumbien beträgt die durchschnittliche Bevölkerungsdichte nur 37 EW/km², nach Ecuador die höchste Dichte unter allen südamerikanischen, aber deutlich weniger als in den meist dichter besiedelten mittelamerikanischen Ländern. Insgesamt leben heute etwa 75 % der Menschen in Städten, wobei unter den ca. 1.100 Gemeinden des Landes etwa 60 eine Größe von mehr als 100.000 EW erreichen. Die größten Anteile der Bevölkerung leben in zweien der sechs Naturräume – den von den Flüssen Cauca und Magdalena gegliederten Gebirgsketten der Nordanden und dem Tiefland der Karibikküste. Hier befinden sich auch die größten Städte: In Cartagena und Barranquilla an der Karibikküste leben jeweils knapp unter bzw. über eine Millionen Menschen, in Cali und Medellín im Tal des Rio Cauca und seiner Nebenflüsse jeweils zwischen zwei und 2,4 Millionen und in der Hauptstadt Bogotá, in der östlichen Kordillere der Anden gelegen, ca. sieben Millionen Menschen. Die Einwohnerzahlen der Metropolregionen liegen jeweils deutlich darüber – so in Medellín bei etwa 3,5 Millionen, in Bogotá bei etwa 8,5 Millionen Menschen. Abb. 1 Kolumbien (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Colombia_rel_2001.jpg) In den Planungsdisziplinen der lateinamerikanischen Länder steht seit Jahren eine sozial verantwortliche Entwicklung im Mittelpunkt des fachlichen Diskurses: „El gran desafío intelectual es reconceptualizar y proponer acciones desde nuestra disciplina para la construcción de un modelo de ciudad y de un proyecto político socialmente justos, genuinamente democráticos y participativos y territorialmente integrados.“ (Die große intellektuelle Herausforderung ist es, aus unserer Disziplin heraus Ideen für die Konstruktion eines neuen Stadtmodells zu entwerfen, für ein sozial und politisch gerechtes, demokratisches, partizipatives und räumlich integriertes Modell der Stadt. Ü. M. H.)(Ciccolella, 2011:123). Investitionen in soziale und technische Infrastrukturen, Wohnungsbau für die schnell wachsende Bevölkerung in den Städten sowie ambitionierte Beteiligungsverfahren müssen heute als spezifisch lateinamerikanische Erfahrungen gewertet werden, die weit über vergleichbare Aufgaben in Europa hinaus weisen. Vor dem beschriebenen historischen, sozioökonomischen und territorialen Hintergrund stellt sich deshalb die 331 Frage, mit welchen Instrumenten und Methoden besonders die großen kolumbianischen Städte versuchen, Verbesserungen für die in ihnen lebenden Menschen zu erreichen. Dies soll am Beispiel Medellíns erläutert werden. Medellín Medellín, die Hauptstadt des Departements Antioquia, ist eine vergleichsweise junge Metropole. Zwar wurde die Stadt am Ort eines älteren Landguts bereits 1675 als Villa de la Candelaria de Medellín gegründet. Es sollte jedoch bis weit in die Zeit der kolumbianischen Unabhängigkeit dauern, bis sie sich von einer peripheren Provinzstadt zu einer der bedeutendsten Großstädte des Landes entwickeln sollte. Die Stadt hatte zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur ca. 10.000 Einwohner. Die Industrialisierung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders die Textilindustrie, der wachsende Finanzsektor und der Kaffeehandel, initiierten jedoch ein sich beschleunigendes Bevölkerungswachstum, so dass im Jahr 1900 etwa 40.000, zur Mitte des 20. Jahrhunderts 275.000 und Ende der 70er Jahre ca. 1,3 Millionen Menschen in Medellín lebten (Alcaldía de Medellín, 2008 I 2011/BID, o. J.:34ff ). Bis in die 1950er Jahre war Medellín die dominierende Industriestadt Kolumbiens, verlor diese Stellung jedoch wegen deren größerer Nähe zur Zentralregierung an Bogotá (Gilbert, 1996:244). Medellín ist die größte Kommune in der Metropolregion Valle de Aburrá, die sich aus der Stadt selber und neun benachbarten Kommunen zusammensetzt und sich über fast 100 km entlang des Rio Medellín erstreckt. Die Stadt hat nach der 2011 veröffentlichten und auf einem nationalen Zensus aus dem Jahr 2005 basierenden Bevölkerungsberechnung zur Zeit etwa 2,42 Millionen Einwohner (Alcaldía de Medellín, 2011c:81). Bis 2030 wird eine weitere Zunahme der Bevölkerung auf ca. 2,72 Millionen Menschen in Medellín und auf ca. 4,39 332 Millionen Menschen in der Metropolregion erwartet (Alcaldía de Medellín, 2011a:25). Medellín gliedert sich administrativ in 16 Stadtteile, die Comunas, und fünf ländliche Bezirke, die Corregimientos. Ähnlich den Bezirken deutscher Stadtstaaten haben die Comunas eine weitgehende politische Eigenverantwortung, unterstehen jedoch in allen strategischen Fragen den politischen Programmen der Stadtregierung, der Alcaldía. Die ausgeprägte Topografie im Tal des Rio Medellín hat die Siedlungsstruktur maßgeblich beeinflusst. Der Fluss selber liegt im Stadtgebiet auf ca. 1.500 m Höhe, während die Ränder des maximal 10 km breiten Tals steil bis auf ca. 2.600 m ansteigen. Das Wachstum der Stadt im 20. Jahrhundert folgte der Logik dieser naturräumlichen Gliederung. So liegen das historische Zentrum und der in den vergangenen Dekaden entstandene CBD mit Stadt- und Departementsverwaltung, Dienstleistungsunternehmen, Kultureinrichtungen und dem Messegelände im Tal östlich des Flusses. Vom Zentrum ausgehend hat sich das Flusstal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem dichten Gefüge meist kleinteiliger gewerblicher und industrieller Nutzungen gefüllt. Die zugehörigen Wohnquartiere entstanden in den etwas höher gelegenen Tallagen und begannen spätestens in der Mitte des 20. Jahrhunderts, auch die Lagen am Rand des Tals zu nutzen. Das Flusstal selber wirkt als räumliche und soziale Barriere und bietet kaum Zugänge aus den angrenzenden Quartieren (Alcaldía de Medellín, 2004:100). Heute ziehen sich die Wohnquartiere Medellíns bis weit in die Hanglagen am Talrand hinein und nutzen sie bis in Höhen von deutlich über 2.000 m. Sie manifestieren eine räumliche Segregation, die die wohlhabenden Quartiere besonders im Südosten der Stadtregion, die sozial schwachen Quartiere im Südwesten und im Norden konzentriert. Dabei nutzen besonders die informellen Quartiere, die tugurios, an den Abb. 2 Medellín – Stadtentwicklung in den Hanglagen (Foto: M. Hoelscher) nördlichen Rändern der Stadt zunehmend auch Flächen, die aufgrund ihrer geologischen Bedingungen für eine bauliche Nutzung ungeeignet und der Gefahr von Erdrutschen ausgesetzt sind (Alcaldía de Medellín, 2011a:32f, 36f ). Insgesamt leben knapp 6 % der Einwohner in Zonen mit nicht vermeidbaren Umweltrisiken – der zweithöchste Wert in der Metropolregion (Agudero Patiño, 2010:131f ). Die Siedlungsgeschichte Medellíns hat einige für die Stadtentwicklung relevante Fakten geschaffen. So fällt die paradoxe Nutzungsverteilung auf, die die leistungsfähigen Massenverkehrsmittel, die Hauptlinie der Metro und die wichtigsten Nord-SüdStraßen, in den Tallagen konzentriert und sie mit teilweise leerstehenden, teilweise untergenutzten Industrie- und Gewerbegebieten umgibt. Hier liegen in der Zukunft erhebliche Potenziale für eine Reorganisation der Stadt, die die Tallagen stärker als bisher für zentrumsnahe und gut erschlossene Wohnquartiere nutzt. Der von der Alcaldía 2008-2011 vorgelegte strategische Plan für Medellín und die Metropolregion, BIO 2030, formuliert die damit verbundenen Chancen und entwickelt daraus räumliche Leitbilder für die Gestaltung der Tallagen (Alcaldía de Medellín, 2011a:150-233) und der Hänge (Alcaldía de Medellín, 2011a:234-257). Die Aussagen des Plans werden auch in die Überarbeitung des aus dem Jahr 2006 stammenden Flächennutzungsplans einfließen. Das von der gegenwärtigen Stadtregierung gemeinsam mit der Metropolregion Valle de Aburrá initiierte Projekt eines regionalen Grüngürtels an den Rändern des Siedlungskörpers, des Cinturon Verde Metropolitano, soll eine weitere Inanspruchnahme der Ränder für informelle und formelle Siedlungsentwicklung verhindern und stattdessen eine durch gestaltete Freiräume geprägte Zone vorrangig für Freizeit und Erholung implementieren, die bestehende Siedlungsstrukturen aufwertet und integriert (Alcaldía de Medellín, 2012a:200, 369f; Alcaldía de Medellín, 2012b:25-29; Area Metropolitana del Valle de Aburrá, 2012:71-80) (Abb. 2). In den vergangenen Dekaden haben insbesondere die an den Talhängen liegenden Quartiere kaum eine Chance auf Partizipation am städtischen Leben gehabt. Sie waren überaus schwierig zu erreichen, häufig nur über steile, mehrere hundert Höhenmeter überwindende Fußwege und Treppen, bestenfalls aber mit von privaten Kooperativen organisierten Minibuslinien, die die tugu333 rios mit den im Tal liegenden Stationen der seit 1995 betriebenen Metro de Medellín verbinden. Die an den Hängen lebenden Menschen fühlten sich der Stadt kaum zugehörig, waren also auch kaum in ein System kollektiver Verantwortung für die Stadt eingebunden. Sie lebten in extremer Gewalt und häufig in sozialer und ökonomischer Perspektivlosigkeit. Das änderte sich erst mit dem Bau von zwei Seilbahnlinien, den Metrocables, die seit 2004 bzw. 2008, von einem älteren System in Caracas inspiriert, das Netz der Metro ergänzen (Urbanrail.Net o. J.). Die Linien erschließen bisher kaum erreichbare Quartiere im Nordosten und Westen der Stadt, beginnen in Stationen der Metro und können mit dem Metroticket genutzt werden. In den Kabinen können bis zu zehn Passagiere über ca. 500 Höhenmeter, drei Stationen und bis zu 3 km Entfernung transportiert werden, die Transportkapazität liegt bei ca. 2.000 Passagieren pro Stunde – für eine Stadt der Größe Medellíns eine enorme Verbesserung, in den Stoßzeiten jedoch kaum ausreichend. Die so erschlossenen Viertel gelten heute als Musterbeispiele für die Transformation bisher marginalisierter Quartiere und ihre Integration ins soziale und zivilgesellschaftliche Gefüge der Stadt. Insofern war und ist der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nicht nur Voraussetzung für eine erfolgreiche Stadtentwicklung, sondern auch für die Implementierung von Transformationsprozessen in Quartieren, die bislang buchstäblich nicht erreichbar waren für jede Art kommunaler Qualifizierungsprogramme: „El desarrollo urbano y las grandes operaciones que lo materializan deben considerarse como oportunidades para integrar los barrios degradados o marginales de las periferias.” (Stadtentwicklung und die mit ihr verbundenen großen Operationen müssen als Möglichkeit verstanden werden, die vernachlässigten und marginalisierten Quartiere der peripherien zu integrieren. Ü. M. H.) (Borja , 2009:84) Es 334 lohnt sich, den Blick auf diese Prozesse und Strategien zu richten. Integrierte soziale Entwicklung Eine integrierte soziale Entwicklung ist, nicht nur in Medellín, zentrales Politikziel vieler Stadtregierungen kolumbianischer Großstädte. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben, wie bereits beschrieben, viele Bürgermeister und ihre Teams die Verbesserung der sozialen und räumlichen Bedingungen ihrer Städte auf die politische Agenda gesetzt. So formuliert Bürgermeister Alonzo Salazár in Laboratorio Medellín, einem Bericht über die Arbeit der beiden Alcaldías von 2004 bis 2011: „En los últimos años, Medellín ha emprendido una serie de propuestas y proyectos sociales, urbanísticos y económicos que han marcado el principio de una transformación social, modelo para el país y el continente. Estas han sido razones para aprender que es posible sobreponerse a la adversidad, derrotar la violencia y cerrar la brecha de las desigualdades sociales, origen de muchas de las problemáticas que padecemos. (…) Medellín se ha convertido en un laboratorio que se atreve a desplegar políticas, estrategias y programas novedosos para encontrar un desarrollo equitativo que permita la convivencia.” (In den vergangenen Jahren hat Medellín eine Serie von sozialen, stadtplanerischen und ökonomischen Vorschlägen und Projekten in Angriff genommen, die am Beginn einer sozialen Transformation stehen und für das Land und den Kontinent als modellhaft gelten. Sie waren Anlass, die Chancen zur Überwindung widriger Umstände, zum Sieg über die Gewalt und zum Schließen der Gräben sozialer Ungleichheit zu erkennen, den Quellen vieler uns heute beschäftigender Herausforderungen. (…) Medellín hat sich in ein Laboratorium verwandelt, das es wagt, neue Politiken, Strategien und Programme für eine ausgewogene Entwicklung anzuwenden, die das Zusammenleben ermöglichen. Ü. M. H.) (Alcaldía de Medellín, 2011b:12f ) Die Alcaldías von Medellín interpretieren und nutzen Stadtplanung deshalb gleichermaßen als ein Instrument zur sozialen Inklusion und zur physischen Transformation. Mehr als 75 % aller Wohnungen in Medellín liegen in Quartieren der drei niedrigsten, knapp 20 % in den beiden mittleren und nur ca. 5 % im obersten sozioökonomischen Horizont. Diese Horizonte, Estratos, werden in Kolumbien für die Bemessung von Steuersätzen und Gebühren öffentlicher Dienstleistungen herangezogen (Alcaldía de Medellín, 2011b:18). Deshalb haben die Stadtregierungen der letzten Dekade besonders die In-Wert-Setzung der lange vernachlässigten Quartiere der unteren Bevölkerungsgruppen aktiv verfolgt. Das wichtigste Instrument dafür sind die sogenannten Proyectos Urbanos Integrales (PUI), Strategien der integrierten Quartiersentwicklung, die seit 2004 für sieben Comunas im Norden, Westen und Osten der Stadt entwickelt wurden und bis 2019 mit Hilfe lokaler Entwicklungspläne umgesetzt werden. In den Jahren 2004 bis 2011 erreichte die Stadtregierung damit insgesamt ca. 850.000 Menschen, etwa 40 % der damaligen Bevölkerung (Alcaldía de Medellín, 2011b:81f, 89). Die PUI sind auch im Stadtentwicklungsplan der gegenwärtigen Stadtregierung enthalten (Alcaldía de Medellín, 2012a:198f ). Neben der Aufwertung öffentlicher Räume und der Verbesserung der Erschließungssituation stehen in den PUI die Entwicklung partizipativer Strukturen und die Zusammenarbeit von Verwaltung, Comunas und Bürgergesellschaft im Mittelpunkt. Die Einwohner der Quartiere sind nicht nur an der Entscheidungsfindung, sondern auch an der Umsetzung der Projekte beteiligt, so dass die ökonomischen Effekte der Investitionen zu einem großen Teil in den Quartieren wirksam werden konnten. Als schwierig erwies sich dabei u. a. die Einhaltung kommunaler Standards und Satzungen bei der baulichen Veränderung der Quartiere, die erst mit Hilfe lokaler Vereinbarungen zur Flexibilisierung der Normen möglich wurde (Alcaldía de Medellín, 2011b:91). Schließlich ermöglichten die PUI die Anerkennung einer gemeinsamen Verantwortung von Staat und Zivilgesellschaft für die Quartiere und die Rückkehr des Staates in Räume, in denen er während der 1990er Jahre sein Gewaltmonopol verloren hatte (Alcaldía de Medellín, 2011b:90). Die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung eines PUI sollen am Beispiel der Quebrada Juan Bobo im Nordosten der Stadt erläutert werden. Stadterneuerung Die Quebrada Juan Bobo ist eine der knapp 60 engen Schluchten, die Bergbäche aus den umgebenden Bergen zum Rio Medellín führen. Als Teil der von besonders steilen und dichten tugurios geprägten Comuna 2 hat das Umfeld der Schlucht im Rahmen des PUI Nororiental seit 2004 eine systematische Aufwertung erfahren. Wesentliche Impulse gingen dabei von der Errichtung der ersten Linie des Metrocable aus, die den Westhang des Cerro Santo Domingo Savio mit insgesamt drei Stationen erschließt: Juan Bobo liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Station Andalucía. Beiderseits der Schlucht liegen mehrere teils geplante, teils informelle Siedlungen. Die Schlucht selber mit ihren ca. 300 ausschließlich informellen Wohnungen war zu Beginn der Stadterneuerungsmaßnahmen ohne jede infrastrukturelle Ausstattung, die ökonomische Situation der meisten Bewohner überaus prekär, die Gewalt im Viertel hoch, das soziale Gefüge von Mistrauen und Unselbständigkeit geprägt (Alcaldía de Medellín, 2011b:101106). Heute nennen die Bewohner ihr Quartier Nuevo Sol del Oriente – Neue Sonne des Ostens: wie kam es dazu? Zur planerischen Konkretisierung der PUI werden in Medellín sogenannte Programas 335 Abb. 3 Juan Bobo - el Nuevo Sol del Oriente (Foto: M. Hoelscher) de Mejoramiento Integral de Barrios (PMIB) erarbeitet, integrale Stadtteilentwicklungskonzepte, die die räumlichen und sozialen Maßnahmen im Stadtteil selber beschreiben. Sie werden von der Empresa de Desarrollo Urbano de Medellín (EDU) umgesetzt, einer städtischen Gesellschaft, die seit den 1990er Jahren mit der baulichen, sozialen und finanziellen Durchführung von Stadterneuerungsprojekten beauftragt ist. Sie ist häufig bereits an der Entwicklung von gesamtstädtischen und stadtteilbezogenen Plänen und Programmen maßgeblich beteiligt. Für die Umsetzung der PMIB hat die EDU inzwischen ein umfangreiches Instrumentarium entwickelt, das dem partizipativen und inklusiven Ansatz der Stadtentwicklung Medellíns gerecht wird (Alcaldía de Medellín, 2011b:102ff ). Dabei stehen der Aufbau einer Kultur des Vertrauens und die Einrichtung konsensorientierter Entscheidungsstrukturen ganz am Anfang. Sie wurden in Juan Bobo durch Pactos Urbanos abgesichert, Vereinbarungen über die Rolle der einzelnen Akteure im Stadtumbau. Die baulichen Veränderungen in Juan Bobo hatten zum Ziel, die Quebrada als grünes Rückgrat des Quartiers wieder erlebbar zu machen. Neben infrastrukturellen Maßnah336 men wie der Organisation der Abfall- und Abwasserentsorgung mussten dafür die meisten der direkt an der Schlucht stehenden Häuser enteignet und abgerissen, ihre Bewohner in temporären Quartieren untergebracht und schließlich neue Wohnungen gebaut werden. Die betroffenen Parzellen wurden in einem intensiven Meinungsfindungsprozess gemeinsam mit den Bürgern identifiziert. Gemeinsam mit staatlichen Fördermittelgebern wurden die Rahmenbedingungen finanzieller Unterstützungen für Neu- und Umbaumaßnahmen festgelegt, die die prekäre finanzielle Situation der Menschen berücksichtigen und ihnen die Teilnahme am nationalen Sozialwohnungsprogramm der Viviendas Prioritarias ermöglichen (Alcaldía de Medellín, 2011b:105f ). Auf der Basis der so gesicherten Finanzierung waren schließlich private Bauunternehmen bereit, Bauleistungen in einem Teil der Stadt zu erbringen, dessen Bewohner zu einer eigenverantwortlichen Baufinanzierung mehrheitlich nicht in der Lage waren. Die Baumaßnahmen wurden darüber hinaus durch bereits bestehende Genossenschaften für Finanzierung, Materialbeschaffung und Arbeitsleistung unterstützt. Schließlich konnte 2005 nach zwei Jahren Vorarbeit mit den Umbaumaßnahmen begonnen werden (Abb. 3). Während der zweijährigen Bauphase wurden schließlich ca. 140 Wohnungen neu gebaut, ca. 100 renoviert und ca. 230 illegale Wohnungen legalisiert. Die Neubauwohnungen sind in mehreren kompakten fünf- bis neungeschossigen Hochhäusern konzentriert, die von ihren Bewohnern einen Namen bekommen haben, eine nach außen wirkende Identität. Alle betroffenen Bewohner wohnen auch heute noch im Stadtteil. Sie profitieren nicht nur von großzügigen und technisch gut ausgestatteten Wohnungen, sondern auch von einer Verbesserung der sozialen Infrastruktur und zusätzlichen Läden. Gleichzeitig konnten die beiden Seiten der Quebrada durch eine Fußgängerbrücke verbunden, an die Hauptstraße der Comuna mit der Metrocable-Trasse angeschlossen und das Erschließungs system orientierungssicher neu gestaltet werden. Die Quebrada wurde zu einem linearen Park mit beiderseitigen Fußwegen, Grünflächen und Aufenthaltsmöglichkeiten umgebaut. Neue und neu gestaltete öffentliche Flächen haben den Freiflächenanteil von 0,5 auf 3,6m² je Einwohner deutlich erhöht. Voraussetzung war jedoch eine Neubewertung des geologischen Risikos am Rand der Quebrada in Folge der Umbaumaßnahmen, nach der die Stadt Medellín insgesamt über 200 ha eigener Flächen entlang der Schlucht für Stadterneuerungsmaßnahmen zur Verfügung stellen konnte (Alcaldía de Medellín, 2011b:106f ). Obwohl das Zusammenleben im Quartier heute, ca. fünf Jahre nach Fertigstellung, allen zu erwartenden Widrigkeiten des Alltags in einer dicht bebauten Großstadt ausgesetzt ist, gilt das Projekt inzwischen als Labor und Lernort für den nachhaltigen und sozialgerechten Umbau marginalisierter Quartiere. Die in Nuevo Sol del Oriente gewonnenen Erfahrungen mit der Integration räumlicher, sozialer und inklusiver Projektbausteine werden durch die EDU deshalb als Blaupause für die Stadterneuerung der oberen Abschnitte der Quebrada und in anderen Teilräumen des PUI herangezogen. Auch die Berufsziele der Jugendlichen am Cerro Santo Domingo Savio haben sich verändert – an die Stelle von Drogenhändler oder lokalem Capo sind Berufe wie Soziologin, Ingenieur, Sozialarbeiter und Architektin getreten… (Alcaldía de Medellín, 2011b:106). Parques-Biblioteca Ein wesentlicher Baustein der integrierten sozialen Entwicklung der vergangenen Dekade ist die Verbesserung der Bildungs- und Kulturangebote in den Comunas und Corregimientos der Stadt. Bereits der Stadtentwicklungsplan 2004-2007, Medellín Compromiso de toda la ciudadanía, formuliert als eines der strategischen Ziele die Stärkung der Bibliotheken als Zentren einer integrierten sozialen und kulturellen Entwicklung (Alcaldía de Medellín, 2004:109). Auch der aktuelle Stadtentwicklungsplan, Medellín – un hogar para la vida, weist in mehreren Handlungsfeldern auf Bildung und Information als Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Zivilgesellschaft hin (Alcaldía de Medellín, 2012a:92-103, 137-156, 310-317). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren jedoch Bildungsmöglichkeiten und Kulturangebote extrem ungleich im Stadtgebiet verteil. Die Alcaldías reagierten darauf mit mehreren kommunalen Handlungsprogrammen, u. a. dem Plan Maestro de Servicios Bibliotecarios, einem Masterplan zur Entwicklung öffentlicher Bibliotheken, der als Querschnittsaufgabe gleich in mehrere Handlungsfelder der Stadtentwicklung hinein wirkt (Alcaldía de Medellín, 2011b:137, 142). Er enthält als wesentliches Element das Modell der Parques Biblioteca, öffentlicher Bibliotheks-Parks, die besonders in sozial schwachen Quartieren das soziale Netz festigen und den Zugang zu Informationen verbessern sollen. Bisher sind durch die EDU neun Parques Biblioteca gebaut worden, besonders im Norden der Stadt. Sie wurden mit ca. 40 öffentlichen Bibliotheken zu einem regionalen Informations-Netzwerk verbunden, dem Red de Bi337 Abb. 4 Parque Biblioteca Belen (Foto: M. Hoelscher) Abb. 5 Parque Biblioteca San Javier (Foto: M. Hoelscher) Abb. 6 Parque Biblioteca España (Foto: M. Hoelscher) bliotecas de Medellín y el Área Metropolitana (Alcaldía de Medellín, 2011b:138ff ). Den Parques Biblioteca kommt im Kontext der Stadterneuerung eine doppelte Funktion zu. Einerseits sind sie in ihrer architektonischen Präsenz Orte des Zugangs zu Wissen, Information, Kultur – in Stadtquartieren, denen dieser Zugang über die Dekaden ihrer bisherigen Entwicklung vorenthalten wurde. Sie sind, über die Bereitstellung von Büchern und digitalen Medien hinaus, auch Stadtteilzentren, Volkshochschulen, Auditorien – Orte also, an denen sich das zivilgesellschaftliche Leben artikuliert. Andererseits werden sie innen wie außen durch meist knappe, aber attraktiv gestaltete Frei338 räume ergänzt, die das Freiraumangebot der Stadtteile verbessern und Rückzugsmöglichkeiten im meist dichten städtebaulichen Gefüge bieten. „Impactan el paisaje urbano donde se encuentran generando una estrecha relación entre los espacios interiores de las bibliotecas con su contexto inmediato ‚parque‘ […].” (Sie beeinflussen die Stadtlandschaft durch die Schaffung eines engen Zusammenspiels zwischen den Innenräumen der Bibliothek und ihrem unmittelbaren Umfeld der „Parks” […]; Ü. M. H.) (Marino/Vargas, 2009:71) Die Bezeichnung Parques Biblioteca verwirrt dennoch, wenn man großzügige und von gestalteter Vegetation geprägte „Parks“ erwartet: diesen Anspruch können die meisten Parques Biblioteca trotz der umgebenden Freiflächen nicht erfüllen. Sie müssen vielmehr als Orte verstanden werden, die die sozialen und kulturellen Funktionen von Bibliotheken und Parks integrieren (Abb. 4, 5, 6). „Por su calidad, belleza y aporte al desarrollo los Parques Biblioteca se convertirán en referentes urbanos y arquitectónicos.” (Durch ihre Qualität, Schönheit und ihren Beitrag zur Entwicklung sind die Parques Biblioteca zu städtebaulichen und architektonischen Leuchttürmen geworden. Ü. M. H.) (Empresa de Desarrollo Urbano, o. J.) Vergleicht man die architektonischen und stadträumlichen Haltungen der Parques Biblioteca, wird deutlich, wie intensiv sie sich mit dem Genius loci des jeweiligen Standorts auseinandersetzen. Während die Parque Biblioteca Belen mit ihrer zurückhaltenden, um einen Patio organisierten Architektur im Gefüge eines älteren Quartiers kaum auffällt, während das große Dach der Parque Biblioteca San Javier den Maßstab eines benachbarten ehemaligen Klosters aufgreift und so einen wirkungsvollen räumlichen Akzent im kleinteiligen Kontext der umgebenden Bebauung setzt, markieren die drei schwarzen Monolithen der Parque Biblioteca España nicht nur die Spitze eines Hügelrückens, sondern auch die weithin sichtbare neue Mitte des Quartiers Santo Domingo Savio. Die Parques Biblioteca codieren ihr jeweiliges Umfeld neu – für eine der Zivilgesellschaft zugewandte, gewaltfreie Zukunft. Fazit ist es, dass unsere Städte gute Orte zum Leben sind, um uns als Persönlichkeiten und Bürger zu entfalten. Und das darf nicht […] von ausländischen Direktinvestitionen abhängen. Ü. M. H.)(Ciccolella, 2011:89)Die Entwicklung Medellíns in der letzten Dekade hat genau das geschafft. Die Stadtentwicklung und Stadterneuerung Medellíns seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Wahrnehmung der Stadt vollständig verändert. Aus der gefährlichsten und gewalttätigsten Stadt der Welt in den 1990er Jahren ist eine moderne, offene und optimistische Gesellschaft hervorgegangen, die den Zerfall der sie verbindenden kulturellen Erfahrungen und sozialen Strukturen nicht mehr hinnehmen wollte. In wenigen Jahren ist unter der politischen Verantwortung engagierter Bürgermeister und mit Hilfe fachlich überaus kompetenter Teams ein Zukunftsmodell erkennbar geworden, das auf Toleranz, Inklusion und Chancengleichheit aller in der Stadt lebender Menschen aufbaut. „Lo realmente importante es que nuestras ciudades sean sobre todo buenos lugares para vivir y para desarrollarnos como personas y como ciudadanos plenos. Y eso no debería depender [...] de las inversiones extranjeras directas.