Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“ zur Untersuchung deutschsprachiger Informationszeitschriften für chronisch kranke Menschen anhand einer Fallstudie mit den Leserinnen und Lesern der Zeitschrift „Autoimmun“ Die Fakultät I – Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin Genehmigte Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie vorgelegt von Christa Alheit aus Düsseldorf und Michael Tycher aus Berlin D 83 1 Berichter: Prof. Dr. Friedrich Knillli Prof. Dr. Gerhard Lechenauer Prof. Dr. Karl Heinz Stahl Tag der Wissenschaftlichen Aussprache: 24. April 2001 2 Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“ zur Untersuchung deutschsprachiger Informationszeitschriften für chronisch kranke Menschen anhand einer Fallstudie mit den Leserinnen und Lesern der Zeitschrift „Autoimmun“ Inhalt 1. Ziel der Arbeit und Aspekte des Medizinjournalismus Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 1.1. Standortbestimmung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 1.2. Das Verhältnis von Medizin und Medien Bearbeiter: Michael Tycher 1.3. Der Medizinjournalist: Gesundheitsaufklärer oder kritischer Beobachter Bearbeiter: Christa Alheit 1.4. Qualitätsmerkmale medizinjournalistischer Produkte Bearbeiter: Michael Tycher 1.5. Geschichte der Medizinjournalismus-Forschung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 1.6. Die wesentlichen Untersuchungen und Inhaltsanalysen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 1.7. Perspektiven der Inhaltsanalysen von medizinisch ausgerichteten Massenmedien (Internet) Bearbeiter: Christa Alheit 1.8. Zusammenfassung des theoretischen Teils Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 3 2. Der Ausgangspunkt der Fallstudie Bearbeiter: Michael Tycher 3. Eine Zeitschrift wird geplant Bearbeiter: Christa Alheit 4. Die Rezipienten 4.1. Eine Untersuchung am „Patienten“ wird durchgeführt Bearbeiter: Michael Tycher 4.2. Die Untersuchten: Zahlen und Fakten Bearbeiter: Christa Alheit 4.3. Kranke: Erste Symptome, der Mediziner mit der Diagnose und immer wieder Ärzte Bearbeiter: Michael Tycher 4.4. Alles ist anders geworden: Familie, Beruf und Selbsthilfegruppen Bearbeiter: Christa Alheit 4.5. Therapiert, austherapiert und Pflege Bearbeiter: Michael Tycher 4.6. Therapiebeispiel: Die Franke-Behandlung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 4.7. Zusammenfassung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 4 5. Die Redaktion als Partner 5.1. Die Redaktion der „Autoimmun“ Bearbeiter: Christa Alheit 5.2. Eine Zeitschrift für Kranke und die Quellen der Erkenntnis für Leser und Redaktion Bearbeiter: Michael Tycher 5.3. Den Lesern auf der Spur: Verbesserungen der „Autoimmun“ Leseranalysen durch Bearbeiter: Christa Alheit 5.4. Über Probleme, die Verständlichkeit zu testen Bearbeiter: Michael Tycher 5.5. Informationen für Kranke aus den Medien und wie sie von den Patienten umgesetzt werden Bearbeiter: Christa Alheit 5.6. Zusammenfassung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 6. Ein zusammenfassender Befund der Fallstudie Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 7. Entwurf des publizistischen Kriteriums "Sensibilität" zur Untersuchung deutschsprachiger Informationszeitschriften für chronisch kranke Menschen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 8. Anlagen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher 8.1. „Autoimmun News“ Nr. 2 von September/Oktober 1993. 8.2. „Autoimmun News“ Nr. 1 von Februar/März 1994 8.3. „Autoimmun News“ Nr. 2 von April/Mai 1994 5 8.4. „Autoimmun News“ Nr. 3 von Juni/Juli 1994 8.5. „Autoimmun News“ Nr. 4 von August/September 1994 8.6. „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1994 8.7. „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember/Januar 1994/1995 8.8. „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1995 8.9. „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1995 8.10. „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1995 8.11. „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1995 8.12. „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1995/Januar 1996 8.13. „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1996 8.14. „Autoimmun“ Nr. 2 von April/Mai 1996 8.15. „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1996 8.16. „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1996 8.17. „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1996 8.18. „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1996/Januar 1997 8.19. „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1997 (Notausgabe) 8.20. „Autoimmun“ Nr. 2 von April/Mai 1997 8.21. „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1997 8.22. „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1997 8.23. „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1997 8.24. „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1997/Januar 1998 9. Literatur 6 1 Ziel der Arbeit und Aspekte des Medizinjournalismus Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Entwicklung des medizinpublizistischen Kriteriums „Sensibilität“ zur Analyse von Informationszeitschriften für chronisch kranke Menschen, vornehmlich Multiple Sklerose-Patienten. Gegenstand der Fallstudie sind die von 1993 bis 1997 erschienene Zeitschrift „Autoimmun“ und ihre Leser. Untersucht wird, ob die bislang von der Wissenschaft ermittelten1 und verwendeten2 qualifizierenden medizinpublizistischen Analysekriterien - Aktualität und Exklusivität - Periodizität und Kontinuität - Publizität und Kommunikation - Intimität und Sozialisation - Universalität und Spezialisierung dann um das Merkmal „Sensibilität“ erweitert werden sollten, wenn sich medizinpublizistische Produkte an chronisch kranke Menschen richten. Die bislang von der Wissenschaft ermittelten und eben genannten Kriterien dienen teilweise der qualifizierenden Analyse medialer Produkte und beschreiben das Produkt Zeitung oder Zeitschrift. Die Arbeit will zeigen, daß die Wissenschaft eine besondere Verantwortung übernimmt, wenn sie sich mit Medienprodukten für chronisch kranke Menschen beschäftigt. Diese besondere Verantwortung verlangt nach einem speziellen publizistischen Merkmal. Das Ergebnis der Fallstudie will verdeutlichen, wie das Kennzeichen „Sensibilität“ auszufüllen sein wird. 1 Vergleiche: Deneke, Johann F. Volrad, Grundbegriffe der Publizistik, in: Jahrbuch der Universität Düsseldorf, 1976/1977, S. 189. Die Merkmale Intimität und Individualität werden bei der Darstellung allgemeiner publizistischer Merkmale nicht genannt von: Faulstich, Werner, Grundwissen Medien, München 1994, S. 33 oder Pürer, Heinz, Medien in Deutschland, Konstanz 1994, S. 30 und Dovifat, Emil, Handbuch der Publizistik, Band 3, Berlin 1969, S. 57. 2 Zum Beispiel: Nauels, Ingeborg, Arzt und Medizin in fünf Jahrgängen Spiegel, Düsseldorf 1981, S. 5 oder Wende, Detlev, Über die medizinische Berichterstattung von Krebs in Tageszeitungen und deren kritische Bewertung - Dargestellt am Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Bild-Zeitung“ in den Jahren 1974, 1976 und 1978, Bochum 1990, S. 13. 7 1.1 Standortbestimmung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher „Hunden und Katzen muß ich aus dem Wege gehen, geschweige denn streicheln, denn sie verbreiten Allergien; bevor ich das prunkvolle Haus meiner Bank betrete, muß ich mich versichern, daß dort hinter der Verkleidung kein Asbest oder ein Holzschutzmittel verwendet wurde; der Rinderwahnsinn und die Schweinepest zwingen mich zur Enthaltsamkeit vor diesen Fleischsorten und der köstlichen Leberwurst; tödlicher Hautkrebs bedroht mich, wenn ich mich zu lange der Sonne aussetze; wenn ich nicht genau hingesehen habe, werden mich Salmonellen in meinem Frühstücksei garantiert ins Krankenhaus bringen und so auch der Elektrosmog, die Strahlentherapie, das Ozonloch, die Klimaanlage, der unwiderstehliche Kuß auf den Mund, Sex auf diese oder jene Weise und natürlich meine Medikamente, wenn ich vor dem Einnehmen nicht die meist unverständliche Zusammensetzung und die Gebrauchsanweisung Wort für Wort gelesen habe.“3 Diese lebhafte Beschreibung der überall lauernden Gesundheitsgefahren im Alltag stammt von dem Soziologen Alphons Silbermann, der es mittlerweile auf ein Alter von über 90 Jahren gebracht hat. Es vergehen keine Zeitungsausgabe, kein TV-Tag und keine Internet-Sekunde, in der die Menschheit nicht mit ihrer materiellen Endlichkeit konfrontiert wird. Doch wie sieht denn nun der klassische Rezipient von medizinjournalistischen Produkten aus? Ist es nicht der Weltreisende, dem erklärt werden muß, was in die Reiseapotheke gehört und welche Schutzimpfungen er vorzunehmen hat? Oder vielleicht der aus dem Alltag per Erkältung oder gar Influenza herausgerissene Patient? Vielleicht der Übergewichtige mit langgehegten Wünschen nach qualloser Diät oder der nach Wellness strebende Gestreßte? Oder einfach nur ein Unterhaltungssuchender, wie ihn der populäre Mediziner Hademar Bankhofer4 gerne ansprechen möchte? Ohne Zweifel können alle diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden. Neben diesem Stammpublikum existiert noch ein Art „Special-Interest-Group“: Die Kranken, bei denen alle Appelle an eine gesunde Lebensführung nichts bewirkt haben. Zu dieser Gruppe zählen chronisch kranke Menschen und Patienten, die mit einer Autoimmunkranheit zu kämpfen haben. Auch oder gerade sie rezipieren medizinjournalistische Texte. 3 Silbermann, Alphons, Gesundheit und Angstmacherei, in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 20, 2-3, 1995, S. 278. 2 Bankhofer, Hademar; Gesundheit durch Unterhaltung – Ist das möglich?, in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 19, 2-3, 1994, S. 297. 8 Mit der vorliegenden Fallstudie wird der Versuch eines Nachweises unternommen, daß für diese Zielgruppe ein informatives, verständliches und der Lebenssituation Rechnung tragendes Medium von Nichtmedizinern entwickelt, getestet und publiziert werden kann. Ferner wird festgestellt, daß die von Deneke5 entwickelten Kriterien Aktualität und Exklusivität, Periodizität und Kontinuität, Publizität und Kommunikation, Universalität und Spezialisierung sowie Intimität und Sozialisation weiterentwickelt werden müssen. Die 4 Jahre lang veröffentlichte Zeitschrift „Autoimmun“ bediente die eben genannte Zielgruppe mit medizinischen Informationen. Damit bewegte sich die Publikation im Bereich des Medizinjournalismus oder der Medizinpublizistik. Eine exakte Einordnung nach der Formel von Matthias Kohring und anderen lautet: „Medizinpublizistik umfaßt sowohl den Medizinjournalismus, der eine unbegrenzte (Laien-) Öffentlichkeit anspricht, als auch die medizinische Fachpublizistik, die sich an die begrenzte Fachöffentlichkeit des Medizinsystems richtet“.6 Eine Einordnung der Zeitschrift „Autoimmun“ in diese Formel ist sehr schwierig. Einerseits hatte sich die „Autoimmun“ auch an Fachärzte gewandt und wurde von ihnen nicht nur rezipiert, sondern auch als „wertvolle Sofortinformation für den Arzt selbst“7 genutzt, andererseits fällt es schwer, chronisch kranke Menschen als Laienöffentlichkeit einzustufen. Oftmals ist ihr Kenntnisstand über die Ursachen ihrer Krankheit, den Verlauf, die Symptomatik und die Komplikationen sowie das Spektrum der sehr hoch.8 Somit können diese Rezipienten nicht ausdrücklich als Laien betrachtet werden. Ob nun die „Autoimmun“ der Medizinpublizistik oder dem Medizinjournalismus zugrechnet werden kann, soll hier offen bleiben, denn in jedem Fall handelt es sich um eine Form des Wissenschaftsjournalismus. Dieser schließt unstrittig die gängigen Themen aus Medizin und Gesundheit ein.9 Damit sind die von der Wissenschaft ermittelten Kriterien auch auf den Gegegnstand der vorliegende Arbeit anzuwenden. 5 : Deneke, Johann F. Volrad, Grundbegriffe der Publizistik, in: Jahrbuch der Universität Düsseldorf, 1976/1977, S. 187-191. 6 Kohring, Matthias, Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus – ein systemtheoretischer Entwurf, Opladen 1997, S. 123, mit weiteren Nachweisen. 7 Über die „wertvolle Sofortinformation für den Arzt selbst“ vergleiche Kirch, Karl M., Vom Elfenbeinturm zum Kiosk – Gedanken zur medizinischen Thematik in der Massenpresse, in: Therapie der Gegenwart, Nr. 7, 1967, S. 840. Hierzu auch: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizinjournalismus in Massenmedien: Ausbildung – Aufgaben – Ansätze, Konstanz 1992, S. 13. 8 So auch zum Beispiel Brandl, Annemarie, Vorfeldstudie zur Erstellung eines Schulungskonzepts für chronisch Kranke: Untersuchung an einem Kollektiv von 100 Diabetikern, München 1979, S. 4. 9 Göpfert, Winfried, Gängige Themen Medizin und Gesundheit, in: Wissenschaftsjournalismus – Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1996, S. 205. 9 1.2 Das Verhältnis von Medien und Medizin Bearbeiter: Michael Tycher Aspekte der Wissenschaftsjournalismus-Forschung, aus der sich nach Ansicht Kohrings10 der isolierte Forschungsbereichs „Medizinjournalismus-Forschung“ konstituiert hat, berühren auch die theoretischen Vorüberlegungen zu dieser Fallstudie. Ein viel diskutierter Schwerpunkt ist das Verhältnis von Arzt und Journalist. Noch 1948 forderte Friedrich Hirth, daß sich Journalisten, die sich mit wissenschaftlichen Themen befassen, generell einer besonderen Schulung zu unterziehen hätten.11 Der großen Verantwortung sollte Rechnung getragen werden. Sieben Jahren danach beurteilte der spätere Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer und Mitbegründer der Medizinjournalismus-Forschung Johann F. Volrad Deneke die Bemühungen der Tages- und Wochenzeitungen, über medizinische Themen zu berichten: „Die deutsche Ärzteschaft beobachtet diese Entwicklung nicht ohne Sorge; denn die Publizistik bricht vielfach störend in die Intimsphäre zwischen Arzt und Patient ein, sie vermag Psychosen zu entzünden, sie züchtet Hypochonder, sie nährt trügerische Hoffnungen, sie weckt die Begehrlichkeit der Kassenpatienten und sie regt zu allerlei Mitteln und Methoden der Selbstbehandlung an“. 12 Auch wenn Deneke diese Auffassung relativierte, indem er für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter Einsatz der Pressestellen der deutschen Ärzteschaft eintrat13, konnte er keine großen Brücken zwischen Medizin und Medien bauen. Weitere fünf Jahre später gipfelten die Sorgen der Pioniere der Medizinjournalismus-Forschung in einer von Wilmont Haacke vorgetragenen Frage nach der Beseitung von medizinischen Populärjournalisten: „Warum sollte es durch eine gemeinsame Abwehr aller interessierten Kreise nicht möglich sein, den Schädlingen an ehrlicher medizinischer Arbeit auch in gewissen Presseerzeugnissen das angemaßte Handwerk zu legen?“14 Diesen „Schädlingen“ sollte mit Hilfe des Deutschen Presserates das „Handwerk“ gelegt werden. Doch dort ließ man sich nicht von Haackes Zensurvorstellungen beeindrucken. Bis heute muß kein Journalist einen medizinisch ausgerichteten 10 Kohring, Matthias, Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus – ein systemtheoretischer Entwurf, Opladen 1997, S. 121. 11 Hirth, Friedrich, Begriff und Ziel des Journalismus, Mainz 1948, S. 15f. 12 Deneke, Johann F. Volrad, Medizinische Probleme in der Presse, in: Südwestdeutsches Ärzteblatt, Heft 11, 1955, S. 252. 13 Ebenda, S. 254. 14 Haacke, Wilmont, Massenmedien und Medizin, in: Publizistik, Zeitschrift für die Wissenschaft von Presse, Rundfunk, Film, Rhetorik, Werbung und Meinungsbildung, Heft 6, 1960, S. 95. 10 Artikel dem Deutschen Presserat vorlegen. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte entspannte sich zwar das Verhältnis zwischen Medizin und Medien, jedoch kann nicht von einem Idealzustand zweier an einem Kommunikationsprozeß Beteiligten ausgegangen werden. Ein weiterer Entspannungschritt wurde vom damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages Karsten Vilmar eingeleitet: „Wir unsererseits sollten an der Presse nicht zu harsche Kritik üben“.15 Wenn auch nicht so ausführlich, so wurde doch auch in der DDR über die Rolle des Journalismus und auch später des Wissenschaftsjournalismus nachgedacht. Noch in den sechziger Jahren galt es, den Journalismus als Erklärung eines Bildes vom sozialistischen Menschen zu verstehen. Eine Forschung zum Wissenschaftsjournalismus dort ist kaum erkennbar. Wolfgang Roedel schrieb 1966: „Die vornehmliche Aufgabe unseres Journalismus, zur Verwirklichung des sozialistischen Menschen entschieden beizutragen, hat sich in der Zeit des Zusammenwirkens der einander notwendig bedingten technischen und kulturellen Revolution noch vergrößert“.16 Damit war der Auftrag für den DDR-Journalismus vorgegeben. Man hatte den Imperialismus mit der Feder zu bekämpfen. Es sollte gezeigt werden, wie die „kapitalistischen Gesellschaftszustände“17 die freie Entfaltung des Sozialismus behindern, welch große Gefahr der Antikommunismus für die DDR darstellte,18 und es sollte die Lüge von der klassenlosen Gesellschaft im Westen aufgedeckt werden.19 Schließlich erklärte Rödel, daß der Westen mit seinen Sensationsbedürfnissen falsch liege: „Wer immer mehr Sensationen, immer neue Skandale in sich aufnimmt, der ist vom Wesentlichen gesellschaftlicher Wirklichkeit abgelenkt, der kommt nicht auf den Gedanken, nach Recht und Unrecht in dieser Wirklichkeit zu fragen“.20 Sicherlich eine durchaus nachdenkenswerte These, weil bislang kaum Erkenntnisse über die Wirkung eines sensationsorientierten Journalismus auf Moral und Ethik vorliegen, doch in einem Land entwickelt, in dem Zensur und Unterdrückung der freien Berichterstattung auf der Tagesordnung standen. Wurde in den sechziger Jahren mehr über politische Themen und Journalismus nachgedacht, so zeigte sich ab Mitte der siebziger Jahre eine leichte Veränderung. Nun wurde in den Fachblättern der DDR auch über die Rolle der Wissenschaft diskutiert. 1989 konnte 15 Vilmar, Karsten, Schlußwort, in: Bundesärztekammer (Hrsg.), Fortschritt und Fortbildung in der Medizin – VIII Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer, Köln 1984, S. 404. 16 Rödel, Wolfgang, Menschenbild und Journalismus, Brandenburg 1967, S. 5. 17 Ebenda, S. 15. 18 Ebenda, S. 17. 19 Ebenda, S. 18. 20 Ebenda, S. 20. 11 man schließlich in der Zeitschrift „Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus“ lesen: „Technik prägt in immer stärkerem Maße das Gesicht menschlicher Zivilisation und ihrer künftigen Wege. Damit ist als erstes die Propagierung von Wissenschaft unter dem Aspekt ihres Wirkens als Produktivkraft angesprochen“.21 Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Wissenschaftsberichterstattung unter dem Gesichtspunkt der Produktivkraft gesehen. Erst kurz vor der Auflösung der DDR dachte man über die Wissenschaft in den Medien als „Bildungskraft“ nach.22 Ein Diskussion über das Verhältnis von Medizin und Medien konnte somit in der DDR nicht ausführlich ausgetragen werden. Die mit „Autoimmun“ gesammelten Eindrücke, die die Zusammenarbeit von Medizin und Medien betreffen, lassen aufgrund divergierender Erfahrungen keine abschließende Bewertung dieser Frage zu. So kommt auch die Wissenschaft zu keinem abschließenden Ergebnis. Susanne Stein vermutet, daß das gespannte Verhältnis zwischen Arzt und Journalist seine Wurzeln im Kommunikationsprozeß hat. Sie ist der Auffassung, „daß vor allem die Form der journalistischen Darstellung und der Wirkungsbereich dieser Darstellungen die Einstellung von Ärzten gegenüber Journalisten beeinflussen“.23 Heinz-Dietrich Fischer läßt diese Frage offen und untersucht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Berufsgruppen ohne zu einer klaren Antwort zu gelangen.24 Stephan Ruß-Mohl erkennt zwar auch die Notwendigkeit, „Arbeitsweisen, Handlungszwänge, Orientierungen der jeweils anderen Seite“ zu kennen, betont aber stärker historische Ursachen für die mangelnde Dialogfähigkeit beider Gruppen.25 Dennoch läßt sich folgender Gedanke entwickeln: Sowohl Medizin, als auch den Medien geht es um den Erfolg. Die Medizin möchte den Erfolg darin sehen, daß sie den Patienten heilt oder in ihrer Forschung ein wirksameres Ptäparat entwickelt. Die Medien sehen ihren Erfolg in der Auflagen- oder Quotensteigerung durch einen ansprechenden Medizinjournalismus. Doch gerade durch dieses beidseitige Erfolgsdenken lassen sich die Resentiments beider Berufsgruppen gegeneinander erklären. Aber gleichzeitig liegt darin die Chance, voneinander zu profitieren, wenn im Idealfall sich die Forderung von Brigitte Bäder aus dem Jahr 1954 durchsetzen 21 Grubitzsch, Jürgen, Wissenschaftsjournalismus vor neuen Herausforderungen, in: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus, Heft 5, 1989, S. 286. 22 Vergleiche hierzu auch: Kohring, Matthias, Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus – ein systemtheoretischer Entwurf, Opladen 1997, S. 131. 23 Stein, Susanne, Zum Verhältnis der Berufsgruppen Arzt und Journalist: Dargestellt und untersucht am Beispiel des Gesundheitsforums der „Süddeutschen Zeitung“, Bochum 1991, S. 162. 24 Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizinjournalismus in Massenmedien: Ausbildung – Aufgaben – Ansätze, Konstanz 1992, S. 14f. 25 Ruß-Mohl, Stephan, Journalistik-„Wissenschaft“ und WissenschaftsJournalistik, in: Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Heft 2-3, 1985, S. 272f. 12 ließe: „Tatsächlich müßten die ‚Ärzte bei den Journalisten‘ und die ‚Journalisten bei den Ärzten‘ in die ‚Schule‘ gehen“.26 1.3 Der Medizinjournalist: Gesundheitsaufklärer oder kritischer Beobachter Bearbeiter: Christa Alheit Einen weiteren in der Forschung diskutierten Aspekt stellt die Frage dar, welche Funktion die rund 900 Medizinjournalisten27 in Deutschland besitzen. Auf den Punkt gebracht lautet die Frage: Aufklärer oder kritischer Beobachter? Bereits 1976 veröffentlichte Gerhard Depenbrock eine Studie. Er untersuchte die wissenschaftliche Berichterstattung in Tageszeitungen und kam zu dem Ergebnis, daß „kritische Würdigungen sowie Darstellungen über den Stellenwert, die Auswirkungen oder den wissenschafts- oder gesellschaftspolitischen Zusammenhang fehlen“.28 Eine Erklärung für die seltene Kritik in medizinjournalistischen Veröffentlichungen könnte in der Komplexität der Sachverhalte liegen. Möglicherweise auch in der festgeschriebenen redaktionellen Neutralität, wie es Leo Schmidt erkannt haben möchte.29 In der Wissenschaft versuchte man teilweise, den Autor eines Artikels auf eine Vermittlertätigkeit zwischen Medizinern und Rezipienten zu reduzieren. Der Leiter des Ressorts „Natur und Wissenschaft“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), Rainer Flöhl, stellte hierzu fest: „Der Wissenschaftsjournalist ist zuerst Vermittler, aber nicht Vordenker der Nation.“30 Und Friedrich Deich (Arzt und Medizinjounalist) fordert vom Medizinjournalisten „strengste Objektivität“.31 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Eckart K. Roloff, der die Wahrnehmung des Rezipienten 26 Bäder, Brigitte, Medizin und Presse im Wandel der Zeit, München 1954, in: Deneke, Johann F. Vorlad / Fischer, Heinz-Dietrich / Flöhl, Rainer (Hrsg.), Presse und Medizin im Spannungsverhältnis – Neudruck zweier Pionierstudien der Medizinkommunikation, Bochum 1993, S. 143, zitiert nach: Blätter für die Vertrauensleute der Barmer Ersatzkasse, Nr. 8, August 1953. 27 So Göpfert, Winfried, Klinische Fälle – Arbeit der Medizinjournalisten, in: Journalist, Heft 2, 1997, S. 13. 28 Depenbrock, Gerhard, Journalismus, Wissenschaft und Hochschule – Eine aussagenanlytische Studie über die Berichterstattung in Tageszeitungen, Bochum 1976, S. 365. 29 Schmidt, Leo, Symbiotischer Wissenschaftsjournalismus – Universität und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Kooperation, Bochum 1989, S. 150. 30 Flöhl, Rainer, Draußen vor der Tür – Der Wissenschaftsjournalist und die Welt der Wissenschaften, Anmerkungen zur Berufsforschung über den Wissenschaftsjournalismus, in: Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus und Journalistenausbildung – eine Bestandsaufnahme, Tagungsbericht zum 1. Colloquium Wissenschaftsjournalismus, Stuttgart 1983, S. 82. 31 Deich, Friedrich, Die Aufgabe des wissenschaftlichen Fachjournalisten im Dienste der Gesundheitsaufklärung, in: Ärztliche Mitteilungen, Nr. 45, 1959, S. 1658. 13 betont und feststellt, daß dieser in erster Linie eine potentielle Aufklärungsfunktion mit gesundheitspädagogischen Zielen erwartet.32 Demgegenüber geht Robert Jungk einen Schritt weiter und fordert: „Aber damit sollte die Arbeit des Wissenschaftsjournalisten nicht aufhören. Er sollte nicht ‚wertfrei‘ berichten, wie es meist von ihm verlangt wird, sondern urteilen und bewerten. Wird in der Publizistik über Kunst, Literatur oder Theater referiert, so erwartet man von den Verfassern eine begründete kritische Stellungnahme zu dem gezeigten kulturellen Produkt. Weshalb soll das gerade bei den Naturwissenschaften anders sein? Da wird zwar eine interne Kritik von seiten der Kollegen als selbstverständlich angesehen, aber eine Einmischung ‚von außen‘ als laienhaft, lästig und ärgerlich.“33 Diesem Argument von Robert Jungk schließt sich Reiner Matzker an, der bereits Ansätze zur Kritik während der Journalistenausbildung sehen möchte.34 Auch Horst Merscheim teilt diese Auffassung und stellte klar, daß der Journalist nicht Teil des Medizinsystems sein darf. Dabei kommt er zu dem Ergebnis: „Will er diese Funktion erfüllen, so ist Distanz – die hier eine positive Arbeitsbedingung darstellt – sicher notwendiger als Identifikation mit den Wissenschaftsbetreibern, will er nicht als Hofberichterstatter sein vielleicht auskömmliches Dasein fristen.“35 Distanz und Kritikfähigkeit sind somit feste Bestandteile wissenschaftsjournalistischer Tätigkeit. Vor allem die Distanz zum Thema erhält bei Matthias Kohring eine enorme Wichtigkeit für die Entwicklung einer Theorie des Wissenschaftsjournalismus: „Die Glaubwürdigkeit des Journalismus, und dies ist keine neuartige Feststellung, hängt direkt davon ab, inwieweit er Distanz 32 Roloff, Eckart K., Ärzte und Medizinjournalismus, in: HeinzDietrich Fischer (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 43. 33 Jungk, Robert, Wider den Götzendienst am Altar der Forschung – Kritische Wissenschaftsberichterstattung: Erfahrungen aus über vier Jahrzehnten, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 42. 34 Matzker, Reiner; Journalistische Wissenschaftsvermittlung – Gedanken zum Journalismus und seiner gesellschaftlichen Funktion, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 4, 1993, S. 23, mit Hinweis auf den Diplom-MedienberaterStudiengang. 35 Merscheim, Horst, Medizin im Fernsehen: Probleme massenmedial vermittelter Gesundheitsberichterstattung – eine empirischanalystische Studie, Bochum 1984, S. 24. 14 zu seinem Berichterstattungsobjekt hält (das unterscheidet ihn grundlegend von PR).“36 Weiter geht die Medizinerin Eva-Christiane Rumpf, die bereits 1982 in ihrer Dissertation den Weg einer wissenschaftlichen Erkenntnis vom Ausgangspunkt bis zur Veröffentlichung in der Laienpresse untersuchte. Sie fordert von von den Journalisten mehr Kritik an den wissenschaftlichen „Informanten“.37 Im Rahmen ihrer Untersuchung stieß Rumpf auf eine Reihe von Schwachstellen bei der Entstehung von wissenschaftlichen Primärinformationen: „1. Sachliche Fehler und unsorgfältig gemachte Aussagen 2. Ungenügend bewiesene Behauptungen 3. Unzulässige Vereinfachung wissenschaftlich kontroverser Sachverhalte 4. Einseitiges und falsches Zitieren 5. Inadäquate Beweisführung, basierend auf dem Nichtbeherrschen wesentlicher Beurteilungskriterien 6. Unzulässige Verallgemeinerung 7. Einseitige zumTeil mehr emotional als rational bestimmte Darstellungsweise von Sachverhalten 8. Kritiklose Proklamation angeblich unerschütterlicher ‚Tatsachen‘ als Symptom dogmatischen Denkens bis zum beharrlichen Wiederholen von Irrtümern trotz erfolgter Widerlegung 9. Pauschale Angriffe auf Andersdenkende, ggf. an Diffamierung und Beleidigung grenzend und oft anonym gehalten, so daß ein fairer sachlicher Diskurs verunmöglicht wird“.38 Folgt man diesen Untersuchungsergebnissen, dann hätte der Wissenschaftsjournalist – insbesondere der Medizinjournalist – nicht nur das „Recht“ zu kritisieren, sondern sogar die Pflicht, ständig eine kritische Überprüfung der Informationen durchzuführen. Oder wie es Klaus H. Grabowski ausdrückt: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was in der Wissenschaft vorgeht“.39 36 Kohring, Matthias, Der Zeitung die Gesetze der Wissenschaft vorschreiben? Wissenschaftsjournalismus und JournalismusWissenschaft, in: Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medienund Kommunikationswissenschaft, Heft 2-3, 1998, S. 187. 37 Rumpf, Eva-Christiane, Die Kontroverse um mammographische Reihenuntersuchungen als Beispiel für die Verarbeitung medizinischwissenschaftlicher Informationen auf verschiedenen Ebenen der Öffentlichkeit, Gießen 1982, S. 138. 38 Ebenda, S. 71f. 39 Grabowski, Klaus H., Beitrag in: Mast, Claudia (Hrsg.), ABC des Journalismus – Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit, Konstanz 1998, S. 369. 15 1.4 Qualitätsmerkmale medizinjournalistischer Produkte Bearbeiter: Michael Tycher Eng mit der Frage, ob Medizinjournalismus auch kritisch sein darf, ist das Problem der Qualitätsmessung oder -sicherung verbunden. Noch immer werden Kriterien für einen guten Medizinjournalismus gesucht. Verschiedene Ansätze werden diskutiert. Rainer Flöhl trennt das Produkt in zwei Arten von Wissenschaftsberichterstattung. Zum einen sieht er Qualitätszeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „New York Times“, die „Neue Züricher Zeitung“ und die Magazine „Time“ und „Newsweek“. Diese Medien erfüllen des Lesers Wünsche nach Genauigkeit, Objektivität und Vollständigkeit, Neuigkeit und Wichtigkeit.40 Ganz im Gegensatz zu diesem „elitären, eher wissenschaftskonformen Zweig“ sieht Flöhl den großen Bereich der Laienmedien, die sich ebenfalls mit Wissenschaft befassen. Seine Analyse dieser Art von Wissenschaftsberichterstattung fällt entsprechend aus: „Für Chefredakteure und Ressortleiter dieser Medien bilden die Nachrichten über Wissenschaft keine besondere Kategorie. Was hier weitergegeben wird, hängt viel stärker von den Interessen der Leser ab als von jenen der Wissenschaft.“41 Somit steht auch bei diesem weniger „elitären Zweig“ der Leser im Mittelpunkt des redaktionellen Bemühens. Im Ansatz ist kein Unterschied beider „Arten“ erkennbar, jedoch erklärt Flöhl die personelle Struktur der FAZ-Redaktion. Mehrere ausgebildete Wissenschaftsjournalisten mit akademischen Abschlüssen können ohne Zeitdruck die Themen bearbeiten und in angemessener Breite darstellen.42 Daß es bei den meisten Massenmedien etwas anders aussieht, ist dem Autor bekannt. Deshalb fordert er von der Verlegerseite, den Redakteuren, die sich mit wissenschaftsjournalistischen Themen zu befassen haben, mehr Zeit zur Recherche zu geben.43 Ob auf rein personeller Ebene die Qualität medizinjournalistischer Berichterstattung im Bereich der Laienmedien zu beeinflussen ist, kann angenommen werden, scheint aber aus ökonomischen Gründen unrealistisch zu sein. 40 Flöhl, Rainer; Künstliche Horizonte? Zum konfliktreichen Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien, in: Medium Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 24. 41 Ebenda, so auch sinngemäß Walter Hömberg, Stiefkind – Die Lage des Schwellenressorts Wissenschaftsjournalismus, in: Medium Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 30. 42 Flöhl, Rainer; Frankfurter Allgemeine Zeitung, Vortrag an der Ruhr-Universität Bochum am 17. April 1990, in: Medizinjournalismus in Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Massenmedien: Ausbildung – Aufgaben – Ansätze, Konstanz 1992, S. 50. 43 Flöhl, Rainer; Künstliche Horizonte? Zum konfliktreichen Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Band 1, 1990, S. 27. 16 1993 entwickelte Renate Bader Kriterien für eine publizistische Qualität im Wissenschaftsjournalismus.44 Unter anderem sollen die Kriterien „Faktentreue und Genauigkeit, Ausgewogenheit und Ganzheitlichkeit der Darstellung“ ein Qualitätsmerkmal für Wissenschaftsjournalismus sein. Ferner möchte sie den Leser „bilden“, weil dies ein Auftrag der Medien sei.45 Neben der reinen Informationsweitergabe und der Aufklärungsarbeit erläutert sie das Unterhaltungskriterium und erklärt diese Vorgabe für die journalistischen Produkte: „Sie sollen im besonderem Maße verständlich und unterhaltend sein, so daß sie ein breites Publikum auch wirklich erreichen.“46 Untersucht man diese von Bader für wissenschaftsjournalistische Qualität gebildeten Kriterien, so stehen diese im Einklang mit der Lehrliteratur für den Journalisten im allgemeinen. Auch dieser hat sich an die Kriterien Objektivität, Vollständigkeit47 und den Pressekodex zu halten. Eine Entwicklung von Kriterien für publizistische Qualität – seien es auch linguistische Kriterien48– im Wissenschaftsjournalismus kann in der Theorie durchaus nützlich und während der Ausbildung auch hilfreich sein. Fragwürdig bleibt die Umsetzung in der Praxis. Hierzu sind zudem nähere Kenntnisse aus dem journalistischen Produktionsprozeß erforderlich,49 die jedoch kaum die qualitative Seite beeinflussen könnten. Von einer ganz anderen Seite geht Johann F. Volrad Deneke das Problem der Qualitätssicherung im Medizinjournalismus an. Er fordert von Seiten der Ärzte und der medizinischen Institutionen eine geschlossenere Öffentlichkeitsarbeit. Somit ließen sich Fehler in der Berichterstattung vermeiden. Hierbei beschreibt er noch vorliegende Abstimmungsschwierigkeiten bei den ärztlichen Verbänden und fordert: „Es ist sicher einfacher, eine Öffentlichkeitsarbeit oder eine Informationspolitik nur der Bundesärztekammer oder nur den Landesärztekammern oder nur eines bestimmten ärztlichen Verbandes oder nur einer bestimmten Fachgesellschaft zu planen und durchzuführen. Die Weiterentwicklung der Medizin, den 44 Bader, Renate, Was ist publizistische Qualität? Ein Annäherungsversuch am Beispiel des Wissenschaftsjournalismus, in: Bammé, Arno / Kotzmann, Ernst / Reschenberg, Hasso (Hrsg.), Publizistische Qualität – Probleme und Perspektiven ihrer Bewerrtung, München 1993, S. 22ff. 45 Ebenda, S. 27. 46 Ebenda, S. 33. 47 von La Roche, Walter, Einführung in den praktischen Journalismus – Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege, München 1992, S. 117ff. 48 Bernd Ulrich Biere fordert linguistische Kriterien zur Prüfung der publizistischen Qualität: Liguistische Kriterien für publizistische Qualität, in: Bammé, Arno / Kotzmann, Ernst / Reschenberg, Hasso (Hrsg.), Publizistische Qualität – Probleme und Perspektiven ihrer Bewerrtung, München 1993, S. 84f. 49 Eine gute Darstellung der Produktionsschritte im Zusammenhang mit journalistischer Qualität bietet: Matzker, Reiner; Journalistische Qualität – gibt es Kriterien zu ihrer Bestimmung, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1996, S. 41f. 17 Interessen der Patienten und den Interessen der Ärzteschaft aber ist wirklich gedient nur mit einer im Miteinander aller ärztlichen Organisationen und Institutionen getragenen Informationspolitik und Vertrauenswerbung.“50 Der Gedanke ist klar: Eine effizientere Öffentlichkeitsarbeit der medizinischen Verbände könnte zur Qualitätssicherung in der medizinischen Berichterstattung beitragen. Aus der Erfahrung der „Autoimmun“-Redaktion wartet man darauf bislang häufig vergebens. Einen Schritt weiter geht Walter Hömberg. 1995 schrieb der Professor der Katholischen Universität Eichstätt (Lehrstuhl für Journalistik): „Doch wie die Medizin selbst sollte sich auch die Medizinberichterstattung einer öffentlichen Qualitätskontrolle stellen. Manche Mängel wären da auszumachen: fehlende Fachkompetenz, zuwenig Recherchekapazität, Abhängigkeit von interessengebundenen Informationsflüssen, kurz: Vermittlungsdefizite an allen Ecken. Dazu kommt die verschärfte Konkurrenz um Einschaltquoten und Auflagen, in der immer mehr Medien ihre Schäfchen zwischen Schweinepest und Rinderwahnsinn ins Trockene bringen wollen. Die Titel von Fernsehmagazinen heißen heute Explosiv, Brisant, Alarm, und ihre Reize in der Berichterstattung werden immer stärker dosiert.“51 Eine gewagte These, die zwei Gefahren in sich birgt. Zum einen erkennt Hömberg durchaus die immer stärker werdende Reizdosierung bei den Laienmedien im Umgang mit medizinischen Themen. Allerdings fällt es schwer, mit ihm alle Redaktionen gleichzusetzen. Viele Journalisten produzieren hervorragende Arbeiten über medizinische Themen, ohne dabei unter die von Hömberg aufgezeigten Mängel zu fallen. Mit einer öffentlichen Qualitätskontrolle, deren Definition er nicht liefert, würde man diese Journalisten mitbestrafen. Und eine solche öffentliche Qualitätskontrolle enthält eine zweite Gefahr. Artikel 5 Grundgesetz garantiert nicht nur die Pressefreiheit, sondern untersagt auch die Zensur.52 Müßten Journalisten ihre Artikel zu medizinischen Themen einer öffentlichen Stelle zur „Qualitätskontrolle“ vorlegen, so läge die Gefahr einer Zensur durch die Hintertür sehr nahe. Einmal eingerichtet, könnte eine Ausweitung auf andere Redaktionsressorts stattfinden und durch eine solche „Qualitätskontrolle“ könnte die 50 Deneke, Johann F. Volrad, Aspekte und Probleme der Medizinpublizistik – Bestandsaufnahme und Analysen zur historischen und aktuellen Präsentation von Medizin in Massenmedien, Bochum 1985. 51 Hömberg, Walter, Zwischen Menetekel und Mirakel – Medizin in den Medien, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 3, 1995, S. 17. 52 Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 und 3 Grundgesetz lauten: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ 18 gesamte Pressefreiheit in Gefahr geraten. Schließlich stieße solch ein Vorhaben auch auf praktische Probleme. Insgesamt scheint die Diskussion über Qualitätsmessung und -sicherung wissenschaftsjournalistischer Publikationen ohne jede praktische Relevanz zu sein. Letztlich ist jeder Autor selbst für sein Werk verantwortlich. Dabei hat er die erforderliche Sorgfalt zu beachten. Doch welches Maß an Sorgfalt kann einem Medizinjournalisten zugemutet werden? Der Frage kommt Horst Krautkrämer mit einem praktischen Beispiel etwas näher: „Überspannt man da nicht die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht, wenn man erwartet, daß vor einer Weitergabe dieser Informationen danach geschaut wird, was andere Epidemiologen über die Korrelation zwischen durchschnittlichem Blutdruck, dementsprechend unterschiedlich hohem Herzinfarktrisiko und den daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Spätschäden herausgefunden haben? (Wenn man aus anderen Untersuchungen weiß, daß Leute mit unter der ‚Norm‘ liegenden Blutdruckwerten später unterdurchschnittlich bei Herzinfarktpatienten zu finden sind, dann muß man die Kosten für die Frühinvalidisierung auch normotoner HI-Patienten mit den Kosten der lebensbegleitenden gelegentlichen Arbeitsunlust des Hypotonikers in Vergleich setzen.)“53 Dieses Beispiel zeigt, daß es Grenzen der Sorgfaltspflicht für den Medizinjournalisten geben muß. Unterstellt man, daß der Journalist den festen Vorsatz hat, einen fehlerfreien Beitrag abzuliefern, dann stellt sich die Frage wie sich Sorgfaltspflicht definieren läßt. Hier könnte eine Anleihe aus der Rechtswissenschaft ein wenig Klärung erzeugen. Dort steht die Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit der Fahrlässigkeit. Danach handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt, „zu der er nach den Umständen und nach seiner persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, außer acht läßt…“54 Für den Medizinjournalisten bedeutet dies, daß seine Kenntnisse über ein Thema ausschlaggebend sind und daß er bei Agenturmeldungen, die ein unklares Bild ergeben, eigene Recherche zu betreiben hat. Walter Hömberg merkt an, daß viele Journalisten genau diese Eigeniniative nicht aufbringen.55 Vorausgesetzt, der Journalist hat sorgfältig recherchiert und das Ergebnis seiner Arbeit gegenlesen lassen, kann man ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorwerfen. 53 Krautkrämer, Horst, Zur Verbindlichkeit medizinischer Informationen in Massenmedien, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizin-Publizistik: Prämissen – Praktiken – Probleme, Frankfurt am Main 1990, S. 165. 54 Dreher, Eduard / Tröndle, Herbert, Kommentar zum Strafgesetzbuch, München 1981, S. 80. 55 Hömberg, Walter, Glashaus oder Elfenbeinturm? Zur Entwicklung und zur Lage der Wissenschaftskommunikation, in: Schreiber, Erhard / Langenbucher, Wolfgang R. / Hömberg, Walter (Hrsg.), Kommunikation im Wandel der Gesellschaft: Otto B. Roegele zum 60. Geburtstag, Düsseldorf 1980, S. 92. 19 1.5 Geschichte der Medizinjournalismus-Forschung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Ein Spezialgebiet einiger Autoren der Journalismusforschung ist die Untersuchung der Historie ihres Faches. Dabei entfernen sie sich vom Begriff Medizinjournalismus nicht unerheblich. Während Friedrich Hirth 1948 auf der Suche nach den historischen Wurzeln des Begriffs „Journalistik“ ist,56 untersucht Joachim Kirchner die Frühformen der Fachpresse und kann die ersten Publikationen, die als Ersatz für den beschwerlichen Briefverkehr galten, im 17. Jahrhundert entdecken.57 Wilmont Haacke, dessen journalistisches Wirken im folgenden Untersuchungsgegenstand ist, wird bei der Suche nach medizinjournalistischen Themen in allgemeinen Medien ebenfalls fündig und sieht erste Ansätze im 18. Jahrhundert und eine Steigerung der medizinisch ausgerichteten Artikel in Tageszeitungen erst eingangs des 19. Jahrhunderts.58 Eine erste inhaltliche Untersuchung wurde 1969 von Johann F. Volrad Deneke vorgelegt. Auch er sieht die medizinpublizistisch ausgericheten Aussagen im 17. und 18. Jahrhundert. Allerdings erkennt er bereits die ersten Konflikte „zwischen der Presse und der gesundheitspolitisch verantwortlichen Obrigkeit“.59 Dieses Ergebnis wird von Gerhard Buchholz bestätigt, wenn er schreibt: „Erstmals 1685 verfaßt der Professor für Rhetorik, Politik und Poesie, Christian Weise, in seiner Schrift ‚Schediasma curiosum de lectione novellarum‘, die eine Verteidigung der Zeitung als universaler Bildungsträger darstellt, einen eigenen Abschnitt über Arzt und Medizin in der Presse und setzt damit einen Anfangspunkt in der Diskussion des Verhältnisses von Presse und Medizin.“60 1913 erscheint die viel gelobte Arbeit von Paul Cattani „Die Medizin in der politischen Presse“.61 Sie stellt einen Startpunkt der wissenschaftlichen 56 Hirth, Friedrich, Begriff und Ziel des Journalismus, Mainz 1948, S. 7. 57 Kirchner, Joachim, Frühformen medizinischer Fachpresse, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 54. 58 Haacke, Wilmont, Genealogie medizinjournalistischer Themen, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 75. 59 Deneke, Johann F. Volrad, Arzt und Medizin in der Tagespublizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Köln 1969, S. 21. 60 Buchholz, Gerhard, Skizzen zur Wissenschaftsgeschichte der Medizinischen Publizistik, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizin-Publizistik: Prämissen – Praktiken – Probleme, Frankfurt am Main 1990, S. 17. 61 Cattani, Paul, Die Medizin in der politischen Presse, Zürich 1913, in: Deneke, Johann F. Volrad / Fischer, Heinz-Dietrich / Flöhl, Rainer (Hrsg.), Presse und Medizin im Spannungsverhältnis – Neudruck zweier Pionierstudien der Medizinkommunikation, Bochum 1993. 20 Auseinandersetzung mit dem Medizinjournalismus dar. Aus seiner Zeit heraus untersucht Cattani die Berichterstattung und Wirkung in der Presse zur Entdeckung des Tuberkulins von Robert Koch und Behrings AntituberkuloseSerums. In seiner Zusammenfassung („Praktische Postulate“) erkennt der Schweizer bereits die Probleme im Umgang mit medizinischer Werbung: „Bezahlte medizinische Ankündigungen sind aus dem Textteil der Zeitungen zu verbannen, da ihr Reklamecharakter dort nicht deutlich sichtbar ist.“62 Die Problematik hat sich bis heute gehalten, wobei sie durch indirekte PRTätigkeit im redaktionellen Teil oft weit schwerer zu erkennen ist. Historische Forschungen zum Medizinjournalismus müssen auch die Zeit des Nationalsozialismus behandeln. Dazu gibt es leider relativ wenig Arbeiten. Hier soll zum Beispiel die Dissertation von Barbara Maerz genannt werden. Die Autorin untersuchte einen kleinen Ausschnitt und beschränkt sich dabei auf Institutionen. Namen von Beteiligten werden kaum genannt und auch der Weg in eine rassistische Politik, die schließlich zum Holocaust geführt hat, kommt zu kurz.63 Wie kann eine grundlegende Forschung zur Geschichte des Wissenschaftsjournalismus im Nationalsozialismus stattgefunden haben, wenn die Nestoren dieser Disziplin –den Medizinjournalismus eingeschlossen – selbst im „Dritten Reich“ zu den geistigen Anstiftern von Antisemitismus und Menschverachtung gehörten? Zu nennen ist etwa der bereits erwähnte Wilmont Haacke äußerte sich bereits unter anderem zur „Genealogie medizinjournalistischer Themen“. Der Autor, der in der medizinjournalistischen Forschung einen Stammplatz eingenommen hat, kann einschlägige Veröffentlichungen aus der NS-Zeit vorweisen. 1944, als die ungarischen Juden zur Ermordung nach Auschwitz verbracht wurden, schrieb er in seinem Buch „Feuilletonkunde“: „Zu den Aufgaben einer deutschen Feuilletonkunde zählt unbedingt auch die, das deutsche Feuilleton zu einer Angelegenheit des nationalen Stolzes zu machen. Da es den üblen Beigeschmack aus den Jahrzehnten seiner jüdischen Infektion in der neuen Wirklichkeit binnen kurzer Zeit verloren hat, darf man das ohne Furcht vor kurzsichtiger Behelligung tun. Endgültig muß sein Wesen auch von einzelnen noch außenstehenden und vorurteilsvollen Betrachtern als wertvoll erkannt werden, indem man sie auf dessen bedeutende 62 Ebenda, S. 84. Maerz, Barbara, Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ als Quelle zur medizinischen Lokalgeschichte für die Zeit von 1933 bis 1938 unter bevorzugter Berücksichtigung der medizinischenVeranstaltungen und der Berichterstattung über Personen und Institutionen des Gesundheitswesens, München 1977. 63 21 Manifestanten in der deutschen Presse- und Literaturgeschichte verweist.“64 Somit läßt sich sagen, daß jemand, der den Verlust der „jüdische Infektion“ feierte, und sich damit zu den Zielen des Nationalsozialimus bekannte, auch zu den geistigen Brandstiftern des Massenmordes an den europäischen Juden zu zählen ist. Eine lückenlose Geschichte zum Medizinjournalismus kann von Haacke nicht erwartet werden, vielmehr hat er als geistiger Mittäter seine Berechtigung zur Erforschung dieses Gebietes verloren. Ein weiteres Beispiel soll das verdeutlichen: „Nur so kann die Zeitungswissenschaft dazu beitragen, in den Praktikern das Bewußtsein der wertvollen kulturellen Sendung ihres Feuilletons, das von ihnen als ein Mittel nationaler Reichsrepräsentation aufgefaßt werden sollte, erstens zu wecken und zweitens wachzuhalten. Fort und fort muß der Praktiker darüber unterrichtet werden, daß das gute deutsche Feuilleton zu allen Zeiten, da es nicht jüdischem Einfluß unterlegen ist, und bei all denen seiner besten Männer, die dem jüdischen Einflusse niemals nachgegeben haben, eine hohe ethische Mission gehabt und diese auch erfüllt hat.“65 Die „ethische Mission“ war 1945 beendet. Haacke veröffentlichte jedoch weiter und beeinflußte die Medizinjournalismus-Forschung, wie andere auch, die diesen Forschungszweig mitgeprägt und ihre Erkenntnisse in der Lehre weiter gegeben haben.66 Die mangelhafte historische Behandlung des Nationalsozialismus durch die Medizinjournalismus-Forschung läßt sich nur mit dieser personellen Kontinuität erklären. Was für die Wissenschaftler gilt und noch zu erforschen wäre, ist für die Presse selbst schon behandelt worden. Peter Köpf untersuchte eine Reihe von Einzelbiographien, die während des Nationalsozialmus tätig waren und zeigt ihren weiteren Lebensweg in Westdeutschland auf. Dabei stellt er unter anderem fest: „Wohl nirgendwo sonst wurde so rasch ein Schlußstrich unter die Nazi-Zeit gezogen wie im Westdeutschland der fünfziger Jahre. Der Strich der Journalisten gehörte zu den dicksten.“67 64 Haacke, Wilmont, Feuilletonkunde – Das Feuilleton als literarische und journalistische Gattung, Band 2, Leipzig 1944, zitiert nach: Wulf, Joseph, Kultur im Dritten Reich – Presse und Funk, Berlin 1989, S. 221. 65 Ebenda. 66 Mehrere Autoren, die die medizinjournalistische Forschung (Publizisten und Mediziner) in der Nachkriegszeit mitgestaltet haben, besitzen eine unsaubere Vergangenheit. Eine weitere Erforschung dieses Komplexes würde den hier gesetzten Rahmen sprengen und bleibt einer weiteren Abhandlung vorbehalten. 67 Köpf, Peter, Schreiben nach jeder Richtung – GoebbelsPropagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse, Berlin 1995, S. 17. 22 1.6 Die wesentlichen Untersuchungen und Inhaltsanalysen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Zu den wesentlichen Tätigkeitsfelder der Medizinjournalismus-Forschung gehört die Analyse.68 Hierbei wird das gesamte Feld der Wissenschaftsjournalismus-Forschung mit ihren Methoden einbezogen. Neben einer Reihe von Inhaltsanalysen existieren wenig grundlegende Veröffentlichungen, die Auskunft über Rezipienten, Produzenten und die Wirkung von medizinisch ausgerichteten medialen Produkten auf Auflage bzw. Quote geben. Mit den Rezipienten befaßte sich unter anderem 1972 eine EMNID-Repräsentativerhebung, die von Heinz-Dietrich Fischer 1984 interpretiert wurde.69 Darin wurde auch untersucht, wie stark das Interesse der Bevölkerung an medizinpublizistischen Themen in den Medien ist. Danach hatten 36 Prozent der Volksschulabgänger keine Interesse an einer Berichterstattung aus Wissenschaft und Technik, wohingegen bei Abgängern mit mittlerer Reife nur 16 Prozent keine Neigung für diese Themen zeigten. Wenig erstaunlich ist die Tatsache, daß Rezipienten mit Abitur zut 97 Prozent Interesse für wissenschaftliche Themen haben. Mit den redaktionellen Produzenten von wissenschaftlichen Beiträgen beschäftigte sich 1984/1985 Walter Hömberg.70 Im Rahmen dieser Untersuchung interessierte sich der Autor für den Umgang mit wissenschaftlichen Themen. Dabei befragte er Chefredakteure und Programmdirektoren. Hierbei konnte Hömberg zunächst nachweisen, daß medizinische Themen von Wissenschaftsjournalisten bevorzugt bearbeitet werden. Mit 26,6 Prozent stellen sie den Spitzenreiter aller wissenschaftsjournalistischen Gebiete dar.71 Im Zuge der Befragung von Chefredakteuren und Programmdirektoren kam Hömberg zu dem Ergebnis: „Knapp zwei Drittel der Tageszeitungen mit Vollredaktionen haben einen Publikationsplatz für die Wissenschaftsberichterstattung eingerichtet. Diese Sparte erscheint allerdings entweder unregelmäßig oder in größeren Zeitabständen, was die Kontinuität gewiß nicht fördert. Der zuständige Redakteur ist normalerweise noch mit einer Reihe anderer Aufgaben belastet. Nicht einmal jede dritte Redaktion hat einen oder mehrere Wissenschaftsjournalisten in ihren Reihen.“72 68 So auch Johann F. Volrad Deneke, Medizinische Publizistik als Gegenstand von Forschung und Lehre, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 2, 1976, S. 74. 69 Fischer, Heinz-Dietrich, Massenmedien als Transportvehikel der Wissenschaft – Skizzen eines Spannungsverhältnisses, in: Bertelsmann-Briefe, Heft 115, S. 26. 70 Hömberg, Walter, Das verspätete Ressort – Die Situation des Wissenschaftsjournalismus, Konstanz 1990. 71 Ebenda, S. 74. 72 Ebenda, S. 140. 23 Ob sich an dieser Situation im Jahre 2000 grundsätzliches etwas geändert hat, kann aufgrund des Fehlens neuerer Daten nicht geklärt werden. Zwar können infolge eines verbesserten Ausbildungsangebotes qualifizierte Wissenschaftsredakteure den Medien zugeführt werden, allerdings wird hiervon noch wenig Gebrauch gemacht. Im Wesentlichen verfügen die überregionalen Blätter über eigene Wissenschaftsjournalisten. Im Bereich Hörfunk und Fernsehen können spezielle Spartensendungen eigene Wissenschaftsjournalisten aufweisen. So auch die Beobachtung von Christian Schütze: „Wissenschaft ist ein Kleinressort. Das gilt für praktisch alle Redaktionen breitstreuender Massenmedien, für Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, Funkhäuser und Fernsehstationen. Während die Politik mit 15, die Wirtschaft mit zehn Redakteuren und Kommentatoren besetzt ist, hat die Wissenschaft einen oder zwei. Nur gutgestellte Sendeanstalten und Blätter leisten sich eine stärkere Besetzung des Wissenschaftsressorts.“73 Die personelle Unterbesetzung ist bei den Nachrichtenagenturen änhlich. Hierzu Hömberg: „Unter den 500 Redakteuren der großen Nachrichtenagenturen befinden sich zwei ganze Wissenschaftsjournalisten. Bei den Spezialagenturen stößt man auf die gleiche Situation. Einige Medien- und Informationsdienste versuchen die Lücke zu schließen. Meist publizistische Ein-Mann-Betriebe, konzentrieren sie sich vor allem auf die Themengebiete Medizin, Naturwissenschaft und Technik.“74 Hömbergs Ergebnisse spiegeln die Erfahrungen, die in der „Autoimmun“-Redaktion gemacht wurden, wider. Auch dort arbeiteten nur zwei festangestellte Redakteure, die ein Spezialpublikum von chronisch kranken Menschen periodisch informieren wollten. Worin liegen nun die Schwierigkeiten auf Seiten der Redaktionsleiter und der Wissenschaftsjournalisten. Hierzu konnte Hömberg ebenfalls Resultate ermitteln: „Besondere Probleme sehen die Redaktionsleiter in der journalistischen Aufbereitung von Forschungsergebnissen, vor allem in der Schwierigkeit, die Fachterminologie für ein breites Publikum zu übersetzen und komplexe Themen mediengerecht darzustellen. Anders die Wissenschaftsjournalisten. Für sie liegen die gravierendsten Probleme zum einen in der unüberschaubaren Fülle der Neuerscheinungen, zum anderen in den Medien selbst: 73 Schütze, Christian, Arbeitssituation und Themenfelder – Der Wissenschaftredakteur im Medienbetrieb, in: Göpfert, Winfried / RußMohl, Stephan (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus – Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1996, S. 189f. 74 Hömberg, Walter, Das verspätete Ressort – Die Situation des Wissenschaftsjournalismus, Konstanz 1990, S. 141. 24 im Desinteresse der Verleger und Intendanten, der Chefredakteure und Ressortleiter sowie in der beschränkten Möglichkeit, brisante Themen zu behandeln.“75 Das Desinteresse der Chefredakteure und Programmdirektoren an wissenschaftsjournalistischen Themen wurde auch während der Datenerhebung, der von Hömberg durchgeführten Untersuchung, geäußert: Auch wenn die Befragten Interesse an der Studie zeigten, so Hömberg, wiesen sie darauf hin, „daß die Wissenschaftsberichterstattung nur sehr am Rande der redaktionellen Aufmerksamkeit liegt“.76 Diese Feststellung ist bemerkenswert, aber wegen mangelnder Erforschung konnte ein Publikuminteresse kaum nachgewiesen werden. So stellte die Medienwissenschaftlerin Kristina Zerges 1990 fest: „Der Rezipient der Wissenschaftsberichterstattung aber blieb in aller Regel bei den Untersuchungen ausgespart. Für eine möglichst genaue Beschreibung seiner Person, für seine Wünsche, Bedürfnisse, für seine Zustimmung oder Kritik an der Wissenschaftsberichterstattung interessierte sich niemand, weder die akademische noch die rundfunkeigene Forschung.“77 Damit umschrieb Zerges einen Forschungsbereich, der bislang wenig Beachtung gefunden hat. Der Rezipient eines medialen Produktes ist nicht nur anonymer Konsument und damit Auflagen- oder Quotenerzeuger, sondern ein Mensch, der jene Auflage oder Quote – um die es letztendlich allen Medienproduzenten geht – umso weiter verbessern kann, als seine Lebensumstände und Bedürfnisse ermittelt und berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der mit den „Autoimmun“-Lesern durchgeführten Untersuchungen über persönliche Lebensumstände, führten zu zusätzlichen Erkenntnissen über die Rezipienten.78 Insgesamt ist mit Zerges, die die Einschaltquoten einzelner Wissenschaftssendungen untersuchte, festzuhalten: „Das Interesse an Wissenschaftssendungen und Technik ist beim Publikum vorhanden, wenn vielleicht auch nicht ganz in dem Umfang, wie von den Befragten häufig selbst angegeben. Dennoch kann es auch bei neuen Publikumsschichten geweckt werden, wenn man in der Vermittlung neue Wege beschreitet, wie die ‚Knoff-hoff-Show‘ beweist.“79 Was für das breite an Wissenschaftsthemen interessierte Publikum zutrifft, gilt erst recht für die Rezipienten eines speziellen Informationsmediums. Da 75 Ebenda, S. 143. Ebenda, S. 27. 77 Zerges, Kristina, Wenig erforscht – Daten zum Publikum von Wissenschaftssendungen, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Heft 1, S. 33. 78 Vergleiche Kapitel 4 dieser Arbeit. 79 Zerges, Kristina, Wenig erforscht – Daten zum Publikum von Wissenschaftssendungen, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Heft 1, S. 35. 76 25 „Autoimmun“ medizinische Informationen und Inhalte für eine spezielle Zielgruppe verfaßte, war die Erforschung der Lebenssituation der Betroffenen zwingend notwendig. Häufiger sind die medizinischen Häufigkeiten und deren Inhalte in breitenwirksamen Medien erforscht worden. Eine Reihe von Untersuchungen liegen seit Anfang der siebziger Jahre vor. In der Regel handelt es sich um Inhaltsanalysen. Eine Auswahl der wesentlichen Arbeiten wird nachfolgend vorgestellt. Mit einer empirischen Untersuchung einzelner Jahrgänge des„Spiegels“ konnte Georg Kärtner bereits 1972 die wachsende Bedeutung medizinischer Themen nachweisen.80 Anläßlich der ersten erfolgreichen Herztransplantationen zeigten auch die Medien Interesse an medizinischen Themen. Hieraus leitet Kärtner den Schluß ab: „Der Beitrag derartiger Demonstrationen wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit und der Ambivalenz des wissenschaftlichen Fortschritts zur Befreiung der Wissenschaft aus dem elfenbeinernen Turm elitärer Öffentlichkeitsferne kann sinnvoll nicht geleugnet werden. Aber dieser Beitrag ist sicherlich überschätzt bzw. in seiner Funktion mißverstanden, wenn einzelnen derartigen Ereignissen, und mögen sie noch so sensationell oder einschneidend erscheinen, die Potenz zugeschrieben wird, ein langfristiges, inhaltlich prinzipiell nicht begrenztes, allgemeines Wissenschaftsinteresse einer gesellschaftsweiten Öffentlichkeit zu mobilisieren.“81 Kärtners Einschätzung der medialen Bedeutung wissenschaftsorientierter Themen in Massenmedien hat sich als nicht ganz zutreffend erwiesen. Der Autor geht von dem Grundsatz aus: „Denn die Technik besitzt ebenso wie Psychologie und Medizin einen hohen Bezug zur Alltagserfahrung“.82 Damit möchte er das zwischenzeitliche Interesse der Rezipienten an naturwissenschaftlichen Themen in den Medien erklären. Doch gerade dieses Argument hätte den Autor dazu bewegen müssen, den Naturwissenschaften, insbesondere der Medizin, die sich mit den Alltagsleiden der Patienten befaßt, ein steigendes öffentliches Interesse zu attestieren. Vier Jahre später publizierte Alois Soritsch seine Ergebnisse über „Wissenschaftsinformation in Massenmedien“. In Österreich untersuchte der Autor die beiden Tageszeitungen „Neue Kronenzeitung“ und „Kurier“. Er kommt bei der Auswertung seiner quantitativen Inhaltsanalyse zu dem Schluß, „…daß der Anteil 80 Kärtner, Georg, Wissenschaft und Öffentlichkeit – Die gesellschaftliche Kontrolle der Wissenschaft als Kommunikationsproblem. Eine Analyse anhand der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und anderer Massenmedien, Band 1, Göppingen 1972, S. 309f. 81 Ebenda, S. 479. 82 Ebenda, S. 344. 26 von Beiträgen mit wissenschaftlicher Themenstellung außerordentlich gering ist“.83 Soritsch bezieht sich in seiner Arbeit auf eine frühere von ihm durchgeführte Untersuchung, die zeigte, daß Informationen zu Gesundheitsfragen zu einem großen Teil aus den Massenmedien bezogen werden, ihnen „offenbar die größte Bedeutung zukommt“.84 Auch hier wird das Informationsbedürfnis der Rezipienten nicht sensibel genug berücksichtigt. Das Medium selbst steht im Vordergrund der Betrachtung. 1978 veröffentlichte Horst Merscheim eine Untersuchung der Zeitschriften „Bunte“, „Neue Revue“, „Quick“ und „Stern“. Der Autor bediente sich dabei der Methode der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse. Die Daten wurden im Zeitraum vom 1. März 1976 bis zum 1. März 1977 erhoben.85 Unter anderem untersuchte Merscheim die in den Illustrierten dargestellten medizinischen Disziplinen. Hierbei ist bemerkenswert, daß in den Zeitschriften „Bunte“, „Neue Revue“ und „Quick“ am häufigsten über Vorbeugung, Krebs, Gynäkologie und allgemeine Hausarztratschläge berichtet worden ist. Hingegen hat der „Stern“ diese Gewichtung nicht vorzuweisen.86 Sein medizinischer Schwerpunkt liegt auf der Chirurgie und auf der Gesundheitspolitik.87 Somit kommt Merscheim zu dem Ergebnis: „Pauschalisierend kann jedoch die These als gerechtfertigt angesehen werden, daß der „Stern“ trotz seines relativ geringen Anteils an medizinischen Berichterstattungen im Rahmen seiner gesamten redaktionellen Berichterstattung die informativste der untersuchten Zeitschriften ist. Dieses Ergebnis bestätigt auch den Selbstanspruch des „Stern“, welcher das Ziel einer informierten Öffentlichkeit beinhaltet. Dieser informative Anspruch bezieht sich allerdings nicht so sehr auf die Berichterstattung aus den medizinischen Disziplinen als vielmehr auf die gesundheitspolitische Diskussion, welcher er sowohl im Rahmen seiner Berichterstattung als auch im Vergleich zu den anderen Zeitschriften das größte Gewicht zukommen läßt. Aufgrund seiner Berichterstattungen auf diesem Gebiet, welche sowohl Kritik am ärztlichen Selbstverständnis hinsichtlich der Honorar- und Kunstfehlerdiskussion beinhaltet, als auch die Kritik an von der 83 Soritsch, Alois, Wissenschaftsinformation in Massenmedien, Wien 1976, S. 30. 84 Ebenda, S. 8. Vergleiche auch Kapitel 4.6. dieser Arbeit, in dem gezeigt werden kann, daß Patienten von einer Therapie mit einem in Deutschland nicht zugelassenen Medikament hauptsächlich aus den Medien erfuhren. 85 Merscheim, Horst, Medizin in Illustrierten – BerichterstattungsAnalyse von „Bunte“, „Neue Revue“, „Quick“ und „Stern“, Bochum 1978, S. 50. Die Arbeit wurde 1978 von der Abteilung für Philosophie – Pädagogik – Psychologie der Ruhr-Universität Bochum unter dem Titel „Explizite und periphere medizinische Publizistik in Wochenzeitschriften – eine quantitative und qualitative Inhaltsanalyse von ‚Bunte‘, ‚Neue Revue‘, ‚Stern‘ und ‚Quick‘“ als Magister-Graduiertenarbeit angenommen. 86 Ebenda, S. 104 bis 107. 87 Ebenda, S. 109. 27 öffentlichen Gesundheitspolitik zu verantwortenden Entscheidungen – und zwar in einem überraschend ausgewogenen Verhältnis – kann der „Stern“ als die einzige Zeitschrift mit einem politisch liberalen bis progressiven Selbstverständnis bezeichnet werden.“88 Interessant an den Ausführungen Merscheims ist das Ergebnis, daß der „Stern“ mit dem Anspruch, eine „informierte Öffentlichkeit“ herzustellen, den Rezipienten bereits hervorhebt. Daß dies für Medien, die sich mit medizinischen Themen beschäftigen, besonders beachtenswert ist, wurde bereits erörtert. 1989 legt Sieghard König seine medizinische Disseration unter dem Titel „Arzt und Medizin in der TIME“ vor.89 König wertete die Ausgaben von TIME/Europe aus den Jahren 1971 bis 1976 empirisch nach medizinischen Berichten in der Zeitschrift aus. Diese Untersuchung ist deshalb hervorzuheben, weil TIME es sich seit ihrer Gründung im Jahre 1923 zur Aufgabe gemacht hat, über medizinische Themen wahrheitsgetreu zu berichten. Als Folge dieses Selbstverständnisses hat die Zeitschrift eine abgetrennte redaktionelle Rubrik für medizinische Themen eingerichtet. König stellt fest, daß der Umfang medizinischer Themen in der TIME bei rund drei Prozent liegt.90 Nachfolgend ermittelt er die Häufigkeit der verschiedenen medizinischen Disziplinen (Chirurgie, Innere Medizin, Krebsforschung, Pharmakologie, Gynäkologie, Abtreibung, Sexualmedizin, Psychologie, Gesundheitserziehung sowie Gesundheits- und Standespolitik). Bei der Ermittlung der Häufigkeiten steht die Gesundheits- und Standespolitik in der TIME weit im Vordergrund.91 Die anderen Disziplinen schwanken in ihrem Auftreten teilweise sehr stark. König erklärt die Häufigkeit ihrer Erwähnungen mit den Veröffentlichungen von sogenannten Cover-Stories, die viel Raum einnahmen. Besonders bemerkenswert ist Königs Feststellung: „Der Anteil der Leserbriefe, die sich sich auf medizinische Artikel beziehen, ist insgesamt prozentual größer als der Anteil der Medizin-Berichterstattung am gesamten redaktionellen Angebot.“92 Auch dies ist wieder ein Indiz für ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis der Rezipienten an medizinischen Themen. Wie bei einigen Medienuntersuchungen, die von Mediziniern durchgeführt worden sind, wird jeweils zusätzlich die Frage behandelt, inwieweit es sinnvoll erscheint, überhaupt medizinische Themen in der Laienpresse anzusprechen. König hebt die Gefahren einer solchen Berichterstattung hervor. Im einzelnen sind dies: Der Leser forscht nach eigenen Krankheiten und entdeckt Symptome bei sich. In einem zweiten Schritt kann er eine 88 Ebenda, S. 267. König, Sieghard, Arzt und Medizin in der TIME 1971-1975, Düsseldorf 1980. 90 Ebenda, S. 20. 91 Ebenda, S. 25. 92 Ebenda, S. 168. 89 28 unverantwortungsvolle Selbstbehandlung bei sich durchführen. Schließlich könnten in ihm unberechtigte Hoffnungen geweckt werden.93 Der Medizinjournalismus soll sich – die Diskussion wurde bereits in dieser Arbeit beschrieben – auf Aufklärung und Krankheitsverhütung beschränken.94 Eine weitere medizinische Dissertation, die die Rolle von Ärzten und medizinischen Themen im „Spiegel“ untersucht, fordert wortgleich vom Medizinjournalismus „Aufklärung und Gesundheitserziehung“.95 Ingeborg Nauels kommt bei ihrer teils qualitativen Inhaltsanlyse, die die publizistischen Gesichtspunkte Aktualität, innere Kontinuität, Intimität und Individualität, Universalität und Spezialisierung und Publizität berücksichtigt,96 ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die Bereiche Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik im „Spiegel“ am häufigsten behandelt werden.97 Der Rezipient wird überhaupt nicht berücksichtigt. Eine Ausdehnung der Untersuchung auf das Kriterium „Sensibilität“ – das die Betroffenen in den Vordergrund stellen sollte – findet nicht statt. 1984 untersuchte Horst Merscheim mit seiner Dissertation medizinische Sendungen im Fernsehen. Damit rückte dieses Medium stärker in den Vordergrund des analytischen Interesses. Der Untersuchungsgegenstand, das Fernsehen, läßt sich schwer mit der bisherigen Methodik, die im Printbereich angewendet wurde, untersuchen. Der Autor beschränkt sich bei seiner Arbeit deshalb nicht nur auf eine reine Inhaltsanaylse, sondern verwendet diese nur als Teil der Arbeit, um dann mit einer Kommunikatoren- und Rezipientenuntersuchung stabilere Ergebnisse zu erhalten und zusammenfassend zu interpretieren.98 Seine Untersuchung befaßt sich mit Gesundheitssendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: „ARD-Ratgeber: Gesundheit“, „Gesundheitsmagazin Praxis“ (ZDF) und „Medizin im Dritten“ (WDR). Merscheim erkennt zunächst, daß das Medium Fernsehen medizinische Sachverhalte durchaus auch verschiedenartig vermitteln kann. Er sagt: „Im Überblick läßt sich feststellen, daß die Analyseergebnisse zu der Aussage berechtigen, daß Pluralität in der Darlegung und Darstellung fernsehmedial vermittelter Medizininformationen gegeben ist. Mag das oberste Ziel der medizinischen Serienproduktion ganz allgemein in einem von Sachwissen, von konkreten Hilfestellungen und auch von gesundheitserzieherischen Maßnahmen geprägten Angebot 93 Ebenda, S. 191f. Ebenda, S. 193. 95 Nauels, Ingeborg, Arzt und Medizin in fünf Jahrgängen Spiegel, Düsseldorf 1981, S. 112. 96 Vergleiche auch: Deneke, Johann F. Volrad, Grundbegriffe der Publizistik, in: Jahrbuch der Universität Düsseldorf, 1976/1977, S. 187-191. 97 Ebenda, S. 75. 98 Merscheim, Horst, Medizin im Fernsehen – Probleme massenmedial vermittelter Gesundheitsberichterstattung, eine empirischanalytische Studie, Bochum 1984, S. 45. 94 29 bestehen, so sind die Wege zur Erreichung dieses Ziels deutlich voneinander zu unterscheiden.“99 Nach zweieinhalb Jahren Beobachtungszeit entwickelt Merscheim aus seiner dreiphasigen Untersuchung zu medizinischen Themen im Fernsehen drei Thesen zu den jeweiligen Sendungen: „These 1: Der ‚ARD-Ratgeber: Gesundheit‘ stellt in seiner Medizinberichterstattung die Selbstbestimmung des Rezipienten und Patienten in den Vordergrund. Die Medizin bleibt Hilfsmittel zum Zweck. These 2: Das ‚Gesundheitsmagazin Praxis‘ läßt Tendenzen der Fremdbestimmung erkennen. Rezipient und Patient sind integraler Bestandteil des etablierten medizinischen Systems, das durch die Art der Berichterstattung eher ausgeweitet und gefestigt als grundlegenderen Veränderungen unterworfen wird. These 3: ‚Medizin im Dritten‘ überläßt dem Rezipienten die Entscheidung. Die Themenbearbeitung ist hinsichtlich möglicher Verhaltensänderungen genauso unaufdringlich, wie die Themenvielfalt einen Blick über die Grenzen der heimischen medizinischen Sozialisation hinaus erlaubt.“100 Das Fernsehen trägt neben dem Printmedium zu einer Transparenz des Wissenschaftszweiges bei, wobei die Ausgestaltung unterschiedlich ausfallen kann. Zudem rückt auch der Rezipient näher in den Mittelpunkt der redaktionellen Sendeplanungen. Merscheim sieht diesen Vorgang allerdings unter dem entscheidenden Merkmal der Eigenorganisation und Darstellung von Selbsthilfegruppen.101 Interessant sind die Befunde zu einer Medinzinerbeteiligung bei medizinischen Fernsehsendungen. Die Mehrheit der von Merscheim befragten Ärzte sehen die Möglichkeit einer Sendung ohne ärztliche Beratung nicht.102 Somit konnten sich Ärzte ein Standbein im Fernsehen sichern und auf „Unkorrektheiten“ achten. Bis heute ist in den von Merscheim untersuchten Sendungen ärztliche Beratung vertreten. Eine weitere Untersuchungsmethode stellt die Fehleranalyse dar. Viel zu selten angewendet bietet sie doch die Möglichkeit, einer inhaltlichen Prüfung der medialen Produkte – im Idealfall einer redaktionellen Selbstkontrolle. Im konkreten Fall läßt sie Befunde darüber zu, wie exakt wissenschaftliche Aussagen von den Wissenschaftsjournalisten umgesetzt worden sind. Bei einer Vorab-Prüfung festgestellte Fehler lassen sich beheben und die Publikationen qualitativ aufwerten. Ein gutes Beispiel dafür stellt die von Michael Haller durchgeführte Fehleranalyse der Berichterstattung über das Reaktorunglück in Tschernobyl 1986 dar.103 99 Ebenda, S. 464. Ebenda, S. 468. 101 Ebenda, S. 304, zu der Problematik Selbsthilfegruppen siehe auch Kapitel 4.4. der vorliegenden Arbeit. 102 Ebenda, S. 402. 103 Haller, Michael, Wie wissenschaftlich ist Wissenschaftsjournalismus? Zum Problem wissenschaftsbezogener 100 30 Auch wenn die Ursachen des Unfalls im Bereich der Nuklearphysik liegen, so war schon nach den ersten Tagen nicht zu übersehen, daß die Medizin ihre erste flächendeckende Erfahrung mit Verstrahlungsopfern unter Beobachtung der Medien sammelte. Haller untersuchte zur Fehleranalyse vier überregionale Tageszeitungen („Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“ und „Neue Zürcher Zeitung“). Seine Stichprobe umfaßte den Zeitraum vom 2. Mai bis zum 17. Mai 1986, 56 Zeitungsausgaben und 171 Texteinheiten.104 Pro Ausgabe ermittelte der Autor im Durchschnitt 3,7 Texte zum Thema. Dann führte er seine Analyse durch: „Die 171 redaktionellen Texte legte ich zwei in der Sache neutralen Physikern vor, die sich seit Jahren mit Fragen der Nuklearphysik befassen“.105 Der Autor entwickelte einen Fehlerbegriff, wonach die Experten keine eigene Fachliteratur benutzen und im Zweifelsfall zugunsten der Zeitungstexte entscheiden sollten. Nach Bildung von vier Fehlerkategorien (Falschangabe der Quellen, Falschbehauptungen der Redaktion, Kontextfehler der externen Quellen und Kontextfehler der redaktionellen Deutungen) trennte Haller drei journalistsiche Darstellungsformen (Berichte und Agenturtexte, Eigenberichte und Reportagen sowie Kommentare, Glossen und Leitartikel). Nach Auswertung der Fakten- und Deutungsfehler (insgesamt 202 Fehler) stellte er fest: „Überraschend an den Ergebnissen war zunächst die realtiv hohe Fehlerquote in den nachrichtlichen (berichterstattenden) Texten vor allem fremder Quellen, in erster Linie in den Agenturtexten und den als zutreffend wiedergegebenen Zitaten in Korrespondentenberichten. In den redaktionellen Kommentaren beziehen sich dann die Journalisten oftmals auf die unzutreffenden Fakten oder unbelegten Behauptungen der externen Quellen und verstärken damit die Fehlinformation. Demgegenüber ist die Fehlerquote in den redaktionellen Eigenberichten relativ gering, zudem verteilt sich die Fehlerart erstaunlich gleichmäßig auf alle vier Fehlerkategorien – ein Hinweis, daß die Redaktion vergleichsweise korrekt recherchiert, aber das externe Material eher unüberprüft verarbeitet hat.