“ (Am wichtigsten Es ist nicht erstaunlich, dass Medellín angesichts dieser Erfolge zu einer international beispielgebenden Metropole geworden ist. So wird, auch wegen der sozialen benefits in den Peripherien, das System der Metrocables inzwischen auch auf andere südamerikanische Großstädte übertragen, in denen die üblichen Transportlösungen nur schwierig zu realisieren sind – etwa auf Rio de Janeiro und La Paz. Rio adaptiert zudem seit 2010 das Konzept der Parques Biblioteca als kulturelle Injektionen für die Stadterneuerung seiner Favelas. Die Aufmerksamkeit, die die Stadtpolitik Medellíns erfährt, wird auch in der Vielzahl internationaler Preise bemerkbar, mit denen die Programme und Projekte der Stadterneuerung in der vergangenen Dekade ausgezeichnet wurden. Dazu gehören der 1. Preis der XVI. panamerikanischen Architekturbiennale 2008 in Quito in der Kategorie Urban Design für das PUI Nororiental (Revista Escala, o. J.), der 2. Preis der Abb. 7 Inkludierende Stadtentwicklung (Foto: M. Hoelscher) 339 XVII. Biennale 2010 in Quito in der Kategorie Soziales Wohnen für die Stadterneuerung in Juan Bobo (Colegio de Arquitectos del Ecuador, 2011:72-75), der 1. Preis für die Parque Biblioteca España bei der XVI. Biennale 2008 in Quito in der Kategorie Architektur (Revista Escala, o. J.) und die Preise der VI. Iberoameikanischen Architekturbiennale 2008 in Lissabon für die Parque Biblioteca España und die Parque Biblioteca San Javier (Bienal Iberoamericana de Arquitectura y Urbanismo, o. J.). Schließlich wurde das Red de Bibliotecas de Medellín y el Área Metropolitana 2009 mit dem Access to Learning Award der Bill & Melinda Gates-Stiftung ausgezeichnet (Alcaldía de Medellín, 2011b:147). Dass die Architektur der neuen öffentlichen Gebäude in Medellín darüber hinaus eine intensive Diskussion in der Fachöffentlichkeit über die Identität der kolumbianischen Architektur ausgelöst hat, spricht für die Impulswirkung Medellíns im nationalen Kontext (Marino/ Vargas, 2009:73) (Abb. 7). „La cuestión del la revitalización-recalificación-regeneración de los centros urbanos en el sentido amplio está claramente a la orden del dia en América Latina actual [...].” (Die Aufgaben einer umfassenden Revitalisierung, Qualifizierung und Regenerierung der urbanen Zentren steht im gegenwärtigen Lateinamerika klar auf der politischen Agenda. Ü. M. H.) (Rivière d´Arc, 2009:158) Lohnt es sich vor diesem Hintergrund, den Blick aus Europa auf die Erfahrungen Lateinamerikas mit Stadtentwicklung und Stadterneuerung zu richten? „Eine postkoloniale Stadtforschung muss einerseits Differenzen zwischen Städten und andererseits Gemeinsamkeiten deutlich machen“ (Michel, 2009:80). Sie sollte Sensibilität für grundlegend andere sozioökonomische Bedingungen und die darin begründeten Determinanten von Planung vermitteln und daraus Impulse auch für den eigenen Kontext ableiten. Das können die Erfahrungen Medellíns leisten. Gerade angesichts des demografischen Wandels und des dafür notwendigen Strukturwandels im Wohnungsmarkt deutscher Städte sind Strategien gefragt, die weit über den gesetzlich vorgeschrieben Umfang hinaus die Bewohner an Entscheidungen über ihre Zukunft beteiligen. Die Strategien Medellíns (und anderer lateinamerikanischer Großstädte) zur Partizipation im Stadtumbau können dafür als Maßstab dienen. Die Messlatte hängt hoch… Literatur AGUDELO PATIÑO, Luis Carlos (2010): La Ciudad sostenible. Medellín ALCALDÍA DE MEDELLÍN (Hg.) 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Während das Interesse für die Stadtumbauprozesse im Fernen Osten stetig anwächst und dies an den Zahlen der internationalen Veröffentlichungen zu diesem Thema klar zu erkennen ist, gibt es wenig Forschungsarbeiten und Literatur zur städtebaulichen Entwicklung von Istanbul und in der Türkei. Dennoch werden in den gegenwärtig veröffentlichten türkisch- und englischsprachigen Forschungsarbeiten verschiedene Themen erörtert: Es fällt auf, dass die Zahl sowohl nationaler als auch internationaler Veröffentlichungen über das TarlabaşιProjekt mit der Zeit zunimmt, was gleichzeitig als ein Hinweis für die besondere Aufmerksamkeit, die das Projekt auf sich zieht, zu verstehen ist. Dabei werden häufig das Problem der Gentrifizierung thematisiert, welches als eine Konsequenz dieses Stadtumbauprojekts anzusehen ist (vgl. Önder, 2012, Stini, 2011). Seit Anfang des neuen Jahrhunderts begann eine neue Zeit in der Stadtumbaupolitik der Türkei, zum einen verursacht durch das verheerende Marmara-Erdbeben im Jahr 1999, das 17.000 Tote forderte mit einem Schaden von 18 Mrd. US-Dollar (vgl. Jacob, 2006), zum anderen durch die Beschleunigung der Privatisierung der staatlichen Liegenschaften und auch durch die Kooperation zwischen der öffentlichen Hand und Privatinvestoren. Nach den Erkenntnissen der Seismologen wird in den nächsten 30 Jahren ein Erdbeben der Stärke sieben erwartet. Deshalb wird nun bei allen Baumaßnahmen auf eine strenge Einhaltung der bestehenden gesetzlichen Auflagen zum Erdbebenschutz geachtet. Um diese Kontrollaufgaben unter einem Dach zu vereinen und gleichzeitig das Gesamtprojekt zu starten, wurde am 5. Oktober 2012 ein landesweites Stadtsanierungsprogamm Kentsel Dönüşüm des Ministeriums für Umwelt und Städtebau (Çevre ve Şehircilik Bakanlιğι) proklamiert. Dabei handelt es sich um bauliche Maßnahmen für etwa 81 Städte zum Wiederaufbau, um erdbebengefährdete Gebäude in ihrer Substanz erdbebensicherer zu machen (T. C. Çevre ve Şehircilik Bakanlιğι, 2013b). Für das Sanierungsprogramm, welches die nächsten 20 Jahre in Anspruch nehmen wird, betragen die Kostenschätzungen ca. 400 Mrd. US-Dollar (vgl. Baysal, 2011). Im Falle Istanbuls haben die Stadterneuerungsmaßnahmen eine weitere Bedeutung, und zwar die, diese Metropole unter dem Einfluss des wirtschaftsorientierten Premierministers für die Globalisierung zu öffnen und zu ertüchtigen und dabei die Vorteile der geostrategischen Lage der Region zu nutzen. Gerechtfertigt durch die oben erwähnte Notwendigkeit, vorbeugende Maßnahmen gegen Erdbeben zu ergreifen, wurden und werden in der Mega-Stadt etwa seit der Wende zum 21. Jahrhundert ohne Rücksicht auf ihre historisch gewachsene Substanz erstmalig radikale, großflächige Abrissmaßnahmen durchgeführt. Ziel dieser Arbeit ist es, zu analysieren, in welchem Ausmaß sich aktuelle Stadterneuerungstendenzen in neoliberal orientierten Schwellenländern wie der Türkei etabliert haben. Dabei wird anhand des Fallbeispiels Tarlabaşι im Stadtteil Beyoğlu untersucht, inwiefern das Programm Stadterneuerung Kentsel Dönüşüm langfristig für den Um343 gang mit den Problemen der Bestandsentwicklung im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung in Istanbul angemessen ist. Istanbul Geografisch liegt Istanbul auf zwei Kontinenten und bildet so eine Brücke zwischen Europa und Asien. Die Stadt und ihr unmittelbares Umfeld waren und sind der wichtigste Wirtschaftsraum der Türkei, da 27 % des Bruttoinlandsprodukts (İBB, 2010) in dieser Region erwirtschaftet werden. Sie erzielt mit ca. 40 % das größte Steueraufkommen des Landes (vgl. Jacob, 2006). Die Metropole, deren Bevölkerung innerhalb eines knappen Jahrhunderts von 700.000 auf 16 Mio. Einwohner gewachsen ist, weist heute eine Fläche von 5.300 km² aus. Das entspricht etwa 7 % der Gesamtfläche der Türkei von 815.000 km². Heute leben 18 % der Gesamtbevölkerung von 73 Mio. in Istanbul, was einer Bevölkerungsdichte von 2.400 Einwohnern pro Quadratkilometer für die Metropole entspricht. Das zentrale Verwaltungsgebiet der Großstadtkommune Istanbul (İstanbul Büyük Şehir Belediyesi/ İBB) hat 39 Bezirke unter der Leitung eigener Bezirksbürgermeister. Für ein besseres Verständnis der politischen, ökonomischen sowie kulturellen Transformation der Türkei ist ein Exkurs am Beispiel von Istanbul zur Entwicklung der Stadtumbaupolitik der letzten 90 Jahre erforderlich. Die Stadtumbaupolitik Istanbuls lässt sich seit Gründung der Türkischen Republik und der damit einhergehenden veränderten Investitionspolitik durch den Verlust der Hauptstadtfunktion sowie der spät eingesetzten Industrialisierung und auch der Deindustrialisierung in vier Phasen gliedern: In der ersten Phase ab 1923, gekennzeichnet durch die „radikale Modernisierung“, wurden neben den kulturellen, ökonomischen und politischen Interventionen auch alle 344 Verwaltungs- und Baugesetze der osmanischen Zeit durch neue ersetzt. Die im gleichen Jahr geopolitisch motivierte Verlegung des Regierungssitzes von Istanbul nach Ankara sowie radikale kulturelle, sozio-ökonomische und sozio-politische Veränderungen formten Istanbul in den folgenden Jahren von einem Konsumstandort zu einem Produktionsstandort um (vgl. Seger, Palencsar, 2006). Zur Modernisierung des Landes wurden ausländische Architekten und Stadtplaner wie Henry Prost herangezogen, die bei der Planung keine Rücksicht auf den bestehenden osmanischen Sackgassengrundriss nahmen. Insbesondere legte Prost in seinem Masterplan für Istanbul, breite Straßen und große Boulevards an und zerstörte rigoros die Altstadt. So fielen in den Jahren von 1939 bis 1948 dem Umbau zur autogerechten Stadt unter anderem ca. 1.100 historische Bauten zum Opfer (vgl. Tekeli u. a., 1992). Dennoch blieb die historische Stadt in der ersten Regierungszeit von einer nennenswerten Zerstörung des Stadtbildes verschont, da das Hauptaugenmerk auf Ankara als einem Beispiel für eine moderne, nationaltürkische Stadt gelegt wurde (vgl. Kara, 2006). Das Prägende der zweiten Phase ab 1950 war die Industrialisierung gefördert durch den Marshallplan, der auch u. a. den Anstoß für einige Großprojekte im Bereich der Infrastruktur gab. Mit der ebenfalls durch den Marshallplan geförderten Mechanisierung der Landwirtschaft kam es zu einer massenhaften Landflucht, die ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum in Istanbul mit sich brachte. Die daraufhin eintretende Wohnungsnot blieb von Seiten der Regierung ungelöst, da die lokalen Kommunen vom Ausmaß der Bevölkerungsexplosion überfordert waren (vgl. Vidinlioğlu, 1993). Als Konsequenz des „Unvermögens“ der städtischen Administration, für die Binnenwanderer Häuser und Wohnungen zur Verfügung zu stellen, übernahmen die entwurzelten Dorfbewohner selbst die Initiative und errichteten Gecekondusiedlungen (Ge- cekondu = nicht genehmigte Unterkunft), die die Regierung, aus Angst, Wählerstimmen zu verlieren, duldete. Diese Art der Behausung, die anfangs nur eingeschossig war und meist einen kleinen Garten zur Selbstversorgung hatte, darf aber nicht mit den aus Lateinamerika bekannten Favelas oder den in Afrika verbreiteten Slums gleichgesetzt werden. So waren diese aus baulicher, technischer und infrastruktureller Hinsicht wesentlich besser ausgestattet. Die dritte Phase des Stadtumbaus in den 1980er Jahren markierte einen historischen Wendepunkt der Türkei, indem sie sich einer neoliberalen Ökonomie (vgl. Ataç, 2004) öffnete, die eine Internationalisierung mit sich brachte, u. a. auch auf dem Immobilienmarkt. Durch die Wirtschaftsöffnungspolitik Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre nahm die Metropole die meisten Binnenwanderer auf. Städtebauliche Lösungen der Regierung waren die Amnestiegesetze, die unter anderem auch die Legalisierung der Gecekondus zur Folge hatte, indem sie die ursprünglichen Besetzer nach Zahlung einer Kompensation zu Eigentümern der jeweiligen Grundstücke machte. Diese Legalisierung förderte die Grundstücksspekulation durch das „Yap-Sat-Modell“ (baue und verkaufe) und beschleunigte die metastasenartigen Besiedlungen. Hervorgerufen durch die Zusammenarbeit zwischen den Landbesetzern und den kleinen Kapitalisten (Yap-Satçι) die beinahe als ein „informelles Abkommen“ verstanden werden kann, entstand ein neuer Typus einer türkischen Behausung, Apartkondu (Mittelklassenwohnung) genannt. Dabei spielten die beiden Akteure, die sogenannte Müteahhit (Bauentwickler) und die Landbesetzer eine besondere Rolle. So verwandelten die Müteahhits die eingeschossigen Gecekondus in Kooperation mit den Neuankömmlingen in fünfbis zehngeschossige Apartmenthäuser, wobei unzureichende und meist mangelhafte Materialien verwendet wurden. Der Übergang vom Gecekondu zum Apartkondu brachte aus gesellschaftlicher Sicht eine Verschiebung des sozialen Status der Besetzer mit sich, so dass sie mit der Aufstockung ihrer Häuser und den daraus generierten Einnahmen in die Mittelschicht aufstiegen. Diese Siedler, die sich auch in den neu entstandenen Apartkondusiedlungen niederließen, wurden selbst zu Vermietern für die nächsten Einwanderer: die „Postgecekonduisierung“ (vgl. Esen, 2005). Die Folge der passiven Haltung der Regierungen war eine unkontrollierte Verstädterung, die die Ursache für den aktuellen Stadtumbau ist. Die aktuelle neoliberale Stadterneuerung unter dem Einfluss des „Islamischen Calvinismus“ Der Begriff „Calvinismus“ hat hier nichts mit einem religiösen Unterbau zu tun, sondern es wird eine Verwandtschaft zwischen einer neuen Fleißorientierung der Gesellschaft und der Calvinistischen Strömung im christlichen Europa angedeutet. Im letzten Jahrzehnt wurden trotz noch bestehender Demokratiedefizite erwähnenswerte Reformen und Fortschritte auf der politischen und sozio-ökonomischen Ebene unter der Führung der islamischkonservativen AKP erzielt (vgl. Arch+ Nr. 99). Ein Bericht der European Stability Initiative (ESI, 2005) dokumentiert den wirtschaftlichen Erfolg und die Kompatibilität des Kapitalismus mit dem Islam und hat dafür den Begriff „Islamischer Calvinismus“ eingeführt. Diese wirtschaftliche Entwicklung förderte den Umbruch und Aufstieg einer neuen islamischen Bourgeoisie und brachte eine Machtverschiebung von der alteingesessenen, säkularisierten, autoritären Elite hin zum neuen Establishment, ausgelöst durch die Etablierung des „Islamischen Calvinismus“, die wiederum der Wirtschaftsöffnungspolitik der 1980er Jahre zuzuordnen ist (vgl. Ertem, 2012). Diese emporkom345 menden Kräfte schlossen ein gesellschaftspolitisches Bündnis, das eine entscheidende Rolle bei der tiefgreifenden Reformierung der Stadtplanung und ihrer Durchsetzung übernahm. hof Sütlüce statt, der zum Kongresszentrum umgewandelt wurde. Ein weiteres, typisches Beispiel ist die Konversion von Fabrikgelände, unter anderem Cibali Tütün Fabrikasι zu Flächen für den Ausbau von Universitäten. Das aktuelle Stadterneuerungsprogramm Zu weiteren wichtigen Strategien der Stadtentwicklung der Regierung gehört der Immobilienverkauf an Ausländer, die durch die Revision des Grundbuchgesetzes Nr.  2644 ermöglicht wurde. Neben den geänderten Gesetzen, die den Weg für internationale Investoren im Bausektor ebneten, spielt auch die Privatisierung der staatlichen Grundstücke eine erhebliche Rolle bei der Transformation der Metropole. Bei der Wende der Stadtumbaupolitik von einer „Self Service City-Urbanisierung“ durch Landbesetzer (vgl. Esen, 2005) zu einer staatlich stark kontrollierten Stadtplanung wurden insbesondere stadtpolitische Rahmenbedingungen radikal verändert. Im Rahmen der Umstrukturierung der Stadtumbaupolitik wurden zunächst nacheinander diverse Stadterneuerungsgesetze zur Erleichterung der Umsetzung des Vorhabens verabschiedet, die unter anderem den landesweiten Abriss von geschätzt sieben Mio. und in der Metropolregion Istanbul von einer Mio. Wohnanlagen bedeutet, soweit Gebäude oder Gebäudeteile nicht saniert werden können (vgl. T. C. Çevre ve Şehircilik Bakanlιğι, 2013b). Diese Neuausrichtung führte vor allem zur Beendigung der staatlich geduldeten Gecekonduisierung, indem eine fast 70-jährige nicht vorgeschriebene „Stadtbaukultur“ (çarpιk kentleşme), ein städtebaulicher Wildwuchs, ein Ende fand. Der skizzierte radikale Kurswechsel der Ausbaupolitik von einer kleinräumigen und meist nachträglich legalisierten Bebauung zu einer umfassenden, geplanten Stadterneuerung brachte ehrgeizige Stadterneuerungs- und Infrastrukturprojekte (vgl. Kentges, 2010-2023) mit sich, die sich über das ganze Land und die Metropole selbst erstrecken. Von dieser spektakulären Stadtsanierung sind die peripher gelegenen Gecekondu- sowie historisch gewachsene, nachverdichtete Innenstadtbereiche betroffen. Im Rahmen dieses Aufschwungs und des Wachstums werden auch Entlastungsstädte geplant, die aber im Weiteren nicht mehr beleuchtet werden. Darüber hinaus finden auch Umbaumaßnahmen auf Konversionsflächen, wie z. B. dem städtischen Schlacht346 In dem Prozess der Stadterneuerung sind grundsätzlich die folgenden Gesetze, die für einen umfassenden Stadtumbau nötig sind, entscheidend: Das Gesetz Nr. 5366 Yιpranan Kent Dokularιnιn Yenilenerek Korunmasι Yaşatιlarak Kullanιlmasι (Gesetz zur Prävention des Verfalls von historischen und kulturellen Liegenschaften durch Instandsetzung und Um-/Wiedernutzung, Juni 2005) konzentriert sich auf die Restaurierung historischer Stadtviertel. Es räumt dabei den poltischen Entscheidungsträgern weitreichende Kompetenzen ein, die neben der Bestimmung der Gebiete mit historischer Bausubstanz auch die Anweisung für die Vorbereitung und Durchführung der Projekte und die Enteignungsmöglichkeiten betreffen. Derzeit wird nach dem Gesetz Nr. 5366 in verschiedenen Stadtteilen die Umsetzung der Stadterneuerung vorangetrieben. Als herausragendes Beispiel ist das Pilotprojekt Tarlabaşι anzusehen, das im Folgenden genauerer vorgestellt wird. Nachdem die auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 5366 geplanten Projekte, wie Sulukule im Bezirk Fatih (2007) und Tarlabaşι im Stadtteil Beyoğlu, auf Widerstand stießen und im Umfeld der Fachpolitiker heftige Diskussionen auslösten, wurde im Mai 2012 das Gesetz Nr. 6306 Afet Riski Altιndaki Alanlarιn Dönüstürülmesi (Urbaner Wandel in katastrophengefährdeten Gebieten) Absatz 15, 16 zur Legitimierung der neuen Strategien erlassen. Dieses Stadterneuerungsgesetz Nr. 6306 (Kentsel Dönüşüm Kanunu) sieht im Fall einer Deklarierung als Katastrophengebiet unabhängig vom kulturhistorischen Wert einen Totalabriss durch das Ministerium für Umwelt und Städtebau (Cevre ve Sehircilik Bakanligi) vor. Dabei haben die jeweiligen Kommunen auf Grund ihrer lokalen Kenntnisse ein Vorschlagsrecht dahingehend, wann ein Gebiet zu einem Katastrophengebiet erklärt werden sollte. Die endgültige Entscheidung hat das Ministerium für Umwelt und Städtebau, indem es sich auf das neue Stadterneuerungsgesetz berufen kann (vgl. T. C. Çevre ve Şehircilik Bakanlιğι, 2013b). Grundsätzlich werden bei der Umwandlung der Quartiere je nach Lage des Umwandlungsgebietes unterschiedliche Strategien im Umgang mit der Bevölkerung in Istanbul angewendet, abhängig davon, ob es sich dabei um ein ökonomisch wertvolles oder um ein eher randständiges Entwicklungsgebiet handelt. Dieses Entwicklungspotential entscheidet darüber, ob die Bewohner, besonders diejenigen, die keine Eigentumsansprüche besitzen, im jeweiligen Quartier bleiben können oder verdrängt werden. Ein Pilotprojekt am Beispiel TarlabaşιBeyoğlu Im Folgenden wird auf das Pilotprojekt Tarlabaşι Yenileniyor (Tarlabaşι wird erneuert) – ein historisches Quartier im Bezirk Beyoğlu – eingegangen. Da das Pilotprojekt für das Programm Kentsel Dönüşüm als Lokomotive des Umwandlungsprozesses gilt, das auch das erste nationale Public-Private-Partnership (PPP) (vgl. CALIK, 2012) darstellt, werden an ihm in besonders eindrücklicher Weise die strategischen Veränderungen und Neuerungen des Programms sichtbar (Abb.1). Abb. 1 Ausschnitt aus dem Bauplakat, das einen Teil des aufgewerteten Quartiers darstellt (Foto: S. Şahin) Der historische Bezirk Beyoğlu aus dem 13. Jahrhundert mit 45 Stadtquartieren befindet sich auf der europäischen Seite Istanbuls, nördlich des Goldenen Horns. Mit einer Fläche von 8.76 km² wird Beyoğlu aktuell von 250.000 Menschen bewohnt, während jedoch die Zahl der Stadtteilbenutzer (z. B. Pendler und Touristen) sowohl tagsüber als auch nachts auf einige Millionen ansteigt. Das Quartier Tarlabaşι, in dem sich das Pilotprojekt befindet, liegt im nördlichen Teil von Beyoğlu und ordnet sich südwestlich des zentral gelegenen bekannten TaksimPlatzes ein. Dieses wird durch die seit 1986 vom eigentlichen Beyoğlu getrennte achtspurige innerstädtische Durchfahrtstraße Tarlabaşι Bulvarι erschlossen. Das war ein folgenschweres Ereignis, denn es führte zum Verfall des gewachsenen Quartiers und löste eine soziale Segregation aus, die zu dieser Zeit durch den Abriss von 386 Gebäuden, darunter 167 denkmalgeschützte, gefördert worden war (vgl. Sönmez, 2007). Ausgangssituation Die Gründung des Viertels Tarlabaşι von armenischen, griechischen und türkischen Architekten des osmanischen Reiches entworfen, geht auf das Jahr 1535 zurück. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Quartier nach einem großen Brand neu geplant (vgl. Karabaş, 2008). Es wurde als europä347 ische Stadtplanung in levantinischer Bauart angelegt, in dem meist Bürger der griechischen, armenischen und jüdischen Mittelschicht wie Künstler, Händler und Handwerker wohnten. Der Vertrag von Lausanne 1923, der einen Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei vorsah und der die nationalistische Ideologie der jungen Republik schürte, führte in den folgenden Jahren nach und nach zu einer Schrumpfung der Einwohnerzahl der ethnischen Minderheit Istanbuls und besonders der Quartiere, die überwiegend von religiösen Minderheiten bewohnt waren. Eines der besonders betroffenen Quartiere war Gayrimüslimler Mahallesi (Nichtmuslimisches Quartier) - Tarlabaşι. Am 6. und 7. September 1955 gipfelte schließlich die Verfolgung der nicht-muslimischen Mitbürger in einem von der Regierung gelenkten Pogrom, der zu ihrer weitgehenden Vertreibung führte. Schließlich verwaiste das Gayrimüslimler Mahallesi durch die durch „ethnische Spannungen“ hervorgerufene Zypernkrise in den siebziger Jahren zusehends (Dincer, Enlil, 2002, Aksoy, 2008, Edgü, 2000). Durch die Vertreibung der armenischen und griechischen Einwohner standen Wohnungen sowie Häuser leer, die keinem Eigentumsrecht oder anderen Vorschriften unterlagen. Die ungünstige Lage des dem Bosporus abgewandten Quartiers war den Investoren und damit der Oberschicht lange Jahre nicht attraktiv genug. So siedelten in den folgenden Jahren Migranten aus dem Osten der Türkei, wie Kurden auf der Flucht vor dem türkisch-kurdischen Bürgerkrieg, Roma, Flüchtlinge aus zahlreichen afrikanischen Ländern, aus dem Iran, aus Afghanistan und dem Irak, aber auch Prostituierte, Transvestiten und Transsexuelle in diesem verwaisten Viertel (vgl. Mutluer, 2011). Die zurückgelassenen Häuser der Nichtmuslime wurden von den Neuankömmlingen illegal besetzt, bewohnt oder auch schwarz vermietet. Die für diese Zeit übliche illegale 348 innerstädtische Verdichtung sowie die Aufstockung der Gebäude trug, wie auch im gesamten Stadtgebiet, dazu bei, dass die historische Substanz zum Teil zerstört wurde. Im Laufe der folgenden Jahre kam es einerseits durch die eben erwähnten Faktoren, andererseits durch die Gleichgültigkeit der damaligen Administration, aber auch durch die strengen Vorschriften des Denkmalschutzes in den 1980er Jahren zu einem anhaltenden Prozess des flächendeckenden Verfalls. Gegenwärtig findet man in diesem heruntergekommenen und mit einer hohen Kriminalitätsrate belasteten Viertel verwahrloste Gebäude, die von den oben erwähnten „Randgruppen“ bewohnt werden, oder auch leerstehende Gebäude vor. Dieses in der Tat stigmatisierte, innerstädtische Viertel wird in den Medien als „unbetretbarer Istanbuler Hinterhof“ bezeichnet, was gleichzeitig von der Stadtverwaltung als Argument für eine durchgreifende Sanierung des Gebiets zu einem lebenswerten, d. h. sicheren und lebendigen Quartier genutzt wird. Vorbereitung und Rahmenbedingungen Vorausgegangen waren völlig unzureichende Versuche der Eigentümer, die Lebensqualität des Quartiers trotz der hohen Auflagen des Denkmalschutzes zu verbessern. Weiterhin wird dieses Scheitern von Seiten der Verwaltung darauf zurückgeführt, dass es aufgrund des kleinteiligen Besitzes der Eigentümer nicht möglich gewesen sei, ein so großes Areal einvernehmlich und kostengünstig zu sanieren. „Eine gemeinsame vernetzte Lösung“ (Demircan) wäre notwendig gewesen, um das Vorhaben realisieren zu können (vgl. Karabaş, 2008). Erst das Gesetz Nr. 5366, auch BeyoğluGesetz genannt, beseitigte die Hindernisse, die wegen der strengen Denkmalschutzauflagen für das vernachlässigte Quartier bestanden, indem es den staatlichen und kommunalen Entscheidungsträgern übergeordnete Rechte und neue Handlungs- spielräume einräumte. So wurde es möglich, nach einer öffentlichen Ausschreibung des Bezirkes Beyoğlu am 16. März 2007 die Projektentwicklung und Realisierung auf der Grundlage dieses Gesetzes am 4. April 2007 an das Bauunternehmen GAP-İnşaat (Güney Anadolu Projesi), einem Subunternehmen der CALIK-Holding, zu vergeben (Karabaş, 2008). Auffallend ist hier die kurze Zeitspanne von ca. 20 Tagen, die zwischen der Ausschreibung auf kommunaler Ebene und dem Zuschlag an GAP-İnşaat lag. Der wesentliche Grund für die Vergabe an GAPİnşaat war, dass es nach Fertigstellung des Großprojektes den Grundstückseigentümern die beste finanzielle Beteiligung angeboten hatte. So wurde zwischen den Eigentümern von GAP-İnşaat ein Beteiligungsverhältnis von 42 % zu 58 % vereinbart (vgl. Aksoy, 2008, İslam, 2009a). Da GAP-İnşaat lediglich als Projektentwickler bzw. Bauleiter fungiert, wird das Unternehmen seine Anteile schrittweise während der Bauphase und nach Fertigstellung der Bauarbeiten vermutlich mit großem Gewinn verkaufen, so dass sich sein Anteil im Laufe der Zeit erheblich verringert. Am Umstrukturierungsprozess beteiligte Hauptakteure sind neben GAP-İnşaat, die Istanbuler Großstadtkommune (İstanbul Büyükşehir Belediyesi, İBB), die Lokalverwaltung Beyoğlu (Beyoğlu Belediyesi) sowie das Amt für Denkmalschutz (Istanbul Kültür ve Tabiat Varlıklarını Koruma Bölge Kurulu Müdürlüğü) zu nennen. Es fließen hauptsächlich finanzielle Investitionen von Seiten der öffentlichen Hand und der privatwirtschaftlichen Akteure wie CALIK Holding in die Erneuerung des Sanierungsgebietes, wobei die Projektentwicklung und Projektrealisierung der Lokalverwaltung Beyoğlu, der GAP-İnşaat und