“106 Abschließend ermittelte Haller aus seinen Erkenntnissen Mängel bei der Berichterstattung im Wissenschaftsjournalismus. Zunächst erkannte er eine ungenügende Transfertechnik bei der Übermittlung. Diese sei besonders durch die Einschaltung von „Allround-Journalisten“, die tagesaktuelle Ereignisse zu verarbeiten haben, charakteresiert. Ferner entdeckte Haller ungenügende Recherchetechniken und unzureichendes Refexionsvermögen bei den Journalisten.107 Gerade hier möchte der Autor den Wissenschaftsjournalisten in der Rolle des Kriminalisten sehen, wenn er sagt: „Tatsächlich kommen unter wissenschaftskritischem Blickwinkel die bedingt wissenschaftsadäquaten, im Arbeitsmethoden im tagesaktuellen Journalismus, in: Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Heft 3, 1987. 104 Ebenda, S. 307. 105 Ebenda. 106 Ebenda, S. 309. 107 Ebenda, S. 311f. 31 Grunde aber ermittelnden und aufdeckenden Recherchierverfahren des Journalisten praktisch dem induktiv-deduktiven Methodenspiel der kriminalistischen Ermittlung nahe“.108 Der recherchierende Medizinjournalist als „Kriminalist“ geht weit über die Rolle des Gesundheitsaufklärers hinaus. Er wird sich kritisch mit Daten und Hintergründen zu befassen haben und dabei die eigene Fehlerkontrolle nicht aus den Augen verlieren. Die Untersuchungsmethode über Fehler bezieht zwar den Rezipienten nicht unmittelbar in das Produkt mit ein, sie garantiert aber dem Konsumenten mittelbar nicht nur eine Verminderung der Sachfehler, sondern erfüllt verstärkt den Eigenanspruch der korrekten Berichterstattung. 1988 legten Fritz A. Muthny und Michael Bechtel eine Inhaltsanalyse der Zeitschriften „Der Spiegel“, „Stern“, „Quick“ und „Neue Welt“ vor.109 Ihre Untersuchung konzentrierte sich auf die Darstellung von chronischen Krankheiten. Für den untersuchten Jahrgang 1985 ermittelten die Forscher zwei Artikel pro Woche, die sich mit chronischen Erkrankungen befaßten.110 Im Vordergrund standen dabei AIDS, Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen. Das Thema AIDS spielte in der Zeitschrift „Neue Welt“ keine Rolle. Die Berichte über chronische Erkrankungen orientierten sich deutlich an schulmedizinischen Methoden.111 Die Autoren stellten bei ihrer Untersuchung der psychosozialen Aspekte fest, daß diese mit 52 Prozent einen großen Raum in der Berichterstattung einnahmen. Im einzelnen konnten in den untersuchten Medien bei den dargestellten Betroffenen Depressionen, Trauer, Hoffnungslosigkeit, Ängste, aber auch Erleichterung, Freude und Hoffnungen beobachtet werden. Ferner schauten Muthny und Bechtel nach den Methoden der in den untersuchten Zeitschriften dargestellten Krankheitsverarbeitungen. Hier wurden in den Publikationen vor allem depressive Reaktionen, Inanspruchnahme sozialer Unterstützung, problemorientiertes Coping und Verleugnung und Verdrändung dargestellt.112 Die journalistische Darstellung dieser Themen beschränkte sich auf Fach-/Hintergrundberichte, Reportagen und Ratgeber-Rubriken und war weniger an dem Verlauf einer Krankheit ausgerichet: „Bezüglich behandelter Erkrankungsphasen wird in über der Hälfte der Fälle von Patienten bei Erkrankungsbeginn bzw. in der Primärtherapie berichtet, Nachsorgebereich und mittel- bis langfristige Rehabilitation erfahren weit weniger Aufmerksamkeit.“113 Das Niveau der untersuchten Zeitschriften unterschied sich erheblich. „Quick“ und „Neue Welt“ reflektierten die chronischen Erkrankungen wesentlich unkritischer als 108 Ebenda, S. 317. Muthny, Fritz A. / Bechtel, Michael, Chronische körperliche Erkrankungen in der Sicht der Medien – Eine Inhaltsanalyse der Medizinberichterstattung in Publikumszeitschriften unter besonderer Berücksichtigung psychosozialer Aspekte, in: Medizin Mensch Gesellschaft, Heft 1, 1988, S. 188-197. 110 Ebenda, S. 190. 111 Ebenda, S. 191. 112 Ebenda, S. 193, vergleiche auch Kapitel 4.4. dieser Arbeit. 113 Ebenda, S. 195. 109 32 dies „Der Spiegel“ tat. Der „Stern“ wies dabei die „insgesamt umfangreichste, sachlich klarste und vielseitigste Information unter den untersuchten Zeitschriften auf und zeichnete sich vor allem im Vergleich zur ‚Neuen Welt‘ durch bessere Verständlichkeit und Didaktik aus“.114 Daß im Mittelpunkt der Berichterstattung die chronischen Krankheiten Krebs, AIDS und Herz-Kreislauferkrankungen standen, wundert wenig, denn sie besitzen eine medienwirksame Dramatik, die andere, nicht unbedingt seltener auftretende Erkrankungen, nicht vorweisen können. Hierzu die Autoren: „Interessant erscheint gegenüber der häufigen Abhandlung der obigen drei Erkrankungen, wie eine ebenfalls recht häufige Erkrankung – die Multiple Sklerose – stark unterrepräsentiert ist, möglicherweise weil sie journalistisch weniger ergiebig ist, im Vergleich zu besser bekannten und mit drastischeren Assoziationen versehenen Erkrankungen, möglicherweise auch als Ausdruck des geringen Stellenwerts der MS in der medizinischen und psychosozialen Forschung.“115 Ende der achtziger Jahre veränderten sich die Inhaltanalysen zu medizinischen Themen in Massenmedien. Bislang standen die einzelnen Medien mit ihrer breiten medizinischen Berichterstattung im Vordergrund. Nun wenden sich die Wissenschaftler einzelnen Krankheiten in bestimmten Medien zu. Ein Beispiel dafür ist die Disseration von Detlev Wende. Er untersuchte die Berichterstattung zum Thema Krebs in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und verglich sie mit der der „Bild-Zeitung“.116 Der Autor geht davon aus, daß er „erstmalig die Medizin in der Tagespresse exemplarisch an zwei gegensätzlichen Presseerzeugnissen darlegt“.117 Offensichtlich ist ihm die eben dargestellte Untersuchung von Fritz A. Muthny und Michael Bechtel, die unter anderem die „Neue Welt“ und die Zeitschrift „Der Spiegel“ verglich, entgangen. Wende nahm sich die Jahrgänge 1974, 1976 und 1978 als Untersuchungszeit vor. Ihm standen 186 Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und 273 Artikel aus der „Bild-Zeitung“ zur Verfügung. Seine Untersuchung ergab unter anderem, daß in der „Bild-Zeitung“ 36 Prozent der Artikel zum Thema Krebs auf der Titelseite erschienen sind. Seine Ergebnisse zur Berichterstattung über Krebs in beiden Medien faßt er wie folgt zusammen: „Aus der Gegenüberstellung ergibt sich, daß die BZ bevorzugt Einzelberichte präsentiert, die leicht zur Verzerrung der Gesamtproblematik führen; überdies überwiegt in der BZ die 114 Ebenda, S. 196, der „Stern“-Befund entspricht Horst Merscheims Ergebnissen aus dem Jahre 1978. 115 Ebenda, S. 196, hierzu auch: Franke, Niels, Multiple Sklerose, Sternberg-Percha 1992, 2. Auflage, Klappentext. 116 Vergleiche zum Thema Krebs auch „Autoimmun“, April 1995, Nr. 2, S. 5-7. 117 Wende, Detlev; Über die medizinische Berichterstattung von Krebs in Tageszeitungen und deren kritische Bewertung – Dargestellt am Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „BildZeitung“ in den Jahren 1974, 1976 und 1978, Bochum 1990, S. 10. 33 sensationelle Aufbereitung die kritische Stellungsnahme. Während die FAZ auf die kasuistische Darstellung der Krankheit weitgehend verzichtet, entscheidet sich die BZ in den meisten Fällen für den personenbezogenen Bericht, welchem durch seine stärkere Suggestionskraft ein gewisser gesundheitserzieherischer Effekt nicht abzusprechen ist. (... ) In Bezug auf die Therapieerfolge überwiegt in der BZ die Zahl der negativen Einschätzungen die positiven Beurteilungen erheblich, während in der FAZ in dem überwiegenden Teil der Artikel eine neutrale Stellungnahme zu konstatieren war. Diese Differenz in der Bewertung der medizinischen Neuigkeiten spiegelt sich auch in der Sprache wieder: Während in der FAZ auf die Einhaltung einer präzisen sachlichen Formulierung unter reichlicher Verwendung der Fachtermini geachtet wird, zeigt der Wortschatz der BZ eine deutliche emotionale Prägung, die Anlaß zu falschen Hoffnungen und Mißverständnissen sein kann.“118 Dem Autor gelang es mit seiner Inhaltsanalyse, die deutlichen Unterschiede in der Berichterstattung zum Thema Krebs zwischen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Bild-Zeitung“ hervorzuheben. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ auch zu den Massenmdien zu zählen ist und eine andere Zielgruppe als die „Bild-Zeitung“ bedienen möchte. Bereits ein Jahr später veröffentlichte Joachim Pietzsch zum selben Thema seine Arbeit „Lesestoff Krebs“. Von der bis dahin erschienen Literatur hebt sich die Publikation in der Sprache und der Methodik ab. Hierzu der Herausgeber im Vorwort: „Anders als bei vielen fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen handelt es sich bei dieser am Institut für Journalismus an der Universität Bochum angefertigten schriftlichen Hausarbeit um eine leicht lesbare Studie, deren journalistische Genese offen zutage tritt. Sie hat zudem den Vorteil, nicht mit Theorie überfrachtet zu sein. Pietzsch gelingt es vielmehr immer wieder, den Bezug zum journalistischen Alltag herzustellen, was ihn vor Fehleinschätzungen bewahrt, die manche praxisferne kommunikationswissenschaftliche Arbeit entwertet.“119 Pietzsch untersucht unter anderem in einer sogenannten qualitativen Frequenzanalyse die Titelgeschichten zum Thema Krebs des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ aus den Jahren 1965, 1972, 1974, 1977, 1982 und 1987.120 Ziel dieser 118 Ebenda, S. 214f. Vorwort der Herausgeber Johann F. Volrad Deneke, Heinz-Dietrich Fischer und Rainer Flöhl zu: Pietzsch, Joachim, Lesestoff Krebs: Die Darstellung der „Krankheit des Jahrhunderts“ in ausgewählten Printmedien, Bochum 1991. 120 Pietzsch, Joachim, Lesestoff Krebs: Die Darstellung der „Krankheit des Jahrhunderts“ in ausgewählten Printmedien, Bochum 1991, S. 50. 119 34 Methode soll die Wandlung der Einstellung von Medien und Medizin zum Thema Krebs zeigen. In einer weiteren angebundenen Untersuchung verglich der Autor deskriptiv „Querschnitt“-Texte aus den Jahren 1978, 1980 und 1984 der Publikationen „Der Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Bild-Zeitung“. Die Ergebnisse der Frequenzanalyse zeigen, daß im Laufe der Jahre das Thema Krebs im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu mehr Bedrohtheitsgefühlen und Betroffenheit geführt hat. Pietzsch sagt: „In den sechziger Jahren noch war Krebs für die Öffentlichkeit ein maschinell besiegbarer Gegner. Wer auf dem Mond landen konnte, würde auch den Krebs ausrotten. Diese Rechnung ging nicht auf. Diese Grenzen des Fortschritts wurden sichtbar, auch in der Medizin, und der Mensch hatte sich darauf einzurichten. Krebsbetroffenheit wurde als eine mögliche Dimension des menschlichen Lebens thematisiert. Jedem Einzelnen droht Krebs: Das läßt allen Menschen Raum zu eigenem Handeln, sei es durch Vorbeugung, Krankheitsbewältigung oder durch bewußtes Sterben – wenn die ‚grausamen Therapeuten‘ das zulassen.“121 Die vergleichende Analyse der drei Medien zum Thema Krebsberichterstattung führte den Autor zu den Erkenntnissen: „1. ‚Der Spiegel‘ verwendet das Thema Krebs – aufbauend auf umfasssendem und präzisem Archivwissen – gerne als Kompaß für eine Erkundung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wohlbegründet spielt die Krankheit Krebs so die Rolle einer Metapher, in der sich aktuelle Stimmungen und Strömungen sinnbildhaft verdichten. 2. Die ‚FAZ‘ richtet ihre Krebsberichterstattung primär an den Kriterien der ‚scientific community‘ aus. Dort vor allem will sie anerkannt sein. Die äußere Aufmachung ist so dröge, daß niemand von ihr zum Lesen verlockt werden könnte, der dies nicht ohnehin vorhatte. Die Texte allerdings sind gründlich recherchiert, durchdacht aufgebaut und durchaus kritisch. 3. Für die ‚Bild-Zeitung‘ hat Krebs eine ähnliche Qualität wie Sex. Beide Themen sind gleichermaßen intim und öffentlich, schlüssellochbezogen, also schlagzeilenträchtig. Über beide Themen wollen die Menschen lieber etwas von anderen hören, als selbst darüber zu reden. Wenn es den Krebs nicht gäbe, würde ‚Bild‘ ihn erfinden.“122 Als lebhaftes Beispiel untersucht Pietzsch die Diskussion um den Botenstoff Interferon, der 1980 als Wundermittel gegen Krebs in den drei untersuchten Medien gehandelt wurde.123 Letztendlich erwiesen sich die Interferone bei den meisten Krebsarten als unwirksam. Anfang der neunziger Jahre begann eine verstärkte Diskussion um den Einsatz von Interferon-Beta bei der Multiplen Sklerose. Ähnlichkeiten in der Berichterstattung der von Pietzsch untersuchten Medien – wenn 121 122 123 Ebenda, S. 135. Ebenda, S. 137. Ebenda, S. 114ff. 35 auch nicht so drastisch wie beim Thema Krebs ausgetragen – konnten auch bei der Krankheit MS erkannt werden.124 In den achtziger Jahren rückte die Immunschwächekrankeit AIDS immer mehr in den Mittelpunkt der medialen Berichterstattung.125 Wegen der Ansteckungsgefahr durch sexuelle Kontakte und der besonders gefährdeten Gruppen Homosexuellen und Drogenabhängigen bot sich das Thema für Massenmedien aller Art an. Obwohl die Zahl der tatsächlich an AIDS Erkrankten weit unter der anderer Volkskrankheiten liegt, dominierte das Thema dennoch die Medizinseiten der Tagespresse. Somit wurde auch fast zwangsläufig das Thema AIDS in der MedizinjournalismusForschung behandelt. Ulf Boes veröffentlichte 1991 seine Inhaltsanalyse über die AIDS-Berichterstattung in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der „Welt“.126 Der Untersuchungszeitraum von 1982 bis 1989 ist günstig gewählt, da in dieser Phase die Medien Aufklärung betrieben und der Wissensbedarf der Rezipienten gedeckt werden sollte. Boes untersuchte die Verteilung der Beiträge zum Thema AIDS pro Jahr in den beiden ausgewählten Medien. Dabei zeigte sich, daß von 1982 bis 1985 noch relativ verhalten über die Krankheit berichtet wurde, während die Jahre 1986 und insbesondere 1987 eine starke Zunahme der Beiträge vorweisen konnten.127 Ferner ermittelte der Autor die Verteilung von AIDS-Beiträge auf die Ressorts Wissenschaft, Politik und Vermischtes. Hierbei zeigte sich, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im Gegensatz zur „Welt“ bereits 1983 das Thema mehrheitlich im Ressort Wissenschaft ansiedelte und 1987 schwerpunktmäßig in das Ressort Politik verlegte. Die „Welt“ hingegen ordnete die ImmunschwächeKrankheit frühzeitig in die Rubrik Vermischtes und ab 1986 in die Politik ein. Beide Blätter verteilten aber im gesamten Untersuchungszeitraum etwa konstant auch Beiträge in die Rubrik Vermischtes.128 Zudem ermittelte Boes den Anlaß eines Beitrags in den beiden Tageszeitungen und kam zu dem Ergebnis: „Insgesamt nimmt die FAZ häufiger Berichte über AIDS ohne besonderen Anlaß in die Berichterstattung auf als die Welt“.129 Der zweithäufigste Anlaß einer Berichterstattung über AIDS war die Mitteilung einer Organisation oder Institution. Abschließend erklärt Boes seine Ergebnisse zur Art der AIDS-Berichterstattung: „Zwar thematisieren beide Zeitungen den Aspekt ‚Ursprung‘ gleich stark, aber da die FAZ im Vergleich zur DW mehr Information über die Ausbreitung und die Übertragung von AIDS präsentiert, klärt die ‚Frankfurter Allgemeine‘ stärker über die Krankheit selbst auf. (...) Insgesamt läßt die Analyse sowohl für die Frankfurter Allgemeine Zeitung wie auch für ‚Die Welt‘ den Schluß zu, daß sie 124 Vergleiche auch „Autoimmun“, August / September 1994, Nr. 4, S. 3-6. Interferon-Beta ist heute zur Behandlung der MS zugelassen. 125 Zu AIDS vergleiche auch: „Autoimmun“, August / September 1995, Nr. 4, S. 4-6. 126 Boes, Ulf, AIDS-Berichterstattung in der Tagespresse – Inhaltsanalytische Untersuchung von „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Welt“ im Zeitraum 1982-1989, Bochum 1991. 127 Ebenda, S. 188. 128 Ebenda, S. 191-193. 129 Ebenda, S. 195. 36 durch ihre Berichterstattung den für sie zu realisierenden Beitrag bei der Aufklärung über AIDS geleistet haben und zu den Medien zu zählen sind, die angemessen berichten, weder zu dramatisch noch zu reichlich.“130 1997 veröffentlichte Erich Geretschlaeger die Ergebnisse einer umfangreichen Inhaltsanalyse zum Thema „Wissenschaft in den Medien und in der Öffentlichkeit“ für Österreich. Da ihm bereits Daten aus einer im Jahre 1977 durchgeführten Analyse zur Wissenschaftsberichterstattung vorlagen, wurde an den Definitionen, Kategorien und der Vorgehensweise nichts geändert, um Vergleiche zu ermöglichen.131 Der Untersuchungszeitraum war von März 1995 bis einschließlich August 1995 gewählt worden. Ermittelt wurden nicht nur der Berichterstattungsumfang, sondern auch die Einstellung der Rezipienten (1.000 Österreicher wurden befragt) zu Wissenschaftsthemen. Zunächst entdeckte Geretschlaeger, daß sich im Vergleich zu 1977 die Zahl wissenschaftlicher Beiträge in Tageszeitungen um durchschnittlich 1,5 pro Tag erhöht hat. Dieses Ergebnis sei wenig erfreulich: „Eine magere Ausbeute, die überdies in Relation zum jeweiligen Tageszeitungsumfang einem Rückgang gleichkommt, sind doch allein zwischen 1985 und 1995 die österreichischen Tageszeitungen um durchschnittlich 64 redaktionelle Beiträge pro Tag ‚dicker‘ geworden.“132 Bei den Nachrichtenmagazinen ermittelte der Autor insgesamt 1.119 Beiträge, was durchschnittlich 7,61 wissenschaftliche Beiträge pro Ausgabe bedeutet. Allerdings sieht Geretschlaeger hier eine Verfälschung des Begriffs Wissenschaftsberichterstattung, weil er einen hohen Anteil von Medizinberichterstattung ermittelt hat. Für den Fernsehbereich ergab die Untersuchung einen Rückgang wissenschaftlicher Beiträge von 2,9 auf 2,4 Prozent, „was in etwa einer halben Stunde Sendezeit pro Programm täglich entspricht“.133 Im Hörfunk-Bereich konnten günstigere Werte ermittelt werden: „Besser ist es zweifellos im Hörfunk. Die zwei bundesweit ausgestrahlten Radioprogramme Ö 1 und Ö 3 senden 1995 im Untersuchungszeitraum von 184 Tagen 1.049 Beiträge, d.h. im Durchschnitt 5,0 Beiträge pro Tag in Ö 1 und 0,7 Beiträge pro Tag in Ö 3. Abzüglich des 29%igen Wiederholungsanteils ergibt sich ein Gesamtdurchschnittswert von 4,22 erstmalig ausgestrahlten Wissenschaftbeiträgen pro Tag.“134 130 Ebenda, S. 218f. Geretschlaeger, Erich, Wissenschaft(sberichterstattung) – nein danke!: Wissenschaft in den Medien und in der Öffentlichkeit, in: Relation: Medien-Gesellschaft-Geschichte, Nr. 2, 1997, S. 75. 132 Ebenda, S. 76. 133 Ebenda, S. 78. 134 Ebenda, S. 78f. 131 37 Auch in Österreich dominiert der Medizinjournalismus, wie Geretschlaeger diagnostizieren konnte: „Insgesamt wurden im Untersuchungszeitraum 1995 18.290 Wissenschaftsbeiträge registriert. Davon waren 7.129 (d.h. im Durchschnitt 39,3 %) aus dem medizinischen Bereich (ärztliche Versorgung, Vorbeugung etc.“135 Ein weiterer Schwerpunkt, der von Geretschlaeger durchgeführten Untersuchung war das Rezipienteninteresse. Bei der Befragung, wie stark die Österreicher an Wissenschaft und Forschung interessiert sind, ergab sich, daß 23 Prozent sich durchaus sehr für diesen Themenbereich. Dagegen fanden 40 Prozent kein oder kein besonderes Interesse an Wissenschaft und Forschung.136 Die Teilnehmer wurden auch nach den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen befragt. Hier konnte Geretschlaeger feststellen, daß die Medien vorrangig über Medizin berichten sollten. Somit erlangt der Medizinjournalismus auch in Österreich einen hohen Stellenwert. Doch scheinen dort die Schwerpunkte emotionaler und sensationslüsterner gelagert zu sein, wie Geretschlaeger abschließend feststellt: „Klar dagegen ist die Rolle der Medien: Themen wie Klonen, Genetik oder BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie), die aufgrund ihres emotionalen Gehalts zu den Top-Stories aufrücken, zeigen offen die Schwachstellen des österreichischen Wissenschaftsjournalismus.“137 Auch 1997 erschien in Deutschland von Ulf Boes ein weiterer inhaltsanalytischer Vergleich. Unter demTitel „Medizin als Bildthema in Publikumszeitschriften“ befaßt sich der Autor mit der Illustration aus der Gesundheitskommunikation und untersucht die Publikumszeitschriften „Quick“, „Stern“ und „Hörzu“. Diese Arbeit spricht eine schwieriges Thema an: Die Illustration medizinischer Themen in den Medien. Insofern stellt der Autor einige interessante Thesen zur Diskussion. Zunächst erkennt er: „Die Illustration von medizinischen Aussagen gewinnt an Berichterstattungsadäquanz durch mehr ausgebildete Bildproduzenten: Sie sichern zuerst einen höheren fachlichen Aussagewert. Dazu verleiht ihre Urhebernennung diesem Aussagewert noch eine größere Autorität und erreicht so insgesamt eine intensivere Aussagewirkung.“138 Einerseits ist Boes zuzustimmen, wenn er fachlich qualitative Bildproduzenten (Fotographen und Graphikdesigner) fordert. Auch bei der Produktion der Zeitschrift „Autoimmun“ konnte festgestellt werden, daß die Aussagekraft medizinischer 135 Ebenda, S. 81. Ebenda, S. 84. 137 Ebenda, S. 91. 138 Boes, Ulf, Medizin als Bildthema in Publikumszeitschriften – Inhaltsanalytischer Vergleich von „Quick“, „Stern“ und „Hörzu“, Bochum 1997, S. 247. 136 38 Themen durch qualitative Illustration gesteigert werden konnte.139 Jedoch ist nicht jede Form der Illustration geeignet, die textliche Aussage zu erhöhen. Oftmals kann auch der gegenteilige Effekt erreicht werden. Hierzu kann Boes keine empirischen Rezipientendaten präsentieren. Ob nun die Nennung eines Urhebers signifikant eine „intensivere Aussagewirkung“ ermöglicht, kann bezweifelt werden. Vielmehr besitzt die Nennung des Urhebers einen juristischen Grund (Bildquelle) und wird wegen ihrer kleinen Schrift auch kaum vom Rezipienten wahrgenommen. Allenfalls andere Bildproduzenten achten auf Urhebernennungen. Boes stellt ferner zur Diskussion, ob stärker medizinbezogene Motive die Wirkung gewinnen lassen, weil: „Die Fachkompetenz des Lesers erlaubt auch einen höheren sachlichen Bezug, beispielsweise durch mehr erläuternde Objektdarstellungen. Dazu erlaubt die immer stärker das Extrem suchende Medienberichterstattung – dies ist damit ein positiver Nebeneffekt – eine Mehrzahl eindrucksvoller medizinischer Anomalien. Die ‚Standfestigkeit‘ des Lesers kann also auch positiv, beispielsweise zur präventiven Abschreckung genutzt werden“.140 Auch hier ist Boes einerseits zuzustimmen und andererseits scheint seine These nicht zu funktionieren. Eine höhere fachliche Kompetenz des Leser läßt sich ohne Zeifel durch „erläuternde Objektdarstellungen“ erreichen. Es ist oftmals leichter, einen Vorgang im menschlichen Körper zu verstehen, wenn eine graphische Illustration vorliegt. Auch lassen sich bestimmte Krankheitssymptome besser erfassen, wenn das entsprechende Fotomaterial diese zeigt. Dann ist es dem Rezipienten möglich, diese besser zu erkennen und zu verstehen. Jedoch kann eine „präventive Abschreckung“, die die „Standfestigkeit“ des Lesers prüfen soll, keinen pädagogischen Effekt erzielen. Auch nicht durch Darstellung von medizinischen „Anomalien“, die allenfalls in das Horror-Genere gehören. Wie bereits aus der Kriminologie bestens bekannt ist, bewirkt eine präventive Abschreckung durch Strafe keinen Rückgang der Kriminalität. Oder wird die Anzahl der Raucher durch die Darstellung einer geöffneten und vollkommen verteerten Lunge verringert? Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Arbeit von Boes zu einem bisher wenig behandelten Gebiet der Medizinjournalismus-Forschung gehört. Der bildlichen Darstellung von medizinischen Themen wird zunehmend – gerade im Zeitalter des Internets – eine erhöhte Bedeutung zukommen. Die wesentlichen Medienuntersuchungen zu medizinischen Inhalten Jahr 1972 1976 1978 1980 1981 139 140 Autor Kärtner, Georg Soritsch, Alois Merscheim, Horst König, Sieghard Nauels, Ingeborg Untersuchtes Medium „Der Spiegel“ und andere Massenmedien „Neue Kronenzeitung“ und „Kurier“ „Bunte“, „Neue Revue“, „Quick“ und „Stern“ „Time“ „Der Spiegel“ Siehe hierzu auch Kapitel 5.1. der vorliegenden Arbeit. Ebenda, S. 248. 39 1984 1987 1988 1990 1991 1991 1997 1997 2000 1.7 Merscheim, Horst Fernsehsendungen: „ARD-Ratgeber: Gesundheit“, „Gesundheitsmagazin Praxis“ und „Medizin im Dritten“ Haller, Michael „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, Süddeutsche Zeitung“ und „Neue Zürcher Zeitung“ Muthny, Fritz A. „Der Spiegel“, „Stern“, „Quick“ und Bechtel, Michael „Neue Welt“ Wende, Detlev „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „BildZeitung“ Pietzsch, Joachim „Der Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Bild-Zeitung“ Boes, Ulf „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Welt“ Geretschlaeger, Erich Alle österreichischen Tageszeitungen, zwei Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazine, drei Illustrierte, 12 Gratiszeitungen sowie zwei Hörfunk- und Fernsehprogramme Boes, Ulf „Quick“, „Stern“ und „Hörzu“ Jazbinse, Dietmar (Hrsg.) Arztserie, Talkshows und erscheint voraussichtlich Gesundheitsmagazine im April 2000 Perspektiven der Inhaltsanalysen von medizinisch ausgerichteten Massenmedien (Internet) Bearbeiter: Christa Alheit Voraussichtlich im April 2000 wird Dietmar Jazbinsek das Buch „Gesundheitskommunikation“ herausgeben.141 Der Autor wird als Schwerpunkt Inhaltsanalysen zu Arztserien, Talkshows und Gesundheitsmagazinen vorstellen. Dabei untersucht der Gesundheitswissenschaftler, welchen Beitrag die bundesdeutschen Medien zur Gesundheitsförderung leisten. Insgesamt stellt sich die Frage nach Perspektiven und Inhalten weiterer Produktanalysen deutscher Massenmedien mit medizinischen Inhalten. Laufen derzeit Untersuchungen oder befinden sich welche Planung? Um den aktuellen Forschungsstand und geplante Projekte zu ermitteln, wurden von den Autoren der vorliegenden Arbeit die tatkräftigsten Wissenschaftler im Bereich Medizinjournalismus befragt. Die Robert Bosch Stiftung veranstaltete und finanzierte in den letzten zwei Jahrzehnten vier Forschungscolloquien zum Thema Wissenschaftsjournalismus. Dabei spielte der Medizinjournalismus stets eine tragende Rolle. Weitere Projekte werden nicht veranstaltet, da der gesamte Schwerpunkt 141 Laut Verlagsinformation: Jazbinsek, Dietmar (Hrsg.), Gesundheitskommunikation, Wiesbaden 2000. 40 „Wissenschaftsjournalismus“ 1992 an Winfried Göpfert abgegeben wurde.142 Dieser wird voraussichtlich im April 2000 das Projekt „Medienrezeption und Selbstmanagement bei chronischer Krankheit“ abschließen und veröffentlichten.143 Die in Bochum erscheinende Reihe „Medizinpublizistische Arbeiten“ wurde lange Jahre unter anderem von Heinz-Dietrich Fischer und Rainer Flöhl herausgegeben. Flöhl von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Ressort Natur und Wissenschaft) ließ auf Anfrage mitteilen, „daß zum Thema ‚Medizinjournalismus von Herrn Dr. Flöhl in der nächsten Zeit keine Veröffentlichungen geplant sind“.144 Heinz-Dietrich Fischer von der Ruhr-Universität Bochum teilte mit, daß er hauptsächlich Betreuungen von „Promotionsarbeiten zum Dr. med oder Dr. phil.“145 vornimmt. In der Reihe der „Medizinpublizistischen Arbeiten“ befindet sich eine Veröffentlichung von Katja Helena Baumgarten in Vorbereitung. Der Arbeitstitel lautet: „Zur Darstellung der Herzchirurgie im Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ während drei Jahrzehnten“. Ferner befindet sich der Band von Justus de Zeeuw mit dem Arbeitstitel „Pneumologie im Internet“ in Vorbereitung. Abgeschlossen wurde 1999 die medizinische Dissertation „Zur Rezeption der ‚Medizin-Seite‘ des ‚Hamburger Abendblattes‘ – Eine empirische Untersuchung zur Bedeutung der Medizinpublizistik einer Tageszeitung in der Selbsteinschätzung ihrer Leserschaft“ von Michaela Barlach. Walter Hömberg von der Katholischen Universität Eichstätt teilte mit, daß er gegenwärtig nicht an Projekten zum Medizinjournalismus arbeite.146 Er betreue eine Diplomarbeit von Anita Haas mit dem Titel „Zwischen Diabetes mellitus und Bizepscurl: Die gesundheitsorientierten Publikumszeitschriften in Deutschland – Intentionen - Inhalte –Vermittlungsstrategien“. Bei Betrachtung des Internets und dessen zahllosen medizinjournalistischen Inhalten scheint die Medizinjournalismus-Forschung noch unterrepräsentiert zu sein. Ohne Zweifel wird sich das Internet als eigenständiges Massenmedium in den nächsten Jahren sprunghaft entwickeln.147 Hierbei werden auch die medizinischen Informationsangebote für chronisch Kranke weiter zunehmen. Eine Inhaltsanalyse dieser Angebote stößt auf mehrere Schwierigkeiten. Das mediale Produkt ist schwer zu fassen, weil sogenannte „Links“ und „Frames“ sowie unterschiedliche Transferprotokolle die Seiten unübersichtlich machen. Zudem verwendet dieses Medium eine Kombination verschiedener Darstellungsmöglichkeiten. Text, Audio und Video können hintereinander oder parallel eingesetzt werden. Damit können die Bedürfnisse der Patienten nach Aktualität und Schnelligkeit erfüllt werden.148 142 E-mail an die Autoren vom 19 .1. 2000. Schreiben an die Autoren von Dietmar Jazbinsek (Berliner Zentrum Public Health) vom 19. 1. 2000. 144 Schreiben an die Autoren vom 28. 1. 2000. 145 Schreiben an die Autoren vom 19. 1. 2000. 146 Schreiben an die Autoren vom 14. 1. 2000. 147 So auch: Ewald, Karl / Gscheidle, Christoph / Schröter, Christian, Professionalisierung und Spezialisierung im Onlinemedium, in: Media Perspektiven, Nr. 10, 1998, S. 508. 148 Jörg Nitzsche hält das Internet in Zukunft im Bereich Gesundheitswesen für unverzichtbar: Medizinimmanente und 143 41 Allerdings müssen die Methoden der Inhaltsanalyse von Printmedien modifiziert werden. Alleine eine Stichprobe wäre bei dem kaum überschaubaren Angebot von Internetseiten schwer zu ermitteln. Die Probleme stellt Patrick Rössler dar149 und entwickelt ein mögliches Lösungskonzept. Insgesamt besteht ein erhöhter Forschungsbedarf bei Inhaltsanalysen von medizinpublizistischen Produkten im Internet. 1.8 Zusammenfassung des theoretischen Teils Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Mit der vorliegenden Arbeit wird das Ziel verfolgt, ein weiteres publizistisches Kriterium zu entwickeln. Da dieses Kriterium ausschließlich der Medizinpublizistik zugeordnet werden soll, wurde eine Standortbestimmung der zugrundeliegenden Fallstudie durchgeführt. Diese ergab, daß es offen bleiben kann, ob die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit der Medizinpublizistik oder dem Medizinjournalismus zuzuordnen sind. In jedem Fall sind die vorgestellten allgemeinen publizistischen Kriterien durch die Zugehörigkeit zum Wissenschaftsjournalismus anwendbar. Ferner wurde das Verhältnis zwischen Medizin und Medien anhand der Literatur untersucht. Hier ergab sich, daß trotz einiger Entspannungsversuche noch Vorbehalte beider Seiten bestehen. In einem weiteren Schritt konnten die verschiedenen Positionen zur Rolle und Funktion des Medizinjournalismus aufgezeigt werden. Die Aufgaben des Medizinjournalisten greifen weiter als lediglich die eines Gesundheitsaufklärers. Eng mit dieser Frage verbunden war die Präsentation der verschiedenen Auffassungen zu der Frage, ob sich der Medizinjournalist Kritik an der Wissenschaft erlauben darf. Im Ergebnis sollte er sogar die Pflicht zur kritischen Betrachtung haben. Zudem wurden die verschiedenen wissenschaftlichen Anstrengungen zur Ermittlung von Qualitätsmerkmalen für die medizinjournalistische Berichterstattung diskutiert. Dieser Aspekt bleibt nach Auffassung der Autoren ein theoretisches Problem, weil sich letztlich das Produkt an der journalistisch vorgelagerten Sorgfaltspflicht zu messen hat. Und diese läßt sich wegen zu vieler subjektiver Einflüsse schwer ermitteln. medizintranszendente Determinanten des Informationsbedarfs in der Medizin und im Gesundheitswesen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft: Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen, Organ des Vereins Deutscher Bibliothekare an Wissenschaftlichen Bibliotheken, Heft 73, 1998, S. 72. 149 Rössler, Patrick, Standadtisierte Inhaltsanalysen World Wide Web – Überlegungen zur Anwendung der Methode am Beispiel einer Studie zu Online-Shopping-Angeboten, in: Beck, Klaus / Vowe, Gerhard (Hrsg.), Computernetze – ein Medium öffentlicher Kommunikation?, Berlin 1997, S. 250. 42 Ein kurzer Überblick skizzierte die wesentlichen Etappen der Geschichte des Medizinjournalismus und stieß dabei auf das noch nicht untersuchte Problem der personellen Kontinuität, das sich aus dem Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit fortsetzte. Hier stellt sich die Frage, ob Forscher, die den Medizinjournalismus maßgeblich mitgeprägt, sich aber und während des Nationalsozialismus als Antisemiten erwiesen haben und somit ein System, das einen Krankenmord durchführte, geistig unterstützt haben, die Kompetenz besitzen, medizinjournalistische Wissenschaft zu lehren. Schließlich wurden Untersuchungen zur Bedarfsermittlung von medizinpublizistischen Produkten erörtert und die wesentlichen Inhaltsanalysen und deren Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Hierbei wurde festgestellt, daß der Blick auf die Rezipienten kaum sensibel ausgerichet, sondern kommunikatoren- oder quotenorientiert ist. In Verbindung damit wurde nach weiteren Untersuchungen und den Perspektiven der Medizinpublizistik gefragt und auf das Internet als Gegenstand zukünftiger Analysen hingewiesen. 43 2 Der Ausgangspunkt der Fallstudie Bearbeiter: Michael Tycher „Im Gefühl aller Multiple Sklerose-Kranken wird das Leid verschärft durch die therapeutische Hoffnungslosigkeit und die scheinbare Passivität der medizinischen Forschung auf diesem Gebiet. Seit etlichen Jahren gibt es zwar die Möglichkeit, die Multiple Sklerose sicher zu diagnostizieren und ihren Verlauf genau zu verfolgen, in diesen Jahren sind aber fast keine aussichtsreichen, neuen Behandlungsmöglichkeiten erprobt worden. Der subjektiven Beurteilung des MS-Kranken muß es erscheinen, als sei er von der Medizin und allen Forschern als unheilbar krank aufgegeben worden.“ 150 Diese Wort stammen von einem, der es wissen muß: Prof. Dr. med. Niels Franke, er leidet selbst unter dieser Krankheit. Der Narkosearzt und MSForscher sorgte von 1991 bis 1997 für Turbulenzen in der Szene bei Patienten und in Fachkreisen. Er erregte Aufsehen durch einen Selbstversuch, mit dem er einen Medikamententest erwirkte. In zahlreichen Fernseh-, Radiobeiträgen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln konnte er seine „Sache“ verbreiten. 1994 erfuhren Leser auf der Titelseite der „Bild-Zeitung“: „Unser mutigster Arzt - Selbstversuch mit gefährlichen Bazillen“. Auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ließ es sich nicht nehmen, eine siebenseitige Reportage über Franke zu veröffentlichen. Darin bekannte sich Spiegel-Redakteur Wolfram Bickerich zu seiner MS-Krankheit und der neuen Therapie von Franke.151 Zudem wurde die Fachpresse, Pharmaindustrie, Bundesministerium für Gesundheit und Selbsthilfegruppen auf seine Behandlungsmethode aufmerksam.152 150 Franke, Niels, Multiple Sklerose, Sternberg-Percha 1992, 2. Auflage, Klappentext. 151 Für die Medienkampagne über Franke sollen folgende Nachweise repräsentativ genannt werden: Bild, 5. Juli 1994, S. 1, „Unser mutigster Arzt“; Der Spiegel, Nr. 13, 23. März 1992, S. 248-249, „Ungewisser Sieg“; Der Spiegel, Nr. 14, 5. April 1993, Editorial und S. 268-274, „Die Angst vor dem Morgen“; Neue Revue, Nr. 45, 31. Oktober 1991, S. 64-65, „Selbstversuch: Gelähmter Arzt kann wieder laufen!“; Frau mit Herz, Nr. 38, 9. September 1997, S. 48-49, „Neue Hoffnung für MS-Kranke“; Quick, Nr. 28, 2. Juli 1992, S. 20-22, „Multiple Sklerose ist heilbar“. Darüberhinaus wurden in zahlreichen TV-Sendungen (ARD, RTL, ntv, Sat 1, ZDF, Pro7, und in den dritten Programmen der ARD) und Radio-Sendungen (Deutschlandfunk, RIAS Berlin, Antenne Bayern und Bayerischer Rundfunk) Beiträge über Frankes Methode gesendet. 152 Für die Fachpresse soll diese Auswahl gelten: Ärzte Zeitung, Nr. 121, 3. Juli 1992, S. 1 und 12-13, „Münchner Arzt glaubt: Antitumor-Mittel hilft gegen Multiple Sklerose“; Ärztliche Praxis, Nr. 50, 22. Juni 1993, S. 17-19, „Deutliche Besserung bei 18 von 25 Patienten“. In den Publikationen der Selbsthilfegruppen waren Frankes Aktivitäten ein andauerndes zentrales Thema. Über die Einbeziehung und Mitwirkung der Pharmaindustrie und des Bundesministeriums für 44 Ausgangspunkt für Frankes Medienprominenz war sein Buch „Geschenktes Leben“153, in dem er seinen eigenen Krankheitsverlauf in persönlicher Art und Weise schildert. Doch in einem unterschied sich das Buch von anderen biographischen Abhandlungen unheilbar kranker Autoren: Franke behauptete, ein bislang wenig bekanntes Medikament entdeckt zu haben, das seine Krankheit zum Stillstand gebracht hätte. Damit bewegte er sich noch innerhalb der schulmedizinischen Grenzen und brauchte nicht unbeweisbare und zweifelhafte Behandlungmethoden zu bemühen. Sehr förderlich war hierbei sein Arzt-Status, der ihm die erforderliche Seriosität verlieh. Immer wieder hob der Arzt Franke in der Öffentlichkeit die aggressivste Verlaufsform der Krankheit Multiple Sklerose hervor.154 Dieses Verhalten hatte in Fachkreisen Kritik zur Folge und führte zu Fragen der Medienvertreter. Die starke Medienpräsenz Frankes bewirkte, daß sich eine große Zahl von Privatpatienten um eine Therapie bei ihm bemühten. Recht schnell waren seine Kapazitäten erschöpft und eine Vergrößerung des medizinischen Apparates wurde nötig. Dieser wurde durch die laufenden Einnahmen aus den Privatbehandlungen finanziert. Doch diese Einnahmequelle konnte nur funktionieren, wenn eine weitere Präsenz in den Medien gewährleistet war. Hierzu wurden Kontakte zu den Medienvertretern gepflegt, regelmäßig Pressekonferenzen veranstaltet und eine dritte Auflage des Buchs veröffentlicht.155 Obwohl sich alle drei Auflagen des Buches ähnelten, fanden sie jeweils starke Beachtung in den Medien, welche fortlaufend Frankes Geschichte aufgriffen. Um die Dauerpräsenz in den Medien zu unterstützen, wurde Franke selbst Verleger und gab von 1993 bis 1997 die Zeitschrift „Autoimmun“ heraus. Das vorgegebene Ziel dieser Publikation bestand in der Veröffentlichung von Informationen zu Autoimmunkrankheiten, insbesondere der Multiplen Sklerose. Letztlich ergänzte sich diese Vorgabe mit den eigentlichen Interessen des Verlegers. Diese bestanden primär in der Information und Betreuung aktueller und in der Rekrutierung neuer Privatpatienten. Die vorliegende Fallstudie soll das Spannungsfeld zwischen Patientenbetreuung und –rekrutierung unter Einbeziehung der Medien sowie die Darstellung sachlicher Information durch die Zeitschrift „Autoimmun“ schildern. Ferner soll ein weiteres Kriterium für die Herstellung von Zeitschriften für chronisch kranke Menschen entwickelt werden.Von der ersten Konzeption bis zur Einstellung des Blattes konnten zahlreiche Materialien gesammelt und ausgewertet werden. Als Quellen dienen sämtliche Ausgaben Gesundheit liegen den Autoren zahlreiche Dokumente und Briefwechsel vor. 153 Franke, Niels, Geschenktes Leben, München 1991, 1. Auflage. 154 Von fachärztlicher Seite wird häufig betont, daß die MS größtenteils milde verläuft. Schwerwiegende Fälle seien mit 10 Prozent eher selten. So auch: Wagener-Thiele, Christine, MSTherapien, Düsseldorf 1995, S. 26-31. 155 Franke, Niels, Hoffnung für Millionen, München 1996 , 3. Auflage. 45 der „Autoimmun“, redaktionelle Aufzeichnungen und Dokumente sowie ein Verständlichkeitstest, der mit den Lesern durchgeführt wurde. Um sich ein besseres Bild von den Lesern zu verschaffen, wurde mit den Erkrankten eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt. Hierbei sollten Einblicke in die Lebenssituation der Betroffenen gewonnen werden. Auch die Nutzung der Medien chronisch erkrankter Menschen wurde analysiert. Mit dem Erscheinen der Zeitschrift „Autoimmun“ waren Entwicklung und der Erfolg der Franke-Therapie eng verbunden. Hierbei beeinflußte die Zulassungsversagung der von Franke angewendeten Arznei den Fortbestand des Blattes. In diesem Zusammenhang liegen Auswertungen über die subjektive Einschätzung der Wirksamkeit des Medikamentes bei Patienten vor. Das Ergebnis dieser Untersuchung beeinflußte ebenfalls die Entwicklung der „Autoimmun“. 46 3 Eine Zeitschrift wird geplant Bearbeiter: Christa Alheit Der Auftrag zur Konzeption einer Patienteninformationsschrift wurde 1993 von Franke erteilt. Im Vordergrund stand die Verbreitung von Informationen über die Franke-Therapie in der Öffentlichkeit. Doch das Ergebnis der theoretischen Vorüberlegungen und einiger Testgespräche mit Patienten zeigte bei der Zielgruppe ein erkennbares Informationsdefizit über sogenannte Autoimmunkrankheiten. Viele Patienten besitzen kaum oder nur wenig Kenntnisse über ihre Krankheit, mögliche Therapien und neue Forschungsansätze. Da viele Autoimmunkrankheiten zu den „unheilbaren Krankheiten“ zählen, haben die meisten Betroffenen auch den Wunsch nach neuesten Informationen. Ferner wurde festgestellt, daß sehr viele Befragte die fehlende interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen medizinischen Fachgebiete kritisierten. Darin sah Franke wiederum die Möglichkeit, seine Behandlungsmethode auch bei anderen Krankheiten zu testen. Somit umfaßte das Konzept der „Autoimmun“ nicht nur den Schwerpunktbereich Multiple Sklerose. Patienten mit unheilbaren Krankheiten zählten zu den häufigsten Gästen bei Franke. In der Frühphase der Franke-Therapie, die mit vielen Auftritten in den Medien begleitet wurde, sammelten sich viele Patienten und Neugierige um den Münchner Narkosearzt. Das Interesse an Informationen über diese Therapie war sehr groß. Diese Tatsache wurde dadurch belegt, daß der von Franke 1993 gegründete Verein „Internationale Gesellschaft zur Erforschung und Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten e.V.“, der die Öffentlichkeit über neue Therapieformen informieren wollte, innerhalb von wenigen Monaten über 1.000 Mitglieder gewann. Viele waren bereits in anderen Selbsthilfegruppen organisiert und wollten zusätzliche Informationen erhalten. Im Zuge der Betreuung der neuen Vereinsmitglieder erschien eine erste Informationsschrift. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine eigenständige wirtschaftliche Einheit, ein Verlag, der gegen Entgelt die Zeitschrift „Autoimmun News“, ab Oktober 1994 „Autoimmun“ zweimonatlich publizierte. Alleiniger Eigentümer des Verlags war Franke. Als verlegerischer und journalistischer Laie beauftragte er die Autoren der vorliegenden Arbeit mit der Verlagsgründung und der regelmäßigen Herausgabe der Zeitschrift. Der Sitz des Verlags war zunächst München, später Berlin. Der Verlag und die Zeitschrift erfüllten alle Voraussetzungen für den gewerbsmäßigen Handel mit Publikationen. Somit konnte für den Verleger eine Synergie erreicht werden, die die Verbreitung von Kenntnissen über die Franke-Therapie in der Öffentlichkeit unterstützte, aber auch vielen Patienten weitere nützliche Informationen aus dem Gesundheitswesen anbot. Neben der regelmäßigen Herausgabe der Zeitschrift „Autoimmun“ wurde die Redaktion mit der kompletten Abwicklung einer Buchveröffentlichung 47 beauftragt. Hierzu konnte der amerikanische Schönheitschirurg Dr. Henry Jenny gewonnen werden. Die deutsche Übersetzung seines bereits in den USA erschienenen Buchs „Silicone-Gate“, das sich mit dem Skandal um die Brustimplantate befaßte, konnte dem deutschen Lesepublikum unter dem Titel „Risikofaktor Silikon“ angeboten werden.156 Die hierfür erforderlichen Vertragsverhandlungen, Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche, Schlußredaktion und Vertrieb wurden durch die Redaktion und freie Mitarbeiter wahrgenommen. Ferner oblag der Redaktion die Bekanntmachung, Werbung und Präsentation in der Presse. Die Thematik Jennys fügte sich in das verlegerische Konzept, da viele Patienten nach einer Brustimplantation mit Silikon unter Autoimmunkrankheiten litten.157 Somit konnte der Rekrutierungsbereich für therapeutische Maßnahmen auf diese Patienten ausgedehnt werden. Zudem entsprach auch Jenny, der sich als Einzelkämpfer gegen die gesamte amerikanische Silikonimplantat-Lobby auflehnte, voll den Imagevorstellungen Frankes. Dieser sah sich in einer Opferrolle, denn die Kritik an seiner Methode aus Kreisen der Neurologie war nicht zu überhören.158 Schließlich verfolgte Franke mit dieser erweiterten Verlagsaktivität das Ziel, zusätzliche Aufmerksamkeit der Medien zu erhalten, die er zur Patientengewinnung brauchte. Gemäß den theoretischen Vorüberlegungen richtete sich das Verlagsprogramm an Multiple Sklerose-Patienten, deren Angehörige und weitere Interessenten unter dem Laienpublikum, aber auch unter den praktizierenden Ärzten. Schon bald wurde das Spektrum der Zeitschrift „Autoimmun“ auf Informationen über weitere Autoimmunkrankheiten ausgedehnt. Für das Konzept entwickelte die Redaktion eine Definition des Begriffs Autoimmunkrankheit, die sich eng an die der Schulmedizin anlehnte. Danach handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit, wenn der Körper des Menschen durch eine im Körper liegende Ursache selbst sich gegen sich richtet. Ist, wie bei vielen Krankheiten die Ursache noch nicht geklärt, aber eine Selbstzerstörung des Körpers klinisch erkennbar, so liegt ein Autoimmunkrankheit im weiten Sinne vor. Alleine in Deutschland leiden schätzungsweise rund vier Millionen Menschen unter Krankheiten wie Rheuma, Allergien, Diabetes, Neurodermitis, Lupus erythematodes und viele mehr.159 Unter Autoimmunkrankheiten sind weitaus mehr Frauen als Männer betroffen.160 156 Der Titel der Originalfassung lautet: Jenny, Henry, SiliconGate, Siloam Springs, 1994. Die deutsche Übersetzung: Jenny, Henry, Risikofaktor Silikon, Berlin 1995. 157 Vergleiche hierzu: Autoimmun, Dezember / Januar 1994 / 1995, Nr. 6, S. 6-8. 158 An vorderster Front stand der Ärztliche Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft. In ihrer eigenen Publikation „Aktiv“ wurde häufig vor der Franke-Therapie gewarnt. 159 Zur Neurodermitis ein Überblick: Christa Alheit und Michael Tycher, Das Beste - Reader’s Digest, Juni 1997, Nr. 6, S. 19-20; Autoimmun, Februar/März 1995, Nr. 1, S. 12-13. 48 Die Erreichbarkeit der Zielgruppe – Autoimmunkranke – erwies sich als schwierig. Viele Patienten befinden sich bereits in Selbsthilfegruppen. Alleine in der Deutschen-Rheuma-Liga sind rund 180.000 Menschen organisiert. Der Datenschutz verhindert einen direkten Zugang zu den Patienten über Selbsthilfegruppen und Krankenkassen. Zudem ist der Gesundheitszustand der Zielgruppe nicht permanent stabil. Die Krankheiten verlaufen teilweise schubförmig oder chronisch-progredient, so daß mit schneller Verschlechterung des Zustandes gerechnet werden muß. Obwohl viele Patienten sich durch die jeweiligen Selbsthilfegruppen mehr oder weniger informiert fühlen, besteht ein ständiger Informationsbedarf. Die Medien der Laienpresse sind selten in der Lage, diesem Bedarf kompetent nachzukommen. Vielmehr wird quotengerecht Hoffnung erzeugt, inhaltlich stoßen diese Meldungen und Beiträge aber auf Kritik der Ärzteschaft. Autoimmunkranke Patienten sind aufgrund ihrer nicht selten schnell fortschreitenden Krankheit bereit, Geld für Informationen und private Therapien zu bezahlen. Ärzte und Heilpraktiker schieden als Zielgruppe frühzeitig aus. Ein umfangreicher Test an 10.000 Medizinern der Neurologie und Inneren Medizin, den der Verlag im Zeitraum August bis September 1994 mit einem „Autoimmun“-Angebot durchgeführt hat, ergab bei den Ärzten wenig Resonanz. Den Medizinern wurde ein Abonnement angeboten, das bei Zustandekommen des Vertrages fünf Gratisexemplare für das Wartezimmer vorsah. Die Zahl der erlangten Abonnements durch diesen Test belief sich auf nur 35 Exemplare.161 Somit wurde die Konzeptionsphase mit der Erkenntnis abgeschlossen, daß die einzigen Leser chronisch kranke Menschen und ihre Familien sind. Zu Rheuma vgl. Christa Alheit und Michael Tycher, Das Beste Reader’s Digest, Juni 1998, Nr. 6, S. 30-31; Autoimmun, September/Oktober 1993, Nr. 2, S. 8-9. 160 Vergleiche auch: Fördergesellschaft zur Behandlung von Autoimmun-Erkrankungen e.V., Söhren 24, 24332 Schönkirchen/Kiel. (Internet: http://www.autoimmun.org) 161 Ärzte begreifen sogenannte „Hauszeitschriften“ auch als Bedrohung, weil sie die Orientierung verlieren könnten, so auch: Buchner, Dietrich; Hauszeitschriften für Ärzte - Eine werbesoziologische Untersuchung zur Kommunikation zwischen Industrie und Medizin, Stuttgart, 1968, S. 278. 49 4 4.1 Die Rezipienten Eine Untersuchung am „Patienten“ wird durchgeführt Bearbeiter: Michael Tycher Kein Geheimnis ist die Erkenntnis, daß der wirtschaftliche Erfolg eines medialen Produkts von verschiedenen Faktoren abhängt. Ein Faktor ist die Zielgruppe, also Leser, Hörer oder Zuschauer. Private Medienunternehmen, Verlage und Sender ringen hierbei um eine zahlungskräftige und quantitativ große Konsumentengruppe, die für den Verkauf von Werbung und zur Steigerung von Quote und Auflage geeignet ist. Um diesen Rezipienten jeden Wunsch und jedes mediale Bedürfnis von den Lippen ablesen zu können, werden Untersuchungen und Befragungen durchgeführt. Wer sich im Special-Interest-Bereich aufhält, es also mit Konsumenten ganz bestimmter Disziplinen, Fachgebiete und Hobbys zu tun hat, spürt nicht nur einen beschränkten und hart umkämpften Werbeverkauf, sondern ist genötigt, die Qualität seines Produkts auf einem soliden Niveau zu halten. Der permanente Kontakt zum Käufer ist dabei ein unabdingbares Erfordernis. Im Idealfall kennt der Verleger die Lebensumstände, Wünsche und intellektuellen Fähigkeiten seiner Leser und kann sein Produkt darauf zuschneiden. Das Erfordernis, den Konsumenten medialer Produkte möglichst exakt auszuspähen, scheint um so stärker zu sein, je mehr sich das Medium an einer Zielgruppe orientieren soll. Unterstellt man nun, daß unheilbar chronisch kranke Menschen Konsumenten eines medialen Special-Interest-Produkts sind, dann gilt, wie eben festgestellt, auch hier der Grundsatz, Lebensumstände, Wünsche und intellektuelle Fähigkeiten in Erfahrung zu bringen. Für die Veröffentlichung der „Autoimmun“ stellten sich in diesem Zusammenhang eine Reihe von konkreten Fragen.162 Vordringlich war es, die konkrete Lebenssituation der Leser in Erfahrung zu bringen. Denn nur mit diesen Ergebnissen konnte das Blatt spezielle, auf die Bedürfnisse der Leser zugeschnittene, Informationen in allen Rubriken veröffentlichen. Eine weitere Frage stellte sich zu den intellektuellen Fähigkeiten der Leser. Die Erfüllung der Vorgabe, den Leser in einer verständlichen Sprache zu informieren, setzt gerade bei medizinischen Texten eine besondere Kenntnis der Leser voraus. Im folgenden werden nun Ergebnisse einer Fallstudie mit insgesamt 104 „Autoimmun“ Lesern und Patienten vorgestellt. Die gesamte 162 Nicht alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit Patienten als Konsumenten medialer Produkte stellen, werden in dieser Arbeit behandelt. Offen bleibt zum Beispiel die Untersuchung der Fragen: Welchen Einfluß hatte eine positive Berichterstattung über Frankes Behandlungsmethode auf das Leserverhalten oder gar auf das persönliche Wohlbefinden? Wann war es für die Leser erkennbar, daß auch PR-gesteuerte Artikel als redaktionelle Beiträge veröffentlicht wurden? 50 Untersuchungsgruppe (UG 104) rekrutierte sich aus einem Teil der erkrankten „Autoimmun“-Leser und aus mehreren Patienten, die sich einer Einzelfallbehandlung mit einem in Deutschland nicht zugelassenen Medikament bei Franke unterzogen haben. In den Jahren 1993 und 1994 konnten diese Patienten befragt werden. In den Jahren 1995 bis 1997 standen sie für weitere Befragungen zur Verfügung. Die Anzahl der Teilnehmer der Einzelfallbehandlung belief sich auf 68 (UG 68), ist Teil der UG 104 und wurde zusätzlich befragt (Schaubild 1). An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß eine strenge Verschlüsselung der persönlichen Patientendaten vorgenommen wurde. Von allen 104 Teilnehmern wurden biographische und persönliche Daten erhoben. Ferner baten wir die Teilnehmer um eine Selbsteinschätzung ihrer Situation zu bestimmten Fragen. Schließlich wurde nach der medizinischen Versorgung und der medizinischen Berichterstattung in den Medien gefragt. Sämtliche Teilnehmer erhielten eine Kennziffer. Der Name des Befragten ist abgekürzt worden. Ferner wurde der Wohnort erfaßt, in der für die Auswertung vorliegenden Datei für Deutschland nur das jeweilige Bundesland. Bei Teilnehmern aus dem Ausland hielten wir das jeweilige Land fest. Weiter wurden Geschlecht und Alter zum Zeitpunkt der Datenerhebung festgehalten. Ferner fragten wir nach dem Schulabschluß, der Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe und der Verlaufsform (chronisch oder schubförmig) der betreffenden Krankheit. Zudem baten wir die Patienten mit zwei Fragen um eine Selbsteinschätzung ihrer persönlichen Situation. Zum einen wurde nach der Pflegebedürftigkeit gefragt. Hierbei verwendeten wir als Vorbild die personenzentrierte Likert- 51 Skala. Und zum anderen fragten wir nach einer Einschätzung der persönlichen Krankheitsschwere. Dazu wurde eine zehnstellige Skala entwickelt (Krankheitsschwere = KS-Wert), die von 1 (symptomfrei) bis 10 (schwerste Erkrankung) reichte. Die Abstufungen lehnen sich an den in der Neurologie verwendeten EDSS-Wert (expanded disability status scale) an, sind allerdings für die Untersuchungsfrage verständlicher formuliert worden. In einem weiteren Schritt untersuchten wir die medizinische Versorgung und fragten nach der medizinisch-medialen Berichterstattung. Schließlich wurde eine These zur Problematik von Privattherapien aufgestellt um deren Zustimmung oder Ablehnung gebeten wurde. Durch zahlreiche Gespräche, Interviews und Teilnahme an Gesprächsrunden konnten Aussagen zur Lebenssituation der Untersuchungsgruppe gesammelt werden. Im Vordergrund stand die Frage, wie das soziale Umfeld mit den kranken Teilnehmern umging. Die Auswertung und Interpretation der gesammelten Aussagen wird anhand typischer Fallbeispiele im folgenden dargestellt. Die Untersuchungssituation war schwierig. An eine kleine Testgruppe wurden Fragebögen verschickt. Die Angeschriebenen zeigten zwar Bereitschaft, die Bögen auszufüllen, jedoch machten körperliche Defizite (Spastik, Tremor und Ataxie in den Armen, Sehschwäche etc.) die schriftliche Ausführung teilweise unmöglich. Somit wurde eine kombinierte Umfrageform mittels Fragebögen und telefonischer Befragung gewählt. Zudem wäre eine reine Fragebogenaktion mit erheblichen Kosten verbunden gewesen. Bei einer Zufriedenheitsanalyse stationärer Patienten, die im Klinikum der Universität Regensburg – Abteilung Unfallchirurgie – durchgeführt wurde, zeigte sich, daß der Aufwand und das Potential einer Fragebogenaktion in der Unfallchirurgie mit „erheblichen Kosten“ verbunden war.163 Auch muß bei einer solchen Befragung auf die körperlichen Behinderungen Rücksicht genommen werden. Hannelore Döhner veröffentlichte 1982 eine Untersuchung unter dem Titel „Chronisch Kranke und behinderte Patienten einer chirurgischen Universitätsklinik“. Dabei zeigte sie, daß die Befragten diverse körperliche Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Fragen gehabt hätten. Somit wurden Maßnahmen ergriffen, die die Untersuchung doch noch ermöglichten. Hierzu zählte die Vergrößerung der Schrift, weil viele Patienten diese nicht hätten lesen können.164 Auch ein einseitiger Druck der Fragebögen wurde verwendet, damit für die Patienten die Überschaubarkeit der Papiere gewährleistet war. Döhner bemerkt auch hier, daß dies zu wesentlich höheren Kosten geführt hat.165 Im Ergebnis konnten die krankheitsbedingten und ökonomischen Hindernisse nicht aus dem Weg geräumt werden. Somit wurden die Daten im Rahmen einer kombinierten Befragung mittels Bogen und Interview erhoben. 163 Kretschmer, R., Schumann, A., Asbach, M., Nerlich, M., Zufriedenheitsanalyse stationärer Patienten: Aufwand und Potential einer Fragebogenerhebung in der Unfallchirurgie, in: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement, Heft 2, 1999, S. 31. 164 Döhner, Hannelore, Chronisch Kranke und behinderte Patienten einer chirurgischen Universiätsklinik, Hamburg, 1982, S. 130. 165 Ebenda. 52 4.2 Die Untersuchten: Zahlen und Fakten Bearbeiter: Christa Alheit „Warum machen Sie sich diese Mühe, wir Kranke sind doch nur eine gesellschaftliche Belastung und in Deutschland versteckt man sich besser als Behinderter!“ Diese niederschmetternde Selbsteinschätzung eines 57-jährigen Patienten macht nachdenklich. Der gelernte Schlosser ist nicht gerade ein typisches Beispiel der UG 104, aber eine depressive Grundstimmung der Befragten war durchgehend erkennbar. Wer sind also die Menschen, die sich dankenswerter Weise den Befragungen ausgesetzt haben? Wenn auch nicht jeder sofort bereit war, an dieser Untersuchung teilzunehmen, so war doch das Interesse an den Ergebnissen sehr stark. Das Ziel, eine Informationsschrift für autoimmunkranke Patienten „maßzuschneidern“, überzeugte doch recht viele Angesprochene. Um sich einen Überblick über die UG 104 zu verschaffen, wurde diese nach ihren diagnostizierten Krankheiten befragt. Durch die eigene Krankheit Multiple Sklerose des Verlegers Franke wundert es wenig, daß die überwiegende Mehrheit ebenfalls an dieser Krankheit litt (Schaubild 2). 53 Frauen leiden häufiger an MS als Männer. Diese Erkenntnis kommt aus der Schulmedizin.166 Auch bei den Teilnehmern der UG 104 dominierte der Anteil der Frauen. Mit 57,7 Prozent waren die betroffenen Frauen gegenüber 42,3 Prozent der Männer in der Mehrheit. Ob die weibliche Dominanz bei Autoimmunkrankheiten etwas mit einer genetischen Disposition zu tun hat oder ein anderer Grund dafür verantwortlich ist, konnte die Medizin bislang nicht klären. „Wer unter einer unheilbaren Krankheit leidet, zählt zum alten Eisen“, stellte eine 32-jährige Beamtin fest. Tatsächlich ergab eine Auswertung der 166 Adams, R. D., Victor, M., Principles of Neurology, McGraw-Hill, New York 1993, in: Taschenbuch Multiple Sklerose, Berlin, 1996, S. 3ff. 54 erhobenen Daten, daß die UG 104 annähernd alle Altersgruppen repräsentierte. (Schaubild 3) Am häufigsten waren die 20 bis 29-jährigen und 50 bis 59-jährigen vertreten. Auffallend hierbei ist der starke weibliche Anteil in der Gruppe der 20 bis 29-jährigen. Bereits erwähnt wurde, daß für die Produktion einer medizinisch ausgerichteten Publikation die intellektuellen Fähigkeiten der Leser eine wichtige Rollen spielen. Die Erhebung der Grunddaten der UG 104 schloß die Frage nach dem jeweiligen Schulabschluß ein (Schaubild 4). Dabei konnte von einem guten Bildungsniveau ausgegangen werden. 61 der 104 Teilnehmer verfügten über ein Abitur oder einen Hochschulabschluß. Allerdings muß die Zahl der Absolventen von Hochschulabschlüssen relativiert werden. Einige Teilnehmer dieser Gruppe waren Mediziner und können somit deutlich leichter mit medizinischen Texten umgehen. 55 Ferner drängte sich die Frage auf, ob und wie viele Teilnehmer nach Geschlecht noch erwerbstätig waren. Immerhin waren zum Zeitpunkt der Erhebung noch 37.5 Prozent der Teilnehmer voll oder teilweise berufstätig. Insgesamt würde hier eine Arbeitslosenquote von 62,5 Prozent herauskommen. Allerdings ist dies nur Theorie, denn viele Befragte sind wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit frühzeitig auf Rentenzahlungen angewiesen und belasten somit nicht die Arbeitslosenstatistik. Betrachtet man diese Zahlen nach Geschlecht, so ergibt sich bei den weiblichen Befragten eine höhere Erwerbslosigkeitsquote. Hier waren nur noch 26,7 Prozent erwerbstätig, bei den Männern waren 52,3 Prozent noch beschäftigt. Schließlich soll hier angemerkt werden, daß die erhobenen Zahlen, die die gesamte UG 104 vorstellen soll, nur eine beschränkte Aussagekraft bei der Beurteilung der Lebenssituation haben. Eine Autoimmunkrankheit durchläuft von der Diagnose und im weiteren Verlauf mehrere Phasen, die sich nicht immer bei jedem Patienten gleich präsentieren. Insoweit konnte dieses Zahlenmaterial für die Produktion der „Autoimmun“ nur annähernde Hinweise geben. Viel ergiebiger waren die Erkenntnisse aus vielen Gesprächen und 56 Erhebungen zur persönlichen Lebenssituation, die im folgenden vorgestellt werden sollen. 4.3 Kranke: Erste Symptome, der Mediziner mit der Diagnose und immer wieder Ärzte Bearbeiter: Michael Tycher Viele Autoimmunkrankheiten beginnen spätestens nach der Pubertät, so hat es sich in der medizinischen Wissenschaft als Erkenntnis durchgesetzt hat. Für die Multiple Sklerose wird eine Häufung des Krankheitsausbruchs zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr angegeben. Wegen des unterschiedlichen Verlaufs kann die Krankheit mit einem starken Schub beginnen oder sich schrittweise einschleichen. Dazwischen sind eine Reihe von Mischvarianten möglich. In vielen Fällen werden die ersten Symptome nicht der MS zuerkannt. Die Menschen befinden sich meistens in einer Lebensphase, in der die private und berufliche Orientierung abgeschlossen ist. Der Bericht des Dr. V. (31 Jahre, Arzt) soll einen Eindruck darüber vermitteln, wie grob der Einschnitt durch die ersten Symptome einer Krankheit sein kann: „Die Beziehung zu meiner damaligen Freundin Carola war schon seit drei Wochen beendet. Mit einem Kollegen gönnte ich mir ein verlängertes Wochenende in den Bergen. Wir hatten sehr viel Spaß, und ein bißchen Alkohol war auch im Spiel. Abends veranstaltete das Hotel, in dem wir übernachteten, eine MissWahl. Dort lernte ich eine Frau kennen. Es passierte aber nicht viel, wir tauschten nur unsere Adressen aus. Am Sonntag kamen wir zurück und ich war froh, wieder in meiner kleinen – inzwischen Singlewohnung – zu sein. Kaum aus der Dusche zurück wurde mir schwindelig, erst ein wenig, dann immer schlimmer. Als ich mich kaum noch halten konnte, fiel ich auf das Bett. Nach Stunden der Ohnmacht wurde ich mitten in der Nacht wach und konnte mich kaum bewegen. Meine Beine waren wie gelähmt und fühlten sich taub an. Mit allerletzter Kraft schaffte ich es zum Telefon und rief den Notarzt an. Der Kollege holte mich ab und brachte mich in die Klinik, wo man völlig ratlos war. Am nächsten Tag wurde ich von einigen Neurologen untersucht, die schließlich eine Multiple Sklerose diagnostizierten. Der Beginn der Krankheit ist untypisch, da er so heftig eintrat. Durch die Gabe von starken Medikamenten bin ich wieder halbwegs auf die Beine gekommen, doch eine Blasenschwäche ist geblieben. Wann mich der nächste Schub trifft und wie stark er sein wird, weiß ich nicht. Mein Leben wird sicherlich kürzer sein, und unberechenbar ist es jetzt sowieso schon. Es hat sich seitdem eigentlich alles geändert. Frauen betrachte ich zwar, jedoch läßt 57 mir meine Krankheit wenig Phantasie für partnerschaftliche Visionen. Ich spiele das Spiel des Lebens, habe aber eigentlich schon verloren.“ Der Bericht des Dr. V. macht deutlich wie stark der körperliche Einschnitt durch die Krankheit sein kann. Autoimmunkrankheiten, die sich durch Schübe bemerkbar machen, stellen für die Betroffenen eine große Belastung dar. Liegt eine Diagnose noch nicht vor, wird die Ursache oft auf andere Dinge, wie ungesunde Lebensweise oder psychische Probleme geschoben. Im Gegensatz dazu „schleicht“ sich der chronische Verlauf von Autoimmunkrankheiten fast unbemerkt in den Patienten ein. Die Diagnose einer Autoimmunkrankheit stellt bei fast allen Patienten einen tiefgreifenden Lebenseinschnitt mit starker psychischer Belastung dar. Die Berichte aus der vorliegenden Untersuchung zeigen, wie Patienten die Diagnose ihrer Krankheit aufgenommen haben. Der mitteilende Arzt ist der erste Interaktionspartner. Er verfügt im Idealfall über eine entsprechende Ausbildung und besitzt Erfahrungen darüber, wie und in welcher Phase er den Patienten eine unheilbare Krankheit mitteilt. In der Regel werden mehrere Termine einkalkuliert und Angehörige einbezogen, sofern der Patient zustimmt. In wenigen Fällen (z.B. während einer Schwangerschaft) wird der Arzt die Mitteilung oft verschieben. Doch, so stellen Robert Francke und Dieter Hart fest, „muß man ... für die rechtliche Beurteilung vom Bild des mündigen Patienten ausgehen, der an Information und Beteiligung am eigenen Schicksal interessiert ist, solange er dies nicht ausdrücklich und rechtsverbindlich dementiert“.167 Daß eine Verzögerung der Diagnosemitteilung auch aus ärztlicher Sicht nicht zweckmäßig ist, erklärt Thomas Gordon in seinem Buch „Patientenkonferenz“: „Auch aus medizinischer Sicht ist es gemeinhin nicht von Nutzen, wenn der Patient unaufgeklärt bleibt. Verschiedene Untersuchungen zeigen, daß die meisten Krebspatienten sehr wohl wissen wollen, wie die Diagnose lautet und wie ernst ihr Zustand ist, denn nur dann können sie Pläne für die Zukunft machen. Andere Untersuchungen zeigen, daß Patienten, denen man ihre Diagnose verheimlicht, häufiger unter Depressionen, Angst und Einsamkeit leiden.“168 Insoweit ist es in Deutschland immer noch unverständlich, daß Diagnosen von schweren Krankheiten meist zeitverzögert bekanntgegeben werden. Karl (Student) berichtet: „Ich wußte, daß irgend etwas mit mir nicht stimmte. Alle sagten, ich solle endlich einen Arzt aufsuchen. Doch meine Hoffnung bestand darin, daß mein starkes Kribbeln in den Beinen bald von selbst aufhören würde. Eines Morgens konnte ich nicht mehr auftreten, meine Eltern mußten kommen. Es war wie, als wenn 1.000 Ameisen über meine Beine liefen. Ich weinte heftig und 167 Francke, Robert, Hart, Dieter, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, Stuttgart 1987, S. 21. 168 Gordon, Thomas, Edwards, W. Sterling, Patientenkonferenz: Ärzte und Kranke als Partner, Hamburg 1997, S. 212. 58 bemerkte dabei, daß meine Eltern nicht ganz klar zu erkennen waren. Es waren Doppelbilder. Ich hatte keine Wahl, ab ins Krankenhaus. Eine Untersuchung folgte der nächsten. Dann gab es Spritzen und Tabletten, nach drei Tagen ging es mir viel besser und ich wollte schon nach Hause, aber ein Arzt sagte, da wäre noch eine Untersuchung über die er mit mir sprechen möchte. In seinem Zimmer hörte ich dann das erste Mal die Worte Multiple Sklerose. Ich wußte nicht, was die Krankheit exakt bedeutete, aber ich hatte schon davon gehört. Es war mein Todesurteil! Ich fragte den Arzt, wie lange ich noch zu leben hätte? Er lächelte und meinte, das kann er nicht sagen, es gibt viele gutartige Verläufe.“ Viele Patienten der Untersuchungsgruppe berichten über einen Zustand „wie im Film“ während der Arzt ihr „Todesurteil“ ausspricht. Auch über völlig unerwartete Spontanreaktionen liegen Aussagen vor. Insgesamt scheint es so zu sein, daß einige Ärzte über wenig Zeit und Einfühlungsvermögen verfügen, um die Patienten in dieser schwierigen Lebenslage zu unterstützen. Sebastian, Ende 30 und selbständig erlebte die Diagnose so: „Ich bin immer wie besoffen über die Straße gegangen. Auch mit dem Bergsteigen mußte ich vorsichtiger werden. Für Arztbesuche hatte ich eigentlich keine Zeit. Dann überredete mich meine damalige Frau doch. Untersuchungen und ein neuer Termin beim Neurologen. Ich sagte, daß ich heute wenig Zeit hätte, er solle sich bitte beeilen. ‚Sie werden jetzt viel Zeit für sich brauchen, denn der Verdacht auf Multiple Sklerose hat sich erhärtet‘, erklärte er. Und er hatte recht. Ich nahm die Herausforderung MS an und stellte mein Leben um. Die Firma verkaufte ich und hatte nur noch die Krankheit im Kopf. Ich wollte sie besiegen. Ob das geklappt hat, weiß ich nicht. Doch ich werde mich nicht so leicht geschlagen geben.“ Bisherige Beschwerden, die keiner Krankheit zugeordnet werden konnten, bekommen endlich einen Namen. Ein neues Kapitel beginnt, neue Aufgaben kommen auf die Betroffenen zu und sie „wollen kämpfen“. Andere Untersuchungsteilnehmer berichten aber auch darüber, daß sich ziemlich schnell die graue „Masse der Hoffnungslosigkeit“ über sie ausbreitete. Oft wird die Bedeutung der Diagnose gar nicht reflektiert, weil keine Kenntnisse über die Krankheit vorliegen oder eine Schockphase eintritt. Kurz nach der Realisierung der Diagnose tritt häufig ein Enttäuschungsgefühl beim Patienten auf. Das Leben, so wie es bisher geplant war und weitergehen sollte, wird in andere Bahnen gelenkt. Die bisherigen Beschwerden wurden als vorübergehend interpretiert und als reparabel eingestuft. Die Enttäuschung über eine unabänderliche Krankheit weicht in einigen Fällen einer Trauer über die eigene Existenz. Eine ungewisse Zukunft, mögliche Schmerzen und eine drohende Pflegebedürftigkeit werden zu belastenden Gedanken. Die vielen 59 übereinstimmenden Berichte über diese Gefühle zeigen, daß in dieser Phase ein starker psychologischer Betreuungsbedarf besteht. Doch leider kommt der Medizinapparat in der Praxis diesem Bedarf nur selten nach. Spätere psychologische Angebote zielen auf die Bewältigung der Krankheit, aber nicht auf die Erstversorgung der frisch diagnostizierten Fälle. Unmittelbar nach der Diagnose wird von auftretenden Depressionen berichtet. Die Patienten verfallen in geistige Bewegungslosigkeit und dämmern oder träumen in den Tag hinein. Der Sinn und Zweck eines „normalen“ Lebens ist verloren gegangen. Patienten erwarten einen schnellen Tod und sehnen ihn herbei. So wird in einem Tagebuch berichtet, daß die Depressionen nie völlig verschwinden, es gehe nur darum, sie zu kontrollieren und zu managen. Angetrieben von dem im Hintergrund diffus präsenten Gedanken „nur nicht aufgeben“ erscheint die Teilnahme am „normalen Leben“ nur als eine Voraussetzung zur Erhaltung der Hoffnung: „Es muß ja nicht so schlimm bei mir werden“. Versuche von Angehörigen Hilfe zu leisten werden wenig wahrgenommen. Auch von Trotzreaktionen ist berichtet worden. Die Nahrungsaufnahme wurde reduziert. Das Gefühl von Wertlosigkeit macht sich stärker breit. Diese Phase, die unmittelbar nach der Diagnose einsetzen kann, verläuft unterschiedlich lang und intensiv. Sie gipfelt möglicherweise in einem Suizidversuch. Ein Patient sah keinen Ausweg und nahm sich, mit in das Fahrzeug hineingeleiteten Auspuffabgasen, das Leben.169 Die auf die Diagnose einsetzende Depressionsphase geht unterschiedlich schnell in eine Phase der Krankheitsakzeptanz über. Hier ist der Patient zwar nicht frei von Depressionen, jedoch sind ihm diese bekannt und er hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. Auch in diesem Zusammenhang bleibt festzustellen, daß eine medizinische und psychologische Erstversorgung nach der Diagnose verstärkt werden müßte. In der ärztlichen Fachliteratur wird das Problem zwar genannt, aber in der Praxis selten zufriedenstellend gelöst. Demnächst wird die Arbeit von Arnold Langenmayr und Norbert Schöttes veröffentlicht. Die Autoren führten unter dem Titel „Gruppenpsychotherapie mit MS-Kranken“ eine Untersuchung mit 46 MS-Kranken durch, die zeigt, daß die Psychotherapie nach der Diagnose einen positiven Einfluß auf die kognitiven Beeinträchtigungen besitzt. Auch eine Verbesserung der körperlichen Funktionen wurde beobachtet.170 Geht man davon aus, daß psychotherapeutische Maßnahmen im Verlauf dieser Krankheit einen positiven Effekt haben können, dann muß dies erst recht auch für den Zeitpunkt der Diagnosestellung gelten. 169 Einzelheiten über diesen Fall: Tycher, Michael und Fasel, Christoph, „Selbstmord nach Arzneientzug“, Stern, 14. 9. 1995, Nr. 38, S. 202f. 170 Die Ergebnisse der Studie werden im Laufe des Jahres 2000 veröffentlicht in: „Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik“. Den Autoren wurde dankenswerterweise ein Vorabdruck zur Verfügung gestellt. 