sieben, von diesem beauftragten externen Architekturbüros obliegt. Die Fertigstellung des PPP-Projektes, deren Finanzierung sich auf ca. 500 Mio. US-Dollar (vgl. Beyoğlu Belediyesi, 2013) beläuft, ist voraussichtlich für 2017 geplant. Abb. 2 Luftbild des Pilotprojektgebiets (Quelle: Beyoglu Municipality: Tarlabasi Renewal Area, 2009) Bestandssituation Das Pilotprojektgebiet umfasst eine Fläche von 20.000 m² (Abb.2), die Teile der Wohnquartiere Bülbül, Çukur und Şehit Muhtar betreffen und die etwa 4 % der Gesamtfläche von Tarlabaşι (30 ha) ausmachen. Die von der Umwandlung betroffene Einwohnerzahl liegt bei 5.000 im Verhältnis zu 30.000 Einwohnern von Tarlabaşι insgesamt (vgl. Şahin, Cağlayan, 2006). Der Baubestand in diesen Wohnquartieren beläuft sich auf insgesamt 278 Gebäude, darunter 210 denkmalgeschützte, die in neun Blöcke (360, 361, 362, 363, 385, 386, 387, 593, 594) unterteilt sind (Abb.3). Der hohe Leerstand in diesem Bauabschnitt mit über 40 % sowie die Leerstände und brachliegenden Grundstücke waren für die Auswahl des Pilotprojektgebietes ausschlaggebend (vgl. Karabaş, 2008). Stadtmorphologisch gesehen findet man im Entwicklungsgebiet enge, verwinkelte Gassen mit einer labyrinthartigen Wegeführung vor, die teils ansteigen, teils fallen. Als einzige öffentliche Einrichtung gelten die nur etwa sechs Meter breiten Straßen, auf denen das gesamte öffentliche Leben stattfindet. Die Straßen bilden deshalb die wich349 Abb. 3 Darstellung aus der ursprünglichen kleinteiligen Bebauungsstruktur (Quelle: GAP İnşaat, 2009) tigste Begegnungstätte für die Bewohner des Quartiers und fördern so den Zusammenhalt und das Heimatgefühl dieser Menschen auf der lokalen Ebene. Zwei Kirchen, ein armenisches Kloster und eine Moschee prägen die ethnisch-religiöse Vielfalt und das kulturelle Leben des Quartiers. Vor der Sanierung besaß das geplante Areal eine kleinteilige Gebäudestruktur mit meist drei- bis fünfgeschossigen Erkerhäusern aus Ziegelmauerwerk (Abb. 4 u. 5). In den Jahren des Bevölkerungsaustausches um 1950 wurden die illegal besetzten Häuser ohne Genehmigung bis auf acht Geschosse aufgestockt. Die brachliegenden Grundstücke wurden meist illegal bebaut. Auch die ursprünglichen Innenhöfe, in denen sich kleine Gärten für die Wohngemeinschaften befanden, blieben vor der Verdichtung nicht verschont. Charakteristisch für das Straßenbild sind außerdem die Rücksprünge im Erdgeschoss und die Balkone im ersten Obergeschoss, die teilweise als filigran gestaltete Stahlkonstruktionen ausgeführt waren. In den meisten Fällen konzentrierte sich die 350 gewerbliche Nutzung auf die Erdgeschosse. Sie bestand z. B. aus Einzelhandel, Gaststätten, Produktionsstätten und illegalen Bordellen (Sakızoğlu, 2007). Bei vielen dieser 40 bis 100 m² großen Wohnungen der historischen Häuser lagen die Küchen im Erdgeschoss mit direktem Zugang zur Straße. Im Obergeschoss befand sich ein Schlafzimmer mit Wandschrank und einem integrierten Bad. Die noch brachliegenden Bereiche wurden als Mülldeponien genutzt. Planung Der Raumplan für das Sanierungsgebiet sieht eine Mischnutzung von etwa 52 % Luxuswohnungen, 14 % Büroflächen, 17 % sog. Boutique Hotels, 12 % Gewerbeflächen sowie einem Einkaufszentrum und Cafés vor (vgl. Karabaş, 2008). Obwohl etwa 210 Häuser, das entspricht 77 % aller Gebäude des Sanierungsgebiets, unter Denkmalschutz stehen, werden bei 188 Gebäuden die Frontansichten, soweit sie von historischer Bedeutung sind, mit den modernen Baukörpern verbunden. Gebäudefronten, die nicht unter Abb. 5 Straßenansicht in Tarlabaşι (Foto: Ali Öz) Abb. 4 Straßenansicht in Tarlabaşι (Foto: S. Şahin) den Denkmalschutz fallen, werden in Anlehnung an das historische Vorbild gestaltet. Über den Umgang mit den restlichen 20 ebenfalls denkmalgeschützten Gebäuden liegen nach eigenen Recherchen widersprüchliche Informationen vor. So werden diese nach den Aussagen der Projektleitung mit der Begründung, nicht rechtskräftig geschützt zu sein, wie der restliche Baubestand behandelt, der nicht unter Denkmalschutz steht. Unter anderem gilt das auch für nicht genehmigte Anbauten. Diese Bausubstanz soll vollständig abgerissen und durch moderne Neubauten, teilweise historisierend, ersetzt werden (Karabaş, 2008, Çakιroğlu, 2007). Über die beiden verbliebenen vermutlich denkmalgeschützten Häuser gibt es keine Informationen. Die oben erwähnten neun Blöcke sollen erhalten werden. Die ursprünglich kleinteiligen Gebäude sollen zu groß strukturierten Einheiten innerhalb des Sanierungsgebiets zusammengefasst werden. Sie sollen in mehreren Gruppen zusammengelegt und als Block renoviert werden (Abb.6), so dass die kleinteiligen, historischen Fassaden wie Applikationen wirken und die einst unregelmäßigen Gebäudehöhen von modernen Balkoneinbauten und einer Kette darüberliegender, kantiger Gauben, alles auf gleicher Höhe, hart gegen den Himmel abgegrenzt sein sollen. Die Erdgeschosse an den Rückseiten dieses Ensembles sollen wieder gewerblich genutzt werden. Die darüberliegenden Wohneinheiten liegen nun auf einer Etage und sollen eine Grundfläche von 40 bis100 m² haben. Dagegen sollen in den vorderen Blöcken, die auch die lukrative Seite der Grundstücke bilden, Gewerbe, Tourismus und Kultur untergebracht werden. Die vorhandene Wegenetzstruktur sowie die Baufluchtlinien als auch die vorhandenen Straßenbreiten sollen erhalten bleiben (Karabaş, Çakιroğlu, 2007). Dazu sollen die anfänglichen Höhen der Gebäude optimiert werden, so dass die drei- bis achtgeschossigen Häuser auf fünf Geschosse begrenzt werden, um einem historisch verbreiteten Gebäudetypus zu folgen. Zur erhöhten Sicherheit der Bewohner und der Verkehrserschließung sollen die Gebäude nicht mehr zur Tarlabaşι Bulvari erschlossen werden, sondern über die geplanten Innenhöfe. Das Ensemble soll Freiflächen und auch öffentliche Einrichtungen wie moderne Parks und Spielplätze beherbergen, die allerdings nur für die Anwohner des Quartiers zugänglich sein sollen. In diesem, in sich abgeschlossenem Sanierungsprojekt sind zweigeschossige Tiefgaragen für die Anlieger und Nutzer von Dienstleistungen vorgesehen (Çakιroğlu, 2007). Verfahren/ Prozess Bereits im Jahr 1993 wurde Tarlabaşι zu einem Sanierungsgebiet mit historischer Bausubstanz erklärt (Aksoy, 2008), aber 351 Abb. 6 Darstellung des neu geplanten Areals in großstrukturierten Baueinheiten (Quelle: GAP İnşaat, 2009) erst im Jahr 2006 ermöglichte die neue Gesetzeslage die Deklarierung des Quartiers Tarlabaşι zum Sanierungsgebiet. Sowohl durch die Einwände des Amtes für Denkmalschutz gegen das Sanierungsvorhaben als auch aufgrund andauernder Konflikte einiger Anwohner des Viertels und lokaler Autoritäten verlängerte sich die Vorlaufzeit bis zur Umsetzung des Vorhabens um sieben Jahre. Die Offenlegung der Pläne des Pilotprojektes erfolgte vom 22. Mai bis zum 22. Juni 2008, um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, Kritik und Anmerkungen vorzutragen und um gegebenenfalls Änderungen zu erreichen. Durch die Bekanntmachung der Pläne wurde die Öffentlichkeit auch über die Eingriffe in den historischen Baubestand und die Rolle des Denkmalschutzes bei der Planung informiert. Hiermit war die Stadtverwaltung zwar ihren juristischen Verpflichtungen nachgekommen, aber es fragt sich, inwiefern die Bürgereinwände berücksichtigt wurden und ob das Stadtplanungsamt wirklich bereit war, die Bürger über das wahre Ausmaß und die Folgen des Vorhabens zu unterrichten. Deshalb 352 kann man vermuten, dass keine ernst zu nehmende Bürgerbeteiligung stattfand, die alle Betroffenen einschloss. Es wurden vielmehr von Seiten der zuständigen Kommune Beyoğlu unter der Anleitung des Bürgermeisters Demircan in Zusammenarbeit mit dem Großinvestor GAB-İnşaat Informationsveranstaltungen unter dem Begriff workshop über das Sanierungsvorhaben abgehalten. Die Inhalte dieser Veranstaltungen begrenzten sich allerdings auf das finanzielle Abkommen zwischen den Trägern, in diesem Fall den Alteigentümern, der zuständigen Kommune Beyoğlu und Investment GABİnşaat. Angesichts der Tatsache, dass nach der Sanierung des innerstädtischen Quartiers die Immobilienpreise und der Mietzins erheblich ansteigen werden, wurden die bisherigen Mieter, die am meisten von den bevorstehenden Maßnahmen betroffen sind, gänzlich von einer Mitsprache ausgeschlossen. Parallel zur mehrmaligen formellen Präsentation des Sanierungskonzeptes für das heruntergekommene Viertel gründeten die Bewohner des Quartiers in der Zeit zwischen 2006 und 2007 die Bürgerinitiative Tarlabaşι Toplum Merkezi (TTM) (Tarlabaşι Community Center) unter der Trägerschaft der Bilgi Universität. In der berechtigten Annahme einer drohenden Verdrängung reichte die Nachbarschaftsinitiative, die zum Schutz und zur Verteidigung der Eigentümer sowie der Mieter gegründet worden war, eine Klage gegen die Zwangsenteignung und Zwangsräumung beim Europäischen Gerichtshof ein. Der Umfang des Sanierungsprojektes und seine Auswirkungen auf die Sozialstruktur des Plangebietes hat so bewirkt, dass das Projekt über die Grenzen der Türkei bekannt wurde und im Jahre 2010 in Istanbul ein europäischer workshop (Istanbul, Berlin und Wien) mit interdisziplinären Forschergruppen, wie Architekten, Künstlern, Politikern, Soziologen, Stadtgeografen und Ökonomen veranstaltet wurde. Im Jahre 2006 wurden internationale Immobilienexperten von der Kommune mit der Kosteneinschätzung des Marktwertes der Immobilen beauftragt, die daraufhin die Marktpreise festsetzten. Wo sich Eigentümer, lokale Kommune und GAP-İnşaat über einen angemessen Preis nicht einigen konnten, kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind (Karabaş, 2008). Bei den Verhandlungen des Projektanteils zwischen der Kommune und den Eigentümern wurden drei Optionen vorgeschlagen: 1. Überlassung der Immobilie, d. h. das Eigentum wird zunächst ohne Gegenleistung an den Entwickler übergeben. Nach Fertigstellung der Maßnahme erhält der ursprüngliche Eigentümer ca. 42 % des neuen Marktwertes der Wohnung, des Ladens oder des Lokals (İslam, 2009a, Aksoy, 2008). Der Eigentümer kann sich ein Vorkaufsrecht für die verbliebenen 58 % sichern. 2. Verkauf der Immobilie, d. h. die Immobilie kann zum Marktpreis an die Investoren verkauft werden. 3. Im Falle einer Nichteinigung tre- ten das „Urbane Transformationsgesetz“ Nr. 5366 und das Gesetz Nr. 6306 „Gesetz zur Umwandlung katastrophengefährdeter Gebiete“ in Kraft. D. h. es kommt zur Enteignung aufgrund eines übergeordneten städtebauliche Interesses (Nr. 5366) bzw. es wird auf ein öffentliches Interesse an einer Gefahrenabwehr hingewiesen (Nr. 6306). Der Eigentümer wird für den Verlust seines Eigentums entschädigt. Aufgrund der folgenden Bedingungen wird den Mietern gekündigt: Falls sie über die finanziellen Mittel verfügen, können sie eine Wohnung im Sanierungsgebiet kaufen. Falls sie diese Mittel aber nicht aufbringen können, steht ihnen ein kostenloses Wohnrecht in ihrer alten Wohnung für ein Jahr zu, damit sie die Möglichkeit haben, sich eine neue Wohnung zu suchen, wobei die Umsiedler ihren neuen Wohnort selbst wählen können. Sie haben aber auch ein Anrecht auf eine Wohnung der von TOKİ vorgeschlagenen Alternativen im Kayabaşι-Projekt im Stadtteil Küçükçekmece, im ungünstigsten Fall ca. 30 km von ihrem ursprünglichen Wohnort entfernt. Anders verhält es sich bei den Eigentümern: Haben sie sich mit dem Bauentwickler über ein gesplittetes Eigentumsverhältnis geeinigt, übernimmt der Bauentwickler bei Rückzug des nun Miteigentümers für die Zeit der Baumaßnahme die anfallenden Kosten, die durch Wohnungssuche, Umzug, Miete und Mietverluste im Sanierungsgebiet entstehen. Bei einem Totalverkauf entstehen natürlich keine weiteren Verbindlichkeiten (Karabaş, 2008). Umsetzung Bereits Ende 2012 wurde mit dem Abriss der Blöcke 360 und 361 begonnen, obwohl eine Abrissgenehmigung erst wesentlich später – vermutlich März 2013 – vorlag. Allerdings wirft diese Vorgehensweise Fragen auf: Traf Gefahr im Verzug zu oder wollte man vollendete Tatsachen schaffen? Diese Blöcke 353 werden voraussichtlich im Jahr 2015 fertig gestellt sein (Abb. 7). Bewertung Retrospektiv betrachtet erlebt der Stadtteil Beyoğlu, welcher in den 1980er Jahren seinen CBD-Status (Stini, 2011) verlor, insofern einen Aufschwung, als mit dem aufwertungsorientierten Stadtumbau in den Stadtquartieren Okmeydani bis Kasιmpaşa, Galata, Cihangir Talimhane die durchschnittlichen Immobilienpreise stiegen und weiterhin steigen werden und inzwischen zu den teuersten der Metropole gehören. Als treibender Motor dieser Aufwertung wird Bürgermeister Demircan (AKP) gesehen. Zu den wichtigsten Strategien seiner Aufbaumaßnahmen gehört es sicherlich, mit Großunternehmen die jahrelang vernachlässigten Viertel als PPP-Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Die Umwandlung im historischen Tarlabaşι, die bereits internationales Aufsehen erregt hat, stößt wegen der zu erwartenden radikalen Aufwertung und ihrer sozialen Folgen in Fachkreisen auf heftige Kritik. Ansonsten wird die Intention des zuständigen Bürgermeisters, Tarlabaşι in die „Champs-Elysées“ der Stadt zu verwandeln und für „alle“ ein sicheres Quartier zu schaffen, überwiegend begrüßt, da im kollektiven Istanbuler Bewusstsein das Viertel Tarlabaşι als städtisches „Texas“ angesehen wird und der Verfall des Viertels diesen Prozess auch notwendig macht. Die kritische Frage bei diesem Prozess ist, inwieweit das Projekt die Einwohner des Quartiers mit einschließt, so dass die bestehende Sozialstruktur erhalten bleibt. Da das Transformationsgesetz Nr. 5366 nur für Eigentümer das alte Eigentumsrecht mit Einschränkungen garantiert (Çakιroğlu, 2007), doch die Zusammensetzung der Bewohner nur zu ca. 10 % aus Eigentümern und zu ca. 71 % aus Mietern besteht, wobei sogar ein Teil der Eigentümer 354 Abb. 7 Abriss im ersten Bauabschnitt (Foto: Ali Öz) außerhalb des Quartiers lebt (Karabaş, 2008, Aksoy, 2008), haben ca. 90 % keine Möglichkeiten, im aufgewerteten Quartier zu bleiben. Folglich werden bei diesen aufwertungsbezogenen, sozialräumlichen sowie sozio-ökonomischen Absichten die Interessen der Mieter, die ja die absolute Mehrheit stellen, ausgeklammert. Diese große Mehrheit, die sich nicht nur aus Mietern, sondern auch aus Nicht-Gemeldeten zusammensetzt und von denen 66 % ohne soziale Absicherung Tätigkeiten ausüben (Karabaş, 2008), war und ist gezwungen, das Quartier zu verlassen und sich dort eine Bleibe zu suchen, wo der Mietzins für sie noch erschwinglich ist. Ungeachtet der soeben dargestellten ungünstigen negativen Konsequenzen, wird dieses Pilotprojekt als „sozial“ deklariert und soll weitgehend als ein Modell für Sanierungsmaßnahmen für das gesamte Tarlabaşι gesehen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden auch andere Projekte in diesem Viertel angekündigt, indem von der Verwaltung angedeutet wird: „Wenn Tarlabaşι aufgrund seiner zentralen Lage erneuert wird, wird diese Veränderung auf das ganze Viertel abfärben.“ (Demircan) Als besonders kritisch anzusehen ist dann die Dimension eines solchen Stadterneuerungsprozesses, bei dem es um eine Gesamtfläche von 30 ha (im Vergleich zu 4 ha) geht und dessen Bewohner den gleichen Verdrängungsprozess durchmachen müssten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Aufwertung in dem als beson- ders entwicklungsfähig definierten Gebiet Tarlabaşι Exklusion und Gentrifizierung als einschneidende Konsequenz für die lokale Bevölkerung einhergehen und dadurch die Polarisierung der städtischen Gesellschaft gefördert wird. In Folge dessen ist an der Sozialverträglichkeit einer solchen Stadterneuerung, die in die soziokulturelle Struktur tief eingreift, zu zweifeln: „Städte müssen sich verändern, dies ist wichtig. Allerdings müssen sie sich mit ihrer Bevölkerung verändern. Wenn eine Umwandlung stattfindet, dann sollte das Recht auf Rückkehr ein Kernpunkt der Sanierungsmaßnahme sein (… ).“ (Harvey, 2012; Ü. S. Şahin) Der Anthropologe Harvey führt weiter aus, dass eine Segregation der Bevölkerung, wie sie im Fall Tarlabaşι erfolgt, zu keiner Lösung der sozialen Probleme einer Großstadt, sondern nur zu einer Verlagerung des Problems auf einen größeren Radius führt (Harvey 2012). Das Dilemma bei der Aufwertung der innerstädtischen Quartiere ist, dass man gegen den Vorgang der Verdrängung und seine Folgen juristisch nicht vorgehen kann, da der Widerstand an Gesetzeslücken, den finanziellen Mitteln und der Unkenntnis der Betroffenen scheitern wird. Rollentausch Die Ursachen der städtischen Transformationsprozesse in der Metropole nach Gründung der Republik sind keineswegs separat zu sehen, da sie untereinander in Wechselwirkung stehen. In den Gründerjahren konnte die Entwicklung der Stadt Istanbul durch die ideologischen Hemmnisse und auch fehlende Finanzmittel nur eingeschränkt stattfinden. Da Atatürk diese kulturell vielschichtige Stadt als Modell für einen türkischen Nationalstaat für ungeeignet hielt, wurde Ankara für einen Neubeginn als besser geeignet angesehen und finanziell besonders gefördert (Kara, 2006). In den 1950er Jahren konnte, ausgehend von dem sich wandelnden Kontext (Altrock u. a., 2011), d. h. des Wechsels des Konsumstandorts zum Produktionsstandort und der damit einhergehenden rapiden Bevölkerungszunahme, die damalige Administration Istanbuls dem Bau von Wohnungen für die Zuwanderer nicht mehr Herr werden. In diese Phase fällt der Beginn der „informellen Stadtproduktion mit Gecekondus“ (Esen, 2005), was bis in die 2000er Jahre anhielt. Im Grunde genommen wurde Stadterweiterung durch eine eigenständige Strategie der Zuwanderer – bis auf wenige Ausnahmen – gemanagt. Der gegenwärtige Paradigmenwechsel in der Stadtumbaupolitik Istanbuls ist sicherlich auch als Reaktion auf das neue neoliberale Wirtschaftsverständnis zurückzuführen, das mit der Ideologie des Premierministers, die Metropole zu einem internationalen Wirtschaftszentrum zu machen, verbunden ist. Insofern befindet sich die Stadt wieder vor einem Wendepunkt, in dem es um den Wandel von einem Produktions- zu einem Konsum- und Dienstleistungsstandort geht. Mit Blick auf den 100. Jahrestag der Gründung der Republik im Jahr 2023 beabsichtigen der Premierminister und seine Regierung, sich unter den zehn wirtschaftsstärksten Ländern der Welt zu etablieren, indem sie ihr Exporteinkommen auf 500 Mrd. USDollar und ihr Nationaleinkommen auf zwei Bio. US-Dollar erhöhen wollen (vgl. Deutsch Türkisches Journal, 2012). Etwa seit der Jahrtausendwende besteht eine explizite Stadtentwicklung in Istanbul, die alle Ebenen des Stadtumbaus, begünstigt durch anhaltende wirtschaftliche Erfolge und die bereits diskutierten gesetzlichen Veränderungen, erfasst. Dadurch konnten vor allem die schwach ausgebaute Infrastruktur verbessert und kulturelle Einrichtungen und besonders Großprojekte gefördert werden. Abgesehen von Nachhaltigkeitskriterien wurde in der sozialen Wohnungsbaupolitik ein Meilenstein gesetzt. Durch das soziale Wohnungsbauprogramm 355 TOKİ konnte die chronische Wohnungsnot in der Megastadt (nicht nur in Istanbul) minimiert werden. Medienberichten zufolge soll es sogar zu einem Überangebot von einer Mio. Wohnungen inklusive der Gecekondus gekommen sein. (Dünya, 2012) Allerdings steht diesem Überangebot eine hohe Abrissquote, wie oben erwähnt, gegenüber. Auch im Bereich des Denkmalschutzes ist, im Gegensatz zur Vergangenheit, die İBB-Großstadtkommune zwar bemüht das vielschichtige Kulturerbe zu erhalten, allerdings wird diese Absicht durch die Ansprüche der Kaufinteressenten (vgl. Karabaş, 2008, Çakιroğlu, 2007) und auch durch die vermutlich höheren Baukosten nur eingeschränkt umgesetzt. Als eine wichtige Maßnahme der strategisch vorangetriebenen Stadtentwicklungspolitik der seit 2003 durchgehend amtierenden Regierung kann die Erstellung des Umweltplans (Çevre Düzeni Planι 1:100.000), erstmalig im Jahr 2006, angesehen werden, welche erst im Jahre 2009 verabschiedet wurde. In diesem Stadtentwicklungsplan werden Themen wie die Nachhaltigkeitskriterien der Entwicklung, die Inwertsetzung der historischen, kulturellen und naturräumlichen Bedeutung für die Stadtregion, die Verlagerung der ökonomischen Struktur von Industrie auf Dienstleistung, verbunden mit der Dezentralisierung an der Peripherie behandelt (vgl. Mamunlu, 2009). Obgleich das Vorliegen eines Stadtentwicklungsplans schon während der Stadtumbaumaßnahmen mit Blick auf die Stadtplanungsgeschichte einen Meilenstein bedeutet, werden gegenwärtig die Kriterien des Stadtentwicklungsplans allerdings in der praktischen Umsetzung der einzelnen Stadtumbauprojekte beschränkt umgesetzt oder gar nicht beachtet. Vielmehr werden Programme und Projekte realisiert, die von der Regierung festgelegt wurden. Das wesentliche Problem der Stadtentwicklung in der Türkei bzw. in Istanbul stellt der Top-down-Ansatz der Regierung bei der 356 Umsetzung der Stadterneuerungsmaßnahmen dar. So führen alle Beobachtungen dahin, dass man bei der Umgestaltung Istanbuls nicht von einem partizipatorischen Prozess, der alle Beteiligten einschließt, sprechen kann. Am Beispiel Tarlabaşι wird ersichtlich, dass die zuständigen Entscheidungsträger unter Transparenz und Partizipation ausschließlich die Informationsvermittlung über das Vorhaben an die Bürger verstehen. Was vor 40 Jahren als Entscheidungsprozess für den Stadtumbau in den Händen der Neuankömmlinge lag (Esen, 2005), hat heute die Bürokratie der Stadt und die Regierung des Landes im Sinne einer „paternalistischen Autorität“ übernommen. Waren die Hauptakteure in der Phase der beginnenden Industrialisierung auf Yap-Satçι und Landbesetzer beschränkt, während die Regierung auf Wahlstimmen hoffend stillschweigend zusah, besteht die Konstellation der heutigen Stadtakteure aus der Regierung und den regierungsnahen Organisationen wie z. B. TOKİ, KİPTAS und den kapitalstarken Bauentwicklern. Wo früher die Regierung gegenüber dem illegalen Stadtumbau eine passive Haltung einnahm und das „gesamte Erbe der Zivilarchitektur in Istanbul innerhalb einer Generation derart demolierte, sodass es nicht mehr zu erkennen war“ (Esen, 2005), ist heute also ein Rollentausch zu beobachten. Diese oben skizzierte kritische Vorgehensweise bei der Stadtentwicklung wird in inländischen wissenschaftlichen Studien skeptisch betrachtet und stark kritisiert, findet allerdings in der großräumigen Beteiligung der Bevölkerung an den Geschehnissen keinen großen Anklang. „Der Widerstand der betroffenen Bevölkerung der Stadt [im Zusammenhang mit dem Stadtumbau] ist mit dem Summen einer Fliege zu vergleichen“, kritisiert Ugur Tanyeli, Professor für Geschichte, Architektur und Städtebau. Letzten Endes wurden und werden die Folgen dieses forcierten Umgestaltungsprozesses in ihrer Radikalität nicht erkannt und werden trotz warnender Stimmen der Fachleute weiter verstärkt. Diese oben erwähnte, zum Teil autoritäre Vorgehensweise wird durch die gering entwickelte politische Kultur von konsensualen Entscheidungsfindungsprozessen auf horizontaler sowie auf vertikaler Ebene erschwert und dadurch wird ein interdisziplinärer Diskurs blockiert. Wissenschaftlich fundierte Alternativvorschläge im Bereich nachhaltiger und umweltverträglicher Stadterneuerung als Folge einer partizipatorischen Stadtplanung werden übergangen. Nichtsdestotrotz sind sich alle – obwohl die türkische Gesellschaft in vielen Bereichen gespalten ist – bei der Instandsetzung oder Erneuerung der Gebäude einig, da die Erfahrungen mit dem Marmara-Erdbeben von 1999 und die Erwartung eines weiteren Erdbebens in naher Zukunft einen starken Handlungsdruck aufgebaut haben. Es bleibt zu hoffen, dass bei der erforderlichen, großen Transformation zukünftige umwälzende Veränderung nur durch partizipatorische Planung, die die Anforderungen aller Bewohner an eine Stadt erfüllt, stattfindet. Literatur ALTROCK, Uwe; ARING, Jürgen; HAHNE, Ulf; REUTHER, Iris (Hg.) (2011): Gewinnen Verlieren Transformieren: Die europäischen Stadtregionen in Bewegung. Berlin. AKSOY, Asu (2008): Tarlabaşι Yenileme Projesi: Küresel Istanbul’un Yeni Kent Siyaseti. 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YETER, Enis (2007): Kentsel Gelişme ve Kültür Değerleri. Ankara. Forschung und Lehre J. Alexander Schmidt Die Stadt als Herausforderung für Lehre und Forschung Masterstudiengänge an der Universität Duisburg-Essen Die Stadt als das größte von Menschen geschaffenen Gebilde ist einerseits mit Recht als die bedeutendste menschliche Kulturleistung beschrieben worden und gewinnt als Lebensraum in vielen Regionen der Welt an Attraktivität; andererseits aber hat die weltweite Urbanisierung global wie lokal gesehen zunehmend problematische Konsequenzen. Mehr als 50 % der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten – und dieser Anteil wächst rasant. Die Funktionsfähigkeit der Städte, Metropolen und Megacities bestimmt also die Lebensqualität der Mehrzahl aller Menschen. Umgekehrt prägen die Lebensstile der Bewohner und deren Ressourcenverbrauch und Umgang mit ihrer Umwelt die Städte mitsamt ihren Problemen und Chancen. Mit besonderer Dringlichkeit zeigen sich insbesondere in den Metropolen auch die zentralen Probleme und Herausforderungen heutiger und zukünftiger Gesellschaften – genannt seien hier nur Klimawandel, Energiekrise, zunehmende Mobilitätsbedürfnisse, Wandel der Arbeitsformen mit dem Ende der Industriegesellschaft, Versorgungsunsicherheit durch Rohstoffknappheit, soziale Konfliktpotentiale im Zusammenleben verschiedener Kulturen oder auch die gesundheitlichen Auswirkungen der vielerorts gefährlichen Umweltbedingungen. Städte sind als dynamische und nicht mehr unmittelbar steuerbare Systeme gekennzeichnet durch vielfältige und einander stark wechselseitig beeinflussende technologische, wirtschaftliche, ökologische, gesellschaftliche und kulturelle Anforderungen und Entwicklungen. Dass heutige Städte in vielfältiger Weise nicht nur mit ihrem direkten Umland zusammenhängen, sondern in der globalisierten Welt auch von Entwicklungen in ganz anderen Teilen der Welt beeinflusst werden, macht ein ganzheitliches Verständnis urbaner Systeme noch schwieriger. Diese Komplexität urbaner Systeme ist angemessen nur mit interdisziplinären Ansätzen zu verstehen; auch Lösungen für zentrale urbane Probleme können nicht mehr sektoral bzw. disziplinär entwickelt werden – dieses spiegelt heutzutage auch die Praxis wider, wo die interdisziplinäre Kooperation der Gesellschafts-, Kultur-, Natur- und/oder Ingenieurwissenschaften erforderlich ist. Längst wird für strategische Stadtentwicklungsplanungen, für urbane Großprojekte und ähnliche großformatig und vielschichtig angelegte urbane Planungs- und Entwicklungsinitiativen eine neue Art urbaner ExpertInnen verlangt, die in der Lage sind, komplexe urbane Zusammenhänge zu verstehen, sachgerechte Entscheidungen zu treffen und deren Umsetzung kompetent zu begleiten, indem sie etwa interdisziplinär besetzte Projektteams leiten können. Die Hochschulen haben darauf bisher sehr zögerlich reagiert: Bisher existiert bundesweit kein schlüssiges universitäres Lehrangebot im Bereich Urban Studies, das es Studierenden innerhalb eines Studienprogramms ermöglicht, Lehrinhalte aus technik- und naturwissenschaftlichen Bereichen mit kultur- und sozialwissenschaftlichen und darüber hinaus mit künstlerisch-gestalterischen Lehrinhalten auf wissenschaftlich avancierte wie praxistaugliche Weise miteinander zu kombinieren. 