60 Bereits kurz nach der Diagnose werden viele Patienten von Zukunftsängsten überfallen. Es stellen sich häufig folgende Fragen: Werde ich zum Pflegefall? Werde ich zur Last für meine Umwelt? Werde ich Schmerzen haben? Muß ich in ein Heim? Auch finanzielle Sorgen sind anzutreffen: Läßt sich eine „krankes Leben“ finanzieren? Für diese Art von Ängsten und Sorgen sind Selbsthilfegruppen ansprechbar. Allerdings werden sie in der Phase kurz nach der Diagnose selten bemüht. Zu diesem Zeitpunkt sind die wenigsten Teilnehmer zu einer Selbsthilfegruppe gegangen. Erst nach ein paar Wochen fanden die meisten Teilnehmer der UG 104 den Weg zu organisierter Hilfe. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß „frisch“ diagnostizierte Patienten als Konsumenten der „Autoimmun“ selten in Frage kamen. Vielmehr bleibt festzustellen: Da die Diagnose einer Autoimmunkrankheit für die Betroffenen eine große Belastungssituation darstellt (Schaubild 5), wäre es angezeigt, sofort mit einer medizinisch-psychologischen Betreuung und Erstversorgung einzusetzen. Doch leider wird dies in der Praxis selten geleistet.171 Für Ärzte ist diese Akutphase oft mit der „Übergabe“ des Patienten an die Angehörigen beendet. Diese sind meistens der Situation nicht gewachsen. 171 Einen Überblick über die häufigsten psychosozialen Problembereiche bei MS-Kranken gibt: Rumpf, Hans-Jürgen und Warecka, Krystyna; Aufgaben des Psychologen in der ambulanten Betreuung von Patienten mit Multipler Sklerose als notwendige Ergänzung der ärztlichen Arbeit, in: Medizin Mensch Gesellschaft, 1989, Heft 2, S. 122-125. 61 Im weiteren Verlauf einer Autoimmunkrankheit wird der Arzt zum zentralen Interaktionspartner. Mit ihm werden neue Symptome und Therapien besprochen. Hierbei werden in fast allen Fällen Fachärzte eingeschaltet. Einen Facharzt für Autoimmunerkrankungen gibt es nicht. Rheumatiker werden zum Beispiel zu einem Arzt mit der Fachrichtung Innere Medizin überwiesen, Multiple Sklerose-Patienten zu einem Neurologen. Viele Untersuchungsteilnehmer beklagen in diesem Zusammenhang eine nicht vorhandene Vernetzung der ärztlichen Disziplinen. Wenn schon die 62 Ursachen einer Krankheit nicht bekannt sind, kann es nicht möglich sein, die Krankheit einer bestimmten Fachrichtung zuzuordnen. Insofern fühlen sich einige Patienten bei den ihnen zugewiesenen Fachärzten falsch aufgehoben. Laura (25) bestätigte diese Annahme in einem Gespräch: „Man überwies mich zu einem Neurologen. Ein Bekannter sagte, das wären Nervenärzte und selber nicht ganz dicht. Aber ich hatte nichts zu verlieren, machte einen Termin und stand plötzlich in seinem Behandlungszimmer. Es sah aus, wie ich es aus Spielfilmen über Psychologen kannte. Schreibtisch, eine Liege, bunte, nichtssagende Bilder an der Wand und ein paar pflegeleichte Planzen. Er selbst beobachtete mich und wies mir per Handzeichen zu, daß ich Platz nehmen sollte. Auch nach einer längeren Zeit - ich weiß nicht wie lange - hatte er noch kein Wort herausgegebracht. Plötzlich drehte er sich um und machte sich über seine Zimmerpflanze her. Er fing tatsächlich an, auf den Blättern herumzubeißen. Wieder vergingen ein paar Minuten, und dann fand er seine Sprache. Warum ich hier sei, wollte er wissen. Ich erklärte ihm meine Diagnose und erhoffe mir Hilfe von ihm, sagte ich. Wieder eine längere Pause und dann erklärte er, ich sei ein schwieriger Fall. Das reichte dann endgültig, und ich verließ das Zimmer kommentarlos.“ Sicherlich sind Lauras Erlebnisse nicht die Regel. Boris (Beamter) fühlt sich zum Beispiel sehr wohl bei „seinem“ Neurologen: „Ich kann zu jeder Tages- und Nachtzeit bei ihm anrufen. Er ist wirklich immer für mich da und beobachtet die aktuelle medizinische Entwicklung. Einige Therapien haben wir schon ausprobiert, leider ohne so richtigen Erfolg. Aber vielleicht klappt es ja einmal. Aus meiner Selbsthilfegruppe weiß ich aber, daß viele Patienten mit ihrem Facharzt nicht zufrieden sind.“ Boris‘ Arzt funktioniert nicht nur als Rezeptverschreiber, sondern er durchlebt mit einer gewissen Anteilnahme auch die Krankheit seines Patienten. Damit fungiert er als eine wichtige Informationsquelle für den Patienten. Im Idealfall sollte das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient so angelegt sein, wie es Annemarie Brandl 1979 in einer Vorfeldstudie feststellte: „In den meisten Fällen kann man also davon ausgehen, daß die Zufriedenheit mit der ärztlichen Betreuung als Basis einer vertrauensvollen Haltung des Patienten gegeben ist.“172 Und das funktioniert nur dann, wenn der Patient wenig sagt und gar nichts fragt. Monika Begemann-Deppe untersuchte 1978 die Gesamtsprechaktivität zwischen dem Visitenpersonal eines Krankenhauses 172 Brandel, Annemarie, Vorfeldstudie zur Erstellung eines Schulungskonzepts für chronisch Kranke: Untersuchung an einem Kollektiv von 100 Diabetikern, München 1979, S. 158. 63 und den Patienten. Hierbei konnte sie feststellen, daß nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtkommunikation von den Patienten getragen wird.173 In der konkreten Situation zwischen Arzt und Patient wird über weitere Probleme berichtet. So empfinden fast alle Teilnehmer die Zeit, in der der Arzt für sie in der Praxis da ist, als zu kurz. Er nimmt sich zu wenig Zeit für die Probleme der Patienten. Zudem beklagen etwa die Hälfte aller Teilnehmer, daß sie nicht ernst genommen werden. Auch haben viele das Gefühl, daß ihnen der Arzt nicht alle Fakten mitteilt. Bei hartnäckigen Fragen oder Forderungen flüchten sich einige Ärzte in die Fachsprache, die damit für den Patienten nicht mehr zu verstehen ist. Dies wird als Kommunikationsabbruch empfunden. Dabei stellt doch die Ärztin Doris Saynisch fest: „Wir brauchen eine Arzt-Patienten-Beziehung, die von menschlicher Nähe geprägt ist.“174 Für die redaktionelle Arbeit bei der „Autoimmun“ stellte das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten immer wieder ein Thema dar. In diesem Zusammenhang wurden die Teilnehmer der UG 104 danach befragt, wie sie ihre medizinische Versorgung einschätzen (Schaubild 6). Interessant an dem Ergebnis ist die Tatsache, daß über 40 Prozent der Befragten nicht oder überhaupt nicht mit ihrer medizinischen Versorgung zufrieden sind. Nur knapp ein Drittel kann nicht über ihre medizinische Versorgung klagen. 173 Begemann-Deppe, Monika, Sprechverhalten und Thematisierung von Krankheitsinformation im Rahmen von Stationsvisiten: Eine empirische Untersuchung zur Arzt-Patient-Beziehung, Marburg 1978, S. 61. 174 Saynisch, Doris, Arzt und Patient: Die bedrohte Beziehung – Ein ärztlicher Befund, Münster 1997, S. 11. 64 Beiträge in der „Autoimmun“, die gerade die medizinische Versorgung von Multiple Sklerose-Patienten zum Thema hatten, stießen immer wieder auf große Resonanz. Doch wer waren die „unzufriedenen Patienten“? Sind es bestimmte Charaktere, die im Ärztejargon gerne als „unkooperative Patienten“ bezeichnet werden, oder sind es die von den Krankenkassen als ständige Wechsler erkannten Patienten? Durch eine klare Beantwortung dieser Fragen würde ein mediales Produkt wie die „Autoimmun“ inhaltlich gewinnen. Doch ob ein Patient „Nörgler“ oder „Wechsler“ ist, kann in einer Untersuchung kaum objektiv beantwortet werden. Nach einigen Gesprächen drängte sich ein 65 anderer Verdacht auf. Vielleicht hat der Gesundheitszustand des Patienten etwas mit der Zufriedenheit der ärztlichen Versorgung zu tun.175 Um sich einer Beantwortung dieser Frage etwas zu nähern, wurde eine Frage im Katalog für die UG 104 aufgenommen, die mit Absicht ein sehr subjektives Merkmal einbezog. Gefragt wurde nach der persönlich empfundenen Schwere der eigenen Krankheit (Krankheitsschwere = KS-Wert). Jeder Befragte hatte die Antwort auf einer Skala von eins bis zehn Punkten zu geben. Zur leichteren Orientierung wurden auf dieser Skala einige Merkmale vorgegeben (Schaubild 7). Der überwiegende Teil der Befragten gab an, daß er ständig Symptome spürt, teilweise auf Hilfsmittel angewiesen ist oder überwiegend bis ständig auf den Rollstuhl zurückgreifen muß. 175 Zur Coping-Struktur: Claer, Susanne von / Engelhardt, Dietrich von / Monyer, Hannah / Warecka, Krystyna, Das Arztbild des MultipleSklerose-Patienten in der Perspektive der Copingstruktur, in: Medizin Mensch Gesellschaft, 1988, Heft 2, S. 108-116. 66 In einem weiteren Schritt wurde nun geprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen der persönlich eingestuften Krankheitsschwere und der Beurteilung der medizinischen Versorgung gibt. Dazu wurden die verschiedenen Gruppen, die sich durch die Beantwortung der Frage nach ihrer medizinischen Versorgung gebildet haben, nach ihrem durchschnittlichen KS-Wert untersucht. 67 Das Ergebnis war ein wenig überraschend (Schaubild 8). Die Befragten, die ihre Krankheitssituation mit hohen KS-Werten belegten, finden sich auch wieder im Feld der unzufriedenen Patienten. Demnach könnte man auch daraus schließen, daß die krankesten Menschen die unzufriedensten Patienten sind, wenn es um die medizinische Versorgung geht. Für die redaktionelle Arbeit bedeutete diese Erkenntnis, daß das Thema ArztPatienten-Verhältnis nicht in den Vordergrund gestellt werden sollte. Insbesondere waren Themen, die sich aus der Unzufriedenheit einiger Patienten mit ihren Ärzten ergaben, sehr vorsichtig zu behandeln. Der Grund dafür ist aus den eben genannten Erkenntnissen abzuleiten: Die mit ihrer ärztlichen Versorgung zufriedenen Patienten sollen es auch bleiben und nicht durch schlechte Erfahrungen anderer Zweifel bekommen. Die „Zufriedenen“ könnten durch negative Berichterstattung das für eine medizinische Versorgung notwendige Vertrauen zum Arzt verlieren. Allerdings erwiesen sich Kenntnisse über das Arzt-Patienten-Verhältnis unheilbar kranker Menschen als sehr nützlich bei der Sprach- und Themenwahl. Hierbei konnte ganz spezifisch auf die Belange und das Verhältnis zur modernen Medizin eingegangen werden. Nach Auswertung der Materialien zum Arzt-Patient-Verhältnis konnten in der Hauptsache drei Patiententypen lokalisiert werden. Dabei ist zu bemerken, daß es auch zu Mischformen kam (Schaubild 9). 68 Peter (34) ist ein typisches Beispiel für einen „aktiven Patienten“: „Es gibt Ärzte, mit denen kommen ich überhaupt nicht klar. Da werde ich als Befehlsempfänger behandelt und habe das einzunehmen, was der Arzt für gut befindet. Auch wenn ich schon einmal negative Erfahrungen mit einem Medikament gemacht habe, dann soll ich es wieder nehmen. So ein Schwachsinn, kaum zu glauben. Bei solchen Ärzten bleibe ich nicht lange, schließlich 69 haben wir in Deutschland ja die freie Arztwahl. Mein neuer Arzt wohnt zwar weiter entfernt, aber wir haben uns gleich gut verstanden. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten haben, stellte er fest, daß ich recht gut über meine MS Bescheid wußte. Ich glaube, wir werden ganz gut auch in der Zukunft miteinander auskommen. Und wenn er mal etwas nicht aufschreiben will, dann habe ich noch meinen Hausarzt. Meine Rezepte habe ich bisher immer erhalten.“ Im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses nimmt der „aktive Patient“ eine für den Arzt wichtige Rolle ein. Der Patient hat sich über seine Krankheit umfangreich informiert und sieht den Arzt als Partner bei der Bewältigung seiner Krankheit an. Andererseits findet sich in dieser Gruppe auch der Typ des „Ausnutzers“. Er hat unter Umständen nicht nur einen Arzt, sondern verfügt über einen ganzen medizinischen Stab. Bei „Verhandlungen“ über Medikamentenverordnungen ist er sehr hartnäckig und erreicht oft sein Ziel. Im Prinzip nutzt er die vorhandenen ärztlichen Erkenntnisse aus, sieht aber gleichzeitig die Grenzen des ärztlichen Könnens. Im Gegensatz zum „aktiven Patienten“ läßt der „passiv unterwürfige Patient“ alles mit sich geschehen. Für den Arzt ist er ein einfacher Patient. Fast ehrfurchtsvoll nimmt er jede Verordnung des Arztes an und glaubt, den idealen Weg zur Behandlung seiner Krankheit gefunden zu haben. Nach außen verteidigt er „seinen“ Arzt ohne Kompromisse. Er empfiehlt ihn an andere Patienten weiter und im direkten Interaktionsverhältnis zum Arzt ist sein Verhalten als unterwürfig zu bezeichnen, weil er sich die klassische Denkweise des Über- und Unterordnungsverhältnisses angeeignet hat. Gegenüber dem „Gott in Weiß“ ist für den „passiv unterwürfigen Patienten“ jede Kritik unzulässig. Birgit (Rentnerin) ist seit über 20 Jahren bei „ihrem“ Facharzt in Behandlung: „Meinen Arzt würde ich nie wechseln. Er kennt jedes Zipperlein bei mir und wir kommen gut miteinander aus. Die Medikamente nehme ich nach Vorschrift ein, denn nur er weiß, was wann für mich gut ist.“ Dieter (Handwerker) ist ein ganz anderer Fall, man könnte ihn auch als einen Medizin-Terroristen bezeichnen, er soll aber hier die Kategorie „unzufriedener Patient“ repräsentieren: „Ich weiß nicht was die weiße Herrlichkeit von mir will. Mir ist durchaus bewußt, daß mir kein Mensch helfen kann. Ich werde verrecken, so oder so. Wenn es ein Heilmittel geben würde, dann hätte ich es schon längst bekommen. Ärzte wollen doch nur Geld verdienen und sie verdienen gar nicht so schlecht. Da habe ich ja nichts dagegen. Doch sie sollen nicht so tun, als wenn sie helfen könnten. Vor ein paar Jahren hat mich einer im Krankenhaus angefaßt, so richtig doll in der Magengegend, ohne vorher etwas 70 zu sagen. Da bin ich aber aufgesprungen, obwohl es mir damals schon nicht so gut ging. Irgendwie habe ich ihn getroffen und dann ist er seitlich umgefallen. Das tat mir leid, aber er hätte mich nicht so einfach anfassen sollen. Er stammelte dann nur noch, ich sei nicht kooperativ. Aber was für eine Art Kooperation soll das denn sein, wenn man alles mit sich machen lassen muß? Ich weiß nicht, aber alle Ärzte sind irgendwie gleich. Der nächste vernahm mich wie einen Schwerverbrecher, als wenn ich Schuld an meiner Krankheit hätte.“ Das Grundgefühl des „unzufriedenen Patienten“ besteht darin, daß die Medizin nicht in der Lage ist, ihm zu helfen. Er versteht seine Krankheit als tatsächlich unheilbar, Therapien können zwar lindern, aber den Verlauf nicht beeinflussen. Er ist ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Ärzte werden je nach Zweck gewechselt und ausgetauscht. Er meint, eine Hilflosigkeit in dem Verhalten des Arztes zu erkennen. Der „unzufriedene Patient“ vermutet, daß der Arzt seine Krankheit nur verwaltet und bezichtigt in einigen Fällen die Mediziner als „Wegseher“, die kein wirkliches Interesse an einer Hilfe haben. In wenigen Fällen liegen Aussagen über „krankhafte Allüren“ einiger Fachärzte vor, die der „unzufriedene Patient“ als Bestätigung seiner Auffassung sieht. In extremen Fällen liegen Beobachtungen über aggressives Patientenverhalten vor. Es läßt sich also feststellen, daß sich die Beziehung von Arzt und Patient auf beiden Seiten noch größtenteils in den klassischen Denkweisen bewegt. Auch wenn gerade die chronisch kranken Patienten ihre Ärzte bisweilen stärker in Anspruch nehmen, so scheint sich das in der Literatur verbreitete Modell auch in der UG 104 zu finden. Und dies sieht so aus, wie Dirk Fehlenberg beschreibt: „Der Patient ist der Partner mit einem persönlichem Problem, seiner Krankheit; der Arzt ist kraft Fachwissen der helfende, behandelnde Experte“.176 Das klingt so wie es sich Ärzte wünschen. Aus der Sicht der Patienten kann das Verhältnis durchaus eine andere Deutung erhalten. Der Soziologe Alphons Silbermann schildert den Umgang mit Ärzten als ein profanes Ritual, das von Autoritätsdemonstation und Angstmacherei geprägt ist. Dabei kommt er zu dem Ergebnis: „Nicht daß Mediziner mit diesem hier skizzenhaft dargestellten und unbillig verallgemeinerten Gehabe den Ängsten der Patienten Vorschub leisten wollen, doch bei einer konsequenten Durchführung des profanen Rituals kann es nicht ausbleiben, den Leidenden durch das von mir geschilderte Symbolmilieu in das Milieu der Angstmacherei zu versetzen. Auf diese Weise entsteht, was dieser Tage mehr oder minder verblümt als eine ‚patientenferne Medizin‘ angeprangert und beklagt wird.“177 176 Fehlenberg, Dirk, Kommunikation zwischen Arzt und Patient: Gesprächsstrukturen der psychosomatischen Krankenvisite, Bochum 1987, S. 205. 177 Silbermann, Alphons, Gesundheit und Angstmacherei, 1995, in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 20, 2/3, 1995, S. 281. 71 Insgesamt kann hier festgehalten werden, daß sich bereits kurz nach der Diagnose einer Autoimmunkrankheit die verschiedenen Patientencharaktere auszuprägen beginnen. Erst im weiteren Verlauf einer Krankheit und einer damit fest verbundenen Patientenkarriere178 manifestieren sich diese Typen. Auch wenn man sich in der medizinischen Literatur viel Gedanken über das Arzt-Patienten-Verhältnis gemacht hat, so spielen diese und die hier vorgestellten Erkenntnisse bei der Medienproduktion kaum eine Rolle. „Macher“ von medizinisch ausgerichteten Publikationen haben eher selten direkten Kontakt zu ihren Lesern, also den kranken Menschen. 4.4 Alles ist anders geworden: Familie, Beruf und Selbsthilfegruppen Bearbeiter: Christa Alheit Während im letzten Kapitel das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten und die sich daraus ergebende Bedeutung für spezielle mediale Produkte näher beleuchtet wurde, wird im folgenden das soziale Umfeld der kranken Menschen betrachtet. Nachdem der ärztliche Apparat die notwendige Versorgung eingeleitet hat, beginnt die Krankheit nun „privat“ zu werden. In dieser Phase ändern sich entsprechend des Krankheitsverlaufs schnell oder langsam die Interessen des Betroffenen. Die „Autoimmun“ stellte hierbei fest, daß die Themen Familie, Beruf und Selbsthilfegruppen bei den Lesern, die sich in einer mittleren Krankheitsphase befanden, starken Anklang fanden. Um hierbei möglichst lebensnahe Themen aufzuspüren, wurde die UG 104 unter diesen Aspekten näher befragt. Die Möglichkeiten hierzu Informationen zu erhalten waren denkbar günstig, denn parallel lief die Behandlung durch Franke mit steigender Patientenzahl. Eingebunden in die Franke-Behandlung und Patientenbetreuung konnten die Autoren der vorliegenden Arbeit viele tiefe Einblicke in die privaten Lebensverhältnisse der Patienten gewinnen und in der „Autoimmun“ thematisieren. Diese Erkenntnisse und Ergebnisse werden hier anhand von Beispielen vorgestellt. Die körperlichen und psychischen Auswirkungen der Krankheit treten als erstes in der Familie und vor Freunden in Erscheinung. Es wird über die Probleme der Bewältigung gesprochen oder geschwiegen. Sämtliche Teilnehmer der UG 104 befanden sich nach eigenen Aussagen vor ihrer Krankheit, also noch im beschwerdefreien Zustand, in einem völlig „normalen“ privaten Umfeld. Familien, Freunde und Bekannte, sowie soziales oder gesellschaftliches Engagement in Vereinen oder Clubs gehörten zum Alltag. Durch die Diagnose und Manifestation einer Autoimmunkrankheit stellten sich nach vielen Aussagen Veränderungen der Beziehungen im privaten Umfeld ein. Dies war in der gesamten Untersuchungsgruppe zu 178 Recht gut werden Patientenkarrieren beleuchtet bei: Gerhardt, Uta E., Patientenkarrieren - eine medizinsoziologische Studie, Frankfurt/Main 1986. 72 beobachten und betrifft alle gesellschaftlichen Kreise, in die die Autoren mit ihrer Analyse Einblick hatten. Die geschilderten Veränderungen der privaten Beziehungen im Umfeld zeigten viele Gemeinsamkeiten. Sie lassen sich in drei Verhaltensmuster einteilen, die entweder vom Verhalten des Kranken bestimmt waren oder von seinem Umfeld ausgingen. Letztlich wurden auch Veränderungen auf beiden Seiten ausgelöst. In den meisten Fällen wurde die Krankheit selbst oder der Umgang mit den Kranken als Grund für einen Umbruch im privaten Umfeld angegeben. Zuerst soll hier das Verhalten des Patienten betrachtet werden. Lange Gespräche zeigten, daß Wandlungen oder Auflösungen von privaten Beziehungen im Umfeld durch den Kranken verursacht werden können. Beispielhaft schildert der Vater einer Patientin die Entwicklung seiner MSkranken Tochter: „In den ersten Wochen schien sie vor Optimismus nur so zu sprühen. Sie werde keine Probleme bekommen und schon bald wird die Medizin ein Heilmittel gefunden haben. Doch nach einem Jahr kam ein neuer Schub und sie mußte ihr Studium unterbrechen. Ihr Freund fuhr alleine in die gemeinsam geplanten Ferien, kam aber mit einer neuen Freundin zurück. Während dieser Zeit schloß sich unsere Tochter immer häufiger in ihr Zimmer ein und war mehrere Stunden nicht zu sehen. Das Laufen machten ihr zwar jetzt mehr Mühe, doch es lag kein Grund vor, sich so zu isolieren. Selbst ihre Freundin rief sie nicht mehr an und bei ankommenden Anrufen ließ sie sich verleugnen. An ihrem Geburtstag planten wir nichts besonderes, aber ein paar Verwandte und langjährige Freunde meiner Frau kamen. Als meiner Tochter beim Abendessen die Gabel aus der Hand fiel, stand sie auf und beleidigte die versammelte Mannschaft. Alle seien nur zum Glotzen gekommen und würden ihr in Wirklichkeit ein schnelles Ende wünschen. Ein paar Tage später schloß sie sich wieder in ihr Zimmer ein. Doch diesmal öffnete sie die Tür überhaupt nicht mehr. Wir mußten uns mit Gewalt Zutritt verschaffen. Es gab eine große Brüllerei, aber von da an mußten wir ihr den Schlüssel wegnehmen. Wir hatten ja keine Ahnung was sie vor hatte. Im Sommer trat einer weiterer Schub auf. Das Gehen war nur noch mit Krücken möglich. Die Kortisontherapie half nicht mehr. Ihre Reaktion bestand in der Verweigerung von Nahrung. Nur mit Mühe und der Mithilfe meiner Mutter konnten wir sie zum Essen überreden. Es ist alles so schwierig geworden und keiner kann uns bei diesen Problemen helfen.“ Gerd, inzwischen im Rollstuhl sitzend, kann sich an diese Phase ebenfalls gut erinnern: 73 „Mir ging es eigentlich gar nicht so schlecht. Meine Beine waren nicht mehr gelähmt, das Medikament hatte gewirkt. Unsere alte Bowlingtruppe traf sich, um die letzten Vorbereitungen für die anstehende Pfingstreise zu treffen. Wir saßen in unserer Stammkneipe und plötzlich überkam mich ein noch nie dagewesenes Gefühl der Sinnlosigkeit. Über mein Leben hatte sich eine schwarze, dicke Masse gelegt. An Bowling hatte ich kein Interesse mehr. Ich verließ die lustige Runde und fuhr in meine Wohnung. Ich fuhr nicht mit über Pfingsten. Von da an wollte ich keine Menschen mehr sehen, auch meinen Bruder schickte ich nach kurzer Zeit fort mit den Worten, er solle nie wieder kommen. Im Winter unternahm ich dann meinen ersten Selbstmordversuch, aber es klappte nicht, der selbstgebraute Giftcocktail war wohl so stark, daß ich mich ganz schnell übergeben mußte. Noch während ich zwischen Tod und Leben dahinkauerte, ging die Tür auf, und mein Bruder kam mit dem Schlüssel meiner Eltern auf mich zu. Also auch zu dumm zum Sterben, dachte ich. Ich muß wohl damals für meine Umwelt sehr schwierig gewesen sein.“ Diese Befunde sind nicht unbekannt. Bereits 1983 untersuchte Peter Denecke im Rahmen einer empirischen Studie die Bewältigung einer chronischen Krankheit in den Familien am Beispiel von Multiple Sklerose-Kranken und ihrer Verwandten. Dabei entdeckte er auch die „unzufriedenen Kranken“179 und stellte fest: „Alle Äußerungen dieser Kranken, die sich auf den Partner und dessen Haltung zur Krankheit beziehen, stellen zugleich eine an seine Adresse gerichtete Kritik bzw. einen Vorwurf dar und weisen darauf hin, daß es im Zusammenhang mit der Krankheit und dem gemeinsamen Umgang mit ihr zu dauerhaften innerfamilialen Konflikten kommt“.180 Denecke sieht die Motive für die Unzufriedenheit einerseits im mangelnden Verständis der Umwelt für den Kranken und andererseits in der Familie.181 Ein weiteres Projekt, das sich mit der Situation von Angehörigen Multiple Sklerose-Kranker befaßt, steht kurz vor dem Abschluß. Vom PädagogischenInstitut der Universität Bamberg wurden 208 Fragebögen verschickt, um unter anderem zu ermitteln, welche Ressourcen zur Stabilisierung der Familiensituation herangezogen werden können.182 179 Denecke, Peter, Chronische Krankheit und Familiendynamik: Eine empirische Untersuchung von Formen der innerfamilialen Bewältigung einer chronischen Krankheit am Beispiel von Multiple SkleroseKranken, Göttingen 1983, S. 446 ff. Dagegen spricht die Auffassung von Anton Smits, der durch den Umgang der Familienangehörigen untereinander einen Einfluß auf die Möglichkeit sieht, krank zu werden. Familie und Krankheit: Eine theoretische Übersicht, in: Psychosozial, 1981, Heft 3, S. 72f. 180 Denecke, S. 446. 181 Denecke, S. 450. 182 Brief der Bearbeiterin Ruperta Mattern vom 24. 1. 2000 an die Autoren. Der Leiter der Arbeit ist Prof. Dr. Georg Hörmann, Universität Bamberg, Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik. 74 Nach Ausbruch und im weiteren Verlauf einer Autoimmunkrankheit spielen sich die meisten sozialen Kontakte im Bereich der Familie ab. Oft sind es die Eltern oder Geschwister, die mit den Beschwerden und Problemen der Kranken konfrontiert werden. Auch Kinder oder der Ehe- bzw. Lebenspartner haben häufig die Stimmungswandlungen zu ertragen. Schon recht bald erkennen die Familie und der Erkrankte, daß die Belastung ‘Krankheit’ nicht vorübergehender Natur, sondern mit allen Konsequenzen auf Dauer angelegt ist. Dieser Umstand führt fast zwangsläufig zu Veränderungen oder gar Auflösungen im zwischenmenschlichen Bereich. Die Rolle des Kranken, die er bis zur Diagnose seiner Krankheit eingenommen hat, wandelt sich. Das Ausmaß dieser Veränderung hängt nicht nur vom Verlauf der Krankheit, sondern auch von der Wesenveränderung des Kranken im Interaktionsbereich Familie ab. Die Verhaltensvarianten, die der Betroffene gegenüber seiner Familie äußert, sind vielschichtig. Sie reichen von der Isolation bis zur aggressiven Bitterkeit. Diese Veränderungen belasten das private Umfeld des Erkrankten und der Familie. Nicht selten wurde geäußert, daß die gesamte Familie mit diesem Problem alleine gelassen wird. Der Sozialstaat zieht sich zurück und verläßt sich auf das Prinzip „die Familie fängt es schon auf.“ Auch im Verhältnis zu Bekannten und Freunden kann der Erkrankte Veränderungen verursachen. Hier hängen sie aber stärker vom Verlauf der Krankheit ab. Der Erkrankte fühlt sich den Beziehungen nicht mehr gewachsen oder hat Angst davor, mit seinen Problemen eine Last für bestehende Bekanntschaften zu werden. Aber auch eine zu große Kenntniserwartung seines Umfeldes über die Krankheit und die schwierige persönliche Situation kann Verhaltenveränderungen auslösen. Hinzu kommt eine neue Lage: Bekannte und Freunde überschütten den Betroffenen mit teilweise unsinnigen Hilfsangeboten. Dadurch fühlt sich der Kranke den Beziehungen nicht mehr gewachsen und zieht sich in die Isolation zurück. Er bricht Beziehungen, die teilweise schon jahrelang bestanden, ab. Ein Teilnehmer brach sogar alle Beziehungen mit „Gesunden“ ab, um sich wegen seiner Krankheit zu „bestrafen“. Abbruch oder Auflösung bedeutet jedoch nicht in allen Fällen Isolation. Vielfach bildet sich ein neues, durchaus auch kleineres, privates Umfeld. Der Kranke stellt die Krankheit selbst in den Lebensmittelpunkt und sucht nach neuen Bekannten, die seine Sichtweise teilen, akzeptieren oder wie er nach Lösungen suchen. Meist handelt es sich dann um „Leidensgenossen“, mit denen Probleme besprochen werden können. Das weitere soziale Umfeld (Vereine oder Clubs) ist den hier festgestellten Mechanismen ebenfalls unterworfen. Jedoch ließen sich hier unterschiedliche Verhaltensmuster des Erkrankten gegenüber den verschiedenen Interaktionpartnern beobachten. Ferner berichteten die Befragten auch von Veränderungen oder Auflösungen von Beziehungen durch das private Umfeld. Ohne daß der Kranke Einfluß auf zwischenmenschliche Beziehungen im privaten Umfeld nimmt, kann es zu 75 Wandlungen im Verhalten oder Auflösungen durch den privaten Kreis kommen. Im Bereich der Familie ist die häufigste Folge die Trennung des Lebenspartners oder die Scheidung der Ehe. Der gesunde Teil entfernt sich aus der Beziehung. Entweder mit einer schnellen Trennung, direkt nach der Diagnose, oder nach einer unterschiedlich langen Zeit, die vom Gesundheitszustand des Erkrankten abhängig sein kann. Bei Geschwistern wurde eine völlige Beendung der Beziehung beobachtet. Eltern nehmen in der Regel die neue Situation an, verändern sich jedoch in Richtung einer Pflegebereitschaft, die in das alte Verhältnis „hilfeloses Kleinkind muß versorgt werden“ zurückführt. Die Motive für einen Abbruch oder eine Loslösung der Beziehung werden vor allem beim Kranken gesehen. „Damit werde ich nicht fertig“ oder „das kann ich nicht mehr sehen“ sind häufige Nennungen von Angehörigen. Über aggressives Verhalten von Kindern, deren Eltern unter einer Autoimmunkrankheit leiden, liegen Aussagen vor. Auch hier wäre staatliche Hilfe für Familien, in denen ein chronisch Kranker lebt, nicht nur angezeigt und notwendig, sondern für das Gemeinwohl, die Akzeptanz von Krankheit und die Lebensqualität der Kranken und der Familie erforderlich. Solange Familien eine Krankheit als Belastung empfinden, die von der Gesellschaft nicht aufgefangen wird, kann sich im Verhalten des privaten Umfeldes gegenüber dem Kranken keine Änderung einstellen. Es besteht sogar die Gefahr, daß die Situation auf einem politisch fruchtbaren Boden weiter eskalieren könnte. Freunde und Bekannte des Erkrankten neigen häufiger dazu, nicht in eine krankheitsspezifische Pflicht genommen werden zu wollen. Sie bieten häufig Hilfeleistungen an. Der Kranke nimmt sie jedoch selten an. Als Gründe dafür wurde eine nicht gewollte Veränderung des Verhältnisses zu den Bekannten genannt. Vor der Krankheit befand man sich auch nicht in einer moralischen Pflicht gegenüber Freunden und Bekannten. Diese Argumentation führt wiederum beim Freund oder Bekannten zu einer Mißdeutung, da er sich mit unter gekränkt fühlt. Die angebotene Hilfe wurde nicht angenommen. Damit definiert sich die Beziehung zum Kranken über die Krankheit. Nicht selten sind wegen dieser Vorgänge Auflösungen der Beziehungen festgestellt worden. Ulrike fühlt sich alleine gelassen: „Als erstes trennte sich mein Mann von mir. Die Diagnose meiner MS war gerade zwei Tage alt. Er erklärte mir noch einen Tag vorher, daß wir das schon durchstehen werden. Dann war er weg, ohne ein Wort zu sagen. Kein Brief und kein Anruf mehr, nur ein paar Wochen später Post von seinem Rechtsanwalt. Unsere Tochter ist jetzt zwei Jahre alt und braucht noch viel Zuwendung. Zum Glück hilft mir meine Mutter, wo sie nur kann. Anfangs besuchte mich meine Schwester häufiger und ging mit meiner Tochter spazieren. Vor ein paar Wochen machte sie während einer Fernsehsendung so eine Andeutung. Sie würde noch selbst 76 krank werden, wenn sie nur noch Krankheit um sich hätte, aber wenn ich sie brauche, würde sie sofort da sein. Natürlich brauche ich sie nicht mehr, weil ich weiß, daß ich sie nur belasten würde. Und daß meine beste Freundin sich nicht mehr meldet, brauche ich wohl nicht zu erzählen. Was habe ich falsch gemacht, außer krank geworden zu sein?“ Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Probleme, die sich im privaten Umfeld des Kranken ergeben, nicht ausschließlich privater Natur sind. Ein stärkeres Engagement der Medien durch Aufklärung wäre erforderlich. Zum einen wäre eine psychologische und finanzielle Unterstützung der Familien notwendig. Die Pflegeversicherung greift erst im späteren Verlauf einer schweren Krankheit. Zu diesem Zeitpunkt ist in der Familie bereits der Idealismus zerstört worden. Zum anderen ist der Kranke selbst als Persönlichkeit zu akzeptieren. Ein weniger negatives Bewußtsein über Krankheit wäre dringend erforderlich, um den Kranken eine Gesellschaft anzubieten, in der er nicht als wertlose Randerscheinung existieren muß. Nicht der Kranke muß sich verändern, sondern auch die Gesellschaft. Für die Herstellung der „Autoimmun“ konnten diese Erkenntnisse anfänglich selten verwertet werden. Nach etwa zwei Jahren Produktionszeit wurden einzelne Biographien von Kranken, die diese Phase erlebt hatten, dargestellt und veröffentlicht. Erstaunlicherweise fand diese Aufarbeitung einzelner Schicksale großen Anklang. Ferner treffen Autoimmunkrankheiten eine Großzahl von Menschen in einer Lebensphase, in der die berufliche Ausbildung abgeschlossen und der Werdegang fortgeschritten ist. Ein etwas kleinerer Anteil von Patienten befindet sich noch in der Ausbildung oder im Studium. Hier ist der Ausbruch der Krankheit besonders belastend. Bei der Betrachtung der Lebenssituation Erkrankter in ihrem beruflichen Umfeld wurde vordergründig das Verhalten aller Beteiligten untersucht. In der UG 104 waren nahezu alle sozialen Schichten vertreten. In der Gruppe der 30 bis 39-jährigen konnte mit 57,1 Prozent der höchste Anteil von Erwerbstätigen gemessen werden (Schaubild 10). Die zahlreich durchgeführten Interviews ergaben einige wesentliche Aspekte, die für eine Beurteilung des beruflichen Umfeldes notwendig erscheinen. 77 Zuerst soll das Verhalten der Erkrankten näher betrachtet werden. Für einen in der Berufswelt etablierten Patienten stellt sich die Frage, wann er dem Arbeitgeber und den Kollegen seine Diagnose mitteilt. In vielen Fällen ist dies unmittelbar nach der Bekanntgabe geschehen. Das Motiv dafür könnte in der Hoffnungslosigkeit der Kranken liegen, die eine positive Veränderung der gesundheitlichen Situation kaum erwarten. Andere versuchen, die Diagnose so lange wie möglich zu verschweigen. Sie fühlen sich noch nicht reif für einen Berufsausstieg und wollen in der verbleibenden Zeit nicht von Arbeitgeber und Kollegen geächtet werden. In einigen Fällen könnten auch finanzielle Gründe eine Rolle spielen. Besonders schwer trifft es Selbständige, die eine große Verantwortung für Familie und Firma spüren. 78 Ebenfalls unangenehm stellt sich die Lage für Auszubildende und Studenten dar. Das Gefühl, keine Chance im Leben gehabt zu haben, führt in einigen Fällen zum Abbruch jeglicher beruflicher Aktivität. Die Patienten, die körperliche Arbeit zu verrichten hatten (z. B. Tragen von Holzbalken), werden am direktesten im beruflichen Umfeld von der Krankheit behindert. Ansonsten wurden sehr unterschiedliche Verhaltensmuster von Autoimmunkranken bei der Bewältigung ihrer beruflichen Probleme registriert. Sie reichen von Resignation und Rückzug bis zu verstärktem Einsatz und Umorientierung. Andrea arbeitete als Sekretärin. Ein paar Ausschnitte (gekürzt) aus ihrem Tagebuch sollen ihr Rückzugsverhalten verdeutlichen: „Ich habe mich betrunken. Sonst kommt Alkohol bei mir selten vor. Vor zwei Stunden – oder waren es drei? – bin ich vom Neurologen gekommen. Der hat es klipp und klar gesagt. Das Urteil lautet MS! Der Tod ist mir näher als das Leben, aber es geht weiter, und noch spiele ich dabei mit. Morgen gehe ich wieder zur Arbeit und werde so tun, als wäre nichts gewesen. Nur eine kleine Durchblutungsstörung, falls jemand fragt.“ Ein paar Tage später schreibt Andrea in ihr Tagebuch: „Eigentlich kann ich meine MS gut vertuschen. Man sieht mir äußerlich keine Behinderung an. Hoffentlich bleibt es dabei. Innerlich ist alles unaufgeräumt. Bei der Arbeit bin ich wohl nicht so gut in Form. Heute war ich sehr unkonzentriert und vergaß einige wichtige Termine. Prompt kam R. und spielte den großen Chef. Ob ich irgendetwas hätte, ich könne mit ihm offen darüber reden. Ich sagte, es wäre alles in Ordnung, und ich komme damit gut klar. Da habe ich wohl zugegeben, daß irgendetwas nicht stimmt. Morgen haben wir unsere Weihnachtsfeier, mir ist gar nicht nach einer Feier zumute. Aber um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, werde ich mich in Schale schmeißen und gute Miene zum bösen Spiel machen.“ Bei der Weihnachtsfeier erzählte Andrea dann doch von ihren Sorgen: „Eine Katastrophe, alle wissen jetzt, daß ich krank bin und irgendwann vollständig gelähmt sein werde. Ich hätte gestern nicht hingehen sollen. Wir stießen andauernd mit irgendetwas Alkoholischem an. Und immer wieder sagte einer dabei ‘Auf die Gesundheit!’ Ich habe mich wohl nicht mehr kontrollieren können, aber plötzlich rutschte es mir raus: ‘Das nutzt bei mir nichts mehr!’ Für ein paar Sekunden oder Minuten – ich weiß es nicht mehr – herrschte Totenstille an unserem Tisch beim Chinesen. R. fragte mich, was los sei, er kenne gute Ärzte. Und dann erzählte ich 79 alles. Meine Beschwerden und das Ergebnis der Untersuchungen.“ Andreas Tagebuch dokumentiert nicht nur das Verhalten ihres Arbeitgebers, der sie drängte, in Rente zu gehen. Vielmehr wird daraus auch klar erkennbar, daß sie sich den beruflichen Aufgaben nicht mehr gewachsen fühlte. Selbstbewußtsein und Konzentration ließen nach, sie gab ihrer Krankheit die Schuld. Der letzte Arbeitstag war für sie eine Befreiung: „Ich hätte schon viel früher aufhören müssen. Heute gab es Blumen und die besten Wünsche für die Zukunft. Was für eine Zukunft meinen die eigentlich? R. erklärte, ich solle mich bei ihm melden, wenn ich Hilfe brauche. Aber ich bin nur froh, daß ich nicht mehr ins Büro muß, dort war alles so erdrückend. Alle haben nur noch nach mir geschaut.“ Die Beschäftigung von Schwerbehinderten oder Erkrankten ist nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem. Arbeitgeber scheuen sich, Schwerbehinderte einzustellen oder weiter zu beschäftigen. Die gesetzlich geforderte Quote wird nicht eingehalten. Viele Arbeitgeber zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe. Bei Bekanntgabe einer Autoimmunkrankheit, die möglicherweise eine Schwerbehinderung nach sich zieht, werden die Patienten häufig aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt. Dies geschieht mit konkreten Geldangeboten. Günter Hassink, Ulrike Manegold und Sigrid Poser haben in den Jahren 1980 bis 1990 die Frühverentung und berufliche Rehabilitation bei Multiple-Sklerose-Betroffenen untersucht. Dabei stellten sie fest, daß MS-Kranke außerordentlich früh berentet werden.183 Leistungen für die berufliche Rehabilitaion wurden relativ selten erbracht. Aber nicht in allen Fällen wurde ein solches Arbeitgeberverhalten beobachtet. In einigen größeren Unternehmen (Spiegel, Henkel u.a.) wurde für die Behinderten ein speziell zugeschnittener Arbeitsplatz eingerichtet. Auch Heimarbeit wurde ermöglicht. Hierbei wurden die verschiedenen Angebote der staatlichen Institutionen durch die Arbeitgeber in Anspruch genommen. Betrachtet man die zahlreichen Hilfsangebote, die die Ingenieure für Behinderte entwickelt haben, so ist es doch erstaunlich, wie wenig davon Gebrauch gemacht wird. Rainer Seidel untersuchte, welche Möglichkeiten es zur Verbesserung der Arbeitssituation speziell für MS-Kranke gibt.184 Hierbei bezog er auch die häufigsten Krankheitssymptome (Lähmungen, Senibilitätsund Koordinationsstörungen) in seine Untersuchung ein und kam zu dem Ergebnis, daß unter Einbeziehung der jeweiligen Hauptfürsorgestellen und unter dem Einsatz technischer Hilfsmittel die Arbeitssituation verbessert 183 Hassink, Günter / Manegold Ulrike / Poser, Sigrid, Frühberentung und berufliche Rehabilitation bei Multiple-Sklerose-Betroffenen, in: Die Rehabilitation, S. 139. 184 Seidel, Rainer, Begleitende Hilfe im Arbeitsleben: Arbeiten trotz der Multiplen Sklerose, Behindertenrecht, Heft 3, 1991, S. 78. 80 werden könnte. Und daß eine Verbesserung der Arbeitssituation durch die Beseitigung von Barrieren zu einer signifikant besseren Arbeitszufriedenheit führt, ist mindesten seit 1995 gesichert. Dies erkannten Richard T. Roessler und Phillip D. Rumrill (Jr.) im Rahmen einer Untersuchung.185 Allerdings sollten architektonischen Hindernisse frühzeitig beseitigt werden. Jörg kann sich noch gut erinnern. Sein Fall repräsentiert das am häufigsten geschilderte Arbeitgeberverhalten: „Anfänglich wurde ich toleriert. Alle wußten über meine Krankheit Bescheid. Doch immer öfter spielte mein Chef auf meine Situation an. Ich könne doch jetzt auf Rente machen und eine ruhige Kugel schieben. Er würde das sofort machen, weil Arbeiten nur eine lästige Freizeitunterbrechung wäre. Um das Finanzielle brauche ich mir auch keine Gedanken zu machen. Doch er hat sich geirrt. Meine Rente würde lange nicht mein Einkommen erreichen und meine Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Warum also aufhören? Dann wurde ich zum Verlagsleiter gerufen. Der präsentierte mir einen Abfindungsvertrag, wenn ich kündigen würde. Die Summe klang recht interessant. Ein Bekannter riet mir, vorher einen Anwalt für das Arbeitsrecht zu befragen. Dr. H., so hieß der Anwalt, hörte sich meine Geschichte an und fragte, ob ich denn noch weiter arbeiten wolle. Da wäre vielleicht noch mehr rauszuholen. Also unterschrieb ich nicht und ging wieder regelmäßig zur Arbeit. Das ganze zog sich dann vier Jahre hin. In dieser Zeit wurden mir zwei Kündigungen zugestellt, die aber unrechtmäßig waren. Dann kamen neue Abfindungsverträge auf den Tisch. Vorletztes Jahr habe ich dann unterschrieben. Die ursprüngliche Summe hat sich nun verdreifacht und von den Zinsen und der Rente ist es jetzt halbwegs erträglich.“ Schließlich soll zum Thema Beruf noch ein wichtiger Aspekt erwähnt werden: Das Verhalten der Kollegen. Dies reicht von Hilfsbereitschaft bis zur Ablehnung gegenüber dem Erkrankten. In einigen Fällen wurde von einem hohen Maß an Unterstützung berichtet. Sogar bis in den privaten Bereich hinein wurde konkrete Hilfe angeboten. In anderen Fällen kam es zu einer Ausgrenzung des Erkrankten, die schließlich zur Berufsaufgabe führte. Auch über massive Einschüchterungen wie „wir arbeiten für dich mit“ oder „du bist ja mehr mit deiner Krankheit als mit der Arbeit beschäftigt“ wurde berichtet. Von der Arbeitgeberseite wurde kein Einfluß auf das Verhalten der Kollegen genommen. Neben der offenen Kritik wurden auch Fälle von Intrigen in Form von falschen Behauptungen ohne Kenntnis des Betroffenen geschildert. Für Sabine waren die letzten Wochen am Arbeitsplatz die „Hölle“: 185 Roessler, Richard T. / Rumrill, Phillip D. Jr., The relationship of perceived work site barriers to job mastery and job satisfaction for employed people with multiple sclerosis, in: Rehabilitation Counseling Bulletin, No. 1, 1995, S. 11. 81 „Ich bekomme immer noch Alpträume, wenn ich an die Firma denke. Ich war für die Schulung bei uns verantwortlich. Zwei weitere Kollegen sollten mich unterstützen. Nicht etwa wegen meines Leidens, sondern sie waren schon davor mir unterstellt worden. Nun witterten sie Morgenluft. Wenn ich nicht mehr da wäre, könnte einer von ihnen meinen Platz einnehmen. Ob sie bei Ihren Attacken zusammengearbeitet haben, weiß ich nicht. Zuerst war mein Adreßbuch weg und dann wurden wichtige Dateien auf meinem Computer gelöscht. Eine Woche später bekam ich eine Abmahnung von meinem Chef, weil ich seine Aufträge wiederholt nicht ausgeführt hatte. Diese liegen normalerweise morgens in meinem Fach. Aber sie waren wirklich nicht da. Jemand muß sie gestohlen haben. Als noch mehr Häßlichkeiten passierten und sogar meine Tochter mit einbezogen wurde, habe ich einfach gekündigt. Lange hätte ich dieses Verhalten nicht mehr ertragen können. Es war die Hölle!“ Das Thema „berufliches Umfeld“ von Erkrankten fand in der „Autoimmun“ regen Niederschlag. In den Rubriken „Hürdenlauf“ und unter „Tips und Urteile“ wurden diese Themen regelmäßig aufgegriffen. Aus den Leserzuschriften und den Leseranalysen konnte geschlossen werden, daß Fragen zum beruflichen Umfeld ein Schwerpunktthema in einer Patientenzeitschrift sein sollten. Ein weiteres Thema bei der Darstellung der Lebenssituation schwer kranker Menschen ist die organisierte Hilfe. Patienten fast jeder Krankheit haben inzwischen Selbsthilfegruppe gebildet. Zu einigen Krankheiten, wie zu Beispiel Krebs, existieren mehrere solcher Hilfsorganisationen. Für einen Außenstehenden, der Informationen sucht, ist der Dschungel von Selbsthilfegruppen schwer zu durchschauen.186 Bei einschlägigen Krankheiten (wie zum Beispiel Rheuma) erfährt der Betroffenen durch eigene Recherche recht schnell die Adresse der zuständigen Organisation. Die Teilnehmer der UG 104 wurden bezüglich ihrer Kontaktaufnahme und Einstellung zu Selbsthilfegruppen befragt. Ferner interessierte uns die Aktivität der Patienten in einer Selbsthilfegruppe. Von den Befragten waren 55,8 Prozent Mitglieder in einer Selbsthilfegruppe. Bemerkenswert ist, daß vor allem jüngere (20 bis 29 Jahre) und ältere (über 60 Jahre) Mitglieder einer Selbsthilfe waren (Schaubild 11). 186 Einen Überblick zu allen Selbsthilfegruppen liefert die „Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen“ (Nakos). Unter folgender Adresse ist sie zu erreichen: Nakos, Albrecht-Achilles-Str. 65, 10709 Berlin, Telefon: 030-891 40 19, Fax: 030-893 40 14, Internet: http://www.nakos.de (auch über http://www.zdf.de erreichbar). 82 Am Beginn der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe steht die Kontaktaufnahme. Nach Erhalt einer Diagnose und Überwindung der ersten „Schockphase“ kommen die meisten Autoimmunkranken zu der dem Schluß, daß Informationen über ihre Krankheit von Nutzen sein könnten. Da sie sich von ihrem behandelnden Arzt über viele Fragen nicht ausreichend aufgeklärt fühlen, bleibt ein Informationsbedarf zurück. Viele Ärzte empfehlen ihren Patienten die Kontaktaufnahme mit einer Selbsthilfegruppe. Bei der vorliegenden Untersuchung wurde festgestellt, daß sich viele Patienten erst nach mehreren Wochen oder gar Monaten an eine Selbsthilfegruppe gewandt haben. Die am häufigsten genannten Motive für diesen Schritt liegen in dem Wunsch, weitere Informationen über die Krankheit zu erhalten, nachdem die medizinische Hilfe offensichtlich an ihre Grenzen gestoßen ist. Aber auch das Bedürfnis, Gespräche mit ebenfalls Betroffenen zu führen, ist als Antrieb erwähnt worden. Die meisten Teilnehmer der UG 104 haben erwartet, daß Selbsthilfegruppen gesammelte Erfahrungen weitergeben. 83 Der erste Besuch bei einer Selbsthilfegruppe endet in der Regel in einem Gespräch mit einem erfahrenen Mitarbeiter. Angeboten wird eine Mitgliedschaft und die Mitarbeit in einer Ortsgruppe. Nicht alle Befragten traten einer Selbsthilfeorganisation bei. Als Gründe wurden hauptsächlich angeführt: Es sei eine nutzlose Verwaltung der Krankheit und „Vereinsmeierei“ ist nicht erwünscht. Aus den Berichten der Mitglieder der Selbsthilfegruppen, die der Untersuchung zur Verfügung standen, konnten zwei Verhaltensmuster unterschieden werden. Die erste Form ist eine passive Solidarisierung mit Gleichgesinnten. Die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe besteht formell. Es werden Beiträge entrichtet, aber ein direkter Kontakt zur Selbsthilfegruppe besteht nicht. Es werden keine Einladungen wahrgenommen. Die Motive für ein solches „Karteileichen-Dasein“ liegen in einer passiven Solidarität mit den Menschen, die sich für die Belange der betroffenen Kranken einsetzen. Man unterstützt die Vorhaben und gemeinnützigen Aktivitäten nicht direkt, aber durch seinen Namen. Die angebotenen Informationsblätter werden dankbar entgegen genommen. Betroffene, die zu einer passiven Solidarisierung neigen, versuchen meist ihr bisheriges soziales Umfeld zu erhalten. Hannelore ist schon über zehn Jahre Mitglied in einer Selbsthilfegruppe. An einem Treffen hat sie nie teilgenommen: „Als meine Krankheit ausbrach, war ich froh, daß es Menschen gibt, die sich um diese armen Wesen kümmern. Aber Hilfe habe ich nie in Anspruch genommen. Ich möchte auch nicht da hingehen. Die ganzen Kranken erzählen doch nur immer das gleiche. Eine Bekannte von mir geht da immer hin und erzählt mir, was es Neues gibt. Doch viel Neues gibt es nicht, und Kaffee trinke ich lieber zu Hause, am liebsten wenn mein Sohn mich besucht. Ich glaube aber, daß ich mit meinem finanziellen Beitrag eine gute Sache unterstütze. Da es mir nicht schlecht geht, spende ich auch öfter mal etwas mehr Geld.“ Wer sich dagegen auf die aktive Teilnahme in einer lokalen Selbsthilfegruppe einläßt, erlebt ein neues soziales Umfeld. Regelmäßige Treffen und gemeinsame Unternehmungen (Vorträge, Kaffeefahrten u.a.) werden Bestandteil des Lebens. Im Zuge weiterer Einbindung kann es zur Aufnahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten oder Betreuungen anderer kommen. Das neue soziale Umfeld wird zunehmend in die Freizeitplanung einbezogen. Dadurch werden verlorengegangene Beziehungen kompensiert. Das Leben in einer Selbsthilfegruppe geht nach Aussagen einiger Patienten „leichter von der Hand“, man braucht sich nicht zu erklären und fühlt sich nicht durch das „gesunde Umfeld“ geächtet. Problematisch erscheint hier eine Form der Gruppenisolation, die jede persönliche Aktivität in der Außengesellschaft einschränkt. Die Mitglieder unternehmen alles zusammen und präsentieren sich in der Öffentlichkeit als die „selbstbewußte Behindertengruppe“. 84 In dieser Form scheint die Forderung nach einer Integration Behinderter und chronisch Kranker in die Gesellschaft schwer erfüllbar zu sein. Durch eine verstärkte Gruppenisolation dürfte auch in der Zukunft eine fortschreitende Abgrenzung von den „Gesunden“ eintreten. Eine aktive Neusozialisierung kann zur Einstellung aller noch vorhandenen privaten Kontakte führen. Alte Freunde und Bekannte werden nicht in das Vereinsleben, das nahezu alle Lebensbereiche umfassen kann, einbezogen. Einen interessanten Einblick in die Arbeit von Selbsthilfegruppen, insebondere deren Öffentlichkeirsarbeit bietet Britta von Bezold an. Sie untersuchte 150 Selbsthilfegruppen und erkannte, daß der Öffentlichkeitsarbeit dieser Organisationen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.187 Doch gerade die öffentliche Vorstellung der Selbsthilfegruppen mit ihren Zielen kann ein Verständnis für deren Belange erleichtern und damit einer Isolation entgegenwirken. Gabi kann sich ein Leben ohne Selbsthilfegruppe gar nicht mehr vorstellen. Sie hat dort ihre neue Heimat gefunden: „Ich kann mich noch an meinen ersten Tag erinnern. Ich bin wochenlang herumgeirrt und habe sinnlose Gespräche mit allen meinen Bekannten geführt. Keiner wußte so recht, was aus mir werden würde. Die MS hat mein Leben total umgekrempelt. Eines Tages rief ein alter Schulfreund an, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Wir trafen uns, und ich erzählte von meiner Krankheit. Er sagte, da gäbe es eine Organisation, wo die Kranken hingehen können. Dort gäbe es Informationen und man könne mit anderen Betroffenen reden. Er sagte, er würde die Adresse für mich herausfinden. Am nächsten Tag hatte ich die Adresse und ging gleich dort hin. Die Frau, die mich empfing, war unglaublich nett und einfühlsam. Sie machte mir Mut und ließ mich glauben, daß ich unter einem gutartigen Verlauf leide. Mit einem Berg von Informationsmaterial bin ich nach Hause gegangen. Abends wußte ich sehr viel mehr über meine Krankeit und wollte nun die Erfahrungen anderer Patienten kennenlernen. So ging ich jede Woche einmal zum Treffen. Wir unternehmen viele Dinge mit der Gruppe. Aber auch mit einigen Gruppenmitgliedern habe ich private Kontakte, und wir gehen ins Kino oder auch mal schön essen. Nach zwei Jahren glaube ich - wurde ich zur Sprecherin gewählt. Und wenn neue Mitglieder kommen, dann führe ich sie in unsere kleine Welt ein. Schwerbehinderte Mitglieder werden von uns betreut, so weit das geht. Auch sorgen wir für rechtliche Unterstützung, wenn Probleme bei einem von uns auftauchen. 187 Bezold, Britta von, Zur Öffentlichkeitsarbeit von Selbsthilfegruppen und deren Wahrnehmung von Fernsehberichterstattung, in: Soziale Arbeit - deutsche Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete, Heft 5, 1998, S. 149. 85 Letztes Jahr haben wir eine gemeinsame Reise nach Griechenland unternommen. Das mußte alles geplant und organisiert werden, denn Behinderte können nicht so einfach überall hin, wo sie hin wollen. Dabei hat uns unser Landesverband unterstützt. Dort bin ich auch öfters und schreibe manchmal einen Artikel für die Mitgliederzeitung. Meine alten Bekannten sehe ich immer seltener.“ Gabi verrichtet eine nützliche Aufgabe und geht darin voll auf. Für sie ist die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe ein Gewinn in ihrem Leben. Unterstellt man einmal, daß sich die Mitglieder von Selbsthilfegruppen durch diese Form der Neusozialisierung subjektiv wohler fühlen, dann stellt sich die Frage, ob das auch einen Einfluß auf das medizinische Wohlbefinden hat. Die UG 104 konnte natürlich nicht auf ihren wirklichen Gesundheitszustand hin untersucht werden. Aber die bereits dargestellte Frage nach der Zufriedenheit der medizinischen Versorgung kann hier noch einmal behandelt werden. Im Ergebnis sind Mitglieder von Selbsthilfegruppen zufriedener mit ihrer medizinischen Versorgung als Nichtmitglieder (Schaubild 12). Die Gründe hierfür sind schwer zu ermitteln. Vermutlich kommt man dem Kern der Sache nahe, wenn man das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder bewertet sowie den regelmäßigen Austausch von Informationen bei Gruppentreffen. Ärzte mit einem schlechten Ruf werden von den anderen Mitgliedern gar nicht erst aufgesucht. So konsultiert jeder irgendwann einen Arzt, mit dessen Leistung er zufrieden ist. Nichtmitglieder haben hingegen wesentlich geringere Informationsmöglichkeiten. 86 Die Behandlung von Themen, die sich durch Mitgliedschaften in Selbsthilfegruppen ergeben, sind für die „Autoimmun“ interessant gewesen. Jedoch wurde gesteigerten Wert darauf gelegt, deren Themen nicht laufend zu wiederholen. Viel sinnvoller schien die Darstellung neu gegründeter Selbsthilfegruppen oder Ortsverbände. Hier konnte wirklich aus dem Leben berichtet werden. 4.5 Therapiert, austherapiert und Pflege Bearbeiter: Michael Tycher Der Siebenjährige ist mit seinem neuen Fahrrad zu schnell in die Kurve gefahren, stürzt vom Rad und schlägt auf den Asphalt auf. Ein Knie ist aufgerissen, etwas Blut fließt. Das Geschrei ist groß und mit tränenüberströmten Gesicht geht‘s zur Mama. Sie sagt meist folgendes: „Ist ja gar nicht so schlimm“ (Trost spenden), „das kriegen wir schon wieder hin“ (Mut und Hoffnung machen) und „jetzt ein wenig sauber machen und ein Pflaster drauf“ (Heilen). Wer das Wort „Krankheit“ hört, denkt automatisch an „Heilung“. So sollte es auch sein und so kennen wir es seit unserer Kindheit. Eine Heilung funktioniert besonders gut, wenn halt nur das Knie verletzt ist. Was aber, wenn keine Heilung möglich ist? Björn kann nicht mehr gut sprechen, aber mit etwas Geduld und einem Tonband versteht man ihn noch ganz gut: „Als mir klar gemacht wurde, daß ich unheilbar krank bin, konnte ich es nicht verstehen. Bisher ist mein Körper immer repariert worden. Als meine MS immer weiter voranschritt, mußte ich es akzeptieren. Ich habe viele Therapien ausprobiert. Mein Arzt sprach nicht von Heilung, sondern von einem Heilversuch.“ Die Erkenntnis von Björn spiegelt die meisten Aussagen der Untersuchungsgruppe wieder. Unheilbare Krankheiten sind eben unheilbar. Und trotzdem versuchen die Patienten, angetrieben von Medienberichten über Spontanheilungen und den Geschwätz von Wunderheilern, immer wieder neue Therapien. Es ist der Überlebenswille des Menschen und somit liegt auch bei Autoimmunkranken das Ziel im Erhalt einer wirksamen Therapie. Hierfür zeigt sich der Betroffene besonders engagiert. Björn beschreibt seine Erfahrungen: „Nachdem mir meine Lage klar war, suchte ich nicht nach der Heilung, sondern nach einer Linderung meiner schlimmen Symptome. Hierbei war ich bereit, alles zu unternehmen. Und ich habe viele Versuche auf eigene Faust riskiert. Ich war in Indien bei 87 Wunderheilern, habe in Mexiko bei Medizinmännern Drogen genommen, die mir die fehlende Erkenntnis geben sollten, und habe an zwei Arzneimittelstudien teilgenommen. Nichts hat geholfen.“ Wie kommt es zur Kenntnisnahme von Therapien und wie stellen sie sich aus der Sicht der Betroffenen dar? Der behandelnde Arzt schlägt den Patienten Therapien vor. Die Patienten lassen sich in aller Regel auf solche Angebote ein, weil ihnen bewußt ist, eine unheilbare Krankheit zu haben. Hierbei handelt es sich um Therapien, die meistens von den Krankenkassen getragen werden. Diesen klassischen Weg sind nahezu alle Autoimmunkranken gegangen. Ob eine Krankheit allerdings aufgrund einer Therapie ihr schicksalhaftes Gesamttempo verringert, ist unter Medizinern nicht geklärt. Manuela ist inzwischen therapieerfahren: „Mir ging es sehr mies. Das erste mal spürte ich die ganze Brutalität meiner Krankheit. Mein Arzt sagte, daß wir etwas unternehmen müßten. Ich bekam jeden Tag Spritzen und nach einer Woche merkte ich, daß es mir besser ging. Aber nach drei Wochen war alles wieder beim alten. Ich konnte meine Beine wieder nicht anheben. Dann gab es wieder Spritzen. Mein Mann wurde instruiert und eingewiesen. Jeden Abend gab er mir meine Spritzen. Es wurde ein wenig besser, hielt aber auch nicht lange an. Dann mußte ich ins Krankenhaus.“ Aber auch zu klinischen Arzneimittelstudien mit noch nicht zugelassenen Substanzen wird der Patient eingeladen, wenn der Arzt sich für ihn einsetzt. Hierbei entstehen keine Kosten für den Patienten, aber die Anzahl der Teilnehmer ist begrenzt. Sie müssen zudem fürchten, nach einer langen Eingangsuntersuchung, ein Scheinpräparat zu erhalten.188 Siegrid nahm an einer Arzneimittelstudie teil: „Mit meinem Arzt bin ich sehr zufrieden. Wir können ganz offen über alles reden. Auch vor meiner Schwangerschaft klärte er mich sorgfältig über die Risiken auf. Letztes Jahr erzählte er mir etwas von einer Arzneimittelstudie, zeigte mir ein paar Fachaufsätze und meinte, das wäre vielleicht etwas für mich. Die Aufsätze habe ich nicht verstanden, aber ich vertraute ihm. Er wirkte sehr entschlossen und sagte, er würde alles unternehmen damit ich an dieser Studie teilnehmen könne. Ich sagte zu, was hatte ich schon zu verlieren? Die eigentliche Therapie fand dann in einem Krankenhaus statt. Dafür mußte ich eine Woche lang verreisen. Wir lagen zu viert, 188 Zur placebokontrollierten Doppelblindstudie vergleiche: Autoimmun, Oktober / November 1994, Nr. 5, S. 6-8. 88 machmal zu fünft in einem Zimmer und irgendeine Flüssigkeit tropfte in unsere Venen. Keiner wußte so recht, was er bekommen würde. Nach der anfänglichen Euphorie kam das ungeduldige Warten. Ich beobachtete meinen Körper sehr genau und wartete auf Verbesserungen. Doch es tat sich nicht viel. Nach zwei Monaten erhielt ich einen Brief von der Pharmafirma. Sie bedankte sich für meine Teilnahme und dafür, daß ich der medizinischen Forschung einen großen Dienst erwiesen habe. Gleichzeitig teilte sie mir mit, daß ich ein Placebo bekommen hätte. Was für ein Frust, dachte ich. Aber den anderen ging es auch nicht besser. Wir haben unsere Adressen ausgetauscht und uns gegenseitig über unsere Erfahrungen berichtet.“ Arzneimittelstudien in Form placebokontrollierter Doppelblindstudien sind inzwischen eine wichtige Voraussetzung für die Zulassung einer neuen Arznei. Obwohl das Arzneimittelgesetz für die Zulassung einer neuen Substanz in der Regel nur den Nachweis der Wirkung189 fordert – also nicht eine Doppelblindstudie – hat sich die Doppelblindstudie international durchgesetzt. An sie sind vielfach ethische Bedenken herangetragen worden. Die Gabe von Scheinpräparaten an unheilbar kranke Menschen wird als problematisch erachtet.190 Eine weitere Möglichkeit etwas über Therapien zu erfahren besteht in der „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Andere Betroffene haben etwas Neues ausprobiert und berichten darüber positiv. Damit interessiert sich der Patient ebenfalls für diese neue Methode. In Selbsthilfegruppen und Interessengemeinschaften wird offen über Therapien diskutiert. Inzwischen wird auch das Internet als Forum genutzt.191 Hierbei bleibt den Probanden aber in den meisten Fällen der Besuch des Fachsarztes nicht erspart, weil viele Präparate rezeptpflichtig sind. Manuela, die uns bereits durch ihre Spritzentherapie bekannt ist, beschreibt den „Informationskrieg“: „Ich telefoniere fast täglich mit anderen Betroffenen. Und wenn einer etwas Neues weiß, dann sind alle gespannt darauf. Wer eine Information hat, der gibt sie auch weiter und steigt im Ansehen. Dann fragen wir unsere Ärzte, ob die bereits etwas darüber wissen. Doch meistens sind es alles alte Hüte“. Auch durch die Medien können Informationen über neue Therapien unterschiedlicher Seriosität zu den Patienten gelangen. Nicht selten handelt 189 Das deutsche Zulassungsverfahren ist in den Paragraphen 21ff. des Arzneimittelgesetzes (AMG) geregelt. 190 Autoimmun, Oktober/November 1994, Nr. 5, S. 8. 191 Unter http://www.ms-allianz.de können MS-Betroffene Erfahrungen über Therapien austauschen. Auch Fragen und Kritiken sind zugelassen und werden nicht kontrolliert. 89 es sich dabei um Privatbehandlungen oder noch in der Erprobungsphase befindliche wissenschaftliche Studien. Schließlich berichteten Befragte der Untersuchungsgruppe über die gezielte Zusendung von Werbepost, die neue Therapiemöglichkeiten anbot. Die Vermittlungswege der Adressen der Erkrankten sind bis heute ungeklärt. Siegrid konnte es nicht fassen: „Ich bekam andauernd Briefe von irgendwelchen Kliniken und Ärzten. Ich weiß gar nicht, ob die das dürfen. Doch der Postbote schaute schon immer ganz komisch. Wie ist meine Adresse in solch eine Kartei geraten? Da wird doch irgendwo mit gehandelt. Eine große Schweinerei ist das!“ Eine wesentlicher Aspekt ist die psychologische Nachbearbeitung und Auswertung von Therapien. Ob eine Therapie beim Patienten angeschlagen hat, bemerkt dieser selbst zuerst, auch wenn Ärzte und Pharmazeuten zusätzliche Bewertungskriterien aufgestellt haben. Ein Mißerfolg ist eine Enttäuschung und kann zur Resignation führen. Wer von einem Wunderheiler betrogen wurde, gibt das nicht gerne zu. Hingegen können Patienten auch mit Depressionen reagieren, wenn ihnen Therapien möglicherweise vorenthalten werden. Steve schildert das Auf und Ab nach erfolgter Therapie: „Von der Welt habe ich viel gesehen. Fast jeden Kontinent habe ich bereist. Überall gab es mindestens einen Arzt, der mir Heilung versprach. Doch die Gesamtbilanz sieht dürftig aus. In den USA meldete ich mich für die Eigenblut-Therapie. In bunten Hochglanzbroschüren wurde ein medizinischer Durchbruch angekündigt. Ich war mehrere Wochen vor der Therapie in guter Verfassung. Das ist wie vor einer Urlaubsreise. Die Planung und Vorbereitung ist fast genauso schön wie der Urlaub selbst. Als dann die Therapie beginnen sollte, konnte ich es nicht erwarten, denn meine Krankheit meldete sich wieder und drohte mit weiteren Verschlechterungen. In den ersten Tagen nach der Therapie schienen sich Verbesserungen einzustellen. Nach zwei Wochen war alles wieder wie vorher. Man riet mir zur Wiederholung. Also versuchte ich es noch einmal mit der Eigenblut-Therapie. Doch diesmal war die Wirkung noch schwächer und ich mußte einsehen, daß es nicht geklappt hatte. Es muß aber nicht immer so schlecht laufen wie bei mir. Eine gute Bekannte von mir hatte in der gleichen Klinik auch eine Eigenblut-Therapie durchgeführt. Und ihr geht es heute noch sehr viel besser als vor dieser Therapie. Es ist eine Lotteriespiel, bei dem die Chancen für den Spieler sehr schlecht stehen. Aber wer nichts wagt, der kann auch nicht gewinnen. Ich habe bisher nicht gewonnen, aber dafür viele Dollars verloren.“ 90 Wie Steve berichten viele Patienten über diesen Therapie-Tourismus. Wenn nichts mehr hilft und der Patient auf keine Substanz mehr anspricht, benutzen Ärzte häufig den Begriff „austherapiert“. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Schulmedizin den Kranken aufgegeben hat. Die Krankenkassen verweigern dann in der Regel die Kostenübernahme für neue Therapien. Damit beginnt die letzte Phase im Krankheitsverlauf. Im weiteren Verlauf einer Autoimmunkrankheit kann es zu schwersten Einschränkungen der körperlichen Funktionen kommen. Der Betroffene ist dann teilweise oder komplett auf die Hilfe und Pflege anderer Menschen angewiesen. Im Falle einer totalen Abhängigkeit von anderen Menschen beschränkt sich das Leben auf das Bett und ein Zimmer. Die Pflege wird entweder von Angehörigen oder von Pflegeheimen durchgeführt. In der UG 104 befanden sich mehrere schwerkranke pflegebedürftige Menschen, deren Lebenssituation besonders stark eingeschränkt ist. Insgesamt stellt sich die Verteilung der Pflegebedürftigkeit in der UG 104 relativ gleichmäßig dar (Schaubild 13). Auch wenn das Thema Pflege von vielen Befragten verdrängt wurde, so konnte auch hier immer wieder ein Informationsbedarf bei Betroffenen und Angehörigen festgestellt werden. Während des Erscheinungszeitraums der „Autoimmun“ wurde das Pflegegesetz beschlossen und eingeführt. In dieser Zeit ist die Redaktion häufig mit Fragen dazu in Berührung gekommen. Viele Patienten und Leser hatten keine Informationen darüber, ob sie zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehörten. Das komplizierte Regelwerk des Pflegegesetzes machte eine konkrete Beantwortung dieser Fragen sehr schwierig. Die Darstellung dieses Themas fand in der „Autoimmun“ regelmäßig ihren Platz. 91 Eine Angehörige erinnert sich: „Mein Sohn brauchte rund um die Uhr Betreuung. Seine Ataxie war so stark, daß wir ihn mit Gurten ans Bett festbinden mußten. Seine Kontrolle über Darm und Blase hatte er schon lange verloren. Mein Mann und ich konnten keine Nacht durchschlafen. Wir bezahlten aus eigener Tasche einen Pflegedienst, der uns drei Stunden am Tag zur Seite stand. Mit Einführung der Pflegeversicherung fragten wir nach konkreter Unterstützung. Es begann ein Bürokratismus, der sich sieben Monate hinzog. Dann starb unser Sohn und wir teilten es der Krankenkasse mit. Einen Monat später kam der Bescheid von der Krankenkasse, daß wir Pflegegeld für unseren Sohn erhalten würden. Es war unglaublich, aber die kapierten einfach nicht, daß er nicht mehr lebte. Man mahnte uns an, die erhaltenen Geldzahlungen zurückzugeben. Natürlich wollten wir uns nicht an dem Tod unseres Sohnes bereichern. Aber sie zahlten immer weiter Pflegegeld und forderten es zurück. Das ging noch ein halbes Jahr so weiter.“ Wie stark Angehörige bei einer Pflegetätigkeit von Multiple Sklerose-Kranken beansprucht werden und welche Probleme zu erwarten sind, zeigt Susanne 92 Smelter auf.192 Der Komplex „Pflege“ befindet sich in einer ständigen wissenschaftlichen Diskussion. Verschieden Pflegekonzepte konkurrieren miteinander, manchmal ergänzen sie sich auch. Letztlich scheint sich das Konzept „Betreutes Wohnen“ durchzusetzen. Daniel Oberholzer befaßte sich genauer mit der Unterbringung chronisch kranker Menschen und beschreibt das Konzept: „Den Betroffenen sollte unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse auf den Gebieten der Architektur, der Heimorganisation, der Pflege und Unterstützung die Möglichkeit geboten werden, ein ihrer Behinderung gerecht werdendes, menschenwürdiges Leben zu führen. Ein Leben, das wieder Ansprüche an die Betroffenen stellen und eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt fördern und erhalten sollte. Eine Wohnform, die die benötigte Pflegeleistung erbringen, jedoch auch Privatheit und Selbstverwirklichung angemessen ermöglichen sollte“.193 Am Ende der neunziger Jahre wurden in Deutschland einige Wohnheime für Schwerbehinderte errichtet und werden inzwischen von Betroffenen auch bewohnt. Wie stellt sich eine Pflegetätigkeit und der Einzug in ein Wohnheim für chronisch kranke Patienten aus der Sicht des Betroffenen dar? Oftmals sind es die Angehörigen oder Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen, die die entsprechenden Schritte einleiten oder mit Behörden, Ärzten und Krankenkassen Kontakt aufnehmen. Neuerdings hat sich ein Berufsbild entwickelt, das diese Aufgaben übernehmen soll. Der sogenannte „Case Manager“, der bereits im Vorfeld einer kompletten Pflege tätig wird, übernimmt nicht nur die Einleitung der Pflege, sondern versorgt den Kranken im Vorfeld mit einer speziellen Zielsetzung: „Aufgabe der Betreuungsdienste ist es, diejenigen Elemente einer integrierten Versorgung chronisch Kranker bereitszustellen, die im gegenwärtigen System der ambulanten Versorgung nicht in ausreichendem Umfang zu realisieren sind“. 194 Dazu zählen der Kontakt zu allen Ärzten des Erkrankten, Hilfen bei Behandlungen und die Übernahme von Versorgungtätigkeiten. Insgesamt ist festzustellen, daß Therapie und Pflege von unheilbar kranken Medienrezipienten und Patienten zu den wichtigsten Themen einer gezielten Publikation gehören. Gleichzeitig sind es aber auch die schwierigsten Themen, denn Pflege, medizinischer Sachverstand und ärztliches Urteilsvermögen können von Medizinjournalisten nicht ersetzt werden. 192 Smelter, Susanne, Erfahrungen bei MS-Kranken, in: Chronisch Kranke pflegen: Woog, Pièrre (Hrsg.), Das Corbin-StraussPflegemodell, Wiesbaden 1998, S. 93. 193 Oberholzer, Daniel, Prozess-Evaluation der Implementation von neuen Wohn-, Aktivitäts- und Unterstützungskonzepten für körperbehinderte und chronisch kranke Menschen, Zug 1994, S. 36. 194 Häussler, Bertam / Schräder, Wilhelm F. / Mall, Werner, Konzeption des Modellprogramms „Betreungsdienste für chronisch Kranke“, in: Schräder, Wilhelm / Bohm, Steffen / Häussler, Betram / Schmidt, Detlef, Betreungsdienste für chronisch Kranke, Berlin 1998, S. 29. 93 4.6 Therapiebeispiel: Die Franke-Behandlung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Unter 4.5. wurde festgestellt, daß das Thema Therapie für chronisch kranke Patienten bei der Produktion einer Zeitschrift für diese Zielgruppe eine große Rolle spielt. Für die „Autoimmun“ war diese Erkenntnis schon deshalb sehr wichtig, da der Verleger und Arzt Franke selbst eine eigene Therapie für MSPatienten mit einem in Deutschland nicht zugelassenen Medikament entwickelte und anbot.195 Somit bestand eine der Hauptaufgaben darin, über die Franke-Behandlung in der der Zeitschrift „Autoimmun“ zu berichten. Viele Leser fragten ganz speziell nach Einzelheiten dieser Therapie. Aber auch eine große Zahl von Lesern, die noch nicht von Franke behandelt worden waren, wollten sich in der „Autoimmun“ darüber informieren. Das Informationsinteresse der Leser hatte viele Kontakte zu den Patienten zur Folge. Die Franke-Behandlung wurde von den ersten Tagen bis zur Versagung der Zulassung 1995 begleitet.196 Da Franke auch nach der Zulassungsversagung weiter Patienten behandelte, konnte der Datenbestand erweitert und gepflegt werden. Insgesamt konnten Erfahrungsberichte und Daten von 68 Personen (Untersuchungsgruppe 68 = UG 68), die alle von Franke behandelt wurden, gesammelt und dokumentiert werden. Hierbei erwiesen sich Fragebögen als ungeignetes Erhebungsmittel. Wie bereits in dieser Arbeit geschildert, litten viele Patienten unter körperlichen Defiziten und waren kaum in der Lage, die Bögen auszufüllen. Zudem wiesen eine Reihe von Patienten auf ihren Persönlichkeitsschutz hin und wollten anonym bleiben. Insofern konnte nur die telefonische Befragung als Erhebungsmittel eingesetzt werden. Es verging in der Autoimmun-Redaktion kaum ein Tag, an dem nicht ein Patient anrief und seine Erfahrungen mitteilte. Somit erhielten die Autoren der vorliegenden Arbeit die Möglichkeit, die Angaben der Patienten zu strukturieren und die Anrufer nach bestimmten Aspekten der Therapie zu befragen. Die gesammelten Angaben wurden in eine Datenbank eingegeben und regelmäßig vervollständigt. Bei der Darstellung der gewonnenen Daten erscheint es sinnvoll, einer Chronologie der Ereignisse zu folgen und entsprechende Patienten zu Wort kommen zu lassen. Die bereits geschilderte Medienpräsenz Frankes führte 1992 und 1993 zu einer verstärkten Patientennachfrage. Ende 1992 begann Franke mit den Behandlungen MS-kranker Menschen. 195 Die Franke-Therapie wurde mit der Substanz Deoxyspergualin durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen immunsuppressiven Wirkstoff, der bislang nur in Japan zugelassen ist. Dort wird er zur Behandlung von Abstoßungskrisen nach Nierentransplantationen eingesetzt. 196 Der Zulassungsantrag für Deoxyspergualin wurde von den Behringwerken Marburg gestellt. Die hundertprozentige HoechstTochter erhielt vom japanischen Hersteller Nippon Kayaku die Lizenz für eine klinische Studie. 94 Die neue Behandlung hatte spätestens im April 1993 mit einem Artikel im „Spiegel“ großes Aufsehen erregt.197 Auch Fachjournalisten gaben sich die Türklinke in die Hand. Kamerateams benötigten oft ganze Tage, um einen Beitrag zu produzieren. Ulla gehörte ebenfalls zu den Patienten aus dieser Zeit: „Ich habe mir fast die Finger wund telefoniert. Franke war nur sehr schwer an das Telefon zu bekommen. Aber wenn ich mit ihm doch sprach, machte er mir Hoffnungen. Er sagte, ich würde bald von ihm behandelt werden. Nun mußte ich warten. Ich habe mich kaum vom Telefon wegbewegt. Es war erst einige Monate her, daß ich von der Franke-Therapie erfuhr. Doch es schien schon eine kleine Ewigkeit zu sein. Ich las jeden Tag in seinem Buch und konnte den Therapiebeginn nicht mehr erwarten. Als es dann soweit war, habe ich vor Freude geweint.“198 Ulla ist eine der wenigen, die Frankes Buch gelesen hatte und deshalb auf Franke zugegangen sind. Über die Hälfte der Patienten aus der UG 68 sind durch die Medien auf Franke aufmerksam geworden (Schaubild 14). Über Frankes Methode wurde häufig nach der Erscheinung seines Buchs berichtet. Ohne sein Buch wäre die Presse kaum an ihn herangetreten. Wie wichtig die Rolle der Medien bei der Informationsversorgung erkrankter Menschen sind, wurde von dem Berliner Publizistikprofessor Winfried Göpfert und einer Projektgruppe untersucht. Unter dem Titel „Medienrezeption und Selbstmangement bei chronischer Krankheit“ wird den Medien bei Tumorpatienten ebenfalls eine tragende Rolle bei der Informationsbeschaffung eingeräumt. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im April 2000 veröffentlicht werden. Projektmitarbeiter Andrea Appel und Dietmar Jazbinsek wiesen bereits 1999 auf die Bedeutung von Krebsberichterstattung in den Medien für die Patientenreaktionen hin.199 197 Der Spiegel, 5. April 1993, Nr. 14, Editorial und Seiten 268 bis 274, „Die Angst vor dem Morgen“ 198 Franke, Niels, Geschenktes Leben, München 1991, 1. Auflage. 199 Appel, Andrea / Jazbinsek, Dietmar, Zwischen Horror und Hoffnung. Wie die Medien über Krebsmittel berichten und Patienten darauf reagieren, in: Günther, H. / Ehninger, G, Tradition und Fortschritt in der Onkologie, Regensburg 1999, S. 41. 95 Ohne die medizinischen Aspekte dieser Behandlung zu beleuchten, stellte sich die Frage, war es den Patienten bekannt auf welche Risiken (Wirkungen und Nebenwirkungen) sie sich einließen. Gernot arbeitet selbst im Pharmabereich. Seine Frau wünschte sich die Franke-Therapie, da bisher andere Heilversuche keinen Erfolg zeigten. „Ich war mir sehr genau der Problematik bewußt. Franke behandelte diese vielen Menschen mit einer nicht zugelassenen Substanz. Er hat sich für 6.000 Mark ein Gutachten von einem prominenten Juristen anfertigen lassen.200 Darin sollen die Grenzen seiner Behandlungsversuche beschrieben worden sein. Doch wie auch immer, diese Art von Behandlungen müssen sehr vorsichtig durchgeführt werden. Dabei müssen die Patienten besonders gut über die Situation aufgeklärt werden.“ 200 Das Gutachten wurde von Dr. Stefan König (Berlin) angfertigt und lautet: Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit einer Studie zur Erprobung der Wirksamkeit der Substanz Deoxyspergualin. 96 Die überwiegende Mehrheit der Befragten wußte darüber Bescheid, daß Frankes Medikament in Deutschland nicht zugelassen war (Schaubild 15). 1994 wurde die Redaktion der „Autoimmun“ nach Berlin verlegt. Weiter wurde in der „Autoimmun“ über die Behandlungsmethode berichtet. Die Anfragen der Leser zur Behandlung von Franke nahmen nicht ab. Viele neue Patienten stellten sich in den Redaktionsräumen vor und vermutetetn irrtümlich, daß Franke dort Behandlungen durchführen würde. Die Redaktion der „Autoimmun“ wurde für die Patienten zu einer Zentrale des Erfahrungsaustauschs. Zudem wurde ein Zulassungsbescheid vom damaligen Bundesgesundheitsamt für die Substanz zur Behandlung der MS erwartet. Wegen der komplexen Rechtslage interessierte uns, ob die Befragten das Gefühl hatten, ausreichend über die Wirkungen und Nebenwirkungen der Franke-Behandlung aufgeklärt worden zu sein. Nur knapp die Hälfte der Befragten Patienten fühlten sich wenig oder überhaupt nicht ausreichend über Wirkungen und Nebenwirkungen aufgeklärt (Schaubild 16). 97 Inzwischen wurden die Praxis vergrößert und Klinikprojekte geplant. Franke richtete sich auf größere Patientenzahlen ein. Über die Zulassung war immer noch nicht entschieden. Der medizinischen Nachversorgung wurde zu wenig Beachtung geschenkt. Um überhaupt noch Kontakt zu Franke zu haben, meldeten sich die Patienten bei der „Autoimmun“. Somit nahmen wir die Frage nach der medizinischen Nachversorgung mit den Fragenkatalog auf. Weit über 50 Prozent der Befragten empfanden die medizinische Nachversorgung durch Franke als unbefriedigend bis schlecht. Nur etwa jeder zehnte Privatpatient fühlte sich nach der Therapie befriedigend versorgt (Schaubild 17). 98 Die Preise für diese Therapie schwankten im Laufe der Jahre erheblich. Schwer kranke Menschen sind auf Hilfe angewiesen und jede winzige Chance, durch eine Therapie Erleichterung zu bekommen, wird genutzt. Dabei spielt Geld meistens keine Rolle. Wer das Geld nicht hat, muß auf eine Zulassung der Arznei hoffen. Erst dann übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Ein großer Teil der UG 68 war aus verständlichen Gründen nicht bereit, über die Kosten zu sprechen (Schaubild 18). Trotzdem konnten einige Daten über den Preis der Therapie gewonnen werden. 99 Im Sommer 1995 entschied das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über den Zulassungantrag der Behringwerke. Die Zulassung wurde mit der Begründung abgelehnt, daß ein negatives Nutzen-RisikoVerhältnis vorläge. In der Tat, die Ergebnisse der offiziellen Studie zeigten keine signifikanten Verbesserungen gegenüber den Placeboempfängern. Ferner veröffentlichte das „Bayerische Ärzteblatt“ einen Artikel, aus dem sich ergibt,, daß „im Einzelfall unvertretbare Nebenwirkungen“201 aufgetreten sind. Diese Meldung beruht auf einem Schriftwechsel zwischen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie, Frauen und Gesundheit.202 Darin heißt es: „Als häufigste, schwere, unerwünschte Wirkungen wurden akute Verschlechterungen des Zustandsbildes der MS angegeben.“ Weiter ist in diesem Schreiben nachzulesen: „Den Untersuchungen am Tier zufolge ist ein tumorigenes bzw. kanzerogenes Risiko nicht auszuschließen.“ 201 Bayerisches Ärzteblatt, 1/99, S. 30. Brief des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie, Frauen und Gesundheit vom 25. August 1998, liegt den Verfassern vor. 202 100 Die Ablehnungsliste der Mediziner findet kaum eine Ende und Begriffe wie „Blutbildschäden“, „knochenmarksschädigende Wirkung“ und „erhöhtes Infektionsrisiko“ werden genannt. Insgesamt kommt die Zulassungsbehörde zu dem Ergebnis: „Nach gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, daß unter der Behandlung von Deoxyspergualin im Einzelfall unvertretbare schädliche Wirkungen auftreten. Die Rezeptur können wir damit nicht als unbedenklich ansehen.“ Während die Behörde die Wirkungslosigkeit der Franke-Therapie 1995 offiziell attestierte, aber die Informationen über die Gefährlichkeit der Substanz vom Pharmaunternehmen Behringwerke zurückgehalten wurden, trafen sich in München und im Ausland viele Patienten. Alle wollten diese hoffnungsvolle Therapie erhalten. Zu diesem Zeitpunkt nahm die Zahl der Anfragen an die „Autoimmun“-Redaktion zu. Diese Gelegenheit konnte zur Vervollständigung der Untersuchungsgruppe 68 genutzt werden. Nach der Versagung der Zulassung wurde eine Frage in den Katalog aufgenommen, die das Ziel hatte, eine subjektive Einschätzung des Behandlungserfolges bei den Patienten zu erkennen. Nur knapp 8 Prozent sprechen von einem Erfolg der Therapie (Schaubild 19). Diese Daten ersetzen natürlich nicht die Ergebnisse einer professionell durchgeführten placebokontrollierten Doppelblindstudie. Aber sie geben die subjektiven Eindrücke der Patienten wieder. Und letztlich ist es doch der Patient, der von einer Therapie subjektiv profitieren soll. 101 Lutz gehörte zu den Patienten, die erst von Erfolgen sprachen und dann von Verschlechterungen berichteten: „Innerhalb eines Jahres wurde ich von meiner MS fast in den Rollstuhl getrieben. Mein Job und mein Studium war nicht mehr zu bewältigen. Es mußte einfach etwas passieren. Die Therapie bei Franke war dabei eine Chance. Ich nutzte sie, meine Eltern gaben mir das notwendige Geld dafür. Die Infusionen liefen unspektakulär in meinen Körper hinein. An den ersten Tagen merkte ich nicht viel. Nach einer Woche konnte ich an Krücken laufen und nach zwei Wochen ging es auch schon wieder mit einer dieser Gehhilfen ganz gut. Dann wurde ich wieder von Franke behandelt. Ich dachte, daß es jetzt nach der Behandlung noch besser sein würde. Aber da kam der große Hammer. Meine Schwindelanfälle wurden immer schlimmer und der Körper immer lahmer. Ein paar Tage später saß ich wieder im Rollstuhl. Dabei hatte ich riesige Angst vor weiteren Verschlechterungen. Mein rechter Arm fing auch an öfter zu zucken. Dann kam die dritte Behandlungsrunde, sie sollte alles herausreißen. Und außerdem erzählte mir Franke, daß ein zwischenzeitliches Tief völlig normal sei. Das hätte er auch bei anderen Patienten 102 beobachtet. Doch dann ging es immer weiter bergab mir mir. Meine kleine Studentenwohnung habe ich aufgeben müssen. Heute pflegen mich meine Eltern. Ob Frankes Therapie mich so tief in den Fahrstuhlschacht geworfen hat, weiß ich nicht.“ Die Aussage von Lutz steht für viele. Nach einer kurzen Verbesserung traten alte Symptome wieder hervor. Ob diese Therapie tatsächlich einen negativen Einfluß auf den typischen Krankheitsverlauf der MS hat, konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Möglich ist auch eine krankheitsübliche Verschlechterung der Symptome. Einige Patienten erlebten keine Talfahrt ihrer Krankheit, doch über durchschlagende Verbesserungen können sie auch nicht berichten, so wie Claudia: „Ich habe eigentlich während der Behandlung nicht viel gespürt. Mein Hausarzt warnte mich von der Therapie, aber ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, doch mal wieder mit dem Fahrrad durch den Wald zu fahren. Wenn ich mit meiner auch bei Franke behandelten Freundin spreche, der es sehr viel schlechter geht, dann habe ich wohl noch Glück gehabt. Bei mir ging das so zwei Jahren auf dem gleichen Level.“ Nach den gesammelten Eindrücken stellt sich die Frage, ob die Teilnehmer der UG 68 noch einmal eine Behandlung mit einem anderen nicht zugelassenen Medikament wiederholen würden (Schaubild 20). Erstaunlicherweise ist nur jeder fünfte Patient nicht zufrieden. 42,7 Prozent der Befragten würden eine solche Therapie – auch wenn das Risiko nicht vollends abschätzbar ist – wiederholen. 103 Die wohl häufigsten Gründe für dieses Verhalten liefert Herbert: „Ich weiß es doch selbst. Es praktizieren eine Menge schwarzer Schafe und wollen dir irgendeinen Mist verkaufen. Aber was soll ich machen? Wenn ich überhaupt nichts versuche, dann fühle ich mich neben meiner Krankheit auch noch mies. Also versuche ich alles. Zum Glück geht es mir finanziell noch einigermaßen, so daß ich für die Zukunft noch ausreichend Kapital besitze. Aber wer kaum Geld besitzt, hat da schon Probleme. Ich habe da schon wieder eine neue Therapie in Aussicht. Klingt alles nicht ganz so seriös, weil ich in die USA fliegen muß. Hier darf diese Methode nicht durchgeführt werden. Was habe ich denn zu verlieren? Nichts! Schlechter geht es mir jeden Tag, das ist das einzige was ich weiß. Und irgendwann, wenn nichts mehr geht, mache ich Schluß. Dafür habe ich auch schon vorgesorgt.“ Autoimmunkranke, insbesondere Patienten, die an fortschreitenden Krankheiten leiden, sind bereit, Heilversuche zu nutzen. Das Angebot dafür ist vorhanden und erreicht dank der Medien, die täglich über neue Wunder berichten, auch die entsprechenden Rezipienten und deren Geldbeutel. Die meisten der „Wunderheiler“ sind durch die ärztliche Therapiefreiheit auch 104 rechtlich abgesichert. Ein Patient sagte hierzu „Wenn schon, denn schon!“ Damit meinte er, wenn die Ärzteschaft frei therapieren darf, dann sollte aber eine Kontrolle möglich sein. Die wünscht er sich von staatlicher Seite. Aber diese Aussage steht nicht für alle Teilnehmer der UG 68 (Schaubild 21). Nur rund 40 Prozent der Befragten wünschen sich staatliche Kontrollen der Ärzte bei der Ausübung ihrer Therapiefreiheit gegenüber unheilbar Kranken. Geht man davon aus, daß ein solches Ansinnen auch nicht im Interesse der Ärztevertretungen liegt, so kann man hier schon von einer Allianz zwischen Ärzten und unheilbar Kranken sprechen. Die hier dargestellten Erkenntnisse über die Franke-Methode wurden in der Berliner „Autoimmun“-Redaktion dokumentiert. Auch wenn sie nicht nach streng empirischen Methopden erhoben worden sind, so geben sie doch einen Einblick in die Situation chronisch kranker Menschen, insbesondere deren Therapieanstrengungen. Für den redaktionelle Bereich der „Autoimmun“ kam dem Thema „Therapie“ eine besondere Bedeutung zu. 105 4.7 Zusammenfassung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Zur Bildung des Merkmals „Sensibilität“ konnten aus dem Kapitel „Die Rezipienten“ eine Reihe von Erkenntnissen gewonnen werden. Grundsätzlich wurde zunächst festgestellt, daß mediale Produkte im „Special-InterestBereich“ eine besondere Rezipientennähe erfordern. Mit dieser Leserkenntnis können ganz spezielle Interessen der Rezipienten bedient werden. Zunächst wurden Kenntnisse über Autoimmunkrankheiten und deren Symptome und Verläufe dargelegt. Ferner konnte gezeigt werden, daß das Arzt-Patientverhältnis bei den Konsumenten einer Informationszeitschrift eine wichtige Rolle spielt. Hierbei ist nicht nur die oberflächliche Beziehung zu berücksichtigen, sondern auch die Funktion des Arztes als Interaktionspartner. Zudem wurden die verschiedenen Krankheitsstadien von Autoimmunkrakheiten dargestellt. Hier konnte eine Forderung aufgestellt werden: Den einzelnen Stadien und ihrer psychologischen Bedeutung sollte in den Medien mehr sensible Beachtung geschenkt werden. Darüber hinaus konnten Erkenntnisse über verschiedene Patiententypen gewonnen werden. Ferner wurde ein Blick auf das soziale Umfeld chronisch kranker Menschen geworfen werden. Hierbei zeigte sich, daß medizinische Publikationen die Probleme der Angehörigen der Zielgruppe stärker berücksichtigen sollten. Hierzu konnten einzelene Verhaltensweisen herausgearbeitet werden. Ein weiteres zentrales Ergebnis der Fallstudie war die berufliche Situation. Es konnte gezeigt werden, mit welchen psychologischen Konflikten die Betroffenen konfrontiert sind. Dabei wurde zwischen den Verhaltensweisen von Arbeitgebern und Kollegen differenziert. Ein weiteres Ergebnis lieferte die Betrachtung der Selbsthilfegruppen. Sie sind Anlauf- und Informationsstellen. Zudem wurden die unterschiedlichen Positionen der Kranken zu diesen Kontaktstellen dargestellt. Abschließend wurde das Thema Pflege angesprochen und festgestellt, daß rechtliche Beratung und das Einfühlungsvermögen des sozialen Umfeldes stärkere Berücksichtigung in der Berichterstattung finden sollte. In einem weiteren Abschnitt wurde die wichtige Funktion von Therapien untersucht. Hierbei konnte die psychologische Komponente bei erfolgloser Heilbehandlung dargelegt werden. Desweiteren wurde in diesem Zusammenhang die besondere Stellung der Medien als Übermittler von Therapieangeboten hervorgehoben. Letztlich konnte festgestellt werden, daß die Rezipienten eine hohe Experimentierbereitschaft mit Therapien besitzen. Dabei sind sie bereit, auch von den schulmedizinischen Wegen abzuweichen. 106 5 5.1 Die Redaktion als „Partner“ Die Redaktion der „Autoimmun“ Bearbeiter: Christa Alheit Die Beschreibung der redaktionellen Tätigkeit läßt sich nicht statisch betrachten, sie war ein sich ständig ändernder Prozeß, der mehrere Entwicklungsstufen durchlief. Die genauere Betrachtung der Redaktionsgeschichte und -tätigkeit soll durch eine chronologische Darstellung erfolgen, die 1993 in München ihren Ausgang nahm. Die bayerische Landeshauptstadt war Ausgangspunkt für Behandlung von Multiple Sklerose-Kranken durch den Narkosearzt Niels Franke und der Herstellung der Zeitschrift „Autoimmun“. Nach zwei Ausgaben des Informationsblatts zeigte sich, daß ein viel breiteres Publikum angesprochen werden sollte. Der Mut zur damaligen Expansion hatte seine Wurzeln in einer optimistischen Aufbruchstimmung. Sollte Franke mit seiner Therapie tatsächlich den Durchbruch in der MS-Forschung schaffen, wäre es für Medizinjournalisten sehr interessant gewesen, dabei zu sein und exklusives Material zu besitzen. Allerdings muß hier eingeräumt werden, daß die Redaktion nicht aus Medizinern bestand. Somit war der Informations- und Wissensstand der Redaktion auf neurologischen Gebiet der MS-Therapie 1993 eher bescheiden. Hilfe von Seiten der Medizin war nötig. Unter dem Motto „Learning by doing“ wurde die Tätigkeit aufgenommen. Ein wesentlicher Aspekt mußte zu Beginn angegangen werden. Das Produkt „Autoimmun“ sollte in eine wissenschaftsjournalistische Form gegossen werden. Aber was ist Wissenschaftsjournalismus? Hier wurde von der Redaktion eine Formel entwickelt: „Unter Wissenschaftsjournalismus versteht man Publikationen, die sich mit Themen aus Natur- , Technik- oder Geistes- und Sozialwissenschaften befassen. Der Medizinjournalismus, Teil des Wissenschaftsjournalismus, spricht den Menschen oder Patienten direkt an, muß ihn also immer in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen heben. Hierbei steht der Autoimmunkranke nicht nur im Mittelpunkt, sondern er ist oft auch handelndes Subjekt in eigener Sache. Deshalb sollte eine Berichterstattung den Patienten nicht als völligen Laien darstellen, sondern ihn einbeziehen. Neue Trends und Entwicklungen sowie Alternativmediziner und Außenseiter sind nach kritischer Prüfung sachlich, möglichst mit einer Gegenmeinung, darzustellen, um eine Ausgewogenheit zu ermöglichen. Die eigentliche Aufklärungsarbeit müssen die Ärzte leisten.“ Bereits bei den ersten Ausgaben stellte sich ein weiteres Problem: Die Verständlichkeit von medizinischen Texten und die Umwandlung in verständliche Sprache. In der medizinischen Fachsprache werden vornehmlich für den Laien unverständliche Vokabeln verwendet. Somit gehören medizinische Fachpublikationen mit zu den schwierigsten Texten im 107 Bereich des Wissenschaftsjournalismus. Die überwiegende Zahl der Veröffentlichungen sind in englischer Sprache abgefaßt. Zudem müssen die lateinischen oder griechischen Bezeichnungen für Organe, Diagnosen, Krankheiten, Therapien usw. nicht nur übersetzt, sondern auch verständlich erklärt werden. Das Minimum der dafür erforderlichen Fachkenntnisse muß sich die Redaktion selbst aneignen. Hier ist darauf hinzuweisen, daß damit kein Medizinstudium ersetzt werden kann. Im Zuge der redaktionellen Arbeit sind viele Hilfsmittel nötig. Nicht nur einfache Fremdwörterbücher waren erforderlich, sondern auch spezielle Wörterbücher. Als weitere Hilfsmittel sollen hier klinische Fachwörterbücher (Englisch/Deutsch) genannt werden, weil viele Fachzeitschriften in englischer Sprache erscheinen. Eine „Entschlüsselung“ medizinischer Texte ist auch für den Fachredakteur ohne diese Hilfsmittel oft nicht möglich, es sei denn, er besitzt eine entsprechende Facharztausbildung und seine Karriere endet „bloß“ als Journalist. Doch wie funktioniert nun die „Entschlüsselung“? Die einzelnen Schritte bis zur Druckreife sahen bei der „Autoimmun“ wie folgt aus: Erstens wurden interessante Texte übersetzt und auf ihre Relevanz für das Zielpublikum geprüft. Falls sie als wichtig erachtet wurden, konnte eine erste deutschsprachige Rohversion in zielgruppengerechter Sprache verfaßt werden. In einem dritten Schritt kam es zur Überprüfung der Richtigkeit durch Recherche bei Fachärzten. Im Idealfall folgte dann ein Verständlichkeitstest mit einer kleinen ausgewählten Leserschaft. War das Ergebnis nun zufriedenstellend, wurde es überarbeitet und korrigiert bevor es illustriert wurde. Ohne die Unterstützung durch Ärzte und Wissenschaftler funktionierte die Arbeit nicht. Während dieser Arbeit war die Redaktion stets darauf angewiesen, Rücksprache in Bezug auf Richtigkeit und Ausgewogenheit zu halten. Hierbei wurde auf die Fachkenntnis von Ärzten und Wissenschaftlern zurückgegriffen. Oft können diese nicht nur die Verständlichkeit verbessern, sondern auch nützliche Quellen, Anregungen und Informationen geben. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, daß sich auch in der Medizin zu bestimmten Fragen verschiedene Meinungen polarisiert haben. Insofern schien es ratsam, sich über den Standpunkt des Befragten sachkundig zu machen. Besonders wichtig ist der Blickwinkel des Befragten, wenn es sich um Themen der Alternativmedizin oder der Naturheilkunde handelt. Die Unterstützung durch Wissenschaftler aus Pharmaunternehmen war problematisch. In erster Linie verfolgten sie das Ziel ihres Arbeitgebers und wollen ein Produkt in ein günstiges Licht stellen. Doch bei längeren Gesprächen konnten durchaus nützliche oder vertrauliche Informationen gewonnen werden. Die Pressestellen der Pharmaunternehmen trugen wenig zur Aufklärung und Hilfe bei. Die Unterstützung durch Krankenkassen war fragwürdig. Krankenkassen besitzen zwei Ansprechpartner. Zum einen die Pressestellen, die durch die 108 Veröffentlichung eigener Pressemitteilungen auf sich aufmerksam machen wollen. Neue medizinische Informationen oder Recherchehilfen fand man dort kaum. Unterstützung von staatlicher Seite für „Autoimmun“ (zum Beispiel durch das Bundesgesundheitsministerium oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) war selten. In der Regel verwies man auf den Datenschutz. Im wesentlichen wurde von allen Seiten ein großes Interesse an „Autoimmun“ signalisiert, jedoch hielt sich das tatsächliche Engagement für die Zeitschrift in Grenzen. Ab Januar 1995 wandelte sich das äußere Gesicht der „Autoimmun“. Es wurden Ikons zur Wiedererkennung eingeführt und eine leserfreundlichere Schrift verwendet. Aber nicht nur nach außen gab es Veränderungen. Innerbetrieblich griff die Redaktion zunehmend auf ständige oder freie Mitarbeiter zurück. In den Redaktionsräumen wurde ein Volontär ausgebildet und eine ständige Schlußredakteurin war mit Korrektur und Umbruch beschäftigt. Durch den Einsatz von Fremdautoren sollte eine größere sprachliche und thematische Vielfalt erreicht werden. Nach einigen Abstimmungsschwierigkeiten haben sich professionelle Wissenschaftsjournalisten als die geeigneten erwiesen. Ärzte, insbesondere Fachärzte, sind nach den Erfahrungen der Redaktion wenig einsetzbar. Sie kommen der Forderung nach einfacher und verständlicher Sprache nicht nach. Die Texte sind wenig interessant und zielgruppengerecht formuliert. Auch beim Redigieren der Texte wird kaum sinnvolle Hilfestellung geleistet. Die Redaktion mußte sich hierbei anderer Hilfsmittel bedienen. Wesentlich erfolgreicher ließ sich eine Zusammenarbeit mit Ärzten gestalten, wenn ein Interview mit ihnen geführt wurde. Durch präzise Fragestellung und nach einer sprachlichen Überarbeitung wurde das Ergebnis verständlicher und interessanter. In den Jahren 1995 bis 1997 hat sich ein effektiver Arbeitsstil entwickelt. Die Schwerpunkte der „Autoimmun“ waren festgelegt und wurden mit unterschiedlichen Themen bedient. Auf die bereits erwähnten Schwerpunkte Therapie, Forschung und medizinische Neuigkeiten soll jetzt hier nicht eingegangen werden. Vielmehr soll das Bemühen um allgemeine Vielfalt in der Zeitschrift anhand zweier Beispiele demonstriert werden. Einmalig wurde eine Schwerpunktausgabe zu einem historischen Thema veröffentlicht. „Autoimmun“ 3/97 trug den Titel „Götter in braun“ und befaßte sich mit der Aufarbeitung des Mordes an Kranken und Behinderten („Euthanasie“programm) während des Nationalsozialmus.203 In einer eigenen Untersuchung wurde eine personelle Kontinuität im Ärztlichen Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft nachgewiesen. Der Realisierung dieser Ausgabe lag der lange Wunsch der Redaktion, des Verlegers und einiger Leser zu Grunde, sich mit diesem Thema 203 Autoimmun, Nr. 3, Juni/Juli 1997, S. 2-15. 109 auseinanderzusetzen. Außerdem ergab eine erste Proberecherche bereits, daß die Medizingeschichte hier Lücken aufwies. Noch während der Untersuchung mit medizinhistorischen Quellen zeigte sich, daß dieser Themenausschnitt noch in einigen Gebieten völlig unerforscht geblieben ist. Die Darstellung dieser Schwerpunktausgabe unterschied sich von allen anderen „Autoimmun“-Ausgaben. Wegen der ermittelten Forschungslücken wurden die Ergebnisse mit Nachweisen und Quellen belegt. Der Umfang dieses Themas war zu groß für eine vierseitige Titelgeschichte, somit wurde die Form einer Schwerpunktausgabe gewählt und die „Autoimmun“ einmalig in ihrem Umfang erweitert. Zur Absicherung der Untersuchungsergebnisse wurde mit Experten der NS-Geschichte zusammengearbeitet.204 Die Reaktionen auf diese Ausgabe waren unterschiedlich. Sie reichten von Ablehnung („ist doch alles schon vorbei“ und „was soll dieses Thema hier?“) bis Zustimmung („endlich sagt mal einer was“ und „kein Wunder, daß uns Kranken heute keiner helfen will und kann“). Die Forschungsergebnisse wurden 1997 von Ernst Klee in seinem Buch zu Menschenversuchen im Nationalsozialismus berücksichtigt. In einer Anmerkung dankt er der Redaktion.205 Eine weiteres Beispiel, das das Bemühen um Vielfalt im Blatt demonstrieren soll, liegt im Entertainment. In der „Autoimmun“ erschienen regelmäßig Themen mit unterhaltendem Charakter. Die Entscheidung dazu stützte sich auf vier Gründe. Erstens verstärken unterhaltende Themen die Leser-BlattBindung. Über Rätsel und Preisausschreiben wurden die Leser der „Autoimmun“ in die Publikation einbezogen und betrachteten das Medium in gewisser Weise als das „ihre“. Dies verstärkte wiederum den Informationsfluß von Lesern in Richtung Redaktion. Zweitens erzeugte die ständige Präsentation von komplexen medizinischen Sachverhalten beim Rezipienten eine Lesemüdigkeit, wie Umfragen unter den Lesern ergeben hatten. Zudem verursachen Themen, die sich mit Krankheit befassen, ein negatives Gefühl beim ohnehin erkrankten Leser. Hier war es erforderlich, positive Momente in die Zeitschrift einzubringen. Drittens eignen sich unterhaltende Themen zum Transfer von Wissenschaft. Andere Medien nutzen die Möglichkeit bereits, wie z.B: „Globus“, „Abenteuer Forschung“, „Kopfball“, „PM“ und andere. Hier wird versucht, Wissenschaft unterhaltend anzubieten. Und schließlich wurde in der bereits 1995 204 Prof. Dr. Wolfgang Scheffler (Historiker und Gutachter bei NSProzessen) verfaßte das Editorial zu dieser Ausgabe, Oberstaatsanwältin Helge Grabitz (Anklägerin bei vielen NSGVerfahren) stand für ein Interview zu Verfügung und Ernst Klee (Journalist und Verfasser mehrerer Standardwerke zum nationalsozialistischen Krankenmord und der Rolle der Medizin im Nationalsozialismus) half bei der Recherche. 205 Klee, Ernst, Auschwitz - die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 1997, S. 77. 110 durchgeführten „Autoimmun“-Leseranalyse erkannt, daß bei den Lesern der Wunsch nach Unterhaltung und Information gleichzeitig besteht. Natürlich veränderte die „Autoimmun“ im Laufe der Jahre ihr Gesicht. Dennoch soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, eine Musterausgabe vorzustellen. Dabei werden die ständigen Rubriken der Zeitschrift anhand von Beispielen dargestellt. Das Aushängeschild einer Printpublikation ist die Titelseite. Dort werden nicht nur die Themen einer Ausgabe vorgestellt, sondern sie zeigt auch den Standpunkt der Blattmacher. Bei im Zeitschriftenhandel angebotenen Blättern kommt der Titelseite auch noch eine zum Kauf anlockende Funktion zu. Als reines Abonnentenblatt brauchte sich „Autoimmun“ nicht um die Anlockungsfunktion der Titelseite zu kümmern. Bei medizinischen Blättern sollte die Titelseite ein entsprechendes Aussehen haben. Die Aufmachung sollte bereits einen Bezug zum Inhalt besitzen oder mit Symbolen arbeiten. Bis zur Ausgabe 4/94 nannte sich „Autoimmun“ noch „Autoimmun News“. Ab 4/94 wurde das Wort „News“ entfernt. Die optische und graphische Darstellung der Titelseite wurde variiert. Im Laufe der Jahre entwickelte die Redaktion verschiedene Modelle. Im Ergebnis lassen sich folgende Formen unterscheiden: 1. Neutrale bis naive Malerei als Titelbild. In mehreren aufeinander folgenden Ausgaben wurden Werke der Malerin Gudrun von Leitner aus Paris verwendet. Die Künstlerin stellte der Redaktion unentgeltlich ihre Bilder zur Verfügung.206 2. Bei prägnanten Titelthemen wurden Situationen oder Szenen nachgestellt und fotografiert. Dem Arzt einer Doppelblindstudie wurden zum Beispiel mit zwei Augenklappen beide Augen verbunden. Damit sollte auf die Problematik hingewiesen werden, daß auch der Arzt einer solchen klinischen Studie nicht weiß, ob er dem Patienten ein Medikament oder ein Scheinpräparat (Placebo) gibt.207 In der Titelgeschichte wurde dann das Thema ausführlich behandelt. 3. In einzelnen Fällen wurde vollständig auf Illustration der Titelseite verzichtet. Der Text auf der Titelseite sollte damit seine Wirkung ohne jegliche Ablenkung erreichen und erhöhen.208 4. Neutrale Fotos aus der Natur mit symbolischem oder beruhigendem Charakter wurden dann bemüht, wenn das Titelthema keine sinnvolle Illustration zuließ.209 Nach dem Aufschlagen des Blattes wurden die Leser mit dem Inhaltsverzeichnis und dem Editorial begrüßt. Das Editorial war eine ständige Rubrik auf Seite 3. Gedacht war es als Anmoderation für die vorliegende Ausgabe. Die Quintessenz des gesamten Inhalts sollte in persönlicher Sprache dargeboten werden. Bei Themen, zu denen die Redaktion eindeutig 206 Zm Beispiel: Titelseite von Autoimmun, Nr. 2, April/Mai 1994. Zm Beispiel: Autoimmun, Nr. 5, Oktober/November 1994, Titelseite. 208 Zm Beispiel: Autoimmun, Nr. 2, April/Mai 1996, Titelseite. 209 Zum Beispiel das Foto von der schottischen Küste auf der Titelseite der Autoimmun, Nr. 5, Oktober/November 1997, Titelseite. 207 111 Stellung bezogen hatte, wurde das Editorial auch als Forum zur Kommentierung benutzt. Das Editorial sollte ein Brief an die Leser sein. Die Leser wurden somit auch als „Liebe Leserinnen, liebe Leser“ angesprochen. Wegen dieser persönlichen Anrede wurde der Druck des gesamten Editorials kursiv gehalten. Unterschrieben wurde das Editorial mit „Ihre Redaktion“. In einer einzigen Ausgabe wurden aufgrund von Leseranfragen die Fotos der Redaktion veröffentlicht. Damit sollten die Leser den Eindruck erhalten, daß es sich bei der „Autoimmun“ nicht um ein gesichtsloses Blatt handelt. Dennoch hält Klaus H. Grabowski bei allen Bemühungen die journalistische Arbeit für weitgehend entpersönlicht.210 Dies trifft damit auch auf die sogenannten Editoriale zu. Unterlegt wurde das Editorial mit einem Zitat, das zum Schmunzeln oder Nachdenken einladen sollte. Hierbei wurden Inhalte verwendet, die entweder medizinischen Ursprungs waren oder sich durch eine erfrischende Doppeldeutigkeit auszeichneten. Ein Beispiel soll das Anliegen verdeutlichen: „Neue Heilmethoden - Berühmt zu werden liegt an dem: Du mußt begründen ein System! Such was Verrücktes und erkläre, daß alles Heil im Kuhmist wäre, dem, auf die Wunde warm gestrichen, noch jede Krankheit sei gewichen, und den, nachweislich, die Azteken geführt in ihren Apotheken. Hält man dich auch für einen Narren, du mußt nur eisern drauf beharren, dann fangen immer einige an zu glauben, es sei doch was dran, und du gewinnst dir viele Jünger, die deine Losung: „Kraft durch Dünger“ streng wissenschaftlich unterbauen und weiterkünden voll Vertrauen!“211 Eine weiteres Element der dritten Seite war die Rubrik „nach Redaktionsschluß“. Das Allerneuste oder die letzte Aktualität wurden hier den Lesern präsentiert. Er sollte das Gefühl bekommen, daß die Redaktion keine Mühen und Anstrengungen scheut, um auch in allerletzter Minute die Leser über wichtige Dinge zu informieren. Themen, die hier plaziert wurden, sind in späteren Ausgaben teilweise vertieft worden. Nach der dritten Seite begann das Titelthema mit unterschiedlicher Seitenlänge. Die Recherchen dazu wurden früh. Das Titelthema sollte ein Thema von möglichst vielen Seiten aus betrachten, aber nicht die gesamte wissenschaftliche Tiefe abdecken. Waren es zu Beginn noch häufig therapeutische Themen, so entwickelte die Redaktion nach der Versagung der Zulassung des von Franke verwendeten Medikaments ein Konzept, das auch aktuelle und übergreifende Themen zum Gegenstand hatte. In der 210 Grabowski, Klaus H.; Strukturelle Probleme des Wissenschaftsjournalismus in aktuellen Massenmedien – Eine soziologisch-kommunikationswissenschaftliche Untersuchung, Bochum 1982, S. 45. 211 Gedicht von Eugen Roth, abgedruckt in Autoimmun, Dezember/Januar 1997/1998, Nr. 6, S. 3. 112 redaktionellen Nachbearbeitung wurde das Titelthema weiter beobachtet und dokumentiert. Ein lebhaftes Beispiel hierfür ist der Artikel „Gesundheitsrisiko Amalgam“, der zu einem Risiko für den Autor wurde.212 Der sorgfältig recherchierte Artikel wurde von einem mit zahnmedizinischen Themen vertrauten Autor verfaßt und verriet durchaus interne Kenntnisse. Prompt meldete sich bei der Redaktion die Zahnarztkammer aus Schleswig-Holstein und verlangte den Namen des Autors, um entsprechende Schritte gegen ihn einzuleiten. Dabei schreckte die Lobby der Zahnärzte nicht vor persönlicher Bedrohung der Redaktionsmitglieder zurück. Nächtliche Anrufe unter privater Telefonnummer sollen hier als Beispiel genannt werden. Es versteht sich von selbst, daß der Autor geschützt wurde. Mit dem bereits vorgestellten Schwerpunktthema „Therapie“ war die Rubrik „Forschung“ eng verknüpft. Diese redaktionelle Rubrik hatte sich zum Ziel gesetzt, über Grundlagenforschung, theoretische Ansätze und vorklinische Experimente zu berichten. Als feste Einrichtung im Blatt erhielt sie die Überschrift „Aus Universitäten und Labors“. Die Rubrik wurde von der „Therapie“ getrennt, die Heilverfahren bereits am Menschen anwendete. Der Leser sollte ein „Nahe-dran-Gefühl“ bekommen. Er sollte sich sicher sein, daß er nichts verpassen würde, wenn er „Autoimmun“ weiter liest. Laut der 1995 durchgeführten Leseranalyse erhielt diese Rubrik überdurchschnittlich gute Noten. Immer wieder wurde die Redaktion nach den Adressen der Pharmafirmen und Universitäten befragt, die noch im vorklinischem Bereich zum Teil mit Tieren experimentierten. Die Pharmabranche machte des öfteren deutlich, daß sie nicht über diesen vorzeitigen Informationsfluß in Richtung Patienten glücklich sei. Die Redaktion stellte sich auf den Standpunkt, daß jeder Mensch, auch ein kranker, das durch das Grundgesetz garantierte Recht habe, sich auch aus wissenschaftlichen Quellen frei über neue Entwicklungen zu informieren.213 „Autoimmun“ fungiere hierbei lediglich als Medium zwischen den Parteien. Nicht immer forschte man an medizinischen Neuheiten. Ein enthüllendes Beispiel dafür waren die Ergebnisse über den in vielen Lebensmitteln enthaltenen Süßstoff „Aspartam“.214 Unter der Überschrift „Krank durch Süßstoff“, wurde das Ergebnis eines Tierversuchs geschildert. Bei diesem Versuch gab man 320 Ratten „Aspartam“ ins Futter, eine ebenso große Gruppe erhielt keinen Süßstoff. Zwölf Tiere aus der „Aspartam“-Gruppe erkrankten an bösartigen Hirntumoren, in der anderen Gruppe blieben alle 212 „Gesundheitsrisiko Amalgam“ erschien in Autoimmun, August/September 1996, Nr. 4, S. 4-7. 213 Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz gibt jedem Menschen das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. 214 Der Artikel „Krank durch Süßstoff“ wurde in Autoimmun, April/Mai 1997, Nr. 2, S. 9, veröffentlicht. 113 Tiere gesund. In einem Extrakasten wurden „Aspartam“haltige Lebensmittel aufgelistet. Kaum erschien die unbedeutende „Autoimmun“ in der Medienwelt, erreichten die ersten Briefe die Redaktion. Rechtsanwälte und Öffentlichkeitsarbeiter drängten die Redaktion zu einer Revidierung des Artikels in der folgenden Ausgabe. Auch hier gingen die Angreifer bis in den privaten Bereich. Offenbar kamen diese Attacken zu spät, denn „Antenne Bayern“ hatte sich für dieses Thema bereits interessiert und der RTL-Schocker „Explosiv“ wollte ganze fünf bis sieben Minuten über Hirntumore, die durch „Aspartam“ verursacht wurden, senden. Die Redaktion der „Autoimmun“ sollte den Beitrag verfassen. Allerdings wünschte sich die „Explosiv“-Redaktion einen Patienten der mehr tot als lebendig unter seinem Hirntumor litt und alle Schuld für sein bevorstehendes Ableben dem Süßstoff gab. Dieser Forderung kam die „Autoimmun“Redaktion nicht nach, obwohl sich ein Krebspatient genau für diese Äußerung zur Verfügung stellen wollte. Im Ergebnis ließ der Süßstoffhersteller Nutra Sweet die „Autoimmun“-Journalisten in Frieden. Eine lebendige Rubrik war die „Reportage“, die auch mehrmals das Titelthema stellte. Inhaltlich wurden medizinnahe oder patientenorientierte Themen bearbeitet und veröffentlicht. Zwei Themen der „Autoimmun“ sollen dies verdeutlichen. Unter der Überschrift „Behindertengerechte Fahrzeuge: Kein Ruhmesblatt für die Autoindustrie“ befragte der Motorjournalist Jürgen Schrameck verschiedene Autohersteller nach Möglichkeiten, behindertengerechte Autos zu erwerben.215 Das Ergebnis war nicht zufriedenstellend, nur VW und Fiat bildeten Ausnahmen. Abgesehen von den enormen Anschaffungskosten, müssen sich Kunden auf Probleme bei der Suche solcher Fahrzeuge einstellen. Das zweite Beispiel: Was bringt uns die Medizin aus dem Weltall? Dieser Frage ging die „Autoimmun“ nach und kam zu dem Ergebnis, daß kaum therapeutische Neuheiten zu erwarten sind. Dafür aber kann die Grundlagenforschung einige Anstöße durch Versuche im Orbit erhalten.216 Eine wesentliche Rubrik der „Autoimmun“ war das Medizin-Lexikon. Das wurde insbesondere deshalb aufgenommen, um dem Leser beim Gang durch die komplexen Texte entsprechende Hilfsmittel anzubieten. Der Umgang mit der schwierigen medizinischen Fachsprache sollte damit erleichtert werden. „Autoimmun“ erklärte bis zur Ausgabe April 1994 häufig verwendete Begriffe. Ab Juni 1994 wurden einige im Text vorkommende Begriffe belassen und als Kursivdruck gekennzeichnet. Auf der vorletzten Seite wurden diese alphabetisch aufgelistet und erklärt. Dies störte nach einer Umfrage den Lesefluß, weil ein ständiges Blättern erforderlich war. Ab August 1995 wurde dieses System abgeschafft und durch das „Stichwort“ ersetzt. Erklärungen wurden nun im Text selbst geliefert. Das Stichwort 215 Der Artikel erschien in: Autoimmun, Februar/März 1995, Nr. 1, S. 8-10. 216 Nachzulesen in: Autoimmun, Juni/Juli 1996, Nr. 3, S. 12-13. 114 befaßte sich mit häufig verwendeten Begriffen und erklärte sie umfangreicher. Dazu wurden nützliche Hintergrundinformationen veröffentlicht und ein Teil mit Serviceadressen und Literaturtips angeboten. Damit konnte beim Leser ein besseres Verständnis erreicht werden. Begriffe wie Myelin, Hippotherapie und andere konnten erklärt werden. Im weiteren Verlauf wurden auch aktuell in der Medienlandschaft häufig genannte Modewörter wie zum Beispiel Ozon und BSE mit wissenschaftlichem Hintergrund erläutert. „Tips und Urteile“ war eine ständige Rubrik in der „Autoimmun“. Das Ziel war es, aktuelle Gerichtsurteile in verständlicher Sprache wiederzugeben. In einzelnen Fällen wurden aus Gründen der besseren Verständlichkeit Fallbeispiele verwendet. Es wurden Fälle aufgegriffen, die Leser an die Redaktion herantrugen. Aber auch neueste Rechtsprechung wurde den verschiedenen Fachzeitschriften entnommen. Die Rechtsgebiete Medizinrecht, Sozialrecht, Arztrecht, Steuerrecht und Behindertenrecht galten als besonders beachtenswert. Abgerundet wurde die Rubrik mit einem nützlichen Tip, wie zum Beispiel dem Hinweis auf einen neu erschienenen Reiseführer für Schwerbehinderte. Ein großes Anliegen der Redaktion bestand darin, die Leser zu Wort kommen zu lassen. In der Frühphase veröffentlichte die „Autoimmun“ persönliche Geschichten der Leser. Hierbei sollten die Probleme der Leser bei der Bewältigung ihrer Krankheit dargestellt werden. Wie bereits erwähnt, fand diese Rubrik keine besonders gute Benotung durch die Leser und wurde deshalb eingestellt. Auch das Leserpodium schnitt bei den Leseranalysen nicht besonders gut ab. Doch hierbei gingen die Meinungen der Befragten weit auseinander. Und somit wurde die Rubrik bis zur Einstellung der Zeitschrift beibehalten. Sie verfolgte zunächst das Ziel, die Meinungen der Leser zu redaktionellen Themen zu veröffentlichen. Später wurden im „Leserpodium“ auch vereinzelt kontroverse Diskussionen geführt. Die Veröffentlichung der Leserbriefe erfolgte mit Rücksprache der Absender. Sie wurden dem Sinn nach gekürzt. Leserbriefe wurden häufiger von Frauen verschickt als von Männern, wenn auch nicht in der Häufigkeit wie Inke Deichmann bei einer Untersuchung der medizinisch interessierten Leserbriefe in den Illustrierten „Freizeit Revue“, „Neue Welt“ und „Goldene Gesundheit“ festgestellt hat.217 Viele Leserbriefschreiber wollten wegen ihrer Krankheit anonym bleiben. Sie befürchteten berufliche und persönliche Nachteile oder Probleme. Somit entschied sich die Redaktion dazu, alle Autoren von Leserbriefen zu anonymisieren. Einmalig wurde ein offener Brief in der „Autoimmun“ veröffentlicht. Das Ziel bestand darin, eine scheinbar festgefahrene gesundheitspolitische Diskussion neu in Gang zu setzen.218 217 Deichmann, Inke, „An Dr. Sommer und Co…“ – Illustrierte als medizinische Ratgeber, Münster 1998, S. 70. 218 Der offene Brief an den Bundesminister für Gesundheit Horst Seehofer erschien in Autoimmun, Februar/März 1996, Nr. 1, S. 6. Er befaßte sich mit der MS-Forschung, kritisiert ein schädliches Forschungsmonopol unter Ärzten und eine unklare Geldpolitik. 115 Schon seit Beginn plante die Redaktion eine Verbindung zwischen der Medizin und den Medien. Die Darstellung und Auswertung medizinischen Themen in medialen Produkten gewinnt immer mehr an Bedeutung.219 Die Rubrik „Medizin in den Medien“ wurde im April 1995 erstmalig in die „Autoimmun“ aufgenommen. Von da an war sie eine ständige Einrichtung. Hier wurde eine Auswahl von TV-Tips für die zwei darauffolgenden Monate auf einer Farbseite veröffentlicht. Diese Auswahl beschränkte sich auf TVSendungen mit medizinisch-wissenschaftlichem Hintergrund. Auch Spielfilme, die wissenschaftliche Handlungen zum Gegenstand hatten, wurden angekündigt. Genannt wurden Sender, Datum, Titel der Sendung, Uhrzeit und eine kurze Inhaltsangabe. Ein Problem bestand darin, daß viele Sender kaum über eine Zweimonatsplanung verfügten, so daß aktuelle Sendungen wegen der Erscheinungsweise der „Autoimmun“ nicht berücksichtigt werden konnten. Die Redaktion entschied sich aus den zur Auswahl stehenden Tips für einen besonderen TV-Tip, der dann mit Fotomaterial des Senders illustriert wurde. In der Rubrik „Medien“ wurden auch regelmäßig Bücher besprochen. Hier wurden die Bücher dargestellt und einige kommentiert. Rezensionen wurden zu Büchern durchgeführt, die sich mit einem medizinischen oder sonstigen wissenschaftlichen Thema befaßten. Es wurde auch auf Unterhaltungslektüre zurückgegriffen, wenn diese einen wissenschaftlichen Hintergrund hatte. Wurde in der „Autoimmun“ eine Thema redaktionell bearbeitet und ein dazu passender Literatur-Tip gefunden, so wurde er an dieser Stelle vorgestellt. Die Realisation sah so aus, daß das entsprechende Buch abgebildet und mit den jeweiligen Daten (Verlag, Autor, Preis und Seitenzahl) vorgestellt wurde. Im Anschluß folgte eine Inhaltsangabe. Rezensionen der „Autoimmun“ wurden auch als Klappentext für andere Neuerscheinungen verwendet.220 Im Sommer 1997 erfuhr die Redaktion von der Einstellung der „Autoimmun“. Der verlegende Arzt Franke begründete diesen Schritt mit finanzieller Not. Es wurden noch drei Ausgaben hergestellt. 219 Barbara von der Lühe, Technische Universität Berlin (Institut für Kommunikations-, Medien- und Musikwissenschaft), führt medizinische Informationen am Beispiel der Organtransplantation mit medialen Produkten zusammen. Neben einer streng medizinischen Darstellung soll auf einer Internet-Seite die Betrachtungsweise und ein Problembewußtsein zum Thema durch eine Filminterpretation angeboten werden. 220 Lynch, Patrick, Omega, München, 1998, Klappentext: „Ein intelligenter Wissenschaftskrimi, der in seiner Päzision und Hintergründigkeit den Virus-Thriller Outbreak weit übertrifft Autoimmun, Neues aus der Medizin über Ground Zero“. 116 5.2 Eine Zeitschrift für Kranke und die Quellen der Erkenntnis für Leser und Redaktion Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher In Abschnitt 4.6. wurde die Franke-Behandlung beschrieben. In dem dargestellten Spannungsfeld sind zwei Phasen zu unterscheiden. Die erste Phase dauert etwa von 1993 bis 1995. In diesem Zeitraum berichtete das Blatt häufig über die Franke-Therapie und bemühte sich dabei um eine verobjektivierte Darstellung. Von Mitte 1995 bis zur Einstellung der „Autoimmun“ Ende 1997 tritt die Franke-Behandlung in den Hintergrund. Stattdessen werden andere Therapieansätze dargestellt und allgemeine medizinische Themen aufgegriffen.221 Insgesamt gilt jedoch für beiden Phasen der „Autoimmun“ die Prämisse, daß der Kranke im Vordergrund sämtlicher Ausgaben gestanden hat und mit Informationen zu versorgen war. Hierzu verwendete die Redaktion die bereits vorgestellten Ergebnisse aus den Befragungen der UG 104. Das gewonnen Bild von der Zielgruppe „Kranke“ ist aber damit noch nicht komplett. Neben den Erkenntnissen zur sozialen und psychischen Lage der Leser erforderte die lesernahe Produktion weitere Informationen über die Rezipienten und ihrer Situation: Welche Rechte besitzt eigentlich der Leser? Insbesondere der Leser, der durch chronische Krankheit stark eingeschränkt ist. Hat er einen Anspruch auf neueste medizinische Informationen? Welche Quellen stehen ihm zur Verfügung? Was für Rechte hat der Patient überhaupt? (Schaubild 22) 221 Folgende Titelthemen sollen als Beispiele genannt werden: „Die Angst zu ersticken - Asthma“ (Autoimmun, Oktober/November 1995, Nr.5), „Stiefkind Schmerztherapie“ (Autoimmun, Dezember 1995/Januar 1996, Nr.6), „Creutzfeld-Jakob-Krankheit“ (Autoimmun, Juni/Juli 1996, Nr.3), „Gesunheitsrisiko Amalgam“ (Autoimmun, August/September 1996, Nr.4), „Elektrosmog“ (Autoimmun, Oktober/November 1996, Nr.5), „Durchblick: Zum Arzt oder zum Heilpraktiker?“ (Autoimmun, April/Mai 1997, Nr 2), „Götter in Braun“ (Autoimmun, Juni/Juli 1997, Nr.3) und „Impfzwischenfälle: Ernst nehmen, aber nicht dramatisieren“ (Autoimmun, Oktober/November 1997, Nr.5). 117 Grundsätzlich besteht ein Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme in alle seine durch Arzt oder Klinik erhobenen Daten. Darunter fallen in erster Linie sämtliche Diagnosedaten. Ferner kann der Patient vom Arzt einen Überblick über alle möglichen schulmedizinischen Therapien verlangen, die seine spezielle Krankheit betreffen. Vor und während einer bestimmten angezeigten Therapie hat der behandelnde Arzt eine Aufklärungspflicht. Diese beinhaltet 118 eine Aufklärung über den Therapieverlauf, mögliche Komplikationen, Nebenwirkungen, Heilungschancen und Erfolgsaussichten.222 Diese Rechte des Patienten umfassen, daß der Patient in einer für ihn verständlichen Sprache vom Arzt informiert und aufgeklärt wird. Der Verständnishorizont des Patienten ist zu beachten.223 Die Bedeutung einer verständlichen Aufklärung steigt ständig an. In den Niederlanden müssen Medizinstudenten während ihrer Ausbildung Tests durchführen, bei denen geprüft wird, ob sie den Patienten in verständlicher Form informiert haben. Vom Ausgang dieses Tests hängt das Bestehen des Examens ab. Nur eine einmalige Wiederholung ist möglich.224 Der Arzt ist zwar nicht verpflichtet, sämtliche Details dem Patienten darzulegen, jedoch sollten seine Erklärungen den wesentlichen Anteil („im Großen und Ganzen“) einer Therapie umfassen. Auf spezielle Rückfragen des Patienten muß der Arzt ebenfalls verständlich Auskunft erteilen. Die Benutzung von Broschüren und Formularen ist zwar als Ergänzung zulässig, darf aber das vertrauliche Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patienten nicht ersetzen.225 Diese Rechte gelten nur für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, also für den Einzelfall. Eine allgemeine, breite und publizistische Aufklärung von Patienten, insbesondere von Autoimmunkranken, existiert nicht. Eine Aufklärungspflicht, die eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung oder ein Patientenkollektiv betrifft, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Somit besteht auch kein Anspruch der breiten Masse auf Informationen über neueste wissenschaftliche Ergebnisse. Diese Funktion versucht die sogenannte Laienpresse zu übernehmen. In der Praxis ist es hierbei dem Zufall überlassen, welche neuen Erkenntnisse und weitergehende Informationen den Patienten erreichen. Ein undurchsichtiger Filter in den Redaktionen, ein stärker werdender PR-Arm der Pharmaindustrie und oftmals anzutreffende Inkompetenz in den Redaktionen scheinen das Bild in der Praxis zu bestimmen. Diese Tatsache macht eine breite und kompetente Veröffentlichung von medizinischen Themen für den Laien sehr schwierig. Der Patient hat zwar einen individuellen Anspruch auf ganz bestimmte Information in verständlicher Sprache, jedoch kein Recht auf breitenwirksame Aufklärung. Doch welche individuellen Informationsquellen stehen dem Kranken zur Verfügung? Sein erster Weg führt zum Arzt oder Facharzt. Dort erhält er die notwendige medizinische Versorgung. Aus Zeitgründen erteilen die meisten Ärzte nur wenig Auskunft über die Krankheit und noch seltener geben sie Hintergrundinformationen weiter. Fragen der Patienten werden in den meisten 222 Vergleiche: Eisner, Beat, Die Aufklärungspflicht des Arztes, Bern 1992, S. 73. 223 Hierzu: Landgericht Hannover, 1980, Aktenzeichen: 11 S 244/80. 224 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 9. 1998, S. 7. 225 Laufs, Adolf, Arztrecht, München, 1993, Randnummer 127. 119 Fällen nur unzureichend beantwortet. Damit werden Ärzte oft ihrer Informationspflicht nicht gerecht. Die überwiegende Zahl der Autoimmunkrankheiten begleiten den Patienten über einen längeren Zeitraum oder das ganze Leben. Damit besteht für den Patienten ein ständiger Informationsbedarf. Dieser erhöht sich durch die Tatsache, daß ein Patient eigene Maßnahmen zur Verbesserung oder Linderung seiner Krankheit ergreifen will. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen werden von den Ärzten häufig ausgeklammert. Viele Ärzte empfehlen ihren Patienten, einer Selbsthilfegruppe beizutreten. Für nahezu jede Autoimmunkrankheit existiert eine Selbsthilfegruppe oder organisation. Ausnahmen bilden Krankheiten, die nur vorübergehend auftreten oder die wegen ihres schnellen Verlaufs bald zum Tode führen. Unbekanntere Autoimmunkrankheiten werden von großen Selbsthilfeorganisationen mit abgedeckt.226 Die meisten Selbsthilfegruppen oder -organisationen gliedern sich in Bundesverband, Landesverbände und Ortsgruppen. Sie finanzieren sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und staatlichen Unterstützungen. Wegen ihrer sozialen Kompetenz und Beratung in Lebensfragen haben die Gruppen einen wichtigen Stellenwert im sozialen Bereich erreicht. Aus der Sicht der Mitglieder bilden diese Vereine einen Treffpunkt zur Kommunikation und zum Erfahrungsaustausch sowie eine Möglichkeit der Isolation zu entfliehen. Selbsthilfegruppen oder -organisationen geben über ihre Bundes- oder Landesverbände sehr oft eigene Publikationen an ihre Mitglieder heraus. Der Inhalt dieser Schriften ist zum überwiegenden Teil weniger mit medizinischen Themen besetzt. Häufiger finden sich dort vereins- oder verbandsinterne Mitteilungen oder Ehrungen von verdienten Mitgliedern. Ferner werden Hilfsmittel für den alltäglichen Gebrauch vorgestellt oder kulturelle Ereignisse dargestellt. Auch gemeinsam unternommene Freizeitaktivitäten finden Eingang. Eine nützliche Rubrik ist oft die Klärung juristischer Probleme im Bereich des Sozialrechts. Im Umfeld dieser Themen kann der Patient eine Vielzahl nützlicher Informationen erhalten. Informationen über medizinische Themen werden nach Aussagen der Teilnehmer der UG 104 in geringerem Maß angeboten. Nichtmediziner sind kaum in der Lage, medizinische Themen zu publizieren. Der den meisten Selbsthilfegruppen oder -organisationen angegliederte Ärztliche Beirat publiziert nur selten in den Mitgliedsblättern. Wenn es Aufsätze zu medizinischen Fragen gibt, sind diese nur allgemeiner Natur, bringen wenig neue Erkenntnisse und sind sprachlich manchmal etwas hilflos oder unverständlich formuliert. Längst in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizierte Erkenntnisse werden nicht oder sehr viel später an die Mitglieder weitergegeben. Somit stellen Selbsthilfegruppen oder -organisationen für 226 Beispielsweise können Patienten, die unter Lupus erythematodes leiden, der Deutschen-Rheumaliga beitreten. 120 Autoimmunkranke eine nur mäßig ausreichende medizinische Informationsquelle dar. Eine weitere Quelle, die Informationen für Kranke bereit halten könnte, sind Apotheken. Diese treiben einen gewerbsmäßigen Handel mit Arzneimitteln, der aufgrund der jüngsten Gesundheitsreformen zunehmend auf Profit ausgerichtet sind. Beratungsgespräche mit Patienten werden grundsätzlich über den möglichen Kauf eines zugelassenen, rezeptfreien Produktes geführt. Weitergehende Beratung und Informationen darf die Apotheke nicht geben. Sie ist nicht befugt, Diagnose oder Therapie durchzuführen, muß im konkreten Fall den Patienten zu einem Arzt weiterleiten. Die pharmazeutische Ausbildung der Apotheker ist nicht darauf ausgerichtet, nach Sichtung von Fachliteratur den Patienten ein rezeptpflichtiges Medikament oder eine bestimmte Therapie zu empfehlen. Neue medizinische Erkenntnisse im Bereich der Autoimmunkrankheiten werden nur selten von den Apothekern an die Patienten weitergereicht. Die vom Bundesverband der Deutschen Apotheken veröffentlichten Hefte sind eher der Laienpresse zuzuordnen. Zwischenzeitlich versuchte ein Pharmaunternehmen die Packungsbeilage eines Medikamentes als Informationsmedium anzubieten. Eine sogenannte Mini-Illustrierte sollte den Kunden neben den gesetzlich vorgeschriebenen Gebrauchshinweisen auch Informationen, aktuelle Berichte, Hinweise und Unterhaltung anbieten.227 Häufig bedienen sich Patienten der Laienpresse, um ihren Arzt auf neue Behandlungsmethoden und Medikamente aufmerksam zu machen. Während man sich in den öffentlich-rechtlichen Medien eher bemüht, eine ausgewogene und aktuelle Berichterstattung zu präsentieren, finden sich in TV- und Printmedien der privaten Anbieter oft große Übertreibungen und überzogene Darstellungen. Ziel ist es nicht nur, bei den leidenden Patienten Hoffnungen zu erzeugen, sondern durch reißerische Aufmachung die Quote oder Auflage des Mediums zu erhöhen. Die Grenze, die für die medizinische Berichterstattung durch den Artikel 14 Pressekodex228 gezogen ist, scheint häufig überschritten zu werden. Inhalt und Qualität der Medizinthemen in der Laienpresse kommen der reißerischen Aufmachung und Darstellung kaum nach. Autoimmunkrankheiten und neue Behandlungsmethoden werden regelmäßig dargestellt, doch ohne Systematik und ohne Übersicht über den gesamten Wissensstand in der 227 Lingelbach, Dieter, „Leichter Leben“ – Eine Mini-Illustrierte in jeder Medikamentenpackung (Vortrag), in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 19, 2-3/1994, S. 340. 228 Artikel 14 des Pressekodex lautet: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessene sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungserkenntnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.“ 121 entsprechenden medizinischen Disziplin. Produktwerbung der Pharmaindustrie gelangt von Ärzten und Klinikern unkritisiert über die Redaktionen in die Öffentlichkeit. Redakteure sind mit medizinischen Themen oft überfordert, es fehlen ihnen kompetente Ansprechpartner bei Nachfragen. Eine auch nur grobe Sichtung der Fachliteratur zu einem bestimmten medizinischen Thema ist für die meisten Redakteure aus Zeitgründen nicht möglich. Somit besteht regelmäßig die Gefahr einer einseitigen und fehlerhaften Berichterstattung. Diese eingeschränkte Blickweise verstellt zudem häufig den Zugang zu interessanten und innovativen Themen. Der Journalist entdeckt im Bereich der Medizin nicht selbst spannende Themen, sondern sie werden ihm appetitlich von Agenturen und Pharmaindustrie dargeboten. Der Autoimmunkranke erhält als Rezipient am Ende der Kette dann nur noch willkürlich gesteuerte Themen angeboten. Somit ist die Laienpresse als medizinische Quelle für Autoimmunkranke nur sehr eingeschränkt nutzbar. Die wichtigste Quelle ist die Fachpresse. Allein der Redaktion „Autoimmun“ standen monatlich Informationen aus über 3.000 medizinischen Fachzeitschriften zur Verfügung. Diese enorme Zahl von Veröffentlichungen ist von einem Laien (hier auch Redakteur oder Journalist der Laienpresse) nicht überschaubar und auswertbar. Aber auch die große Anzahl von Fachzeitschriften muß kritisch gesehen werden. Es ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, welche Blätter von der Pharmaindustrie direkt oder indirekt bezahlt werden, also nicht objektiv wissenschaftlich sein können.229 Die Texte sind vornehmlich in Englisch abgefaßt und wegen ihrer medizinischen Fachsprache für Laien kaum verständlich. Auch der Preis und die Verfügbarkeit in nur wenigen Bibliotheken erschweren einen Zugang. Kranken steht demnach diese wichtige medizinische Quelle kaum zur Verfügung. Seit vermehrter Benutzung des Internets ist ein neues Informationsmedium für die chronisch kranken Menschen hinzugekommen. Unzählige Adressen im weltweiten Web können von Patienten angewählt werden. Die Aktualität dieser Informationsdienste schwankt genauso schnell wie ihre Existenz. Deshalb macht es wenig Sinn Beispiele zu nennen. Ein recht guten Überblick liefert Carsten Breinker in der Zeitschrift Media Spectrum.230 Welche Quellen konnte die Redaktion der „Autoimmun“ nutzen, um die Leser nun bestmöglich zu informieren? Im Gegensatz zu den meisten Lesern verfügte die Fachredaktion über eine größere Zahl von Quellen, die bei der 229 Zu diesem Ergebnis kommt auch: Göpfert, Winfried, Gängige Themen: Medizin und Gesundheit, in: Göpfert, Winfried / Ruß-Mohl, Stephan (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus – Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1996, S. 206. 230 Breinker, Carsten, Surfen gegen www.chen – Pharma-Kommunikation im Internet, in Media Spectrum, Oktober 1997, S. 24 ff. 122 redaktionellen Recherche eingesetzt werden konnten.231 Zunächst sind die Leser selbst zu nennen. Die Leser der „Autoimmun“ waren für die Redaktion eine wertvolle Quelle zu Beginn und während der Recherche. Viele Leser wandten sich an die Redaktion mit der Bitte, einer bestimmten Sache nachzugehen. Ihre persönlichen Mittel und Fähigkeiten waren bereits erschöpft. Oft beruhten die Fragen auf Artikeln oder Meldungen, die sie den Medien entnommen hatten. Einige Leser hatten Informationen über Bekannte oder Verwandte aus dem Ausland erhalten. Diese Erkenntnisse waren in Deutschland noch nicht bekannt. Auf diesem Wege konnten Kontakte ins Ausland hergestellt und zur redaktionellen Bearbeitung verwendet werden. Als freiwillige Teilnehmer von klinischen Studien konnten einige Leser wertvolles Material beschaffen. In allen Fällen oblag es der Redaktion, den Wahrheitsgehalt der Informationen zu überprüfen. Kann die Laienpresse als Quelle für die journalistische Tätigkeit genutzt werden? Wie bereits oben ausgeführt, liefern Laienmedien kaum verwertbare Informationen. Selbst die eigentliche Quelle ihrer Darstellungen bleibt oft ungenannt und läßt sich auf Nachfragen auch nicht in Erfahrung bringen. Allerdings hatte sich die Redaktion zur Aufgabe gestellt, jeder Meldung nachzugehen. Als wichtigste Quelle der redaktionellen Tätigkeit sind auch hier medizinische Fachzeitschriften zu nennen.232 Bei Themenfindung und Recherche sind sie unerläßlich. Jedoch ist hier Vorsicht geboten, da – wie bereits dargestellt – viele Magazine nicht objektiv berichten. Sie sind häufig gesponsert oder PRgesteuert.233 Objektive und neutrale Zeitschriften lassen vor Veröffentlichung den jeweiligen Aufsatz durch ein Expertengremium prüfen. Insgesamt läßt sich ein Überblick über sämtliche Publikationen nur schwer realisieren. Viele Fachzeitschriften befassen sich mit sehr speziellen Themen, andere sind für den Allgemeinmediziner gedacht und versuchen, die gesamte Bandbreite des Fachs abzudecken. Insgesamt bleibt festzustellen, daß Wissenschaftsjournale nicht nut von großer Bedeutung für den Medizinjournalismus sind, sie haben 231 Einen umfassenden Überblick zu Informationsquellen in der Medizin bietet: Müller, Wolfgang; Informationsquellen in der Medizin – Anlaufpunkte für journalistische Recherche, Berlin 1990. 232 Eine gute , wenn auch nicht ganz aktuelle, Darstellung der medizinischen Fachliteratur bietet: Idris, Ildar / Finck, Gerhard, Fachprintmedien-Situation: Tableau organisationsunabhängiger Mediezinperiodika, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Handbuch der Medizinkommunikation – Infomationstransfer und Publizistik im Gesundheitswesen, Köln 1988, S. 91. 233 Zur verstärkten PR-Tätigkeit im Wissenschaftsjournalismus vergleiche auch Stephan Ruß-Mohl, der den Aubbau der journalistischen Kapazitäten in den Redaktionen bedauert. in: Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit, Materialien und Berichte / Tagungsbericht zum 3. Colloquium Wissenschaftsjournalismus, Berlin 1990, S. 205-270. 123 zudem einen großen Einfluß auf die „Themenselektion in den Wissenschaftsressorts“.234 Eine angenehme Recherche bieten dagegen medizinische Datenbanken.235 Der Redaktion stand die Datenbank „MEDLINE“ der U.S. National Library of Medicine zur Verfügung. Dabei handelt es sich um eine weltweit erscheinende Datenbank auf CD-ROM. Die monatlich ausgelieferte CD enthält gekürzte Artikel aus weltweit erscheinenden Fachzeitschriften in englischer Sprache. Mit Hilfe eines Suchprogramms lassen sich gezielt Fundstellen zu bestimmten Stichworten auffinden. Bei Themensuche und Recherche ist „MEDLINE“ eine große Hilfe. Die Fundstellen geben den Inhalt des Aufsatzes als Abstracts wieder. Bei besonders wichtigen Arbeiten ist es jedoch unvermeidbar, sich den Originaltext zu beschaffen. Durch die Nennung der an den Studien beteiligten Wissenschaftler und einer Kontaktadresse kann direkt der Zugang zu den Experten hergestellt werden, um eventuell ein Interview durchzuführen. Ferner bietet die Datenbank „MEDLINE“ Ausgangsmaterial für weitergehende Untersuchungen. So konnten bestimmte Forschungsregionen ermittelt und dargestellt werden.236 Für über DM 2.000,- pro Jahr ist diese Datenbank in der Grundversion, wie sie der Redaktion vorlag, allerdings keine preiswerte Informationsquelle. In Deutschland bieten nur wenige Fachbibliotheken die Möglichkeit, mit MEDLINE zu arbeiten. Inzwischen ist es möglich, auf MEDLINE direkt über das Internet zuzugreifen. Unvermeidbar für medizinische Fachredaktionen ist die Zusendung von Firmenzeitschriften und PR-Material. Die Pharmaindustrie zeigt reges Interesse, den Zugang in die Fachredaktionen zu verbessern. Einladungen und Hochglanzmappen stehen auf der Tagesordnung. Bereits vorgefertigte Texte werden zur Veröffentlichung angeboten. Bei Interesse an einem Thema wird weiteres Material nachgereicht. Bei kritischen Nachfragen wurden, so die Erfahrung der „Autoimmun“-Redaktion, allerdings notwendige Informationen selbst dann zurückgehalten, wenn sie bereits durch andere Medien veröffentlicht worden waren. Gerne wurde auch auf Publikationen aus dem eigenen Hause verwiesen oder indirekt gesponsertes Material angeboten. Rosemarie Stein zeigt zutreffend, wie sich dann die Ärzte- oder Pharmalobby um den Journalisten bemüht: „Einladungen mit voller Kostenübernahme zu 234 Pahl, Carola, Die Bedeutung von Wissenschaftsjournalen für die Themenauswahl in den Wissenschaftsressorts deutscher Zeitungen am Beispiel medizinischer Themen, in: Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Heft 2-3, 1998, S. 252. 235 Einen sehr guten Überblick zu medizinischen Online-Diensten und CD-ROM-Datenbanken bieten: Schwarz, Iris / Umstätter, Walter / Medien des Informations- und Wissenstransfers – Medizinische OnlineDienste und CD-ROM-Datenbanken, in: Kaltenborn, Karl-Franz (Hrsg.), Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen, Frankfurt a. M. 1999, S. 207 bis 291. 236 Zum Beispiel: „USA bleiben Forschungsspitzenreiter“, Autoimmun, Oktober/November 1997, Nr.5, S. 11. 124 Symposien mit hochkarätigen Wissenschaftlern, in denen das zu fördernde Produkt oft nur beiläufig direkt erwähnt wird, erlauben den Redakteuren und freien Mitarbeitern selbst kleinerer Blätter, sich spesenfrei Informationen aus erster Hand zu holen“.237 Bei Problemen (zum Beispiel Scherings Anti-Baby-Pille „Femovan“, Behrings Blutpräparate etc.) waren entweder alle Telefonleitungen belegt oder man bemühte sich, Schadensbegrenzung zu betreiben. Beim Aufzeigen kontroverser Meinungen in einem Artikel gab man gerne eine eigene Stellungnahme ab. Firmenzeitschriften und PR-Material sind für Fachredaktionen als Recherche- oder Informationsquelle daher nur bedingt geeignet. Die Laienpresse nimmt viel zu oft dieses Material entgegen und veröffentlicht es ungeprüft. Neben dem verkaufsfördernden Material der Pharmaindustrie sind Kongresse und Fachmessen hier als wichtige Quelle zu nennen. Nicht nur für Themenfindung und Recherche sind diese Veranstaltungen wichtig. Sie geben auch einen Einblick in den Wissenschaftsbetrieb und seine Hierarchie. Die führenden Köpfe einzelner Disziplinen oder Vertreter bestimmter Verfahren und Methoden tragen ihre Erkenntnisse vor. Hier besteht auch die Möglichkeit zum direkten Austausch mit den Experten.. Auch können Kontakte für eine weitere Zusammenarbeit geknüpft werden. Letztlich bilden Kongresse und Messen auch die Möglichkeit, das eigene Blatt zu präsentieren. Schließlich sollen hier noch Expertendiskussionen hinzugefügt werden. Die Redaktion hat, losgelöst von den redaktionellen Tätigkeiten, interdisziplinäre Diskussionen zu medizinischen Themen (zum Beispiel Ethik der Doppelblindstudie, § 3 BSHG, der die Einweisung in Pflegeanstalten gegen den Willen von schwerbehinderten Patienten vorsieht) geführt. Hierbei wurden Experten aus Medizin, Pharma, Rechtswissenschaft und Fachjournalisten zu einem Meinungsaustausch aufgefordert. Die Diskussionen wurden per Telefon oder schriftlich abgehalten. Ziel dieser Expertendiskussionen war zum einen die Themenfindung für die „Autoimmun“, zum anderen die Diskussion neuer Sichtweisen auch innerhalb der Redaktion. Betrachtet man nun zusammenfassend die Rechte und Informationsquellen von unheilbar kranken Lesern, so fällt es nicht schwer, von einem Informationsdefizit bei der Zielgruppe zu sprechen. Diese Ausgangslage wurde von der Redaktion noch in der Planungsphase der „Autoimmun“ registriert. Kranke, denen relativ wenig Informationen über ihr Leiden zur Verfügung stehen, oder die sinnvolle Quellen nicht nutzen können, erkennen ihre Lage bald als hoffnungslos. Offensichtlich beachten die Medien diese Rezipientengruppe nur zur eigenen Auflagen- bzw. Quotensteigerung. Sie zeigen sich jeder neuen Publikation, medizinischen Methode oder Wunderheilung gegenüber aufgeschlossen. Jede noch so winzige Meldung verspricht Hoffnung auf Heilung oder Linderung. 237 Stein, Rosemarie, Nutzen und Risiken des Medizinjournalismus, in: Medizin Mensch Gesellschaft, Heft 11, 1986, S. 90. 125 Diese Erkenntnis bewirkte in der „Autoimmun“-Redaktion eine gewisse Ernüchterung bei der Arbeit. Denn vorgestellte Therapien erwiesen sich als nicht so erfolgreich wie von den Pharmafirmen versprochen. Durch den ständigen Kontakt mit den Patienten konnte die Redaktion schnell den Wert einer Therapie abschätzen, zumindest für die Summe mehrerer Einzelfälle. Daraus erwuchs ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber den Lesern. Immer wieder wurde in Fachzeitschriften über neue oder die Verbesserung alter Therapien berichtet. Doch die dort gezeigten Ergebnisse waren nach eindringlicher Recherche kaum beachtenswert. Ob auf einer Nebenwirkungsliste zu einem Präparat statt 30 nun 29 Erscheinungen verzeichnet sind, interessiert den Patienten wenig. Doch wenn das Pharmaunternehmen damit Werbung betreibt und von einer besseren Therapiemöglichkeit spricht, dann ist das irreführend. Die Redaktion lernte im Laufe der Zeit, auf diese Dinge zu achten. Die Nutzung der vorhandenen Quellen zur Recherche wurde immer routinierter. Mit einer verbesserten Informationslage konnte zunehmend ein Einblick in den Medizinbetrieb gewonnen werden. Hierbei fiel zum Beispiel auf, wie die Meldungen über die Fachpresse in die Laienmedien gelangt sind: Der klinische Leiter einer Studie publiziert in einem seriösen Fachblatt. Gleichzeitig greift das die Studie durchführende Pharmaunternehmen das Thema auf und propagiert es mit einer positiven Grundstimmung. Nun wird die Presse informiert, die natürlich auf sensationelle Erfolgsmeldungen wartet. Noch während die Medienkampagne läuft, mußte die Studie wegen starker Nebenwirkungen eingestellt werden. Die Presseabteilung des Pharmaunternehmens verstummt nun, der klinische Leiter verweist jetzt auf einen bevorstehenden Aufsatz in einer Fachzeitschrift, der Monate auf sich warten läßt und dann als Zehnzeiler erscheint. Über ein ganzes Jahr geistert jedoch das inzwischen eingestellte Produkt durch die Medien und erweckt bei den Patienten Hoffnung. Dieses Beispiel verdeutlicht den Weg einer wenig durchsichtigen Pharmawerbung. Auch wenn diese Erkenntnis nicht auf einer repräsentativen Erhebung basiert, so konnte die „Autoimmun“-Redaktion mehrere solcher Fälle beobachten. Es ist das Geschäft mit der Hoffnung, dem viele Ärzte und Medien nicht widerstehen können. Bei schätzungsweise vier Millionen Autoimmunkranken scheinen ökonomische Gründe den Ausschlag für viele Meldungen zu geben. Gerade bei kritischer Betrachtung der Quellenlage für Patienten und Fachredaktionen sollte der bereits erwähnten Ziffer 14 des Pressekodex vom Deutschen Presserat stärkere Beachtung geschenkt werden. 126 5.3 Den Lesern auf der Spur: Verbesserungen der „Autoimmun“ durch Leseranalysen Bearbeiter: Christa Alheit Während im vorherigen Kapitel der Blick auf die Patienten und die allgemeinen Informationsquellen geworfen wurde, wird in den folgenden Abschnitten das Produkt „Autoimmun“ näher in den Vordergrund rücken. Hier sollen drei große Komplexe angesprochen werden. Zunächst sollen die Erfahrungen und Ergebnisse zweier Leseranalysen dargestellt werden. Eine späteres Kapitel wird sich mit der Verständlichkeit der „Autoimmun“ für die Leser befassen. Und schließlich soll versucht werden, anhand der „Autoimmun“-Leser eine Patiententypologie zu entwickeln. Doch zunächst zu den Leseranalysen aus den Jahren 1995 und 1997. Für ein kleines Informationsblatt wie die „Autoimmun“ ist es nicht unbedingt selbstverständlich, Leseranalysen durchzuführen. Das vordergründige Motiv der ersten Leseranalyse von 1995 lag nicht unbedingt in dem Wunsch, den Durchschnittsleser kennenzulernen, sondern in der Erfassung von Mediadaten. Diese sollten die Grundlage für die Beschaffung von Anzeigen und Werbung in der „Autoimmun“ bilden. Leseranalysen haben dennoch eine zweifelhafte Bedeutung. Jeder Verleger kann sein eigenes Instrument zur Erfassung und Auswertung seiner gewonnenen Daten verwenden. Dies macht sich in den Fachverlagen besonders bemerkbar. Nicht umsonst gab Christoph Motzek seinem Artikel zu diesem Thema die Überschrift „Von Äpfeln und Birnen“. Darin beschreibt er 1994, wie eine einheitliche Leseranalyse, die breite und anerkannte Bedeutung hätte, funktionieren sollte.238 Er kritisiert, daß unterschiedliche Methoden zur Erfassung von Leserdaten keinen direkten Vergleich zulassen. Von Seiten der Leser war die Bereitschaft vorhanden, Werbeanzeigen im Blatt vorzufinden (Schaubild 23). Obwohl rund 40 Prozent der Leser keine Meinung zu der Frage hatten, konnte man von einem Votum für Werbung in der „Autoimmun“ ausgehen. Die Planung zu dieser ersten Leseranalyse fand in einer Phase statt, als die Zulassung des von Franke proklamierten Medikaments noch nicht versagt worden war und mit der „Autoimmun“ weitere Schritte in Richtung Kommerzialisierung erfolgen sollten. Die zweite Leseranalyse sollte im wesentlichen die Daten der ersten bestätigen. 