361 Vor diesem Hintergrund und aus dem universitären Profilschwerpunkt „Urbane Systeme“ heraus wurden an der Universität Duisburg-Essen zwei eng verknüpfte MasterStudiengänge entwickelt: Sustainable Urban Technologies mit einem ingenieurwissenschaftlichen, stadtplanerischen und städtebaulichen Schwerpunkt sowie „Urbane Kultur, Gesellschaft und Raum“ mit einem überwiegend geistes-, sozial- und bildungswissenschaftlichen Studienangebot. Hier werden Kompetenzen aus verschiedenen für das Verständnis und die zukunftsfähige Gestaltung urbaner Systeme zentralen Fachkulturen vermittelt. Damit verbunden ist vor allem auch die Kenntnis der jeweils spezifischen disziplinären codes, die für eine effektive interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Berufswelt wie in der Forschung von entscheidender Bedeutung sind. Struktur der komplementären Studiengänge Die beiden Studiengänge weisen ein distinktes fachliches Profil auf, das durch die jeweiligen Grundlagen-, Aufbau- und Vertiefungsmodule getragen wird. Zugleich gibt es erhebliche fachliche und inhaltliche Schnittmengen. Diese werden zum einen repräsentiert bzw. getragen durch die Integrationsmodule im ersten Semester: Hier stehen Einführungen in Urban Culture, Society and Space, Sustainable Urban Technologies, und Urban Planning im Vordergrund. Im zweiten Semester findet ein gemeinsames Forschungsseminar statt, in dem fachlich gemischte Gruppen von Studierenden beider Studiengänge in einem umfangreichen CBR-Lehrforschungsprojekt (Community-Based Research) unter dem Titel „Healthy City/Gesunde Stadt“ Aspekte der gesundheitsfördernden Stadtentwicklung erarbeiten. Angeleitet von Lehrenden u. a. der Bereiche Stadtplanung/Städtebau, Epidemiologie/Gesundheitswissenschaft, Sozialraumforschung, Bildungswissenschaften, Kulturwissenschaft und Mobilitätsforschung, 362 untersuchen die Studierenden in Kleingruppen beispielsweise ausgewählte Stadtquartiere entlang der Emscherzone und kombinieren dabei Daten und Methoden aus den unterschiedlichsten Quellen und Disziplinen. Das dritte Semester ist weitgehend belegt von einem dreimonatigen Praktikum bei regionalen, nationalen und internationalen Unternehmen. Es ist wichtiger Bestandteil des Studiengangs, weil hier bereits interdisziplinäre Ansätze in der Praxis erfahren werden können Die Erarbeitung der Masterarbeit im vierten Semester nimmt innerhalb des Studiums einen hohen Rang ein; hier sollen die Studierenden unter Beweis stellen, ob sie in der Lage sind, zentrale urbane Themen auf der Basis fachwissenschaftlicher Expertise mit Blick für urbane Zusammenhänge und interdisziplinäre Anschlüsse sinnvoll zu bearbeiten. Durch die Doppelgleisigkeit von fachlicher Konzentration und Vertiefung einerseits und interdisziplinärer Überschreitung und Öffnung beider Studiengänge andererseits soll der Herausforderung urbaner Komplexität in einer Weise genügt werden, die ein ausgewogenes Verhältnis von Spezialisierung und Generalisierung gewährleistet. Neben Permanenz, Dichte, Heterogenität und Zentralität zählt Komplexität zu den mit Abstand wichtigsten Merkmalen des Städtischen. Diese Komplexität berührt räumlich-geografische, gestalterische, funktionale, infrastrukturelle, kulturelle, soziale Dimensionen, die in stadtbezogener Praxis und Theorie in geeigneter Weise zusammenzubringen sind. „Geeignet“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jede disziplinäre Annäherung an den städtischen Gegenstand dessen Einbettung in urbane Komplexität und damit den interdisziplinären Zusammenhang in der Analyse in Rechnung zu stellen und entsprechend zu reflektieren hat. Vor diesem Hintergrund versteht sich die projektbezogene, integrative Ausrichtung beider Studiengänge ebenso von selbst wie ihre enge Verzahnung über gemeinsame Integrationsmodule sowie über Ergänzungsmodule, in denen sich die Studierenden wesentliche Inhalte des jeweils komplementären Studiengangs aneignen, so dass etwa die AbsolventInnen des ingenieurwissenschaftlich orientierten Studiengangs über Grundlagen der gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Stadtforschung verfügen und umgekehrt. Zentral ist dabei die individuelle Beratung der Studierenden, die je nach Vorqualifikation und beruflichen Zielsetzungen durch eigene Schwerpunktsetzungen aus einem breiten Angebot an Wahlpflichtveranstaltungen in den disziplinären wie den interdisziplinären Modulen ein individuelles Profil ausbilden. • • • • • Qualifikationsziele Über die beiden Masterstudiengänge Sustainable Urban Technologies und „Urbane Kultur, Gesellschaft und Raum“ werden international kommunikations- und handlungsfähige ExpertInnen für urbane Projekte und Entwicklungen ausgebildet. Dieses fachübergreifende Expertenprofil wird in den beiden voneinander getrennten, gleichwohl inhaltlich und fachlich integrierten Studiengängen realisiert. Dieser Dualismus begründet sich daraus, dass bei aller Notwendigkeit interdisziplinärer Qualifikation die fachlich fundierende disziplinäre Ausbildung beachtet werden muss. Gleichwohl erhalten die Studierenden beider Studiengänge über die obligatorischen „Integrationsmodule“ Einsichten über querschnittsorientierte Aspekte urbaner Herausforderungen. Sie erhalten gleichzeitig über die „interdisziplinären Ergänzungsmodule“ umfangreiche Einblicke in die jeweils anderen Fachdisziplinen und deren Inhalte und Arbeitsweisen. Zusammengefasst sind folgende wichtige Qualifikationsziele der Master-Studiengänge zu benennen: • Befähigung zur produktiven Mitwirkung in komplexen urbanen Entwicklungsvorhaben in herausgehobener Verantwortung, • Fähigkeit zur Analyse, Bewertung, Kom- • munikation und Lösung komplexer urbaner Problemlagen, interdisziplinäre Kompetenz i. S. der Fähigkeit der Aneignung, des Verstehens und der Anwendung unterschiedlicher Fachsprachen bzw. disziplinärer codes, Organisation von behördlicher und betrieblicher Querschnittskommunikation, Moderation von Kommunikations- und Entscheidungsprozessen im Rahmen formeller und informeller Planung, ingenieurwissenschaftliche bzw. geistesund gesellschaftswissenschaftliche Beratung von Personen, Unternehmen, Körperschaften etc. bei urbanen Projekten, Befähigung zur Erforschung komplexer urbaner Probleme mit natur- und ingenieurwissenschaftlichem oder geistes-, gesellschafts- bzw. bildungswissenschaftlichem Schwerpunkt, Befähigung zur interdisziplinären Kooperation in stadtbezogener Wissenschaft und/oder Praxis. Berufsfeldorientierung Die Qualifizierung für eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit erfolgt für beide Masterstudiengänge auf drei Ebenen: 1) Erwerb von Fachwissen, 2) Erwerb von interdisziplinären Kompetenzen durch die Auseinandersetzung mit zusätzlichen Fachgebieten im Rahmen von Integrations- und Ergänzungsangeboten, 3) Erwerb von Praxis-Erfahrung im Rahmen eines mehrmonatigen Praktikums. Damit sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufstätigkeit im hochkomplexen Bereich der Stadtentwicklung, des Stadtmanagements und der Stadtforschung gegeben. Im Einzelnen zielt der Studiengang Sustainable Urban Technologies auf folgende Berufsfelder: • Strategische Stadtentwicklungsplanung (incl. Flächennutzungs- und Masterplanung; dazu Themen wie integrierte En363 ergiekonzepte, integrierte Abwassernutzungskonzepte etc.), • Erneuerung und Umbau städtischer Infrastruktur- und Mobilitätssysteme, • Entwicklung und Management städtischer Großprojekte (z. B. Umnutzung altindustrieller Flächen, E-City-Entwicklung), • Stadt- und Metropolenforschung. Der Studiengang „Urbane Kultur, Gesellschaft und Raum“ fokussiert folgende Berufsfelder: • strategische Stadtentwicklungsplanung (incl. Flächennutzungs- und Masterplanung; dazu Themen wie Entwicklungscluster, kreative Milieus etc.), • Moderation und Mediation von partizipatorischen Prozessen formeller und informeller Art in der Stadtentwicklung, • City-Marketing, City-Promotion und Kulturmanagement (Imagebildung und Stärkung weicher Standortfaktoren, Management von Großereignissen), • stadtbezogene Projekt- und Entwicklungsberatung (Urban Consulting), • Stadt- und Metropolenforschung. Als weitere Kompetenzen in den Studiengängen lassen sich Wahlpflichtbereiche nennen, die in individuell festzulegenden Anteilen absolviert werden. Im Studiengang Sustainable Urban Technologies sind dies: • Entwurf im städtebaulichen Maßstab, • Bestimmung von Schadstoffen in Gewässern, • mechanische, chemische und biologische Analyseverfahren, • Anwendung logistischer Koordinationsmethoden, • Logistik-Management-Methoden, • Methoden des Abfallmanagements, • Verfahren räumlicher Kartierung und Plandarstellung, • Moderations- und Mediationstechniken (z. B. für stadtplanerische Prozesse), • Techniken zur Konzeptentwicklung von bspw. städtischen Infrastruktur- und Mobilitätssystemen. 364 Für den Studiengang „Urbane Kultur, Gesellschaft und Raum“ stehen folgende Wahlpflichtbereiche fest: • Grundlagen der urbanen Semiotik, urbane Hermeneutiken, • Methoden kontextualisierender Analyse kultureller Ausdrucksformen, • Stadtgeschichte, • Imagebildung von Städten und Regionen, Standortfaktoren, • Quartiersmanagement, • Moderations- und Mediationstechniken (z. B. für stadtplanerische Prozesse), • quantitative und qualitative Erhebungsverfahren, Anwendung statistischer Methoden, Anwendung von SPSS, • interkulturelle Kompetenzen. Ziel ist es, die Studierenden in die Lage zu versetzen, komplexe und für sie neuartige urbane Problemlagen eigenständig und kreativ in einem fachlich heterogenen Feld zu identifizieren, mit geeigneten Methoden zu beschreiben und zu analysieren und Problemlösungsstrategien zu entwerfen. Der Profilschwerpunkt „Urbane Systeme“ an der Universität Duisburg-Essen Für das zweite Studienjahr im Herbst 2012 gab es insgesamt für beide Studiengänge über 140 Bewerbungen aus über 25 Ländern. Davon wurden 40 Studierende mit einer sehr großen Bandbreite von vorangehenden Bachelorabschlüssen zugelassen: Darunter sind Journalisten, Philosophen, Kulturwirtschaftler, Sozialwissenschaftler ebenso wie Wirtschaftswissenschaftler, Geographen, Urbanisten, Stadt- und Raumplaner, Umwelt- und Bauingenieure. Das diese Zusammensetzung fruchtbare transdisziplinäre und intensive Diskussionen bereits im Studium fördert und die gesamte Stimmung im Studiengang außerordentlich bereichert, steht nach Aussagen der Lehrenden außer Frage. Die Plattform für diese Art der Lehre (und der Forschung) bietet der Profilschwer- punkt „Urbane Systeme“ der Universität Duisburg-Essen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Fakultäten – von der Medizin über die Natur- und Ingenieurwissenschaften, die Wirtschafts-, Gesellschafts- und Bildungswissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Das Institut für Stadtplanung und Städtebau übernimmt die Rolle der Querschnittsdisziplin, stellt also einerseits eine Verknüpfung zwischen vielen dieser Bereiche dar und ist mithin an etlichen der Projekte und Lehrveranstaltungen beteiligt, andererseits haben Stadtplanung und Städtebau die gestaltende Aufgabe, die vielen Einzelaspekte zu bündeln und ihnen eine Gestalt zu geben. Der Profilschwerpunkt stellt sich als eines der fachlich breitesten Stadtforschungszentren weltweit dar. Zentrale Themenfelder sind dabei die Bereiche „Infrastruktur“, „Logistik“, „Umwelt“, „Gesundheit“, „Gesellschaft, Bildung und Soziales“ sowie „Kultur“, wobei die verschiedenen Arbeitsgruppen je nach Forschungsfrage in jeweils anderen interdisziplinären Kombinationen zusammenarbeiten. Gerade an den Schnittstellen von Fachgebieten und Fakultäten, so das Ergebnis bisheriger Kooperationen, haben sich die spannendsten Fragestellungen für die Lehre und die produktivsten Forschungsansätze ergeben. Nun mag die Notwendigkeit solcher Art der Lehre und Forschung über die Grenzen von Fächern und Fachkulturen hinweg unmittelbar einleuchtend sein, sie stößt jedoch im Alltag auf erhebliche Herausforderungen: Vielfach sind schon die in verschiedenen Disziplinen üblichen Begriffe ganz andere: Wenn Mathematiker oder Ingenieure von „Komplexität“ sprechen, meinen sie damit etwas völlig anderes als Kulturwissenschaftler oder Soziologen – und wieder etwas anderes ist das Alltagsverständnis, in dem „komplex“ oft kaum mehr als „irgendwie schwierig“ bedeutet. Aber nicht nur die Begriffe, auch die Methoden und Lösungsansätze, ja selbst die Fragestellungen und Projektziele sind über die Disziplinen hinweg keineswegs immer vergleichbar. Will man einen Zusammenhang verstehen, eine Entwicklung möglichst genau vorhersagen oder ein technisches Problem lösen? Diese Hindernisse sind jedoch überwindbar; die damit mögliche gemeinsame Forschung über Disziplinengrenzen hinweg ist zur Lösung zentraler gesellschaftlicher Probleme zwingend nötig – und auch für die Kultur der Kommunikation und Kooperation innerhalb einer Universität ist diese Art der Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinweg von unschätzbarem Wert. Bei der Entwicklung der beiden Masterprogramme war es sicher auch ein Vorteil, dass dieses nicht – wie sonst üblich – in einer Architektur- und Stadtplanungsfakultät, sondern von Beginn an in einer interdisziplinären, fakultätsübergreifenden Arbeitsgruppe geschah. Dieter Hassenpflug hat aus seiner Erfahrung als Gründungsdirektor des Instituts für Europäische Urbanistik der Bauhaus Universität Weimar wesentliche Impulse geben können. Dabei konnte vor allem die Gefahr vermieden werden, sektorale Strukturen und disziplinäre Lehrmuster unkritisch weiterzuführen. Im Profilschwerpunkt „Urbane Systeme“ bewerben sich dagegen inzwischen einzelne Lehrgebiete, um bei dem interdisziplinären Studiengang mitwirken zu können. Dieses trägt dazu bei, den Studiengang für die Studierenden attraktiver und zugleich auch anwendungsorientierter zu gestalten. Inzwischen ist im Profilschwerpunkt auch das Promotionsprogramm ARUS (Advanced Research in Urban Systems) entstanden, für das aus den jährlich eingehenden ca. 50 Bewerbungen auf der Basis eines exzellenten Exposés fünf bis sieben Bewerber zur einer Promotion zugelassen werden, die vor allem durchgehend interdisziplinäre Ansätze integrieren und damit aus unterschiedlichen Fakultäten heraus betreut werden sollen. 365 Katrin Großmann, Annegret Haase, Sigrun Kabisch, Adam Bartoszek, Elzbieta Niezabytowska Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen: ein deutsch-polnisches Forschungs- und Lehrprojekt Großwohnsiedlungen in Deutschland und Polen sind Wohnstandorte für einen erheblichen Teil der Stadtbevölkerung. Die Siedlungen wurden in der sozialistischen Ära als bauliche Symbole des angestrebten neuen gesellschaftlichen Zusammenlebens und -wohnens errichtet. Sie sind heute gewachsene Stadtviertel, die unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber stehen. So erfuhren insbesondere ostdeutsche Großwohnsiedlungen in den letzten Jahren starke Einwohnerverluste und daraus resultierenden Wohnungsleerstand. Sie müssen gegenwärtig den Bedürfnissen einer zunehmend älteren Bevölkerung entsprechen und haben nach wie vor mit Imageproblemen zu kämpfen. Nimmt man jedoch die verschiedenen Gebiete detailliert in den Blick, können ebenso Belege für eine hohe Quartiersbindung und Wohnzufriedenheit gefunden werden. Dem gegenüber werden die polnischen Großwohnsiedlungen bis heute stark nachgefragt. Der existierende Wohnungsmangel und der in vielen altstädtischen Gebieten anzutreffende Sanierungsstau machen die Siedlungen zu einem begehrten Wohnstandort, und dies wird auch in absehbarer Zukunft so bleiben. Die Quartiersbindung und die Wohnzufriedenheit sind auch hier hoch, wenngleich die Alterung der Bewohnerschaft und die Nachfrage nach dementsprechend bedarfsgerechten Wohnbedingungen zunehmend problematisiert werden müssen. Somit stehen deutsche und polnische Großwohnsiedlungen vor teilweise ähnlichen, teilweise grundverschiedenen Ausgangsbedingungen, die die Notwendigkeit des Umbaus bzw. der Anpassung der Bestände sowie der Umorganisation des Alltagslebens begründen. Um Einblicke in die Rahmenbedingungen zu erhalten, unter denen sich Großwohnsiedlungen in ihrem jeweiligen nationalen und kulturellen Kontext mit ihrer Bewohnerschaft entwickeln, wurde eine zweijährige Kooperation zwischen dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und dem Schlesischen Polytechnikum Gliwice initiiert. Sie erhielt durch die DeutschPolnische Wissenschaftsstiftung eine Förderung. Die Kooperation zielte darauf ab, angesichts sich verändernder Wohnbedürfnisse und Wertvorstellungen im Städtebau eine sachliche Analyse der Veränderung städtebaulicher Leitbilder und der gegenwärtigen Akzeptanz des Wohnens in der Großwohnsiedlung vorzunehmen. Am Beispiel von Großsiedlungen in Leipzig und Katowice sollten vergleichend mögliche Zukunftspfade beschrieben, analysiert und bewertet werden. Dabei standen die Erwartungen und Bewertungen der verschiedenen soziodemographischen Bewohnergruppen im Zentrum des Interesses. Darüber hinaus wurden Wohnungseigentümer, Vermieter, Planer und politische Entscheidungsträger einbezogen, um deren Vorstellungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung dieser Siedlungen einzuordnen. Eine integrierte Perspektive, die städtebauliche, soziale und ökologische Qualitäten vereinigt, sollte als Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der Großwohnsiedlungen entworfen werden. Die Voraussetzungen dafür waren durch die interdisziplinäre Zusammensetzung des Wissenschaftlerteams gegeben. Die polnische Seite brachte fundiertes Wissen aus architektonischer, demographischer und soziologischer Perspektive ein. Die deutsche Seite konnte auf umfangreiche 367 stadt- und wohnsoziologische Expertise mit Erfahrungen in der Langzeitbeobachtung von Großwohnsiedlungen verweisen. Einbindung von Studenten und Nachwuchswissenschaftlern In das deutsch-polnische Forschungsprojekt wurden Studenten und Nachwuchswissenschaftlern integriert. Sie griffen den Forschungsansatz auf, leiteten davon verschiedene Fragestellungen ab und bearbeiteten diese unter Verwendung unterschiedlicher Forschungsmethoden. Nach vorbereitenden Lehrveranstaltungen trafen sich die Studenten im Rahmen einer internationalen Sommerschule im Juni 2011 in Leipzig. Diese wurde durch die Teilnahme kanadischer Studenten, die zeitgleich in Leipzig weilten und ebenfalls die Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen studierten, angereichert. Die deutschen Studenten erwiesen sich als gute und fachlich ausgewiesene Gastgeber, indem sie die Ausgangsbedingungen und die Herausforderungen der Leipziger Großwohnsiedlung vor Ort erläuterten. Die polnische Studentengruppe nutzte ihren Aufenthalt in Leipzig für empirische Erhebungen in Form von Interviews, Kartierungen und Beobachtungen, die in die vergleichenden Untersuchungen der deutschen und polnischen Großwohnsiedlungen einflossen. Erste Ergebnisse konnten bereits am Ende der einwöchigen Sommerschule präsentiert werden. Sie wurden in Qualifizierungsarbeiten der polnischen Studenten und Nachwuchswissenschaftler weiterverarbeitet. Ebenso nutzten die deutschen Studenten ihre Analysen für die Anfertigung von Masterarbeiten. Inhaltlicher Fokus: Bedeutung von Großwohnsiedlungen in Deutschland und Polen Ausgangspunkt der Forschungsarbeiten war die Feststellung, dass die Siedlungen des in368 dustriellen Massenwohnungsbaus sowohl in Deutschland als auch in Polen vor großen Herausforderungen bezüglich ihrer Anpassungsfähigkeit an Prozesse des demographischen Wandels, der sozialräumlichen Differenzierung sowie negativer Imagedarstellungen stehen. Für die vergleichende Untersuchung wurden die Großwohnsiedlungen Grünau in Leipzig (43.000 Einwohner, 2011) und Tysiąclecie in Katowice (22.200 Einwohner, 2011) ausgewählt. Mit der Errichtung von Tysiąclecie wurde Ende der 1960er und mit Grünau Mitte der 1970er Jahre begonnen. Der bauliche Abschluss erfolgte Ende der 1980er Jahre. Aufgrund wirtschaftlicher Engpässe in der Endphase der baulichen Fertigstellung der Gebiete verringerte sich die Fertigungsqualität der Gebäude und Wohnungen. Darüber hinaus verzögerte sich die Komplettiertung der Siedlungen mit Infrastruktureinrichtungen. Die anfangs hohe Wertschätzung der Wohnungen seitens ihrer Bewohner ließ dadurch deutlich nach. Nach der politischen Wende und im Zuge der Systemtransformation wurden die Siedlungen zunehmend als postkommunistisches bauliches Erbe stigmatisiert. Zudem veränderte sich die Eigentumsstruktur. In Deutschland verblieb zwar ein großer Teil der Wohnungen in genossenschaftlichem und kommunalem Eigentum, doch wurden in den 2000er Jahren auch größere Bestände an private Wohnungsunternehmen veräußert. Nur relativ wenige Bewohner erwarben ihre Wohnung als privates Eigentum. Bis in die Gegenwart dominiert der Mietwohnungsbestand. Eine völlig andere Situation existiert in Polen. Hier verwalten die Genossenschaften oftmals nur noch die Bestände, genauer die Gebäudehülle. Die Wohnungen befinden sich dagegen zum Großteil in privatem Eigentum der Bewohner, z. B. im Untersuchungsgebiet Tysiąclecie zu 70 %. Damit sind unterschiedliche Ausgangsbedingungen in den deutschen und den polnischen Siedlungen hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse seitens der Eigentümer in baulichen und sanierungstechnischen Aufgaben verbunden. Untersuchungsergebnisse: Gute Ausstattung, hohe interne Akzeptanz und die Ungewissheit der sozio-demographischen Entwicklung Die Untersuchungeergebnisse basieren wesentlich auf architektonischen und städtebaulichen Analysen, Bewohnerbefragungen sowie vertiefenden Interviews mit Bewohnern und Experten. Neben der Beantwortung der spezifischen Forschungsfragen sind sie in sogenannte SWOT-Analysen eingeflossen, die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der jeweiligen Siedlung beschreiben. Auf dieser Grundlage konnten in Workshops mit Praxisvertretern Zukunftsszenarien ausgearbeitet werden. Den architektonisch-urbanistischen Analysen wurden zwölf Kriterien zur baulichen Qualität zugrunde gelegt, die mittels einer 3- bzw. 5-Punkte-Skala bewertet wurden. Die Kriterien umfassten: bauliche Konzeption, innere Gliederung sowie Verkehrsanbindung der Siedlungen, Parkmöglichkeiten, Zustand der Grünanlagen, Spielplätze, Ausstattung mit sozialer Infrastruktur, Sicherheitskriterien. Zwischen min. 47 und max. 77 erreichbaren Punkten wurde Grünau mit 56 und Tysiąclecie mit 63 Punkten bewertet, was einer positiven Bewertung ihrer baulichen Qualität, Gestaltung und Ausstattung entspricht. Während Tysiąclecie eine höhere Bewertung bei den Wegebeziehungen erhielt, schnitt Grünau bei der Verfügbarkeit von privaten und halböffentlichen Räumen besonders gut ab. Die Resultate der Bewohnerbefragungen und Interviews zeigen eine hohe Wertschätzung der Siedlungen sowie eine hohe Bindung der Bewohner an ihr Quartier. Dies drückt sich in der relativ langen Wohndauer und der Absicht, im Quartier zu bleiben, aus: In Grünau wohnt etwa die Hälfte der Befragten länger als 20 Jahre dort, in Tysiąclecie 40  %. In beiden Siedlungen möchte der überwiegende Teil der Befragten einen möglichen Wohnungswechsel nur im Quartier vornehmen. Weiterhin ist in eine hohe Wohnzufriedenheit festzustellen. So beträgt in Tysiąclecie der Anteil der sehr Zufriedenen mit ihrem Wohngebiet 84 %, in Grünau 70 %. Die SWOT-Analysen ergaben ähnliche Ergebnisse im Vergleich der beiden Siedlungen hinsichtlich der Bewertung ihrer Stärken und Schwächen. Hinsichtlich der Stärken werden die umfangreiche Grünausstattung, die großzügige urbanistische Anlage der Siedlungen, die verkehrsberuhigten Zonen und die Ausstattung mit Infrastruktur- und Serviceangeboten geschätzt. Als Schwächen werden vor allem die sich verstärkende Alterung der Bewohnerschaft und die dafür nicht ausreichend vorhandenen baulichen und infrastrukturellen Gegebenheiten angesehen. Unterschiede zeigten sich bezüglich der Chancen und Risiken mit Blick auf die weitere soziodemographische Entwicklung. Grünau blickt auf Jahre besonders starker Bevölkerungsverluste und damit verbundener rascher Alterung zurück. Doch die stark wachsende Einwohnerzahl Leipzigs in der jüngsten Vergangenheit wirkte sich auch auf Grünau im Sinne einer zahlenmäßigen Stabilisierung aus. Damit konnte allerdings das dortige Überangebot an Wohnungen nicht beseitigt werden. Trotz zwischenzeitlich erfolgter Abrisse besteht noch immer erheblicher Wohnungsleerstand. Damit sind einerseits Chancen verbunden, indem gerade für Bezieher geringerer Einkommen Wohnungsangebote zur Verfügung stehen. Andererseits muss aufgrund der altersbedingt sich verringernden Bewohnerzahl weiterer Leerstand als Risiko erwartet werden, sollte ein Zuzug in adäquatem Umfang ausbleiben. In Tysiąclecie dagegen besteht ein ständiger Nachfrageüberhang. Zwar ist auch hier die starke Alterung der Bewohner ein zentrales 369 Merkmal, allerdings existiert kein Wohnungsleerstand, freie Wohnungen werden in kurzer Zeit wieder belegt. Dies ist ein Indikator für den Wohnungsmarkt in Katowice insgesamt, auf dem die Wohnungen in der Großwohnsiedlung begehrt sind. Im Unterschied dazu herrscht in älteren Stadtquartieren Sanierungsstau mit entsprechend geringer Wohnqualität. Da die Einwohnerzahl von Katowice in den letzten Jahren kontinuierlich abnahm und eine Trendwende nicht in Sicht ist, wurde von den polnischen Kollegen die Möglichkeit zukünftiger Leerstände auch in der Großwohnsiedlung thematisiert. Dies ist eine wichtige Erwägung, denn in polnischen Siedlungen kommt es verstärkt zu Nachverdichtungen. Bauträger haben ein großes Interesse, hier Eigentumswohnungen in mehrgeschossigen Neubauten zu vermarkten, die von der vorhandenen Infrastruktur der Siedlungen profitieren. Dadurch wird die ursprüngliche städtebauliche Konzeption der Siedlungen mit ihrem Grünflächenangebot durchbrochen. Mit Blick auf gesamtstädtische Einwohnerverluste, die zeitverzögert auch die Großwohnsiedlung beeinflussen können, und die Alterung der Bevölkerung, ist die Vermarktung der hiesigen Freiflächen für weiteren, eher hochpreisigen Geschosswohnungsbau kritisch zu sehen. Die Rolle der Eigentumsstrukturen Eigentumsstrukturen beziehungsweise die Tysiąclecier Vermarktungsinteressen verschiedener Eingentümer sind sowohl in Grünau als auch in Tysiąclecie von entscheidender Bedeutung. Die Wohnungsgenossenschaften üben in den untersuchten Siedlungen eine stabilisierende Wirkung aus, wenngleich sie in den jeweiligen nationalen Kontexten unterschiedlich verfasst sind. In Polen gehören den Genossenschaften nach der Privatisierung von Wohnungen noch die Außenhülle der Gebäude sowie die Flächen im Wohnumfeld. In Deutschland 370 Abb. 1 Aufwertung des Wohnumfeldes in Tysiąslecie (Foto: Annegret Haase) dagegen besitzen die Genossenschaften die Wohnungen und die Gebäude, teilweise auch die Flächen im Wohnumfeld. In Grünau haben sie stark in ihren Bestand und in das Quartier investiert, um langfristig die Existenz ihre Unternehmens abzusichern. In Tysiąslecie hat z. B. die größte ansässige Genossenschaft – gesetzlich zur Reinvestition von Überschüssen gezwungen – die Häuser und das Wohnumfeld in den vergangenen Jahren deutlich aufgewertet (Abb. 1). Das Vorgehen privater Firmen in Tysiąslecie, die Siedlung mit hochpreisigen Angeboten nachzuverdichten, ist auch mit Blick auf die zukünftige Instandhaltung kritisch. Da sie die Neubauten nach deren Fertigstellung komplett an die Bewohner verkaufen, werden sie dann deren Selbstverwaltung überlassen. In der Mehrzahl der Fälle bilden die Eigentümer Eigentümergemeinschaften, Konflikte müssen dann zwischen diesen ausgehandelt werden. Je nach Größenordnung wird dadurch eine gebeitsinterne sozialräumlichen Differenzierung befördert. Einerseits kann dadurch der Gesamtstatus der Siedlung stabilisiert werden, andererseits sind damit auch Konflikte verbunden. Beispielsweise verschließt die Genossenschaft in Tysiaslecie ihre neu errichteten Spielplätze, um den Zugang nur den eigenen Mitgliedern zu ermöglichen. In Grünau spielen die unterschiedlichen privaten Wohnungsgesellschaften eine am- bivalente Rolle. Größere Teile der Bestände sind in den 2000er Jahren verkauft worden. Ein Teil dieser Bestände weist mittlerweile eine durchschnittlich schwächere sozialstrukturelle Bewohnerschaft hinsichtlich Bildung und Einkommen auf, da diese Wohnungsunternehmen ihre Wohnungsangebote gezielt auf eine einkommensschwache Mieterschaft ausrichten. Auch die Genossenschaften und das kommunale Wohnungsunternehmen entwickeln ihre Bestände in unterschiedlichen Lagen mit Blick auf verschiedene Zielgruppen und differenzieren so das Mietniveau. Darüber hinaus entstand am Rand der Großwohnsiedlung eine Eigenheimsiedlung, deren Bewohner etwa zur Hälfte ehemalige Plattenbaubewohner sind. Diese Entwicklungen begünstigen auch in Grünau eine kleinräumige Differenzierung von Wohnangebot und Sozialstruktur. Zukunftschancen: Zusammenspiel von interner Quartiersentwicklung, lokalem und nationalem Kontext Um die Zukunftschancen der untersuchten Großwohnsiedlungen zu beschreiben, wurden auf der Basis der SWOT-Analysen Zukunftsszenarien erarbeitet. In der gemeinsamen Diskussion mit lokalen Experten entstanden Szenarien, die unterschiedliche mögliche Entwickungspfade markieren. Für die Großwohnsiedlung Grünau reicht die Palette vom schnellen sozialstrukturellen und physischen Niedergang über eine demographische und soziale Stabilisierung bis hin zu einem moderaten Zuwachs an Bevölkerung aus verschiedenen Einkommensgruppen. Der jeweilige Inhalt der Szenarien wurde vor allem an äußeren Einflussfaktoren festgemacht. Dazu gehören die Gesamtentwicklung Leipzigs hinsichtlich Einwohnerbestand, Wohnungsmarkt und wirtschaftlicher Erholung sowie das verbesserte Image des Wohnens in Großsiedlungen. Interne Faktoren, die je nach Entwicklung des Kontexts zur Stabilisierung oder zum Wachstum bei- tragen, sind die guten Wohn- und Umweltbedingungen, z. B. Fuß- und Radwegenetz, Grünflächen, Spielplätze, Luftqualität, Energieeffizienz der Gebäude. Der größte Risikofaktor besteht in einem weiteren Bevölkerungsrückgang und damit verbundenem Attraktivitätsverlust des Gebietes. I n d e n ve r s c h i e d e n e n S ze n a r i e n z u Tysiąslecie wurde vorrangig die Wechselwirkung zwischen demographischer und architektonisch-baulicher Entwicklung betrachtet. Ein Szenario beschreibt den anhaltenden Nachfragedruck auf die Siedlungen. Dadurch wird eine weitere Nachverdichtung ausgelöst mit der Konsequenz der Preisgabe aktueller architektonisch-urbanistischer und Freiraum-Qualitäten. Das zweite Szenario geht von anhaltendem Bevölkerungsrückgang aus und begründet damit die Entstehung von Wohnungsleerstand. Dieser zuvor für die polnischen Partner nicht relevante Aspekt erhielt nun Bedeutung und führte zu der Entscheidung, dieses Thema gemeinsam mit Vertretern der Stadtverwaltung und der Genossenschaften weiter zu bearbeiten. Das deutsche Team wird aus soziologischer Perspektive das Monitoring der Großwohnsiedlung Grünau fortsetzen. Zukünftige Analysen werden eine stärker integrierte Sicht auf sozio-demographische, wohnungsmarktbezogene und ökologische Fragestellungen verfolgen. Unter Beachtung der Eigentumsverhältnisse und baulicher Veränderungen in der Siedlung sollen kleinteilige sozialräumliche Prozesse und deren Auswirkungen untersucht werden. Interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit: Herausforderungen, Lerneffekte Interdisziplinäre Projekte über Ländergrenzen hinweg, die neben der Forschungsarbeit auch einen Praxisbezug herstellen und Lehrangebote unterbreiten, sind einer Ex371 Abb. 2 Grünfläche mit Baumbestand (Foto: Katrin Großmann) kursion in die Wissenschaftskulturen und die Herangehensweisen des jeweils andere Teams vergleichbar. Sie bieten umfangreiche Möglichkeiten des Austauschs und des gegenseitigen Lernens. Das Forschungsdesign und das methodische Instrumentarium wurden gemeinsam erarbeitet und abgestimmt, wobei die disziplinspezifische Expertise genutzt wurde. So floss das Wissen für die architektonischen Studien von polnischer Seite ein. Die Studentengruppe des Schlesischen Polytechnikums Gliwice konnte in diesem Rahmen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse anwenden und weiterentwickeln. In den Diskussionen zu den Ergebnissen zeigte sich, wie sehr die Bewertung der räumlichen Strukturen vom jeweiligen Kontext abhängt. Beispielsweise bewertete das polnische Team große und dicht bewachsene Grünflächen als Gefahrenraum, weil schwer einsehbar werden und somit kaum noch geeignet als Spielort für Kinder. Das deutsche Team dagegen bewertete derartige Grünflächen als Faktor, der das Wohnumfeld aufwertet (Abb. 2). Die soziologischen Analysen basierten wesentlich auf 372 einer Fragebogenerhebung unter den Bewohnern beider Großwohnsiedlungen. Die Grundlagen für den abgestimmten Fragebogen lieferten die deutschen Projektpartner. Im Projektteam wurde der Fragebogen gemeinsam weiterentwickelt und auf den polnischen Kontext angepasst. Für die Auswertung und Interpretation der statistisch ähnlichen Befragungsergebnisse war ein intensiver Austausch erforderlich. Nur durch die jeweils genaue Ortskenntnis konnten präzise Erklärungen der numerischen Zusammenhänge erfolgen. Die wiederholten Projekttreffen erzeugten somit hohe Lerneffekte bei allen Beteiligten. Die Forschungsergebnisse wurden zum Projektabschluss auf einer Konferenz in Gliwice zum Thema „Gestern, heute und morgen von Großwohnsiedlungen” im November 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt. An der Konferenz nahmen neben polnischen und deutschen Wissenschaftlern auch lokale Akteure aus Politik, Wohnungswirtschaft und Praxis teil. Die interessierte Aufnahme der Ergebnisse und deren rege Diskussion bestärkten die Wissenschaftler in ihrem weiteren Engagement zur Erforschung der Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen. Die Ländergrenzen überschreitende Zusammenarbeit zu diesem Thema hat bislang neue Denkmuster ermöglicht. Unerwartete Ähnlichkeiten und kontextspezifische Unterschiede in der Großsiedlungsentwicklung beider Länder konnten belegt werden. Die internationale Zusammenarbeit hat das wechselseitige Verständnis füreinander über Disziplingrenzen hinweg gefördert und zu neuen Erfahrungen in der Forschung und im Austausch mit Praxispartnern geführt. Berichte und Rezensionen Gisela Schmitt (Rezension) Tilman Harlander, Gerd Kuhn, Wüstenrot Stiftung (Hg.) Soziale Mischung in der Stadt. Case Studies – Wohnungspolitik in Europa – historische Analyse 2012 Kraemer Verlag Stuttgart ISBN 978-3-7828-1539-0 440 Seiten, 29,50 Euro (D) tiven Effekte sozialstaatlicher Prinzipien und „regulierter“ Märkte. Die Themen „Mischung und Segregation“ werden in diesem Band zwischen theoretischer Reflexion und Fallstudien aus der Praxis behandelt – der Untertitel deutet an, wo die inhaltlichen Schwerpunkte der Untersuchung liegen: Wohnungspolitik in Europa – ohne dass ein eigenständiges Kapital so überschrieben wäre, zieht sich als Querschnittsthema durch die zahlreichen Beiträge und ist sowohl dem engen inhaltlichen Zusammenhang von sozialer Mischung und residentieller Segregation geschuldet als auch durch die umfangreichen Arbeiten und fundierten Kenntnisse der Herausgeber in diesem Handlungsfeld geprägt. Die Ausrichtung der EU-Politik auf sozialen Ausgleich und soziale Kohäsion schlägt sich in den einzelnen Staaten vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und politischer Traditionen, Programme und Instrumente vor allem auch in einem länderspezifischen Umgang mit dem Wohnungsmarkt und der Wohnungsversorgung nieder. Die aktuellen – häufig national geführten – Debatten um Stadtentwicklung und Wohnen können von den differenzierten Länder-Betrachtungen in diesem Band nur profitieren. Case studies zeigen in einer globalen Betrachtung die Polarisierung der Stadtgesellschaften in 14 Ländern – die Fallstudien aus Deutschland werden noch einmal gesondert betrachtet. Vor allem die Perspektive auf die außereuropäischen Länder, die die räumliche Ausprägung der gesellschaftlichen Polarisierung zwischen gated communities und slums in einer zum Teil drastischen Dimension zeigt, ermöglicht eine relativierende Einordnung sozialräumlicher Spaltungstendenzen in europäischen Städten und kann den Blick schärfen für die posi- „Historische Analysen“ sozialräumlicher Mischung und Segregation vom Mittelalter bis heute entlang der gesellschaftlichen und städtischen Transformationen bilden, unterteilt in die wichtigen Epochen (deutscher) Stadtgeschichte, den ersten großen Themenblock zum Einstieg. Der Umgang mit räumlicher Abgrenzung und gesellschaftlicher Ausgrenzung, die Herausbildung der unterschiedlichen Muster räumlicher Disparitäten, der Bedeutungswandel von Integration und Mischung, sowie die Entwicklung des sozial- und wohnungspolitischen sowie Soziale Mischung in der Stadt – „ein umfangreiches und gewichtiges Buch“, diesen einleitenden Herausgeberworten seitens der Wüstenrot Stiftung kann man sich als Rezensentin nur anschließen. Auf 440 inhaltsreichen, sorgfältig bebilderten und illustrierten Seiten, in einem Format, das spontan die Assoziation an einen Folianten, Atlas oder Bildband, weckt, haben Tilman Harlander und Gerd Kuhn im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes – von der Wüstenrot Stiftung gefördert – gemeinsam mit einem interdisziplinären Autorenteam über 50 Beiträge zu einer umfassenden und vielschichtigen Publikation zusammengetragen. 375 später auch stadtplanerischen Instrumentariums zeigt, dass die Ausrichtung und Gewichtung der „Mischungspolitiken“ stets von herrschenden gesellschaftspolitischen Zielsetzungen in den unterschiedlichen Phasen der Stadtentwicklung bestimmt waren. Die einführenden und resümierenden Beiträge, überwiegend von Tilman Harlander und Gerd Kuhn verfasst, können dem Leser als Navigationshilfe durch das gesamte Werk und die einzelnen Kapitel dienen. Zwischen Theorie und Praxis werden hier einerseits die vielschichtigen oft widersprüchlichen – die Differenzen zwischen „Mischungsbefürwortern“ und „Mischungsgegnern“ einschließenden – wissenschaftlichen Diskurse zu Mischung, freiwilliger und unfreiwilliger Segregation, Exklusion und Integration mit der notwendigen begrifflichen und inhaltlichen Präzisierung abgebildet und andererseits die städtebaulichen und wohnungspolitischen Mischungspolitiken, die Strategien und Instrumente, mit denen der soziale Zusammenhalt in der Stadt erhalten und gefördert werden kann, behandelt. Welche Ziele verfolgt eine aktive Mischungspolitik in unterschiedlicher Körnigkeit vom einzelnen Haus über die Siedlung, den Block, das Quartier oder die Gesamtstadt? Welches Mischungsideal oder welche Vision von gutem Zusammenleben verbirgt sich hinter den jeweiligen lokalen Handlungsansätzen und Politikzielen und wie sind diese durchsetzbar? Die Fallstudien und Interviews liefern hier keine einfachen, allgemeingültigen Lösungen, zeigen jedoch anschaulich, wie es in der Praxis auch jenseits ideologiebehafteter Diskussion gelingen kann, in vielen kleinen Schritten sozialorientierte Handlungsziele in der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik umzusetzen. 376 Die Konturen aktiver Mischungspolitiken – Ziele, Programme, Maßnahmen und Instrumente – werden durch die Interviews mit Vertretern von Kommunen und Wohnungsgesellschaften illustriert. Ein großer Verdienst des Forschungsprojektes liegt in dem interdisziplinären Ansatz der den (sozialwissenschaftlichen) Theorien die Erfahrungen aus der Praxis gegenüberstellt. „Mischung“, so dann auch der abschließende Befund, sei das erstrangige Politikziel, dem sich in Deutschland die Kommunen und Wohnungswirtschaft nach wie vor verpflichtet fühlen. Der systematische Aufbau ermöglicht auch einen thematischen Quereinstieg in das breit angelegte Buch. Wer jedoch auf der Suche nach schnellen Antworten und griffigen Befunden oder gar Patentrezepten für eine „gesunde“, „bessere“, „richtige“ oder ausgewogene, soziale Mischung ist, wird hier nicht fündig – das Thema der „Mischungsideale und Mischungspolitiken“ ist komplex, und dieser Band ist trotz der umfassenden Behandlung des Themengebietes kein „Handbuch der sozialen Mischung“, handhabbar für schnelle Begriffsklärungen und Einordnungen. Die differenzierte Sicht auf Geschichte, Programmatik und Realität von Mischung und Segregation in diesem Forschungsprojekt kann auch zur Versachlichung der gegenwärtigen Debatten um stadtentwicklungspolitische Themen wie Gentrifizierung, bezahlbaren Wohnraum in den Großstädten, Integration sowie Abwanderung und Leerstand beitragen. Bleibt nur, dem gewichtigen, trotz der hochwertigen Aufmachung erstaunlich preiswerten Buch eine weite Verbreitung zu wünschen. Anhänge Übersicht über die Autorinnen und Autoren in dieser Ausgabe Altrock, Uwe;1965; Bauassessor, Dr.-Ing., Stadtplaner und Mathematiker; seit 2006 Professor für Stadtumbau und Stadterneuerung in Kassel, 2003-2006 Juniorprofessor für Urban Structures an der BTU Cottbus; Arbeitsschwerpunkte: Planungstheorie, Planungsgeschichte, Stadterneuerung. Hannah Baltes, 1981; Dipl.-Ing., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadtplanung und Städtebau, Universität DuisburgEssen; Arbeitsschwerpunkte: nachhaltige und energieeffiziente Stadtentwicklung, klimaangepasste und klimagerechte Stadtplanung, städtische Stoffströme. Bartoszek, Adam; Dr. hab.; Schlesische Universität Katowice, Institut für Soziologie; Arbeitsschwerpunkte: Soziologie der Organisation und Verwaltung, Theorie der sozialen Strukturen, Markt- und Meinungsforschung, soziologische Methoden, Sozialkapital von Senioren in städtischer Umgebung. Beran, Fabian; 1982; M. A. Wirtschaftsgeographie, Politische Wissenschaften, Stadtbauwesen und Stadtverkehr; seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, Bereich Angewandte Geographie/ Raumplanung; Forschungsschwerpunkte: Stadt-/Regionalentwicklung, Reurbanisierung, Großwohnsiedlungen, Entwicklungszusammenarbeit. Bernt, Matthias;1970, Dr. phil., Politologe; Senior Researcher am Leibnizinstitut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; Arbeitsschwerpunkte: Urban Governance, Stadterneuerung und Stadtumbau, Gentrification, schrumpfende und peripherisierte Städte. Drittenpreis, Julia; 1984; Dipl.-Ing. (FH)/M. Eng; Studium der Architektur und Master Energieeffizientes Planen und Bauen (FH Augsburg); 2006-2008 Architektur und Stadtplanung, GAS Sahner Architekten Stuttgart; seit 2008 wiss. Mitarbeiterin an der TU München, Lehrstuhl für Bauklimatik und Haustechnik; seit 2011 Dozentin für Bauphysik an der FH Kufstein; Arbeitsschwerpunkte: Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, Städtebau, Denkmalpflege, Wettbewerbe. Düchs, Martin; 1977; Dr. phil. Dipl.-Ing. (Univ.) Architekt; eigenes Architekturbüro: Blockrandbebauung – Architektur + Philosophie, München; Tätigkeit als Architekt und Philosoph. Dürr, Susanne; 1960; Prof. Dipl.-Ing., Architekturstudium an der Universität Karlsruhe und University of Bath; seit 2007 Professur für Städtebau und Gebäudelehre an der HS Karlsruhe; Forschungsschwerpunkte: Stadt und Ressourcen, Baugemeinschaften, öffentlicher Raum. Frank, Daphne Rebecca; 1969 in Guayaquil/ Ecuador; Dr. rer. pol. Dipl.-Ing.; Studium der Architektur und Stadtplanung; wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart und der Technischen Universität Darmstadt; Promotion in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel über nachhaltige Wohnungsbaufinanzierungsprogramme in Entwicklungsländern; derzeit beschäftigt bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Expertin für internationale Stadtentwicklung, Beratertätigkeit insbesondere zum Thema „Katastrophenvorsorge in Städten“. Großmann, Katrin; Dr. phil.; seit 2007 Mitarbeiterin des Departments Stadt- und Um- 379 weltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ Leipzig; 2006 Promotion an der Philipps Universität Marburg im Fach Soziologie; Arbeitsschwerpunkte: soziale Aspekte von Energietransformationen in Städten, residentielle Segregation, Zukunftschancen von Großwohnsiedlungen, Effekte des demographischen Wandels, postsozialistische Stadtentwicklung. ologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig-Halle; Honorarprofessorin für Sozialwissenschaftliche Stadtgeographie an der Universität Leipzig; 2006 Habilitation an der Universität Leipzig; Arbeitsschwerpunkte: Großwohnsiedlungen in Mittelosteuropa, urbane Landnutzungskonflikte und –optionen, Klimawandel und urbane Vulnerabilität, Megacities. Haase, Annegret; Dr. phil., seit 2002 Mitarbeiterin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ Leipzig; Promotion an der Universität Leipzig im Fach Kulturwissenschaften; Arbeitsschwerpunkte: vergleichende Stadtforschung mit Fokus auf nachhaltige Landnutzung, Schrumpfung, Reurbanisierung, räumlich-soziale Ungleichheiten, Auswirkungen des demographischen Wandels und Governance, postsozialistische Stadtentwicklung. Krüger, Arvid; 1979; Dipl.-Ing. Stadt- und Regionalplanung, M.Sc. Raumplanung; Studium in Berlin und Stockholm; freier Mitarbeiter der HoWoGe; Quartiersmanager in Neu-Hohenschönhausen (Welsekiezmanagement),Leiter des iKARUS Stadtteilzentrums in Karlshorst (Berlin-Lichtenberg); Arbeitsschwerpunkte: Beteiligung an Planungsprozessen, Stadterneuerung/Soziale Stadtentwicklung, Infrastrukturplanung, Planungstheorie. Hoelscher, Martin; 1960; Prof. Dipl. Ing.; Stadtplaner Architekt DASL, Essen/Detmold; 1981-1989 Studium der Architektur an der TH Darmstadt; seit 1994 freiberuflicher Stadtplaner; Arbeitsschwerpunkte: Stadtentwicklung und Freiraum, Stadtumbau, Stadtentwicklung; seit 1998 Professur für Städtebau, Stadt- und Regionalentwicklung: 1998-2008 Studiengang Landschaftsarchitektur, Universität DuisburgEssen (eingestellt), 2008-2010 Studiengang Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, Hochschule Ostwestfalen-Lippe (Höxter), seit 2010 Studiengang Stadtplanung, Hochschule Ostwestfalen-Lippe (Detmold); seit 2011 Prodekan des FB1 Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur; langjährige Erfahrungen in und mit Lateinamerika. Kunze, Ronald; 1950, Dr.-Ing., Stadtplaner SRL, Assessor für Städtebau; 1984-1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Universität Hannover, Gesamthochschule Kassel, Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar und Technische Universität Hamburg-Harburg; Fachautor für Städtebau, Stadtentwicklung, Stadterneuerung und Wohnungspolitik. Jähnke, Petra; 1954; Dr. Dipl.-Ing. Stadt- und Regionalplanung; Promotion in Humangeographie; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; Arbeitsschwerpunkte: Kommunikative Raumkonstruktion, Raumpioniere und Social Entrepreneurs in der Quartiers-, Stadt- und Regionalentwicklung. Kabisch, Sigrun; Prof. Dr. phil., seit 2004 Leiterin des Departments Stadt- und Umweltsozi- 380 Leimbrock, Holger, Dr. rer. soc., Diplom-Soziologe; Promotion 1990 an der Universität Bielefeld; Sozialwissenschaftler mit der Spezialisierung Raum-, Regional- und Stadtplanung; wissenschaftlicher Mitarbeiter am IÖR in Dresden (seit 1992); Lehrbeauftragter an der Fakultät Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften der TU Dresden (seit 1994); Arbeitsschwerpunkte: Mittel- und Kleinstädte als regionale Zentren, mittel- und kleinstädtisch geprägte Regionen, Großprojekte in der Stadt- und Regionalentwicklung, qualitative Sozialforschung. Locher, Michael; 1968; Dr. dipl. Arch. ETH/ sia; Dozent an der Hochschule für Architektur, Burgdorf; seit 2000 eigenes Architekturbüro in Bern/Berlin; 2000-2004 Forschungsprojekt „Embellissement – eine städtebauliche Strategie“ mit Prof. Dr. Vittorio Lampugnani, ETH Zürich; 2010 Dissertation, TU Darmstadt „Städtebauliche Selbstorganisation und architektonische Kompetenz“; seit 2010 Dozent und Modulleiter für „nachhaltiges Bauen im Bestand“, AHB BFH, Burgdorf; Arbeitsschwerpunkt: Denkmalpflege und Umnutzung; seit 2011 Koreferent int. Forschungskolloquium „Städtebau im ausgehenden 18. Jahrhundert“, Deutsches Historisches Institut, Paris. Mahnken, Gerhard; 1959; M. A.; 1992-2005 am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Berlin und Erkner Leiter der Abteilung Kommunikation und Wissenstransfer; 2005 Mitglied der IRS-Forschungsabteilung Wissensmilieus und Raumstrukturen; seit 2008 stellvertretender Leiter der IRS- Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“; Arbeitsschwerpunkte: raumbezogene Kommunikationsforschung, Raum und Wissen, Raumpioniere, lokale Identitätspolitiken, kulturelle Bildung, Stadtund Regionalkulturen, Leitung und Moderation der Brandenburger Regionalgespräche. Nelle, Anja B; 1967; Dr.-Ing. Architektin; seit 2010 Begleitforschung in der Bundestransferstelle Stadtumbau Ost am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung in Erkner bei Berlin; 2007-2009 Beratung der Stadtverwaltung Fortaleza (Brasilien) im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes; Arbeitsschwerpunkte: Urbane Veränderungsprozesse, Musealisierung, Stadterneuerung, sozialer Wohnungsbau, Partizipation, Städtebauförderung, Stadtumbau. dozentin an der NABA Milano (2007/2008); seit 2009 Dozentin an der HU und TU Berlin; Promotion über die Transformationsprozesse der Zeche Zollverein; gegenwärtig beteiligt an einem DFG Forschungsprojekt (Georg Simmel Zentrum - HU Berlin, TU Berlin) zu Transformationsprozessen umzunutzender Industrieareale auf europäischer Ebene. von Oppen, Christian; Dipl.-Ing. Architektur; Mitinhaber des Büros Akay von Oppen in Berlin; Mitarbeiter am Lehrstuhl Entwerfen und Städtebau an der Bauhaus-Universität Weimar; zuvor Mitarbeit bei und Arbeit für Atelier Raimund Abraham, Hilmer & Sattler, Albrecht und Reiner Becker sowie Foster + Partners. Riemer, Hana;1975; Dipl.-Ing., Studium der Architektur; seit 2003 wiss. Mitarbeiterin an der TU München, Lehrstuhl für Bauklimatik und Haustechnik; seit 2005 Selbständigkeit, NEAT Ingenieure, Beratung und Planung; seit 2011 Dozentin für Architektur, CAD, Baukonstruktion an der FH Kufstein; Arbeitsschwerpunkte: Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, Wettbewerbe, Beratung und Gutachten. Şahin, Sema; Dipl.-Ing. Architektur an der Universität Kassel; seit 2010 Promotion am Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung an der Universität Kassel; Arbeitsschwerpunkte: Stadtumbau und Stadtentwicklung in der Türkei bzw. Istanbul. Niezabitowska, Elżbieta; Prof. Dr. habil. Ing. Arch.; Schlesisches Polytechnikum Gliwice, Abteilungsleiterin Architektur; Arbeitsschwerpunkte: Qualitätsbewertung der bebauten Umwelt (Wohn- und Bürobauten), Wohnumfeld älterer Menschen (Teilnahme am Grant PolSenior), nachhaltige Entwicklung, Gebäudemanagement in der Architektur. Schmidt, J. Alexander; 1949; Prof. Dr.-Ing., M. Arch; Studium der Architektur, Stadtplanung, Stadtgestaltung, Umweltpsychologie; Planungspraxis als freier Stadtplaner/Architekt; Lehrstuhl für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen; Sprecher des Profilschwerpunkts „Urbane Systeme“; Arbeitsfelder: Stadtentwicklung und Stadtgestaltung, energieeffiziente Stadtplanung, Stadtform und Mobilität, Stadt und e-mobility, klimagerechte Stadtentwicklung. Oevermann, Heike; Dr. Dipl. Ing. Architektur M. A., Studium der World Heritage Studies; Arbeitsschwerpunkt seit 2001: die Auseinandersetzung mit dem städtischen Erbe; u. a. Gast- Schmidt, Holger; 1959; Dr.- Ing., Stadtplaner; 1991-2000 Stiftung Bauhaus Dessau, Ständiger Leiter der Akademie und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Werkstatt; seit 381 2001 eigenes Planungsbüro für Siedlungserneuerung in Dessau; seit 2009 Professor für Stadtumbau und Ortserneuerung an der TU Kaiserslautern. Universität Hamburg; Arbeitsschwerpunkte: Wohnungswesen, Stadterneuerung und Stadtbaugeschichte, Umbau von Hafen und Uferzonen. Schmitt, Gisela; Dipl.