238 Motzek, Christoph, Von Äpfeln und Birnen, in: Media Spectrum, Nr. 3, 1994, S. 39ff. 127 Auch wenn es für ein profitorientiertes Objekt eine wesentliche Einnahmequelle darstellt, Anzeigen zu aquirieren und zu verkaufen, folgte die „Autoimmun“ dieser Vorgabe nur bedingt. Die primäre Finanzierungsquelle sollten Abonnementeinnahmen sein. Anzeigen im Blatt sollten keinen medizinischen und pharmazeutischen Hintergrund besitzen. Damit sollte die Neutralität und Objektivität der Berichterstattung gewährleistet bleiben. Anzeigen in medizinischen Publikationen sind sehr oft mit redaktionellen Beiträgen als PR-Artikel verknüpft. Diese schließen eine kritische Betrachtungsweise des Produkts aus. Somit wurde ein Konzept entwickelt, wonach nur nichtmedizinische Anzeigen gedruckt werden sollten. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß diese Art von Anzeigen schwer zu erhalten sind. Mögliche Anzeigenkunden grenzen sich von Medizinpublikationen ab. Der Grund mag in der Unverständlichkeit medizinischer Themen liegen oder in der als unattraktiv eingeschätzten Zielgruppe unheilbar Kranker. Obwohl die „Autoimmun“-Leser laut den Leseranalysen aus den Jahren 1995 und 1997 hohe Bildungsabschlüsse aufzeigten (Schaubild 24), ließen sich mit diesen Mediadaten keine Anzeigenkunden überzeugen. Mit der Modefirma Cinque konnte ein dauerhafter Kunde gewonnen werden. Um hier weitere Inserenten zu werben, wurden verschiedene Anstrengungen unternommen: 128 Erstens das Anschreiben von möglichen Interessenten mit beigelegter Werbemappe, zweitens die Einschaltung von professionellen Agenturen, die sich auf den Verkauf und die Vermittlung von Anzeigen spezialisiert haben. Hierbei mußten allerdings unakzeptable Bedingungen festgestellt werden, die einen Geschäftsabschluß nicht zuließen. Die Leseranalysen hatten ferner die Funktion, PR-Aktivitäten zu unterstützen. Da „Autoimmun“ die wesentlichen Einnahmen aus den Abonnements erzielte, war es erforderlich, die Zahl der Abonnements kontinuierlich zu erhöhen. Hierzu wurden einzelne Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Erstens wurde das Instrument der indirekten Werbung genutzt. Mit einem regelmäßigen Info-Dienst wurden andere Redaktionen auf Beiträge in der „Autoimmun“ hingewiesen. Die Verwendung oder der Abdruck waren später frei und ohne Nennung möglich. Viele Themen wurden von anderen Medien übernommen. Dadurch wurde zwar die Redaktion „Autoimmun“ bekannter, aber der angestrebte Werbeeffekt bei potentiellen Abonnenten blieb wegen fehlender Nennung aus. Hingegen erwies es sich als wenig effektiv, Selbsthilfegruppen als Werbeträger für die „Autoimmun“ zu gewinnen. Die großen Verbände 129 versuchten „Autoimmun“ zu ignorieren. Kleinere Gruppen standen der Zeitschrift sehr aufgeschlossen gegenüber. Deren Mitgliederzahl reichte aber nicht aus, um den Abonnentenstamm entscheidend zu erhöhen. Ein ständiger, aber quantitativ geringer Anstieg der Abonnements konnte durch die Weitergabe der Zeitschrift von Lesern an Bekannte und Freunde erreicht werden. Der Zeitschrift lag eine Bestellkarte bei, die dann entsprechend ausgefüllt und verschickt werden mußte. Aus den Rückläufen konnten wir entnehmen, daß dieses Verfahren das erfolgreichste war. Schließlich wurden die Daten der Leseranalysen für die Herausgabe eines regelmäßigen Info-Dienstes für die Presse genutzt. Der bereits erwähnte InfoDienst „Autoimmun informiert“ wurde als Fax an über 200 Redaktionen und Presseagenturen versand und damit den entsprechenden Ressorts „Medizin, Gesundheit und Wissenschaft“ zugeleitet. Jeweils zum Erscheinen einer aktuellen „Autoimmun“-Ausgabe wurden zwei bis vier Themen ausgewählt und als Pressemeldung umformuliert. Hieraus entstanden neue Kontakte zu Fachredaktionen. Nach den ersten beiden Ausgaben verzichtete „Autoimmun“ auf ihre Nennung bei Textverwendung, denn die Resonanz bei den Fachredakteuren war bis dahin gering. Erst als die Themen frei angeboten wurden, stieg das Interesse von TV-, Radio- und Printmedien an. Die Redaktion gab damit das Ziel auf, Werbung für „Autoimmun“ in anderen Medien zu plazieren. Der Vorteil lag nun darin, daß seriöse Informationen sich leichter weiterreichen ließen. Hierbei ist zu bemerken, daß – abgesehen von Fachredakteuren – viele Journalisten mit medizinischen und pharmazeutischen Themen nur schwer umgehen konnten. Nach einer Phase der Vertrauensbildung zu diesen interessierten Redakteuren wurden die angebotene Recherchehilfe und die dazu gehörenden Hintergrundinformationen gerne angenommen. Die Leseranalysen der „Autoimmun“-Leser wurden schriftlich durchgeführt. Die Auswahl erfolgte zufällig und wurde der Abonnentendatei entnommen. In Fällen, in denen eine Testperson krankheitsbedingt nicht in der Lage war einen Fragebogen auszufüllen, wurden die Daten auch telefonisch erhoben. Gemessen und erhoben wurden folgende Daten: Rücklauf, Alter, Geschlecht, Berufsausbildung, Fragen zu Erscheinungsweise und -rhythmus des Blattes, Informationslage durch andere Medien, Seitenumfang, Benotung der „Autoimmun“-Rubriken und eine Stellungnahme zu gewerblichen Anzeigen. Das Material wurde statistisch ausgewertet und graphisch dargestellt. Ein kleiner Ausschnitt wurde in der „Autoimmun“ als Ergebnis der Leserbefragung veröffentlicht.239 Interessant für die Redaktion war der Vergleich der beiden Leseranalysen von 1995 und 1997, der nach Auswertung der Daten eine konstante Leserschaft nachwies. Auch besonders erfreulich war der große Rücklauf. 1995 schickten 57 Prozent der Befragten die Fragebögen zurück, 1997 waren es sogar 59,2 Prozent. 239 „Autoimmun-Leserbefragung 1995“, Autoimmun, August / September 1995, Nr. 4, S. 13. 130 Wie bereits vorher angedeutet, leiden mehr Frauen als Männer unter Autoimmunerkrankungen. Diese Tatsache spiegelt sich auch in der Leserschaft wieder (Schaubild 25). Mit einem Durchschnittsalter von über 45 Jahren liegen die „Autoimmun“-Leser allerdings nicht in der von der Werbung als Zielpublikum bevorzugten Altersgruppe. Obwohl sich die Werbeindustrie wieder dieser ständig wachsenden Gruppe nähert240, war sie für Anzeigenkunden der „Autoimmun“ wenig interessant. Bestätigt wurde auch die Erscheinungsweise der Zeitschrift. Ursprünglich sollte das Heft vierteljährlich erscheinen. Doch noch während dieser Planungsphase zeigte das wachsende Interesse an der Franke-Therapie, daß nicht nur Informationen von den Lesern gewünscht wurden, sondern auch die Aktualität einen hohen Stellenwert besaß. Da bis Mitte 1995 jederzeit mit einer Zulassung der Arznei gerechnet wurde, wollte auch kein Leser Informationen über eine kassenärztlich finanzierte Therapie verpassen. Somit wurde ein zweimonatiger Erscheinungsrhythmus festgelegt. Die Ergebnisse der beiden Leseranalysen bestätigten diese Entscheidung. 1995 befanden 88,5 Prozent der befragten Leser, daß die zweimonatige Erscheinung der Zeitschrift gerade richtig sei. 1997 begrüßten immer noch 81,1 Prozent diese Vorgabe, obwohl Frankes Medikament inzwischen die Zulassung versagt worden war. Bemerkenswert hierbei ist der Anstieg von 9,4 Prozent (1995) auf 15,8 Prozent (1997) der Leser, die der Meinung waren, daß das Blatt zu selten erscheine. Dieses Ergebnis läßt sich vermutlich auf das ausgeweitete und verbreiterte redaktionelle Angebot zurückführen. Ähnlich verhielt es sich mit dem Umfang der „Autoimmun“. 1995 befanden die Leser, daß der Umfang von 16 bis 28 Seiten ausreichend sei (84,6 Prozent). 1997 waren nur 76,3 Prozent dieser Meinung, wohingegen 13,1 Prozent der Klientel der Auffassung waren, daß der Seitenumfang zu gering sei (1995: 7,8 240 Hierzu näheres: Gleich, Uli, Über 50jährige als Zielgruppe für Markting und Werbung, in: Media Perspektiven 1999, S. 301-311. 131 Prozent). Doch eine weitere Vergrößerung des Umfanges fand nicht statt, weil die erforderliche Finanzierung dafür nicht gesichert war. Mit einem Preis von 88 Mark pro Jahr zählte die „Autoimmun“ nicht zu den preiswertesten Printmedien auf dem Markt. Insofern war der Redaktion bekannt, daß sich nicht jeder das Heft leisten konnte. Diese Erkenntnis wurde auch in vielen Zuschriften mitgeteilt. Kurt beschreibt in einem Leserbrief die Problemlage: „Wir warten immer gespannt darauf, wann das nächste Heft kommt. Oft rufen wir Sie auch schon vorher an und fragen, ob es etwas neues über Franke gibt. Ich bin in einer kleinen Selbsthilfegruppe und wenn das Heft dann endlich da ist, reißen sich fast alle darum. Die letzte Ausgabe habe ich vorher fotokopiert und sie dann verteilt. Wenn ihre Zeitung nicht so teuer wäre, hätten Sie bestimmt mehr Leser.“ Die Problematik war der Redaktion lange bekannt. Doch die unsichere Finanzierung erlaubte eine Preissenkung des Abonnements nicht. Denn nicht nur Gehälter mußten beglichen werden, sondern auch die laufenden Produktionskosten und die Miete für die Redaktionsräume. Somit mußte von einem besonderen Leserverhalten und einer hohen Dunkelziffer bei der Reichweite des Blattes ausgegangen werden. Genau diese Vermutung wurde durch die Leseranalysen bestätigt. Es war somit keine große Überraschung, daß nur rund 25 Prozent der Befragten die Zeitschrift alleine lasen (Schaubild 26). Mindestens 40 Prozent ließen andere Interessierte und Betroffene mitlesen. Auch wenn sich nach der Leseranalyse 1997 dieses Verhalten etwas geänderte hatte, zeigt es doch, wieviel Potential die „Autoimmun“ auch nach der Zulassungsversagung noch aufweisen konnte. Die „Autoimmun“ gliederte sich – wie die meisten Periodika – in Rubriken und Ressorts. Hier sollen die Bewertungen der Leser vorgestellt werden. Eine ganz zentrale Rolle spielte die Berichterstattung über Therapien. Daß dieses Thema im Vordergrund stand, läßt sich nicht alleine mit dem Interesse an der Franke-Methode erklären. Sicherlich war die Berichterstattung über Frankes neues Medikament zumindest bis zur Jahreswende 1995/1996 ein wichtiges Thema. Dies ergab sich auch aus den zahlreichen Leserbriefen und Telefonanrufen, aber zwischenzeitlich drängten sich weitere Therapiemöglichkeiten auf den Markt. „Autoimmun“ berichtete auch darüber. 132 Das starke Interesse der Leser an therapeutischen Themen war somit 1996 und 1997 weiter ungebrochen. Die in Kapitel 4.5 vorgestellten Ergebnisse anhand der UG 104 über das Thema „Therapie“ belegen diese Tatsache. Um diesem Verlangen nachzukommen entschied sich die Redaktion zur Veröffentlichung der „MS-Apotheke“. Dabei handelte es sich um eine übersichtliche Tabelle, die alle aktuellen und in klinischen Studien befindlichen Therapien zeigte. Diese wurde in jeder Ausgabe aktualisiert, Neuerungen wurden in den redaktionellen Teil zusätzlich thematisiert. Wie wurden die einzelnen Rubriken von den Lesern bewertet? In den durchgeführten Leseranalysen wurde nach der Benotung der wichtigsten „Autoimmun“-Rubriken gefragt (Schulnotenprinzip). Hierbei zeigte sich, daß die Rubrik „Therapie“ eine gute Benotung von den Lesern bekam und sich im oberen Feld befand (Schaubild 27). Die Ergebnisse der Benotungen wurden innerhalb der Redaktion diskutiert und für Konzepte zur Verbesserung des Gesamtinhalts genutzt. Hierzu wurden die eingeschickten Fragebögen nach Bemerkungen durchsucht. Ferner erbrachte eine telefonische Rückfrageaktion weitere Erkenntnisse darüber, wie sich die Leser „ihre“ Rubriken und damit die gesamte „Autoimmun“ wünschten. 133 Ferner wurden die Leser gebeten, eine Gesamtnote für das Blatt abzugeben. Für den Inhalt blieb diese Note mit 1,9 in beiden Befragungen konstant. Die Benotung für die graphische Gestaltung konnte von 2,3 (1995) auf 2,0 (1997) verbessert werden. Der Grund hierfür war sicherlich eine zunehmende Professionalisierung im Umgang mit DTP-Programmen.241 Abschließend wurden die Teilnehmer der Leseranalysen danach befragt, wie sie sich durch die „Autoimmun“ über medizinische Themen informiert fühlen (Schaubild 28). Diese Frage zielte weniger in Richtung Werbe- und Anzeigengeschäft, sondern sollte die redaktionelle Arbeit bewerten. 241 DTP = Desk Top Publishing. Die Redaktion arbeitete mit der Software QuarkXPress, Photoshop und Illustrator. 134 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Redaktion ihr Ziel erreicht hat. Jeder zweite Leser fühlte sich durch die „Autoimmun“ ausreichend oder vollkommen ausreichend über medizinische Themen informiert. Damit war der publizistische Auftrag erfüllt, konnte jedoch wegen finanzieller Grenzen nicht weiter ausgebaut werden. 5.4 Über Probleme, die Verständlichkeit zu testen Bearbeiter: Michael Tycher Als Uwe gebeten wurde, an einem Verständlichkeitstest der „Autoimmun“ teilzunehmen, sagte er sofort ab. Nicht unfreundlich, doch sehr bestimmt. Und seiner mündlichen Absage folgte eine schriftliche Begründung: „Natürlich möchte ich Sie bei der optimalen Herstellung Ihrer Zeitschrift unterstützen. Aber einen Fragebogen möchte ich nicht 135 ausfüllen. Dabei komme ich mir wie in der Schule vor, wo ich immer schlechte Noten bekam. Jetzt habe ich mit meiner Krankheit genug zu kämpfen und brauche nicht noch eine schlechte Note. Aber ich kann sie trösten, die Texte in Ihrer Zeitschrift verstehe ich ganz gut. Und was soll das eigentlich bringen? Sie können doch nicht jeden Text, den Sie veröffentlichen wollen, vorher von den Lesern testen lassen.“ Uwes Vorbehalt ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, einen Verständlichkeitstest zu organisieren. Bevor 1996 schließlich der Test durchgeführt werden konnte, waren einige Hürden aus dem Weg zu räumen. Noch während der Planungsphase fragte sich die Redaktion genau das, was Uwe ausgedrückt hat. Das Ergebnis eines Verständlichkeitstests kann nur für den einen getesteten Text Geltung besitzen. Man müßte theoretisch jede Ausgabe vor dem Erscheinen komplett mit einer größeren Anzahl von Versuchspersonen testen. Doch dieses Verfahren ist unrealistisch, weil nicht finanzierbar. Ein Verständlichkeitstest konnte also nur Indizien für die redaktionelle Arbeit liefern. Er ließ auch ungefähre Aussagen über die Aufnahme- und Merkfähigkeit sowie das allgemeine Verständnis der Leser zu. Diese Punkte rückten im weiteren Verlauf der Planung immer mehr in den Vordergrund. Das Ergebnis des Tests beeinflußte die redaktionelle Arbeit der „Autoimmun“ wenig, weil der Schreibstil schon längst entwickelt war. Die Ergebnisse hatten aber eine Apellfunktion an die Redaktion. Neueingeführte medizinische Fremdwörter wurden nicht nur einmal, sondern öfter erklärte und durch deutsche Wörter ersetzt. Aber was ist „Verständlichkeit“ überhaupt? Der amerikanische Journalist Carl Warren sagte 1953, daß wissenschaftliche Themen popularisiert werden müssen: „Popularisieren, das heißt allgemeinverständlich machen, ist eine Kunst, die den Männern in Forschungslaboratorien nicht liegt, die der Reporter aber beherrschen muß.“242 Doch ab wann kann man erwarten, daß ein Rezipient einen Text verstanden hat? Hierzu entwickelte Helmut Seiffert eine Reihe von Thesen, wobei die dritte bemerkenswert ist: „‘Verständlichkeit‘ ist kein absoluter Begriff, sondern immer auf das Vorwissen des jeweiligen Lesers oder Hörers bezogen. ‚Verständlichkeit‘ kann daher immer nur heißen, daß der Leser oder Hörer grundsätzlich in der Lage sein muß, sich Schritt für Schritt das Verständnis dessen zu erschließen, von dem die Rede ist. Ein Beispiel. Der Satz ‚Das Quadrat über der Hypotenuse ist gleich der Summe der Quadrate über den Katheten‘ ist nur dem, aber auch jedem verständlich, der weiß, was ein Quadrat, eine Summe, eine Hypotenuse und eine Kathete ist“.243 242 Warren, Carl, ABC des Reporters – Einführung in den praktischen Journalismus, München 1953, S. 162. 243 Seiffert, Helmut, Fünf Thesen zur „Verständlichkeit“, in: Hansen, Klaus (Hrsg.), Verständliche Wissenschaft – Probleme der 136 Auf den Medizinjournalismus übertragen konnte das nur bedeuten, daß häufig verwendete Fachtermini – also die Sprache – 244 nicht als bekannt vorausgesetzt werden durften, sondern erklärt werden mußten. Erst aus dem Zusammenhang dieser Erklärungen konnte sich der Leser ein Bild erschließen. Ob dieses Bild nahe an der „medizinischen Wirklichkeit“ lag, sollte der Test ermitteln. Ein weiterer Grund, den Test durchzuführen, lag in der puren Neugier darauf, ob die verfaßten Texte auch grundsätzlich verstanden wurden. Elke empfand unser Anliegen – einen Verständlichkeitstest durchzuführen – auch als durchaus angenehm, obwohl sie die Angelegenheit mißverstanden hat: „Es ist schön, daß Sie sich um die Kranken kümmern. Vielleicht gewinne ich mal etwas. Sonst habe ich bei Preisausschreiben nie Glück. Hoffentlich sind die Fragen nicht so schwer. Mein Mann hilft mir bestimmt dabei.“ Ob Elke eine ideale Testperson gewesen wäre, muß offen bleiben. Ihr Mann hat ihr schließlich verboten irgendetwas auszufüllen. Damit wäre er sicherlich auch nicht in die engere Wahl der Teilnehmer gerückt, doch er wurde nicht ausgelost. Alleine die Auswahl der Testteilnehmer erwies sich als große Schwierigkeit. Es sollte alles korrekt durchgeführt werden. Somit mußte eine zufällige Auswahl von Teilnehmern getroffen werden. Hierbei konnte die UG 104 helfen. Per Losentscheid wurden 40 Personen ermittelt. Die Benachrichtigung der Auserwählten erfolgte dann schriftlich oder telefonisch. Am Ende stellten sich 20 Personen für den Verständlichkeitstest zur Verfügung.245 Wie wurden die Tests durchgeführt? Dabei zeigten sich neue Schwierigkeiten. Nur wenige Teilnehmer konnten in die Redaktionsräume nach Berlin reisen. Vor allem wegen der durch Krankheit verursachten Immobilität waren Reisen kaum möglich. Somit entschloß sich die Redaktion zum Versenden der Fragebögen. Damit war natürlich eine Testsituation geschaffen, die eine Kontrolle über die Testbedingungen nicht gewährleistete. Ob nun jemand bei der Fragebeantwortung den Testtext wirklich nach Lektüre weglegte, ein Lexikon benutzte oder die vorgeschriebene Beantwortungszeit überschritt, war nicht zu überprüfen. journalistischen Popularisierung wissenschaftlicher Aussagen, Dokumentation Band 5, Gummersbach 1981, S. 13. 244 So auch Horst Pöttker, der auch der Sprache besonderen Wert beimißt. Öffentlichkeit durch Wissenschaft – zum Programm der Journalistik, in: Publizistik, Vierteljahreshefte für die Kommunikationsforschung, Heft 3, 1998, S. 243. 245 20 angeschriebene Versuchspersonen sagten die Teilnahme ab. Die häufigste Begründung dafür lag in der körperlichen Verfassung. Eine Testsituation würde eine große Belastung darstellen und zudem hätten die Teilnehmer für Hilfspersonen sorgen müssen. 137 Bei einigen Teilnehmern mußten weitere Personen hinzugezogen werden. Durch starke körperliche Defizite war bei einigen Personen das eigenhändige Ausfüllen der Fragebögen nicht möglich. In diesen Fällen assistierte eine andere Person. In wenigen Fällen war sogar das Lesen der Texte wegen Ausfalls der Sehkraft nicht möglich, es mußte sogar vorgelesen werden. Diese körperlichen Behinderungen bei vielen Teilnehmern veranlaßten die Redaktion, von einem Lückentest Abstand zu nehmen.246 Auch andere empirische Verfahren kamen aus diesen Gründen nicht in Betracht. Der Rücklauf der Fragebögen verlief zügig. Was wurde überhaupt gefragt? Unter den beschriebenen Umständen konnte das Ziel der Tests nur darin liegen, nachzuweisen, daß der in der „Autoimmun“ veröffentlichte Text verständlicher war als die Originalquelle. Diese stammte aus einem Fachbuch. Beide Texte behandelten das Medikament Cladribin. Die 20 Teilnehmer des Verständlichkeitstests wurden per Los in zwei Gruppen zu je 10 Teilnehmern aufgeteilt. Jede Gruppe hatte einen der beiden Texte zu lesen und die Fragen zu beantworten. Die Lesezeit wurde auf 20 Minuten begrenzt, Notizen waren nicht erlaubt. Autoimmun-Text: „Gerade bei der chronisch-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) wäre schon sehr viel gewonnen, wenn ein Stillstand der Krankheit erreicht werden könnte. Cladribine (so die engl. Bezeichnung), ein immunsuppressiver Wirkstoff, der bisher bei bestimmten Formen der Leukämie angewandt wurde, scheint das zu können – und vielleicht noch ein bißchen mehr. 1990 wurden bereits vier Patienten mit Cladribine behandelt. Die erzielten Erfolge waren so ermutigend, daß sich ein Team um J.C.Sipe aus La Jolla (USA) zu einer größeren Studie entschloß. 51 Patienten, die alle an chronisch-progredienter MS leiden, stellen sich seit einem Jahr dieser Untersuchung zur Verfügung. Dieser Gruppe und allen anderen Teilnehmern an pharmakologischen Studien ist für ihre Mitarbeit und für ihren Mut zu danken. Studienanlage Angelegt ist diese Studie auf eine Dauer von zwei Jahren. Nach Ablauf eines Jahres wurden die Zwischenergebnisse in dem Fachblatt „The Lancet“ veröffentlicht. Getestet wurde auch bei dieser Studie doppelblind, wobei nach einem Jahr ein Wechsel der Placebo- mit den Cladribineempfängern vorgesehen war. Die Patienten wurden nach Alter, Geschlecht und Grad der Behinderungen eingeteilt. Anschließend wurden nach diesen Kriterien 24 passende Paare gebildet. Per Los wurde entschieden, wer aus dem jeweiligen Paar 246 Ursprünglich war ein Lückentest vorgesehen. Dabei hätten die Teilnehmer in einem Text das jeweils x-te Wort einsetzen müssen. 138 ein Placebo und wer Cladribine empfangen würde. Von den drei Patienten, für die kein passender Partner gefunden wurde, erhielten zwei Patienten Cladribine und einer das Placebo. Zunächst waren sechs Zyklen geplant, bei denen jeweils sieben Tage lang eine tägliche Dosis von 0,7 mg pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht wurde. Kurz nach Beginn zeigte das Blutbild einiger Patienten eine zu starke Suppression und man entschied sich, nur insgesamt vier Zyklen zu wiederholen. Verabreicht wurde das Cladribine über einen zentralen Venenkatheter. Alle Patienten wurden jeden Monat auf ihr Befinden untersucht. Nach sechs und zwölf Monaten wurden je Patient eine Kernspintomographie sowie eine Liquoruntersuchung durchgeführt. Alle Blutwerte wurden monatlich kontrolliert. Bei den Untersuchungen durch ebenfalls „blinde“ Neurologen hat man das klinische Befinden der Patienten an zwei Skalen gemessen: An der Expanded Disability Status Scale (EDSS) und der Scripps Neurologic Rating Scale (SNRS). Ergebnis Die Auswertung der Kernspintomographie ergab, daß aktive Läsionen der Cladribinegruppe in ihrem Volumen zwar leicht vermindert wurden, insgesamt aber zeigte sich keine deutliche Veränderung. Hier ist die weitere Entwicklung abzuwarten. Bei der Konzentration der maßgeblichen Proteine im Liquor allerdings fand man meßbar bessere Werte in der Gruppe der mit Cladribine behandelten Patienten. Die Werte der Placebogruppe hatten sich verschlechtert. Die deutlichsten Hinweise auf einen positiven Einfluß von Cladribine auf den chronisch-progredienten Krankheitsverlauf fand man bei dem Vergleich der Patienten anhand der beiden Skalen EDSS (vergleiche Graphik) und SNRS. Die Kurve zeigt eine deutliche Verschlechterung des klinischen Zustands in der Placebogruppe; die mit Cladribine behandelten Patienten blieben stabil. Die in den Kurven eingetragenen Werte geben den Durchschnitt wieder. Im einzelnen sahen sie für die Cladribinegruppe so aus: Ein Patient verschlechterte sich um einen EDSS-Punkt, vier Patienten hatten eine Verbesserung um jeweils einen Punkt und bei 19 Patienten lag die festgestellte Veränderung unter einem Punkt auf der EDSS-Skala. Durchschnittlich zeigten die Patienten der Cladribinegruppe nach zwölf Monaten nicht nur keine Verschlechterung, sondern sogar eine bescheidene Verbesserung ihres klinischen Zustands. Nebenwirkungen Insgesamt ist Cladribine von allen Patienten gut vertragen worden. Bei mehreren Patienten beobachtete man eine Marksuppression, die nur in einem Fall klinisch relevant war. Die Markfunktion wurde einige Monate nach Abschluß der Cladribinebehandlung wieder 139 vollständig zurückgewonnen. Eine Patientin erkrankte nach dem zweiten Infusionszyklus an Hepatitis B. Die Infektion war so stark, daß die Patientin nach fünf Tagen starb. Die Leberwerte aller anderen Patienten waren normal und zeigten keinen Unterschied zwischen Placebo- und Cladribinegruppe. Auch bei den bisher weltweit 5000 mit Cladribine behandelten Patienten wurde keine Hepatitis beobachtet. Bei den vier 1990 behandelten MS-Patienten, die insgesamt 2,5 mg Cladribine pro Kilogramm Körpergewicht bekommen hatten, zeigten sich nach vier Jahren keine Nebenwirkungen. Beurteilung In weiteren Untersuchungen möchte man versuchen, Cladribine subkutan zu verabreichen, um das Legen eines Katheters zu vermeiden. Außerdem geht man davon aus, daß auch eine niedrigere Dosierung effektiv sein kann, wodurch eine Marksuppression verhindert werden könnte. Zusätzlich soll Cladribine auch auf seine Wirksamkeit an MS-Patienten mit schubförmigem Verlauf getestet werden.Insgesamt ergaben die Zwischenergebnisse einen positiven Eindruck und es bleibt zu hoffen, daß Cladribine in Zukunft als Medikament zur Behandlung der chronisch-progredienten MS eingesetzt werden kann.“247 Nach sorgfältiger Lektüre des Textes (20 Minuten) war dieser wegzulegen. Anschließend hatten die Teilnehmer wiederum 20 Minuten Zeit, die folgenden Fragen zum Text zu beantworten. Dabei wurde vorgegeben, daß jeweils nur eine Antwort richtig war. Was die Teilnehmer nicht wußten, war, daß eine Frage nichts mit dem jeweiligen Text zu tun hatte, aber richtig durch intensive Lektüre der gesammelten „Autoimmun“-Exemplare beantwortet werden konnte: 1. Was ist unter der Abkürzung „0,7 mg/kg“ zur verstehen? A; Die Infusionen enthielten 0,7 mg Cladribin. B; Die Infusionen enthielten zusammen 0,7 kg Cladribin. C; Die vier Infusionen wechselten. Mal waren es 0,7 mg Cladribin und am darauffolgenden Tag 0,7 kg Cladribin. D; Die Infusionen enthielten 0,7 mg pro kg Körpergewicht. E; Pro ein kg Infusionslösung wurden 0,7 mg Cladribin beigegeben. 2. Was ist unter dem Begriff „EDSS“ zu verstehen? A; Eine besonders schwere Verlaufsform der Krankheit MS. B; Die Namensabkürzung des Leiters der Cladribinstudie. C; Ein Instrument zur Messung des Behinderungsgrades. D; Ist im Text nicht vorgekommen, kann mich nicht erinnern. 247 Der Text erschien in Autoimmun, Nr. 5, S. 20-21. Oktober/November 1994, 140 E; Ein Präparat, das mit Cladribin erfolglos kombiniert wurde. 3. Was ist unter „Läsion“ zu verstehen? A; Die Größe und Anzahl der im Gehirn oder Rückenmark sichtbaren Verletzungsherde. B; Das Läsionsvolumen beschreibt die Lautstärke, der während der Infusionen abgespielten Musikstücke. C; Die Ausdehnung der Haut an der Infusionsstelle. D; Die Größe der Ablagerungen von Cladribin im Gehirn. E; Die Anzahl der Studienteilnehmer, die kein Placebo erhalten haben. 4. Eine „Kernspintomographie“ ist … A; ein Überwachungssystem, das zur Sicherheit der Patienten während der Infusionen eingesetzt wird. B; im Text gar nicht vorgekommen. C; ein Verfahren, daß die Größe und Anzahl der Verletzungsherde sichtbar macht. D; ein Gerät, das die Einlaufgeschwindigkeit während der Infusionen regelt. E; ein Verfahren zur Herstellung von Cladribin. 5. Die Anzahl der Studienteilnehmer betrug… A; 30 B; 41 C; 51 D; 101 E; 150 6. Was ist unter „Insuffizienz“ zu verstehen? A; Eine Abstoßungsreaktion gegen Cladribin. B; Die Anzahl der Patienten, die während der Infusionen unter Alkoholeinfluß standen. C; Ist im Text gar nicht vorgekommen. D; Ungenügende Leistung eines Medikaments. E; Unerwünschte Übertragung von Viren durch Cladribin. 7. Immunsuppression ist… A; eine Stimulation des Immunsystems. B; eine Methode zum Aufbau des Knochenmarks. C; der Ausschluß von kritischen Ärzten aus einer Studie. D; eine Abschwächung oder Unterdrückung der Immunreaktion. E; eine Unverträglichkeitsreaktions des Körpers gegen Cladribin. 8. Bei der Cladribinstudie kam es zu… A; einem tödlich verlaufenden Herzinfarkt. B; einer tödlich verlaufenden Hepatitis A C; einer tödlich verlaufenden Salmonellenenteritis. D; einer tödlich verlaufenden Hepatitis B. 141 E; zu keinem tödlichen Verlauf. 9. Das Studienergebnis… A; zeigte keine Verbesserungen bei den Patienten. B; lag noch nicht abschließend vor. C; zeigte eine Verbesserung des Behinderungsgrades. D; zeigte eine Verbesserung bei der Placebogruppe. E; zeigte eine Verschlechterung in den MRI-Befunden. 10. Der Einsatz von Cladribin bei MS wird… A; außerhalb von klinischen Studien empfohlen. B; wird nicht empfohlen C; außerhalb von klinischen Studien nicht empfohlen D; dringend empfohlen. E; wird nicht beurteilt. Die Teilnehmer aus der Gruppe zur Lektüre des Originaltextes mußten unter denselben Bedingungen lesen und die Fragen beantworten. Der Text lautete: „Cladribin, 2-Chlordeoxyadenosin, ist ein Purinanalogon, das relativ selektiv in Lymphozyten durch Metabolisierung aktiviert wird. Die Substanz wirkt durch Kumulation des entstehenden Deoxynukleotids lymphotoxisch und führt zur Apoptose. In einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie erhielten 51 Patienten mit chronisch-progredienter MS vier Infusionen von 0,7 mg/kg Cladribin oder Placebo in monatlichen Abständen. Die Beobachtungszeit betrug 12 Monate, Endpunkte der Studie waren der Behinderungsgrad (Kurtzke, Sripps Neurological Rating Scale) und Veränderungen des Läsionsvolumens im MRTomogramm. In einer Matched-pair-Auswertung zeigte sich unter Cladribin ein signifikanter, stabilisierender Effekt auf den Behinderungsgrad und eine Stabilisierung der MRI-Befunde im Vergleich zur Placebogruppe. Neben der Myelosuppression wurden zwei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse bei diesen 51 Patienten berichtet, eine tödlich verlaufende fulminante Hepatitis B und eine Salmonellenenteritis. Die Studienergebnisse wurden kritisch diskutiert und bevor weitere Ergebnisse aus einer laufenden Multizenterstudie mit 150 chronisch-progredienten MS-Patienten aus den USA vorliegen, kann ein Einsatz dieser Therapie außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen werden.“248 248 Der Cladribin-Text stammt aus: Taschenbuch MS, Mit Beiträgen von Sigrid Poser und Auszügen aus Adams/Victor „Principles of Neurology“, Berlin 1996, S. 118-119. 142 Auch hier mußten die Teilnehmer, die von der Redaktion ausgewählten Fragen zum Text unter denselben Bedingungen249 beantworten: 1. Was ist unter der Abkürzung „0,7 mg/kg“ zur verstehen? A; Die Infusionen enthielten 0,7 mg Cladribin. B; Die Infusionen enthielten zusammen 0,7 kg Cladribin. C; Die vier Infusionen wechselten. Mal waren es 0,7 mg Cladribin und am darauffolgenden Tag 0,7 kg Cladribin. D; Die Infusionen enthielten 0,7 mg pro kg Körpergewicht. E; Pro ein kg Infusionslösung wurden 0,7 mg Cladribin beigegeben. 2. Was ist unter dem Begriff „Kurtzke“ zu verstehen? A; Eine besonders schwere Verlaufsform der Krankheit MS. B; Der Name des Leiters der Cladribinstudie. C; Ein Instrument zur Messung des Behinderungsgrades. D; Ist im Text nicht vorgekommen, kann mich nicht erinnern. E; Ein Präparat, das mit Cladribin erfolglos kombiniert wurde. 3. Was ist unter „Läsionsvolumen“ zu verstehen? A; Die Größe und Anzahl der im Gehirn oder Rückenmark sichtbaren Verletzungsherde. B; Das Läsionsvolumen beschreibt die Lautstärke der während der Infusionen abgespielten Musikstücke. C; Die Ausdehnung der Haut an der Infusionsstelle. D; Die Größe der Ablagerungen von Cladribin im Gehirn. E; Die Anzahl der Studienteilnehmer, die kein Placebo erhalten haben. 4. Ein „MR-Tomogramm“ ist … A; ein Überwachungssystem, das zur Sicherheit der Patienten während der Infusionen eingesetzt wird. B; im Text gar nicht vorgekommen. C; ein Verfahren, daß die Größe und Anzahl der Verletzungsherde sichtbar macht. D; ein Gerät, das die Einlaufgeschwindigkeit während der Infusionen regelt. E; ein Verfahren zur Herstellung von Cladribin. 5. Die Beobachtungszeit der Patienten betrug… A; 9 Monate B; 6 Wochen C; zwei Jahre D; 12 Monate E; 10 Monate 249 Obwohl der Text schwieriger schien, wurde an der 20minütigen Lesezeit nichts geändert. Der Vorteil dieses Textes lag in der kürzeren Form im Gegensatz zum „Autoimmun“-Text. 143 6. Was ist unter „Insuffizienz“ zu verstehen? A; Eine Abstoßungsreaktion gegen Cladribin. B; Die Anzahl der Patienten, die während der Infusionen unter Alkoholeinfluß standen. C; Ist im Text gar nicht vorgekommen. D; Ungenügende Leistung eines Medikaments. E; Unerwünschte Übertragung von Viren durch Cladribin. 7. Eine Multizenterstudie ist… A; eine klinische Studie, an der mehrere Kliniken beteiligt sind. B; eine Studie, bei der die Teilnehmer nach ihrer Zustimmung mit einem Videosystem beobachtet werden. C; eine generelle Gesundheitsuntersuchung aller Teilnehmer. D; eine Studie bei der nur Scheinpräparate gegeben werden. E; eine Studie in einer Klinik, an der viele Wissenschaftler aus aller Welt mitarbeiten. 8. Bei der Cladribinstudie kam es zu… A; einem tödlich verlaufenden Herzinfarkt. B; einer tödlich verlaufenden Hepatitis A C; einer tödlich verlaufenden Salmonellenenteritis. D; einer tödlich verlaufenden Hepatitis B. E; zu keinem tödlichen Verlauf. 9. Das Studienergebnis… A; zeigte keine Verbesserungen bei den Patienten. B; lag noch nicht abschließend vor. C; eine Verbesserung des Behinderungsgrades. D; zeigte eine Verbesserung bei der Placebogruppe. E; eine Verschlechterung in den MRI-Befunden. 10. Der Einsatz von Cladribin bei MS wird… A; außerhalb von klinischen Studien empfohlen. B; wird nicht empfohlen C; außerhalb von klinischen Studien nicht empfohlen D; dringend empfohlen. E; noch diskutiert. Nach Eingang der Fragebögen wurden die richtigen Antworten der „Autoimmun“-Textgruppe (Schaubild 29) und der Original-Textgruppe (Schaubild 30) protokolliert und ausgewertet. Da die Teilnehmer auch durch die Erhebung der UG 104 mit einigen zusätzlichen Daten erfaßt wurden, sollte der Versuch unternommen werden, einige Rückschlüsse zu ziehen.250 250 Natürlich war die Personengruppe bei diesen Verständlichkeitstests viel zu klein, um signifikante Aussagen zu treffen. 144 Zunächst zeigt aber das Gesamtergebnis, daß beim „Autoimmun“-Text mehr Fragen richtig beantwortet wurden. Von zehn möglichen richtigen Antworten wurden in dieser Gruppe durchschnittlich 4,6 korrekt angekreuzt. Schlechter schnitten die Teilnehmer nach Lektüre des Originaltextes ab. Sie erreichten im Durchschnitt nur 2,3 richtige Antworten. Dieses Ergebnis ist wohl wenig überraschend, zeigt aber, daß auch äußerst komplexe Stoffe in ihrer Verständlichkeit durchaus gesteigert werden können. Doch ein Problem bleibt 145 in der Praxis: Medizinjournalisten arbeiten täglich mit schwer verständlichen Texten. Sie nehmen Fremdwörter und komplexe medizinische Sachverhalte wie selbstverständlich in ihrer Repertoir auf. Damit wächst die Gefahr, daß einige Begriffe und Zusammenhänge beim Leser als verstanden vorausgesetzt werden. Der permanente Umgang mit Fachtermini macht den Fachjournalisten selbst zum Experten. Dabei verliert er die Leser aus den Augen, obwohl er seiner journalistischen Pflicht – nur zu schreiben was man selbst verstanden hat – nachkommt.251 Die Teilnehmerin Angela berichtete im Nachgespräch, daß sie genau über dieses Problem mit ihrem Arzt diskutiert hat: „Bei mir sollte wegen einer anderen Sache ein operativer Eingriff vorgenommen werden. Mein Arzt sagte, es wäre eine einfache Sache, doch zu kompliziert, um es mir zu erklären. Ich sagte, er solle es doch versuchen. Da lächelte er und zeigte auf sein dickes Bücherregal. Alles was da drin steht, würde er selber kaum verstehen und wie solle ich erst das kapieren. Ich kann die Antwort bis heute nicht akzeptieren. Es können doch nicht unerklärbare Dinge existieren?“ Andere Teilnehmer haben nicht solche schroffen Erfahrungen gemacht. Viele Ärzte versuchen sich, Mühe zu geben und die Materie zu vereinfachen. Heinrich hat dabei sogar etwas gelernt: „Erst hat er mir irgendetwas Lateinisches oder so erzählt. Da habe ich wohl ziemlich blöd geguckt. Aber dann haben wir uns an seinen Schreibtisch gesetzt und er holte ein Blatt Papier raus. Darauf zeichnete er meine Organe auf und dann schließlich den Magen. Dann kamen immer mehr Linien und Striche dazu und plötzlich umkringelte er eine Stelle. Da liegt das Problem bei mir. Und dann zeigte er mir, wie er vorgehen werde, um den Engpaß zu überwinden. Als ich so die Zeichnung betrachtete, verlor ich auch die Angst vor der Operation. Meiner Frau konnte ich alles gut erklären und sie machte sich etwas weniger Sorgen.“ Nun läßt sich das Ergebnis des Verständlichkeitstests nicht so interpretieren, daß alle medizinischen Fachbücher umgeschrieben werden sollten. Es kann viel eher dahingehend gedeutet werden, daß komplexe medizinische Inhalte nicht nur für Fachleute verständlich sein müssen. Bei ArzneimittelGebrauchsinformation ist die Verständlichkeit zwingend notwendig.252 Für ein Bindeglied zwischen solchen Texten und den medizinischen Laien, als das 251 Von La Roche, Walter, Einführung in den praktischen Journalismus – Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege, München 1992, S. 98. 252 Hierzu umfassend: Hohgräwe, Uwe, Verständlichkeit von Instruktionstexten und das Informationsverhalten von ArzneimittelVerbrauchern, Wuppertal 1998. 146 sich „Autoimmun“ verstand, besteht die Möglichkeit, die Verständlichkeit zu erhöhen, wenn auch mit hohem finanziellen und organisatorischen Aufwand Die Ärzte müßten weniger Fragen beantworten, die sie bei ihrer Arbeit stören. Die Patienten wären informierter, was wiederum der Therapie und dem Heilungsprozeß nutzen würde. In der ärztlichen Ausbildung und Praxis wird diese Tatsache zunehmend ernst genommen. Doch ein wenig Beschleunigung könnte die Entwicklung vertragen. Nach Auswertung der eben dargestellten Verständlichkeitstests drängten sich für die „Autoimmun“-Redaktion einige Fragen auf. Wer hat denn nun die meisten Fragen richtig beantwortet? Dabei wurde zuerst daran gedacht, daß jemand, der mit dem vorgestellten Medikament Cladribin in Berührung kam, das entsprechende Hintergrundwissen bereits besaß. Doch keiner der Teilnehmer hatte sich einer Therapie mit der Arznei unterzogen. Eine weiteres Merkmal könnte die Ausbildung sein. Die ausgewerteten Daten offenbarten doch eine kleine Überraschung (Schaubild 31). Der AutoimmunText wurde offensichtlich von den Abiturienten am schlechtesten verstanden. Diese kamen aber etwas besser mit dem Originaltext zurecht. Bei den Teilnhemern mit niedrigen Bildungsabschlüssen konnte der Autoimmun-Text wieder Punkte sammeln. Jedoch lassen die hier vorgestellten Daten zum Verständnis der Texte, aufgeschlüsselt nach Schulabschlüssen, keine überlegene Schulabschlußgruppe erkennen. 147 Eng mit dem Bildungsabschluß könnte das Alter der Teilnehmer verbunden sein, wenn man von der Annahme ausgeht, das jüngere Menschen schon eher einen Zugang zu technischen oder medizinischen Themen finden. Beim Autoimmun-Text hat das Alter der Teilnehmer keine bedeutende Rolle gespielt (Schaubild 32). Der Originaltext wurde offensichtlich besser von den 20 bis 35jährigen Versuchspersonen verstanden. Somit könnte man zu dem Schluß kommen, daß der schwierigere Originaltext von jüngeren Menschen mit höherem Bildungsabschluß leichter zu verstehen war. Der Autoimmun-Text konnte dagegen altersunabhängig bei Personen mit unteren Schulabschlüssen glänzen. Jedoch ist auch hier eine signifikante Interpretation der Resultate nicht gegeben. 148 Abschließend wurde noch ein weiterer Faktor untersucht, der Einfluß auf das Verständnis der beiden Texte haben könnte. Wie bereits in dargestellt wurde, fühlen sich Mitglieder einer Selbsthilfegruppe medizinisch besser versorgt. Die Mitgliedschaft in solch einem Verein könnte eventuell auch Einfluß auf den Zugang zu medizinischen Texten haben. Doch hier wurde wieder überraschendes festgestellt. Die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe berührte das Verständnis des Autoimmuntextes keineswegs (Schaubild 33). Sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder beantworteten annähernd gleich viel richtige Fragen (im Durchschnitt). Dagegen kamen Nichtmitglieder besser mit dem Originaltext zurecht. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe die Entschlüsselung des Originaltextes erleichtert hatte. 149 Die „Autoimmun“-Redaktion fühlte sich durch die Ergebnisse des Verständlichkeitstests in ihrer Arbeit bestätigt, obwohl dieser nicht in allen Punkten den strengen Erfordernissen einer empirischen Untersuchung entsprach, sondern soziologisches Hintergrundwissen für die Redaktion beschaffen sollte. Zusammenfassend hatten die Verständlichkeitstests zwei Funktionen für die „Autoimmun“-Redaktion: Erstens verstärkten sie die Kontakte zu den Lesern und zeigten deren Probleme im Umgang mit medizinischen Texten. Zweitens eignete sich dieses Verfahren auch als Kontrolle für die redaktionelle Tätigkeit. Denn die Gefahr besteht ständig, daß die Autoren durch den täglichen Umgang mit Fachtermini das Verständnis der Leser aus den Augen verlieren. 150 5.5 Informationen für Kranke aus den Medien und wie sie von den Patienten umgesetzt werden Bearbeiter: Christa Alheit Wenn auf Seiten der Ärzte das Interesse auf Ärzteseite bestünde, ließe sich die Verständlichkeit komplexer medizinischer Texte so steigern, daß Patienten ihr Informationsdefizit ausfüllen könnten. In dieser Arbeit. konnte gezeigt werden, daß sich die Leser der „Autoimmun“ ausreichend oder vollkommen ausreichend durch das Blatt über Autoimmunkrankheiten informiert fühlten. Diese Aussage wurde aus der UG 104 ermittelt, kann also nur für die „Autoimmun“ Geltung besitzen. Wie sieht aber die Meinung der UG 104 zur allgemeinen Informationsversorgung über Autoimmunkrankheiten aus? Die Teilnehmer wurden dahingehend befragt, ob sie sich durch die Medien im Allgemeinen ausreichend über Autoimmunkrankheiten informiert fühlen. Im Ergebnis gab fast jeder zweite Befragte an, daß er sich durch die Medien überhaupt nicht ausreichend oder nicht ausreichend über Autoimmunkrankheiten informiert fühlt (Schaubild 34). Wie kommt so ein Ergebnis zustande? Alleine bei der Betrachtung von TV und Printmedien springen einem viele geradzu ins Auge. In den Zeitungen werden regelmäßig Rubriken zu Gesundheitsfragen veröffentlicht und im Special-Interest-Bereich kann sich der Konsument auch reichhaltig bedienen. Zudem bietet das Medium Internet weitere Informationsmöglichkeiten. Woher also die Unzufriedenheit der Autoimmunkranken? 151 Bei der Annäherung an eine Erklärung dieses Zwiespalts sollen zwei Teilnehmer der UG 104 zu Wort kommen. Rudolf ist fast ein „Medienexperte“. Er sammelt alle Meldungen aus Zeitungen und Zeitschriften über seine Krankheit. Danach werden sie sorgfältig archiviert. Und doch betrachtet er sein Dossier als wenig informativ: „Seit 12 Jahren sammele ich alles über MS. Wenn es etwas Interessantes gibt, schicke ich es meinen Bekannten aus der Selbsthilfegruppe. Die sind auch immer hinter neuesten Informationen her. Aber die meisten Meldungen sind wenig ergiebig. Aufgewärmte Wiederholungen, unendliche Naturheilkunde-Methoden und homöopathischer Mist. Das kann mir wirklich nicht helfen, obwohl ich auch das eine oder andere Mittel versucht habe. Was in den Zeitungen steht, ist Wellness und Fitness. Wie vermeide ich den Sonnenbrand, wie kann ich eine Erkältung lindern und was bringt das neue Krebsfrüherkennungsprogramm? Dann hat wieder ein Amerikaner ein neues Protein entdeckt, das vielleicht in 20 Jahren AIDS heilen kann. Vielleicht einmal im Jahr wird etwas über MS gebracht. Aber Informationen gibt es wirklich keine neuen.“ 152 Rudolfs wesentliche Kritik liegt in der Themenauswahl der Medizinprogramme und -sparten. Die tatsächlich wichtigen Themen und Krankheiten werden seiner Meinung nach nicht behandelt. Folgt man dieser Auffassung, besteht ein Mangel an informativen Beiträgen über Autoimmunkrankheiten. Karola hat sich auch schon über diesen Mißstand beklagt: „Im Fernsehen wurde eine Sendung über Rheuma angekündigt. Ich habe sogar den Videorecorder programmiert, weil in der Zeitung stand, daß es über neue Therapien etwas gibt. Doch dann wurde überhaupt nicht über Rheuma gesprochen, sondern es gab mehrere Beiträge zur bevorstehenden Urlaubssaison. Wie man sich bei Insektenstichen verhalten muß, was für Impfungen notwendig sind und wie die Reiseapotheke ausgestattet werden soll. Ich war enttäuscht und wütend. Dann schrieb ich einen Brief an den Sender und beschwerte mich darüber. Nach drei Wochen kam die Antwort. Der Sender muß sich nach der Mehrheit der Zuschauer richten, denn die will gut bedient werden. Aber was ist denn das für eine Mehrheit? Es gibt mehrere Millionen Rheumakranke in Deutschland.“ Karola vertritt hier die Meinung der überwiegenden Mehrheit, zumindest der Befragten Teilnehmer aus der UG 104. Dort stimmen rund 65 Prozent der These zu oder stark zu, daß in den Medien mehr über Autoimmunkrankheiten berichtet werden sollte (Schaubild 35). Die „Autoimmun“ stellte die Autoimmunkrankheiten, insbesondere die Multiple Sklerose in den Mittelpunkt. Die zu den anderen Medien aufgebauten Kontakte wurden genutzt, um der Frage nachzugehen, wieso der Berichterstattung über Autoimmunkrankheiten so wenig Raum gegeben wird? Ohne hier eine empirische Untersuchung dazu durchzuführen, sollen einige Stellungnahmen zusammengefaßt werden. 153 Die meisten Kollegen gaben an, daß die Materie sehr kompliziert sei. Man könne kaum spezialisierte Autoren finden. Zudem wäre der Wahrheitsgehalt solcher Abhandlungen von den Redakteuren schwer zu überprüfen. Einen weiteren wichtigen Hinderungsgrund sahen viele Journalisten darin, daß sie durch eventuelle Falschmeldungen Gefahr liefen, unberechtigte Hoffnungen bei den Erkrankten zu wecken. Somit erscheint es besser, diese Themen zu umgehen. Können denn wirklich bei sorgfältiger Recherche und sachlicher Darstellung eines Themas unberechtigte Hoffnungen bei Lesern und Betroffenen geweckt werden? Dieses schwer zu analysierende Problem konnte nur durch die Frage betrachtet werden, wie der Leser die Informationen aus der „Autoimmun“ genutzt oder sogar umgesetzt hat. Es wurde von der Redaktion eine Untersuchung mittels Interviews zur Informationsnutzung durchgeführt. Sie verfolgte primär das Ziel, einen Einblick in das Patientenverhalten zu bekommen. Es ging um die Anwendung oder Umsetzung der in der Zeitschrift „Autoimmun“ vorgestellten Therapien. Gemeint sind die Therapien, die keine negative Bewertung durch die medizinische Forschung und die Redaktion erhielten, also medikamentöse und physikalische Anwendungen. In den meisten Fällen wurden die Methoden objektiv und neutral dargestellt und veröffentlicht. 154 Die Untersuchungsmethode bestand darin, einzelne Leser nach dem Erscheinen der jeweiligen Ausgabe danach zu befragen, ob und mit welchem Erfolg sie sich zu einer Therapie entschieden hätten. Im weiteren Verlauf wurde beobachtet, ob die geplante Therapie umgesetzt wurde. Nicht jeder Leser entschied sich aufgrund der Berichterstattung in der „Autoimmun“ für eine Therapie. Die meisten Leser holten sich Rat bei ihren Ärzten, was im Interesse der Redaktion lag. Insgesamt ließen sich fünf Lesertypen ermitteln, wobei auch die Bildung von Mischformen beobachtet wurde. Da wäre zunächst der „Hoffnungsleser“. Er sieht den Sinn einer medizinischen Informationsschrift darin, ihm Mut zu machen. Eine positive Meldung über ein neues Verfahren oder Medikament reicht aus, um ihn in bessere Stimmung zu versetzen. Nur in seltenen Fällen realisiert der „Hoffnungsleser“ eine Anwendungsmöglichkeit bei sich. Das Wissen, etwas gegen sein Leiden tun zu können, ist ausreichend. Er überläßt gerne anderen Patienten den Vortritt, um Risiken ausschließen zu können. Mit der Redaktion trat er den Dialog, um weitere Einzelheiten zu erfahren. Im akuten Krankheitsfall fragt er seinen Arzt nach einer Einschätzung der vorgestellten Methoden. Renate kann als typisches Beispiel dieser Kategorie genannte werden: „Ich lese gerne Ihre Zeitung und spreche auch oft mit meinem Neurologen über die Artikel. Er sagte, daß vieles interessant sei und einmal hat er sich sogar sachkundig gemacht. Zum Glück geht es mir nicht so schlecht. Ich muß also keine unnötigen Risiken eingehen. Wenn ich einen Schub bekommen würde, müßte mein Arzt entscheiden, was zu tun wäre. Vermutlich würde ich Kortison erhalten.“ Noch phlegmatischer als der „Hoffnungsleser“ reagiert der „Solidaritätskäufer“. Er erwirbt das Informationsmedium, um aus seiner Sicht eine sinnvolle Sache zu unterstützen. Hierbei ist es nicht ungewöhnlich, daß er das Blatt gar nicht liest. Das Gefühl, am Puls der medizinischen Forschung zu sein, erhält ihn als Käufer der Zeitschrift. Zu diesem Typus zählt offenbar nur eine Minderheit der Leser. Ihn ausfindig zu machen ist nicht einfach, denn zur Redaktion hält er keinen Kontakt. Norbert ist durch eine viel zu hohe Abonnementzahlung aufgefallen. Die Redaktion nahm mit ihm Kontakt auf, weil die Richtigkeit der Zahlung überprüft werden sollte. „Das mit dem Geld geht schon in Ordnung. Ich möchte Sie gerne unterstützen, weil ich glaube, daß Sie mit der Zeitung eine vernünftige Sache ausüben. Und sollte irgendwann einmal ein Medikament gegen meine Krankheit entdeckt werden, bin ich sicher, daß ich es durch Sie als erster erfahren werde. Das werde ich dann auch meinem Arzt erzählen.“ Ein ganz anderer Typ ist der „Skeptiker“. Er hat sich mit der Krankheit abgefunden und lehnt mögliche Neuentwicklungen schon im Ansatz ab. „Die Krankheit ist eben unheilbar und jeder Versuch einer Heilung ist Schwindelei.“ Er nutzt das Podium in der Zeitschrift (Leserpodium) oder den Dialog mit der 155 Redaktion, um auf seine aussichtslose Lage aufmerksam zu machen. Auch kann er auf eigene erfolglose Therapien verweisen. Konstruktive Beiträge sind vom „Skeptiker“ nicht zu erwarten. Aus der Sicht der Redaktion könnte man ihn als „Nörgler“ bezeichnen. Es waren die Telefonanrufe und Gespräche, die von keinem so gerne geführt wurden. Die stark sächselnde Betty darf als Paradebeispiel angeführt werden: „Ich glaube nichts mehr. Alle wollen nur Geld verdienen. Und bisher hat mir kein Arzt geholfen und damit rechne ich auch nicht. Es ist mein Schicksal, denn Gott hat mir diese Krankheit zugedacht und kein Mensch wird sie mir nehmen. Darüber sollten Sie mal nachdenken. Meinen Leserbrief sollten Sie veröffentlichen. Aber das trauen Sie sich wohl nicht. Die Wahrheit ist immer schwer zu ertragen.“ Dagegen ist der „Informationssammler“ immer auf der Suche nach einer Therapie oder Hilfe, die ihm das Leiden erleichtert oder nimmt. Er besitzt mehrere Informationsquellen und vergleicht sie. Anregungen oder Kritik gehen von ihm aus. Nach reiflicher Überlegung überträgt er manche Ergebnisse seiner Analyse auf seinen eigenen Fall. In der Sache ist er gut informiert und auch bereit, Informationen und Ideen weiterzugeben. Der bereits vorgestellte Rudolf entspricht dieser Gruppe und soll noch einmal zu Wort kommen: „Vermutlich hätte ich ohne ihren Artikel253 über das Medikament gegen die bleischwere Müdigkeit immer noch Probleme, meinen Tag durchzustehen. Der Aufsatz war sachlich und korrekt. Ich habe ihn meinem Hausarzt gezeigt. Der bat um eine Woche Geduld, er wollte sich sachkundig machen. Mein Neurologe wurde von mir ebenfalls auf die Meldung hingewiesen. Doch der kannte die Arznei schon und sagte, er würde sie mir verschreiben. Ein Versuch könnte sich lohnen und würde zeigen, ob es mir besser ginge. Als ich die Pillen hatte, überlegte ich noch eine Woche, ob ich sie nehmen sollte, wegen der vielen Nebenwirkungen. Dann nahm ich sie doch. Nach den ersten Tagen merkte ich, daß ich nicht mehr so müde war.“ Schließlich soll hier noch der „Anwender“ vorgestellt werden. Im Gegensatz zum „Informationssammler“ wendet der „Anwender“ jede neue Möglichkeit oder Therapieform bei sich selbst sofort an. Ohne Rücksicht auf Kosten und mögliche Selbstschädigungen ist sein größtes Ziel der Sieg über seine Krankheit. Er ist ein idealer Kunde für Wunderheiler und Scharlatane. Im Dialog und Gespräch mußte dieser Lesertyp immer wieder vor unüberlegten Schritten gewarnt und in ärztliche Betreuung geschickt werden. Jutta weiß schon gar nicht mehr, welche Medikamente bei ihr wirken. Sie nimmt sehr viele gleichzeitig. In ihrer Apotheke findet sich ein Sammelsurium von Salben, 253 Der Artikel „Bleischwere Müdigkeit“ über Amantadin erschien in: Autoimmun, Oktober/November 1996, Nr. 5, S. 8. 156 Pillen und Säften. Einige sind stark wirksame Substanzen, andere besitzen eine zweifelhafte Wirksamkeit: „Ich weiß, daß ich mich zu schnell überreden lasse. Wenn ich gegen meine Krankheit nichts unternehme, geht es mir noch schlechter. Also versuche ich alles zu bekommen, was ich erhalten kann. So auch das Medikament von Prof. Franke. Als ich bei ihm war, erzählte ich ihm von meinen erdrückenden Symptomen. Er sagte, das wäre teuflisch und wir müßten bald eine Therapie dagegen beginnen.254 Natürlich hat er Werbung für seine Methode gemacht. Ich habe nicht lange nachgedacht und zugesagt. Leider war das nicht so erfolgreich gewesen. Aber zwischendurch habe ich noch ein paar andere Therapien versucht. In der ‘Autoimmun’ stehen viele Hinweise auf Methoden und Möglichkeiten. Meistens beginne ich so schnell wie möglich mit den Anwendungen. Wenn ein Arzt ein Rezept verschreiben muß, gibt es auch keine Probleme. Denn ich gehe zu vielen Ärzten, und die kennen mich schon. Einer ist immer dabei, der das Rezept unterschreibt.“ Bei allen vorgestellten Typen besteht die Gefahr, unberechtigte Hoffnungen zu wecken. Das geringste Potential bietet der „Skeptiker“, er wird sich sehr selten zu einer unüberlegten Therapie anstiften lassen. Die stärkste Gefahr besteht beim „Anwender“. Gerade deshalb erscheint es notwendig, ganz besonders auf eine sachliche Darstellung zu achten. Gerne wird aber auf den „Anwender“ verwiesen, um von einer Berichterstattung über schwere Autoimmunkrankheiten abzusehen. Schnell heißt es dann in den Redaktionen: Die rennen ja gleich los und wollen das neue Mittel ausprobieren. Und wenn etwas passiert, sind wir noch schuld. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das vorhandene Informationsdefizit bei Autoimmunkranken noch ausfüllungsbedürftig ist. Die Patienten nehmen sachliche Informationen, wenn sie ihnen geboten werden, an. Hierbei könnten die Medien eine verstärkte Rolle spielen und mehr Verantwortung übernehmen, wie die Untersuchungen mit der „Autoimmun“ zeigen konnten. 5.6 Zusammenfassung Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Im Abschnitt „Die Redaktion als Partner“ wurden zunächst die medizinischen Informationsquellen für chronisch Kranke untersucht. Hierbei konnte ein Informationsdefizit bei den Erkrankten ermittelt werden. In einem weiteren Schritt konnten die Informations- und Recherchequellen der „Autoimmun“254 Über das „Teuflische“ in der Arzneimittelwerbung: Knilli, Friedrich, Das große Warentheater, in: Medienmagazin 1, München 1974, S. 114. 157 Redaktion aufgezeigt werden. Ferner gaben die Ergebnisse einer durchgeführten „Autoimmun“-Leseranalyse Auskünfte über die Zusammensetzung der Rezipienten und das Leseverhalten. Bei der Darstellung der redaktionellen Arbeit wurde festgestellt, daß eine Informationszeitschrift für chronisch kranke Rezipienten nur unter Mitwirkung von ärztlichen Fachkräften möglich ist. Anhand einer Musterausgabe wurden Themenbeispiele aufgezeigt. Bei der Untersuchung der inhaltlichen Schwerpunkte haben sich die Bereiche Therapie und Forschung als immanent wichtig für die Betroffenen herausgestellt. In einem weiteren Abschnitt wurden die Schwierigkeiten demonstriert, auf die ein Verständlichkeitstest bei chronisch Kranken und schwerbehinderten Menschen stößt. Die drei Hauptgründe für dieses Probleme sind: Überregionale Verteilung der durch Stichproben ermittelten Gruppe, starke Schwierigkeiten bei der Aufgabenlösung aufgrund körperlicher Defizite und unverhältnismäßig hohe Kosten bei der Durchführung. Abschließend konnte eine Einschätzung der Zielgruppe der medialen Berichterstattung über chronische Krankheiten vorgenommen werden. Es ergab sich, daß zwar medizinische Themen die wissenschaftsjournalistische Berichterstattung dominieren, aber chronisch kranke Rezipienten sich mit ihren Themen selten wiederfinden. Zudem konnte ermittelt werden, wie Leser angebotene Informationen aus der „Autoimmun“ über Therapien umsetzten. 158 6 Ein zusammenfassender Befund der Fallstudie Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Mit Erscheinen der letzten „Autoimmun“ im Dezember 1997 wurde das Projekt eingestellt. Insgesamt 27 Ausgaben konnten archiviert werden. Obgleich die Zeitschrift in über 30 Ländern alle Kontinente erreichte und zu Spitzenzeiten eine gedruckte Auflage von rund 11.000 Exemplaren vorweisen konnte, blieb sie doch eine wenig beachtete Randerscheinung in der Medienwelt. Aber was konnte die vorliegende Arbeit über das Projekt zeigen und welche Ergebnisse wurden präsentiert? Zunächst wurden die Entstehungsmotive und die Gründe für das Scheitern der Publikation dargestellt. Der Anspruch, eine unabhängige, objektive und sprachlich verständliche Zeitschrift für Autoimmunkranke herzustellen, kann nur erfüllt werden, wenn PR- und Werbefreiheit vorliegt. Die „Autoimmun“ war eng mit der Behandlungsmethode des verlegenden Arztes Franke verknüpft. Bis zur Zulassungsversagung seiner bevorzugten Substanz informierte das Blatt die Leser über diese Therapie. Nach dem Scheitern der Arznei blieben die Leser zwar der „Autoimmun“ treu, doch komplette Unabhängigkeit konnte nicht mehr garantiert werden. Infolgedessen konnte eine deutliche Erhöhung der Abonnentenzahl nicht erreicht werden, sie blieb konstant. Ferner näherten sich die Autoren der Zielgruppe einer solchen Publikation. Dabei wurden Einblicke in die Lebenssituation autoimmunkranker und schwerbehinderter Menschen und ihrer Familien gewährt. Die Herstellung eines medialen Special-Interest-Produkts verlangt sehr gute Kenntnisse über die Rezipienten. Diese Forderung gilt verstärkt für Konsumenten, deren Leben durch Krankheit bis in den intimsten Bereich eingeschränkt ist. Es sind Menschen, deren Hauptanliegen eine Heilung ist, die aber nur über wenig effiziente Informationsquellen verfügen. Die zwar nach dem Prinzip der Hoffnung leben, Nachrichten und Meldungen aber realistisch einschätzen können und sie oft unter der Prämisse beurteilen: Eine schlechte Nachricht ist besser als gar keine Nachricht. Es liegt ein großer Informationsbedarf vor, der von den Selbsthilfegruppen nur mäßig und von den Medien wenig ausreichend bedient wird. Schließlich wurde das Produkt „Autoimmun“ vorgestellt. Hierbei konnten die wesentlichen wissenschaftsjournalistischen Quellen eingegrenzt werden. Ein Blick auf die redaktionelle Tätigkeit zeigte, wie die Zeitschrift strukturiert war, wie sie aufgrund von Leseranalysen von der Zielgruppe angenommen und wie die Verständlichkeit der Sprache überprüft wurde. Zudem wurde der Versuch unternommen, Erkenntnisse über die Informationsnutzung zu gewinnen. Die Leser der „Autoimmun“ sind dabei sehr unterschiedlich mit den angebotenen Informationen umgegangen, so daß eine Typisierung entwickelt werden konnte. 159 160 7 Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“ zur Untersuchung deutschsprachiger Informationszeitschriften für chronisch kranke Menschen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher Der Entwurf eines neuen Merkmals für publizistische Analysen, das spätestens dann Verwendung finden soll, wenn sich die Wissenschaft mit Medienprodukten beschäftigt, die sich an chronisch kranke Menschen richten, bedarf einer Strukturierung. Zuerst sind begriffsbegründende Merkmale für eine publizistische „Sensibilität“ herauszustellen und zu diskutieren. Das Material hierzu liefert die Ergebnisse der vorgelegten Fallstudie. In einem weiteren Schritt muß sich das Zwischenergebnis von den bereits in der Publizistik vorliegenden Kriterien (Aktualität und Exklusivität, Periodizität und Kontinuität, Publizität und Kommunikation, Intimität und Individualität sowie Universalität und Spezialisierung) abgrenzen lassen, um zu einer konkurrenzfreien Eigenständigkeit zu gelangen. Der Begriff der „Sensibilität“ bedeutet Empfindung, Wahrnehmung oder Feinfühligkeit. In der Sinnesphysiologie versteht man darunter die Fähigkeit, Sinnesreize über Rezeptoren aufzunehmen und zu verarbeiten. Bei einer festgestellten Sensibilitätsstörung liegt eine herabgesetzte Wahrnehmung vor. Die Psychologie kennt diesen Wahrnehmungsprozeß und sieht darin das „Erfahrbarmachen“. Dieser Prozeß wird dort unterteilt in Empfinden, Wahrnehmen und Klassifizieren. In der medizinjournalistischen Wissenschaft müßte das Kriterium „Sensibilität“ – ähnlich wie die bereits vorhandenen Merkmale – geeignet sein, um analytische Untersuchungen durchzuführen. Bei entsprechender Fragestellung müßten mit diesem Merkmal Aussagen über die jeweils untersuchte Zeitung oder Zeitschrift möglich sein. Nachfolgend werden drei mögliche Voraussetzungen, die Eingang in die medizinjournalistische Forschung finden könnten, für die „Sensibilität“ skizziert: Die Fallstudie zeigte, daß bei der Herstellung einer Informationszeitschrift für chronisch kranke Menschen die Lesernähe von Bedeutung ist. Hierbei handelt es sich um einen Aspekt, der sich durch die Veröffentlichung von Leserbriefen und -anfragen messen und beurteilen ließe. Dies könnte dann mittels einer quantitativen oder qualitativen Inhaltsanalyse auf Lesernähe untersucht werden. Das Ergebnis könnte Auskunft über einen Teilaspekt der „Sensibilität“ geben. „Sensibilität“ als Untersuchungskriterium erfordert zudem bei der Erforschung medialer Produkte für chronisch Kranke eine besondere Verantwortung für die Rezipienten. Ob dieser Verantwortung Rechnung getragen wird, läßt sich zum Beispiel durch eine Fehleranalyse prüfen. Diese könnte unter Mitwirkung von in der Sache neutralen Fachkräften (Ärzten, Sozialwissenschaftlern, Juristen u.a.) erfolgen. Das Ergebnis würde Auskunft darüber geben, ob überhaupt 161 und wenn, kompetente Berichterstattung über die in dieser Arbeit ermittelten Themen chronisch kranker Menschen stattgefunden hat. Einen Schritt weiter würde die Verständlichkeitsprüfung gehen. Läge eine optimale Verständlichkeit des an chronisch Kranke gerichteten Mediums vor, würde dies das Merkmal „Sensibilität“ weiter ausfüllen. Hierbei könnte die Forschung die vorhandenen Verfahren für die entsprechende Zielgruppe auf die in dieser Arbeit dargestellten Probleme hin aufgreifen und modifizieren. Als Zwischenergebnis kann festgestellt werden, daß sich der Begriff „Sensibilität“ aus den Aspekten Lesernähe, kompetente Berichterstattung und Verständlichkeit zusammensetzen könnte. Nun gilt es zu klären, ob das Kriterium „Sensibilität“ nicht in Konkurrenz zu den bereits von der Wissenschaft entwickelten publizistischen Grundbegriffen steht. Ernsthaft in Konkurrenz könnte es mit den Gesichtspunkten „Intimität“ und „Sozialisation“ geraten. Diese fordern von dem Medium, daß es den Rezipienten persönlich beschäftigt und von ihm verlangt, Position zu beziehen. Der Leser soll direkt angesprochen werden, weil der Inhalt ihn betrifft oder betreffen könnte. Ferner lassen sich „Intimität“ und „Sozialisation“ durch Einbeziehung des Rezipienten und einen gewährten Blick hinter die Medizinkulissen definieren. Das Merkmal „Sensibilität“ trägt diese Gesichtspunkte teilweise in sich. Jedoch geht es mit den Aspekten Lesernähe, kompetente Berichterstattung und Verständlichkeit einen entscheidenden Schritt weiter. Wohingegen „Intimität“ und „Sozialisation“ mit der breiten Masse der an medizinische Themen Interessierten in Verbindung zu bringen sind, so bezieht sich das Merkmal „Sensibilität“ auf einen begrenzten durch eine bestimmte Krankheit verbundenen Rezipientenkreis. Durch die unmittelbare Einbindung des Lesers (Verständlichkeitsprüfung) enthält es zudem eine weitergehende Definition als „Intimität“ und „Sozialisation“. Damit läßt sich feststellen, daß das Merkmal „Sensibilität“ nicht in Konkurrenz zu dem publizistischen Kennzeichen „Intimität“ und „Sozialisation“ steht. Es trägt der besonderen Rezipientengruppe von chronisch kranken Menschen Rechnung. Abschließend kann gesagt werden: „Sensibilität“ ist als qualifizierendes medizinpublizistisches Kriterium dann zu beachten, wenn sich Informationszeitschriften an chronisch kranke Menschen wenden. 162 8 Anlagen Bearbeiter: Christa Alheit und Michael Tycher In der Anlage befinden sich sämtliche verfügbaren Ausgaben der Zeitschriften „Autoimmun News“ und „Autoimmun“ chronogischer Ordnung. Die Ausgaben „Autoimmun News“ Nr. 3 aus dem Jahr 1993 (November/Dezember) und „Autoimmun“ Nr. 2 aus dem Jahr 1995 (April/Mai) liegen nicht in digitalisierter Form vor. Bei der Wiedergabe wurden Bildmaterial und Bildunterschriften nicht berücksichtigt. Weiterhin wurde auf Anzeigen, Inhaltsverzeichnisse und Impressum verzichtet. Bei den vorliegenden Anlagen sind Überschriften, Zwischenüberschriften, Anreißer als normaler Fließtext nachgewiesen. Voneinander unabhängige Beiträge wurden durch Absatz getrennt. 8.1 „Autoimmun News“ Nr. 2 von September/Oktober 1993 Seite 2: „Denn nichts ist von der Vorbereitung her zweifelhafter und von der Durchführung her gefährlicher als der Wille, sich zum Neuerer aufzuschwingen. Denn wer dies tut, hat die Nutznießer des alten Zustandes zu Feinden, während er in den möglichen Nutznießern des neuen Zustandes nur lasche Verteidiger findet.“ Machiavelli Liebe Leser, die Redaktion freut sich, Ihnen das aktuelle Exemplar der AutoImmun News vorlegen zu können. Mit dieser Ausgabe wollen wir beginnen, unser Programm zu verwirklichen. Auslöser der AutoImmun News, welches das offizielle Mitteilungsblatt der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung und Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten (Multiple Sklerose, Rheuma, LE u. a.) e.V. ist, waren natürlich die Vorgänge um Deoxyspergualin (DSG). Es bedurfte einer enormen Anstrengung, Betroffene, Pharmaunternehmen, Ärzte und Patientenorganisationen auf dieses Präparat hinzuweisen. Das betreffende Pharmaunternehmen zeigte sich desinteressiert an einer zügigen Erforschung der Substanz. Erst nach Veröffentlichung dieser Nachlässigkeit kam Bewegung in diese wichtige Angelegenheit. AutoImmun News möchte in Zukunft aussichtsreiche Therapieansätze bei chronischen Krankheiten in enger Zusammenarbeit mit den betreffenden Pharmaunternehmen einer effizienten Diskussion zuführen. Keiner der betroffenen Patienten hat Zeit zu verlieren. Für die Pharmaindustrie eröffnen sich dabei vollkommen neue Perspektiven, denn die Herausforderungen in den nächsten Jahren werden zweifellos die Autoimmunkrankheiten sein. Die Internationale Gesellschaft zur Erforschung und Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten (Multiple Sklerose, Rheuma, LE u. a.) e.V. versteht sich nicht als Konkurrenz zu Patientenorganisationen. Im Bereich der sozialen 163 Betreuung, rechtlichen Beratung und Aufklärung wird von vielen Organisationen hervorragende Arbeit geleistet. Leider haben sich, deutlich erkennbar bei der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft e.V., in der Vergangenheit Strukturen eingeschlichen, die den Blick für eine zukunftsweisende Therapieforschung verblendet haben. Die Unheilbarkeit der MS ist zum wesentlichen Programmpunkt geworden. Der Blick für gut begründete Therapieansätze war versperrt. Das darf nie wieder passieren! Eine unserer Hauptaufgaben ist die aufmerksame Beobachtung weltweiter Forschungsansätze auf dem Sektor der Autoimmunkrankheiten. Unsere Erkenntnisse werden präzis, objektiv und verständlich aufbereitet, um Sie darüber umfassend in den AutoImmun News zu informieren. AutoImmun News versteht sich nicht als Anhänger einer bestimmten Substanz, und als Spezialist einer bestimmten Krankheit. Wir wollen vielfältig, aktuell und mit einer Portion medizinischer Neugier und vorsichtigem Optimismus berichten. Nur ein optimistischer Aufbruch kann ein neuer Durchbruch sein! Ihre Redaktion AutoImmun News Internationale Gesellschaft zur Erforschung und Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten (Multiple Sklerose, Rheuma, LE u. a.) e.V. Die Gründungsmitglieder: Prof. Dr. med. Niels Franke Dr. med. Rémy Kälin (Schweiz) Prof. Dr. med. Franz Hopfer (Österreich) Prof. Dr. rer. nat. med. habil. Hartmut Heine Prof. Dr. med. Martin Franke Dr. med. Margret Krimmel Dr. jur. Franz Schober Letzte Meldungen nach Redaktionsschluß: Leflunomid, ein neues Rheumamittel, ist noch in der Entwicklung. Es beeinflußt den Autoimmunprozeß offenbar gezielt. Hoechst, verantwortlich für die Entwicklung dieser Substanz, spricht von einem „vielversprechenden Arzneimittel“. Die nächste Ausgabe der AutoImmun News wird sich mit Leflunomid befassen. Nach letzten Meldungen erwägt das Bundesministerium für Gesundheit eine rasche Zulassung nach § 28 Absatz 3 AMG von Deoxyspergualin. Seite 3: DSG-Studie der Behringwerke Dr. Theobald im Interview mit AutoImmun: „Breite Verfügbarkeit im ersten Quartal 1994 in jedem Fall verfrüht“ F ür MS-Kranke gibt es zur Zeit nur ein Thema: Wann wird DSG endlich zugelassen und kann einer breiten Patientenschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Frage nach der Wirkung dieser Substanz bleibt, nach rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten, noch offen. 164 Die Ungeduld bei Betroffenen wächst, viele wollen nicht mehr abwarten bis das langwierige Prüfungsverfahren abgeschlossen ist. Andere haben aufgrund ihres bösartigen Krankheitsverlaufs auch einfach nicht mehr die Zeit zu warten. Und wieder andere fühlen sich mit ihrer Krankheit soweit im Stich gelassen, daß sie sich ihre Handlungsfreiheit, ein Medikament zu probieren, nicht nehmen lassen wollen. Die Behringwerke AG hat ein erstes Zwischenergebnis gegen Ende dieses Jahres angekündigt. Doch schon jetzt wollte AutoImmun News von den Pharmazeuten in Marburg eine erste Einschätzung abringen. Eine zentrale Person bei denBehringwerken ist Dr. Theobald (Leiter Klinische Forschung, Immunregulation). Er befaßt sich mit der Studienauswertung. AutoImmun hatte Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit Dr. Theobald zu führen. AutoImmun: Erwarten Sie in den nächsten Jahren bei der Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten entscheidende Erfolge? Dr. Theobald: Das Immunsystem des Menschen hat sich als äußerst kompliziertes Netzwerk erwiesen, bei dessen Steuerung eine Vielzahl von Faktoren beteiligt sind. Durch Einsatz modernster Technologie ist unser Verständnis für das Immunsystem in den vergangenen Jahren sehr viel größer geworden. Daher ist zu erwarten, daß mit diesem größeren Verständnis auch bessere Therapiemöglichkeiten gefunden werden. AutoImmun: Ab wann dürfen Sie streng wissenschaftlich von einer Wirksamkeit eines Präparates sprechen? Dr. Theobald: Die Wirksamkeit eines Präparates ist dann gegeben, wenn sie in einem wissenschaftlich streng kontrollierten Versuch , d. h. hier in einer klinischen Prüfung, belegt wurde. AutoImmun: Können Sie erste Zwischenergebnisse bei der Studie mit 15 +/Deoxyspergualin bei Multipler Sklerose nennen? Dr. Theobald: Nein. Wie bekannt, werden die Studien als placebokontrollierter Doppelblindversuch durchgeführt. Das bedeutet, daß weder Arzt noch Patient wissen, zu welcher Therapiegruppe der Einzelne gehört. Auch alle am Projekt beteiligten Mitarbeiter der Behringwerke AG kennen diese Zuordnung nicht. Eine Auswertung wird erst vorgenommen, wenn alle Daten vorliegen. Dies wird Ende des Jahres der Fall sein. AutoImmun: Sind Nebenwirkungen aufgetreten? Dr. Theobald: Es sind Nebenwirkungen aufgetreten. Einige der gemeldeten Ereignisse sind bereits in früheren klinischen Prüfungen beobachtet worden. Andere, bisher unbekannte Ereignisse, können aufgrund der Studienblindheit nicht sicher dem Präparat zugeordnet werden. Insgesamt haben die beobachteten Nebenreaktionen bisher keinen Anlaß gegeben, die planmäßige Fortführung der Studien zu überdenken. AutoImmun: Hat sich die Dosierung von 15 +/-DSG als richtig erwiesen? Dr. Theobald: Die gewählten Dosierungen von 15 +/-DSG sind abgeleitet zum einen aus den Tierversuchen, zum anderen aus klinischen Prüfungen in anderen Indikationen. Beispielsweise in der Transplantation haben sich diese Dosierungen als wirksam erwiesen. AutoImmun: Besteht bei diesem Präparat, falls es wirksam ist, die theoretische Möglichkeit, daß eine andere Darreichungsform noch wirkungsvoller sein könnte? 165 Dr. Theobald: Über den Zusammenhang zwischen Wirksamkeit und Dosis; Darreichungsform, Therapieintervall, Kombination mit anderen Medikamenten etc. kann zur Zeit nur spekuliert werden. AutoImmun: Wann rechnen Sie mit einer breiteren Verfügbarkeit des Präparates? Im ersten Quartal 1994? Dr. Theobald: Die alles entscheidende Frage ist doch zunächst in der Wirksamkeit von 15 +/-DSG zu sehen. Erste Hinweise werden frühstens Ende des Jahres vorliegen. Eine breite Verfügbarkeit im ersten Quartal 1994 erscheint mir aber in jedem Falle verfrüht. AutoImmun: Ist es nicht sinnvoller, möglichst bald in eine „Offene Studie“ zu wechseln, um die optimale Therpieform zu ermitteln? Dr. Theobald: Die MS ist eine sehr wechselhaft verlaufende Erkrankung, in der sich Phasen der raschen Progredienz mit Zeiten des Krankheitsstillstandes abwechseln, Schübe und Remissionen auftreten können und die sehr unterschiedlich verlaufen kann und innerhalb eines Patienten in ihrem Verlauf völlig unvorhersagbar ist. Bei der Beurteilung des klinischen Zustandes eines Patienten spielen subjektive Einflüsse sowohl des Patienten wie auch des Arztes eine Rolle. Unter „offenen“ Bedingungen kann und wird es hier zu Verzerrungen in der Beurteilung des Effektes kommen. Daher sind offene Studien grundsätzlich weniger gut geeignet, eine Substanz objektiv nach ihrem Nutzen zu beurteilen. Dies gilt auch für die Frage nach der Wirksamkeit an sich wie auch für die Ermittlung optimaler Therapieformen, Dosierungen, Intervalle etc. Seiten 4 und 5: News – Studien – Infos Beta-Interferon ist wirksam bei Multipler Sklerose – ein Studienbericht In den USA ist Interferon-beta 1b zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose kürzlich zugelassen worden. Die Schering-Tochter Berlex Laboratories hat eine Placebostudie in Amerika durchgeführt und Produzent dieser Substanz ist die Firma Chiron Corporation. Interferon-beta 1b ist ein gentechnologisch hergestelltes Beta-Interferon, bei der eine Aminosäure (Cystein) gegen eine andere Aminosäure (Serin), zunächst aus Gründen der Stabilität, ausgetauscht worden ist. Die Substanz wurde von Berlex Laboratories in einer Doppelblindstudie getestet. Die positiven Ergebnisse in dieser dreijährigen Studie erlaubten jetzt die Zulassung auf dem US-Markt. Es ist sehr erfreulich, daß nach 20 Jahren das erste Medikament mit einer nachgewiesenen Wirkung gegen MS zugelassen worden ist. Schering wird alles daran setzen, dieses Medikament so schnell wie möglich weltweit verfügbar zu machen. Das Herstellungsverfahren ist kompliziert. Die notwendigen, neuen Produktionsstätten werden gerade erst aufgebaut, so daß mit einer ausreichenden Versorgung des europäischen Marktes erst frühestens im Jahr 1995 zu rechnen ist. Natürliches beta-Interferon (Fiblaferon, Fa. Rentschler) wird schon lange zur Behandlung von schwersten, viralen Infekten und experimentell bei Autoimmunkrankheiten eingesetzt. Es bestand der begründete Verdacht einer Wirkung bei Autoimmunkrankheiten, auch bei MS. 1987 konnte eine 166 gleichartige Studie in Deutschland nicht durchgeführt werden, da die öffentliche Hand keinen Forschungszuschuß leisten wollte. Die Befunde stimmen optimistisch, da sich hier zum ersten Mal die Wirksamkeit eines Medikamentes bei Multipler Sklerose zeigte. Diese Untersuchung zeigt weiter, daß qualifizierte, wissenschaftliche Therapieforschung bei Autoimmunkrankheiten, besonders bei MS möglich ist, wenn genügend Geld dafür zur Verfügung gestellt wird. Die Frage des Geldes scheint für Schering Anreiz für den amerikanischen Markt zu sein. Kürzlich verkündete Scheringsprecher Ralf Harenberg, daß man mit jährlich 8.500 bis 10.000 US-Dollar Einnahmen pro Patient rechne. Nach Schätzungen erwarte man, daß bis zu 150.000 Patienten mit diesem Präparat behandelt werden könnten. Im Idealfall könnte sich Schering über Einnahmen von 1,5 Mrd. US-Dollar freuen. Diese Zahlen habe der Vize-Vorstandschef Klaus Pohle, laut einer ReuterMeldung, in New York genannt. In Europa erwartet das Unternehmen ab 1995 dann ähnliche Einnahmen. Die amerikanische beta 1b-Interferonstudie: Wirkungen von beta1-Interferon bei schubförmiger (relapsing-remitting) Multipler Sklerose Es wurde bei 372 Patienten mit einer schubfömigen MS eine doppelblinde, randomisierte Multizenterstudie zur Prüfung der Wirkungen von beta1 Interferon (INF), durchgeführt. Alle Patienten wurden ambulant behandelt. Es wurden nur solche MSPatienten in die Studie eingeschlossen, die einen Grad der Behinderung („Expanded Disability Status Scale“, EDSS) zwischen 0 (symtomfrei) und 5,5 (Gehfähigkeit) und mindestens 2 Schübe pro Jahr hatten. Ein Drittel der Patienten erhielt ein Placebo (Scheinmedikament), ein Drittel eine niedrige Dosis von beta1b-Interferon (1,6 Mio I.E.) und ein Drittel eine hohe Dosis (8 Mio I.E.) jeden 2. Tag durch eine subcutane Injektion (Spritze unter die Haut). Unter den Ergebnissen ist besonders wichtig: 1. Die jährliche Schubrate nach zwei Jahren kontinuierlicher Behandlung bei Patienten mit Placebo betrug 1,26. Bei Patienten mit 1,6 Mio. I.U. INF (niedrige Dosierung) 1,17. Bei Patienten mit 8 Mio I.U. INF (hohe Dosis) 0,64. Die Schubraten waren in beiden Behandlungsgruppen signifikant (überzufällig) niedriger, als in der Gruppe mit Scheinbehandlung. Die Verminderung der Schwere der Schübe in der Gruppe mit hoher INFDosierung war Folge einer Halbierung mäßiger und schwerer Schübe. In der 8 Mio I.U. INF - Gruppe (hohe Dosis) waren nach 2 Jahren mehr Patienten schubfrei, als in der Placebogruppe. 2. Der Grad der Behinderung (EDSS) blieb in allen Untersuchungsgruppen unverändert, Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen zeigten sich nicht. 3. Bei den seriell (schnell, fortlaufend) – durchgeführten Kernspintomographien zeigte sich eine deutlich verminderte Krankheitsaktivität. 167 Zusammenfassend zeigt die Studie eine Wirkung von beta1b-Interferon bei der schubförmigen MS ohne schweren Behinderungsgrad. beta1-INF kann als bisher einziges Medikament offenbar den natürlichen Ablauf der MS verändern. Innerhalb der 3 Jahre der Untersuchung zeigten sich allerdings keine Unterschiede im Befinden der Patienten. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen, die unter der Therapie mit Interferon beta-1b festgestellt wurden, zählen grippeähnliche Symptome (Fieber etc.), entzündliche Reaktionen an den Injektionsstellen und vorübergehende Veränderungen des weißen Blutbildes. Quelle: Siblay, W.A. et al.: Interferon beta 1b is effective in relapsing-remitting multiple sclerosis, Neurology, 43 (1993) 43, 655ff. Vorsicht bei Therapie mit Ciclosporin Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft hat auch im Deutschen Ärzteblatt, (Heft 30, 30. Juli 1993) auf Risiken bei der Behandlung mit Ciclosporin hingewiesen. Auch bei niedriger Dosierung 2,5 bis 5 mg/kg Körpergewicht/Tag muß die Therapie genau überwacht werden. Bei der sogenannten „Niedrigdosis-Therapie“ muß, wie bei der aus der Transplantationsmedizin bereits bekannten hohen Dosierung, auf unerwünschte Nebenwirkungen geachtet werden. So weiß man seit langem, daß bei Therapien mit immunsupressiven Wirkstoffen, das Risiko von neu auftretenden Tumoren beachtet werden muß. Da eine Grenzdosis für die Entstehung von Tumoren nicht feststellbar ist, läßt sich nicht sagen, ob mit der Entstehung bösartriger Tumore auch bei sehr niedriger Dosierung, gerechnet werden muß. Weiterhin sollte eine sorgfältige Überwachung der Nierenfunktion und des Blutdrucks erfolgen. Darüberhinaus kann es bei der Verabreichung von Ciclosporin ganz allgemein zu einer Begünstigung von Infektionskrankheiten kommen. Auch auf die jeweiligen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sollte besonders geachtet werden. Von den zu Beginn der Ciclosporintherapie empfohlenen 14-tägigen Kontrolluntersuchungen kann unter Umständen abgewichen werden. Bei einem stabilen Gesamtzustand können die Abstände der Kontrolluntersuchungen allmählich vergrößert werden. Trotz sorgfältiger Kontrolluntersuchungen sollte die Anwendungsdauer von Ciclosporin in der Regel zwölf Wochen nicht übersteigen. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft hat auch im Deutschen Ärzteblatt, (Heft 30, 30. Juli 1993) auf Risiken bei der Behandlung mit Ciclosporin hingewiesen. Auch bei niedriger Dosierung 2,5 bis 5 mg/kg Körpergewicht/Tag muß die Therapie genau überwacht werden. Bei der sogenannten „Niedrigdosis-Therapie“ muß, wie bei der aus der Transplantationsmedizin bereits bekannten hohen Dosierung, auf unerwünschte Nebenwirkungen geachtet werden. So weiß man seit langem, daß bei Therapien mit immunsupressiven Wirkstoffen, das Risiko von neu auftretenden Tumoren beachtet werden muß. 168 Da eine Grenzdosis für die Entstehung von Tumoren nicht feststellbar ist, läßt sich nicht sagen, ob mit der Entstehung bösartriger Tumore auch bei sehr niedriger Dosierung, gerechnet werden muß. Weiterhin sollte eine sorgfältige Überwachung der Nierenfunktion und des Blutdrucks erfolgen. Darüberhinaus kann es bei der Verabreichung von Ciclosporin ganz allgemein zu einer Begünstigung von Infektionskrankheiten kommen. Auch auf die jeweiligen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sollte besonders geachtet werden. Von den zu Beginn der Ciclosporintherapie empfohlenen 14-tägigen Kontrolluntersuchungen kann unter Umständen abgewichen werden. Bei einem stabilen Gesamtzustand können die Abstände der Kontrolluntersuchungen allmählich vergrößert werden. Trotz sorgfältiger Kontrolluntersuchungen sollte die Anwendungsdauer von Ciclosporin in der Regel zwölf Wochen nicht übersteigen. Kortison: Oft die letzte Rettungsinsel Neuere Studie über Wirkung von Kortison bei MS. Als Meßparameter wurden Liquorbefunde gewählt. Seit vielen Jahren spielt die orale oder intravenöse Kortisontherapie eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Autoimmunkrankheiten. Besonders bei der Multiplen Sklerose (MS) ist die Therapie mit Methyprednisolon bei akuten Schüben die am häufigsten angewendete Therapieform. Bereits vor 25 Jahren wurde die hochdosierte „Stoßtherapie“ mit Methylprednisolon erprobt. Erst jetzt werden die Erfolge dieser Therapieform systematisch beschrieben. Die vorliegende Untersuchung von Hommes umfaßt 101 Patienten mit einem mittleren Alter von 35 Jahren und einer Krankheitsdauer von ca. acht Jahren. Alle Patienten kamen wegen einer akuten Zunahme ihrer Beschwerden in die Klinik. Die i.v. Stoßtherapie erfolgte mit 1000 mg Methylprednisolon täglich über 10 Tage. Unmittelbar vor und nach der Therapie wurde eine eingehende Untersuchung des Liquors durchgeführt. Dabei wurden vor allem die Werte im Liquor bestimmt, die die Aktivität der Krankheit zeigen. Dies sind die Werte der Synthese von IgG und IgM im ZNS und die Anzahl der oligoklonalen Banden. Die mitgeteilten Ergebnisse stehen in guter Übereinstimmung mit den jeweilig festgestellten klinischen Befunden, sie zeigen deutliche Veränderungen bei der Untergruppe der Patienten mit einer schubförmigen Multiplen Sklerose. Zusammenfassend wird durch diese Arbeit der Erfolg der „Stoßtherapie“ bestätigt. Quelle: Acta Neurol Scand 86 (1992): 291-297. Seiten 6 und 7: „Eine kausal orientierte MS-Therapie gibt es nicht“ Dr. med Hans Wilimzig (Arzt für Neurologie und Psychiatrie) betreut in der Paracelsus-KLinik in Osnabrück eine Vielzahl von MS-Patienten. 169 Der Praktiker hat über Tage, Monate und Jahre den Krankheitsverlauf seiner Patienten beobachtet. Über seine Erfahrungen mit den etablierten Behandlungsmethoden schreibt er in den AutoImmun News. Die multiple Sklerose ist bis heute nicht heilbar. Es gibt zur Zeit kein kausalorientiertes allgemein anerkanntes Therapie-Verfahren. Während die Behandlung der häufigsten Folgeerscheinungen (symptomatische Behandlung) deutliche Fortschritte gemacht hat, fallen die vermeintlichen Erfolge der sogenannten kausal orientierten Therapie (immunsuppressive Behandlung) leider eher bescheiden aus (Seidel D.). Ursache der MS nach wie vor ungeklärt Die Gründe für diese unbefriedigende Situation liegen vor allem in der bisher ungeklärten Ursache dieser Erkrankung und dem sehr unterschiedlichen Krankheitsverlauf, der die Beurteilung von kausal (an immunpathogenentischen Modellen) orientierten Therapiemaßnahmen schwierig macht. Therapiert werden nur die Krankheitsfolgen Die symptomatische Behandlung bezieht sich auf die Therapie von Folgeerscheinungen der MS und die Prävention und Behandlung von Komplikationen im Verlauf der Erkrankung. Die medikamentöse Behandlung von Zielsymptomen betrifft vor allem die Spastik, Blasenstärkungen, Tremor, Schmerzen, alaktische Störungen, psychische Störungen und selten auch epileptische Anfälle. Der physiotherapeutischen (krankengymnastischen) Behandlung der meist von Spastizität, Paresen und Koordinationsstörungen geprägten Ausfällen kommt eine vorrangige Bedeutung zu. Es besteht das Ziel, die größtmögliche Selbständigkeit des Patienten zu erhalten, kompensatorische Funktionen zu entwickeln und sekundäre Komplikationen vorzubeugen bzw. solche zu beheben (z.B. Kontrakturen, Haltungsschäden, Dekubitus, Osteoporose). Schubförmigeund chronisch-progrediente MS Bei der kausal-orientierten Behandlung ist zwischen der Behandlung im akuten MS-Schub, der Intervallbehandlung zur Schubprophylaxe und der Behandlung der chronisch progredienten Multiplen Sklerose zu unterscheiden. Die Kortisontherapie Allgemein anerkannt ist inzwischen bei der Behandlung des akuten MSKrankheitsschubes der Einsatz von hochdosierten Corticosteroiden. Die Angaben hinsichtlich der Dosierung und der Dauer einer Kortisonbehandlung im akuten MS Schub schwanken. Meist gibt es „hauseigene Schemata“. Empfohlen werden Kortison-Dosen zwischen 500 und 1000 mg für fünf bis zehn Tage, dann abruptes oder ausschleichendes Absetzen; dabei sind Nebenwirkungen zu beachten. 170 Meist wird gleichzeitig eine prophylaktische Behandlung mit magensäurehemmenden Mitteln zur Ulcus-Prophylaxe (Schutz vor Magengeschwür) empfohlen. Die Behandlung mit hochdosierten Präparaten kann das Ausmaß der klinischen Symptome mindern und die Dauer eines akuten Schubes verkürzen. Dieser Effekt wird mit der antiödematösen (entschwellenden) und gefäßabdichtenden, membranstabilisierenden Wirkung von Kortison erklärt. Daneben wird auch eine, erst später einsetzende immunsuppressive Wirkung von Kortison angenommen. Es konnte bisher gezeigt werden, daß durch eine Kortisonbehandlung die lokale Immunglobulinproduktion im zentralen Nervensystem (ZNS) vermindert wird. Nebenwirkungen der Kortisontherapie Corticosteroide greifen in immunregulatorische Vorgänge ein. Eine Langzeitbehandlung mit niedrigen Kortison-Dosen hat keinen gesicherten positiven Effekt, es scheinen eher negative Wirkungen zu überwiegen. Bei der Behandlung der chronisch-progredienten Verlaufsform schien bisher weder Kortison noch eine Behandlung mit Azathioprin (ImmurekR) einen gesicherten Effekt zu haben. Neuerdings wird auch hier eine hochdosierte Kortison Behandlung empfohlen, zu berücksichtigen ist bei einer hochdosierten Kortison Behandlung immer, daß erhebliche Nebenwirkungen auftreten können. Hinzuweisen ist vor allem auch bei hochdosierter Kortison-Behandung auf die Reaktivierung chronischer, latenter Infekte, von Magen-Darm-Ulcera und auch von Femur Kopfnekrosen (Einschmelzung des Oberschenkelkopfes). Immunsuppresive Dauerbehandlung Bei einer Schubrate von mehr als zwei Schüben innerhalb von zwei Jahren wird eine immunsuppressive Dauerbehandlung empfohlen. Allgemein anerkannt ist bisher im wesentlichen Azathioprin (ImmurekR), das im Vergleich zu anderen immunsuppressiv wirkenden Medikamenten die geringsten Nebenwirkungen und den nachweislich besten Effekt hat, die Schubrate zu verringern. Azathioprin hemmt die Induktion einer humoralen (Serumfaktor) Antikörperantwort auf einen Antigenreiz und führt zu einem T und B-Zellabfall. Empfohlen wird eine Dosis von 2 bis 3 mg/kgKG täglich. Inzwischen wird allgemein die Behandlung der Azathioprin-Behandlung wegen möglicher Nebenwirkungen nicht mehr zeitlich begrenzt, sondern eine langjährige Behandlung bei MS-Patienten befürwortet, da es nach Beendigung der Azathioprin-Behandlung zu verstärktem Auftreten von erneuten Multiple Sklerose-Schüben kommen kann. Therapie mit Cyclosporin Statt Azathioprin wird gelegentlich auch Cyclosporin verwendet, wobei sehr unterschiedliche Behandlungsschemata angegeben werden. Cyclosporin hat aufgrund neuer Studien auch bei der chronisch-progredienten Verlaufform der Multiplen Sklerose keinen Vorteil gegenüber Azathioprin gezeigt. Im wesentlichen werden Chyclophosphamid oder Cyclosporin A bei 171 einer Azathioprin-Unverträglichkeit oder bei fehlender Wirksamkeit von Azathioprin empfohlen. Andere Behandlungsformen Andere medikamentöse Behandlungsformen sind klinisch noch ungenügend abgesichert. Hier fehlen noch genaue Ergebnisse. Bis auf die Behandlung mit Beta Interferon liegen keine überzeugenden, allgemein anerkannten Ergebnisse vor. Dies gilt auch für die Zusatzbehandlung mit essentiellen Fettsäuren, denen neuerdings auch ein immunmodulierender Effekt zugesprochen wird. Zusammenfassend sind bisher bei den sogenannten kausal-orientierten medikamentösen Behandlungen im wesentlichen die hochdosierte Behandlung mit Kortison im akuten Schub und bei der prophylaktischen Langzeit-Behandlung die medikamentöse Behandlung mit Azathioprin anerkannt. Die Langzeit-Behandlung mit anderen Immunsuppressiva ist mit stärkeren Nebenwirkungen verbunden und wird bisher nur bei Therapieversagen gegenüber Azathioprin oder Unverträglichkeit von Azathioprin empfohen. Auch die Effizienz von Azathioprin ist nach neueren Langzeitstudien angezweifelt worden. Jedoch scheint Azathioprin (ImmurekR) unter den bisher allgemein verwendeten immunsuppressiv wirkenden Medikamenten bei der Langzeittherapie und der Berücksichtigung der teilweise erheblichen Nebenwirkungen die bisher günstigste Behandlungsmöglichkeit zu sein. Dr. Hans Wilimzig Seiten 8 und 9: Rheuma Der akuelle Behandlungsplan Zu den Autoimmunerkrankungen zählt nach den Forschungsergebnissen der letzten zwei Jahrzehnte auch Rheuma (chronische Polyarthritis). Über den aktuellen Behandlungsplan berichtet Prof. Dr. Martin Franke. Er ist Rheuma-Experte. Rund 20 Jahre konnte er Erfahrungen als Chefarzt des Staatlichen Rheumakrankenhauses (Baden Baden) sammeln. Heute ist er ständiges Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Rheumatologie. Die chronische Polyarthritis (auch als rheumatoide Arthritis bezeichnet) ist die häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung. Etwa 2 Prozent der Bevölkerung wird von dieser Krankheit betroffen, allerdings sind die einzelnen Krankheitsverläufe sehr unterschiedlich schwerwiegend, und bei einem gewißen Anteil der Betroffenen tritt nur ein einmaliger „Schub“ auf, der ohne Folgen bleibt. Überwiegend kommt es aber zu einem „chronisch“ sich entwickelnden Krankheitsverlauf, der im Bereich vieler Gelenke zu unterschiedlich ausgeprägten Dauerschäden führen kann. Auch andere Organe des Körpers wie Augen, Herz, Lunge, Gefäße können in den jeweiligen Krankheitsverlauf miteinbezogen werden. Ursache ist eine falsche Antwort des Abwehrsystems 172 Ursache für diese viele Gelenke befallende Entzündung – die rheumatische Entzündung – ist eine nicht normale, überschießende Antwort des Abwehrsystems des Körpers, die zudem auch unnötig und für den Organismus schädlich ist. Die auslösenden Reize für eine solche überschießende Reaktion des Abwehrsystems werden von einem richtig funktionierenden Abwehrsystem gar nicht als „fremd“ und damit als vom Immunsystem „antwortbedürftig“ empfunden. Warum, weiß niemand Als solche auslösende Reize für eine überschießende Abwehrfunktion können körpereigene Zellen, Teile von Bakterien und Viren sein. Warum ein Abwehrsystem plötzlich auf solche Abwege gerät, ist trotz aller Bemühungen der Forschung bisher noch nicht bekannt. Es kommen eine Reihe von Einflüssen innerhalb oder außerhalb des Körpers in Betracht, die eine solche überschießende und sinnlose, ja schädliche Abwehrreaktion auslösen können. Als Erklärung für den weiteren chronischen Verlauf der Krankheit muß angenommen werden, daß es eben dem so heftig reagierenden Abwehrsystem nicht gelingt, mit dem auslösenden Reiz fertig zu werden, und / oder daß dem falsch reagierenden Abwehrsystem immer wieder neue Reize angeboten werden, die mit ebensolcher unnötiger und sinnloser Reaktion beantwortet werden. Eine an der Ursache ansetzende Behandlung der chronischen Polyarthritis müßte eigentlich versuchen, den Reiz, der das Abwehrsystem zu dieser Reaktion veranlaßt, auszuschalten. Medikamentöse Therapie wirkt in den Gelenken entzündungshemmend, aber nicht kausal Das ist aber im Augenblick mit keiner Behandlungsmethode möglich. Grundsätzlich kann medikamentös auf den Krankheitsprozeß dennoch eingewirkt werden, in dem Sinne, daß die durch das Abwehrsystem ausgelöste Entzündung – die rheumatische Entzündung in den Gelenken – bekämpft wird. Dies geschieht durch sogenannte Antirheumatica, bei deren Einnahme ein sofort dämpfender Effekt auf die rheumatische Entzündung zu beobachten ist (Substanzen z.B. wie Diclofenac, Indomatacin, Acemetacin, Piroxikam, Ibuprofen und andere). Diese Mittel sind Entzündungshemmer und beeinflussen damit auch die hauptsächliche Krankheitserscheinung des Rheumatikers nämlich den Schmerz nachdrücklich. Auch das zur Behandlung mit Erfolg genutzte Kortison wirkt auch in diesem Sinne. Alllerdings beeinflußt das Kortison auch die überschießende Antwort des Abwehrsystems und wirkt dadurch auch so sicher entzündungshemmend. Kortison hat einen sofortigen Effekt Sein Wirkungseintritt ist auch sofort. Der Einsatz von Kortison ist allerdings durch Nebenwirkungen in Abhängigkeit von der Höhe der Gabe und von der Gabe und der Dauer der Anwendung eingeschränkt. Es hat sich gezeigt, daß kleine Mengen von Kortison bei schweren Verlaufsformen der chronischen Polyarthritis gut dämpfend auf das Krankheitsgeschehen einwirken und auch vertragen werden. Andere Medikamente wirken langfristig 173 Zusätzlich stehen aber noch andere Medikamente zur Verfügung, von denen man sich eine langfristige, allerdings erst verzögert einsetzende entzündungshemmende Wirkung verspricht, und die wohl auch in der Lage sind, auf das Abwehrsystem regulierend im Sinne einer Dämpfung der Überreaktion einzuwirken. Sie werden als sogenannte „Basistherapeutica“ oder besser als langzeitwirksame antirheumatische Medikamente bezeichnet. (Substanzen wie Antimalariamittel, Goldsalze, D-Penicillamin, Sulfasalazin, Zytostatica und Immunsuppressiva). Die Auswahl dieser Medikamente richtet sich nach dem einzelnen Krankheitsverlauf und den persönlichen Voraussetzungen im weitesten Sinne, die der einzelne Kranke mitbringt. Die Verordnung dieser Medikamente erfordert von dem Arzt große Erfahrung in der Behandlung der chronischen Polyarthritis und im Umgang mit diesen Substanzen. Zusätzliche therapeutische Maßnahmen Damit, d.h. mit Verordnung von Medikamenten – erledigt sich aber die Behandlung der chronischen Polyarthritis keinesfalls. Es kommt ein ganzes Behandlungsprogramm hinzu, das notwendige operative Maßnahmen (Entfernung der rheumatisch entzündeten Gelenkinnenhaut, künstlicher Gelenkersatz) Methoden der physikalischen Therapie (insbesondere Kältebehandlung, Krankengymnastik), Ergotherapie (besondere Formen der Funktionsübung, Hilfsmittel und Schienenversorgung) sowie schwerpunktartig durchgeführte Rehabilitationsmaßnahmen am Kurort und die psychosoziale Betreuung umfaßt. Außerdem bietet die Rheumaliga – so jedenfalls ist ihre Aufgabe definiert – „Hilfe zur Selbsthilfe“ an. Versorgungslücken bei langfristiger Rheumatherapie Bei einem Großteil der Kranken sind Maßnahmen dieser Art über lange Jahre, ja über Jahrzehnte notwendig. Aus verschiedenen Gründen, die auch in der Infrastruktur unseres Gesundheitssystems zu suchen sind, bestehen hier noch erhebliche Versorgungslücken. Wie die Folgen des sogenannten Gesundheitsreformgesetzes sich im Augenblick darstellen, ist zu befürchten, daß sich die Lücken noch weiter vergrößern werden. Es erfordert die Zusammenarbeit aller, um den derzeitigen Versorgungsstand der Kranken mit chronischer Polyarthritis nicht nur zu erhalten, sondern im Gegenteil noch zu verbessern. Nur so kann es gelingen, daß die bisher bekannten erfolgreichen Behandlungsmethoden auch wirklich an den Patienten herangebracht werden können. Ein gutes Stück der Krankheitsbewältigung muß aber in jedem Fall auch von ihm selbst geleistet werden. Prof. Dr. Martin Franke Die Glosse Kürzlich auf den Frankfurter Flughafen. Ich hatte einen Flug gebucht. Trotz meiner Behinderung bin ich auf mittleren Strecken noch gut zu Fuß. Wenn es dann aber sportlich anmutende Entfernungen zu bewältigen gilt, ist die Benutzung eines Rollstuhls doch angezeigt Woher nehmen, wenn nicht stehlen. 174 Nach einem quälenden Irrlauf fand ich ein ganzes Bataillon dieser Geräte. Die Zeit bis zum Abflug wurde jezt schon etwas knapp. Nun der Schock: „Einen Rollstuhl gibt nur gegen Hinterlegung des Personalausweises“ erklärte mir der genervte Beamte. Wie soll das funktionieren, wenn ich endlich am Flugsteig bin, soll ich den Rollstuhl zurückbringen, um den Personalausweis abzuholen. Diese Logik bleibt mir immer noch verschlossen. Seite 10: Podiumsdiskussion in Waldbröl Experten diskutieren über Therapieansätze bei der Multiplen Sklerose Anläßlich des zehnjähriges Bestehens des MS-Kontaktkreises Waldbröl fand am 21. August eine Podiumsdiskussion mit MS-Experten statt. Unter den Teilnehmern befanden sich Prof. Dr. Heitmann, ehemaliger Chefarzt der Abteilung für Neurologie in der Rheinischen Landesklinik Bonn, Dr. Lagreze, Leiter der DSG-Doppelblindstudie an der Universitätsklinik in Bonn, Prof. Dr. Niels Franke aus München, bekannt durch seine DSGEinzelfallstudie und Dr. Hebener, als Vertretung für den erkrankten Dr. Fratzer. Das Podium wurde durch Dr. Abraham, Dr. Reimers (beide Waldbröl) und Dr. Krüger aus der Kamillus-Klinik, die über ihre praktische Arbeit mit MSPatienten berichteten, ergänzt Erster Punkt der Diskussion war, der auch in der Öffentlichkeit beachtete, Therapieansatz von Dr. Fratzer. Dr. Hebener referierte über die Erfolge dieser Therapie. Allerdings mußte er sich von Dr. Lagreze Kritik gefallen lassen, der wegen der fehlenden Doppelblindstudie den wissenschaftlichen Beweis nicht erkennen konnte. Auch Prof. Dr. Heitmann zeigte sich skeptisch. Im Lauf seiner langjährigen Erfahrung bei der Behandlung der MS habe er schon viele Therapieansätze kommen und gehen sehen. Im Zusammenhang mit der Fratzer-Methode erinnerte er an die Mißerfolge der Ewers-Diät. Der zweite Diskussionsschwerpunkt war eine mögliche Therapie mit DSG. Zunächst berichtete Dr. Lagreze über seine bisherigen Erfahrungen. In Bonn sind 15 Patienten in die DSG-Studie aufgenommen worden. Nebenwirkungen, die einen Studienabbruch gerechtfertigt hätten, sind nicht aufgetreten. Über eine Wirkung konnte sich Dr.Lagreze noch nicht äußern, da auch ihm nicht bekannt ist, welcher Patient Placebo erhalten hat und welcher nicht. Allerdings stellte er fest: „Mit Deoxyspergualin ist ein theoretisch gut begründeter Behandlungsansatz gelungen, dessen Effizienz noch geprüft werden muß.“ Dem stimmte Prof. Dr. Franke zu und berichtete über seine Erfahrungen mit dieser Substanz. Schwerwiegende Nebenwirkungen seien auch bei seiner Studie nicht aufgetreten. Allerdings konnte er nach den Infussionen temporäre Verschlechterungen bei einzelnen Patienten beobachten, die sich nach einer gewissen Zeit wieder zurückbildeten. Nach dieser Phase mündet die MS in einem, bisher stabilen, Zustand, der noch kleineren Schwankungen unterworfen ist. In diesem Zusammenhang zeigte sich Dr.Franke für den WDR-Beitrag „Friederike S.“ dankbar, der auf dieses Phänomen in einer journalistisch möglichen, aber medizinisch unzureichenden Art hingewiesen hatte. Die Forderung aus dem Publikum solche Beiträge zu verbieten, wurden von 175 Moderator Manfred Höffken (ebenfalls WDR) und Dr. Franke, unter Hinweis auf das hochrangige Rechtsgut der Pressefreiheit, vehement zurückgewiesen. Den abschließenden Beweis über eine Wirksamkeit des Präparates DSG werden die Ergebnisse der Kernspintomographie liefern. Letztes Schwerpunktthema war die MS-Therapie mit Betaseron (vergleiche auch Seite 4). Alle Podiumsteilnehmer fanden darüber Konsens, daß mit der Zulassung von Betaseron in den U.S.A. ein Schritt in die richtige Richtung vollzogen wurde. Es sei anerkennenswert, da erstmalig durch eine kontrollierte Studie eine Änderung im Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose nachgewiesen werden konnte. Allerdings versuchten die MS-Experten zu starke Hoffnungen bei Patienten auf eine Heilung zu relativieren. Zunächst sei diese Substanz zwar in den U.S.A. zugelassen, aber momentan noch nicht im Handel erhältlich. Eine „Beschaffungreise“ nach Amerika würde eine Enttäuschung ergeben. Zweiter Kritikpunkt ist der Marktpreis. Die enormen Kosten, die auf einen Patienten zukommen würden, sind für viele MS-Kranke nicht zu bewältigen. Ob Krankenkassen diese Therapie bezahlen, scheint in der jetzigen Situation noch unklar. Eine Zulassung von Betaseron in Deutschland ist von Schering erst 1995 geplant. Auch die Therapie selbst sei sehr anstrengend. Drei Tage in der Woche muß sich der Patient Betaseron subkutan (unter die Haut) verabreichen. Diese Therapieform ist als Dauerbehandlung angelegt. Beim schubförmigen MS-Verlauf ist ein Rückgang der Schubfrequenz um ein Drittel, so Dr. Lagreze, zu erwarten. Eine durchschlagende Wirkung auf die chronisch-progrediente MS sei eher unwahrscheinlich. Auf die Fragestellung der Veranstalter (Elfriede Hermes und Helga Wagener) – was MS-Kranke 1993 konkret von der Medizin zu erwarten haben? – ist zwar keine Antwort gefunden worden, aber ein wenig optimistischer können Betroffene in die Zukunft blicken. Das Zitat "Die Beschaffenheit des mir gegenwärtig zur Verfügung stehenden Serums ist von solcher Art, daß dasselbe nach Ansicht competenter Beurtheiler auf seine Leistungsfähigkeit gegenüber dem Menschen in einer großen Zahl von Fällen geprüft werden kann und geprüft werden muß" Emil von Behring, 1893 über die Entwicklung eines Diphterieserums Seite 11: Urteile und Tips für Patient und Arzt Diät steuerlich, nein danke! § Nach einem Urteil des Bundesfinanzgerichtshofs ist eine Diäternährung steuerlich nicht absetzbar. Ein Erkrankter hatte seine medikamentöse Behandlung abgesetzt und war auf eine Diäternährung umgestiegen. Neben 176 einem Behandlungserfolg wollte er den möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen des Arzneimittels entgehen. Schließlich wollte der Steuerzahler seine Diätkosten beim Finanzamt als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Doch dies lehnte ab und auch das oberste Finanzgericht wies die entsprechende Klage ab. Es sei Wille des Gesetzgebers, Diätverpflegung ausnahmslos von der Abzugsfähigkeit auszuschließen. Da Diät herkömmliche Nahrung ersetzt, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. (BFH – III R 15/91) Schwerbehinderten-Anerkennung auch rückwirkend § Laut Sozialgesetzbuch und dem Schwerbehindertengesetz ist die Anerkennung als Schwerbehinderter auch rückwirkend möglich. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts kann eine rückwirkende Anerkennung in der Regel für maximal vier Jahre ausgesprochen werden. Dies kann auch den Grad einer Behinderung betreffen. In einem Verfahren versuchte der Kläger noch weiter über diese Frist hinauszugehen, wurde jedoch abgewiesen. (BSG – 9a/9 RVs 11/89) Erstattung von Rezeptkosten bei unwissenschaftlicher Methode nicht möglich § Der jeweilige Krankenversicherungsschutz umfaßt nicht Behandlungsmethoden, denen die wissenschaftliche Anerkennung fehlt. Eine solche Anerkennung liegt dann vor, wenn sich die entsprechende Behandlungsmethode in Praxis und Schulmedizin durchgesetzt hat und in der überwiegenden Zahl vergleichbarer Krankheitsfälle mit statistischer Wahrscheinlichkeit ein beliebig wiederholbarer therapeutischer Erfolg erzielt werden kann. In einem Rechtsstreit versuchte der Kläger die entstandenen Rezeptkosten für die Behandlung der Darmflora durch eine Symbioselenkung erstattet zu bekommen. - Fehlanzeige -. (LG Duisburg – 5 S 16/91) Medien-Tip Video: Ärzteprozeß in Nürnberg 1946/47 Ein historisches Dokument ist der Videofilm über den in Nürnberg am 21. November 1946 begonnen Ärzteprozeß. Dieses Verfahren reiht sich in die zwölf großen Kriegsverbrecherprozeße ein. Den Angeklagten wurde die Teilnahme an Menschenversuchen vorgeworfen. Unter anderem wurden Unterdruck- und Unterkühlungsversuche durchgeführt. Prominentester Angeklagter war Prof. Dr. Karl Brandt, der zeitweise auch Arzt Adolf Hitlers war. Die Dokumentation bekommt einen aktuellen Akzent, da kürzlich in einem Berliner See umfangreiches Filmmaterial aus der NS-Zeit entdeckt wurde. Nach ersten Sichtungen handelt es sich ebenfalls um medizinische Experimente am Menschen. Der Videofilm (45 min.) „Der Ärzteprozeß in Nürnberg 1946/47“ ist für DM 98 ,- erhältlich bei: FSP Frankfurter Studio- und Programmgesellschaft mbH, Tel.: 06196/9606321, Fax 06196/9606318. 177 Mobilität: Flugreisen, Lufthansa bietet Service für behinderte Fluggäste An der gesellschaftlichen Integrität von behinderten Mitmitmenschen wird sehr gern vorbeigedacht. Viele Restaurants, Busse und Gehwege stellen immer noch unüberwindbare Hürden dar. Ganz anders werden Fluggäste bei der Lufthansa behandelt. Sie erhalten in der Regel einen individuellen Service und werden von freundlichen Mitarbeitern bereits am Flughafen begrüßt. Das Ein- und Aussteigen an Bord wird nicht zu einem Hürdenlauf, denn behinderte Fluggäste werden bevorzugt bedient. Bevor eine Flugreise angetreten wird, sind einige Dinge zu klären: 1. Bestehen aus medizinischer Sicht keine Bedenken gegen einen Flug. Bei MS- und Rheumakranken sind keine Hinderungsgründe nachgewiesen worden. 2. Bei der frühzeitigen (ist ratsam) Reservierung sollten Sie Ihre Behinderung und auch die Form der benötigten Unterstützung angeben. 3. Wer in seinem Behindertenausweis das Merkmal „aG“ trägt, kann eine Begleitperson kostenlos bei Flügen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland mitnehmen. Allerdings sollte dieser Service nur dann in Anspruch genommen werden, wenn am Zielort keine Begleitperson zur Verfügung steht. Wer sich näher über eine Flugreise informieren möchte, sollte bei der Lufthansa die Broschüre „Ratgeber für behinderte Fluggäste” bestellen. Seiten 12 und 13: Arzneimittelzulassung – oder der lange Weg zum Patienten Kostendämpfung im Gesundheitwesen, riesige Arzneimittelmengen, viele schlechte Präparate und schon gar keine Beurteilungsmöglichkeit für das Preis-Leistungs-Verhältnis von Medikamenten. Dies sind die häufigsten Meldungen, wenn es sich um Arzneimittel dreht. Alleine im Jahr 1992 sind beim Bundesgesundheitsamt in Berlin 2018 Anträge auf Zulassung oder Registrierung von Arzneimitteln eingegangen. Fast ohnmächtig steht der erkrankte Verbraucher vor diesem undurchschaubaren Pharmaberg. Dabei ist der Gang einer neuen Medizin zum Verbraucher genau vorgeschrieben, manchmal aber leider auch etwas zu bürokratisch. Im Schnittpunkt von Medizin, Recht, Wirtschaft und Verbraucherschutz bewegt sich das Arzneimittelrecht. Da Arzneimittel nicht nur Heilmittel sondern auch Gifte sind, bedarf es zu unserer Sicherheit und unserem Schutz einer genauen Prüfung, bevor der Verbraucher ein Präparat in der Apotheke kaufen kann, oder es durch Ausstellung eines ärztlichen Rezeptes verabreicht bekommt. Die Hauptbeteiligten an einem Arzneimittelzulassungsverfahren sind in der Regel ein Pharmaunternehmen, daß ein Produkt auf den Markt bringen möchte und das Bundesgesundheitsamt in Berlin, daß letztendlich die Zulassung sowie die Registrierung verantwortet und überwacht. Vor dem Antrag auf Zulassung des Arzneimittels finden notwendige Studien mit dem neuen Medikament statt. Beteiligt hieran sind Ärzte, die die Studien durchführen, Patienten oder gesunde Menschen, an denen das neue Präparat getestet wird. Die Grundlage für den Gang dieses Verfahrens setzt die gesetzgebende Gewalt. 178 Sie kann neue Gesetze für das Zulassungsverfahren entwerfen oder bestehende Gesetze ändern. Danach gilt zur Zeit folgendes Verfahren: Ein Arzneimittel wird, bevor es zur Anwendung am Menschen kommt, durch pharmakologisch-toxikologische Untersuchungen am Tier ausprobiert. Auch, wenn unnötige Tierversuche bei uns inzwischen untersagt sind, kann die Pharmazie in einigen Fällen nicht ganz darauf verzichten. Zunächst werden die physiologischen Wirkungen im Tierversuch so weit wie möglich geklärt. Enthält eine Substanz giftige Stoffe, die beim Menschen schwerste Schäden verursachen würden, scheidet sie in der Regel für eine Weiterentwicklung aus. Aber oftmals ist ein toxisches Wirkungsprofil Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen. Fast jede Substanz, mag sie auch noch so giftig sein, verliert ihre verheerende Wirkung, wenn man mit der Dosis weit genug herunter geht. Nun stellt sich die Frage, inwieweit kann so eine minimal giftige Substanz eventuell als Arzneimittel einmal später eingesetzt werden und bei welchen Krankheitsbildern. Da den Forschern in den Versuchsanstalten und Pharmaunternehmen bei der Beantwortung dieser Fragen, außer den Ergebnissen aus den Tierversuchen, keine Anhaltspunkte vorliegen, ist die Anwendung am Menschen der nächste Schritt. Zuvor hat der verantwortliche Versuchsleiter einen Versuchsplan entworfen. Dieser enthält alle Schritte, die notwendig sind, um die geplante Arzneimittelprüfung in einem rechtlich und medizinisch abgesicherten Rahmen stattfinden zu lassen. Zu klären sind zum Beispiel der Versicherungsschutz für die Probanden und der organisatorische Ablauf der Studie. Liegt der Versuchsplan dann vor, sollte er einer Ethik-Kommission vorgelgt werden. Diese hat zwar die Möglichkeit, den Ablauf der geplanten Arzneimittelprüfung zu beeinflussen, doch in der Praxis sind nur wenige Fälle bekannt in der eine Ethik-Kommission Bedeutung für den Ablauf erlangt hat. Ein echtes Kontrollorgan ist die Ethik-Kommission leider nicht. Jetzt wird das neue Arzneimittel an freiwilligen Versuchspersonen getestet. Das ist die erste Stufe einer Arzneimittelprüfung am Menschen. Sie wird auch als „Phase I“ bezeichnet. Die Probanden sind in der Regel gesunde Menschen, die sich zu solchen Arzneimittelprüfungen zur Verfügung stellen. Häufig handelt es sich bei den Versuchspersonen um Studenten, die ihren Lebensunterhalt ein wenig aufbessern wollen. Da Toxizität des zu untersuchenden Präparats bereits weitgehend durch die Tierversuche festgestellt wurde, ist das Risiko für die gesunden Probanden sehr gering. In der „Phase II“ wird das Medikament hinsichtlich seiner Wirksamkeit überprüft. Hierbei werden auftretende Risiken im Vergleich mit anderen Präparaten und Therapieformen beurteilt. Liegen keine Vergleichsmedikamente vor, so beurteilt man die Wirkung des neuen Mittels, indem man es mit einer nicht wirksamen Substanz, also einem Placebo (Scheinmedikament), vergleicht. Die Planung des Versuchs sollte so gestaltet sein, daß man die festgestellten Unterschiede statistisch auswerten kann. In dieser Phase werden in der Regel 200-300 Patienten behandelt. Dies ist häufig auch die Phase, in der an einer 179 kleinen Gruppe der noch wirksame Dosisbereich festgelegt wird. An einer größeren Gruppe werden dann die ermittelten Daten erhärtet. In dieser Phase wird der Unterschied zwischen einem kontrollierten klinischen Versuch und einer sogenannten Doppelblindstudie besonders deutlich. Der kontrollierte klinische Versuch stammt aus dem angelsächsischen und ist heute ein international bestimmter Begriff. Er entspricht der von Martini schon 1931 geprägten Idee des therapeutischen Vergleichs. Die andere Methode zur Prüfung von Medikamenten bietet der Blindversuch. Hier erhält ein Teil der Probanden das Medikament, eine andere Gruppe bekommt ein Placebo. Weiß der behandelnde Arzt auch nicht wer das Mittel erhält und welche Probanden ein Placebo erhalten, so handelt es sich um eine Doppelblindstudie. Sicherlich kommen diesen Untersuchungsverfahren eine starke wissenschaftliche Bedeutung zu. Auch wird sich durch eine Doppelblindstudie mit ziemlicher Genauigkeit die Wirkung eines PrüfPräparates ermitteln lassen. An exakter Wissenschaftlichkeit lassen diese Studien keinen Zweifel, lassen sich doch mit schmucken Tabellen und Graphiken genaue Ergebnisse darstellen. Doch die Frage „wirkt es oder wirkt es nicht?“ geht oft in Signifikanzien, Korrelationen, Regressionen, usw. unter. Für Statistiker ein gefundenes Fressen, eine Spielwiese für Zahlenneurotiker und für das Pharmaunternehmen eine teure Angelegenheit, die sich letztendlich im Medikamentenpreis, der in Deutschland traurigerweise einsame Spitze ist, niederschlägt. Die Doppelblindstudie soll nicht verteufelt werden. Ganz im Gegenteil, sie soll dort angewendet werden, wo sie nützlich ist. Wenn das x-te Kopfschmerzmittel auf den Tablettenmarkt gedrückt werden soll, dann bitte eine Doppelblindstudie, und zwar ganz exakt, denn an solchen Pillen besteht kein zusätzlicher Bedarf, es sei denn, sie sind nachweislich wirksamer als die bisherigen und können weniger Nebenwirkungen für den Verbraucher vorweisen. Handelt es sich aber um Präparate, die Krankheiten therapieren sollen, für die es keine kausale Behandlung gibt, dann sollten die unheilbar Kranken schnell eine Möglichkeit erhalten, auch solche Substanzen in einer möglichst frühen klinischen Phase eigenverantwortlich zu testen. Hier sollte mehr Flexibilität in die Arzneimittelprüfung einfließen. Pharmaunternehmen zitieren bei diesem Problem sehr gerne den Gesetzgeber und wollen ihn als „bösen Buben“ darstellen, der ihnen gar keine andere Wahl läßt. Das stimmt so nicht, denn der Gesetzgeber schreibt mit dem Arzneimittelgesetz keinen standartisierten Weg der Prüfung vor. Im Gegenteil, hier bietet das Arzneimittelgesetz (AMG) einen Spielraum. Fraglich ist jedoch, ob sich die legislative Gewalt mit den bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zufrieden geben kann. Im Arzneimittelbereich gibt es noch eine Reihe von brisanten Fragen, die sich nur durch gesetzgeberische Aktivitäten bewältigen lassen. Zum Beispiel das Verbot von Arzneien, die nachweislich mehr Nebenwirkungen verursachen können als neu zugelassene Medikamente mit weniger möglichen Nebenwirkungen. Wie können diese wieder vom Markt genommen werden? 180 Der lange Weg zum Patienten ist mit einer Blindstudie noch nicht abgeschlossen. In „Phase III“ der klinischen Prüfung wird das Medikament an einer größeren Gruppe von Patienten (bis zu 2000 Personen) geprüft. Jetzt fällt auch die Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der klinischen Prüfung am Patienten. Gegebenenfalls können jetzt auch noch aktuelle Erkenntnisse über Dosierung und Anwendungsart modifiziert werden, falls entsprechende Anhaltspunkte dafür vorliegen. In der Folgezeit wird kontrolliert wie wirksam und sicher das neue Arzneimittel bei breiter Anwendung ist. Ist es wirksam bei der entsprechenden Indikation, dann wird es endgültig für den Markt zugelassen. Der Arzt wird es dann dem erkrankten Patienten bei Bedarf verschreiben. Für manchen kann es dann zu spät sein, aber seine Wirksamkeit ist bewiesen. Seite 14: Medizin heute: Ärzte und Patienten berichten Die Odyssee einer MS-Diagnose Ich (43) wuchs in den ersten Lebensjahren in enger Familiengemeinschaft auf. Existenzprobleme gab es nicht. Schon während meiner Lehre (Chemielaborant) beschloß ich, ein Ingenieurstudium anzustreben und arbeitete darauf hin. 1975 schloß ich mein Studium mit der Graduierung zum Ingenieur Fachrichtung Chemische Verfahrenstechnik mit Erfolg ab. Gesundheitliche Probleme traten bei mir nicht auf. Ich trieb Ausgleichsport mit meinen Kindern. Anläßlich einer Geschäftsreise 1988 spürte ich die ersten Symptome meiner Erkrankung, die von mir als harmlos abgetan wurden. Bei einem kurzen Fußmarsch überkam mich starker Schwindel, der mehrere Tage lang anhielt. Ich vermutete Kreislaufprobleme und beschloß, wieder mehr Sport zu treiben. 1989 verspürte ich bei körperlicher Belastung Symptome wie: leichtes Verschwommen sehen mit dem linken Auge, Taubheit in Füßen und Händen. Ich konsultierte mehrere Ärzte, die sehr verschiedene Verdachtsmomente äußerten. Mich irritierte, daß eine eingehendere Untersuchung nicht erfolgte. Ich kam mir vor wie ein Hypochonder. Ein von mir in Giessen aufgesuchter Neurologe äußerte, wie ich heute weiß, ohne neurologische Untersuchungen, den Verdacht auf Gefäßprobleme und überwies mich in eine weitere Klinik. Diagnose: Arteriitis, Empfehlung: Entzündungshemmer. Die nächste Klinik bedeutete auch die nächste Diagnose: Verdacht auf akute Schlaganfallgefahr. Man verbot mir jegliche Tätigkeit und schickte mich zur Überprüfung wieder zum Neurologen. Nun fanden eine Reihe von Untersuchungen statt. Das Abschlußgespräch ergab nur eine vage Diagnose Alle bis dahin durchgeführten Untersuchungen waren ohne Befund. Durch suggestive Fragen unterstellte man mir psychische Auswirkungen und nervöse Störungen. Man empfahl mir nun, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Heute ist mir klar, daß abhängig von der jeweiligen Qualifikation und der Kritikfähigkeit des behandelnden Arztes, es bei komplizierteren Krankkeiten häufig zu unterschiedlichen Diagnosen kommt und Ärzte sich oft auf Meßergebnisse verlassen. 181 Weder Ärzten noch mir selbst kamen zu diesem Zeitpunkt eine mögliche MS in den Sinn. Es zeigten sich aber zunehmend Libidoprobleme, stärkere Selbstzweifel, Inkontinenzprobleme und Müdigkeit, neben den zunehmenden Sehstörungen und Taubheitsgefühlen in den Gliedern. Auch die starke Mitbetroffenheit meiner Partnerin verstärkte meine verzweifelte Suche nach den Ursachen. Ohne mir über meine ernstere Krankheit bewußt zu sein, da die von mir bis dahin konsultierten Ärzte auch keine Verdachtmomente äußerten, trat ich eine neue berufliche Position mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit an. Meine Ausfallsymptome zeigten sich 1991 stärker und veranlaßten mich zu erneuten Arztbesuchen. Die von mir daraufhin konsultierte Neurologin mußte mir nach NMRAufnahmen mit dem Bild mehrerer, nicht Kontrastmittel aufnehmender Herde, Verlangsammung der VEP-Latenzen und der neurologischen Ausfälle die Diagnose einer MS mitteilen. Sie empfahl mir, eine Untersuchung des Liquors durchführen zu lassen. Jetzt wurden mir die Diagnoseschwierigkeiten für dieses Krankheitsbild nach Punktion und stationärer Aufnahme in Würzburg sehr bewußt, da der mich untersuchende Oberarzt die gestellte Diagnose meiner Neurologin nicht bestätigte. Mein Mißtrauen wurde allerdings erst durch die mir ungeöffnet wieder ausgehändigten Vorbefunde (NMR, VEP....) bestätigt. Ich hatte Multiple Sklerose und begann Fachliteratur zu studieren. Die Grenzen medizinischer Kompetenzen, Qualifikationen und Verantwortlichkeiten wurden mir zu diesem Zeitpunkt sehr bewußt und ich beschloß, noch mehr engagierte Eigenverantwortlichkeit zu übernehmen. Die von mir besuchten verschiedenen Selbsthilfegruppen zeigten mir deutlich die weitgehende Ausgeliefertheit der Patienten, deren Schicksale und die Perspektivlosigkeit der Therapien. Es zeigte sich mir, daß nur aktives „Tun“ dieses komplizierte Krankheitsbild beherrschbar machen kann. Mit anderen Betroffenen wurde ich aktiv, vervollständigte meinen Kenntnisstand und wurde auf DSG aufmerksam. Seit einem halben Jahr nehme ich an einer Studie mit der Substanz DSG teil. Ich möchte meinen Zustand als gleichbleibend bezeichnen, aber letztendlich wird die Zukunft zeigen ob es ein Erfolg ist oder nicht. Viel wichtiger finde ich, daß ein Stein in der MS-Therapieforschung ins Rollen gekommen ist. Seite 15: Leserpodium Nur Geld zählt Es stimmt mich außerordentlich optimistisch, daß Prof. Franke sich nicht auf DSG festfahren will. Es gibt genügend Ärzte, die ganz bestimmte MSTherapiemethoden seit Jahren favorisieren, dafür viel Geld kassieren aber die MS doch nicht stoppen können. Nur wer neue Entwicklungen früh erkennt, sie mit Entschlossenheit prüft und die Öffentlichkeit informiert, kann Erfolge verzeichnen. Das deutsche Pharmamanagment wird aktuelle Entwicklungen genauso verschlafen wie in anderen Industriezweigen, wo die Japaner uns bereits den Rang abgenommen haben. Es geht um unsere Gesundheit, deshalb sollten wir selber anpacken. Weiter so! 182 Klaus D., Bremen Patientenbetreuung Seit vielen Jahren betreue ich in meiner Praxis eine ganze Reihe von MSPatienten. Während der ganzen Zeit mußte ich einen ständigen Verfall, bei einem Patienten schneller als beim anderen, tatenlos beobachten. Ich kann es sehr gut verstehen, wenn diese kranken Menschen den Selbstversuch von Prof. Franke nachmachen möchten. Soweit eine Einverständniserklärung vorliegt, würde ich die Behandlung mit DSG sofort beginnen. Dr. Peter K., Berlin Angeblich psychische Gründe Der Verlauf meiner Krankheit und die Reaktionen darauf, der verdrängte Aktionismus und die depressive Grundstruktur, wie auch das Abschieben auf angeblich nur psychische Gründe sind mir so vertraut. Am wichtigsten war mir Ihre eindringliche Botschaft, daß es in jedem Menschen eine Kraft gibt, auf die ich mich auch bei mir verlassen kann. Dieses Bewußtsein war ohnehin bei mir nicht stark vertreten und kam mir im Verlauf meiner Krankheit vollends abhanden. Ich bewundere Ihren Mut und schöpfe auch daraus für mich Mut, wenn es irgend möglich ist, DSG anzuwenden. Ist es möglich? Ich hoffe auf Ihre Hilfe und wünsche Ihnen viel Kraft. Brigitte B., Frankfurt/M. IGEFA = AutoImmun Sehr geehrte Damen und Herren, leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß der von Ihnen gewählte Vereinsname warenzeichenrechtlich für unsere Großhandelsgruppe geschützt ist. Wir müssen Sie deshalb bitten, Ihr Auftreten als „IGEFA“ eV zu unterlassen. Arndt KG, Fachgroßhandel für Sauberkeit und Hygiene Anmerkung der Redaktion: Es liegt uns sehr fern, mit oben genannten Unternehmen in Verbindung gebracht zu werden. Durch einen Irrtum des Kassenwartes ist es ursprünglich zu dieser Benennung gekommen. Hoffnung Gute Nachrichten aus Deutschland. Hoffentlich dauert es nicht mehr solang bis DSG zugelassen wird. Für viele MS-Kranke in Frankreich bedeutet ein neues Mittel auch gleichzeitig eine neue Hoffnung. Vielleicht gibt es jetzt einen durchschlagenden Forschungsboom bei der MS-Therapie . René L., Paris DSG contra Betaseron Besonders interessant dürfte sein, daß Hoechst (Behring, DSG) die Interessen von Schering (Betaseron) vertritt. Es geht zwar anscheinend nur um Pflanzenschutz, es ist aber nicht anzunehmen, daß Hoechst der Schering AG ein Geschäft in einem anderen Sektor „kaputt“ machen würde, indem es z. B. DSG auf den Markt brächte, denn dadurch würde möglicherweise das Betaseron völlig in den Hintergrund treten. 183 Steffen H., Sindorf Außenseiter Die Ärzte, die mir in den vergangenen 20 Jahren meiner schweren Krankheit begegnet sind, haben größtenteils viel von mir gelernt. Ich hatte oft Mitleid mit ihnen, weil sie überhaupt nicht wußten, was sie mir sagen sollten. Am liebsten sind mir Ärzte, die mir klar sagen: „Ich weiß auch nichts!”, sich aber als Partner verstehen und sich auch offen zeigen für Außenseiter- und Alternativmethoden. Wir MS-Kranken brauchen motivierte Ärzte, für die ausschließlich das Wohl der Patienten maßgebend ist! Helfried F., Neuenkirchen-Seelscheid 8.2 „Autoimmun News“ Nr. 1 von Februar/März 1994 Seite 2: „Entdeckungen sind weder gut noch böse, weder moralisch noch unmoralisch, sondern nur tatsächlich.” Heinar Kipphardt, 1962 Liebe Leser, unser Zitat stammt aus dem Schauspiel „In der Sache J. Robert Oppenheimer“. Dabei geht es auch um eine Entdeckung: die Atombombe. Eine Entdeckung, die man der Menschheit hätte ersparen können. Doch jede Entdeckung hat auch eine nützliche Seite. An der Atomenergie werden wir in den nächsten Jahrzehnten nicht vorbeikommen können, sonst geht das Licht aus, auch in den Klinken und medizinischen Forschungsstätten. Für das, was für die Medizin geforscht und entdeckt wird, gilt auch wieder das “Oppenheimer-Prinzip”. Neue Medikamente und Substanzen sind zuerst „weder gut noch böse“. Erst am Patienten zeigen sich ihre Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen. Wie lange man auf ein Ergebnis warten muß, verrät uns das Zitat nicht. Doch soviel steht fest: Schadenbringende Entdeckungen, wie zum Beispiel Waffen, sind immer schneller auf dem Markt als nutzbringende. Stimmt da etwas nicht? In dieser Ausgabe wollen wir Ihnen ein paar (hoffentlich) nützliche Substanzen und Ideen vorstellen. Das Neurotrophin-3 ist sicherlich nicht nur eine Hoffnung für Querschnittsgelähmte. Die verantwortlichen Schweizer Forscher ahnen ein breites Einsatzgebiet dieser Substanz. Kollagenosen sind Entzündungen des Bindegewebes. Wegen einiger Ähnlichkeiten zur chronischen Polyarthritis werden diese Krankheiten der Rheumatologie zugeordnet. In dieser und der nächsten Ausgabe werden wir ausführlich auf diese Krankheiten eingehen. Auch in dieser AutoImmun News-Ausgabe beschäftigt uns das Thema Deoxyspergualin. Der derzeit aktuelle - untragbare - Zustand zwingt uns dazu, das Thema wieder aufzugreifen. Ein wirksames Medikament kann man vor unheilbar Kranken nicht verstecken. Wenn doch, braucht man eine verdammt gute Begründung. 184 Schließlich wollen wir Sie in gewohnter und präziser Form über andere Therapien und Substanzen informieren. Aufmerksamkeit verdient dabei ein neuer Immunmodulator namens Linomid.Weiter am Ball bleibend Ihre Redaktion AutoImmun News Nach Redaktionsschluß Mehrere MS-Kranke lassen derzeit von einem Rechtsanwalt prüfen, ob ein juristisches Eilverfahren gegen die Firma Behringwerke AG auf Herausgabe von DSG Aussicht auf Erfolg hätte. Seite 3: „Zerstörte Nerven„finden wieder ihr Ziel“ Erfreuliche Ergebnisse nach Gabe von Neurotrophin-3 bei Tieren mit gebrochenem Rückrat: Die Nervenleitungen wachsen wieder nach Neurotrophin-3 (NT-3) ist ein Protein, das im menschlichen Gehirn und in verschiedenen Organen natürlich vorkommt. Es ist mitverantwortlich für die Entwicklung des Nervensystems. Am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich wurden Versuche mit NT-3 an Ratten durchgeführt. Man fügte den Tieren eine frische Querschnittslähmung zu und gab anschließend die Substanz NT-3. Das Ergebnis war recht verblüffend. Die zerstörten Nerven fanden im Rückenmark wieder ihr Ziel, so die Wissenschaftlerin Lisa Schnell vom Hirnforschungsinstut Zürich in einer 3SAT-Sendung. Die Substanz wurde erstmals 1990 in der Fachzeitschrift „Science“ erwähnt. Die Ursache für die erfreuliche Wirkung ist noch nicht ganz klar. Entweder spielt der entsprechende Antikörper ein Rolle, oder das Protein wirkt direkt auf die Zelle. Prof. Martin E. Schwab vom Züricher Hirnforschungsinstitut gab auf Anfrage von AutoImmun News über die biologische Wirkung Auskunft: „Wie andere Neurotrophine, wirkt NT 3 über einen spezifischen Membran-Rezeptor. Zur Zeit laufen intensive Untersuchungen in vielen Labors, um den exakten Wirkungsmechanismus und die verschiedenen Funktionen, die NT-3 im sich entwickelnden und im erwachsenen Nervensystem hat, abzuklären.“ Bei welchen Krankheiten dieses Protein zum Einsatz kommen wird, ist noch offen. Sicherlich werden Opfer einer Querschnittslähmung an NT-3 interessiert sein. Aber auch neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und ALS (Amyotrophische Lateralsklerose, siehe Kasten) stehen laut Schwab im Blickpunkt der Wissenschaft. Insgesamt läßt sich eine mögliche Anwendung auf alle Krankheiten ausweiten, bei denen die entsprechende Regenerationsfähigkeit des Nervensystem bedeutend ist. Prof. Schwab weiter: „Neurotrophe Faktoren, zu denen NT-3 gehört, werden als eine Substanzklasse mit sehr großer Wichtigkeit eingeschätzt.“ Die Substanz wird derzeit von zwei Biotechnologie-Firmen (Regeneron Pharmaceuticals Inc., Tarrytown/New York und AMGEN/Los Angeles) hergestellt. Derzeit diskutieren die Wissenschaftler, wann eine klinische Anwendung laufen könnte. Zur Zeit finden aber noch keine klinischen Tests am Menschen statt. 185 Zum Beispiel ALS Amyotrophische Lateralsklerose Es handelt sich um eine degenerative Erkrankung der für die Muskeln zuständigen Nerven. Die ALS tritt meistens zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr mit Spastik, Krämpfen und Lähmungen auf. Die Lähmung der Atemmuskulatur führt im späteren Verlauf oft zum Tode. Ursache und wirksame Therapie sind Fehlanzeige. Die Prognose für Patienten, die an der progredient verlaufenden ALS erkrankt sind, ist schlecht: Nur rund 20 % der Erkrankten erreichen überhaupt das fünfte Krankheitsjahr. Deutschlands ALSExperte Prof. Dr. Jerusalem wollte auf Anfrage von AutoImmun News kein Interview zum aktuellen Stand der ALS-Forschung geben, da es sich um eine „traurige“ Krankheit handelt. Seiten 4,5 und 6: Kollagenosen Teil 1 Eigentlich ist der Begriff „Kollagenosen“ nicht ganz richtig. Es handelt sich um eine Entzündung des Bindegewebes, die den betroffenen Menschen stark beeinträchtigen kann. In einem Zweiteiler wird Prof. Dr. Martin Franke die Krankheit vorstellen und sich mit den Therapiemöglichkeiten beschäftigen. Unter dem Begriff Kollagenosen werden Krankheiten mit ganz unterschiedlichen Erscheinungen, Krankheitsverläufen sowie mit sehr verschiedenartigen Auswirkungen für den einzelnen Patienten in Beruf und Familie zusammengefaßt. Die Krankheiten haben keine einheitliche Ursache. Gemeinsam ist ihnen, daß eine immunologisch induzierte, das heißt über das Abwehrsystem vermittelte Entzündung des Bindegewebes zustandekommt. Viele Organe können betroffen sein Das Bindegewebe bildet die Bewegungs- und Stützorgane, es bildet sozusagen den „äußeren und inneren Rahmen“ der inneren Organe, in den die für das einzelne Organ typische Organzellen eingegliedert sind. Als Beispiele hierfür sollen Leber, Nieren und Milz genannt werden. Auch die Wände der Blutgefäße sind mit Bindegewebe ausgestattet. So können aufgrund dieser Bindegewebsentzündung an zahlreichen Organen des Körpers krankhafte Erscheinungen auftreten: an Haut, Muskeln, Herz, Lunge, Nieren, Nervensystem und anderen. Von diesem gemeinschaftlichen Befall des Bindegewebes hat die Krankheitsgruppe auch ihren Namen. Kollagen ist ein Teil des Bindegewebes. Ein falscher Begriff setzt sich in der Medizin fest Kollagen besteht aus Eiweiß, in kleinsten Strängen formiert, das dem Gewebe eine sehr zweckmäßige Eigenschaft, nämlich die elastische Festigkeit gibt. Von der Entzündung ist gerade das Kollagen nicht betroffen, sondern die im groben Sinne als gallertartig zu bezeichnende Zwischensubstanz. Wie aber häufig in der Medizin, haben sich solche unlogischen Begriffe eingeschlichen und halten sich hartnäckig. Die Krankheitsgruppe hieß und heißt eben Kollagenosen. Die Kollagenosen rechnet man zu den entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, weil diese vom Abwehrsystem gesteuerte Entzündung als „rheumatisch“ bezeichnet wird. Dies verbindet die Kollagenosen mit der 186 Polyarthritis (rheumatoide Arthritis), es kommen auch Überlagerungen mit dieser Krankheit vor. Antikörper für die Diagnose sehr wichtig Eine weiteres gemeinsames Kennzeichen der Krankheitsgruppe ist das Auftreten von sogenannten „immunpathologischen Phänomenen“, das heißt es treten im Blut nachweisbare, normalerweise nicht vorkommende „Antikörper“ auf. Außerdem ist das Vorkommen von im Abwehrsystem aktiven Zellen im besonderen Umfang in einzelnen Anteilen des Bindegewebes feingeweblich im Mikroskop nachweisbar. Jede einzelne Krankheit dieser Gruppe hat ein mehr oder minder typisches Etikett solcher Antikörper, das für die Diagnosestellung sehr wichtig ist. Die letzte Ursache für all diese Krankheiten ist noch nicht bekannt. Dies hat die Krankheitsgruppe auch mit der chronischen Polyarthritis gemeinsam. Wahrscheinlich spielen entsprechende Erbfaktoren eine Rolle. Zudem kommen eine Anzahl anderer vom menschlichen Organismus selbst ausgehende Einflüsse oder auch von außen auf den Menschen einwirkende Einflüsse hinzu. Zur Zeit konzentriert sich die Forschung sehr stark auf diese Ursachenaufklärung. Der Segen ist die Cortisontherapie Schließlich hat sich durch die Möglichkeit der Cortisonbehandlung bei all diesen Krankheiten die Vorhersage, sowohl im Hinblick auf die Lebensgefährdung als auch auf die Beeinträchtigung in Beruf und Familie, ganz entscheidend verbessert. Dieser Segen der Cortisontherapie kann nicht genügend hervorgehoben werden, um der pauschalen Verurteilung einer Cortisontherapie entgegenzutreten. Die Erfindung der Cortisone ist eine großartige Leistung der klinischen Medizin gewesen. Diese Abhandlung kann keinesfalls das im Einzelfall notwendige Arztgespräch ersetzen. Wo dies aus welchen Gründen auch immer nicht recht zustandekommt, kann über die Deutsche Rheumaliga (siehe Kasten) Informationsmaterial angefordert werden. Zumeist werden systematische Krankheitsinformationen auch in speziellen Kliniken, die für rheumatische Erkrankungen zuständig sind, angeboten. Martin Franke In der nächsten Ausgabe wird der Autor die einzelnen Krankheiten, die unter dem Begriff Kollagenosen zusammengeaßt werden, darstellen und sich mit den Therapiemöglichkeiten befassen. Kollagenosen: Nähere Informationen zu dem Thema „Kollagenosen“ erhalten Sie bei: Deutsche Rheumaliga Battonstraße 40 60311 Frankfurt/M. Telefon: 069/28 87 98 Die telefonische Beratung ist Dienstags und Donnerstags von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr besetzt. Kleines Medizin-Lexikon Läsion: Allgemeine Bezeichnung für eine Verletzung oder Störung eines Körpergliedes oder Organs. 187 Lymphozyten: Weiße Blutkörperchen mit körnigem Plasma. Sie entstehen im Gewebe und kommen im Blut und Knochenmark vor. Ätiologie: Der Grund oder die Ursache einer Krankheit.. Die Ätiopathogenese ist demnach die Lehre von der Entstehung einer Krankheit. Progredienz: Fortschreiten oder zunehmende Verschlimmerung einer Krankheit. Kapnogramm: Häufig ein Teil der Lungenfunktionsprüfung. Es wird der Kohlensäuregehalt der ausgeatmeten Luft gemessen und aufgezeichnet. Personen Hoechst ohne Hilger Mitte 1993 ging die Mitteilung, daß Professor Dr. Wolfgang Hilger den Chemie- und Pharmariesen Hoechst AG mit Ablauf seines Vertrages zum Ende der Hauptversammlung 1994 verlassen wird, bereits durch die Presse. Nun ist es offiziell: Der 64-jährige Vorstandsvorsitzende räumt seinen Posten und verläßt das Unternehmen, in das er 1958 als studierter Chemiker eingetreten ist. Dem Unternehmen bleibt der gebürtige Leverkusener auch weiterhin eng verbunden, gibt Hoechst bekannt. Eine Besonderheit besitzt Hilger Abgang dennoch, stellt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fest. In Normalfall übernimmt ein ausscheidender Vorstandsvorsitzender anschließend noch den Vorsitz im Aufsichsrat der Aktiengesellschaft. So ist es bisher in der Großchemie allgemein üblich gewesen, besonders bei der Hoechst AG. Der jetzige Aufsichtsratvorsitzende Erhard Bouillon wird daher auch weiter die Geschäfte des Hoechstvorstandes überwachen. Warum Hilger nicht die Absicht hat, für den Posten des Aufsichtsratvorsitzenden zu kandidieren, läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht klären. Aber es ist davon auszugehen, das er nicht woanders auftauchen wird. Die starke Verbundenheit zu „seinem“ Unternehmen, daß er in den achtziger Jahren erheblich mitgeprägt hat, wird dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Aber auch eine Reihe von Chemieunfällen und die öffentliche Diskussion um Mifepriston (RU 486), für das die Hoechst AG den wichtigen Bestandteil Prostaglandine herstellt, fielen in seine lange Amtszeit. Nachgedacht Der Staat und die Arzneimittelforschung In Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz steht geschrieben: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Der Staat muß also seinen Bürgern die „körperliche Unversehrtheit“ gewährleisten. Diese Verantwortung übernimmt der Staat, indem er über das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesgesundheitsamt die Zulassung von Arzneimitteln, die eine „körperliche Versehrtheit“ verhindern sollen, reguliert (ähnlich wie die Zulassung von Autos beim TÜV). Das Arzneimittelgesetz (AMG) gibt über die genaue Vorgehensweise Auskunft. Der Staat betreibt allerdings keine eigene Arzneimittelforschung und -entwicklung. Dieser Bereich wird komplett den privaten Pharmaunternehmen überlassen. Sie können Arzneien auf den Markt bringen, sofern der Staat sie zuläßt. 188 Damit kommen für den Arzneimittelbereich aber auch die Regeln der Marktwirtschaft zur Geltung. Typisches Marktgesetz: Große Pharmaunternehmen versuchen, die kleineren zu verdrängen. Eine wirkungsvolle Verdrängungsmethode sind wissenschaftliche Prüfverfahren von neuen Präparaten. Sie sind groß angelegt, dauern lange und sind so teuer, daß sich kleinere Pharmaunternehmen dies kaum leisten und somit ihre Medikamente oft gar nicht dem Verbraucher anbieten können. Damit entsteht eine Arzneimittel-Versorgungslücke, die besonders Patienten trifft, die unter schweren und unheilbaren Krankheiten zu leiden haben. Mit diesem marktwirtschaftlichen Prinzip wird die „Versehrtheit“ vieler Menschen herbeigeführt, die der Staat gerade laut Grundgesetz verhindern muß. Es heißt, die Wissenschaft verlangt diese Prüfverfahren. Das darf sie auch grundsätzlich. Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz sagt, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Aber ein Satz weiter im selben Artikel steht: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Die Verfassung verlangt die „körperliche Unversehrtheit“ der Bürger, die, wie gerade gesehen, nicht garantiert zu sein scheint. Somit muß der Staat seinen verfassungsrechtlichen Pflichten nachkommen und entsprechend handeln, denn Menschen sind keine Autos. Wie? Zu fordern ist eine ergänzende staatliche Arzneimittelforschung und entwicklung. Dabei sollte ein großes Maß an Unabhängigkeit garantiert werden. Es bleibt zu hoffen, daß der Gesetzgeber das AMG bei der nächsten Reform um diesen Punkt erweitern wird. M.T. Seite 7: „Spastis klatschen!“ Rechtsradikale Gewaltattacken auf Behinderte nehmen zu Wuppertal: Ein geistig Schwerbehinderter wird auf offener Straße verprügelt. Der Täter kommentiert sein Vorgehen mit den Worten: „Behinderte wie du haben in Deutschland nichts zu suchen!“ Ottweiler: Ein Mann mit Hakenkreuz-Tätowierung legt an mehreren Stellen Feuer in einem Pflegeheim für geistig Behinderte. Siegen: Ein fast Blinder wird morgens von zwei Skins mit Springerstiefeln zu Tode getreten. Großburgwedel: Ein Beinamputierter nimmt sich nach einer Reihe von gewalttätigen Angriffen das Leben. Im Abschiedsbrief schreibt er: „Bei Hitler hätten sie mich bestimmt vergast.“ Die Anzahl rechtsradikaler Gewalttaten gegen Behinderte und Obdachlose in Deutschland nimmt rasant zu. Laut Verfassungsschutzbericht wurden 1992 noch 145 solcher Gewalttaten registriert. 1993 stieg die Zahl schon auf 324 Übergriffe an. Ein Ende ist nicht abzusehen. Aber nicht nur die Häufigkeit der Körperverletzungsdelikte gegenüber Behinderten stimmt nachdenklich, sondern „auch die Brutalität dieser Übergriffe nähme zu“, so der Behindertenbeauftragte des Landes Niedersachsen, Karl Finke. Bei den Tätern handelt es sich häufig um Jugendliche, die gerade dabei sind, eine rechtsextreme Gesinnung anzunehmen und sich durch eine „Mutprobe“ 189 auszeichnen wollen. Aber auch volljährige Skins treten immer stärker bei Straftaten gegen die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft in Erscheinung. Geistigen Anschub und Unterstützung für Gewalttaten gegen Behinderte bekommen die Täter nicht nur durch rechtsradikale Parteien und Organisationen. Selbst biedere Beamte und Juristen liefern „sachdienliche“ Argumente gegen die angebliche volkswirtschaftliche Last, die Behinderte darstellen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Dresden, Günter Hirsch, und der Ministerialdirigent des thüringischen Justizministeriums, Wolfgang Eberbach, stellen unter Bezugnahme auf eine Doktorarbeit in einem Buch fest, daß der Staat „an jedem nicht geborenen Behinderten durchschnittlich 7,3 Millionen Mark sparen kann.“ Die Theorie vom „nutzlosen Mitesser“ bekommt damit wieder Nahrung. Es verwundert gar nicht, wenn bei einer Diskussion in Quedlinburg der Zwischenruf fällt: „Wenn die Ausländer erst mal weg sind, haben wir noch andere nutzlose Esser, zum Beispiel Behinderte.“ Die Opfer bekommen es mit der Angst zu tun. Mit diesen Parolen wurde im „Dritten Reich“ die Euthanasie vorbereitet. Umgesetzt wurde der „Gnadentod“ Ende 1939 in den Euthanasie-Anstalten Schloß Grafeneck auf der schwäbischen Alb, Bernburg an der Saale, Hadamar, Schloß Hartheim und Sonnenstein bei Pirna. Mindestens 70.000 Behinderte wurden ermordet, bevor der Druck aus Kirche und Öffentlichkeit dieses schreckliche Morden weitgehend unterband. Auch Anfang des Jahres in Halle, wo sich eine 17jährige Schülerin selbst Verletzungen beifügte und damit möglicherweise einen rechtsradikalen Übergriff vortäuschen wollte, ging die Öffentlichkeit auf die Straße und demonstrierte gegen rechte Gewalt. Damit wurde ein richtiges Zeichen gesetzt, auch wenn der Anlaß dazu zweifelhafter Natur war. Den behinderten Mitmenschen bleibt leider außer Angst nichts übrig. Die friedliche Gegenwehr muß aus der Gesellschaft und vor allem von den „Gesunden“ kommen. Rechtsradikale Gewalt gegen Behinderte: AutoImmun News-Interview mit Oberstaatsanwältin Helge Grabitz aus Hamburg AutoImmun News: Sind Überfälle auf Behinderte mit einer besonderen Strafe bedroht? H. G.: Nein, bei der Strafzumessung kann eine solche Tat als besonders verwerflich gewertet werden. Eine höhere Gesamtstrafe wäre dann möglich. AutoImmun News: Welchen Strafrahmen haben diese Täter zu erwarten? H. G.: Das hängt von der Straftat ab. Liegt zum Beispiel ein Angriff gegen einen Rollstuhlfahrer vor, wobei der Täter einen Baseball-Schläger benutzte, dann kann es sich um eine gefährliche oder schwere Körperverletzung handeln, für die auch eine höhere Strafe vorgesehen ist. Auch vorhandene Vorstrafen spielen bei der Verurteilung eine Rolle. AutoImmun News: Glauben Sie, daß ein neuer Paragraph im Strafgesetzbuch (StGB) Abhilfe schaffen könnte? H. G.: Nein, wir haben mit dem Strafgesetzbuch ein ausreichendes Instrumentarium zur Hand, mit dem wir diese feigen Taten bestrafen können. Denken Sie an die Forderung vor etwa 20 Jahren, Taximörder mit der 190 Todesstrafe zu verurteilen. Wenn das StGB richtig angewendet wird, dann reicht es auch aus. Seiten 8 und 9: Wie lange noch? Tausende warten Der Skandal um die Zulassung des Medikaments Deoxyspergualin zieht sich weiter hin. Ende letzten Jahres haben die Behringwerke sehr erfreuliche Ergebnisse präsentiert. Doch mit einem Zulassungsantrag läßt sich das Pharmaunter-nehmen viel Zeit. Über die Gründe gibt es nur Spekulationen. Kein anderer Arzt hat so viel Erfahrung im Umgang mit DSG bei Multipler Sklerose wie Prof. Dr. Niels Franke. Er faßt die Behring-Ergebnisse zusammen und kommentiert sie. Immer mehr Ärzte fordern die sofortige Zulassung von DSG. Die Zwischenergebnisse der „Behring-Studie“ lassen folgende Schlußfolgerungen zu: 1. Ganz klar wird gesagt, daß während der Überwachungszeit keine ernsthaften Nebenwirkungen aufgetreten sind. Alle Patienten haben DSG gut vertragen. Alle anderen Behauptungen und Befürchtungen haben sich als falsch herausgestellt. 