-Ing. Architektur und Stadtplanung; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung, Fakultät Architektur RWTH Aachen; Arbeitsschwerpunkte: Planungstheorie, Stadtentwicklung, Bestandserneuerung und Wohnen. Simon-Philipp, Christina; Prof. Dr.-Ing., Architekturstudium an der Universität Stuttgart und der ETH Zürich; seit 2007 Professorin für Städtebau und Stadtplanung an der Hochschule für Technik Stuttgart; Forschungsschwerpunkte: Stadterneuerung, Wohnungsbau der 1950er bis 1970er Jahre, öffentlicher Raum. Schröer, Achim; 1973; Dipl.-Ing. / Regierungsbaumeister; Studium der Architektur (TU München) und Stadt- und Regionalplanung (TU Berlin); 2004-2006 städtebauliches Referendariat; 2006-2010 Regierung von Oberbayern, Kommunalberatung für Energieeffizienz im Planen und Bauen; 2010-2011 Kommunalreferent bei der Bundestagsfraktion Bündnis90/ Die Grünen; seit 2011 wiss. Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar und Sprecher des Denkmalnetzes Bayern; Arbeitsschwerpunkte: Baukultur, Denkmalpflege, Energie. Schröteler-von Brandt, Hildegard; 1952; Dr.Ing. Stadtplanerin; seit 1996 Professorin an der Universität Siegen, Fakultät Bildung Architektur Künste, Department Architektur, Lehrgebiet Stadtplanung und Planungsgeschichte; Kuratorin DenkRaum Zukunft Dorf der REGIONALE Südwestfalen 2013; Forschungsschwerpunkte: Entwicklung ländlicher Raum – städtebauliche Auswirkungen des demographischen Wandels. Schubert, Dirk; 1947; Prof. Dr. rer. pol., Dipl.Ing., Stadtplaner SRL; 1994 Habilitation, Gastprofessuren GU Universität Kassel, Universidad Rio de Janeiro, Studiendekan Masterstudiengang Stadtplanung an der HafenCity 382 Tenz, Eric. M.; 1974, PhD (University of Sheffield) Dipl.-Ing. Stadt- und Regionalplanung; Forschungstätigkeit am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Stadt- und Regionalentwicklung der BTU Cottbus; derzeit Assistent der Geschäftsführung bei der L.I.S.T. (Lösungen im Stadtteil) Stadtentwicklungsgesellschaft mbH in Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Politikberatung, (international vergleichende) sozialwissenschaftliche Stadtforschung in den Themenfeldern (lokal-) politische Entscheidungsprozesse/urban governance, Stadterneuerungs- und soziale Wohnungspolitik. Vorkoeper, Jutta; 1963; Dipl. Ökonomin; Abteilungsleiterin Integrierte Stadtteilentwicklung, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg. Winters, Theo; 1950, Dipl.-Ing. Stadt und Regionalplanung; Geschäftsführer der S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung mbH; Mitarbeit bei der IBA Berlin in der Arbeitsgruppe Luisenstadt; Arbeitsschwerpunkte: Stadterneuerung, Soziale Stadt, Moderation. Autorinnen und Autoren 1990-2013 Abt, Jan Achterberg, Heinz-Jürgen Albers, Gerd Altrock, Uwe Amedi, Janne Amey, Frank Anacker, Katrin Anders, Sascha Andres, Stefan Apud, Ana M. Austermann, Klaus A 2011:233 2002:111 1994:39 1995:69; 1997:336(R); 1998:25, 193; 2000:369; 2001:393; 2002:17, 55, 332; 2003:35, 95; 2004/05:53, 149; 2006/07:95, 395(R); 2008:71,83; 2009:61, 137; 2010:55, 329; 2011:21, 51; 2012:125, 345 (R) 2009:307 2011:139 2010:297 2000:379; 2012:251 1994:415 1994:351 2002:295 B 1996:248 2011:285; 2013:297 2008:135 1992:110 2001:357; 2008:243 2010:65 2006/07:357 2000:29 1999:21 2013:227 2003:75 2001:341; 2003:315; 2009:227; 2013:53 Bertram, Grischa 2011:81; 2012:187 Best, Ulrich 2000:29 Beyer, Cornelia 2002:149 Bieker, Susanne 2010:183 Bielawska-Roepke, Patrycja 2011:319 Bilgin, Ihsan 1998:183 Blanc, Maurice 2004/05:311 Blaß, Jörg 1994:377 Bleck, Rüdiger 2006/07:243 Bodenschatz, Harald 1990/91:43; 1992:37; 1993:29, 268(R); 1994:125; 1995:63; 2000:253; 2001:9; 2002:61; 2003:179; 2010:35; 2012:69 2010:93 Böcker, Mone Boedecker, Daniel 2008:323 Bonacker, Margit 1993:234; 2012:271 Boon, Kaat 2006/07:159 Born, Lukas 2001:229 Bose, Michael 2009:129 Bote, Peter 1999:83 Brake, Klaus 1996:25 Baeuchle, Birgit Baltes, Hannah Banse, Juliane Bartels, Olaf Baumgart, Sabine Baumgärtner, Christine Béart, Thierry Beckmann, Ralf Bentler, Andreas Beran, Fabian Berding, Ulrich Bernt, Matthias Brand, Herbert Braun, Jochen Breckner, Roswitha Bremer, Stefanie Bremm, Hans-Jürgen Breuer, Bernd Bricocoli, Massimo Brück, Andreas Büttner, Frithjof Buff, Reinhard Burdack, Joachim 2000:333 1996:248 1993:75, 219 2003:389; 2008:333 1994:87 1999:159; 2003:87 2001:269 2012:313 2010:261 2012:271 2002:77 C Caesperlein, Gerold Claussen, Wiebke Connert, Beate 2001:35 1996:172 2006/07:65 Davy, Benjamin Debold-Kritter, Astrid Dehaene, Michiel Deilmann, Clemens Dettmer, Julia Deutz, Lutz Dietrich, Corina Doehler, Marta Dorsch, Pamela Drittenpreis, Julia Düchs, Martin Dürr, Susanne Dürsch, Hans-Peter Duhm, Burghard Dulski, Birgit D 1998:91 2002:317 2006/07:159 2010:169 1999:209 1995:91 2008:419 1992:137 2001:121 2013:145 2013:251 2013:303 1999:145; 2004/05:207 1992:162 2011:299 E Ebert, Ralf Eckert, Ronald Effenberger, Karl-Heinz Eichenlaub, Alexander Eichhorn, Sabine Elias, Christine Elle, Johannes Ellermann, Ute Emmenegger, Barbara Emmenegger, Michael Erpenstein, Annette 2003:167 2010:215 2010:169 1990/91:89 2003:359 1997:303 2008:363 1992:299 2002:171 2002:171 2009:159 Faber, Christian Falini, Paola E. Fehl, Jonas Fein, Regina Feldtkeller, Andreas F 1997:235 1996:159 1995:307 2009:295 2003:143 383 Ferber, Uwe Ferner, Michael Fessler Vaz, Lilian Feucht, Karsten Feuerlein, Leon Feuerstein, Christiane Fischer, Friedhelm Fischer, Ivonne Fischer, Uta Flecken, Ursula Förster, Wolfgang Foljanty, Lukas Frank, Daphne Frank, Keno Frick, Dieter Friedrich, Maik Friedrichsen, Angela Frinken, Matthias Fritsche, Nadja Fritzen, Andreas Froessler, Rolf Frommer, Birte Gaube, Andrea Gebel, Annett Geyler, Christian Glatthaar, Michael Gliemann, Katrin Glöckner, Beate Gonzales, Thoralf Graumann, Doreen Greiner, Claudia Grundmann, Elisabeth Grunze, Nico Gude, Sigmar Güntner, Simon 1997:69; 2003:331; 2006/07:59 1990/91:187 1992:219; 1997:225 1996:53 1992:281 2010:19 1994:259; 1997:313; 1999:227; 2000:225; 2012:207 2002:273 2002:201 1996:268; 2004/05:391 1997:161; 2004/05:299 2011:263 1998:211; 2004/05:355; 2013:319 2010:163 1994:418 1999:341 1995:307 1990/91:175; 1994:397 2012:251 2004/05:45 1992:195; 1993:168; 2000:105 2010:183 G 1999:113 2008:293 2003:341 2010:133 2001:35 2008:219 2001:137 1997:115 1995:307 1995:302; 1998:325 2010:117; 2012:279 1995:91 2003:341; 2004/05:241, 267, 2012:251 H 2002:213; 2004/05.:283 Haars, Anne Haase, Andrea 2003:359; 2008:411, 419 Haase, Annegret 2004/05:77 Haase, Marina 2010:151 Habermann-Nieße, Klaus 2001:199; 2004/05:61 Hädrich, Aniola 2006/07:325 Hämer, Hardt-Waltherr 1994:49 Hänsch, Robert 2006/07:398(R) Hahn, Nicole 2006/07:225 Hal, Anke van 2011:299 Haller, Christoph 2002:131; 2008:219; 2009:261 Hanhörster-Schiewer, Heike 1999:53 Häußermann, Hartmut 1993:141; 1998:9 Haferburg, Christoph 2009:29; 2011:213 Hagemeister, Ulrike 2009:261; 2010:105 Hahn, Achim 1993:94 Hannemann, Christine 1993:227 Hansel, Christoph 1992:327 Hansjürgens, Bernd 2009:47 Harms, Hans 1990/91:251; 1995:246; 2000:409 1997:171, 319 Harlander, Tilman Harth, Annette 2011:63 384 Hartwig, Niels 1992:321 2010:231 Happe, Michael Hauff, Thomas 2006/07:133 Haug, Peter 2010:169 Haxter, Jörg 2010:261 Hedrich, Ramona 2002:149 2008:293 Heinisch, Marc Heinrichs, Dirk 2009:47 2006/07:225 Heinze, Janine Heitkamp, Thorsten 1994:311; 2000:149 1996:193, 289; 1999:291; 2002:9 Held, Gerd Helfen, Thomas 2001:393; 2004/05:267 2002:213 Helleman, Gerben Hellriegel, Martin 2010:231 Hendrix, Jens 2004/05:405 2004/05:267 Henkel, Knut Hennicken, Dieter 1992:211 2001:137; 2003:125 Hermann, Heike Herrmann, Monika 2010:337 1992:339 Herzbruch, Jens 2001:215 Hertzsch, Wenke Herz, Michael 2002:111 1999:277 Hildersberger, Angelika 2010:231; 2013:329 Hoelscher, Martin Hoffenreich, Carola 1994:234 2011:179 Hoffmann, Heike Hoffmann-Axthelm, Dieter 1997:319 2002:231 Hohn, Uta Holm, Andrej 2009:227 Holthaus, Olaf 1992:327 2010:261 Horn, Antje Horni, Henriette 2011:199 2009:281 Hristovy, Aneta 2006/07:83 Hühner, Tanja Hundt, Tobias 2004/05:373 2003:109; 2008:55 Huning, Sandra Hurrle, Jakob 2004/05:391 Ingenschay, Cosima I 2003:341 Jacobs, Nils Jäger, Oliver Jähnke, Petra Janßen, Michael Jessen, Johann Jochumsen, Ole Jost, Karina Jürgens, Ulrich J 1990/91:293; 1992:271 1992:321 2013:181 1994:413 1998:255; 1999:193; 2010:65 2004/05:191 1998:313 2009:177; 2010:317 Kabisch, Sigrun Kadereit, Peter Kaether, Johann Kahnert, Rainer Kanacri Sfeir, Marilu Kantzow, Wolfgang Kasper, Birgit Kast, Alexandra Kath, Sylvia Kegler, Harald K 2003:315; 2004/05:77; 2012:333; 2013:367 1994:365 2010:133 1997:63 1992:228 1996:35 2001:315 2004/05:267 2001:215 1990/91:125; 1992:153; 1993:65; 1997:91; 2010:35; 2012:107 Kemming, Herbert Kensbock, Holger Kleger, Heinz Klitzing, Dieter von Klitzing, Anne Klose, Patrick Kloss, Christian Knebel, Nikolaus Koch, Michael Kodra, Dorothee Kolhatkar, Mrudula Kolodziej, Markus Konter, Erich Kopetzki, Christian Krätke, Stefan Krause, Bettina Krautzberger, Michael Krebs, Philipp Kreibich, Volker Kreutz, Stefan Krist, Stephanie Kronenberg, Ingo Kropp, Ingo Krüger, Arvid Krüger, Thomas Kuder, Thomas Kuhlicke, Christian Kuklinski, Oliver Künkel, Klaus Kunze, Ronald Kupfer, Conny Kurth, Detlef Lamker, Christian Lang, Markus Laschewski, Anka Latham, Alan Lautenschläger, Wolfgang Lehmkuhl, Gisela Leibl, Robert: Leimbrock, Holger Leinauer, Irma Ley, Astrid Lichtenberger, Elisabeth Liebau, Christiane Liebmann, Heike Linker, Michael Locher, Michael Lohnert, Beate Luchterhand, Daniel Luckmann, Heide Luczak, Urs Ludeña Urquizo, Wiley 2011:25 1998:225 1997:336 2001:157 1997:291 2011:119 2008:345; 2012:173 2009:187 1994:25; 1997:121 1995:196 2009:187 2003:377 1990/91:111; 1992:259; 1993:29; 1994:159; 1995:104; 1997:53 1990/91:125; 1992:361; 1994:385 1990/91:243; 1992:124 1997:33 1997:83 2002:111 1993:252 1999:209; 2003:9; 2008:253; 2012:251 1995:302 1992:321; 1994:402 2010:169 2009:19; 2012:233; 2013:161 2003:9; 2008:253; 2012:251 1995:69; 2008:195 2009:47 2003:75 1995:178 1990/91:13, 103, 300(R), 302(R); 1992:179, 366, 369(R), 370(R), 371(R); 1993:51, 205, 270, 275(R); 1994:205, 425; 1995:119, 316(R); 1997:63, 103; 1999:73, 173; 2000:313; 2001:81; 2002:55; 2004/05:53; 2010:55 1999:341 1990/91:293; 1992:271; 1999:95; 2000:297, 363; 2002:213; 2004/05:415, 421(R); 2010:337 L 2011:337 1993:188; 1995:137 2008:293 1999:253 1992:291 1992:291 1997:173 2012:85; 2013:69 1992:281 2011:213 1993:23 1995:291 2008:159; 2010:105; 2012:147 1994:390 2013:217 2009:295 2004/05:329 2011:139 2009:213 1995:269 Lübke, Ingrid Lüken-Isberner, Folckert Lückenkötter, Johannes 1990/91:229; 2003:203 2001:189 1995:229 Machule, Dittmar Mack, Gerlinde Mahnken, Gerhard Mai, Klaus Mamunlu, Hale Martokusumo, Widjaja Mathey, Juliane Maufrais, Katja May, Ruth Mazzanti, Raffaele Mecklenbrauck, Ilka Mellinger, Stefanie Meltzer, Lutz Merk, Elisabeth Meyer, Volker Michelis, Peter Migliaccio, Anna Milkov, Boris Mix, Peter Möbs, Sabine Möller, Holger Mosavat, Tooska Müller, Daniela Müller, Peter M. Müller, Sebastian Murböck, Marion Mussel, Christine M 2001:89 1994:419 2013:201 1992:169 2009:71 2000:203; 2002:255 2006/07:43 2003:341 2002:39; 2004/05:33 2003:239 2008:117 2008:293 2002:327 2008:185 2009:47 1999:125 2006/07:175 1997:173 2004/05:191 1999:341 1992:344 2009:83 1998:319 1994:339 1994:311 1998:303; 2002:295 2003:220 Naegler, David Nagler, Heinz Nähr, Norbert Nelle, Anja Neuer-Miebach, Therese Neugebauer, Carola Neumann, Wolfgang Niemann, Lars Nieße, Brigitte Nuissl, Henning Nyhues, Jens N 2006/07:19 2009:307 1994:377 2012:157; 2013:241 2003:267; 2004/05:311 2011:99 1999:193 2011:39 2004/05:255 2004/05:95 2003:301 Odebrecht, Julia Oevermann, Heike Oppen, Christian von Oßenbrügge, Jürgen Overhageböck, Nina O 2010:261 2013:107 2013:265 2009:29 2008:243 Pahl-Weber, Elke Patricio, Marisa Peiniger, Enrique Pesch, Franz Peter, Andreas Petz, Ursula von P 2004/05:191; 2006/07:133; 2008:83 1997:187 1993:94 1998:255 2003:315 1992:27, 71; 1993:23, 252; 1996:67, 295; 1998:63, 81; 2000:65; 2001:65; 2003:69, 221; 2006/07:39; 2010:47, 55 385 Pfadt, Andreas Pfeiffer, Peter Pfotenhauer, Erhardt Pinardi, Mara Plate, Elke Polinna, Cordelia Poppe, Manfred Poppel, Tom Potz, Petra Radermacher, Bettina Ramos Lobato, Isabel Reershemius, Sandra Reicher, Christa Reimer, Mario Reinken, Kurt Rettich, Stefan Reuther, Iris Riedel, Daniela Rieke, Kerstin Riemer, Hana Ring, Rosemarie Ringel, Johannes Rink, Dieter Roch, Isolde Röding, Anja Rogge, Peter Roloff, Jürgen Rommelfanger, Stefan Rosemann, Jürgen Roskamm, Nikolai Rüdiger, Holger Rüsch, Eckart Ruiz, Marcelo Ruß, Dirk Şahin, Sema Sáinz Guerra, Josè Luis Samuels, Ivor Sander, Hendrik Santos, Paula dos Sartorio, Francesca S. Sauter, Matthias Schäfer, Uta Schäfer, Nicole Schammer, Brigitte Schauz, Thorsten Scheller, Gitta Scheutzow, Katja Schilling, Maike Schinkel, Ulrike Schlomka, Bettina Schmale, Elisabeth Schmals, Klaus M. Schmidt, Alexander Schmidt, Birgit Schmidt, Dagmar Schmidt, Holger 386 1992:114 1990/91:251; 1992:219; 1997:207 1994:49 1990/91:27; 1992:169 1995:91 2006/07:295; 2010:79 1995:212 2008:293 1994:299; 1995:315; 1998:153; 1999:353; 2001:411; 2002:327 R 2006/07:325 2011:273 1996:278 2006/07:381; 2011:23 2011:25 2003:9 2008:171 1990/91:137; 1992:137 2001:215 2002:93 2013:145 1993:244 2004/05:113 2004/05:95 2008:135 2002:289 2003:331 1996:278 1992:299 1993:13, 155 2008:309 1994:390 1996:13 1999:21 1992:314; 1994:280 S 2013:343 1997:137; 2006/07:367 2000:91 2003:389 2000:191 2003:221; 2008:397 1998:263; 1999:21; 2001:109; 2003:283 1993:111 1999:353 2004/05:267 2011:39 2011:63 1998:163 1999:359 2010:215 2006/07:205 1999:145 1992:27; 1993:219; 1995:15; 1997:11; 2004/05:19 1998:225; 2004/05:123; 2008:333; 2011:285; 2013:361 1994:223; 1995:296 1995:119 1994:205; 2012:327; 2013:119 Schmitt, Gisela Schmitt, Jürgen Schneider, Sandra Schneide, Werner Schönig, Barbara Scholz, Barbara Scholz, Wolfgang Schramm, Sophie Schröder, Edgar Schröer, Achim Schröder, Roland Schröteler-von Brandt, Hildegard Schubert, Dirk 1994:15; 1998:239; 1999:313; 2003:51; 2004/05:221; 2011:351(R); 2013:379 (R) 1999:341 2004/05:255 2011:139 2006/07:275 1992:228 1998:163 2009:197 2000:399 2013:145 2006/07:113 1999:277; 2000:349; 2013:89 1990/91:157, 187, 299(R); 1992:15, 92, 356, 373(R), 374(R); 1993:124, 272(R); 1994:49, 421; 1995:39, 319(R); 1996:133; 1997:323, 333; 1998:81, 125; 1999:323(R); 2000:39, 127, 419; 2001:49, 81; 2003:69, 95, 249; 2006/07:39, 295; 2008:33; 2009:99; 2010:47; 2011: 21, 163; 2012:21; 2013:25 Schubert, Herbert J. 1995:15; 2000:11; 2001:173 1996:93, 120; 1998:35, 337(R) Schulz, Klaus-Dieter Schümer-Strucksberg, Monica 2004/05:267 Schwarz, Jürgen 1999:267 Schwormstedt, Karsten 1995:307 Scurrell, Babette: 2002:121 Seelig, Sebastian 2009:83 Sell, Torben 2008:363 Selle, Klaus 1990/91:69; 1994:67; 1999:9; 2001:21; 2003:75; 2008:19 Semsroth, Klaus 2002:183 Sept, Ariane 2003:341 Sewing, Werner 1994:193 Siebel, Walter 1993:141 Siebert, Ingo 2001:212 Siegmann, Jörg 2003:167 Sigglow, Julia 2010:199 Silveira, Carmen Beatriz 1997:225 Simon-Philipp, Christina 2011:245; 2013:303 Skalska, Anita 2008:383 Smaniotto Costa, Carlos 2006/07:43 Söpper, Katharina 2009:239 Sophianos, Sophos 1995:137; 2003:341 Spars, Guido 2004/05:135 Stafe, Philipp 2008:293 Stańczak, Małgorzata 2008:383 Staubach, Reiner 1997:257; 1998:263; 1999:21; 2000:265 Stein, Martin 1992:145 Stein, Michael 1990/91:147, 287; 1993:29; 1995:104 Steinbrink, Malte 2011:213 Steinebach, Gerhard 1997:75 Steinführer, Annett 2004/05:77 Stellmacher, Florian 2009:83 Sternberg, Manfred 1993:267 Stettner, Reiner 1995:91 Stotz, Patrick 2012:251 Stratmann, Eva-Maria 2000:71 Strauß, Christian 2004/05:113; 2008:431 Stumm, Brigitte Sucato, Evelyn Süß, Waldemar 1994:103 2004/05:171 1994:103 Tavares Ribeiro, Claudia Temple, Nicole de Tenz, Eric Thabe, Sabine Thiel, Joachim Tibbe, Heinz Tölle, Alexander Tomaselli, Markus Tornow, Britta Treffzt, Erich Trojan, Alf T 1997:207 2001:215 2013:127 2003:155 2000:127 2001:379 2006/07:339 2002:183 1990/91:211; 2001:247 2010:279 1994:103, 413 Überall, Frank Unbehaun, Christian Urbanczyk, Rafael Usadel, Jens Usunov, Katja Utku, Yasemin Uttke, Angela U 2011:153 1994:402 2010:241 2001:89 2006/07:189 2004/05:405 2006/07:243 Veil, Katja Viala, Jean Philippe Vollert, Maria: Volmer, Rainer Vorkoeper, Jutta V 2012:279 1996:210 1992:228 1994:390 2013:283 Waibel, Michael Wagner, Jeanette W 2009:115 1995:161 Wallraf, Wolfram Walter, Gerd Walther, Jens-Uwe Waltz, Victoria Walz, Manfred: Weber, Markus Weck, Sabine Weidinger, Jürgen Weidner, Silke Wegner, Harald Weiske, Christine Weist, Thorsten Weith, Thomas Wehrli-Schindler, Brigit Welch Guerra, Max Weltermann, Karin Wenzl, Thomas Weselak, Marta Wessling, Christoph Wever, Susanne Weyrauch, Bernhard Wildschütz, Ulli Wilke, Heinrich Winters, Theo Wullers, Daniela Wuschansky, Bernd 2008:207 1998:109 2003:191; 2004/05:267 2001:293 1996:227 2006/07:257 1992:334; 2000:175 2006/07:145 2008:431; 2011:139 1994:402 1993:111 2002:338 2010:351(R) 2002:171 1990/91:267; 1992:240; 1993:29, 256; 1994:179, 365; 1995:326(R); 1998:141, 340(R); 2000:65; 2012:41 1994:402 2001:215 2008:383 2009:307 1992:334 1996:257; 2008:345 1994:15 1992:314; 1994:280 2013:45 2006/07:313 2008:101 Zablocka-Kos, Agnieszka Zavala-Kcomt, Teresa Zemke, Reinhold Zibell, Barbara Ziegler, Christiane Zimmer-Hegmann, Ralf Z 2000:161 2000:399 2008:273 1994:25; 1997:121 1996:113 2004/05:171 387 Ortsregister 1990-2013 Afrika Allgemein 1990/91:243 Äthopien Addis Abeba 2009:187,295 Ägypten Kairo 2009:307 Rashid 1995:212 Kenia Nairobi - Kibera (Soweto) 2009:197 Südafrika Allgemein 2011:213 Guateng 2009:177 Johannesburg 2009:29 Kapstadt 1997:173 Japan Kobe 2011:11 Tokio 2002:231 Nepal Lekhnath 2013:319 Palästina Gaza 2001:293 Jerusalem 2001:293 Sri Lanka Allgemein 2013:319 Südkorea Seoul 2009:159 Türkei siehe unter Europa Vietnam Ho Chi Minh City 2009:115,129; 2010:215 Tansania Daressalam 1995:229; 1998:163 - Tabata 1995:229 Asien Allgemein 1990/91:243 China Guangzhou 2009:137 Hongkong 2009:137 Shanghai 2011:285 Indien Mumbai (Bombay) - Dharavi 2009:99 Indonesien Bandung 2000:203 (Braga) Jakarta 2002:255 (Sunda Kelapa ) Iran Australien/Ozeanien Australien Canberra 2012: 207 Sydney 1999:227; 2000:225; 2012: 207 - Newington 2000:225 Neuseeland Auckland 1999:253 (Ponsonby Road) Europa Allgemein 1992:195 Belgien Allgemein - Flandern 2006/07:159 Teheran 2009:83 Bulgarien Israel Jerusalem 2001:293 Allgemein 2013:227 Sofia 2013:227 389 Dänemark Allgemein 1996:35 Ballerup 1990/91:211 Kopenhagen 1993:29; 2010:65; 2013:303 - Nørrebro 2001:247 - Vesterbro 2001:247 Taastrup 1990/91:211 Deutschland Allgemein 1996:248 (Neue Bundesländer); 2001:9 (DDR); 2012: 41 - Brandenburg 1995:296; 2008:219; 2010:151 - Hessen 2001:189; 2008:219 - Mecklenburg-Vorpommern 1999:113; 2010:133 - Nordrhein-Westfalen 1997:69 (Ruhrgebiet); 1998:239, 303, 313: 1999:21; 2000:349; 2003:389; 2004/05:171, 373; 2006/07:83; 2008:83, 101; 2010:241; 2011:25,39,337 - Rheinland-Pfalz 2008:219 - Sachsen-Anhalt 2010:133 - Schleswig-Holstein 2008:219; 2010:163 - Thüringen 2010:133 Aachen 1999:277; 2010:241 Altenburg 1996:257 Arnsberg 2008:109 Bergkamen 1994:280 Berleburg (Bad) 2013:89 Berlin 1990/91:125, 147; 1994:159, 193, 418 (Mauerstreifen); 1996:93 (Ost-Berlin); 1997:11 (Ost-Berlin); 1998:9, 25; 1999:95; 2001:229, 341; 2003:341; 2004/05:267; 2006/07:113; 2008:345; 2010:35; 2013:53 (Ost-Berlin) - Friedrichshain 1994:179 (Rummelsburger Bucht, Eldenaer Straße), 419 (Eldenaer Straße); 1999:227 (Rummelsburger Bucht); 2001:391 (Boxhagener Kiez); 2003:301, 341 (Boxhagener Kiez) - Hellersdorf 1999:159 - Köpenick 1996:53 (Allende-Viertel) - Kreuzberg 1994:49; 1999:9; 2000:29; 2003:341 (Wrangelkiez); 2008:309 (Gleisdreieck); 2012: 173, 207; 2013:45, 53, 181 - Lichtenberg 2012: 233 (Hohenschönhausen), 233 (Karlshorst/Rummelsburg), 233 (Alt-Lichtenberg); 2013:161 (Neu-Hohenschönhausen) - Marzahn 1995:104; 1996:93; 2001:121 (Nord); 2010:117; 2012: 279; 2013:127 - Mitte 1994:124 (City Ost), 365 (Friedrichstadt, Dorotheenstadt); 1995:63 (Museumsinsel), 326 (Wilhelmstraße); 1996:93, 113 (Regierungsviertel), 120 (Potsdamer Platz); 1998:35 (Arkonaplatz), 141 (Friedrichstadt); 2001:9 (Alexanderplatz, Marx-Engels-Forum); 2012: 107 (Nicolaiviertel, Fischerinsel), 125 - Moabit 1995:69 (Lehrter Bahnhof); 2003:341; 2013:127, 181 - Neukölln 1990/91:293; 1992:271; 1993:94 (Britz-Süd); 2001:121 (Reuterkiez); 2012: 69; 2013:45 - Pankow 2011:233 - Prenzlauer Berg 1993:227 (Helmholtzplatz); 1995:91; (Bötzowviertel, Kollwitzplatz); 1997:291; 1998:35 (Arnimplatz); 2013:45 - Reinickendorf 1992:179 (Märkisches Viertel) - Spandau 1990/91:27; 1992:291 (Herrstraße-Nord), 1994:179 (Wassersadt Oberhavel) - Tiergarten 1993:75 (Turmstraße) - Treptow 1994:179 (Adlershof); 2006/07:19 (Johannistal) 390 - Wedding 1994:49 (Brunnenstraße); 2003:341 (Soldiner Kiez); 2004/05:391 (Soldiner Kiez); 2012: 69, 125, 173 Bitterfeld 1992:153; 1997:91; 2008:219; 2012: 333 Blankenburg (Bad) 2008: 219 Bochum 2004/05:405 Böhlen 1997:103 Boitzenburg 1994:234 Bollwick 1999:113 Bonn 2008:135 Borken 2008:219 Borna 1997:103; 2012:333 (Birkenhain) Bottrop 1996:227 - Welheim 1992:314; 1994:280 Brandenburg (Havel) 1992:169 (Neustadt) Braunsbedra 2012: 333 Braunschweig 1992:71 (Altstadt ); 2012: 69 Bremen - Grohner Düne 1992:179 - Mahndorfer Marsch 2008:333 - Osterholz-Tenever 2008:83 - Peterswerder 1993:244 - Varreler Bäke 1992:179 Castrop-Rauxel 1996:227; 2006/07:83 Chemnitz 2001:9 (Karl-Marx-Stadt); 2006/07:65; 2008:431; 2012: 251 - WG „Fritz Heckert“ 1999:343 Cottbus 2006/07:95; 2008:293 - Sachsendorf-Madlow 2000:285; 2002:131; 2004/05:373 Darmstadt 2012: 69 Dessau 1992:145, 153; 1997:91; 2003:359 - Gasviertel 1998:141 - Nord 1990/91:287; 1992:162 - Wolfener Siedlung 1992:153 - Roßlau 2013:119 Dorsten 2008:101 (Wulfen-Barkenfeld) Dortmund 1992:299; 1999:291; 2008:243; 2010:241 - Borsigplatzviertel 2001:35 - Hombruch 1992:334 - Innenstadt 1994:87 - Nordstadt 1992:299; 1994:67 - Kasernenareal 1992:321 - Scharnhorst 2010:261 Dresden 1993:270; 1999:125; 2008:135, 431; 2012: 125 - Gorbitz 1999:145 - Nickern 2004/05:207 - Prohlis 1999:145 Duisburg 2010:231; 2013:241 - Hochheide 2006/07:243 - Maxloh 1999:53; 2002:273 - Nord 2006/07:83 Eggesin 2002:131 Eisenach 2012: 279 Eisenhüttenstadt 2012: 279 Eisleben 2011:51 Erfurt 1992:339 (Andreasviertel); 2012: 107 Esens 2012: 125 Essen 2004/05:171; 2010:231; 2013:107, 297 Frankfurt (Main) 1992:370, 371; 1993:29; 2001:65 Fürstenwalde (Spree) 2001:215; 2004/05:135 Geithain (Sachsen) 1995:291 Gelsenkirchen 2004/05:171; 2008:111; 2012: 251 - Birmarck/Schalke-Nord 1998:313; 2002:295 - Lindenhof 2010:337 Gießen 2003:331 Godesberg (Bad) 2012: 69 Görlitz 1998:35; 2012: 279; 2013:69 Göttingen 2001:199 (Grone) Gotha 2012: 107 Gräfenhainichen 2004/05:149; 2012: 333 Greifenhain 2006/07:95 Greifswald 2012: 107; 2013:127 Grevelsberg 2008:109 Großgrimma 2012: 333 Großräschen 2000:285 Güstrow 2012: 125 Halberstadt 1999:83; 2012: 107 Halle 2003:359; 2006/07:205; 2008:185, 431; 2012: 279 - Brunos Warte 1998:35 - Glaucha 2012: 157 - Neustadt 1994:205; 1995:119; 1999:173; 2000:313; 2012: 107 - Silberhöhe 2000:313 Hamburg 1990/91:125; 1992:92, 119; 1993:29, 270; 2003:155; 2004/05:267; 2008:345; 2009:239; 2012: 69, 125, 147, 251; 2013:283, 303 - Altona 1994:103 (Osterkirchenviertel); 1996:133; 1998:109 (Ottensen); 2001:137 (Lurup); 2008:33 - Bergedorf 1990/91:187; 1995:307 (Lohbrügge-Nord) - Eimsbüttel 1993:124 (Schröderstift); 1998:109 (Eidelstedt); 2003:377 (Schanzenviertel); 2009:239 (Lenzviertel); 2012: 271; 2013:25 - Harburg 1992:179 (Kirchdorf-Süd); 1993:244 (KirchdorfSüd); 1995:302 (Kirchdorf-Süd); 2001:89 (Wilhelmsburg), 2002:93 (Neuwiedenthal-Stubbenhof); 2003:125 (Wilhelmsburg); 2012: 207 (Wilhelmsburg); 2013:181, 201 (Wilhelmsburg) - Mitte 1990/91:157 (Karolinenviertel); 1992:92 (Altstadt, Neustadt), 110 (Speicherstadt), 356 (Karolinenviertel); 1993:124 (Hafenstraße); 1996:133 (Hafen, Speicherstadt); 1998:109 (St. Pauli); 2000:419 (HafenCity); 2003:9 (Karolinenviertel); 2010:93 (Osterbrookviertel); 2013:25 (St. Pauli); 2013:25 (Hammerbrook) - Nord 2006/07:113 (Ohlsdorf ) - Wandsbek 1990/91:187 (Farmsen, Tegelsbarg, Hohenhorst); 1998:109 (Steilshoop); 2003:125 (Steilshoop); 2010:261 (Steilshoop) Hameln 2012: 85; 2013:69 Hamm 2008:108 Hannover 1995:15 (EXPO); 2013:69 - Hainholz 1992:179 - Nordstadt 2004/05:33 Hattingen 2008:117 (Südstadt) Hennigsdorf 2004/05:207 Herne 1996:227 Herten 2008:333; 2012: 85; 2013:69 Hiddenhausen 2013:89 Hildesheim - Drispenstedt 2001:199; 2004/05:255 Hohenmölsen 2012:333 Hoyerswerda 2002:131; 2012: 279 Illingen (Saarland) 2013:89 Ingolstadt 2013:145 Jena 2004/05:123 (Lobeda); 2012: 279 Jesberg 2008:219 Karl-Marx-Stadt siehe Chemnitz Karlsruhe 2013:303 Kassel 2004/05:405; 2008:33; 2012:125 - Helleböhn 1994:390 - Nordstadt-Hegelsberg 2002:111 - Waldau 1992:179 Kiel 2008:33 Kleve 2008:333 Koblenz 2012: 327 Köln 1993:29; 2011:153; 2012: 125, 207; 2013: 303 - Kalk 1998:239; 2006/07:257 Konstanz 2008:333 (Strohmeyersdorf); 2013: 303 Kreuztal 2008:110 Lauchhammer 2006/07:95 Leinefelde 2002:131; 2004/05:149; 2012: 279; 2013:127 Leipzig 1990/91:125, 1992:137; 1993:29; 1994:402; 1995:137; 1998:35; 2001:65; 2004/05:77, 95, 113; 2008:431; 201:139; 2012: 107, 279, 333; 2013:127 - Connewitz 1992:137; 1995:137 - Grünau 1992:271; 1995:137; 1999:159; 2006/07:225 - Innenstadt 2004/05:207 - Lindenau 1997:303 - Neustadt-Neuschönefeld 1997:303 - Reudnitz 2006/07:43 - Südraum 1997:103; 2006/07:59 Leuna 2006/07:145 Liebenau 2002:332 Lörrach 2013:303 Ludwigsburg 2010:337 (Schlösslfeld) Lübeck 1994:259; 2013:217 - Altstadt 1992:37; 1993:234 Magdeburg 1990/91:137; 1994:385; 2003:359 - Altstadt 1994:385 - Kannenstieg 1999:173 - Neustädter Feld/See 1999:173 - Olvenstedt 1999:173 - Reform 1999:173 - Salbke 2008:171 Mannheim 2012: 125 Marburg 2012: 85; 2013:69, 89 Marl 2013:69 Meißen 1999:83 München 1993:29; 1996:35; 2008:33; 2013:145 - Freihm 2010:337 - Haidhausen 1993:219; 2012: 125 - Harthof 2013:241 Münster 2006/07:133; 2012: 125 Nauen 1996:268 Naumburg 2012:107 Neuenkirchen (Saar) 1992:259 Neuental (Nordh.) 