2. In der Darstellung der Befunde durch die Behringwerke wird mehr verborgen als gesagt. Trotzdem sind die erkennbaren Ergebnisse aus meiner Sicht mehr als ermutigend: sie sind im medizinischen Umfeld der Multiplen Sklerose sensationell! Kein anderes Medikament hat bisher in einer Doppelblindstudie einen positiven Einfluß auf die klinische Symptomatik der MS gezeigt. Die Ergebnisse sind umso vielversprechender, weil sie bereits nach einem halben Jahr Beobachtungszeit erhoben werden konnten. Die Hoffnung auf eine heilende Wirkung von DSG bei Multipler Sklerose ist nicht die behauptete „falsche“ Hoffnung, es ist eine sehr reale Hoffnung, die jetzt sobald wie möglich für die Kranken greifbar werden muß. 3. Die DSG-Befunde und die publizierten Ergebnisse nach der Anwendung von ß-Interferon (Betaseron) lassen zum ersten Mal hoffen, daß durch eine spätere Klärung des Wirkmechanismus von DSG eine schlüssige Vorstellung über die Entstehung von Autoimmunkrankheiten beim Menschen entwickelt werden kann. Dies wird nicht einfach sein. Das erklärt vielleicht einen Teil des Widerstandes der etablierten Multiple-Sklerose-Forscher und Neuroimmunologen gegen diese neuen Therapieansätze. Die MS-Forschung stand noch niemals unter dem Zwang, sich durch klinische Ergebnisse rechtfertigen zu müssen, sie hat noch nie eine wirksame Therapie entwickelt. Erstmals wird diese „Spielwiese“ durch einen wirksamen Therapieansatz gestört, entwickelt und erdacht von einem „Außenseiter“ – unbequem für alle. Kein Medikament gegen Autoimmunkrankheiten 191 Autoimmunkrankheiten – entzündliches, chronisches Gelenkrheuma, Multiple Sklerose und viele andere chronische, quälende Krankheiten – erscheinen in der Medizin bis heute als unbehandelbare Leiden. Alle konventionellen Ansätze der Therapie - Azathioprin (Imurek), Cytostatika und vieles andere haben sich als wirkungslos erwiesen. Der Verlauf der Krankheiten wird durch keines der bisher erprobten und angewandten Arzneimittel grundlegend beeinflußt oder verändert. Tiermodelle für Autoimmunkrankheiten müssen künstlich hervorgerufen werden und sind mit der menschlichen Krankheit meist nicht zu vergleichen. Medizinische Wissenschaft, Immunologie und Neuroimmunologie haben in den letzten 30 Jahren zwar auf diesem Gebiet intensiv geforscht, bis heute konnte aber noch nicht einmal eine schlüssige Vermutung über die Krankheitsentstehung entwickelt werden. Folgerichtig erschöpft sich die wissenschaftliche Arbeit in der Entwicklung neuer Forschungsmethoden. Die menschliche Krankheit, das Leiden der Kranken gerät dabei in Vergessenheit. Dazu kommt, daß der Wirksamkeitsnachweis neuer Medikamente bei allen Autoimmunkrankheiten sehr schwierig zu führen ist. Überholte Wissenschaftsstrukturen Die Multiple Sklerose ist das „schwierigste“ aller Autoimmunleiden, sozusagen ein „Modell“ für alle anderen Krankheiten dieser Reihe. Die medizinische Wissenschaft hatte es fast aufgegeben, über die Wirkung neuer Medikamente beim Menschen nachzudenken, sie zu erproben und auch neue , innovative Modelle der Medikamentenprüfung zu entwickeln. Per Mehrheitsentscheid wurden die beteiligten Wissenschaftler sich einig, daß vor Therapieerprobungen erst eine vollständige theoretische Klärung aller wissenschaftlichen Fragen erfolgen müsse – ein ehrenhaftes Vorhaben, das nur theoretische Vorarbeiten leistet, aber sonst keinerlei Nutzen für die jetzt lebenden Kranken haben kann. Nach meiner Überzeugung ist die medizinische Wissenschaft verpflichtet, die leidenden Menschen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen. Theoretische Ansätze sollten immer wieder an ihrem praktischen Erfolg am Patienten gemessen werden. Der Weg von DSG zum Patienten wird durch die gegenwärtigen Wissenschaftsstrukturen verzögert und erschwert. Alle wissen jetzt, daß DSG eine positive Wirkung bei MS-kranken Menschen hat. Trotzdem wird die Einführung, die Zulassung dieser innovativen Substanz durch „wissenschaftliche“ und bürokratische Hemmnisse gehindert. Dadurch wird nicht nur den kranken Menschen mögliche Hilfe vorenthalten, sondern auch der wissenschaftliche Fortschritt behindert. Wir brauchen andere Strukturen, in denen ein solches Versagen unmöglich gemacht wird. Neue Hypothese der Krankheitsentstehung DSG ist nur ein Anfang. Einige Substanzen, mit denen der Ablauf einer Autoimmunkrankheit weiter gestoppt werden kann, werden kommen. Die Befunde bei der Behandlung von Menschen – ausschließlich klinische Befunde bei der Behandlung von Menschen! – können zu einer neuen Hypothese über die Krankheitsentstehung führen. Die Behandlung von Autoimmunkrankheiten werden der Schwerpunkt ärztlicher Tätigkeit und medizinischer Forschung in den kommenden Jahren sein. Wissenschaftliche Durchbrüche sind in der Geschichte der Medizin 192 immer wieder von Wissenschaftlern erreicht worden, die nicht den herrschenden medizinischen Theorien verhaftet waren. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit DSG bin ich jetzt wirklich sicher, daß schon nächstes Jahr für alle MS-Kranken eine aussichtsreiche Therapie zur Verfügung stehen wird. N. F. Behringwerke halten am Zeitplan fest Auf Anfrage von AutoImmun News bei den Behringwerken in Marburg war zu erfahren, daß man am Zeitplan festhalten wird. Laut Aussagen von Dr. Theobald und Dr. Faust wird das Pharmaunternehmen vor Mai 1994 keinen Antrag auf Zulassung von DSG beim Bundesgesundheits-amt in Berlin stellen. Seiten 10 und 11: News und Hintergrund Multiple Sklerose Betaseron in Europa Beneseron Viele Hoffnungen setzen MS-Kranke auf das gentechnisch hergestellte, modifizierte beta-Interferon (AutoImmun News Nr. 1/2). Kürzlich teilte die Firma Schering mit, daß das in den USA bereits zugelassene Medikament in Europa den Namen Beneseron haben wird. Die Zulassung des Produkts wird schon Mitte 1994 bei der zuständigen Kommission in Brüssel beantragt. 1995 könnte dann die Zulassung erfolgen. Bereits jetzt baut die Firma Boehringer Ingelheim eine Produktionsanlage auf, womit dann der europäische Markt versorgt werden soll. Betaseron wurde im Rahmen von klinischen Prüfungen bisher nur bei gehfähigen MS-Patienten getestet, die einen schubförmigen Krankheitsverlauf haben. Dabei wurde die Schubrate um ein Drittel reduziert, die eigentliche Krankheitsursache der MS konnte allerdings nicht beseitigt werden. Die Therapie mit Beneseron, das alle zwei Tage unter die Haut (subcutan) gespritzt werden muß, dauert mehrere Jahre. Als Nebenwirkungen können „grippeähnliche“ Symptome mit erhöhter Temperatur auftreten. Ferner kann der Patient mit Frösteln und Muskelschmerzen behelligt werden. Ein Betaseron-Patient zu AutoImmun News: „Ich habe überhaupt nichts gemerkt. Doch das Fiebergefühl ist schon ganz schön lästig.“ Schering warnt vor anderen ß-Interferonen: Bereits geringfügige Molekülabwandlungen können zu Veränderungen im Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil führen. Offen bleibt damit die Frage, ob andere ßInterferone eine bessere Wirkung haben. Klinische Tests werden darauf Anwort geben. Herzinfarkt Zweifel an der Magnesium-Therapie Ein überraschendes Ergebnis brachte eine kürzlich bekanntgegebene Infarktstudie. Bei einer weltweit angelegten Studie wurden knapp 60.000 Patienten nach ihrem Herzinfarkt dem derzeit aktuellen Therapieprogramm mit Nitraten, ACE-Hemmern und Magnesium unterzogen. Englische Forscher haben nach ersten Auswertungen festgestellt, daß die Injektion von Magnesium kurz nach dem Herzinfarkt keinen meßbaren Effekt 193 auf den Heilungsprozeß hat. Somit können die Überlebenschancen der Infarktpatienten durch eine Magnesiumzufuhr nicht erhöht werden. Das Spurenelement Magnesium ist beim Ablauf bestimmter Stoffwechselvorgänge unentbehrlich. Es ist an der Nervenübertragung von Signalen zu einer Zielzelle beteiligt. Ein erwachsener Mensch sollte täglich etwa 300 Milligramm dieses Mineralstoffes zu sich nehmen. In der Regel nimmt der Mensch ausreichend Magnesium durch eine ausgeglichene Ernährung auf. Bei körperlicher Belastung, Streßzuständen und während der Schwangerschaft oder Stillzeit kann ein erhöhter Magnesiumbedarf bestehen. Außerdem leiden häufig Alkoholiker oder Menschen, die sich über längere Zeit falsch ernährt haben, unter Magnesiummangel. Der Mangel kann sich durch Zittern und Krämpfe bemerkbar machen. Auf eine dauerhafte Einnahme des Spurenelements sollte verzichtet werden. Es kann dann zu Muskelschwächen oder sogar zu Lähmungen führen. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern wurden 1991 192 Millionen Mark für Magnesiumtabletten ausgegeben. Wirtschaft Zu wenig Schwerbehinderte eingestellt Die privaten und öffentlichen Arbeitgeber haben 1992 zu wenig Schwerbehinderte eingestellt. Laut Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit wurden nur 4,3 Prozent der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt. Pflicht sei es aber, in Betrieben mit mehr als 16 Beschäftigten sechs Prozent der Arbeitsplätze mit Behinderten zu besetzen. Krebs Fragen zu Krebs schnell am Telefon beantwortet Einen Informationsdienst zum Thema Krebs hat das Deutsche Krebsforschungszentrum eingerichtet. Anrufer erhalten dort Auskunft über Früherkennungsmethoden und Krebs-Risiokofaktoren. Ferner erhalten Interessenten auch Informationen und Adressen über Selbsthilfegruppen, Tumorzentren und Nachsorgekliniken in der Nähe ihres Wohnorts. Das Krebs-Telefon ist in der Woche von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr besetzt und hat die Rufnummer 062 21/41 01 21. Grippe Die meisten Mix-Mittel sind wirkungslos Eine Untersuchung der Berliner Stiftung Warentest ergab, daß viele Mixturen zur Bekämpfung der Grippe ungeeignet sind. Sie sind zu niedrig dosiert und können sogar allergische Reaktionen auslösen. Sinnvoller ist es, die Symptome einzeln zu behandeln. Bei einer „echten“ Grippe empfiehlt es sich, den Arzt aufzusuchen. Immunmodulator Linomid, eine neue vielversprechende Substanz Linomid ist ein neuer synthetischer Immunmodulator, der die Aktivität der natürlichen Killerzellen und verschiedener Subpopulationen der weißen Blutkörperchen steigert. Erste Tierversuche zeigten, daß er die Entwicklung von Metastasen (Tochtergeschwülsten) verhindert. Spätere Untersuchungen 194 bei tierexperimentellen Modellen von Autoimmunkrankheiten bestätigten den Effekt. Der Ausbruch und das Fortschreiten der Leiden wurden verhindert. Als Beispiel wurde die künstliche Multiple Sklerose gewählt. Das einzige Tiermodell der MS ist die experimentelle, allergische Encephalitis (EAE), die in einigen Bereichen der menschlichen MS ähnlich ist. Die EAE wird durch Injektion von Hirngewebe bei genetisch anfälligen Ratten hervorgerufen. Das Krankheitsbild ist durch eine fortschreitende Bewegungsunfähigkeit der Tiere gekennzeichnet und führt in allen Fällen unbehandelt zum Tod. Der Einsatz von Cortison oder verschiedenen, unspezifischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Cyclosporin u. a.) kann diesen tödlichen Verlauf verhindern. In jedem Fall kam es aber durch die unspezifische Immunsuppression zu ernsthaften Nebenwirkungen. Bei allen Modellen der EAE wurde herausgefunden, daß Linomid den Ausbruch der Krankheit und die folgenden histopathologischen (feingeweblichen) Zeichen im zentralen Nervensystem verhindern konnte. Diese Befunde sind um so erstaunlicher, da Linomid keine immunsupprimierenden Wirkungen hat. Es werden nicht nur die Aktivität der natürlichen Abwehrzellen, sondern auch die Kraft einiger weiterer Untergruppen der weißen Blutkörperchen gesteigert. Betrachtet man diese Ergebnisse zusammen mit denen nach einer Therapie mit ß-Interferon, so erscheinen die herkömmlichen Hypothesen über den Mechanismus von Autoimmunkrankheiten fragwürdig. Offensichtlich ist nicht die Hemmung der angreifenden Zellen (cytotoxische T-Zellen) für die Behandlung des Leidens erforderlich. Wichtiger ist ein Eingriff in das Netzwerk der weißen Blutkörperchen. Nur eine Veränderung in der Beziehung der weißen Blutkörperchen zueinander kann das Entstehen der angreifenden Zellen verhindern. Eine klinische Überprüfung der Wirkung bei Autoimmunkrankheiten (besonders MS) sollte daher dringend durchgeführt werden. Hirntumor Gentherapie: Bösartige Zellen „ausgetrickst“ Im wahrsten Sinne des Wortes haben amerikanische Forscher Tumorzellen im Gehirn „ausgetrickst“: Zu einer sehr bösartigen Sorte von Hirntumoren zählt das entdifferenzierte Glioblastom, Mediziner geben den Erkrankten eine schlechte Prognose. Die Wissenschaftler gaben den Patienten ein bestimmtes Gen des HerpesVirus. Dazu wurde in den Schädel eine kleine Öffnung gebohrt. Dieser Vorgang wurde ständig mit Magnet-Resonanz-Bildern überwacht, berichtet der Berliner „Tagesspiegel“. Das fremde Gen der Herpes-Viren nahm nun die bösartigen Tumorzellen an. Nach vier bis fünf Tagen begannen die Wissenschaftler, den Patienten das Mittel Ganciclovir zu geben. Dabei handelt es sich um ein Medikament gegen Virusinfektionen, das auch gegen Herpes eingesetzt wird. Die Tumorkranken erhielten das Präparat zwei bis drei Wochen lang zweimal täglich. Die Resultate waren erstaunlich. Bei acht Patienten schlug diese Kombination aus Gen- und Virustherapie an. Bei einigen ging der Gehirntumor sogar zurück. Damit könnte es gelungen sein, bösartige Hirntumore in behandelbare Herpesviren umzuwandeln. Der wissenschaftliche Beweis bleibt aber noch 195 aus. Einige Fragen sind noch offen. Der optimale therapeutische Effekt kann nur erreicht werden, wenn eine bestimmte Anzahl von Tumorzellen auf das fremde Gen trifft. Wie hoch dieser Wert liegt, ist noch unbekannt. Aus Tierversuchen liegen aber schon erste Hinweise vor. Insgesamt stimmen diese Erfolge optimistisch. Die Studie wird fortgesetzt und ausgeweitet. Seite 12: Urteile und Tips für Patient und Arzt Behindertentestament mit Klausel zur Familienbegünstigung zulässig Dem Bundesgerichtshof (BGH) wurde folgender Fall zur Entscheidung vorgelegt: Die Eltern zweier Kinder fertigten ein Testament an. Darin war bestimmt, daß der gesunde Sohn 72 Prozent des Erbes und die geistig behinderte Tochter 28 Prozent erhalten sollten. Ferner bestimmten sie, daß im Todesfalle der Tochter das restliche Vermögen an den Sohn gehen solle. Zusätzliche Kosten für die Heimunterbringung sollten aus dem Vermögen der Tochter beglichen werden. Den Hauptanteil für die Heimunterbringung hatte der Sozial-hilfeträger, hier der Landkreis Konstanz, zu tragen. In der Regel fällt das Vermögen des Behinderten nach dessen Tod laut dem Bundessozialhilfegesetz dem Sozialhilfeträger zu. Im zu entscheidenden Fall blieb jedoch das Vermögen in der Familie. Der BGH sah die hier ausgeübte Testierfreiheit nicht als sittenwidrig an. Einen Verstoß gegen das Bundessozialhilfegesetz konnten die Karlsruher Richter auch nicht erblicken. Der Schutz der Familie gehe vor die Finanzierungsinteressen der Sozialgemeinschaft. (BGH, IV ZR 231/92) Arbeitsunfähigkeit nicht gleich Krankheit Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes stellt noch keinen Grund für die Tatsache dar, ob der Arbeitnehmer nicht doch zur Arbeit gehen muß. Besteht über die Arbeitsfähigkeit des Patienten Streit, muß der Arzt belegen, daß die Krankheit auch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. Das Argument der Arbeitsrichter lautet: Krankheit sei nicht immer mit Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. (Hess. LAG, Az: 9 Sa 123/93) Auskunftspflicht des Krankenhauses Möchte ein behandelter Patient die Privatanschrift eines Arztes haben, um diesen auf Schadensersatz wegen eines Behandlungsfehlers zu verklagen, so muß das Krankenhaus die Anschrift herausgeben. Das Krankenhaus wird hierbei richtigerweise als Vertragspartner des Patienten angesehen. Dies gilt natürlich auch dann, wenn die Ärzte einen eigenen Anwalt mit Prozeßvollmacht ausgestattet haben. (LG Darmstadt - 6 S 298/89) 196 Vereinbarkeit der Heilpraktikererlaubnis mit Approbation Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts darf ein Arzt nicht als Heilpraktiker tätig sein. Diese Regelung schreibt auch der Paragraph 1 des Heilpraktikergesetzes (HPG) fest. Aus der zentralen Stellung, die der Arzt in der Heilkunde inne hat, folgt, daß er eine besondere Heilpraktikererlaubnis nicht zusätzlich benötigt. Erlangt ein Heilpraktiker durch weitere Ausbildung und Studium die Approbation als Arzt, so ist der spätere Entzug der Heilpraktikererlaubnis nicht gerechtfertigt. Mit dem Heilpraktikergesetz verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, Gesundheitsgefährdungen von der Bevölkerung fernzuhalten. Daß ein Arzt eine erworbene Heilpraktikererlaubnis behält, stellt keine Gefährdung dar. Welcher Behandlungsmethoden er sich in der Ausübung seines Berufes bedient, bleibt ihm überlassen. Der Entzug der Heilpraktikererlaubnis ist nicht gerechtfertigt. (Hess. VGH, 11 UE 851/90) Für Sie gelesen … Medikamente – Ein Leitfaden Die Ausgabe 1994/95 des über 700 Seiten starken Werkes glänzt durch Allgemeinverständlichkeit. Einen schnellen Zugriff auf Informationen garantiert die gut strukturierte Inhaltsübersicht und das nach Wirkstoffen und Medikamenten angehängte Register. Der Autor Ivan Wolffers konnte als praktischer Arzt Erfahrungen im Umgang mit Patienten sammeln. Sein Ziel, komplzierte medizinsiche Zusammenhänge verständlich darzustellen hat mit dem vorliegenden Buch erreicht. „Medikamente – Ein Leitfaden 1994/95“ ist im Byblos Verlag Berlin erschienen und kostet 44 Mark. Der praktische Tip Rechtschreibprobleme werden noch schneller gelöst durch einen Telefonanruf beim Sprachberatungsdienst der Gesellschaft für deutsche Sprache. Häufig steht das Problem, das einen gerade beschäftigt, nicht im Duden oder man hat das Nachschlagewerk gar nicht zur Hand. Bei Fragen zur Gramatik, Herkunft und Bedeutung von Wörtern und Namen sowie zu Stilfragen erteilen Sprachexperten Auskunft. Wer beim Schreiben eines Textes, Ausfüllen eines Antrags oder Verfassen eines ärztlichen Attests schnelle Rechtschreibhilfe benötigt, sollte sich die Telefon-Nummer 06 11/52 44 99 notieren. Seite 13: Die Redaktion stellt sich vor: „Alle reden, aber keiner tut was!“ Redakteurin Christa Alheit ist keine Ärztin. Zu ihrer Arbeit bei den AutoImmun News kam die diplomierte Medienexpertin über ihre Krankheit. Oft werden ihr Fragen gestellt: Hier die Antworten. Sind Sie an Multipler Sklerose erkrankt? 197 Ja, 1990 habe ich die niederschmetternde Diagnose bekommen. Typische Beschwerden hatte ich bereits seit 1982 gespürt, aber kein von mir befragter Arzt konnte damit etwas anfangen. Wurden Sie mit Deoxyspergualin behandelt? Anfang 1993 habe ich meinen ersten Infusionszyklus erhalten. Über die Substanz wußte ich vorher Bescheid. Nach Abfrage mehrerer medizinischer Datenbanken und der Auswertung durch Experten war mir klar, daß der Stoff verhältnismäßig harmlos ist. Er wurde bereits 1984 an Tieren und Menschen eingesetzt. Außerdem hatte ich keine andere Wahl, denn meine Krankheit nahm 1992 eine beängstigende Entwicklung und Cortison zeigte überhaupt keine Wirksamkeit mehr. Ich konnte nur noch ein paar Schritte in meiner Berliner Wohnung laufen. Wie fühlen Sie sich ein Jahr nach der DSG-Therapie? Eine schwierige Frage. Der bewegungszerstörende Krankheitsfortgang hat bis heute angehalten. Die Beschwerden, die ich vor der Therapie hatte, sind teilweise geblieben, andere haben sich verbessert oder sind ganz verschwunden und wieder andere zappeln, d. h. sie sind mal besser und mal wieder schlechter. Das ist ganz bestimmt nicht befriedigend, aber das Schlimmste ist vermieden worden, denn einen weiteren Fortgang der Krankheit habe ich bis heute nicht erlebt. Nun geht es darum, die zerstörten Nerven wieder aufzubauen, was auch eine große Herausforderung für unsere Wissenschaftler ist. Warum engagieren Sie sich für die Bekämpfung von schweren Krankheiten? Als ich mich gezwungenermaßen um die medizinische Wissenschaft kümmern mußte, habe ich einen Schreck bekommen. Kaum einer hat sich mit neuen Forschungsansätzen um die MS bemüht, bei anderen chronischen Krankheit sieht es ähnlich hoffnungslos aus. Der Forschungsstand rund um die MS glich einer Ruinenlandschaft, jedoch taten alle hieran Beteiligten unheimlich wichtig. Ich möchten keinem auf die Füße treten, viele leisten hervorragende Grundlagenforschung, aber davon wird meine Krankheit nicht geheilt. Es gibt, in der MS-Szene gut zu beobachten, viele eingefahrene Seilschaften, DMSG und sogenannte MS-Experten, die eine schnelle Therapieforschung, vielleicht ohne böse Absicht, behindern, weil sie sich mit ihren Forschungsgeldern und sonstigen Unterstützungen neu orientieren müßten. So, wie es bisher lief, war es bequem. Den Kranken versprach man bald ein Medikament, aber es kam nicht. Als ich vor einigen Jahren bei der DMSG-Berlin um Rat fragte, teilte man mir mit, daß ich genauere Auskünfte nur bei einer Mitgliedschaft in dem Verein erhalten könne. Das wunderte mich sehr. Der Ansatz Frankes mag je nach Krankheitsstadium noch nicht die ultimative Lösung sein. Es ist aber ein Beginn. Nur, wer unterstützt Franke? Er leistet anerkennenswerte Arbeit, doch helfen tut keiner. Deshalb habe ich Nägel mit Köpfen gemacht. Ich hoffe, daß für alle chronischen Krankheiten die Forschung schneller vorankommt. Seite 14: 198 Leserpodium Revierverteidigung Ich gratuliere zur mir vorliegenden Ausgabe Nr. 3. Endlich jemand, der Nägel mit Köpfen macht. Im Unterschied zur AMSEL-Veranstaltung vom 30. 10. 1993. Vorträge von Prof. Kornhuber (Ulm), Gottwald, Wiethölter, Foit und Heckl waren zu hören. Fachbezogene Vorträge, die alle ihre eigene Wichtigkeit nachwiesen, doch mehr nicht. Von der Existenz einer MSForschung eines Dr. Franke oder Tests der Behringwerke Marburg zeigte man vornehme Distanz. Oder ging es um Revierverteidigung? Hätte die AMSEL nicht das Fahrmonopol für Behindertenfahrten, sie wäre Ihren Beitrag nicht Wert, als Kulisse bin ich mir zu schade, trotz MS. Fritz B., Ludwigsburg Wichtige Informationen Haben Sie vielen Dank für die zwei Hefte „AutoImmun News“, die ich sehr zeitig bekommen habe. Sie beinhalten sehr interessante und wichtige Informationen für mich. Somit bin ich als MS-Kranke immer auf den neusten Stand. Valentine B., Sofia Therapie-Effekt Besten Dank für das AutoImmun-Heft, das mir mit seinem guten Outfit frische Hoffnungsimpulse spendete und gewissermaßen einen Therapie-Effekt bewirkte. Dr. med. Georges A., Bern „Auf Eis“ Herzlichen Dank für Ihr Interesse an unserem Antirheumatikum Leflunomid. (AutoImmun News Nr.3). Ihre öffentliche Aufmerksamkeit bedeutet eine große Anerkennung unserer Arbeit. Die Entwicklung von Leflunomid ist nicht immer gradlinig und zügig verlaufen, von einer Zeitspanne von 14 Jahren, in denen Leflunomid „auf Eis“ gelegen hat, kann jedoch nicht die Rede sein. Die bisherige Entwicklungsdauer für Leflunomid ist (eine Zeitspanne von ca. drei Jahren, wo die Verbindung tatsächlich „auf Eis“ lag ausgenommen), durchaus im Rahmen des heutzutage notwendigen Zeitaufwandes für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels. Dr. Rudolf Schleyerbach Forschungsleiter SBU Rheumatologie, Hoechst AG Existenzminimum Beiliegend übersende ich Ihnen zwei Aufnahmeanträge von zwei jüngeren Frauen aus der Ukraine, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Ich möchte Sie ersuchen, wenn irgendwie möglich, die beiden Ukrainerinnen vom Mitgliedsbeitrag zu befreien, mit der Begründung, daß heute in der Ukraine eine schwere wirtschaftliche Krise mit hoher Inflationsrate herrscht. Für die beiden Frauen ist es unmöglich, den Mitgliedsbeitrag aufzubringen, da sie wegen ihrer Krankheit arbeitslos sind und an der Grenze des Existenzminimums leben. Johannes M., München 199 Die beiden Frauen aus der Ukraine bekommen die AutoImmun News in Zukunft zugestellt. Die Red. Fast ein Pflegefall Seit zehn Jahre bin ich mit einem MS-kranken Mitbewohner befreundet. In den letzten zwei Jahren geht seine Krankheit mit einem ungeheuren Tempo voran. Er ist jetzt schon fast ein Pflegefall und hat nichts mehr in seinem Leben zu verlieren. Angesichts dieser Tatsache ist es unverständlich, warum man ihm nicht die Möglichkeit gibt, das von ihm gewünschte DSG – inzwischen hat man Erfolge mit diesem Medikament bewiesen – an sich anzuwenden. Selbst einem verletzten Pferd gönnt man den Gnadentod oder gibt ihm sofort medizinische Hilfe. Aber für die Verantwortlichen sind wir Menschen wohl weniger wert als Tiere? Paul Sch., Frankfurt/Oder Hypokrates Was hätte wohl der alte Hippokrates zum DSG-Drama gesagt? Hans-Ludwig K., Berlin Seite 15: Gesucht und entdeckt Heilung durch Licht Manche Entdeckungen in der Medizin sind verblüffend einfach gewesen. Doch der gedankliche Schritt dahin war oftmals sehr schwierig. Ein gutes Beispiel ist die Einführung des Lichts zur Therapie von Hautkrankheiten. Selbst bei der Krankheit Neurodermitis werden neuerdings Versuche mit Licht unternommen. Nach wir vor besitzt das Licht einen großen Stellenwert in der Medizin. Lichttherapie ist die Verabreichungvon Lichtbädern, Phototherapie, Höhensonne, Rotlicht oder des Finsen-Bogenlichts. Doch so einfach war der Gedanke, das Licht als Therapie zu nutzen, nicht in die Schulmedizin einzubringen. Bestes Beispiel dafür liefert Niels Ryberg Finsen. Finsen wurde 1860 in Dänemark geborenen und absolvierte ein Medizinstudium. Schon während seiner Universitätsjahre erkrankte er schwer. Ihn quälten Schmerzen an Herz und Bauch. Kein Arzt konnte eine Diagnose stellen, heute wissen wir, es handelte sich um eine Bauchwassersucht. Finsens Entdeckung fand aber auf einem anderen Gebiet statt. In der Natur beobachtete Finsen ein Phänomen: Tiere streben instinktiv in die Sonne. Also mußten die Sonnenstrahlen irgendeinen Effekt haben. Der Wissensstand über das Sonnenlicht war im Jahre 1889 eher bescheiden, aber soviel wußte man: Es läßt sich in verschiedene Sorten unterteilen. Die Wärmestrahlen sind nicht für den Sonnenbrand verantwortlich, sondern chemische Strahlen. In einem Selbstversuch bewies Finsen drei Jahre später, daß das ultraviolette Licht der Sonne den Sonnenbrand, den er als Entzündung der Haut verstand, verursachte. Daraus resultierte seine Idee: Das Licht könne doch nicht nur 200 körperschädigende Eigenschaften besitzen. Man müsse es nur richtig einsetzen. Mit einer Veröffentlichung über seine Lichttheorie machte er auf sich aufmerksam. Universitäten und Schulmedizin taten Finsen als „Schwärmer“ ab. Somit fehlte ihm jegliche Unterstützung. Aber der Forscher war von seiner Arbeit überzeugt. Das ultraviolette Licht wirkt lebensspendend und ist somit als eine natürliche Heilquelle zu betrachten. Zwei Fragen blieben: Wo findet diese Therapie ihren Einsatz? Und wie kann das Sonnenlicht durch künstliches Licht ersetzt werden? Der Ersatz wurde durch eine elektrische Bogenlampe hergestellt. Diese gab sogar noch mehr ultraviolettes Licht ab als die Sonne. Die erste Therapie wurde an einem dänischen Ingenieur vorgenommen, der unter einer gesichtsentstellenden Hauttuberkulose zu leiden hatte. Bevor nun das gefilterte ultraviolette Licht seine Wirkung auf die Entzündungsstellen entfalten konnte, mußte noch ein weiteres Problem aus der Welt geschafft werden. Das Blut ließ kaum Strahlen durch. Mit Hilfe einer Glasplatte, die auf die Haut gepreßt wurde, konnte das Blut kurzzeitig aus den oberen Hautschichten verdrängt werden. Der Heilerfolg trat ein. Es entstanden Blasen, die eintrockneten und dann löste sich die Haut ab. Darunter erblickte Finsen rosige – nicht entzündete Haut. Nun hatte Finsen viel Arbeit, denn Kranke aus aller Welt wollten das neue Verfahren ausprobieren. Schließlich bekam der inzwischen schwerkranke Finsen auch ein Lichtinstitut und einen Professorentitel zur weiteren Forschung. Kurz vor seinem Tod (1904) erhielt Niels Ryberg Finsen den Nobelpreis. Heute hat die Lichttherapie ihren festen Platz in der Medizin. Neuere Versuche mit Lichtwellen aus dem unteren Bereich des Sonnenlichts zur Heilung der Neurodermitis wurden an der Charité in Berlin mit Erfolg durchgeführt. Viele Erkenntnisse stützen sich auf Finsens Arbeit. 8.3 „Autoimmun News“ Nr. 2 von April/Mai 1994 Seite 3: „Wir übersehen oft in einer Reihe von Erscheinungen, die wirklich in der Natur eine Reihe von Ursachen und Wirkungen ist, theils wegen der Stumpfheit der Sinne, theils wegen Mangels der Aufmerksamkeit, einzelne Erscheinungen, welche von der einen Seite Wirkungen sind, und von der andern Ursachen, und also wesentlich zu der ganzen Kausalreihe gehören.“ Ernst Platner, 1793 Liebe Leser, Konkurrenz belebt das Geschäft. Darüber freut man sich besonders, wenn es zu Gunsten der an Multipler Sklerose leidenden Patienten geschieht. Offensichtlich gibt es in absehbarer Zeit zwei Medikamente zur Therapie dieser häßlichen Krankheit. Hoechst (Behringwerke) wird versuchen, den Markt mit Deoxyspergualin (DSG) zu erobern. Schering und eine Reihe weiterer Anbieter setzen auf Beta Interferon. Über diesen Zustand kann sich 201 der leidende Patient freuen, denn er mußte - mit seiner Krankheit alleine gelassen - viele Jahre auf ein Medikament zur Behandlung dieser Krankheit warten. Als vor einem dreiviertel Jahr (August 1993) die erste Ausgabe der AutoImmun News erschien und vehement forderte, DSG zuzulassen sowie die Forschung zu beschleunigen, hieß es, so schnell gehe das nicht. Die Argumente von damals aus den AutoImmun News werden heute von den damaligen Verhinderern benutzt. Diese späte Einicht kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch viele Fragen offen sind. Eine Frage dürfte allerdings beantwortet sein. Nicht nur die kernspintomographischen Ergebnisse alleine können Maßstab für die Beurteilung eines MSMedikamentes sein. Dem Empfinden des Patienten muß eine höhere Bedeutung zugeordnet werden. In dieser Ausgabe möchten wir Sie ausführlich über den aktuellen Stand der Multiplen Sklerose-Therapien informieren. Mit DSG und Beta Interferon ist das Ende der Fahnenstange aber noch lange nicht erreicht. Es bieten sich noch mehrere Substanzen an, die entweder die entweder die Ursachen von Autoimmunerkrankungen bekämpfen oder aber zumindest die Symptome mildern könnten. Der Mythos der „Unheilbarkeit“ bei der MS ist ins Wanken geraten. Der zweite Teil unserer Abhandlung über Kollagenosen geht auf die einzelnen Krankheitsbilder ein. Der Autor, Prof. Dr. Martin Franke, ist anerkannter Experte für Rheuma. Er schildert nicht nur die Symptome der Krankheitserscheinungen, sondern legt dar, wie die derzeitige Therapie aussieht. Angesichts der brennenden Synagoge in Lübeck haben wir uns entschlossen, ein Buch vorzustellen, das das Schicksal eines Arztes unter nationalsozialistischer Herrschaft beschreibt. Der deutsche Mediziner Werner Schmidt wurde als „Halbjude“ von den Nationalsozialisten verfolgt. Für Sie weiter am Ball bleibend Ihre Redaktion Seiten 4,5,6 und 7 Nach MS-Expertengipfel in London: Konkurrenzkampf zwischen Hoechst und Schering? Wer wird das erste MS-Medikament in Europa auf den Markt bringen? Geldanleger aus der Hochfinanz erkundigten sich bei den aktivsten MSForschern nach dem aktuellen Stand. Wann kommt welches Medikament auf den Markt? Antworten erhielten sie von Prof. Ian McDonald (London), Dr. Joachim-Friedrich Kapp (Schering AG) und Prof. Dr. Niels Franke (München) Mutiple Sklerose als Gegenstand der kommerziellen Interessen: Am 18. März lud der Londoner Ableger der Banque Nationale de Paris (BNP) Vermögensverwalter und Investoren ein. Der Titel der Veranstaltung lautete: „Mutiple Sklerose - Kommerzielle Gelegenheiten bei neuen Therapien“. BNP gilt als kompetente Bank, besonders im Bereich von Investitionsanlagen. Der Hauptsitz des Geldinstituts liegt in Paris, insgesamt beschäftigt das Unternehmen weltweit 44.000 Arbeitnehmer. Etwa einmal wöchentlich präsentieren die Banker ihren Kunden neue Möglichkeiten der Geldanlage. 202 Bei den Kunden handelt es sich um einen kleinen, erlesenen Kreis, vornehmlich, Vertreter aus sogenannten Investmentfirmen, die wiederum ihre Kunden, die wirklichen Geldanleger, beraten. 15 Milliarden Dollar vertreten Das Thema Multiple Sklerose war gut besucht. BNP-Sprecher Christian Engelhart stellte fest, „daß etwa 15 Milliarden Dollar an Kapital anwesend waren.“ Das Hauptinteresse der Besucher lag darin, möglichst viel über die aktuelle MS-Therapieforschung zu erfahren. Veranstaltungschef und Pharmazieanalyst Ian Broadhurst bereitete das Treffen sorgfältig vor und trug alles zusammen, was zur Zeit weltweit von wirtschaftlicher Bedeutung für die Multiple Sklerose-Forschung ist. Konkurrenz in der Pharmabranche Dem Milliarden-Publikum wurden neben einem durchaus sauber erarbeiteten Dossier die wohl aktivsten MS-Forscher, bzw. ihre Repräsentanten vorgestellt. Ziel war es, den Investoren die eine oder andere Investitionsmöglichkeit schmackhaft zu machen. Der Konkurrenzkampf in der MS-Forschung ist zwischen Forschern der verschieden Richtungen offen ausgebrochen. „Aber auch der Konkurrenzkampf zwischen den beteiligten Pharmaunternehmen. Das kann den Patienten nur zu Gute kommen.“, so Ralf Harenberg (Schering AG) zuständig für Wirtschaft und Presse. An der Spitze der geladenen Referenten stand Prof. Ian McDonald vom Institut für Neurologie der Universität London. Er gilt weltweit als „der“ MSExperte. In seiner Person hat sich das gesamte Wissen über Multiple Sklerose der letzten 25 Jahre angehäuft. McDonald betreut eine Reihe von weltweit laufenden Forschungsprojekten. Sein Hauptanliegen ist die Entwicklung neuer Techniken zur Untersuchung dieser Krankheit. „Er ist eine Kapazität. Direkt der Königin von Großbritannien unterstellt.“, erklärte Engelhart. In seinem Vortrag beschrieb McDonald zunächst die Multiple Skerose: „MS ist eine Krankheit des Gehirns oder Rückenmarks. In Nordeuropa, Amerika und Australien leiden etwa von 100.000 Menschen 100 an Multipler Sklerose. In Südeuropa ist diese Rate niedriger, dort trifft man auf rund 50 Patienten pro 100.000 Menschen.“ McDonald betonte die Kosten, die die MS für Industrienationen verursache. Ein MS-Kranker koste ähnlich viel wie ein Patient, der an einer HerzKreislauferkrankung oder Krebs leidet. Ferner berichtete er den Investoren über das Durchschnittsalter von 30 Jahren, in dem diese Krankheit ausbricht. Und: „Eine starke Verschlechterung der Multiplen Sklerose tritt bei 85 Prozent der Patienten nach 25 Jahren Krankheit ein. Wir haben in den letzten fünf Jahren sehr viel über diese Krankheit gelernt, nicht zuletzt dank der Kernspintomographie.“ Hinsichtlich der MS-Ursachen tappt auch McDonald im Dunklen. Aber er zeigt sich optimistisch: „Nach unserem derzeitiges Verständnis basiert die Multiplen Skleorse auf einem frühzeitigen Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke in Verbindung mit einer Entzündung. In der Folge treten Entmarkungen auf. Nach etwa einem Monat stoppt die Entzündung und klingt ab.“ Den Grund der Entzündung sieht McDonald im immunologischen Bereich bei den Lymphozyten. Das Hauptziel einer Therapie müßte es sein, den entzündlichen Prozeß zu stoppen. 203 Über bisherige Therapieansätze äußert sich der Londoner skeptisch: „In den vergangenen Jahren sind eine ganze Reihe von immunsuppressiven Substanzen angewendet worden, um einen Krankheitsstillstand zu erreichen. Keine dieser Versuche brachte ein überzeugendes Ergebnis.“ McDonald vermutet, daß ein Antikörper (CD4) eine wesentliche Rolle spielt. Auch auf die weiteren Ergebnisse der klinischen Studie mit Copolymer 1 (Cop 1) setzt er Hoffnung. Erfolgversprechend sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der Studie mit Betaseron, das die Entzündungsfrequenz reduziert. Insgesamt blickt McDonald optimistisch in die Zukunft, „da weltweit viele Forschungseinrichtungen an dem Immunmechanismus der Multiplen Sklerose arbeiten.“ Hierbei hebt er 4-amino-pyridene hervor. „Diese chemische Substanz besitzt eine sehr spezifische Wirkung. Weitere Studien werden genauer Auskunft geben.“ Scherings Betaseron Das Berliner Pharmaunternehmen Schering AG zählt zu den aktivsten Motoren in der MS-Forschung. Mit Beta Interferon ist derzeit ein Medikament zumindest auf dem amerikanischen Markt, das nicht nur die Symptome der Multiplen Sklerose lindert, sondern offensichtlich auch in das Krankheitsgeschehen eingreift. In Deutschland wird in absehbarer Zukunft eine klinische Studie mit diesem Präparat anlaufen. Geplant ist eine Teilnehmerzahl von 700 Patienten. Die Konkurrenz aus Hessen (Hoechst AG/ Behringwerke) mit Deoxyspergualin (DSG) scheint den Berlinern wenig Sorge zu bereiten. Schering-Finanzexperte Pohle äußerte kürzlich sogar den Verdacht, daß man die DSG-Studie einstellen werde, weil sie keine kernspintomographischen Erfolge zeigte. Damit legt man natürlich sehr selbstbewußt den zukünftigen Maßstab für weitere klinische Prüfungen bei der Multiplen Sklerose fest. Wen wundert es, denn „Schering ist der Weltmarktführer von Kontrastmitteln, die für Kernspinaufnahmen benötigt werden“, so BNP-Chef Ian Broadhurst. In Marburg, wo im Mai weitere Zwischenergebnisse über die DSG-Studie der Öffentlichkeit vorgelegt werden sollen, möchte man die Konkurrentenrolle nicht so recht annehmen. Aber die Argumente liegen schon parat. Dr. Theobald, verantwortlich für die Auswertung der DSG-Studie stellt hierzu fest: „Wenn ich als MS-Patient die Wahl hätte zwischen Beta Interferon, das im Kernspin zwar Verbesserungen zeigt, aber keine klinische Wirkung mit sich bringt und DSG, das beim EDSS erfreuliche Ergebnisse zeigt, aber im Kernspin noch effektlos ist, dann würde ich mich lieber mit DSG behandeln lassen. Das entscheidende Kriterium ist natürlich der klinische Zustand (EDSS) des Patienten.“ Beta Interferon: Schubfrequenz reduziert Schering-Vertreter Dr. Joachim-Friedrich Kapp ging in seinem Vortrag ausschließlich auf Beta Interferon ein. Das Medikament ist ein modifiziertes menschliches Beta Interferon. Kapp schilderte dem Publikum die unterschiedlichen Formen der Multiplen Sklerose: Die chronisch primär progressive Form, an der 60 Prozent der Patienten leiden, die sich sehr schnell verschlimmernde chronisch progressive Variante (10 Prozent) und die schubförmige Multiple Sklerose (20 bis 30 Prozent). 204 Die in den USA durchgeführte klinische Studie befaßte sich mit der schubförmigen Verlaufsform. Kapp wiederholte die Ergebnisse, die in Fachpublikationen bereits veröffentlicht worden sind, sehr anschaulich. „Die Doppelblindstudie wurde nach zwei Jahren aus ethischen Gründen in eine offene Studie umgewandelt. Das verlangte die amerikanische Kontrollbehörde FDA“, erklärt Harenberg. Die erfreulichen Ergebnisse zeichnen sich durch zwei Merkmale aus. In der hohen Dosierungsgruppe, die die besten Ergebnisse aufwies, zeigte sich nach der Auswertung der Kernspinaufnahmen eine Verkleinerung der Herde. Kapp: „Die Schubfrequenz, ein zweiter Erfolg, reduzierte sich ebenfalls in der hohen Dosierungsgruppe (8 MIU).“ Der unbehandelte MS-Patient muß im Durchschnitt mit 1,27 Schüben pro Jahr rechnen. Erhält er eine hohe Dosis Beta Interferon, so reduziert sich seine jährliche Schubrate deutlich. Er muß nur noch mit 0,84 Schüben, also noch immer mit einem Schub pro Jahr rechnen. Diese Zahlen sind wissenschaftlich abgesichert und signifikant durch kernspintomographische Aufnahmen. Diese wissenschaftliche Absicherung bezweifelt wiederum Dr. Theobald. „In Wirklichkeit wurden die Kernspinuntersuchungen mit einer ganz anderen Methode durchgeführt, man kann diese nicht mit der vergleichen, die wir angewandt haben. Außerdem wurden nur rund 46 Patienten kernspintomographisch untersucht. Da stimmt die Varianz (statistischer Begriff) nicht. Eine statistische Untersuchung der Betaseron-Studie würde wahrscheinlich einige Zweifel aufkommen lassen.“ Chronisch-progressive MS In Zukunft will sich Schering weiter der Erforschung der Multiplen Sklerose widmen. Die geplante große Studie mit Beta Interferon wird sich nun mit der chronisch-progressiven Verlaufsform befassen. „Wir erwarten dort auch ermutigende Ergebnisse“, erklärte Kapp. Abschließend sprach der Scheringvertreter noch eine interessante Frage an. Die Kernspintomographie, die bei der Beta Interferon-Studie eine zentrale Rolle eingenommen hatte, bietet noch keine absolute Meßgenauigkeit zur Beurteilung, ob ein Verhältnis zwischen den Beschwerden des Patienten und den Veränderungen in den Aufnahmen besteht. Kapp stellte hierzu fest, „daß es noch zu früh sei, über eine Korellation (Verhältnis) zu sprechen. Die Diskussion in der Zukunft und weitere Studien werden mehr Aufschluß bringen.“ DSG: Nach sechs Monaten erste Erfolge Das zweite Medikament, das das Interesse der Investoren weckte, war Deoxyspergualin (DSG). Hoechst / Behring war nicht in London vertreten, „weil ja schon alles bei der Pressekonferenz am 20. Dezember 1993 gesagt wurde“, so Theobald. Dafür gab Prof. Franke, der auf einen enormen Erfahrungsschatz bei der Therapie von Autoimmunkrankheiten, insbesondere mit DSG bei Multipler Sklerose, zurückgreifen kann, kompetent Auskunft. Franke begann seine Ausführungen damit, daß er nicht der offizielle Vertreter von Hoechst / Behring sei. Im Gegenteil, er mußte das Pharmaunternehmen dazu bewegen, eine klinische Prüfung mit DSG durchzuführen. Der gelernte Anästhesist ist seit 1985 mit der MS-Forschung beschäftigt. Der Grund dafür liegt in seiner eigenen Multiplen Sklerose. „Als ich mich damals im Bereich der 205 MS-Forschung umsah, mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß es nur unklare Ergebnisse gab“, erinnerte sich Franke. „Meine Lage als Patient war vollkommen hoffnungslos. Als Forscher entdeckte ich die japanische Substanz Deoxyspergualin (DSG), mit der ich mich erfolgreich selbst behandelte.“ Nicht ausschließlich immunsuppressiv Franke ging auf die Wirkungsweise von DSG ein, denn vielfach wird angenommen, es handele sich bei diesem Medikament um ein Immunsuppressivum. „Deoxyspergualin besitzt nicht ausschließlich eine immunsuppressive Wirkung. In Tierversuchen konnten wir beobachten, daß nach einer Hauttransplantation und der Gabe von DSG nach ein paar Tagen die fremde Haut in 60 bis 80 Prozent der Fälle toleriert wurde. Eine weitere Therapie war nicht mehr notwendig. Das Knochenmark war voller weißer Blutkörperchen. Es mag sein, daß eine immunsuppressive Wirkung auch von DSG ausgeht, aber diese wirkt in einer sehr speziellen Art und Weise.“ Franke beschrieb seinen Selbstversuch. Er litt unter einer sekundär chronischprogressiven Variante der Multiple Sklerose. „Nach einem Jahr bemerkte ich, daß meine Erschöpfung nachließ, ich konnte mich wieder voll meiner wissenschaftlichen Arbeit widmen.“ Ein Vergleich zwischen Beta Interferon und DSG sei nicht zulässig, betonte Franke. Bereits nach sechs Monaten konnte Behring sensationelle Ergebnisse präsentieren, daran hatte niemand geglaubt. 80 Prozent der Patienten berichteten, daß die Krankheit nicht weiter schreitet. Die Beta Interferon-Studie in den USA ging über mehrere Jahre. Franke: „Man muß jetzt auch auf die kernspintomographischen Ergebnisse von DSG warten. Das kann auch zwei oder drei Jahre dauern. Nach sechs Monaten dort etwas zu erwarten, ist übereilt.“ MS-Hypothesen sind Spekulationen Franke sieht seine zukünftige Aufgabe darin, eine neue Hypothese zur Multiplen Sklerose zu entwickeln: „Die gängige Hypothese zur Multiplen Sklerose ist nicht bewiesen. Alle Vermutungen sind reine Spekulationen. Die bisher angewandten Immunsuppressiva zeigten nur ein kurzzeitigen Effekt, waren sonst aber wirkungslos. Um eine neue Hypothese zur MS zu entwickeln, ist es wichtig, weitere Substanzen zu erproben. Nur so kommt die Wissenschaft weiter voran.“ 206 Podiumsdiskussion Dem Londoner Seminar über neue Therapieansätze bei Multipler Sklerose folgte eine Podiumsdiskussion. Investoren stellten den Experten Fragen Frage: Prof. McDonald, wann denken Sie, wird das nächste vergleichbare Medikament auf den amerikanischen Markt gelangen? Prof. McDonald: Schwierig, ich weiß von meinen Kollegen aus den USA, daß COP 1 jetzt unter einer speziellen Lizenz steht. Damit kann es verkauft werden, sofern eine klinische Studie begonnen hat und ein Effekt vermutet wird. Frage: Prof. Pohle von Schering stellte fest, daß es für Betaseron keine Konkurrenz in Europa geben wird. Wird es als erstes auf dem Markt sein? Dr. Kapp: Das mag ein Mißverständnis sein. Außerhalb Europas ist Ares Serono (Pharmaunternehmen) die richtige Adresse. Wir glauben, daß sie realistisch gesehen 1997 das Medikament auf den Markt bringen können. Wenn die Ergebnisse positiv sind, vielleicht auch früher. Frage: Prof. Franke, wann denken Sie, wird DSG den europäischen Markt erreicht haben? 207 Prof. Franke: Von jetzt an gerechnet könnte es 12 Monate dauern. Ungefähr Mitte 1995. Vielleicht auch ein paar Monate früher. Wenn wir keine Nebenwirkungen feststellen, sollten wir dem amerikanischen Modell folgen und das Medikament früher auf den Markt bringen. Das ist nützlich für Pharmaunternehmen, Ärzte und besonders für Patienten. Frage: Bisher ist immer davon die Rede, daß Beta Interferon mit einer Nadel gespritzt werden muß. Bestehen auch Überlegungen, das Medikament oral aufzunehmen? Dr. Kapp: Wir werden die nächste klinische Studie auch so anlegen, daß das Betaseron subkutan (unter die Haut) injiziert werden muß. Eine orale Einnahme ist wilde Hypothese. Frage: Prof. Franke, gibt es Dosierungsunterschiede bei der Therapie mit DSG? Prof. Franke: Ja, die klinische Studie der Behringwerke hat ergeben, daß die höchste Dosierung auch die effektivste ist. In diesem Zusammenhang sind aber noch viele Fragen offen: Die Dosierungshöhe, die Frequenz der Therapie usw. Behrings Planung basierte auf den Ergebnissen der Toxikologie. Ich könnte mir vorstellen, daß die Gabe einer kleinen Dosis über zehn Tage durchaus wirkungsvoller ist. Frage: Habe ich es richtig verstanden, daß ein Myelinschaden, der älter als zwei Jahre ist, nicht mehr zu reparieren ist? Prof. McDonald: Ich denke, darüber wissen wir zu wenig. Was wir in der Kernspintomographie sehen, ist nicht wirklich der Vorgang der Demyelisierung. Wir sehen nur einen sekundären Effekt dieser Krankheit. Aber dieses Geschehen ist Gegenstand der laufenden Forschung. Mit der zunehmenden Verbesserung der Technik werden wir bald den Myelinverlust verstehen. Frage: Ist es möglich, daß DSG vor Betaseron auf den deutschen Markt gelangt und damit auch auf den europäischen Markt? Dr. Kapp: Jedes neue Medikament muß sich an der Kernspintomographie messen lassen. Für DSG ist es noch zu früh. Prof. Franke: Der wichtigste Punkt ist die klinische Wirkung. Kernspintomographie ist nur wichtig, wenn gute klinische Ergebnisse vorliegen. Seiten 8 und 9: Kollagenosen Teil 2 Die Krankheitsbilder, die bekanntesten Symptome und die derzeitigen Therapien - Rheumaexperte Prof. Dr. Martin Franke über diese Funktionsstörung des Abwehrsystems Die „Kollagenosen“ sind systemisch-entzündliche Erkrankungen des Bindegewebes. Diese Entzündung wird auch als „rheumatisch“ bezeichnet. Durch den Befall des Bindegewebes können zahlreiche Organe in das Erscheinungsbild dieser Erkrankung einbezogen werden. Als Ursache kommt eine Funktionsstörung des Abwehrsystems in Frage, deren Folgen durch die Grundlagenforschung schon im einzelnen erkannt sind. Es fehlt aber nach wie vor die Erkenntnis, wodurch diese Störung des Abwehrsystems zustande kommt. Es ist bekannt, daß sog. „genetische 208 Faktoren“, also in den Strukturen der Vererbung gelegene Faktoren eine Rolle spielen. Dies betrifft aber lediglich die "Krankheitsbereitschaft". Auslösende Faktoren müssen hinzukommen. Die Krankheitsbilder 1. Systemischer Lupus erythematodes, auch als Lupus erythematodes bezeichnet. Es erkranken überwiegend Frauen im Verhältnis 9:1 zu Männern. Es ist von 50 Krankheitsfällen bei 100.000 Einwohnern auszugehen, wobei mit 8 Neuerkrankungen pro Jahr bei dieser Einwohnerzahl zu rechnen ist. Früherscheinungen: Lymphknotenschwellungen, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust. Häufige Krankheitserscheinungen: Gelenkentzündungen mit flüchtig wechselndem Ort, nicht zerstörend, im Verlauf der Krankheit bis 90 Prozent. Haut: Sogenanntes Schmetterlingserythem - darunter versteht man eine Hautrötung über dem Nasenrücken als Mittelteil des Schmetterlings mit Rötung auf den Wangen als dessen Flügel, außerdem Hautrötungen an den Streckseiten der Arme und am Dekolleté, häufig Lichtempfindlichkeit (u.U. schon lange vor der Krankheit auftretend), gehäufte Überempfindlichkeiten gegen Arzneimittel, Nahrungsmittel etc. Sonst können Herz, Lungen, Nieren, die Blutzellbestandteile und das Nervensystem in die Krankheitserscheinungen einbezogen werden. In der Krankheitserkennung spielt der Nachweis charakteristischer Antikörper im Serum eine große Rolle. Die Diagnose wird aufgrund der vom Patienten geschilderten Beschwerden, der körperlichen Untersuchung und der festgestellten Antikörper (auch andere „Immunbefunde“) gestellt. Es werden drei Schweregrade des Krankheitsverlaufs unterschieden: Milder Verlauf: Hauterscheinungen und Arthritis, keine Beteiligung innerer Organe. Bei diesem Verlauf ist nur die Behandlung mit einem entzündungshemmenden Medikament (nichtsteroidale Antirheumatica) und mit Antimalariamitteln angezeigt. Mittelschwerer Verlauf: Es kommt ein milde ausgeprägter Befall innerer Organe hinzu. Dabei ist oft eine langfristige Cortisonbehandlung erforderlich. Bei Organbeteiligung gleich zu Beginn der Krankheit werden auch sog. Immunsuppressiva gegeben, die in die Funktion des Abwehrsystems eingreifen sollen. Bei schwerwiegendem Krankheitsverlauf mit schwerer und vielfältiger Organbeteiligung ist der Einsatz von Cortison und sogenannten Immunsuppressiva und Zytostatica notwendig, die in das Zellsystem und die Gesamtfunktion des Abwehrsystems eingreifen. Die Vorhersage hat sich durch Früherkennung mit früh beginnender Behandlung deutlich verbessert. Es ist in 30 bis 50 Prozent der Fälle mit einer erheblichen Milderung bis zum Verschwinden der Erscheinungen zu rechnen (sogenannte Remission). Neben Medikation ist die Rundumversorgung notwendig, die auch alle Möglichkeiten zur Krankheitsbewältigung im umfassenden Sinne umfaßt. Es ist in aller Regel zu empfehlen, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. II. Die progressive systemische Sklerodermie Es ist mit 13 männlichen und 48 weiblichen Sklerodermiekranken auf eine Millionen Einwohner und einem jährlichen Zuwachs von sieben Neuerkrankungen zu rechnen. 209 Die Krankheit ist durch sichtbare Hautveränderungen gekennzeichnet. Die Haut verhärtet sich, sie liegt straff auf der Unterlage und ist zunehmend wenig verschiebar. In der Frühphase kann sie auch zunächst ödematös geschwollen sein. In der Spätphase wirkt sie wie „zu kurz“. Dadurch können auch Gelenkfehlstellungen entstehen, weil durch die schrumpfende Haut eine vollständige Gelenkbeweglichkeit nicht möglich ist. Es kann zu Gelenkzerstörungen kommen. Auch Kalkeinlagerungen im Gewebe, besonders an den Fingern kommen vor. Die häufigste Organbeteiligung betrifft die Verdauungsorgane, wobei hier die verminderte Beweglichkeit, ja sogar die Starre der Speiseröhre mit entsprechenden Funktionsstörungen im Vordergrund steht. Auch die Darmschleimhaut kann verändert sein. Dadurch kann es zu gestörter Nahrungsaufnahme kommen. Entsprechende Allgemeinerscheinungen können auftreten. Dazu kommen Veränderungen an Lungen, Herz und Gefäßen sowie eine Entzündung der Muskulatur als mögliche Organbeteiligung. Es gibt einen charakteristischen Nachweis von "Antikörpern", allerdings kommen auch Krankheitsverläufe vor, bei denen solche Zeichen nicht festzustellen sind. Der früheste klinische Hinweis ist die unmittelbar an die Finger- und/oder Zehengrundgelenke anschließende Verhärtung der Haut. Frühzeitig, oft lange vor der Krankheit sich entwickelnd, tritt ein sog. Raynaud-Phänomen auf. Es ist in 90% der Krankheiten zu Beginn zu beobachten. Es handelt sich dabei um eine Durchblutungsstörung der Hände oder Finger, die unter dem Einfluß von Kälte zustandekommt. Es sind verschiedene Verlaufsformen zu unterscheiden. Beim Typ-I besteht eine Verhärtung der Haut, die an den Fingern beginnt und bis zum Handgelenk fortschreitet. Beim Typ-II geht die Ausbreitung der Hauterscheinungen von den Handgelenken auf die Arme und gegebenenfalls auch auf Brust und Rücken über. Bei Typ-III besteht eine Verhärtung der Haut von Brust und Rücken, wobei dann auch alle Gliedmaßen mitbefallen werden können. Als besonders bedeutsam ist die Nierenbeteiligung anzusehen, auf die auch im Verlauf der Krankheit durch Untersuchungen stets zu achten ist. Zu der Behandlung der Hauterscheinungen muß gesagt werden, daß es keine medikamentöse Verfahren gibt, die diese Veränderungen rückgängig machen können. Kortison ist aber in der Lage, insbesondere die Lungenbeteiligung und auch die Gefäßbeteiligungen erfolgreich anzugehen. Die physikalische Therapie hat die Aufgabe, bei dem Befall der Gliedmaßen eine ungünstige Fehlstellung der Gelenke zu verhindern oder ihr vorzubeugen. Bei der Behandlung der Nierenbeteiligung ist es in letzter Zeit zu einem wesentlichen therapeutischen Fortschritt gekommen. Durch die sog. ACE-Hemmer kann das Fortschreiten der Nierenveränderungen günstig beeinflußt werden. Gegenüber früher hat sich die Vorhersage der Erkrankung auch wesentlich verbessert. Bei Typ-I und Typ-II ist mit einer grundsätzlich günstigeren Verlaufsform zu rechnen. In der Behandlung der Organbeteiligung sind in letzter Zeit auch wesentliche Fortschritte gemacht worden. Es ist noch einmal zusammenfassend festzustellen: Alle Patienten mit einer solchen Erkrankung aus dem Bereich der Kollagenosen bedürfen einer 210 umfassenden Therapie, die neben Medikamenten auch die psychosozialen Hilfen und die allerdings bescheidene Rolle der physikalischen Therapie einschließt. Eine umfassende Krankheitsaufklärung mit entsprechender psychologischer Hilfe zur Krankheitsbewältigung ist unabdingbar erforderlich. Martin Franke Das Thema Kollagenosen wird aufgrund der starken Resonanz bei den AutoImmun News-Lesern fortgesetzt. Der dritte Teil wird sich mit den restlichen Krankheitsbildern der Kollagenosen befassen. Kollagenosen Nähere Informationen zu dem Thema „Kollagenosen“ erhalten Sie bei: Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V. Rheinallee 69 53173 Bonn Telefon: 0228/35 54 25 Seiten 10 und 11: News und Hintergrund Erkältung Ausbreitung von Schnupfenviren gestoppt? Rein statistisch wird jeder Bundesbürger durchschnittlich vier Mal im Jahr von einem Schnupfen geplagt. Doch nun soll ein neues Medikament auf den Markt kommen. Unklar ist noch, ob sich die hoffnungsvollen Ergebnisse aus den vorangegangenen Tierexperimenten beim Menschen wiederholen lassen. Durch Blockierung des Enzyms „Neuramidase“ wird die Ausbreitung der Schnupfenvieren sowohl im eigenen Körper als auch die Abgabe an Dritte verhindert. Transplantation Spenderorgane mit Frostschutzsubstanz haltbarer Eine Organtransplantation ist bisher immer ein Wettrennen mit der Zeit gewesen. Das soll nun anders werden, berichtet das Fachblatt „New Scientist“. Mit einer neu entwickelten Flüssigkeit, die wie das Frostschutzmittel beim Auto wirkt, sollen frisch entnommene Organe außerhalb des Körpers unbegrenzt haltbar sein. Bisher habe sich das entnommene Organ nur wenige Tage gehalten. Ein Einfrieren war wenig sinnvoll, weil das Organ durch Frost zu stark geschädigt wurde. Forscher aus Maryland/USA haben dieses neue Verfahren entwickelt, das bisher allerdings nur bei Tieren angewandt wurde. Das Mittel bewirkt ein kurzes und tiefes Absenken der Temperatur. Die Zellen des entnommenen Organs werden in einen Kälteschock versetzt wodurch das Gewebe konserviert wurde. Todesursachen Herz- u. Kreislauferkrankungen an der Spitze 211 Im Jahr 1992 starben insgesamt in Deutschland 885.442 Menschen. Damit sind im Vergleich zum Vorjahr drei Prozent weniger Menschen insgesamt gestorben. Die führenden Todesursachen sind - wie auch 1991 - Erkrankung an Herz und Kreislauf (437.000 Fälle), berichtet das Statistische Bundesamt. Im Gegensatz zum Jahr 1991 verzeichnete man allerdings einen Rückgang von 19.000 Todesfällen. Krebserkrankungen rangieren auf Platz zwei in der Sterbestatistik 198.000 Menschen starben an einer Krebserkrankung. Die Erkrankung der Atmungsorgane folgt auf Platz drei mit 51.000 Fällen. Erst auf Platz vier finden sich Todesfälle, die nicht durch eine Krankheit verursacht wurden. 44.000 Menschen starben an Verletzungen, Vergiftungen oder Unfällen. Osteoporose Ein neues Gen gegen die typische Frauenkrankheit Nach Angaben der Bundesärztekammer leiden vor allem Frauen an dieser Krankheit. Insgesamt sind es 10 Prozent aller Bundesbürger, die von dem Knochenschwund betroffen sind. Die Krankheit macht sich häufig durch einen Spontan- oder Klopfschmerz des betroffenen Knochens bemerkbar. Die Diagnose erfolgt durch Sichtung von Röntgenaufnahmen, die eine Aufhellung der erkrankten Knochen zeigen. Neben Kalzium- und Östrogenmangel wurde vor allem auf die Risikofaktoren mangelnder körperlicher Bewegung sowie des Genusses von Alkohol und Tabak hingewiesen. Australischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, ein Gen zu entdecken, das den Bauplan für den Vitamin D-Rezeptor enthalten. Nach Ansicht der Forscher kommt diesem Gen eine genauso große Bedeutung zu, wie dem bisher bekannten Gefahrenfaktor, dem Östrogenmangel. Die bisher übliche Therapie wendet Flourid an. Rheuma / Arthrose Neue Gen-Therapie aus den USA Eine neue Therapie zur Bekämpfung von Rheuma und Arthrose soll nach dem Willen von amerikanischen und deutschen Wissenschaftlern in drei Jahren klinikreif sein. Dabei entnehmen die Forscher aus den rheumatischen Gelenken Innenhautzellen. Sodann werden diese Gene verändert und in das entsprechende Gelenk zurückverpflanzt. Die Forscher an der Universität Pittsburgh haben festgestellt, daß das kranke Gelenk selbst ein Eiweiß produziert. Auf diese Weise wird das Wuchern der Zellen gestoppt, beziehungsweise Rheuma entsteht erst gar nicht. Gesundheitspässe Röntgenpaß dient der Strahlenverminderung Neben dem in Deutschland existierenden Notfallausweis, den Impf- und Mutterpässen sowie dem Untersuchungsheft für Kinder (U 1 - U 9) kann auch ein Röntgenpaß angefordert werden. Er wird den Versicherten auf Anfrage von ihren Krankenkassen ausgehändigt. Teilweise ist er auch bei den Gesundheitsämtern oder Arztpraxen erhältlich. 212 Der Röntgenpaß sollte vor einer Untersuchung dem Arzt vorgelegt werden. Er gibt Aufschluß darüber, welche Durchleuchtungen in einem bestimmten Zeitraum vorgenommen wurden und dient somit der Verminderung der Röntgenbelastung. Amalgame BGA weist Vorwürfe der Bundeszahnärztekammer zurück Das Bundesgesundheitsamt (BGA) besteht weiter auf einer kritischen Bewertung der Anwendung von Amalgamen. Der Patientenschutz und die damit verbundene Aufklärung sei vorderste Aufgabe, so die Behörde. Ein Verbot von Amalgamen sei jedoch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Die Berliner Gesundheitswächter betonen, daß sie aber weiter die wissenschaftlichen Positionen gegen eine Anwendung von Amalgamen beobachten werden. Dabei werden Untersuchungen in Dänemark und Schweden hervorgehoben. Dort wurde die Quecksilberbelastung von Kleinkindern, deren Mütter zahlreiche Amalgamfüllungen in ihren Zähnen hatten, untersucht. Das BGA empfiehlt Patienten, bei denen keine Unverträglichkeit vorliege, ihre Amlagamfüllungen nicht ersetzen zu lassen. Gerade bei der Herausnahme der Amalgame wird der Körper durch das dabei freiwerdende Quecksilber belastet. Hepatitis C Übertragung von Müttern auf Babys nachgewiesen Japanischen Forschern ist es gelungen, einen Übertragungsweg der Hepatitis C herauszufinden. Die Untersuchung an 8000 Frauen ergab, daß die Übertragungsgefahr von dem Virusgehalt im Blut der Mutter abhängig ist. Bevor es zu einer Entzündung der Leber kommt, kann das Virus Jahrzehnte unerkannt im Körper schlummern. Knochenbruch Schnellere Heilung nach komplizierter Fraktur Die Heilung bei komplizierten Knochenbrüchen wird durch abgesplitterte, also fehlende Knochenabschnitte erschwert. Künftig soll eine neue gentechnisch hergestellte Kittsubstanz bei der Heilung helfen. Das neue Material setzt sich aus natürlichem Bindegewebe sowie einem gentechnisch hergestellten Eiweiß zusammen. Noch während der Operation wird die Substanz mit einer Salzlösung verbunden und anschließend in die defekten Stellen eingebracht. Bei dem gentechnisch hergestelltem Eiweiß handelt es sich um einen Faktor, der das Knochenwachstum anregt. Aus dem Knochenmark werden also bestimmte Blutzellen dazu angeregt, sich in knochenbildende Zellen umzuwandeln. Obwohl sich aus diesen Zellen auch Muskel- oder Hautzellen bilden könnten, bildeten sich im Umfeld von Knochen immer nur Knochenzellen. Herzinfarkt Ärger steigert das Risiko 213 Amerikanische Kardiologen haben entdeckt, daß das Herzinfarktrisiko durch Ärger gesteigert wird. Grundlage war eine Studie mit über 1.600 Teilnehmern. Die Gefahr eines Infarktes hält allerdings nur zwei Stunden nach dem Ärger an und kann durch Arzneimittel (z. B. Aspirin) gesenkt werden. Weitere Gefahren für Herzkranke wurden bereits in früheren Studien wissenschaftlich nachgewiesen. Dazu zählen schwere körperliche Belastung und sexuelle Aktivität. Schnarchen Sauerstoffmaske bringt Hilfe bei Atemnot Jeder zehnte Schnarcher leidet unter Atemstörungen, die auch Sauerstoffmangel im Blut verursachen können. So kann in der Nacht ein zeitweiliger Atemstillstand eintreten. Am Ende des Einatmens wird die normale Versorgung mit Sauerstoff häufig unterbrochen. Besonders betroffen von diesem Atemstillstand (Apnoe) sind Schnarcher ab dem vierzigsten Lebensjahr. Neben den vergleichsweise harmlosen Konsequenzen,- wie lästiger Konzentrationsunfähigkeit und allgemeiner Tagesmüdigkeit - kann diese Atemstörung ernsthafte gesundheitliche Probleme wie Herz-Rhythmusstörungen oder sogar einen gefährlichen Herzinfarkt verursachen. Damit ist das Schnarchen nicht nur eine Belästigung für den Bettgefährten sondern eine lebensgefährliche Bedrohung für ihn selbst. In einem Test werden in Frankreich zur Zeit 7000 solcher Risikoschnarcher mit einer neuen Sauerstoffmaske beatmet. Diese Maske führt ihnen automatisch dann Sauerstoff in die Nase, wenn die Atmung aussetzt. AIDS Übertragungsrate von Müttern auf Babies verringert Als Sensation werden die Ergebnisse einer amerikanischen Studie gewertet, wonach sich die Übertragung von Aids-Erregern auf das Kind während der Schwangerschaft nach der Verabreichung von AZT deutlich verringert hat. Die Studie hatte gezeigt, daß sich die bisherige Infektionsrate für die Neugeborenen um mehr als zwei Drittel verringert hatte. Nach bisherigen Erkenntnissen übertragen ewa 25 Prozent aller HIV-positiven Frauen das Virus auf ihr Baby. Nach der Verabreichung von AZT sank diese Rate auf 8 Prozent. Seite 12: Kleines Medizin-Lexikon Herzinsuffizienz: Unzureichende Funktionsleistung des Herzens. Meist ist der Herzmuskel betroffen. Generikum: Medikament, das im Gegensatz zum eingetragenen Warenzeichen als Handelsnamen die chemische Kurzbezeichnung trägt. Kompositum: Ein aus mehreren Bestandteilen zusammengesetztes Arzneimittel. Abdominalreflex: Bauchdeckenreflex, der durch mechanischen Reiz verursacht wird. Folge: Zusammenziehung der Bauchmuskulatur, die bei Lähmungen abgeschwächt ist. 214 Tetanie: Neuromuskuläre Übererregbarkeit, hervorgerufen durch Störungen des Kalziumgleichgewichts. Narkolepsie: Unvermittelt und anfallartig auftretender unwiderstehlicher Schlafdrang. Meist relativ kurz andauernd. Toxikologie: Die Lehre von den Giften und den Vergiftungen des Organismus. Bei neuen Arzneien werden vor der Abgabe an den Menschen toxikologische Untersuchungen durchgeführt. Visus: Die Möglichkeit des Sehens, beinhaltet auch Messung der Sehschärfe. Pillen, Salben und Tinkturen: Apotheken sind heute nicht mehr wegzudenken: In Cottbus gibt es ein Apotheken-Museum Romberg-Zeichen: Starkes Schwanken und Fallneigung des Patienten beim Stehen mit geschlossenen Augen. Fersen und Fußspitzen sind dicht nebeneinander zu halten. Zeichen für Kleinhirn- oder Rückenmarkserkrankungen. Heute gehen wir in die Apotheke und legen ein ärztliches Rezept auf den Tisch oder verlangen ein Medikament. Der Apotheker zieht dann irgendein Rollregal auf und präsentiert uns das gewünschte oder verschriebene Präparat. Im letzten Jahrhundert war das gar nicht so einfach. Die gewünschten Medikamente mußten sehr häufig erst hergestellt werden. Pillen wurden auf dem Pillenbrett noch mit der Hand gedreht. Wer ein wenig Apotheken-Nostalgie erleben möchte, sollte bei der nächsten passenden Gelegenheit in Cottbus vorbeischauen. Direkt am „Alten Mark“ liegt die Löwen-Apotheke. Sie wurde 1573 eröffnet und 1989 wurde dort das Niederlausitzer Apothekenmuseum eröffnet. Noch bis in die 70er Jahre wurden dort die Pillen per Hand gedreht. Heute können Besucher in Cottbus in dem Apotheken-Museum historische Schubkästen, Spatel, Pressen und Löffel bewundern. Alleine sehenswert ist eine Mörsersammlung. Das schwerste Gewicht einer Waage wiegt 70 Kilogramm. Ein Laboratorium gibt es auch. Dort läßt sich nur ahnen, wie schwer die Herstellung von Salben und Pillen früher war. Der Anblick einer rund einhundert Jahre alten Registrierkasse rundet den Ausflug in die Vergangenheit der Pharmazie ab. Wer das Apotheken-Museum in Cottbus besuchen möchte, sollte auf eine Führung nicht verzichten. Unter der Telefonnummer 0355/23997 kann man sich anmelden. Bis auf Montags finden täglich Führungen statt. Die Adresse lautet: Alter Markt 24, Der Eintritt kostet 3 Mark. Seite 13: Betrachtung zur Medikamentenprüfung in Deutschland Eine vorgeschaltete Wirksamkeitsprüfung von Medikamenten bei nicht therapierbaren Krankheiten gibt es nicht - der Gesetzgeber ist gefragt. Das Problem Bei der Fülle der alleine in Deutschland patentierten und noch nicht patentierten Substanzen und Medikamenten ist es nahezu unmöglich, mit den derzeit vorhandenen rechtlichen und wissenschaftlichen Möglichkeiten eine für das Gesundheitswesen und den Patienten dienliche Auswahl für eine 215 schnelle klinische Prüfung zu treffen. Alleine das bedeutende Unternehmen Hoechst AG hat rund 36 Substanzen in eine klinische Prüfung gebracht oder wird demnächst damit beginnen. Patentiert ist aber eine viel größere Anzahl. Ob aus der getroffenen kleinen Auswahl wirklich ein nützliches Medikament erwachsen wird, läßt sich erst nach mehreren Jahren klinischer Prüfung beurteilen. Diese unbefriedigende Lage trifft besonders Patienten, die unter unheilbaren Krankheiten zu leiden haben. Damit entstehen dem Staat und der Solidargemeinschaft riesige Kosten für Betreuung und kaum wirksame Therapien, der wissenschaftliche Standort Deutschland verliert gegen ausländische Konkurrenz immer mehr an Boden und schließlich entwickelt sich daraus auch ein ethisches Problem. Das Brachliegen von möglicherweise hilfebringenden Medikamenten ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist die Frage nach der Übernahme von klinischen Prüfungsergebnissen aus dem Ausland. Ein aktuelles Beispiel liefert das in den USA getestete BetaInterferon bei MS. Neue Wege Die unbefriedigende Situation könnte durch eine schnelle Wirksamkeitsprüfung - gleichzeitig bei mehreren Indikationen - beseitigt werden. Die Anzahl der Probanden muß gerade groß genug sein, um aussagekräftig darüber zu entscheiden, ob weitere Prüfungen zweckmäßig sind. Der Rahmen dafür muß gesetzlich abgesichert sein. Ob eine Substanz für ein solches schnelles Verfahren in Frage kommt, ist auf Antrag von einem kleinen - handlungsfähigen - Gremium, bestehend aus Wissenschaftlern, Vertretern des Bundesgesundheitsamtes (BGA) und des betreffenden Pharmaunternehmens in kürzester Zeit zu entscheiden. Das letzte Wort darüber könnte der Bundesminister für Gesundheit in Abstimmung mit dem Antragsteller haben. Den Antrag kann jeder der Beteiligten stellen. Die derzeitige Gesetzeslage Durch das Arzneimittelgesetz (AMG) ist die Zulassung und das Inverkehrbringen von Medikamenten geregelt. Dem hier dargelegten Problem kann damit aber nicht Rechnung getragen werden. Sehr nahe kommt § 28 III AMG, der eine schnelle Zulassung von Medikamenten ermöglicht. Aber diese Vorschrift greift in die angelaufene klinische Prüfung ein - zu spät. Wertvolle Zeit ist verstrichen, außerdem gilt der positive Bescheid des BGA im Zweifelsfall nur für eine geprüfte Krankheit. Eine vorgeschaltete Arzneimittelprüfung könnte durch die Therapiefreiheit des Arztes ermöglicht werden. Diese ist jedoch für solche Verfahren nicht geschaffen und erweist sich als unpraktisch, da die wissenschaftliche Verwertbarkeit durch Einzelfallergebnisse nicht gewährleistet ist. Somit liegt ein klärungsbedürftiges Problem vor, das durch die derzeitige Gesetzeslage nicht geregelt wird. Pilotstudien einzelner Pharmaunternehmen haben sich bisher als untauglich erwiesen, dieses reglungsbedürftige Vakuum auszufüllen. Neues Gesetz? Das erörterte Problem läßt sich nur durch ein Gesetz lösen, da durch einen möglichen Eingriff in die Unversehrtheit des menschlichen Körpers wesentliche Rechte berührt werden. Der Gesetzgeber muß die zu erwartenden Anträge auf eine vorgeschaltete, schnelle Arzneimittelprüfung bei 216 unheilbaren Krankheiten durch Gesetz regeln. Zwei Möglichkeiten bieten sich an: Eine Anbindung an das AMG und das BGA. Damit würde das BGA befugt sein, neben der bisherigen Bearbeitung von Zulassungsanträgen weitere Zuständigkeiten zu übernehmen. Dagegen spricht der geplante Regelungscharakter, der auch in patentrechtlich geschützte Bereiche des Pharmaherstellers vorab eingreifen würde. Das BGA scheint damit überfordert zu sein und vom Regelungssinn her nicht zuständig. Ferner sprechen haftungsrechtliche Fragen gegen eine BGA-Anbindung. Läge die Entscheidungsbefugnis über eine vorgeschaltete klinische Prüfung beim BGA, würden die Pharmahersteller mit Sicherheit eine Begrenzung ihrer Produzentenhaftung beim Schadensfall verlangen. Geeigneter erscheint ein Gesetz zur Regelung vorgeschalteter Arzneimittelprüfung im Zuständigkeitsbereich eines Bundesministers (Gesundheit oder Forschung). Dieser könnte zur Duchführung ein Organ installieren, das mit hoheitlicher Kompetenz beliehen, in Abstimmung mit Experten, BGA und betreffenden Pharmaunternehmen über beantragte Prüfungen entscheidet. Es bleibt zu hoffen, daß sich die politischen Parteien trotz Wahlkampfjahr - Gedanken über diese Fragen, deren Lösung am Ende allen Beteiligten dienen wird, machen werden. M.T. Seiten 14 und 15: „Reise in die Vergangenheit“ Seit über einem Jahr werden MS-Patienten in München bei Professor Franke behandelt. Über ihre Erfahrungen mit der Therapie und dem Medikament DSG erhält „AutoImmun News“ immer wieder Berichte. Der Bedarf an Informationen über diese MS-Therapie ist riesig. In einem Buch, daß möglichst bald erscheinen soll, werden Möglichkeiten und Grenzen dieses Medikamentes dargestellt. Dieser riesige „Medikamenten-Beipackzettel“ gibt die Erfahrungen von MSKranken nach einem Jahr DSG-Therapie wieder. Folgender Aufsatz wurde uns von einer Schweizer Patientin zugeschickt, die kein Interesse an der Nennung ihres Namens hat. Der Redaktion liegen Name und Anschrift vor. „Herr Doktor, ist es möglich, daß ich MS habe?“ „Sind Sie wahnsinnig, sowas bespricht man nicht am Telefon. Wenn Sie wollen, können Sie morgen in meine Praxis kommen.“ Tausend Gedanken quälten mich: Kürzlich hat man MRI-Bilder (Kernspin) von mir erstellt. Aber ich war doch kerngesund, oder? Erst am Tag zuvor hatte ich mir für meinen eigenen Haushalt ein Gesundheits-Nachschlagewerk geleistet. Natürlich hatte ich mich die ganze Nacht bis über beide Ohren darin versteckt. Auch natürlich, daß es mich nach diesen Studien zum erwähnten Telefongespräch mit meinem Neurologen drängte. Diagnose „Sie sind erwachsen, - ich bin erwachsen.“ Mit diesen Worten begrüßte er mich dann in seiner Praxis. Nein, ich erschrak. Wie ein junger Hund wollte ich mich davonstehlen. Er aber wies mir einen Platz an und setzte sich selbst hinter seinen Schreibtisch. Ich wollte vergessen haben, daß stundenlanges Nachschlagen im Gesundheitsbuch und stichhaltige Gründe mich zu einer 217 solchen Fragestellung veranlaßt hatten. So begann ich doch beinahe selbst zu glauben, die gestrige Frage nach MS eher leichtfertig gestellt zu haben. Ungläubig nahm ich dann seine Antwort entgegen. Er mußte mir die Frage mit „ja“ beantworten. Auf diese Weise erfuhr ich vom Namen des Paketes, worin ich meine vielfältigen Beschwerden jetzt deponieren mußte. Es verging eine gewisse Zeit, bevor ich den Schock der Diagnose auf die Seite schieben konnte. Arbeitsplatz Im Betrieb, wo ich arbeitete, merkte man mir nichts an. Besondere Umstände zwangen mich dann aber, mein neues persönlich gehütetes Geheimnis dem Direktor preiszugeben. Entgegen meinem Wunsch und Wissen erfuhren dann nahezu alle Vorgesetzten im Betrieb von meiner Krankheit. Deren hilflos übertriebene Reaktionen hätten zu breitgefächerten Soziologiestudien Anlaß geben können. Leute, die bis dahin kaum mit mir kommunizierten, hauchten mir ein fast gesungenes „Wie geht‘s ins Ohr“. Klatschnass im Gesicht hingegen haftete der Vorwurf: „Wir sind hier keine soziale Institution!