2008:219 Neuhausen (auf den Fildern) 2013:303 Neuruppin 1994:377, 397 Neuwied 2012: 327 Nürnberg 1993:29; 2013:303 Ochsenfurt 2013:145 Oer-Erkenschwick 2004/05:171 Pirmasens 2008:83 Plauen 2013:69 Potsdam 2001:9; 2012: 107, 125; 2013:303 - Bornstedter Feld 2004/05:207 - Erste Barocke Stadterweiterung 1997:33 - Stern 1992:291 - Zweite Barocke Stadterweiterung 1990/91:175; 1994:397; 1998:35 Quedlinburg 2012: 107 Ravenburg 2002:332 Regensburg 2013:217 391 Remscheid 2010:23 Riesa 1997:115 Rosenheim 2012: 251 Rostock 1993:29; 1999:113 - Altstadt 1998:35 - Groß Klein 2001:215 Rudolstadt 2008:219 Saalfeld 2008:219 Saarbrücken 2013:303 Sangershausen 2004/05:149 Schotten 2013:89 Schwäbisch Gmünd 2012: 251 Schwedt (Oder) 2012: 279 Schwerin 1993:111 (Großer Dreesch); 1998:63 Schwerte 2011:119 Selb 2008:83 Siegen 2013:89 Soest 2013:89 Staßfurt 2013:119 Stralsund 1999:83; 2011:99; 2012: 279; 2013:127 Stendal 1999:173; 2012: 279 Stuttgart 2011:245; 2013:303 - Bad Cannstatt 2011:245 Suhl 2012: 279 Tübingen 2003:143; 2012: 125 Velten 2000:333 Wabern 2008:219 Walmerod 2013:89 Waltrop 1996: 227 Weilheim 2013:145 Weimar 1998: 225 (Nord); 2012: 107 Weißwasser 2003:315; 2013:127 Wetzlar 2003:331 Wismar 1999:113; 2002:149 (Friedenhof); 2011:99; 2012: 125; 2013:217 Wittenberg 1992:153; 1997:91; 2008:207 Witznitz 1997:103 Wolfen 1999:173 (Nord); 2008:219 Wolfsburg 2004/05:191; 2011:63 Wolgast 2012: 279 Wuppertal 1999:53 (Ostersbaum) Zeitz 2012: 333 Ziegenhain 1992:344 Zschornewitz 1994:223 Zwesten (Bad) 2008:219 Zwickau 1992:327 (Nordvorstadt); 2008:431; 2012: 279 England siehe UK Frankreich Allgemein 1994:421; 1996:172; 1999:193; 2003:267; 2004/05:311; 2011:263 - Lothringen 1997:69 Béziers 1993:188 Lille 2006/07:357 Lyon 1993:188 (Vénissieux) Paris 1993:29; 2010:35; 2013:265 - Mantes-La-Jolie 1993:188 - Massy-Saclay 2002:77 Großbritannien siehe UK 392 Irland Dublin 2004/05:267 Italien Allgemein 1990/91:27; 2006/07:175; 2013:265 Assisi 1996:159 Bologna 1993:29; 1996:159; 2003:239 Cinisello Balsamo 2001:269 Florenz 2013:217 Genua 2008:55, 397 Mailand 2001:269 Neapel 1996:159 Palermo 2006/07:189 (Oreto-Tal) Rom 1993:29, 252; 1994:299; 1996:67, 159; 1998:153; 2003:221 Turin 2008:397 Lettland Allgemein 2013:227 Riga 2008:363 Litauen Allgemein 2013:227 Vilnius 2004/05:267 Mazedonien Skopje 2009:281 Niederande Allgemein 1993:155; 2002:213 Amsterdam 1992:211; 2011:299 - Bijlmermeer 2002:213; 2004/05:283 - Parkstad 2004/05:283 Hoogvliet 2010:65 Nijmegen - Oud-West 1993:168; 2000:71 Roosendaal 2002:213 (Philipswijk) Rotterdam 1990/91:229; 1993:29; 2000:39; 2002: 213 (Hoogvliet); 2010: 65; 2013:303 Norwegen Oslo 2000:39 Österreich Wien 1993:29; 1997:161; 2002:183; 2004/05:299; 2009:239 ; 2010:19 - Erdberg 2002:183 - Gürtel 2002:183 - Heiligenstadt 1993:272 (Karl-Marx-Hof ) - Ottakring 2003:155 - Volkert- und Alliiertenviertel 2009:239 Polen Allgemein 2013:227 Breslau 2000:161; 2006/07:325 (Ohlauer Vorstadt) Elbing 2008:383 Glogau 2008:383 Krakau 2000:161 Lodz 2008:383 Posen 2000:161; 2006/07:339; 2008:383 Sosnowiec 2008:383 Stettin 2000:161; 2006/07:325; 2008:383; 2011:319 Warschau 2000:161; 2013:227 - Altstadt 2008:383 - Mokotow 2008:383 Portugal Lissabon 2000:39; 2013:265 - Barrio Alto 2000:127 - Cestelo 2000:127 Porto 2011: 273 - Morra de Sé 2011:271 Russland Jaroslawl 2003:203 Moskau 1992:240; 1995:178; 2013:265 - Chimki-Selenograd 2002:77 - Kuncevo 1998:193 - Tepli Stan 1992:240 St. Petersburg 2004/05:329; 2013:227 Schweden Göteborg 2000:39 Malmö 2000:175 (Rosemgaard); 2013:303 Schweiz Basel 2010:65; 2013:217 Bern 2013:217 Biel 1997:121 Genf 2013:217 Lausanne 2013:217 Monte Carasso 1997:121 Winterthur 1997:121 Zürich 1997:121; 2008:33; 2013:217, 303 - Auzleg 2002:171 - Grünau 2002:171 - Hardquartier 2002:171 Spanien Barcelona 1993:29; 1997:137; 2000:39; 2012: 313 Elche 1996:193 Madrid 1997:137 - Palomeras 2006/07:367 - Puente de Vellecas 1994:311; 2000:1491 - Tres Cantos 2002:77 Sevilla 1995:196 (EXPO) - Altstadt 1995:196 Valencia 2012: 313 Tschechische Republik Brno 2013:227 Most 2012: 107 Prag 2013:303 Theresienstadt 20 Türkei Istanbul 1997:323; 1998:183; 2009:71 - Küçükçekmece 2009:71 - Zeytinburnu 2009:71 - Beyoğlu 2013:343 UK (Vereinigtes Königreich) Allgemein 1994:421; 1995:39, 161; 2000:91, 105; 2012:187 Belfast 2011:199 Creswell 2012: 297 Coventry 2008:33 Glasgow 1993:29; 2000:175 (Govan); 2004/05:267 Huddersfield 2006/07:225 Liverpool 2012:297 London 2006/07:295; 2010:35, 65, 79 - Southwark 2003:249 - Tower Hamlets 2003:249 - Covent Garden 2012:207 - South Bank 2012: 207 Manchester 1999:209 (Hulme) Newport 2012:297 Ukraine Ivano-Frankivsk 2013:227 Nord-/Mittelamerika Cuba Havanna 2000:379 (Las Cañas); 2010:279 (Allg., San Isidro); 2013:265 Dominikanische Republik Allgemein 2013:319 El Salvador San Salvador 1993:205 (Colonia Las Palmas, Colonia St. Louis, Colonia Tutunichapa, Esteban) Haiti Port-au-Prince 1996:210 (Bicentenaire) Kanada Toronto 2012: 21 USA (Vereinigte Staaten von Amerika) Allgemein 2000:265; 2003:179; 2011:163 Baltimore 2011:163 Boston 2011:163; 2012: 21 Chicago 2000:39; 2001:315 (Cabrini Green); 2006/07:275; 2010:35 Memphis 2000:253 New Orleans 2011:179 - French Quarter 2011:179 New York 1997:235 (Bronx , Brooklyn); 2011:163; 2012: 21 Pittsburgh 1994:87 - Oekland 1994:87 Seattle 2011:163 Washingston D.C. 2010:297; 2012: 21 Südamerika Allgemein 1990/91:243 Argentinien Buenos Aires 2009:213; 2013:265 Brasilien Allgemein 2000:191; 2013:241 Belém 2013:241 Fortaleza 2013:241 393 Porto Alegre 1994:331; 2013:319 Rio de Janeiro 1992:219; 1997:207, 225; 2013:265 Salvador de Bahia 2013:241 Santos 1997:187 (Favela do Dique) Sao Paulo 2013:241 Chile Santiage de Chile 1992:228 (Santiage Poientes) Valparaiso 1990/91:267; 1993:256 - Andahuaylas 1995:296 - Barranco 1995:269 - Barrios Altos 1995:246 - Ciudad de Papel 1994:377 - Huaycán 1994:377 - Mendoza Merino 1995:246 - Monserrate 1995:246 - Pachacamac 1994:377 Trujillo 2000:399 (El Povenir) Ecuador Quito 1998:211; 2004/05:355 Uruguay Montevideo 1994:351 (Barrio Sur) Kolumbien Medellín 2013:329 Peru Lima 1990/91:251; 1994:377 ; 1995:246 394 Venezuela Bejuma 1994:339 Caracas 1996:278; 2009:227 Miranda 1994:339 Montalbá 1994:339 Stichwortregister 1990–2013 Bitte beachten Sie Angegeben ist jeweils die Seitenzahl, auf dem ein Artikel beginnt. Der inhaltliche Bezug kann sich dabei auch erst auf einer späteren Seite befinden. Bei der Fülle an bisher erschienenen Beiträgen war es nachträglich nicht möglich, die Schlagwortvergabe absolut korrekt und widerspruchsfrei durchzuführen. Hineise zu falschen Zuordnungen oder fehlenden Verweisen nimmt die Redaktion gerne entgegen. Wir hoffen, dass Ihnen dieses Stichwortverzeichnis bei der Benutzung des Jahrbuches Stadterneuerung weiterhilft. A Abriss siehe Rückbau Akteure 1990/91:157; 1999:31; 2002:213, 338; 2011:139, 233, 273, 319; 2013:107, 181, 201, 283 - öffentliche Akteure 2008:19 - Sanierungsträger 1993:124 - Wohnungswirtschaft 1995:178; 2013:127, 161 insb. zu Bürger, Mieter etc. siehe Partizipation altersgerechtes Wohnen siehe Demografie Altstadt 2013:217, 265, 343 siehe auch Innenstadt Agenda 21 siehe Nachhaltigkeit Aufbau siehe Wiederaufbau Aufschwung Ost siehe Stadterneuerung in den neuen Bundesländern Aufwertung 2008:71, 101, 117, 135, 207, 219; 2013:69, 127, 145, 181, 283, 303, 329, 343 Ausbildung siehe Universität Ausland siehe Stadterneuerung im europäischen Ausland und hervorgehobene Artikel (kursiv) Ausländer siehe Migration B Bauakademie der DDR 2012: 107 Baukultur 2012: 173 Baurecht siehe Planungsrecht Behutsamkeit / behutsame Stadterneuerung 2013:25, 45, 53, 69, 89, 107, 119, 127, 145, 161, 181, 201, 217, 227, 241, 251 siehe auch Revitalisierung Die Fett hervorgehobenen Stichworte waren zuvor ein Schwerpunktthema im Jahrbuch Stadterneuerung. Dieses beinhaltet gewöhnlich eine ausführliche Einführung in das Thema. Der entsprechende Artikel ist in der Auflistung ebenfalls fett hervorgehoben. Die unterstrichenen Artikel nähern sich dem Thema von einer stark theoretisch orientierten Richtung. Die kursive Schreibweise (Seitenzahl) gibt einen Hinweis auf internationale Beiträge. benachteiligte Gebiete siehe Soziale Stadt Bergbaufolgelandschaft siehe Tagebau Bestandsentwicklung siehe Revitalisierung Betroffenenbeteiligung siehe Partizipation Bildung 2011:245 Bildungskatastrophe 2012: 41 Bodenrecht siehe Planungsrecht Brachfläche 2008:171, 309, 383; 2011:245 Bürgerbeteiligung siehe Partizipation Bürgerhaushalt 2012: 233; 2013:161, 319 Bürgerkommune 2012: 233 Bürgerinitiative 2012: 271 Bundesbaugesetz siehe Planungsrecht C Community Planning 2012: 207 Congrès International d‘ Architecture Moderne (CIAM) 2013:265 D Deindustrialisierung siehe Konversion Demografie 2002:131; 2004/05:61, 95, 373; 2006/07:65, 205, 225; 2010:105, 117, 133, 163, 169, 183, 199, 241 - kindergerechte Stadt 2004/05:391; 2011:233 - Wohnen im Alter 2000:313; 2008:117; 2010:19 - demographischer Wandel 2013: 89, 227 Denkmalpflege 1992:344; 1994:259; 1995:269, 291; 1996:13, 120; 1997:33; 1998:35, 63, 141, 211; 2000:127,161, 203; 2002:201,255, 317; 2004/05:329; 2008:185, 195; 2010:279; 2011:81, 99, 299; 2012: 125, 147, 187, 207, 297; 2013:217, 241 395 Denkmalschutz 2012: 297; 2013:107, 283, 343 Denkmalschutzgesetz 2012: 107 Design siehe Stadtgestaltung Dezentralisierung 2012: 21 Dorferneuerung 1999:113; 2009:137; 2013:89 E Einzelhandel siehe Stadtökonomie Energiewirtschaft siehe Infrastruktur Entdichtung 2012: 21 Entwicklungshilfe siehe Entwicklungszusammenarbeit Entwicklungsmaßnahmen 1994:179; 1996:35; 1999:33 Entwicklungszusammenarbeit 1990/91:251; 1993:205; 1994:331; 1995:212, 229, 269; 1998:163 siehe auch squatter settlement Erneuerungspolitik 1990/91: 157, 229; 1992: 162, 95, 228; 1993:29, 155, 168, 188, 205, 256; 1994:49, 159, 193, 234, 299, 331, 351, 365, 385, 402, 415; 1995:137, 246, 269; 2003:9, 87, 249, 267; 2004/05:149, 241, 311; 2006/07:19, 357 Europa siehe Stadterneuerung im europäischen Ausland und hervorgehobene Artikel (kursiv) bzw. Erneuerungspolitik Evaluation 2002:295; 2012: 297 Eventplanung siehe projektorientierte Planung F Federal Housing Act 2012: 21 Festivalisierung 2011:21, 25, 39, 51, 63, 81, 99, 119, 139, 153, 163, 179, 199, 213; 2013:303 siehe auch projektorientierte Planung Flächenrecycling siehe Konversion Flächenreserve siehe Leerstand Flächensanierung 1990/91:125; 1992:92; 1998:35; 2000:161; 2002:149, 231; 2004/05:221; 2009:99, 115, 137; 2012: 21, 41, 69, 85, 107, 125, 173; 2013:53, 69, 89, 145, 227, 241, 265 Fördermittel(wettbewerb) 1992:195; 2000:105; 2008:101, 195, 397 Freiraum 1990/91:211, 293; 1992:179, 240, 271; 1995:307; 1996:93, 113, 227; 1997:91; 1999:145; 2001:21; 2002:111, 119: 2003:155; 2004/05:123, 191; 2006/07:39, 43, 133, 145, 243; 2008:71, 117, 135 (Ansprüche); 2009:71, 159, 307; 2010:117; 2013:145, 217, 227, 303 siehe auch Landschaft Friedhof 1990/91:293; 1992:271; 2006/07:113; 2013:89 Fußgängerzone 2008:33 G Gender 1993:244; 1996:268; 1998:325; 2002:39 Gentrification / Gentrifizierung siehe Stadtsoziologie Geoinformationssysteme (GIS) 1994:339; 2004/05:191; 2006/07:113 Geschichte siehe Planungsgeschichte oder Denkmalpflege Gewerbe siehe Stadtökonomie Globalisierung 2013:343 siehe auch Nachhaltigkeit Großprojekte 2012: 313 396 Groß(wohn)siedlung 1990/91:187, 211; 1992:179, 240, 281; 1993:111, 188; 1994:205, 311; 1995:104, 119, 302, 307; 1996:248; 1997:35, 125; 1998:225, 239; 1999:95, 145, 159, 173, 193, 343; 2000:313, 333; 2001:137, 199, 269, 315, 377; 2002:93, 131, 149; 2003:203; 2004/05:283, 299; 2006/07:243 (Hochhaus), 275, 367; 2008:83, 117, 135, 159, 207, 363; 2010:117, 231, 337; 2012: 69, 125, 207, 233, 279; 2013:127, 161, 227 Grünraum siehe Landschaft und Freiraum H Hafen 1996:133; 1997:173; 2000:39; 2002:255; 2006/07:295; 2011:163 Hochhäuser siehe auch Großwohnsieldung I IBA siehe Internationale Bauausstellung Infrastruktur 1997:69; 2010:55; 2012: 41; 2013:89, 227, 319 - technische 1992:327; 1994:390; 1996:257; 1998:163; 2002: 171; 2006/07:145; 2009:115, 159, 213, 227; 2010:133, 169, 183, 199, 215, 337; 2011:163; 2013:343 - soziale/kulturell/bildung 1994:103, 413; 2001:377; 2004/05:123, 191; 2006/07:225, 257; 2010:19, 65, 79, 93, 105, 117, 133, 151, 163, 317; 2011:245 Innenentwicklung 1990/91:147; 1997:235; 1998:193; 2002:213; 2009:281; 2010:215 - Nutzungsmischung 1996:25; 2012: 21, 69, 125; 2013:69, 145, 303 Innenstadt 1990/91:243; 1992:37, 71, 145, 211; 1996:159, 2002:239; 1997:121, 137; 1998:63, 211; 1999:95; 2000:91, 161, 203, 253; 2001:9; 2002:255; 2003:167, 2004/05:77, 191, 329; 2006/07:325; 2008:33, 159, 207, 243, 383; 2009:261, 281, 307; 2010:215, 279; 2011:199, 273 siehe auch sozialistische Planung Integration siehe Migration integrierte Stadtentwicklungsplanung 2012: 21, 147 Interkommunale Kooperation 2003:331; 2006/07:59; 2008:219, 431 siehe regionale Kooperation Internationale Bauausstellung (IBA) 2011:51, 245; 2013:127, 145 - Berlin (1979-1987) 1994:49; 1999:9; 2013:45, 53, 07, 227 - Emscher Park 1992:314, 369; 1993:141; 1994:280; 1996:227; 1999:9; 2001:65; 2006/07:83; 2011:25, 39; 2013:107 - Fürst-Pückler-Land 2000:285; 2006/07:95; 2011:51 - Hamburg 2013:201 - Stadtumbau 2002:119; 2011:51; 2013:119 Internationales siehe Stadterneuerung im europäischen Ausland und hervorgehobene Artikel (kursiv) K Kahlschlagsanierung siehe Fläschensanierung Kartografie 1994:339 siehe auch GIS Kiezmangemant siehe Stadtmanagement Kinder siehe Demographie Konversion 1997:63; 1998:125; 2001:65; 2013:343 - industriell 1990/91:12; 1992:334; 1997:69, 91, 103, 115, 121; 1998:225, 239; 1999:277; 2000:285; 2006/07:59, 95; 2011:25; 2012: 125, 207 - infrastrukturell 1996:133; 1997:173; 2000:39; 2002:231, 255; 2004/05:207; 2006/07:43; 2008:309; 2011:163, 245 - militärisch 1992:321; 1997:75; 2002:201; 2004/05:207 siehe auch Leerstand Kooperation siehe interkommunale Kooperation kritische Rekonstruktion 2012: 107, 125, 173, 207 Kultur 1996:227;1998: 313; 2003:69, 155, 167, 341; 2004/05:421; 2006/07:95, 225, 295; 2008:71, 171; 2011:39, 63, 119, 139, 163, 179; 2013:107, 303 Kunst siehe Kultur L Lärm 2008:323 Landschaft 1996:227; 1997:91, 103; 2001:65; 2002:111; 2004/05:45; 2006/07:41, 159, 175, 189; 2008:135, 309, 411; 2010:117 siehe auch Freiraum und Wasser Leerstand 1996:210; 1998:12; 2002:131, 201; 2003:341; 2008:159; 2012: 157, 279; 2013:89, 181 siehe auch Konversion Lehre siehe Universität Leitbild(er) 1992:137; 1993:29; 1996:53; 1997:69; 2006/07:19; 2012: 21, 69, 125, 187, 207; 2013:69, 201, 283, 303 siehe auch Planungstheorie Lokale Agenda siehe Nachhaltigkeit Lokale Ökonomie siehe Stadtökonomie M Megacities und Stadterneuerung 2009:29, 47, 61, 71, 83, 99, 115, 129, 137, 159, 187, 197, 213, 227, 295, 307; 2010:215 Metropolregion 2012: 313 Migration 1992:314; 1997:11; 173; 1998:325; 1999:53, 193; 2000:29, 191; 2001:35, 121; 2002:273; 2004/05:221; 2006/07:275; 2013:319 Mittelstadt 2012: 85, 147; 2013:69 Moderne, städtebauliche 2012: 69, 125, 173, 187, 207 Moderniesierung 2012: 21 N Nachhaltigkeit 1997:323; 1998:63, 81, 91, 125, 141, 153, 163, 183; 2001:173, 247; 2002:295; 2010:337; 2011:139; 2012: 187; 2013:45, 251, 319 Neokeynesianismus 2012: 41 Neoliberalismus 2012: 41 Neubau 1990/91:267; 1992:110, 145, 271, 321, 334; 1993:256; 1994:179, 223, 390; 1995:69, 296; 1997: 235; 1998:35; 2000:225; 2002:131, 213, 231; 2009:99, 115, 137, 295; 2013:89 New Urbanism siehe Stadtsoziologie Nutzungsmischung siehe Innenentwicklung Nachmoderne siehe Städtebauförderung, 40 Jahre O Öffentlicher Raum 1996:278; 2000:11; 2001:21; 2002:111; 2003:69, 75, 87, 95, 109, 125, 143, 179, 191, 359; 2004/05:329, 391; 2006/07:133; 2008:55, 71; 2011:139, 153; 2013:303 Öffentlicher Wohnungsbau 1990/91:187, 211; 1997:235; 2001:315; 2006/07:275, 339, 367; 2008:117; 2009:187; 2010:297; 2012: 41, 69, 125 Ökologie 1990/91:89; 1992:291, 299; 1994:103, 390; 1996:257, 268; 1997:69, 91, 187; 1998:125, 153; 1999:277; 2000:225; 2008:345; 2009:129, 159; 2010:337; 2013:89, 303 - Klimawandel 2010:183, 215; 2011:285, 299 Ökonomie siehe Stadtökonomie P Paradigmenwechsel 2012: 21, 107, 207 Partizipation 1992:162, 179, 299, 314; 1993:51, 168, 188; 1994:67,103, 205, 223, 280, 311, 377; 1995:137, 229, 269; 1998:163, 303; 1999:21, 113, 125, 145, 159, 277, 343; 2000:265, 285, 313, 333; 2001:89, 109, 229, 269; 2002:39, 171, 231; 2003:203, 267, 283; 2004/05:33, 149, 255, 267, 311, 355, 391; 2006/07:225, 313; 2008:171, 253, 293, 397; 2009: 83, 159, 213, 227, 261; 2010:65, 93; 2011:153, 233, 245, 319; 2012: 21, 41, 125, 173, 187, 207, 233, 271, 313; 2013:45, 53, 107, 127, 145, 161, 181, 201, 227, 283, 303, 319, 343 - Selbsthilfe 1990/91:69, 1996:278; 2000:333, 379; siehe auch Akteure Planungseuphorie 2012: 41 Planungsgeschichte 1990/91:125, 137, 147, 187; 1992:37, 71, 137, 162, 211, 281, 339; 1993:51, 65; 1994:39, 49, 125, 223, 259; 1995:39, 63, 137, 326; 1996:67; 1997:33, 137, 207; 1998:35, 183; 1999:325; 2000:39; 2001:9, 89, 247, 315; 2002:61; 2003:359; 2004/05:19, 45; 2009:159, 281, 307; 2010:35 Planungskultur 2012: 21 Planungstheorie 1990/91:69, 103, 111, 251; 1993:267; 1994:67, 87, 193; 1995:15, 91; 1996:53, 159; 1997:11, 53; 1998:125; 1999:9, 209; 2000:11, 29; 2001:21, 49, 109, 121, 173; 2002:9, 17, 39; 2003:9, 35, 75, 95, 179, 283; 2004/05:19, 45, 61, 149, 221, 241; 2006/07:19, 43, 175; 2008:19, 33, 55, 101, 185, 195; 2009: 19, 29, 47, 99, 213, 239, 261; 2010:19, 35, 241, 317 siehe auch Leitbilder Planungsrecht 1990/91:147; 1992:356, 361; 1993:75; 1994:179, 234, 397; 1996:35; 1997:75; 2000:191, 297; 2001:109, 293; 2004/05:207, 299; 2008:273, 383; 2012: 41 - Bodenrecht 2001:293; 2008:171, 363 Plattenbau siehe Großwohnsiedlung Politik siehe Erneuerungspolitik PPP 1995:161, 178; 1996:172; 1997:235; 1999:205; 2000:313; 2003:9; 2004/05:267, 329; 2006/07:325 Privatisierung 2008:19, 363; 2013:343 Projektorientierte Planung 1993:141; 1994:299; 1995:15, 69, 196; 1997:137, 173; 1998:25; 1999:9, 209, 291; 2000:225, 285, 419; 2006/07:83, 95 siehe auch Festivaliserung Q Quartiersmanagement siehe Stadtmanagement 397 Quartierfonds siehe Verfügungsfond Quick-response-Code (QRC) 2012: 173 R Raumordnungsgesetz siehe Planungsrecht Raumpioniere 2013:119, 181, 201 Recht siehe Planungsrecht Regionalplanung 2008:219, 411, 419, 431 Regionale Kooperation siehe interommunale Kooperation Rekonstruktion, kritische siehe kritische Rekonstruktion Reservefläche siehe Leerstand Religion 2008:273 Reurbanisierung 2012: 125; 2013:145 Revitalisierung 1990/91:111; 1994:87, 1996:248; 1997:137, 161, 291; 2002:17; 2008:383; 2010:279; 2012: 69, 107, 125, 173, 207; 2013:303 siehe auch Innenstadt Rückbau 1999:173; 2000:313; 2001:315, 377; 2002:131, 149, 171, 213; 2003:315; 2004/05:123, 373; 2008:159, 207; 2010:117; 2012: 279; 2013:53, 69, 89, 107, 127, 145, 265, 343 S Schrumpfung 2013:69, 89, 119, 181 siehe auch Demographie Selbsthilfe siehe Partizipation Segregation siehe Stadtsoziologie Sicherheit 2008:33 Siedlungen, informelle 2013:241 Siedlungsbau siehe Neubau Slums 2012: 21 Soziale Infrastruktur siehe Infrastruktur Soziale Stadt 1998:239, 303; 1999:95, 267; 2000:105, 149, 265, 297, 313; 2001:81, 89, 109, 137, 157, 173, 189, 199, 215; 2002:9, 171, 295, 338 (Bilanz); 2003:283; 2004/05:171, 221, 241, 311; 2006/07:257; 2012: 147, 173, 233, 251; 2013:53, 127, 161, 181, 283, 297, 303 Sozialer Wohnungsbau siehe öffentlicher Wohnungsbau Sozialistische Planung 1990/91: 287; 1992: 137; 2001:9 Soziologie siehe Stadtsoziologie Squatter Settlement 1990/91:251; 1992:219; 1993:205; 1994:331, 351; 1995:229; 1996:278; 1997:187, 207, 235; 2002:231; 2009:99, 115, 129, 197, 213, 227, 307 siehe auch Entwicklungszusammenarbeit Stadt, autogerechte 2012:69 Stadtentwicklungsplanung, integrierte siehe integrierte Stadtentwicklungsplanung Stadtentwicklungspolitik 2012: 41 Stadterneuerung an der Peripherie 1996:172; 1998:63, 193, 225; 2002:55, 61, 77, 111, 149, 332; 2003:179, 221; 2004/05:61, 95; 2006/07:159, 189; 2008:411; 2013:69, 145 Stadterneuerung im europäischen Ausland 1993: 29; 1994:87; 2000:65, 175, 419; 2001:49; 2002:61, 171, 213 398 siehe auch hervorgehobene Artikel (kursiv), hier nur Überblick und vergleichende Artikel Stadterneuerung in den neuen Bundesländern: Zehn Jahre danach 1999:73, 83, 113, 125, 173 Stadterneuerungsprogramm 2012: 297 Stadtgestaltung 1994:125; 1995:104, 119; 1996:93; 2003:389; 2004/05:95, 405; 2006/07:65, 133, 159; 2008:33, 55, 333 Stadtkernsanierung 2012: 85 Stadtkultur und öffentlicher Raum 2003:69 siehe Kultur bzw. öffentlicher Raum Stadtmanagement/Quartiersmanagement 1992:299, 1993:168, 188; 1995:212; 1999:21, 95; 2000:71, 91, 297; 2001:157, 173, 215, 229, 391; 2003:249, 341; 2004/05:255, 267; 2006/07:257; 2009:19, 239; 2012: 233, 251; 2013:53, 161 (Kiezmanagement), 181 Stadtökonomie 1992:124; 1994:87, 377; 1995:161, 302; 1996:172, 193, 248; 1997:291, 303; 1998:325; 1999:267; 2002:77; 2003:51; 2004/05:61, 373; 2006/07:257; 2008:253, 323, 333; 2011:63, 163, 199 - Einzelhandel 2003:109, 341; 2004/05:95, 191, 329; 2006/07:339; 2009:29, 115, 137; 2010:317; 2011:163, 199 - informelle Ökonomie 1990/91:243; 1996:193; 2000:399; 2009:99; 2011:213 - lokale Ökonomie 1990/91:243; 1996:133; 1998:109, 325; 1999:21, 193; 2000:175, 203; 2001:137, 199, 229; 2002:273; 2003:377 - Gastronomie 2003:377 - Gewerbe (Artikel mit Gewerbe-Schwerpunkt) 1992:110; 1999:277, 291; 2000:91, 175, 357; 2003:109 - Wohnungswirtschaft 1995:178; 2006/07:205; 2008:243; 2009:83, 159; 2010:117, 169, 231, 297 Stadtrand siehe Stadterneuerung an der Peripherie Stadtsoziologie 1992:219, 356; 1993:75, 94, 111, 124, 244, 252; 1994:280, 299, 377, 397, 1995:15, 91, 161, 178, 246; 1996:248; 1998:211, 263; 1999:21, 53, 193, 343; 2000:11, 29, 105, 175; 2001:21, 121, 315; 2002:39, 93; 2003:109, 143, 191, 315; 2004/05:391; 2009:29, 83, 115, 187 - Gentrification / Gentrifizierung 1992:92, 119; 2012: 207; 2013:145, 181, 241, 343 - Neue Armut 1998:263; 1999:21 - New Urbanism 2000: 253; 2001:315; 2002:61; 2003:179; 2012: 187 - Segregation 1990/91:187; 1996:172; 1997:11, 303; 1998:9; 1999:145; 2000:265; 2004/05:221;2006/07:275; 2011:213; 2013:227, 319, 343 - Sozialstruktur 1993:94, 219, 227, 234; 2004/05:135, 221; 2009:29 siehe auch Migration, Gender, öffentlicher Raum Stadtstruktur siehe Stadtgestaltung Stadtteilmanagement siehe Stadtmanagement Stadtumbau 1990/91:125; 2002:213; 2004/05:53, 207, 283; 2006/07:225; 2009:115; 2010:169, 199; 2012: 21, 271 - Stadtumbau Ost 2002:119, 131, 289 (Bilanz); 2003:315; 2004/05:123, 135, 149, 373, 421; 2008:159 (Bilanz), 207, 219; 2009:261; 2010:105, 117; 2012: 41, 125, 147, 157, 279; 2013:127 - Stadtumbau West 2004/05:171, 373, 421; 2008:83, 101, 219; 2010:231; 2012:147; 2013:181, 283, 297 siehe auch Rückbau und Förderwettbewerb Stadtumbau und Aufwertung 2008:71 siehe Aufwertung Studium siehe Universität Suburbanisierung siehe Stadterneuerung an der Peripherie Städtebauförderung, 40 Jahre - 50 Jahre Nachmoderne 2012: 21,41, 69, 85, 107, 125, 147, 157, 173, 207, 233 Städtebauförderung 2012: 41, 85, 107, 125, 147,157, 173, 251; 2013:161 Städtebauförderungsgesetz siehe Städtebauförderung Strukturwandel 2012: 21 T Tagebau 2012: 333 Technische Infrastruktur siehe Infrastruktur Theorie siehe Planungstheorie Tourismus 1995: 269; 2002: 332; 2011: 63, 139, 163,179; 2012: 333 Transformationsprozesse 2012: 333 Triangulation 2012: 297 U Umfeld siehe Freiraum Umland siehe Stadterneuerung an der Peripherie Umsiedlung 2012: 333 UNESCO-Welterbe 2013:107, 217 Universität 1990/91:89, 175, 251; 1992: 169, 259; 1993:268; 1994:49; 1995:269; 2000:349; 2004/05:391, 421; 2006/07:313; 2010:35, 47, 337; 2011:337 - ETH Zürich (CH) 1994:25; 2013:217 - HafenCityUniversität Hamburg (ehemals TU HamburgHarburg) 1992:15; 1994:377; 1999:325; 2010:47 - HfT Stuttgart 2004/05:415 - Hochschule Anhalt (Dessau) 2008:411, 419 - Hochschule Ostwestfalen-Lippe 2011:337 - RWTH Aachen 1994:15; 1999:313; 2011:337 - TU Berlin 1990/91:43; 1993:267; 1996:13; 2000:369; 2001:391; 2002:17, 317 - TU Delft (NL) 1993:13 - TU Dortmund (ehemals Uni Dortmund) 1992:27; 1994:402; 1997:257; 1998:263; 2000:363; 2006/07:381; 2010:47; 2011:337 - TU München 2010:47 - TU Wien (A) 1993:23; - UdK Berlin (ehemals HdK) 1990/91:27 - Uni Kassel (ehemals GH Kassel) 1990/91:13; 1992:366; 1994:385, 415; 2010:329 - Uni Siegen 2011:337 - Uni Stuttgart 1998:255 Urban gardening 2013:303 Urban governance 2013:69, 319 Urban Renaissance 2012: 187 V Verdichtung 2013:145, 217, 343 siehe auch Innenentwicklung Verfügungsfond 2000:71; 2001:229; 2012: 233; 2013:53 Verkehr 1996:257; 1997:137; 1999:227, 291; 2002:171; 2003:389; 2004/05:405; 2006/07:357; 2008:33; 2009:159; 2011:163, 213, 263 siehe auch Infrastruktur Verstädterung 1994:339; 1997:323; 2010:241; 2013:343 W Wasser 1994:179; 2004/05:113; 2006/07:83, 95, 159, 189, 295; 2008:345; 2009:115, 159 siehe auch Landschaft Weltkulturerbe siehe UNESCO-Welterbe Wettbewerb um Fördermittel siehe Förderwettbewerb Wiederaufbau 1998:125; 2008:33, 55, 117, 383; 2011:81, 153 Wirtschaft siehe Stadtökonomie Wohnen (nur ausgewählte, vertiefende Artikel) 1990/91:137; 1992:71, 119, 124, 153; 1996:159; 1997:161, 187, 207, 225, 235, 291, 303; 1998:35, 193; 1999:21, 227, 253; 2000:225, 313, 379; 2001:121, 199, 293, 341; 2002:183; 2003:51; 2004/05:77, 95 135, 191, 207, 283, 299, 373; 2006/07:205, 243, 275; 2008:135 (Zufriedenheit); 2009:295; 2010:279, 297; 2011:163, 213, 273 Wohneigentum 2003:301; 2008:253, 363 Wohnumfeld siehe Freiraum Wohnungsbauprogramm 2012: 107 Wohnungswirtschaft siehe Akteure Z Zersiedelung 2012: 69, 313 Zivilgesellschaft 2012: 233 Zuwanderung siehe Migration Zwischennutzung siehe Leerstand Zwischenstadt siehe Stadterneuerung an der Peripherie 399 Weitere Publikationen aus dem Institut für Stadt- und Regionalplanung Arbeitshefte Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 77 Ragna Körby & Tobias Kurtz Das Parlament der Visionen Ragna Körby & Tobias Kurtz Entwurf für einen partizipativen Stadtplanungsprozess Das Parlament der Visionen Entwurf für einen partizipativen Stadtplanungsprozess Kann Bürgerbeteiligung Spaß machen? Bring Beteiligung in der Stadtplanung überhaupt was? Erreichtman immer nur die gleichen Leute? Machen Politik und Verwaltung am Ende doch nur das, was sie für richtig halten? Bürgerbeteiligung ist aktuell ein stark strapazierter Begriff. Alle wollen sie, weil sie eine stärkere Legitimation für die Entscheidungsträger und eine Annäherung zwischen Politik und Bürgern verspricht aber keiner weiß so genau, wie das gehen soll. Die etablierten Formate der Beteiligung werden zunehmend in Frage gestellt, formalisierbare neue Methoden sind rar. Das Parlament der Visionen ist eine Annäherung an dieses Feld mit dem Ziel, Stadtplanung mit anderen Mitteln zu kommunizieren, anders darüber zu reden und vor allem, die dahinter liegenden Vorstellungenvon einer guten und richtigen Stadtentwicklung offen zu diskutieren. 77 2012, 146 S., ISBN 978-3-7983-2415-2 Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 76 14,90 € Sylvia Butenschön (Hrsg.) Frühe Baumschulen in Deutschland Sylvia Butenschön (Hrsg.) Zum Nutzen, zur Zierde und zum Besten des Landes Frühe Baumschulen in Deutschland Zum Nutzen, zur Zierde und zum Besten des Landes Ein zunehmendes Interesse an ausländischen Gehölzen, die Beschäftigung mit der Pomologie und die Verbreitung des Landschaftsgartens führten in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Gründung zahlreicher Baumschulen in Deutschland, über die bislang wenig bekannt ist. Dieser Tagungsband gibt einen Einblick in das Forschungsfeld der frühen Baumschulen. Die Beiträge behandeln die Entstehung der verschiedenen Typen von Baumschulen im Überblick sowie die theoretischen Anforderungen an ihre Organisation und Gestaltung. Als ausgewählte Beispiele werden Anlagen in Hannover, Kassel, Harbke, Schwöbber, Hamburg und Eldena im Detail vorgestellt. 2012, 195 S., ISBN 978-3-7983-2414-5 14,90 € 76 Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 75 Michael König Regionalstadt Frankfurt Michael König Ein Konzept nach 100 Jahren Stadt-Umland-Diskurs in Berlin, Hannover und Frankfurt am Main Regionalstadt Frankfurt Ein Konzept nach 100 Jahren Stadt-Umland-Diskurs in Berlin, Hannover und Frankfurt am Main Die Suburbanisierung führt in Großstadtregionen zu erheblichen Stadt-Umland-Problemen, die erforderliche regionale Koordination scheitert aber meist an politischen Widerständen. Diese Arbeit untersucht die Probleme, Konfl ikte und Lösungen, mit dem Ergebnis, dass Großstadtregionen in einer Gebietskörperschaft existent werden müssen. Drei solcher Vereinigungsprojekte (Berlin 1920, Frankfurt 1971, Hannover 2001) werden vorgestellt und der politische Wille der Landesregierung als entscheidender Faktor identifi ziert. Aus den Fallbeispielen wird ein Entwurf für eine vereinte Stadtregion Frankfurt abgeleitet. Denn nur durch innere Befriedung und staatliche Unterstützung kann die Region ihre Energien auf den internationalen Metropolenwettbewerb konzentrieren. 2009, 224 S., ISBN 978-3-7983-2114-4 12,90 € 75 Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 74 Mathias Güthling Innerstädtische Brachflächen Mathias Güthling Innerstädtische Brachflächen Untersuchungen zur Umgestaltung von innerstädtischen Bahnflächen am Beispiel des Reichsbahnausbesserungswerkes Potsdam Untersuchungen zur Umgestaltung von innerstädtischen Bahnflächen am Beispiel des Reichsbahnausbesserungswerkes Potsdam Obwohl flächenhafte Bahnliegenschaften weit verbreitet als Potenziale der Stadtentwicklung gelten, haben zahlreiche Kommunen Schwierigkeiten bei der Umstrukturierung ehemaliger Ausbesserungswerke. Diese sind aufgrund ihrer früheren Nutzung und der zugehörigen Bebauungsstruktur gegenüber anderen entbehrlichen Bahnflächen von besonderer Charakteristik. Die vorliegende Arbeit untersucht, ob die brach gefallenen Flächen der Ausbesserungswerke für die betroffenen Städte doch eher Risiken und Belastungen als Chancen und Potenziale darstellen. Sind sie lediglich eine von vielen Flächenreserven oder kann dieser Typus von Bahnbrache einschließlich der prägenden Bebauung als wichtiger Baustein für die Stadtentwicklung fungieren? 74 2009, 221 S., ISBN 978-3-7983-2107-6 Das vollständige Programm finden sie unter www.isr.tu-berlin.de 12,90 € Sonderpublikationen Sonderpublikation des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Sylvia Butenschön (Hrsg.) Garten – Kultur – Geschichte Gartenhistorisches Forschungskolloquium 2010 Sylvia Butenschön (Hrsg.) Garten – Kultur – Geschichte Gartenhistorisches Forschungskolloquium 2010 Der Tagungsband des Gartenhistorischen Forschungskolloquiums 2010 gibt einen aktuellen Einblick in das von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtete Forschungsfeld der Gartengeschichte. So behandeln die 20 Textbeiträge Aspekte der Gartenkultur aus einem Zeitraum von über 400 Jahren und einem Betrachtungsgebiet von ganz Europa - von den Wasserkünsten in Renaissancegärten über das Stadtgrün des 19. Jahrhunderts bis zu Hausgärten des frühen 20. Jahrhunderts und Fragen des denkmalpflegerischen Umgangs mit Freiflächen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2011, 134 S., ISBN 978-3-7983-2340-7 Sonderpublikation des Instituts für Stadt- und Regionalplanung erpublikation ische Technische Universität Berlin 14,90 € Ursula Flecken, Laura Calbet i Elias (Hg.) Der öffentliche Raum Sichten, Reflexionen, Beispiele Ursula Flecken, Laura Calbet i Elias (Hg.) g.) Der öffentliche Raum Sichten, Reflexionen, Beispiele Der öffentliche Raum ist zugleich konstituierendes Element und Gedächtnis der Stadt. Er ist in höchstem Maße komplex und unterliegt ständigen Veränderungen. In der Entwicklung der Städte muss er deshalb immer wieder neu verhandelt werden. Raumwissenschaften und Stadtplanung haben als integrale Disziplinen den Anspruch, unterschiedlichste Perspektiven zum öffentlichen Raum zusammen zu führen. Dieser Sammelband bietet ein vielschichtiges Bild der Funktionen, Aufgaben und Bedeutungen des öffentlichen Raumes. Er versteht sich als Beitrag, der die aktuelle Debatte bereichern und voranbringen soll. 2011, 250 S., ISBN 978-3-7983-2318-6 Sonderpublikation des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin 19,90 € Stephanie Herold, Benjamin Langer, Julia Lechler (Hrsg.) Reading the City Urban Space and Memory in Skopje Stephanie Herold, Benjamin Langer, Julia Lechler (Hrsg.) Reading the City Urban Space and Memory in Skopje The workshop “Reading the city” took place in Skopje in May 2009 and followed the hypothesis that every historical, political, and social development and trend is mirrored in the city’s built environment. Cities, accordingly, consist of a multitude of layers of narratives and thus become an image of individual and collective memory. Investigating different sites of the city under this focus, the publication shows, how history is mirrored in the urban space of Skopje today, how it is perceived and constructed, and which historical periods influence the city’s current planning discourse. 2010, 153 S., ISBN 978-3-7983-2129-8 Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung Technische Universität Berlin 13,90 € Adrian Atkinson, Meriem Chabou, Daniel Karsch (Eds.) Stratégies pour un Développement Durable Local Renouvellement Urbain et Processus de Transformations Informelles Adrian Atkinson, Meriem Chabou, Daniel Karsch (Eds.) Stratégies pour un Développement Durable Local Renouvellement Urbain et Processus de Transformations Informelles This document contains the output of a conference and action planning workshop that took place in Algiers over five days in early May 2007. The theme of the event was urban renewal with a focus on sustainable development. 62 participants attended the event from 13 countries in the framework of the URDN, sponsored and sup-ported by the École Polytechnique d’Architecture et d’Urbanisme of Algiers. Academics, professionals and government officials from architecture, planning and including the private development sector presented papers and discussed both the technical and institutional is-sues as to how planning systems and the redevelopment process can be more effective in addressing sustainability issues ranging from the supply of resources, through urban design to concern with appropriate responses to climatic and geographical considerations. 2008, 223 S., ISBN 978-3-7983-2086-4 Das vollständige Programm finden sie unter www.isr.tu-berlin.de 13,90 € Diskussionsbeiträge Nr. 59 Isabella Haidle, Christoph Arndt Isabella Haidle/Christoph Arndt Urbane Gärten in Buenos Aires Urbane Gärten in Buenos Aires isr Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin ISR Diskussionsbeiträge Heft 59 Guido Spars (Hrsg.) Wohnungsmarktentwicklung Deutschland Trends, Segmente, Instrumente Im Zuge der Modernisierung und Industrialisierung im letzten Jahrhundert geriet die Praxis des innerstädtischen Gemüseanbaus jedoch weitgehend aus dem Blickfeld der Stadtplanung. In der Realität verschwand sie niemals ganz, sondern bestand informell weiter. Erst die Krisen der Moderne bzw. das Ende des fordistischen Entwicklungsmodells haben weltweit zu einer intensiveren theoretischen Beschäftigung mit kleinteiligen, vor Ort organisierten, informellen Praxen geführt. Die Interaktion der GärtnerInnen mit der Stadtentwicklung und Stadtplanung rückt seit einigen Jahren ins Zentrum des Interesses. Die AutorInnen versuchen zwischen der Planung und den Ideen der GärtnerInnen zu vermitteln, indem sie mögliche Potenziale und Defizite der einzelnen Projekte aufzeigen und Unterstützungsmöglichkeiten formulieren. 2007, 204 S., ISBN 978-3-7983-2053-6 9,90 € Nr. 58 Guido Spars (Hrsg.) Wohnungsmarktentwicklung Deutschland Trends, Segmente, Instrumente isr Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin ISR Diskussionsbeiträge Heft 58 Die Wohnungsmarktentwicklung in Deutschland ist zunehmend von Ausdifferenzierungsprozessen auf der Nachfrage- und der Angebotsseite geprägt. Die Teilmärkte entwickeln sich höchst unterschiedlich. Die Parallelität von Schrumpfung und Wachstum einzelner Segmente z.B. aufgrund  regionaler Bevölkerungsgewinne und -verluste,  der Überalterung der Gesellschaft,  der Vereinzelung und Heterogenisierung von Nachfragern,  des wachsenden Interesses internationaler Kapitalanleger stellen neue Anforderungen an die Stadt- und Wohnungspolitik, an die Wohnungsunternehmen und Investoren und ebenso an die wissenschaftliche Begleitung dieser Prozesse. Mit Beiträgen von Thomas Hafner, Nancy Häusel, Tobias Just, Frank Jost, Anke Bergner, Christian Strauß, u.a. 2006, 313 S., ISBN 3 7983 2016 0 9,90 € Nr. 57 Ulrike Lange/Florian Hutterer Ulrike Lange/Florian Hutterer Hafen und Stadt im Austausch Ein strategisches Entwicklungskonzept für einen Hafenbereich in Hamburg Hafen und Stadt im Austausch Ein strategisches Entwicklungskonzept für eine Hafenbereich in Hamburg isr Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin ISR Diskussionsbeiträge Heft 57 In den zentral gelegenen Hafenbereichen von Hamburg hat in den letzten Jahren ein Umwandlungsprozess eingesetzt, der noch immer andauert. Allgemein zurückgehende Investitionstätigkeit und die unsichere wirtschaftliche Entwicklung, sowie räumliche Besonderheiten des Ortes lassen Zweifel aufkommen, ob die viel praktizierte Masterplanung für eine Entwicklung der Hafenbereiche am südlichen Elbufer geeignet ist. Die vorliegende Arbeit schlägt daher eine Strategie der Nadelstiche vor. Für die Umstrukturierung dieses Hafenbereichs soll eine Herangehensweise angewendet werden, die sich die sukzessiven Wachstumsprozesse einer Stadt zu eigen macht. Durch Projekte als Initialzündungen und ausgewählte räumliche Vorgaben soll unter Einbeziehung wichtiger Akteure ein Prozess in Gang gebracht und geleitet werden, der flexibel auf wirtschaftliche, soziale und räumlich-strukturelle Veränderungen reagieren kann. 2006, 129 S., ISBN 978-3-7983-2016-1 9,90 € Nr. 56 Anja Besecke, Robert Hänsch, Michael Pinetzki (Hrsg.) Anja Besecke, Robert Hänsch, Michael Pinetzki (Hrsg.) Das Flächensparbuch Diskussion zu Flächenverbrauch und lokalem Bodenbewusstsein Diskussion zu Flächenverbrauch und lokalem Bodenbewusstsein isr Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin ISR Diskussionsbeiträge Das Flächensparbuch Heft 56 Brauchen wir ein „Flächensparbuch“, wenn in Deutschland die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung stagniert oder sogar rückläufig ist? Ja, denn trotz Stagnation der Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung wächst die Inanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke. Dies läuft dem Ziel zu einem schonenden und sparsamen Umgang mit der Ressource Boden und damit dem Leitbild einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung entgegen. Das Gut „Fläche“ ist vielseitigen Nutzungsansprüchen ausgesetzt und dessen Inanspruchnahme ist aufgrund divergierender Interessen häufig ein Streitthema. Dieser Sammelband soll die aktuelle Diskussion aufzeigen, die auf dem Weg zu einer Reduktion der Flächenneuinanspruchnahme von den verschiedenen Akteuren geprägt wird. Dabei reicht der Blick von der Bundespolitik bis zur kommunalen Ebene und von der wissenschaftlichen Theorie bis zur planerischen Praxis. 2005, 207 S., ISBN 3 7983 1994 4 Das vollständige Programm finden sie unter www.isr.tu-berlin.de 9,90 € Online-Veröffentlichungen – Graue Reihe Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 50 Franziska Paizs Urban Planning after Terrorism Franziska Paizs Urban Planning after Terrorism The case of Oslo with focus on the impacts of the terrorist attack on the consideration of security, memorialisation and conservation in urban planning The case of Oslo with focus on the impacts of the terrorist attack on the consideration of security, memorialisation and conservation in urban planning This paper identifies possible impacts of terrorist attacks on national urban planning policies. Analysis is based on the case study of Oslo (NO) and the effects of the terrorist attack on the governmental quarter in July 2011. In order to formulate general statements the cases of Oklahoma City (US, 1995) and Manchester (UK, 1996) are analysed as well. The research investigates two spatial levels – the local level of the attacked site with special regard to the consideration of the aspects security, conservation and memorialisation and the level of the town and its urban planning policy. 50 Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin 2013, 107 S., ISBN 978-3-7983-2619-4 kostenloser download unter www.isr.tu-berlin.de/grauereihe Nr. 49 Gabi Dolff-Bonekämper & Annemarie Rothe Die Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgens Annemarie Rothe & Gabi Dolff-Bonekämper Die Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgens Strategien zur Erhaltung des europäischen Kulturerbes der Kirchenburgen in Siebenbürgen/Rumänien Strategien zur Erhaltung des europäischen Kulturerbes der Kirchenburgen in Siebenbürgen/Rumänien Die einzigartige europäische Kulturlandschaft der siebenbürgischen Kirchenburgen ist durch die Veränderungen seit 1989 in großer Gefahr. Dem über 800 Jahre gepflegten Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen droht durch Abwanderung und den demografischen Wandel der Verfall. Neue Ansätze und Strategien zum Erhalt der Kirchen, Wehranlagen und Nebengebäude sind dringend erforderlich. In dem Strategiekonzept werden die Situation der Baudenkmäler und der sie umgebenden Dörfer analysiert und Anregungen für den zukünftigen Umgang aufgezeigt. 4 49 Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin 2013, 111 S., ISBN 978-3-7983-2618-7 kostenloser download unter www.isr.tu-berlin.de/grauereihe Nr. 48 Henry Wilke Raum ist Zeit Henry Wilke Raum ist Zeit Zeitentfernungskarten als Orientierungssystem im städtischen Fußverkehr Zeitentfernungskarten als Orientierungssystem im städtischen Fußverkehr Zeitentfernungskarten bilden das Verhältnis von räumlicher und zeitlicher Distanz ab. Am Beispiel von Webanwendungen und Orientierungssystemen europäischer Städte werden Isochronenkarten im Fußverkehr untersucht. Fokussiert wird dabei der Unterschied zwischen abstrakten Darstellungen, deren Distanzen lediglich Luftlinien entsprechen und realitätsnahen Abbildungen, die alle räumlichen und topografischen Parameter berücksichtigen. Eine nicht repräsentative Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass Nutzer eine einfache und klar verständliche Karte höher bewerten als eine detailreiche und realistische Darstellung. 2013, 83 S., ISBN 978-3-7983-2439-8 kostenloser download unter www.isr.tu-berlin.de/grauereihe 48 8 Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Nr. 46 Michael Färber Energetische und Soziale Problemlagen in Berlin Michael Färber Energetische und Soziale Problemlagen in Berlin Eine GIS-gestützte Untersuchung von energieeffizienter Wohngebäudesanierung im Hinblick auf sozioökonomisch schwache Gebiete Eine GIS-gestützte Untersuchung von energieeffizienter Wohngebäudesanierung im Hinblick auf sozioökonomisch schwache Gebiete Die Arbeit „Energetische und Soziale Problemlagen in Berlin - Eine GISgestützte Untersuchung von energieeffizienter Wohngebäudesanierung im Hinblick auf sozioökonomisch schwache Gebiete“ untersucht vor dem Hintergrund zunehmender Relevanz von Klimaschutzmaßnahmen die Zusammenhänge von Gebäudebeständen, Sanierungskosten und sozialräumlichen Daten auf räumlicher Ebene am Beispiel Berlin. Dabei werden energetische Problemlagen und soziale Problemlagen identifiziert, miteinander verschränkt und darüber eine soziale Dimension der energetischen Stadterneuerung erschlossen. 4 2013, 177 S., ISBN 978-3-7983-2434-3 kostenloser download unter www.isr.tu-berlin.de/grauereihe Das vollständige Programm finden sie unter www.isr.tu-berlin.de Jahrbuch Stadterneuerung 2012 40 Jahre Städtebauförderung – 50 Jahre Nachmoderne Das Jahrbuch Stadterneuerung 2012 ist das 20. Jahrbuch, nachdem kurz nach der Wende 1990/91 die erste Ausgabe erschienen war. Zentraler Anlass für die aktuell geleistete Refl exion über Errungenschaften, Standortbestimmung und Perspektiven der Stadterneuerung war das 40jährige Jubiläum des Städtebauförderungsgesetzes, das bis heute als Besonderes Städtebaurecht in weiterentwickelter Form den rechtlichen Rahmen der Bund-Länder-Städtebauförderung und damit die Stadterneuerung in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich bestimmt. Im Mittelpunkt steht dabei die Herausbildung der noch immer gültigen Grundprinzipien einer Bestandspolitik, die Zug um Zug auf weitere Quartierstypen und stadtentwicklungspolitische Herausforderungen angepasst und übertragen wurden. Dabei geht es sowohl um die beziehungsreiche Nachzeichnung und Einordnung des historischen Wandels in der Planungs- und insbesondere Stadterneuerungskultur als auch um die Refl exion der Wirkungsmächtigkeit nachmoderner Prinzipien in der Bestandsentwicklung. Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Herausgeber: Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert 2012, 369 S., ISBN 978-3-7983-2420-6 20,90 € 2011 Stadterneuerung und Festivalisierung STADTERNEUERUNG UND FESTIVALISIERUNG Jahrbuch STADTERNEUERUNG 2011 Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Herausgeber: Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert Seit zwei Jahrzehnten wird das Thema der Festivalisierung der Stadtplanung und der Stadterneuerung kontrovers diskutiert. Kleine und große Festivals und diverse Veranstaltungen unterschiedlichen Formats sind weiter en vogue, und derartige Events werden gezielt als strategisches Instrument der Stadtpolitik eingesetzt. Auch in den letzten Jahren spielen sie als Internationale Bauausstellungen, Gartenschauen und ähnliche Ereignisse für Stadtumbau und Stadterneuerung eine besondere Rolle. Anlass genug, dieses Thema – inzwischen durchgängig Gegenstand von Stadtforschung und Planungstheorie – in diesem Jahrbuch Stadterneuerung schwerpunktmäßig aufzunehmen und in den einzelnen Beiträgen aus verschiedenen Perspektiven kritisch zu refl ektieren. Daneben werden auch in diesem Jahrbuch neben dem Schwerpunktthema Lehre und Forschung theoretische und historische Aspekte der Stadterneuerung sowie auch Praxen im In- und Ausland in den Beiträgen thematisiert. 2011, 378 S., ISBN 978-3-7983-2339-1 20,90 € 2010 Infrastrukturen und Stadtumbau INFRASTRUKTUREN UND STADTUMBAU Jahrbuch STADTERNEUERUNG 2010 Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Herausgeber: Uwe Altrock, Ronald Kunze, Ursula von Petz, Dirk Schubert Das Jahrbuch Stadterneuerung 2010 beinhaltet in diesem Jahr den Schwerpunkt „Soziale und technische Infrastruktur im Wandel“. Die Rahmenbedingungen, der Stellenwert und der Zusammenhang von Infrastruktur und Stadterneuerung haben sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Schrumpfende Städte, Rückbau, kommunale Haushaltsprobleme und der Niedergang sowie die Schließung von Einrichtungen, die in früheren Stadterneuerungsphasen mit öffentlichen Mittel gefördert wurden, machen eine Neubewertung und eine differenzierte Bestandsaufnahme erforderlich, um neue Herausforderungen zu refl ektieren. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sind „bewährte“ Strukturen für Bemessung, Bau, Betrieb und Nutzung von Infrastrukturen im Kontext des Stadtumbaus in Frage gestellt. Neben diesem Schwerpunktthema werden Lehre und Forschung, theoretische und historische Aspekte der Stadterneuerung sowie auch neue Praxen im In- und Ausland in den Beiträgen thematisiert. 2010, 376 S., ISBN 978-3-7983-2230-1 20,90 € 2009 Megacities und Stadterneuerung MEGACITIES UND STADTERNEUERUNG Jahrbuch STADTERNEUERUNG 2009 Arbeitskreis Stadterneuerung an deutschsprachigen Hochschulen Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Herausgeber: Uwe Altrock, Ronald Kunze, Elke Pahl-Weber, Ursula von Petz, Dirk Schubert Das Jahrbuch Stadterneuerung 2009 widmet sich dem Schwerpunkt Stadterneuerung und Stadtumbau in den rasch wachsenden Metropolen des Südens. Die wachsende Wohnungsnot, Elendsviertelentwicklung, Verkehrschaos, Umweltprobleme und Klimaschutz erfordern ein Umdenken und machen prekäre globale Abhängigkeiten auch für die „Erste Welt“ deutlich. Die Beiträge in diesem Band beziehen sich neben theoretischen und historischen Aspekten der Stadterneuerung vor allem auf Einordnungen, Fallstudien und Handlungsansätze von Mega-Städten vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Problemlagen und Akteurskonstellationen. Bisherige Muster und „bewährte“ Konzepte der Stadterneuerung und des Stadtumbaus werden durch die epochale Krise in Frage gestellt, und es gilt stärker denn je nach innovativen Konzepten der Bestandsentwicklungspolitik zu suchen, mit denen auf die weltweiten komplexen Herausforderungen reagiert werden kann. „Yes, we can?“ 2009, 343 S., ISBN 978-3-7983-2134-2 Das vollständige Programm finden sie unter www.isr.tu-berlin.de 18,90 € Portrait des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Menschen beanspruchen in sehr unterschiedlicher Art und Weise ihren Lebensraum. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen um verschiedene Nutzungsansprüche an den Boden, die Natur, Gebäude, Anlagen oder Finanzmittel schaffen Anlass und Arbeitsfelder für die Stadt- und Regionalplanung. Das Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) an der Technischen Universität Berlin ist mit Forschung und Lehre in diesem Spannungsfeld tätig. Institut Das 1974 gegründete Institut setzt sich heute aus sieben Fachgebieten zusammen: Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten, Bau- und Planungsrecht, Denkmalpflege, Orts-, Regionalund Landesplanung, Planungstheorie, Städtebau- und Siedlungswesen sowie Stadt- und Regionalökonomie. Gemeinsam mit weiteren Fachgebieten der Fakultät VI Planen Bauen Umwelt verantwortet das Institut die Studiengänge Stadt- und Regionalplanung, Urban Design, Real Estate Management und Urban Management. Mit dem Informations- und Projektzentrum hat das ISR eine zentrale Koordinierungseinrichtung, in der die Publikationsstelle und eine kleine Bibliothek, u.a. mit studentischen Abschlussarbeiten angesiedelt sind. Der Kartographieverbund im Institut pflegt einen großen Bestand an digitalen und analogen Karten, die der gesamten Fakultät zur Verfügung stehen. Studium Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin ist ein interdisziplinärer und prozessorientierter Bachelor- und Masterstudiengang. Die Studierenden lernen, bezogen auf Planungsräume unterschiedlicher Größe (vom Einzelgrundstück bis zu länderübergreifenden Geltungsbereichen), planerische, städtebauliche, gestalterische, (kultur-)historische, rechtliche, soziale, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge zu erfassen, in einem Abwägungsprozess zu bewerten und vor dem Hintergrund neuer Anforderungen Nutzungs- und Gestaltungskonzepte zu entwickeln. Traditionell profiliert sich das Bachelor-Studium der Stadt-und Regionalplanung an der TU Berlin durch eine besondere Betonung des Projektstudiums. Im zweijährigen konsekutiven Masterstudiengang können die Studierenden ihr Wissen in fünf Schwerpunkten vertiefen: Städtebau und Wohnungswesen, Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten, örtliche und regionale Gesamtplanung, Raumplanung im internationalen Kontext oder Stadt- und Regionalforschung. Internationale Kooperationen, unter anderem mit China, Italien, Polen, Rumänien und dem Iran, werden für interdisziplinäre Studien- und Forschungsprojekte genutzt. Forschung Das Institut für Stadt- und Regionalplanung zeichnet sich durch eine breite Forschungstätigkeit der Fachgebiete aus. Ein bedeutender Anteil der Forschung ist fremdfinanziert (sog. Drittmittel). Auftraggeber der Drittmittelprojekte sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Europäische Kommission, Ministerien und deren Forschungsabteilungen, Bundesländer, Kommunen, Stiftungen und Verbände sowie in Einzelfällen Unternehmen. Eine weitere wichtige Forschungsleistung des Instituts sind Dissertationen und Habilitationen. Die Ergebnisse der Forschungsprojekte fließen sowohl methodisch als auch inhaltlich in die Lehre ein. Eine profilgestaltende Beziehung zwischen Forschungsaktivitäten und Studium ist durch den eigenen Studienschwerpunkt „Stadt- und Regionalforschung“ im Master vorgesehen. Sowohl über Forschungs- als auch über Studienprojekte bestehen enge Kooperationen und institutionelle Verbindungen mit Kommunen und Regionen wie auch mit anderen universitären oder außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen. Weitere Informationen über das ISR finden Sie auf der Homepage des Instituts unter: http://www.isr.tu-berlin.de/ und in dem regelmäßig erscheinenden „ereignIS.Reich“, das Sie kostenlos per Mail oder Post beziehen können.