“ von einem jungen Vorgesetzten aus einer ganz anderen Abteilung. Ich fühlte mich sehr allein und bisweilen auch wie im sogenannten Irrenhaus. Trotzdem, als mein Arbeitsalltag einer Gratwanderung im zwischenmenschlichen Bereich zu gleichen begann, änderte ich vorerst nichts daran. Wenn ich dann wieder genügend Energie aufbringen konnte, während meiner Freizeit, informierte ich mich weiter über meine Krankheit und setzte mich so damit auseinander. Alle Stellen, die ich kontaktiert hatte, verhalfen mir immer mehr zu der Erkenntnis, wie groß der Irrgarten unter dem Dach der MS ist und wie unermüdlich sich die Kinderschuhe der Forschung darin vorwärts kämpfen. Therapiesuche Ich hörte auch von dem MS-Betroffenen Professor Franke in München und von seinem erfolgreichen Selbstversuch mit DSG. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont für Tausende von Betroffenen? Auch bei mir stellten sich euphorische Gefühle ein. Ein halbes Jahr nach der Diagnosestellung rief ich erstmals Franke in München an, um einen Termin und so vielleicht eine DSGTherapie zu erhalten. Man schien dort jedoch überlastet nach all den Berichten in Presse, Funk und Fernsehen. Einige Zeit später – ich glaubte mich tritt ein Pferd! – meldete sich an meinem Telefon der Professor aus München! „Flight No. 2062 to Munich is now ready for boarding“, tönte es aus dem Lautsprecher. Bei diesen Worten tanzte mein Herz vor Freude. „Halt“ - noch will ich mein Glück nicht fassen. Es könnte ja zerspringen. Zwei Tage nach dem Telefonanruf von Franke saß ich im Flugzeug nach München. Hei, da waren sie ja schon wieder diese verflixten Gedanken. Wie Spinnweben legten sie sich nun im engen Sitz des Flugzeuges wieder um mich. „Was werde ich einem Professor eigentlich für ein Gegenüber sein? Werde ich ihm überhaupt eines sein?“ Dann: Was hätte Frau wohl zu einem solchen Treffen anziehen sollen? Ach wie kann man sich nur in solch nichtige Gedanken verlieren? - ertappe ich mich schließlich. Hochnebel bedeckte auch München an diesem Vormittag. Als ich vor Frankes Haus stand, spürte ich plötzlich wieder diese Beklommenheit. Das Buch, das er geschrieben hatte, kam mir in den Sinn. 218 Immer wieder konnte ich mich selbst darin finden. Dies beruhigte mich und ich drückte die Klingel. Ein junger Mann, sein Sohn, öffnete mir und zeigte mir den Weg in die Küche. Dort traf ich den Professor. Man plauderte über dies und jenes und natürlich auch über die Krankheit. Wie ein lästiger Wurm schleicht sie sich immer weiter in mich. Pausenlos kann ich sie spüren, aber noch nicht jeder kann sie sehen. Die Angst davor, langsam auch denk- und sprechunfähig zu werden, ist begründet. Ich befinde mich schon seit einiger Zeit auf einer seelischen Achterbahn. Wie gelähmt höre ich Franke zu, als er mir von seinen eigenen, dagewesenen Beschwerden erzählt. Was stand mir noch alles bevor? Viele Gedanken wirbelten mir durch den Kopf. Als er mir eine Behandlung mit DSG versprach, war ich vollkommen überwältigt. Große Zuversicht und Dankbarkeit ihm gegenüber stiegen in mir auf. Später beim gemeinsamen Mittagessen war es dann besonders gemütlich. Der freudige Gedanke an die bevorstehende Behandlung mit DSG ließ mich nicht mehr los. Auf dem Rückweg im Flugzeug gab ich mich ganz diesem triumphalen, fast schon schmerzhaften Hochgefühl hin: „Endlich Licht“, dachte ich. Ich schreite über einen langen roten Teppich. Der düstere Gang scheint nicht enden zu wollen. Nach und nach kann ich im Dunklen erkennen, wie stumme Gestalten dichtgedrängt links und rechts vom roten Teppich stehen. Meine Beine werden schwer, ich gehe weiter. Plötzlich stehe ich vor einem goldenen Tor. Man kann sogar die Stille hören. Mein Atem stört jetzt. Wie von Geisterhand öffnet sich das Tor. Zwei elegante Silhouetten säumen den Eingang zu einem weißen Marmorsaal. Gespenstisch weichen sie zurück, als ich eintrete. Posaunen und Trompeten schmettern die Overtüre zu Verdis Aida. Der Himmel hängt voller Geigen. Engel sind bestellt. Mein weißer Thron inmitten des Saales ist umgeben von emsigen Halbgöttern in weiß. Ich erkenne sie alle wieder. Man ist jetzt aufeinander angewiesen. Ohne fremde Hilfe besteige ich den Thron und lasse mich hineingleiten. Infusionen „Autsch!“ Der Pieks mit der Nadel führte mich in die Realität zurück. Natürlich war das Ganze nur ein Traum gewesen. Nichts von alledem war da. Auch Arztkittel waren nur in meiner Phantasie zu finden. Draußen regnete es ein wenig. Ich saß auf einem Sofa in einem nüchternen Raum, wo gearbeitet wurde und bekam meine erste DSG-Infusion. Farblos tropfte sie in mich hinein. Nach einiger Zeit kam Franke, schaute nach mir und gab mir einige persönliche Ratschläge. Er informierte mich auch darüber, daß ich sehr wahrscheinlich eine sogenannte „ Reise in die Vergangenheit“ erleben werde: alle dagewesenen Symptome könnten nochmals auftreten. Weder deren Heftigkeit noch Dauer sollten mir aber die Zuversicht rauben. Stundenlang, Tag für Tag tropfte nun diese Substanz in meinen Körper. Ich war umgeben von unkomplizierten, lieben Menschen. Abends dann, als ich allein war, erinnerte ich mich an die Worte, die einmal eine Jugendfreundin vor vielen Jahren zu mir sprach: „Meine Liebe, immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her...“ Ja, so einfach war das. Ich fühlte mich gut, als ich zum zweiten Infusionszyklus kam. Das war nicht immer so. In der Zeit zuvor wurde ich tatsächlich zum Passagier auf meiner 219 eigenen Reise in die Vergangenheit. In München lief alles wieder wie schon beim letzten Mal. Sogar die ebenfalls betroffene Frau, die sich letztes Mal zur gleichen Zeit wie ich infundieren ließ, war wieder da. Unser Wiedersehen war herzlich und wir teilten die gemeinsame Freude. Nach den Stunden der DSGInfusion zerstreuten wir uns ein wenig in der Stadt. In Schwabing fand derzeit ein attraktiver Christkindmarkt statt. Künstlerische Handarbeiten aus der ganzen Welt suchten sich an Formen und Farben zu überbieten. Abwarten Zum Abendbrot kostete ich einen echten Reiberdatschi mit Glühwein an einem Marktstand. Aber dann wurde es doch ein bißchen viel für mich und ich mußte zurück ins Hotel. Ob das wohl schon die erste Wirkung von DSG sein mochte? - dachte ich glücklich. Jeden Tag in München, jede Stunde im Haus des Professors, ja, jeden Tropfen der DSG-Infusion wollte ich ganz in mich aufnehmen und genießen. Ein Wehrmutstropfen war dann der Gedanke an die bevorstehende Abreise. Die Behandlung in München war jetzt abgeschlossen. Zu Hause hatte ich endlich etwas Zeit, einige Gedanken und offene Fragen zu ordnen. Was weiß man bis jetzt über diese Substanz? Bin ich darauf vorbereitet, falls die Wirkung nicht den gewünschten Erfolg bringen sollte? Darf ich überhaupt etwas erwarten? Dann glaube ich zu hören, wie die eigene Zufriedenheit zu mir sagt: Du hast getan was Du konntest. Du hast die Hilfe anderer Menschen angenommen. Wie auch immer Deine Zukunft aussehen wird, war dies ein wichtiger Schritt. Die Zeit in München war für mich von großer Bedeutung. Ich möchte Herrn Professor Franke und seinem Team für alles ganz herzlich danken. Seiten 16 und 17: Urteile und Tips für Patient und Arzt Keine Wirksamkeit von Klauseln, die die Wissenschaft bestimmen oder einengen In § 5 der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenkassen heißt es, daß keine Versicherungspflicht „für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden“ besteht. Mit einer solchen Regelung sollen neben Gründen, die im Bereich der Kostenersparnis liegen, vor allem die Patienten vor zweifelhaften Außenseitermethoden geschützt werden. Damit ist der Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen darauf beschränkt, daß nur die Kosten für wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden sowie Arzneimittel erstattet werden. Mit dieser Regelung ist auch die Erstattung solcher Kosten ausgenommen, die durch Behandlungen unheilbarer Krankheiten entstehen. Bei diesen Krankheiten hat auch die wissenschaftlich anerkannte Schulmedizin in vielen Fällen noch keine allgemein anerkannten Behandlungsmethoden gefunden. Auch, wenn es nur um die Linderung einer Krankheit geht, wird auf wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden geachtet. 220 Die Qualität von Behandlungsmethoden, die zur Linderung unheilbarer Krankheiten angewandt werden, kann sich eben nicht am Heilerfolg messen lassen. Denn gerade bei Krankheiten, bei denen die wissenschaftliche Klärung der Ursache noch nicht erfolgt ist, haben alle, auch die schulmedizinisch anerkannten Behandlungsversuche, nur experimentellen Charakter. So ist es auch heute schon so, daß von Ärzten auch Behandlungsmethoden der alternativen Medizin aufgrund von erfolgversprechenden Erfahrungen angewandt werden, selbst wenn diese Methoden an medizinischen Hochschulen noch nicht allgemein anerkannt sind. Soweit man eine solche Methode in ihrer Wirksamkeit mit denen von der Schulmedizin gebilligten Methoden vergleichen kann und sie keine höheren Kosten verursacht, ist sie gleichzustellen. Der Klausel des erwähnten § 5 der Musterbedingungen der privaten Krankenversicherung ist deshalb die Wirksamkeit zu versagen. (BGH, VI ZR 135/92) Die Arzneimittelzulassung Das Verfahren der Arzneimittelzulassung beteiligt den Patienten nicht. Dem Gesetz kann somit auch nicht entnommen werden, daß ein Patient durch den Widerruf der Zulassung für ein Arzneimittel in seinen Rechten verletzt ist. Auch das Recht aus Art.2 Satz 2 Grundgesetz „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ wird von dem Zulassungsverfahren nicht berührt. Daß weder das Arzneimittelzulassungsgesetz noch andere Vorschriften den Patienten am Arzneimittelzulassungsverfahren beteiligen, ist gerade unter Berücksichtigung des Artikel 2 Grundgesetzes unbedenklich. (BVerwG, 3 B 113.92) Das BAFÖG-Loch Studenten, die in der Zeit zwischen dem 1.10.1983 und dem 30.6.1990 in Deutschland studiert haben, müssen, soweit sie Leistungen nach dem Ausbildungsförderungsgesetz erhalten haben, diese voll zurückzahlen. In diesen Jahren wurde die Ausbildungsförderung als Volldarlehen gewährt. Für Studenten, die vor bzw. nach diesem Zeitraum studieren, gilt der entsprechend zu treffende Gesetzesrahmen. Daß in früheren Jahren die staatlich geförderte Ausbildungshilfe nur teilweise zurückgezahlt werden mußte, steht zu der anderen gesetzlichen Regelung nicht im Widerspruch. (OVwG Münster 16 A 3744/91) Ersatz von Sozialhilfekosten durch den Erben Stirbt der Empfänger von Leistungen des Sozialamtes (z. B. Pflegegelder), so ist der Erbe des Hilfeempfängers in aller Regel zum Ersatz der Sozialhilfekosten verpflichtet. Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch (§ 92c BSHG) soll sachlich ungerechtfertige Vorteile des Erben vermeiden und greift ein, wenn es sich um Vermögen handelt, das für den Sozialhilfeempfänger aus persönlichen Gründen geschützt war. In einem vom Verwaltungsgerichtshof München zu entscheidenden Fall verstarb die Ehefrau. Das Ehepaar lebte im Güterstand der Gütergemeinschaft. Gemeinsam besaß es landwirtschaftliches Vermögen. Diesen gemeinsamen Nachlaß sah das Verwaltungsgericht aber nicht als einen ungerechtfertigten Vorteil des Witwers an. Das Anteil der verstorbenen 221 Ehefrau ist als Schonvermögen anzusehen, das im vollem Umfang auch für den Ehemann maßgebend sein muß. Der Ehemann erbte einen Anteil am Gesamtgut, der mit seinem eigenen Anteil eine unzertrennbare wirtschaftliche Einheit bildete. Die Gründe, die vor dem Tod der Ehefrau für die Verschonung des Vermögens tragend waren, gelten auch unverändert nach ihrem Tod. (VGH München, 12 B 90.3525) Für Sie gelesen… Werner Schmidt – Leben an Grenzen Autobiographien bringen dem Leser das Innenleben einer Epoche oft näher, als die gelehrtesten historischen Abhandlungen. Schmidts Erinnerungen geben Einblicke in die Verstrickungen der medizinschen Wissenschaft in die rassistische Politik der NS-Zeit. Schmidt, 1913 geboren, begann sein Medizinstudium 1932. Er galt als aussichtsreicher Kandidat für die medizinische Wissenschaft. Doch angesichts seiner „Rasse“ galten solche Qualitäten nach 1933 als zweitrangig. Er galt als „Halbjude“. Diesen Menschen waren einige, durch viele Auflagen eingeschränkte, Rechte noch gelassen worden. Aufgrund einer „KannBestimmung“ wurde Schmidt 1937 zum Examen zugelassen. Er mußte allerdings eine Klausel unterschreiben, wonach er für immer auf die Approbation zu verzichten hatte. Unter größten Schwierigkeiten gelang es ihm, sein Pflichtpraktikum in einem katholischen Hospital anzutreten. Er nutzte auch sein Recht, zu promovieren. Dieser Schritt wurde ein neuer Spießrutenlauf, bis er zwei Mediziner kennenlernte, die ihm ohne Blick auf "Rassenfragen" die Anfertigung seiner Doktorarbeit ermöglichten. Der Hamburger Pathologe Dr. Josef Heine betreute ihn. Zur Annahme der Arbeit an der Universität Gießen forderte man von ihm erneut den Verzicht auf die Approbation und auf das Führen des Dr.Titels. Aufgrund der Kriegssituation konnte er dennoch in seiem Beruf arbeiten. Am Bad Nauheimer Herzforschungsinstitut, wo man ihm noch 1937 brüsk die Tür gewiesen hatte, sollte er kriegswichtige Tierversuche durchführen. Im Januar 1945 riß ihn die Judenverfolgung aus dieser Tätigkeit: Er mußte sich zur „Organisation Todt“ melden, einer Einrichtung, die vor allem mit Zwangsarbeitern umfangreiche Bauvorhaben durchführte. Als Arzt hatte er dort eine Sonderstellung. Obwohl er die Häftlinge und Kriegsgefangene versorgen sollte, erlangte er bald den Status eines Provinzarztes. Eine Ironie des Schicksals: Da die meisten Ärzte im Krieg waren, betreute er, dem man zuvor noch erklärt hatte, er sei „arischen“ Patienten nicht zuzumuten, mehrere sächsische Landgemeinden. Seine Familie war inzwischen völlig verarmt. Die meisten Bekannten hatten den Kontakt abgebrochen. Seine jüdische Mutter wurde kurz vor Kriegsende in das KZ Theresienstadt deportiert. Schmidt selbst organisierte im Sommer 1945 den Rücktransport der wenigen überlebenden Gießener aus dem Lager. Auch seine Mutter war darunter. Nach 1945 Schmidts Entlarvung seiner Fachkollegen endet nicht im Mai 1945. Er hatte gehofft, die Handlanger des Regimes würden nun ihrer Posten enthoben, doch er wurde enttäuscht. Bald kam ein schwunghafter Handel mit entlastenden Papieren in Gang, die Entnazifizierung entpuppte sich als Farce. 222 Ärzte, die unter Hitler Karriere gemacht hatten, wurden in ihren Ämtern bestätigt. Gegner des Regimes wurden im Krankenhausalltag alsbald Opfer von Intrigen, ihr Fortkommen blockierte von ein dichtes Netz aus alten Loyalitäten. Schmidts neuer Chef an der Gießener Universitätsklinik erwies sich als fachlich gering qualifiziert und gab zuletzt selbst zu, seine Laufbahn nur durch Willfährigkeit gegenüber der Partei aufgebaut zu haben. Mediziner, die im Zuge der „Euthanasie" ihre Berufung für Verbrechen nutzten, hatten Schmidts Weg nicht gekreuzt. Von ihnen handelt das Buch nicht. Schmidt hatte sich durch die Welt der Mitläufer zu kämpfen. Er erlebte die medizinische Wissenschaft, die sich eigentlich dem Dienst am Menschen verpflichtet hatte, als einen Ort von Opportunismus und Abschottung um der Karrieren wegen. Ein besonderes Verdienst des Buches ist die Dokumentation des Schriftwechsels des Autors mit führenden Vertretern seines Fachs. Er offenbart die oftmals eifrige Übererfüllung gesetzlicher Bestimmungen und straft damit die beliebte Ausrede vieler Amtsinhaber Lügen, sie hätten nur unter Zwang und widerwillig staatliche Vorgaben ausgeführt. Am Beispiel seiner Doktorväter zeigt Schmidt aber auch die Spielräume, die Menschen in leitender Stellung zugunsten Verfolgter noch finden konnten. Im Anhang bilanziert er die Lebensläufe der Mediziner, die ihn gefördert oder behindert hatten. An dieser überschaubaren Gruppe zeigt er, daß sich NSDAP- und SS-Mitgliedschaft, Karrieresprünge unter den Nazis und einschlägig antisemitisches Auftreten nicht als Hindernis für die Fortsetzung der Laufbahnen in der Bundesrepublik erwiesen. Die unbegrenzte Hausmacht dieser Professoren an den Hochschulinstituten veranlaßte Schmidt, der universitären Medizin 1960 den Rücken zu kehren. Er schrieb seine Erinnerungen unprätentiös, oft im Stakkato kurzer Notizen über Begebenheiten, Eindrücke, Ängste und Hoffnungen. Allerdings erschwert der recht selbstverständliche Gebrauch von Fachausdrücken dem Laien das Verständnis manchen Details. Schmidt erhielt 1990 den Literaturpreis der Bundesärtzekammer. Sein Werk ist nun auch als Taschenbuch erhältlich. M. V. Werner Schmidt, Leben an Grenzen. Autobiographischer Bericht eines Mediziners aus dunkler Zeit, Frankfurt/M., 1993, Suhrkamp Taschenbuch, 16 DM. Seite 18: Leser-Podium Initiative Als MS-Kranke lese ich mit großem Interesse Ihre Zeitschrift. Auch ich erhielt von den Behringwerken auf meine Anfrage die Auskunft, daß sich bezüglich DSG vor Mai 1994 nichts tut. Sehr lobenswert finde ich die Initiative der Gruppe von MS-Kranken, die von einem Rechtsanwalt prüfen lassen, ob ein juristisches Eilverfahren gegen die Behringwerke auf Herausgabe von DSG Aussicht auf Erfolg hätte. Ich wünsche im Interesse aller MS-Kranken diesem Versuch den besten und schnellsten Erfolg. Auch ich habe nach 14 Jahren Multipler Sklerose nicht mehr die von den Behringwerken geforderte Geduld, und schon gar keine Zeit mehr zu verschenken. 223 Angelika L., Kassel Baldige Entscheidung Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Seehofer, aufgrund des Schreibens eines MS-Kranken aus meinem Wahlkreis wende ich mich an Sie mit der Bitte, möglichst bald eine Entscheidung über den weiteren Einsatz von DSG herbeizuführen. Der Selbstversuch von Dr. Franke habe den Erfolg von DSG bei der Behandlung dieser (bisher) unheilbaren Krankheit gezeigt, und auch nach Aussage von Frau Prof. Dr. Haas, einer stellvertretenden Studienleiterin der DSG-Therapiestudie, sei DSG ausgesprochen gut verträglich und auch sei in keinem der Zentren bisher ein Fall von schwerwiegenden Nebenwirkungen bekannt geworden. Die Frage ist nun, ob das Mittel gefahrlos zu weiteren Versuchen benutzt werden darf. Denn sehr viele MS-Kranke setzen ihre ganze Hoffnung auf die DSG-Behandlung. Für eine kurze Mitteilung über den Stand der Diskussion wäre ich Ihnen sehr dankbar und hoffe, wie viele MS-Kranke, auf eine baldige Entscheidung. Sigrun L., Mitglied des Deutschen Bundestages, Wieg Doppelblind Zu Ihrem Interview mit Dr. Theobald im Heft 2/1993 würde ich gerne Ihre Kritik der Methodik von Arzneimittelprüfungen am Menschen - zum Stichwort „offen oder doppelblind“ - noch etwas genauer formulieren. Eine offene Studie mit einer überlegen wirksamen Substanz würde sicher rasch zu einem eindeutigen Ergebnis führen, und der Riesenaufwand des doppeltblinden Designs erscheint dann von vornherein als Zeitverschwendung und Umständlichkeit. Die Voraussetzung, daß es sich bei DSG um eine derartig überlegene Medikation handelt, ist noch strittig. So wäre für den Nachweis nur mäßig ausgeprägter, aber positiver Effekte, oder der Unwirksamkeit, „doppelblind“ theoretisch von Vorteil. Ist dieses Verfahren aber auch praktikabel? Inzwischen ist bekannt, daß Substanz und Placebo in Behandlungsstudien von Untersuchern wie Patienten in einem Ausmaß erraten werden, daß von „doppelblind“ keine Rede mehr sein kann. Man unterschätze doch die menschliche Neugier nicht! Die Substanzen werden bald nach Beginn der Untersuchungen offenbar an Wirkungen und Nebenwirkungen identifiziert, wobei die notwendige Aufklärung der Teilnehmer und der Erfahrungsaustausch während des Ablaufs eine Rolle spielen. Man darf doch fragen, ob die Verzerrung in der Beurteilung des Effektes von bewußt oder unbewußt verschwiegenem oder verdrängtem Wissen nicht viel gefährlicher für das Ergebnis einer Studie ist als der ehrliche und offene Umgang mit allen Daten, die nun einmal da sind. Man bräuchte im Gegenteil mehr zuverlässige und einfache Verfahren. Industrie und Zulassungsbehörde sind hier nicht auf aktuellem Stand. Das kommt davon, wenn man Menschen ohne Berücksichtigung von Erkenntnissen moderner Psychologie beforschen will. Vielleicht fehlt es auch am guten Willen. Über die bewußtseinsbestimmende Wirkung kurzsichtiger, aber mächtiger, kommerzieller Interessen und den Filz zwischen BGA und 224 Pharmafirmen ließe sich natürlich in der heutigen Nachrichtenlandschaft fein spekulieren. So werden wir noch lange auf vertrauenserweckende Daten über DSG warten. Dr. Rainer H., Winnenden Seite 19: Gesucht und entdeckt Mit der Sonde ins eigene Herz Das Herz galt lange Zeit als eine uneinnehmbare Festung des menschlichen Körpers. Bereits 1929 gelang es Werner Forrsmann mit Hilfe einer Sonde, das Herz zu erobern. Als Scharlatan von der herrschenden Schulmedizin bezeichnet, mußte er 27 Jahre auf Anerkennung warten. 1956 erhielt er den Nobelpreis für seine Entdeckung. Dank des Forrsmannschen Herzkatherismus haben die Ärzte heute die Möglichkeit, die Herzkranzgefäße, von deren Zustand die Durchblutung des Herzens abhängt und deren Blockade die gefürchtete Angina pectoris und den Infarkt verursacht, direkt zu erreichen. Außerdem ist es den Ärzten gelungen, ein winziges Elektronengerät in die Herzkammer einzuführen, das die Ansicht des Herzinnern im Operationssaal auf einen Bildschirm überträgt, so daß während des Eingriffs die Herztätigkeit kontrolliert werden kann. Diese Erkenntnisse wären ohne den furchtlosen Selbstversuch des Chirurgen Werner Forrsmann (1904-1979) nie zustande gekommen. Da er die herkömmlichen Methoden der Herzuntersuchung kritisierte, hatte er die Vision, einen dünnen, biegsamen Katheder von der Ellenbogenvene aus, über die großen Venenstämme in die Herzhöhlen zu führen. Er hatte dies bereits an Toten versucht, aber Tote waren keine Lebenden. Das Herz galt bis dahin nach Meinung des weltberühmten Professor Sauerbruch als Festung, die am besten nicht genommen werden sollte. Eingriffe in das Herz galten als eine an Frivolität grenzende Vermessenheit. Forrsmann aber war entschlossen, einen Selbstversuch vorzunehmen. Im Operationssaal des Eberswalder Krankenhauses bei Berlin, in dem er als Assistenzarzt tätig war, ritzte er sich mit einem Skalpell die linke Ellenbogenvene an und führte einen millimeterdünnen Gummischlauch ohne Hast in den Venenkanal. Spielend einfach glitt die Sonde den Venenkanal entlang. Dann tauchte in der Schlüsselbeingegend ein Hustenreiz auf. Forrsmann führte dies auf eine Reizung des Vagusnerves, eines Hauptastes des vegetativen Nervensystems zurück. Er schob die Sonde unbekümmert weiter hinein. Dann stockte sie, Forrsmann glaubte, die Spitze sei im Herzen angelangt. Er ging dann mit einer bewundernswerten Gelassenheit zur Treppe, die zum Röntgenkeller führte und stieg hinunter. Es war unglaublich, die Röntgenaufnahme von Forrsmanns Brustkorb zeigte: Die Festung Herz war genommen worden. Er veröffentlichte 1929 einen Bericht in der „Klinischen Wochenschrift“. Forrsmann war kein Scharlatan mehr, wie fortschrittlich denkende Ärzte auch heute noch gerne genannt werden. Sauerbruch empfahl Forrsmann grimmig, daß er seine Methode im Zirkus und nicht an einer Klinik vorführen solle. 225 Forrsmann hatte aber Gewissheit, daß man das Herz, ohne es zu gefärden, berühren konnte. Zu klären blieb noch, ob es auch Kontrastmittel verkraften würde. Er unternahm den selben Selbstversuch und injizierte unter hohem Druck eine Jod-Natrium-Lösung, da diese bei Röntgenaufnahmen besonders scharfe Kontrastdarstellungen ergab. Das Herz ließ es sich gefallen. Aber die Aufnahmen wurden eine Enttäuschung für Forrsmann. Das Herz hatte das Kontrastmittel rascher in den Blutkreislauf befördert, als die Röntgenapparatur zu arbeiten vermochte. Sie war veraltet. 1931 gab Forrsmann seine Entdeckung auf dem 55. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie bekannt. Viele der Spezialisten verließen den Saal noch bevor er sein Referat zu Ende gebracht hatte. Lange schien Forrsmanns Erfindung von aller Welt vergessen. Die Ehrungen und der Triumpf ließen 27 Jahre auf sich warten. 1956 erhielt er den Nobelpreis. Bei der Entgegennahme sagte er:„Ich bin denen, die meine Arbeit nicht anerkannten, nicht gram, ich bin vielmehr hocherfreut, daß meine Idee doch richtig war. K.W. 8.4 „Autoimmun News“ Nr. 3 von Juni/Juli 1994 Seite 3: Weiter geht's! Turbulent waren die letzten drei Jahre. Es ist fast nicht zu glauben, wieviel Energie, Durchhaltevermögen und Entschlossenheit ein Mensch besitzen muß, um auf eine sinnvolle Idee hinzuweisen und sie durchzusetzen. Das Ringen um ein Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose trägt erste Früchte: Das Bundesgesundheitsamt wird den vom Pharmaunternehmen Behrinwerke gestellten Antrag auf Zulassung zügig bearbeiten. Hoffentlich wird bald jeder, dem diese scheußliche Krankheit das Leben zur Hölle macht, eine Therapie bekommen. Was das Medikament bei breiter Anwendung erreichen kann, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Ergebnisse der Pharmastudie und meine Erfahrungen zeigen erfreuliche Ansätze.Es gibt kein Medikament auf dieser Welt, das in Lage ist, bei hundert Prozent der Betroffenen chronischer Krankheiten Heilung zu erzielen. Zu unterschiedlich arbeitet das menschliche Immunsystem, spricht der Körper auf eine Therapie an und zu wenig ist der Wissenschaft darüber bekannt. Auf meinem Weg habe ich sehr viele Erfahrungen sammeln können. Die wichtigsten Erkenntnisse sind für mich: Ehrlichkeit, Aufklärung und Information. Deshalb habe ich auch die AutoImmun News ins Leben gerufen. Eine Reihe von jungen, engagierten Menschen wollen sich mit mir weiteren Herausforderungen in der Medizin stellen. Sie darüber sachlich und verständlich zu informieren, ist unser oberstes Gebot. Wir wollen Forschung und Wissenschaft vorantreiben. Wo sie nur scheinbar und zum Selbstzweck arbeitet, werden wir hinzeigen. Um unser Ziel zu ereichen, brauchen wir Sie. Wir benötigen Ihre Kritik, Ihre Anregungen und Ideen, damit wir noch vielfältiger, breiter und ideenreicher berichten können. Wir wünschen uns, ein Podium für Wissenschaftler, Ärzte, Pharmaunternehmen, interessierte Patienten und deren Angehörige zu sein. 226 Ich möchte Sie und noch viele andere - denen AutoImmun News noch unbekannt ist - dazu einladen, einen unabhängigen Weg in der Berichterstattung über Medizin zu gehen. Ihr Niels Franke Seiten 4 und 5: „Unverzügliches Inverkehrbringen“ Multiple Sklerose: Behringwerke stellen Antrag auf Schnellzulassung von 15Deoxyspergualin (DSG) beim Bundesgesundheitsamt. Für die Therapie der Multiplen Sklerose (MS) könnte bald mit der Substanz 15-Deoxyspergualin (DSG) ein Medikament zur Verfügung stehen. Ausgangspunkt dafür sind die beiden von den Behringwerken durchgeführten Doppelblindstudien. In einer Pressemitteilung erklärte das Pharmaunternehmen Ende Mai: „Aufgrund der positiven Ergebnisse der ersten Studie und in Anbetracht der guten Verträglichkeit von DSG ist in diesen Tagen ein Antrag auf vorgezogene Zulassung der Substanz beim Bundesgesundheitsamt zur Behandlung der Multiplen Sklerose nach § 28 Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes gestellt worden. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die bei starkem öffentlichen Interesse die Zulassung eines Medikaments, evtl. unter Auflagen, auch bereits in einem frühen Stadium der klinischen Entwicklung erlaubt.“ Ferner teilte der Pharmahersteller mit, daß die Ergebnisse der ersten Studie auch nach zwölf Monaten weiter bestehen. „Damit wird der Unterschied zugunsten der sechs Milligramm DSG-Gruppe auch nach einem Jahr bestätigt.“ Unklar sind nach sechs Monaten die Zwischenergebnisse der zweiten Doppelblindstudie. Dort zeigen sich im Vergleich zur ersten Studie noch keine klinischen Unterschiede. Aus Kreisen der an den Doppelblindstudien beteiligten Ärtzen wurde bekannt, daß eine dritte Studie geplant werde. Teilnehmen würden sämtliche PlaceboPatienten der ersten beiden Studien. Die Dosierung werde bei sechs mg/KG oder darüber liegen. Über die Dauer dieser Studie ist nichts bekannt. § 28 Absatz 3 Arzneimittelgesetz ist ein Vorschrift, bei der das Interesse des Patienten im Vordergrund steht (AutoImmun News hierzu ausführlich in 3/93, Seite 14). Die Rechtsfolge dieser Norm besteht in einem „unverzüglichen Inverkehrbringen“. Dadurch soll ein langwieriges Zulassungsverfahren, wodurch unzumutbare körperliche Nachteile oder irreparable Schäden beim Patienten entstehen könnten, verhindert werden. Bei der Multiplen Sklerose, mit all ihren unterschiedlichen Varianten, können diese Nachteile nicht ausgeschlossen werden. Eine Zulassung unter Auflagen, z. B. einer weiteren klinischen Beobachtung, würde die Verfügbarkeit für den Patienten nicht in Frage stellen. Damit ist ein erster Schritt zur Therapierbarkeit der MS getan worden. Erst die breite Anwendung bei vielen Patienten wird über die exakte Wirksamkeit Auskunft geben. Nachdem die Behringwerke einen Antrag auf Schnellzulassung von DSG bei Multipler Sklerose beim Bundesgesundheitsamt in Berlin gestellt haben, hängt die schnelle Verfügbarkeit des Medikaments vom BGA ab. AutoImmun News sprach mit dem Leiter der Zulassungsstelle beim BGA, Dr. Harald Schweim. 227 AutoImmun News: Können Sie bestätigen, daß die Behringwerke beim BGA einen Eilantrag auf Zulassung von DSG gestellt haben? Dr. Schweim: Ich habe große Schwierigkeiten, zu laufenden Verfahren Auskunft zu geben. Da die Behringwerke selbst an die Öffentlichkeit gegangen sind, kann ich dies bestätigen: Ja der Antrag liegt vor. AutoImmun News: Die Behringwerke haben einen Eilantrag nach §28 Abs. 3 AMG gestellt. Wie lange wird die Bearbeitungszeit dauern? Dr. Schweim: Es sind variable Zeiträume möglich. Das von Ihnen genannte Verfahren wird von uns zeitlich sehr eng geführt werden. Die Bearbeitungszeit solcher Anträge dauert etwa vier bis sieben Monate . Wir werden zügig arbeiten. AutoImmun News: Kommen Eilanträge bei Ihnen häufig vor? Dr. Schweim: Nein, sie sind nicht sehr häufig. Ich schätze, daß wir pro Jahr rund 30 zu bearbeiten haben. Davon werden rund acht oder neun Anträge wirklich nach §28 Abs. 3 AMG beschieden. Der Rest läuft über das normale Zulassungsverfahren. AutoImmun News: Was passiert jetzt konkret mit dem Antrag? Dr. Schweim: Der enorme Papierberg wird zunächst auf seine formale Vollständigkeit geprüft. Dann wird er den betreffenden Fachabteilungen (Medizin, Toxikologie und Pharmazie) zugeleitet. Nach einer Projektsitzung ist die Phase I abgeschlossen. Auffälligkeiten werden dem Pharmahersteller mitgeteilt. Dr. K. Theobald (Behringwerke) im Interview über den DSGZulassungsantrag: „Wir werden Versorgungsengpässe haben“ AutoImmun News: Die Behringwerke haben jetzt einen Antrag auf Zulassung von DSG zur Therapie der MS gestellt. Werden die Placebo-Patienten Ihrer Doppelblindstudie jetzt nachbehandelt? Dr. Theobald: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wir werden den an der Studie beteiligten Klinikern die Ergebnisse präsentieren und ihre Vorstellungen einholen. Dabei werden wir über eine Nachbehandlung sprechen. AutoImmun News: Wie hoch wird die Dosierung im Falle einer Nachbehandlung sein? Dr. Theobald: Wir werden uns an der Dosierung von 6 mg/KG orientieren. Das ist aber nur eine von vielen Fragen. Die Liste der offenen Fragen ist länger als die Liste der beantworteten Fragen. Wir werden natürlich auch über die Dosierung nachdenken. Auch die Dauer der DSG-Gabe und die Intervalle sind zu erörtern. AutoImmun News: Wird es im Falle einer Zulassung zu Versorgungsengpässen kommen? Dr. Theobald: Ja, wir werden Versorgungsengpässe haben. Entweder werden wir ein Lotterieverfahren, ähnlich wie bei Interferon-Beta in den USA, durchführen oder die dringlichsten Fälle bevorzugt behandeln. Aber wer entscheidet, was ein dringlicher Fall ist? AutoImmun News: Werden die Behringwerke Deoxyspergualin in Deutschland herstellen? 228 Dr. Theobald: Nein, wir werden das Medikament nicht selber herstellen, da wir keine Produktionsanlage eingerichtet haben. Unser Unternehmen wird weiter DSG aus Japan beziehen. AutoImmun News: Was halten Sie von einer kombinierten MS-Therapie, die aus DSG und Interferon-Beta bestehen könnte? Dr. Theobald: Die Kombination beider Präparate klingt sehr interessant. Vom Wirkungsmechanismus könnte es sich um eine Art Ergänzung handeln. Aber wir besitzen kein Interferon-Beta. Eine Studie wird wohl leider an marktwirtschaftlichen Gesetzen scheitern. DSG-Chronik 1981: 15-Deoxyspergualin (DSG), die chemische Abwandlung eines bakteriellen wachstumshemmenden Stoffes, wird in Japan erstmalig entdeckt und von Wissenschaftlern beschrieben. Ab 1983: Erstmaliger Einsatz am Menschen. Die Substanz zeigt beim Versuch, bestimmte Tumorarten und Leukämie (Blutkrebs) zu behandeln, keine durchschlagende Wirkung. Tierversuche im Bereich der Organtransplantation werden begonnen. Ab 1986: Versuche, die Suppressionswirkung zu klären, werden geplant und durchgeführt. Erster Einsatz bei einer Transplantation am Menschen. 1989: Erfolgreicher Selbstversuch des an Multipler Sklerose erkrankten Arztes Niels Franke. 1991: Franke fordert eine schnelle klinische Wirksamkeitsprüfung von DSG bei Multipler Sklerose. Erst nach einer Buchveröffentlichung Frankes denkt der Lizenznehmer Behringwerke (Hoechst) über eine klinische Studie mit DSG bei MS nach. 1992: Die Behringwerke beginnen, mit einer Doppelblindstudie bei 104 Teilnehmern das Medikament zu testen. Ablehnung der Zusammenarbeit durch die Patientenvertretung (DMSG e. V.). Franke beginnt im Rahmen einer Einzelfallstudie, selbst MS-Patienten mit DSG zu behandeln. 1993: In Marburg entschließt man sich, eine zweite klinische Wirksamkeitsprüfung mit DSG bei 132 MS-Kranken durchzuführen. Franke legt die Zwischenergebnisse seiner Einzelfallstudie vor und drängt aufgrund der positiven Ergebnisse auf noch mehr Beschleunigung. Die Zwischenergebnisse der ersten Behringstudie ergeben eine klinische Verbesserung bei DSG-Patienten (sechs mg/KG). 1994: In Japan wird DSG für Transplantationen zugelassen. Dadurch wird das Medikament für den Schwarzmarkt interessant. Astronomische Summen werden verlangt. Die Behringwerke haben ihre zweite klinische Studie vorläufig ausgewertet. Aufgrund der positiven Ergebnisse der ersten Studie wird der Antrag auf Zulassung beim BGA gestellt. Seiten 6 und 7: Kernspintomographie Was leistet die Röhre? Eine riesige Maschine, eine beängstigende Röhre und ein schlauer Computer. Wer sich dort reinlegt, möchte auch wissen: 229 Ein wenig ängstlich blickt Anja (14) in die Röhre. „Macht mich dieses Gerät wieder gesund?“, fragt sie den Assistenzarzt. „Nein, aber wir werden vielleicht Deine Beschwerden besser verstehen. Danach kann Dich Dein Arzt ganz gezielt behandeln“, antwortet behutsam der Radiologe. Bevor Anja in die „Röhre“ gefahren wird, muß sie ihren Schmuck ablegen. Der Arzt erklärt ihr, das alles sei vollkommen ungefährlich. Man wird ein Magnetfeld aufbauen, so wie sie es aus der Schule kennt, und könne damit unterschiedliches Gewebe in ihrem Körper gut erkennbar darstellen. Die Kernspintomographie ist in der Lage, bestimmte Weichteilstrukturen sichtbar zu machen. Körperknochen, die sich in einem festen Zustand befinden, lassen sich mit dieser Methode nicht erkennen. Sie erscheinen als schwarze Fläche. Dieses Diagnoseverfahren funktioniert vereinfacht so: Das aufgebaute Magnetfeld veranlaßt alle Atomkerne zu einem bestimmten Verhalten. Atomkerne mit ungerader Protonen- und/oder Neutronenzahl werden durch das Magnetfeld angesprochen. Sie verhalten sich durch den Magnetismus anders, als man es von ihnen kennt. Mit einer komplizierten Technik werden sie damit für den Radiologen erkennbar. Hinzu kommen noch weitere Eigenschaften dieser Atomkerne, die unter dem Einfluß eines Magnetfeldes verschiedene Signale abgeben. Die anfallenden Daten werden durch ein weiteres kompliziertes Verfahren und einen leistungsstarken Computer bestimmten Ebenen zugeordnet. Der Radiologe kann nun die unterschiedlichen Schichten einer Aufnahme (zum Beispiel des Schädels) erkennen. Bei der Kernspintomographie des Schädels werden in der Regel 16 Schichten erstellt. Dem Arzt steht dann ein Berg von Aufnahmen zu Verfügung, die er sich alle übereinander gelegt vorstellen muß. Eine weitere Möglichkeit ist die Kernspintomographie des Rückenmarks. Für den Patienten bedeutet die Kernspintomographie keine größere Anstrengung. Er muß etwa 20 Minuten in einer Position still liegen. Neue Positionen muß er nicht einnehmen. Für den Fall, daß er es in der „Röhre“ mit der Angst zu tun bekommt, ist ein Notfallschalter vorhanden, der den Vorgang schnell beendet. Die Kernspintomographie ist als Ergänzung zur Röntgendiagnostik und der Computertomographie zu verstehen. Eine Reihe von Krankheiten läßt sich mit diesem Verfahren sehr zuverlässig nachweisen. Zu dem klassischen Einsatzgebiet der Kernspintomographie zählt der Nachweis von Tumoren. Allerdings läßt sich nicht immer eine Abgrenzung zwischen Geschwulst und Ödem vornehmen. Im Bereich der Traumadiagnostik ist die Kernspintomographie sehr hilfreich. Die für das Trauma ursächlichen Hämatome sind am besten nach dem siebenten Tag sichtbar. Denn dann hat sich in den Hämatomen das meiste Blut angesammelt. Bei traumatologischen Notfallsituationen sind die herkömmlichen radiologischen Verfahren vorzuziehen. Auch bei der Untersuchung der Blutgefäße hat die Kernspintomographie ihren festen Platz. Besonders erfolgreich ist sie bei der Erfassung von Gefäßmißbildungen, einschließlich solcher, die sich im Hirnstamm gebildet haben. Bereits nach drei Tagen ist es möglich, eine spontane Hirnblutung darzustellen. 230 Die Anwendung der Kernspintomographie bei der Diagnose von bestimmten Erkrankungen im Rückenmark hat ebenfalls eine hohe Aussagekraft. Zum Beispiel läßt sich die relativ unbekannte Syringomyelie nachweisen. Bei dieser Erkrankung bilden sich in der grauen Substanz des Rückenmarks sogenannte Höhlen. Die Folge sind Lähmungen, nicht selten bilden sich Tumore. Die dafür verantwortlichen Höhlen können durch die Kernspintomographie erkannt werden. Die Liste der Krankheiten, die durch die Kernspintomographie nachgeweisen werden können, wächst ständig. In vielen Fällen ist dieses Diagnoseverfahren schon effektiver als die Röntgendiagnostik oder die Computertomographie. Wenn eine Krankheit durch den Aufbau eines Magnetfeldes erkannt werden kann, handelt es sich häufig um eine „häßliche“ Krankheit, bei der die anschließende Therapie diesen Grad an Perfektion und Zuverlässigkeit nicht erreichen kann. Aber gerade das wäre erstrebenswert. Das Problem bei der Multiplen Sklerose Bei der Multiplen Sklerose spielt zunehmend die Kernspintomographie eine wesentliche Rolle. Im Bereich der Diagnose lassen sich die Entmarkungsherde - mit Kontrastmittel auch die entzündlichen - darstellen. Doch die MS-Diagnose alleine auf das Ergebnis einer Kernspintomographie zu stützen, ist fehlerhaft. Dies belegt eine Studie an 70 MS-Patienten in der Neurologischen Abteilung der Landesnervenklinik Salzburg. Die Wissenschaftler untersuchten MS-Patienten in verschiedenen Stadien mit den gemeinhin bekannten Diagnosemethoden Liquoranalyse, evozierte Potentiale und Kernspintomographie. Ziel war es, die Wertigkeit der einzelnen Verfahren zu bestimmen. Das Ergebnis zeigte: „Keine der drei Untersuchungsmethoden liefert spezifische Befunde, die nicht auch durch andere Erkrankungen hervorgerufen werden können.“ Zwar hat die Kernspintomographie bei 81 Prozent der MS-Patienten den Nachweis dieser Krankheit erbringen können (Liquoranalyse = 79 Prozent und evozierte Potentiale = 67 Prozent), doch nach sorgfältiger Auswertung aller Daten stellten die Salzburger fest: „Daraus ergibt sich trotz hoher Sensivität in der Kernspintomographie eine Unverzichtbarkeit auf andere Untersuchungsmethoden.“ Dieses Ergebnis erstaunt umso mehr, da neuere Studien bei der Wirksamkeitsprüfung von MS-Medikamenten sehr stark auf den kernspintomographischen Beweis abstellen. Dies könnte eine Sackgasse sein. Zur Kernspintomographie sagten die Forscher: „Im Gegensatz dazu besteht jedoch keine Korrelation zwischen den Ergebnissen der Auswertung des Läsionsdurchmessers und der Dauer der Erkrankung einerseits sowie der Schwere der klinischen Ausfälle andererseits.“ Es gibt nur einen schwachen Verdacht, daß die Läsionen das Hauptproblem bei der MS darstellen. Somit sollte die Kernspintomographie bei der MS nicht überbewertet werden. Seiten 8 und 9: Kernspintomographie „Wer sagt, der Patient habe Herde und diagnostiziert MS-Herde, ist ein Scharlatan!“ 231 Im Interview Dr. med. August Markl. Der Arzt und Pharmazeut betreibt seit 1990 am Münchner Prinzregentenplatz eine Radiologiepraxis. Neben vielen Diagnosetechniken steht in seiner 400 m2 großen Praxis auch eine moderne Kernspintomographieanlage. Der Praktiker beantwortete AutoImmun News-Mitarbeiterin Susanne Rieling Fragen zur „Röhre“. Seit wann existiert in Deutschland die Kernspintomographie als Diagnoseverfahren? Die Firma Siemens war der erste vorantreibende Entwickler dieser Methode und hat bereits 1982 begonnen, den Kernpintomographen einzelnen Kliniken zur Verfügung zu stellen. Begonnen hat es dann in der wirklichen klinischen Erprobung für die Patienten - als Patientenuntersuchungsgerät - 1984 in München Großhadern und in Berlin an der Freien Universität. In Amerika wurden die ersten Kernspinanlagen bereits1981 installiert. Ersetzt die Kernspintomographie das Diagnosemittel der Röntgenuntersuchung und der Computertomographie oder bieten sich neue Möglichkeiten an? Kann man damit zum Beispiel einen Beinbruch nachweisen? Kein Ersatz, sondern eine Ergänzung, muß man sagen. Es gibt viele Erkrankungen, die man mit der Kernspintomographie diagnostizieren kann, es gibt aber auch Krankheiten, die man mit der Computertomographie besser diagnostizieren kann als mit der Kernspintomographie. Bei etwaigen Knochenbrüchen kann man mit der Röntgenaufnahme oder der Computertomographie viel mehr sehen als im Kernspin. Die Kernspintomographie hat die Einschränkung, daß sich Knochen nicht darstellen lassen. Einen Bruch wird man niemals mit der Kernspintomographie diagnostizieren können. Wie lange dauert eine Kernspinuntersuchung? Bei einer Untersuchung im Schädel ohne Kontrastmittel etwa 20 Minuten (reine Untersuchungszeit). Mit Kontrastmittel ca. 25 bis 26 Minunten. Kann man durch unterschiedlich lange Aufnahmezeiten auch unterschiedliche Qualitäten im Ergebnis erzeugen? Ja, aber man wird es einem Patienten nie zumuten. Erstens war es früher so, daß diese sogenannten Meßsequenzen, das sind also diese einzelnen Aufnahmeteile, mit verschiedenen Meßparametern ausgestattet werden. Man könnte durch beliebige Verlängerung dieser Aufnahmeparameter eine Verbesserung des Bildes erzeugen, würde die aber wieder preisgeben, weil sich einfach ein Mensch nicht so lange ruhig halten kann. Wie teuer ist eine Untersuchung für Patient oder Krankenkasse? Der Preis ist unabhängig von der Dauer der Untersuchung. Das kostet immer das gleiche. Eine Untersuchung des Schädels kostet ungefähr 500 DM. Der Preis berechnet sich pro Untersuchung. Wie teuer ist eine moderne Anlage mittleren Standards? Eine Kernspinanlage mittleren Standards kostet zwischen 1,5 und 2 Mio. Mark ohne Umbauten. Wer stellt solche Geräte her und wie stark ist Deutschland damit versorgt? Siemens, General Elektrics, Philipps, sind weltweit die drei größten Hersteller. München ist neben San Francisco die best versorgte Kernpintomographiestadt der Welt. Deutschland steht im europäischen Vergleich sehr gut da. 232 Gibt es bei diesem Diagnoseverfahren Nebenwirkungen für den Patienten oder Ausschlußkriterien? Kann ich mit einer Metallfüllung im Zahn risikolos in die „Röhre“ steigen? Nach dem derzeitigen Stand der Technik und des Wissens entstehen keine bleibenden Nebenwirkungen für den Patienten. Es gibt ein absolutes Ausschlußkriterium für Patienten mit einem Herzschrittmacher. Relative Kontraindikationen, also solche, bei denen man sich erst erkundigen muß, zeigen z.B. Menschen, die Clips im Körper haben, vor allem Clips an den großen Gefäßen und am Herz. Menschen, die erst in neuerer Zeit mit Clips versorgt wurden, können auch kernspintomographisch untersucht werden, da diese neuen Clips antimagnetisch sind. Bei welchen Indikationen (Krankheiten) wird die Kernspintomographie als Diagnosehilfe eingesetzt? Läßt sich zum Beispiel die Polyarthritis diagnostizieren? Da kann ich Ihnen eine umfangreiche Liste geben, auf der alles steht. Das Indikationsgebiet der Kernspintomographie wird von Monat zu Monat größer. Eine Polyarthritis läßt sich diagnostizieren, aber ich würde auf jeden Fall die normale Röntgenuntersuchung voranstellen. Wie zuverlässig und aussagekräftig ist die Diagnose der Kernspintomographie bei den einzelnen Krankheiten? Z. B. bei der Multiplen Sklerose ist es so, daß die Kernspintomographie sehr sensitiv ist, das heißt, sie zeigt praktisch jeden Herd, den der Patient im Bereich des Hirns oder des Rückenmarks hat. Sie ist sehr sensitiv, aber ganz wenig spezifisch, das heißt, sie kann nicht ganz genau sagen, wenn nicht andere Parameter dazukommen, das ist jetzt ein MS Herd oder ist es ein Herd, der eine andere Entzündung darstellt oder es ist ein Herd, der aufgrund einer Durchblutungsstörung, also eines Infarkts oder dergleichen, entstanden ist. Als man die Kernspintomographie erstmals bei der MS angewandt hat, hat man gedacht, man könnte eine MS durch diese Methode diagnostizieren. Dem ist sicher nicht so. Wer sagt, der Patient hat Herde und diagnostiziert MS-Herde dazu, muß ich ganz deutlich sagen, ist ein Scharlatan. Man muß sagen, daß es mindestens noch zwei - wenn nicht mehr - andere Differenzialdiagnosen gibt. Und nur durch eine Sicherung über andere Untersuchungen also z. B. über evozierte Potentiale oder über LiquorPunktion kann eine MS sicher diagnostiziert werden. Gefundene Herde können auch eine andere Bedeutung haben. Welche Funktion haben Kontrastmittel? Kontrastmittel dienen dazu, daß man krankhafte Prozesse besser erkennen kann. Es ist in der Vielzahl der Fälle so, daß krankhafte Prozesse im Körper auch einer vermehrten Durchblutung unterliegen. Diese vermehrte Durchblutung bringt natürlich auch mehr Kontrastmittel an diesen Ort. Der krankhafte Prozeß ist damit besser erkennbar. Im Bereich der MS gibt man Kontrastmittel, weil man im Moment davon ausgeht, daß frische MS-Herde Kontrastmittel aufnehmen, was ältere Herde nicht tun. Sind aussagefähige Aufnahmen des Spinalbereichs (Rückenmark) möglich? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Ja, auch das Rückenmark kann in verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Meßparametern hinsichtlich der MS oder überhaupt entzündlicher Veränderungen oder Infarktveränderungen untersucht werden. Die 233 Kernspintomographie ist die einzige Methode, die das Rückenmark untersuchen kann. Können Sie den Eindruck teilen, daß die Entwicklung der Diagnosetechnik der Therapie weit voraus ist? Ich stimme grundsätzlich damit überein. Meiner Meinung nach ist es aber leichter, ein technisches Gerät für die Diagnose zu entwickeln als ein wirksames Medikament, das beim menschlichen Körper ganz gravierende Veränderungen auslösen kann. Der technische Bereich ist leichter zu entwickeln als der pharmazeutische. Seiten 9 und 10: Kollagenosen Teil 3 Fehler im Abwehrsystem: Die Folge ist eine Entzündung in Muskulatur und Haut. Schwächezustände und Schmerzen treten auf. Die Krankheit nennt sich Polymyositis. Unter dem Begriff „Kollagenosen“ wird eine ganze Reihe von systemischen Bindegewebserkrankungen mit entzündlichem Charakter zusammengefaßt. Die Entzündung wird durch eine auf ererbter Veranlagung und anderen nicht näher und sicher erkannten Einflüssen beruhende Reaktion des Abwehrsystems verursacht. Neben der Darstellung der allgemeinen Eigenschaften der Kollagenosen wurden bisher der Lupus erythematodes disseminatus beziehungsweise der systemische Lupus erythematodes und die systemische Sklerodermie besprochen. In dieser abschließenden Darstellung soll ein weiteres Krankheitsbild dieser Gruppe erörtert werden. Die zu besprechende Krankheit trägt den Namen PolymyositisDermatomyositis. Es handelt sich dabei um die Zusammenfassung mehrerer Krankheitsbilder, denen gemeinsam ist, daß die vom Abwehrsystem veranlaßte Entzündung ihren Sitz in der Muskulatur und oder der Haut hat. Beschwerden Die sichtbaren Erscheinungen der Haut, die Schmerzen und eine Schwäche der Muskulatur führen bei typischen Verlaufsformen oft schnell zur Erkennung der Krankheit. Es gibt aber auch sehr langsame Verläufe, die, insbesondere wenn nur die Muskulatur betroffen ist, häufig dazu Anlaß geben, daß die Diagnose erst sehr verspätet gestellt wird. Frauen werden von diesen Krankheitsbildern doppelt so häufig betroffen wie Männer. Am häufigsten erkranken Menschen zwischen dem dreißigsten und fünfzigsten Lebensjahr, aber die Krankheit kann auch im Kindesalter auftreten. Die verschiedenen Verlaufsformen kommen dadurch zustande, daß einmal mehr die Muskulatur, im anderen Fall mehr die Haut befallen wird. Diagnose Die als typisch bezeichneten Hauterscheinungen treten im Augenbereich als blau-rote Verfärbung der Haut in der Umgebung der Augen oder auch an den Fingern besonders um den Nagelfalz herum, also an der Grenze vom Nagel zur umgebenden Haut, auf. Die typischen Erscheinungen des Muskelbefalls sind in der körpernahen Muskulatur der Arme und Beine angesiedelt. Das heißt, es machen sich Schwächezustände der Oberarmmuskulatur oder auch der Oberschenkelmuskulatur bemerkbar. Das Ausmaß der Muskelschwäche ist größer als das Ausmaß der Muskelschmerzen. 234 Innere Organe wie Herz, Lunge und Niere können in das Krankheitsgeschehen miteinbezogen werden. Typische Kennzeichen, wie spezifische für das Krankheitsbild charakteristische Antikörper (wie zum Beispiel beim Lupus erythematodes disseminatus) gibt es nicht. Die Muskelentzündung ist an Hand krankhafter Veränderungen der elektrischen Stromkurven, die bei der Muskeltätigkeit entstehen, nachzuweisen. Diese Muskelströme werden mittels besonderer Apparaturen gemessen. Aus den als entzündet erkannten Muskelbereichen werden dann kleine Proben der Muskulatur entnommen. Im feingeweblichen Bild läßt sich erkennen, daß besondere Zellverbände um die Muskelblutgefäße gelagert sind. Diese Zellen gehören zum Abwehrsystem, ihr Vorkommen dort deutet eben auf diese besondere, vom normalen Bild abweichende Reaktion des Abwehrsystems als Grundlage der Erkrankung hin. Im Blut sind außerdem chemische Bestandteile der zugrunde gehenden Muskelzellen (als Folge der Entzündung) in vermehrtem Umfang nachzuweisen. Auch dies trägt zur Diagnose bei. Solche Muskelentzündungen können auch im Rahmen anderer kollagenotischer Krankheitsbilder auftreten, wie zum Beispiel bei der systemischen Sklerodermie aber auch beim Lupus erythematodes disseminatus. Therapie Die heute mögliche medikamentöse Therapie mit Kortison und bei besonderen Verlaufsformen auch in Kombination mit Immunsupressiva hat dazu geführt, daß bei der Mehrzahl der Erkrankten eine Heilung bei verbleibender Beeinträchtigung bestimmter Körperfunktionen herbeigeführt werden kann (sogenannte Defektheilung). Auch hier, wie bei den anderen Erkrankungen aus dem Bereich der Kollagenosen, stellt die medikamentöse Behandlung keinesfalls die einzige therapeutische Maßnahme dar. Bei Abklingen der Muskelentzündung müssen sehr vorsichtig gesteuerte Maßnahmen der physkalischen Therapie versuchen, den Trainingsverlust wieder aufzuholen. Die durch Ruhigstellung gefährdeten Gelenkfunktionen müssen erhalten beziehungsweise wieder hergestellt werden. Zudem müssen psychologische Hilfen, insbesondere auch für die Schmerzbewältigung und zur Behandlung der Krankheitsfolgen in Beruf und Familie angeboten werden. Immer wieder hört man, daß Patienten mit solchen Erkrankungen aus dem Bereich der Kollagenosen sich vereinsamt und verlassen fühlen, da in ihrer unmittelbaren Umgebung eine Aussprache mit anderen Betroffenen nicht möglich wird. Diese Klage hört man immer wieder auch innerhalb der Gruppen der Rheumaliga. Einzelne Landesverbände sind dazu übergegangen für diese Patienten Wochenendtreffen zu veranstalten. Bei diesen Treffen soll dann ganz speziell auf die Problematik dieser seltenen Erkrankungen eingegangen werden. Es können sich dann auf Landesebene auch Arbeitskreise bilden, die sich der besonderen Anliegen dieser Patienten annehmen. Damit sind einige wesentliche Krankheitsbilder aus der Gruppe der Kollagenosen beschrieben. Es gibt aber noch einige weitere Erkrankungen. Insbesondere aus der Gruppe der sogenannten systemischen Vaskulititen, d.h. Erkrankungen der Blutgefäße, die auf immunologischer Basis entstehen. 235 Diese Formen sollen zu einem späteren Zeitpunkt im einzelnen dargestellt und besprochen werden. Es ist nochmals hervorzuheben, daß es sich bei den Kollagenosen um seltene Erkrankungen handelt. Dabei wird keinesfalls verkannt, daß eine solche Krankheit für jeden einzelnen betroffenen Menschen ein schweres Schicksal darstellt und diese Information dazu beitragen soll, ihm diese Last zu erleichtern. Die Darstellung soll Anstoß geben, sich durch weitere Informationen bei der Bewältigung der Krankheit helfen zu lassen. Der Hausarzt, der Spezialist, die klinisch-rheumatologischen Abteilungen und nicht zuletzt die Gesprächskreise der Deutschen Rheumaliga sollen dazu verhelfen. Martin Franke Seiten 12 und 13: News und Hintergrund AIDS: Ein Teilerfolg? An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wurden vier HIV-positive Patienten mit Interferon-Gamma wegen krankheitsbedingter Hauterscheinungen behandelt. AIDS zählt nach wie vor zu den unheilbaren Krankheiten. Die Folgen der Immunschwäche können den gesamten Organismus treffen. Sehr häufig leiden AIDS-Patienten an Hautentzündungen, Wucherungen oder Geschwülsten. Meist führen erst diese Krankheitserscheinungen zu einer AIDS-Diagnose. Bisher konnten die gängigen Therapieversuche mit örtlicher Behandlung, Antibiotikagabe und chirurgischer Versorgung keinen anhaltenden Erfolg bei diesen Hauterscheinungen zeigen. Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität in München gelang es, den Hautbefall nach HIV-Infektionen zu beeinflussen. „Vier HIV-Antikörperpositive Patienten mit therapieresistenter Furunkulose wurden erfolgreich mit Interferon-Gamma behandelt“, meldet das medizinische Fachblatt „Hautarzt“. Insgesamt behandelte man vier Patienten mit Interferon-Gamma. In der ersten Woche erhielten sie am 1., 3. und 5. Tag die Substanz unter die Haut gespritzt. Nach drei Woche Pause wurde der Therapiezyklus wiederholt. Eine deutliche Besserung trat bei allen vier Patienten nach drei bis fünf Zyklen auf. Es wurde ein vollständiges Abheilen der Hautveränderungen festgestellt. Bezeichnend für die Wirkung des Gamma-Interferons und den Erfolg der Therapie ist die Tatsache, daß nach Absetzen der Behandlung bei zwei Patienten ein Rückfall beobachtet wurde. Bei den Patienten handelte es sich um eine 32jährige Drogenabhängige und drei homosexuelle Patienten im Alter von 33 bis 48 Jahren. Die Erkrankten befanden sich in einem guten Allgemeinzustand. Der Hautbefall zeigte sich meist im Gesicht, aber auch andere Körperteile (Beine und Gesäß) waren befallen. Die HIV-Infektion hatte bei allen Teilnehmern bereits zur Immunschwäche geführt, dabei aber noch nicht das Vollbild der AIDSErkrankung erreicht. Die Wissenschaftler kontrollierten regelmäßig die Blutbilder und die sonstigen Laborwerte. Natürlich stand im Vordergrund die Kontrolle des Hautbefundes. Zusätzlich wurden immunolgische Werte gemessen und ausgewertet. 236 Während der Therapie wurden die vorhandenen Wunden mit den gängigen Medikamenten behandelt. Die Nebenwirkungen dieses Therapieversuchs nahmen im Laufe der Behandlung ab. Es wurden bei einem Patienten Temperaturerhöhung und Abgeschlagenheit registriert. Wie bei der Anwendung von Beta-Interferon beim Menschen traten auch hier grippeähnliche Symptome auf. Im wesentlichen sind die Nebenwirkungen mit denen zu vergleichen, die bei der Gabe von Interferon-Gamma beim chronischen Gelenkrheuma auftreten können. Das Interferon-Gamma ist bereits seit 1965 bekannt. Es wird im Körper von aktivierten T-Lymphozyten gebildet und stärkt durch seine Wirkung die Abwehrmöglichkeiten des Körpers gegen Krankheitserreger, Keime und Bakterien. Erste Erfolge wurden bereits bei der Behandlung von Lepra bekannt. Es empfielt sich die intervallartige Gabe von Interferon-Gamma, da bei Dauergabe sogar negative Effekte auftreten können. Insgesamt ist das Ergebnis der Gabe von Interferon-Gamma bei der Therapie von typischen Hautschäden im Rahmen einer HIV-Infektion als erfreulich zu bewerten. Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß unter der Gabe von Gamma-Interferon eine Zunahme der Tumorbildung die Folge sein kann. Was ist AIDS? Gegen Ende der siebziger Jahre wurden an der amerikanischen Westküste und in New York ein neuartiges Krankheitsbild gesichtet. Aufgrund einer Störung in der Immunabwehr entstanden bei den Patienten vielfältige Krankheitserscheinungen. Die Betroffenen litten unter Lymphknotenschwellungen, Fieberschüben, Gewichtsabnahme, Juckreiz und Haarausfall. Im späteren Verlauf kam es zu Gefäßwucherungen. Betroffen waren nahezu alle Organe. Diese Krankheit wurde als AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrom) bezeichnet. Wegen der Häufung von AIDS bei Homosexuellen, Drogenabhängigen und Empfängern von Bluttransfusionen schloß man auf eine neue Infektionskrankheit. Die Immunschwäche AIDS führt - auch heute noch mit zunehmender Dauer bei 100 Prozent der Betroffenen zum Tod. Im Jahre 1983 entdeckten Wissenschaftler bei infizierten Patienten ein bis dahin unbekanntes Virus. Der entsprechende Antikörper kann seitdem bei AIDS-Patienten nachgewiesen werden. 1986 wurde ein weiteres unbekanntes Virus bei westafrikanischen Patienten entdeckt. Diese beiden Viren wurden als HIV-1 und HIV-2 (HIV = Humane Immundefizienz-Viren) bezeichnet. Ein großes Problem für die Forschung stellt das unterschiedliche Vorkommen der Viren in verschiedenen Zelltypen und das Wachtumsverhalten dar. Die körpereigene Immunabwehr ist mit der Zerstörung dieser Viren überfordert. Über die Übertragung der Viren hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drei Muster entworfen. Am häufigsten findet die Übertragung bei Homosexuellen und Drogenabhängigen, die Spritzbestecke gemeinsam benutzen, statt. An zweiter Stelle steht die Ausbreitung über heterosexuelle Kontakte bei oft wechselnden Partnern. Eine Infektion aus anderen Gründen kommt nur sehr vereinzelt vor. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion des Kindes über die bereits infizierte Mutter wird auf 15 bis 20 Prozent geschätzt. Der Nachweis einer AIDS-Infektion erfolgt in zwei Schritten: einem Suchtest und einem Bestätigungstest Zuerst wird geprüft, ob Antikörper gegen Virusbestandteile vorhanden sind. Liegt ein positives Ergebnis vor, muß 237 dieses bestätigt werden. Bei diesem Schritt lassen sich bereits krankheitstypische Einzelheiten nachweisen. Bei einem positiven Befund ist das entsprechende Labor verpflichtet, dem Bundesgesundheitsamt Meldung über den AIDS-Vorfall zu machen. AIDS-infizierte Patienten werden nach verschiedenen Stadien, die den Zustand der Krankheit beschreiben sollen, eingeteilt. Ärzte unterteilen die Patienten in CDC-Stadien (CDC = Centers for Disease Control). Die Klassifikation beginnt bei I und geht bis IV Eine weitere Unterteilung aufgrund verschiedenartiger Erscheinungen in den Gruppen II und III wird in der Regel vorgenommen. Eine wirkungsvolle Therapie ist zur Zeit nicht bekannt. Ärztliche Maßnahmen beschränken sich darauf, lebensbedrohliche Krankheitserscheinungen zu bekämpfen. Da in den letzten zehn Jahren eine schnelle Ausbreitung der AIDS-Infektion beobachtet wurde, zählt diese Krankheit zu den großen Herausforderungen in der Medizin. Krankheitsvorbeugend kann den Risikogruppen die Empfehlung ausgesprochen werden, bei entsprechenden Sexualkontakten Kondome zu verwenden. Drogenabhängige sind auf die Gefahren des Spritzentausches aufmerksam zu machen. Seiten 14 und 15: News und Hintergrund Rheumamittel „Peroxinorm“ vom Markt genommen Für das Arzneimittel „Peroxinorm“ ordnete das Bundesgesundheitsamt das Ruhen der Zulassung an. Dem BGA wurden über 400 Nebenwirkungen gemeldet. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um „Überempfindlichkeitsstörungen, die einen anaphylaktischen Schock nach sich ziehen können. Auch Meldungen über einzelne Todesfälle wurden der Behörde mitgeteilt. „Peroxinorm“ war bisher für die Behandlung von entzündlichen Arthrosen, der rheumatoiden Arthritis sowie von Entzündungen der Sehnenscheiden, Gelenkkapseln und Schleimbeutel zugelassen. Auch bei Krankheitserscheinungen in der Urologie wurde das Fremdprotein eingesetzt. Bereits 1987 hatte der Pharmahersteller (Grünenthal) dem BGA Maßnahmen zur Verringerung des Risikos für den Patienten vorgeschlagen. Erst nach sieben Jahren handelte die Behörde: „Die Maßnahme des BGA basiert auf unvertretbaren Risiken in der Anwendung des Arzneimittels für Patienten, die in Abwägung zum Nutzen des Präparates über ein in der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.“ Neues Medikament gegen Schlaganfall Der Schlaganfall setzt dann ein, wenn Blutpfropfen die Sauerstoffzufuhr im Gewebe blockieren. Sowie das geschieht, beginnt ein Rennen gegen die Zeit. Der Schlaganfall zählt zu den häufigsten Todesursachen in den Industrieländern. Wissenschaftlern der Universität Texas scheint es nun gelungen zu sein, das dem Schlaganfall folgende Absterben der Hirnzellen zu stoppen. Das neue Medikament heißt Selfotol. In einer Studie mit 32 Patienten fanden die 238 Mediziner heraus, daß behandelte Patienten weniger Folgeschäden zurückbehalten haben als die entsprechende Kontrollgruppe. Als Nebenwirkungen beobachtete man geistige Verwirrung und Halluzinationen. Weitere Mittel gegen den Schlaganfall befinden sich in der Forschungsentwicklung. Immun – Wirtschaft Frischer Wind bei Hoechst mit neuem Chef? Der neue Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Jürgen Dormann, möchte das Riesenunternehmen umstrukturieren. Geplant ist eine Umbesetzung von 14 Personen in der Führungsetage. Ferner soll „künftig schneller entschieden, und Beschlüsse schneller umgesetzt werden“, erläutert der Hilger-Nachfolger Dormann. Die Rendite im Pharmageschäft soll in den nächsten fünf Jahren auf 20 Prozent verdoppelt werden. Dabei sollen Produktionsstandorte geschlossen werden und der Etat für Forschungsprojekte gekürzt werden. Dafür möchten das Frankfurter Unternehmen in das umsatzversprechende Geschäft mit Generika einsteigen. Leser-Podium Teure Gesundheit Ich bin sehr froh für die jeweiligen Aufklärungen über DMSG und BetaInterferon. Endlich Hilfe! Doch entsetzt war ich über die Sendung Gesundheitsmagazin - im Januar. Dort wurde das Beta-Interferon als Hoffnungsträger für MS-Kranke vorgestellt. Es wurde bekannt gegeben, daß dieses Medikament erst in fünf Jahren erhältlich ist, denn die vierjährige Testserie in Amerika kann hier nicht anerkannt werden. Die Menschen, die diese Studie bestimmen, wissen nicht, was diese Zeit für einen Kranken bedeutet. Es geht immer nur um viel Geld und Politik. Ein Professor aus Münster erklärte dann noch, wenn ein Patient an diesem Medikament interessiert sei, würde er Hilfe anbieten. Diese Hilfe kostet privat 25.000 Mark. Wer kann das bezahlen? Nach dem Motto, wer reich ist, kann sich eventuell Gesundheit kaufen. Es ist eine Zumutung, dieses Thema so über den Bildschirm zu schicken. Ich komme mir vor wie ein Ertrinkender, der das nahe Ufer sucht. Die Helfer stehen am Rand und rufen: „Halte durch, Hilfe kommt.“ Nur wann? Mechthilde W., Monheim Selbsthilfe Ich habe MS seit 30 Jahren. Davon 25 Jahre als Soldat. Ein Beruf, in dem man sich schon wegen der Uniform zum „aufrechten Gang“ erzieht. Vor fünf Jahren begriff ich, daß beides nicht miteinander vereinbar war. Ein sorgfältig durchdachter Entschluß zu gehen; Abschied ohne Tränen, nicht ganz, wenn ich ehrlich bin. Frühpensionär, mit 50 Jahren nicht mehr im Berufsleben stehen. An keinen Entscheidungen mehr mitwirken, aber auch den neusten Klatsch nicht mehr erzählt bekommen. Auf diesen Schritt war ich vorbereitet. Ich gab 239 wieder Nachhilfe in Latein, ich hatte auch vor meinem Ausscheiden eine MSSelbsthilfe-Gruppe mit Vereinsstatus gegründet. Inzwischen habe ich meinen Lebensbereich verändert. Letztes Jahr habe ich erneut eine MS-Selbsthilfegruppe (e.V.) gegründet. In Nordbayern ist unsere Gruppe nach kurzem Bestehen schon als aktiv und erfolgreich bekannt. Flucht in die Aktion, meinen Sie? Nein, nur vielleicht. Ich habe nur ein Feld gesucht, in dem ich meine Fähigkeiten auch entsprechend zur Wirkung bringen kann, wo ich von Menschen gebraucht werde. Ab und zu kann ich mich selbst „ausheulen“. Doch meist rettet mich das Bewußtsein, daß ja Haltung gefragt ist. Es ist nicht leicht, aber ich bin froh, daß ich so oft Andere finde, die mir helfen wollen und können. Einander begegnen, einander helfen. Sich gegenseitig helfen wollen und können! Ein wunderbares Gefühl! Klaus E. Josten, Marktredwitz Wer Kontakt zur MS-Selbsthilfe e.V. sucht, wendet sich an: Klaus E. Josten, Riemenschneiderstr. 7, 95615 Marktredwitz, Tel.: 09231/87210. Vorschlag Es wäre gut, wenn die AutoImmun News in der Kopfzeile die Nummer und den Jahrgang enthalten würde. Ludwig F., Offenbach Vielen Dank, wird ab sofort geschehen. Die Red. Fehlt Ihnen etwas? AutoImmun News möchte Sie noch besser, noch vielfältiger und noch gründlicher über Gesundheit, Medizin und Therapie informieren. Wir gehen keiner Krankheit und keinem Problem aus dem Weg. Wir berichten darüber, was die Schulmedizin weiß und was sie wissen sollte, wo in der Wissenschaft geschlafen und wo hellwach nachgedacht wird. Wir brauchen keine Patienten, die ihrem Arzt etwas aus der Regenbogenpresse vorlesen. Wir brauchen auch keine Ärzte, die ihr Unwissen hinter überflüssigem Fachchinesisch verstecken. Wir brauchen informierte Ärzte und Patienten, die auf den aktuellsten Stand sind und über neue Möglichkeiten in der Medizin nachdenken wollen. Wir arbeiten nicht nur mit engagierten Ärzten und Journalisten zusammen, sondern auch mit kompetenten Juristen. Ihr rechtliches Problem nehmen wir gern als Anregung auf, um darüber die AutoImmun News-Leser zu informieren. Dazu sind wir auf Ihre Kritik, Ihre Anregung, Ihre Fragen angewiesen. Schreiben Sie an: Prof. Dr. Niels Franke Verlag AutoImmun News Mommsenstraße 28 10629 Berlin Seiten 16 und 17: 240 „Anne und ich sind eine Einheit und haben zusammen eine Krankheit“ Schwerstkranke Mitmenschen sind von dem Wohlwollen ihrer Umwelt vollkommen abhängig. Ihnen wird oft das Gefühl vermittelt, eine Last zu sein. Es geht auch anders. Wenn über Erkrankungen geredet wird, fällt häufig eine Gruppe von Betroffenen unter den Tisch: Dabei handelt es sich um die schwersten Fälle, Menschen, die vollkommen von der Pflege anderer Menschen abhängig sind. Ärzte und Patientenvertretungen zeigen die erforderliche Dosis Mitleid, sind aber froh, wenn sie diese Patienten nicht länger sehen müssen. In den meisten Fällen werden diese Menschen von Angehörigen betreut. Der Staat verläßt sich darauf, denn es würde ihn eine riesige Stange Geld kosten, diese Kranken menschenwürdig zu pflegen. Einen Dank erhalten die Angehörigen nicht. Ein bemerkenswerter Fall von Betreuung ist aus der niedersächsischen Kleinstadt Bad Nenndorf zu bekannt. Dort leben in einem großzügigen Haus der gelernte Maurer und ehemalige Matrose Heribert Schulte (53) und seine Frau Anne Boule (50) zusammen. Die Baustoffkauffrau Anne leidet seit 1975 an Multipler Sklerose und ist heute schwer von dieser Krankheit gezeichnet. Heribert über Anne: „Das einzige was sie noch bewegen kann, ist ihre Zunge. Die Augen haben noch eine Sehfähigkeit von rund 30 Prozent.“ Die beiden lernten sich 1979 während einer Kur kennen. Anne ging es damals noch verhältnismäßig gut. Heribert heute: „Ich wußte sehr schnell, was MS bedeutet. Ich wußte auch, was noch kommen kann. Aber ich habe von Anfang an unterschieden zwischen Anne und der Krankheit. Es war für uns immer klar, daß wir beide eine Einheit sind und zusammen eine Krankheit haben.“ Annes Krankheit spielte keine große Rolle für Heribert. „Das war auch vollkommen unbedeutend für uns beide. Als ich zu Anne sagte: 'Ich liebe Dich', habe ich nicht die Einschränkung gebraucht, solange Du noch laufen kannst“ erinnert sich Heribert. Doch die Krankheit ging weiter voran. Ab 1985 mußte Anne den Rollstuhl benutzen. „Das war eine schlimme Zeit“, berichtet der geborene Soester: „Anne konnte noch relativ gut gehen. Ärzte schwatzten uns eine Imurek-Therapie auf. Man sagte uns, dieses Medikament hätte keine Nebenwirkungen. Anne versuchte es und von da an setzte eine enorme Verschlechterung ein. Das Zeug trieb sie in den Rollstuhl.“ Heribert lebt heute weitestgehend für Anne. Er pflegt sie, dreht sie nachts im Bett um, macht Ausflüge und sucht neue Therapiemöglichkeiten, die einen Hoffnungsschimmer bewirken könnten. Aber auch seine Lebensgeschichte ist von einer Krankheit gezeichnet. Heribert ist Alkoholiker. 1978, noch bevor er Anne kennenlernte, überwand er die Alkoholabhängigkeit. Seitdem ist Heribert trocken. „Ich erkannte eines Morgens, daß ich nicht mehr lange leben würde, wenn ich weiter saufen würde. Der Entschluß, diese Droge nicht mehr zu nehmen, war gefaßt. Hilfe erhielt ich vom Guttempler-Orden. Dieser Orden vertritt eine abstinente Lebensweise, also ein Leben ohne Drogen und Medikamente. Wenn mich heute Leute auf meine Sucht ansprechen, sage ich ihnen immer: Wer den Beruf 'Mensch' zu sein ausübt, hat auch das Recht, Fehler zu machen.“ Wer die beiden in Bad Nenndorf besucht, hat nicht den Eindruck, daß sich dort eine Leidensgeschichte abspielt. Das Leben bei Anne und Heribert ist 241 fröhlich und optimistisch. Natürlich stellen sich mit zunehmender Krankheit Dinge ein, die nachdenklich stimmen. Heribert: „Viele Bekannte lassen sich nicht mehr sehen bei uns. Offenbar stört sie Annes Zustand. Auch das aufgesetzte Mitleid vieler Mitmenschen empfinde ich als falsch. Dagegen wird eine Berufsgruppe immer freundlicher: die Bestattungsunternehmer. Graulen tut es mir vor der DMSG, die sich das Helfen sichtbar auf die Fahne geheftet hat, aber aufgrund verkrusteter Strukturen zur wirklichen Hilfe nicht fähig ist. Das bringt uns nicht aus der Ruhe, denn unser Motto lautet: Wir leben gern!“ Urteile und Tips für Patient und Arzt Der praktische Tip: Vorläufiger Parkausweis für Schwerbehinderte Schwerbehinderte mit einer Beeinträchtigung ihrer Geh- und/oder Stehfähigkeit sind meist auf Parkerleichterungen angewiesen. Fälschlicherweise wird häufig angenommen, daß hierfür der Schwerbehindertenausweis ausreicht, dies ist jedoch nicht der Fall. Auch der Zusatz „aG“ (außergewöhnlich gehbehindert) allein berechtigt noch nicht zur Inanspruchnahme der Parkerleichterungen. Es ist vielmehr notwendig, daß man einen sogenannten Parkausweis beantragt. Zuständig ist das örtliche Straßenverkehrsaufsichtsamt. Dieses erteilt den Parkausweis bei Vorlage des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkmal „aG“. Dieses Merkmal muß beim Versorgungsamt beantragt werden. Bis zur Bescheidung kann es allerdings bis zu einem halben Jahr dauern. Leider gibt es hier häufig Schwierigkeiten. Oft wird ein Widerspruchsverfahren und manchmal auch eine Klage vor dem Sozialgericht notwendig. In diesem Falle gibt es die Möglichkeit, beim zuständigen Straßenverkehrsaufsichtsamt die Ausstellung eines vorläufigen Parkausweises zu beantragen. Dafür benötigt man ein ärztliches Attest, welches die gesundheitlichen Gründe aufführt, die die Erteilung eines vorläufigen Ausweises notwendig machen. Ferner sollte man einen Nachweis beifügen, daß beim Versorgungsamt ein Antrag auf Erteilung des Merkmals „aG“ gestellt wurde. Eine Bestätigung erhält man meist unaufgefordert vom Versorgungsamt. Die Straßenverkehrsämter geben dem Antrag in aller Regel zügig (innerhalb einer Woche) statt. Die Gültigkeit beträgt meist ein halbes Jahr und kann nach Ablauf verlängert werden. Jutta Sturm-Heidler Approbationsentzug bei Ärzten und Apothekern nach gleichem Maßstab Ärzte und Apotheker sind nach gleichem Maßstab zu beurteilen, zumindest wenn es darum geht, ihnen die Approbation wegen „Berufsunwürdigkeit“ zu entziehen. „Berufsunwürdig“ sind beide Berufsangehörige, wenn sie das zur Berufsausübung erforderliche Ansehen und Vertrauen nachteilig schädigen. Dies kann bereits durch ein einmaliges Fehlverhalten gerechtfertigt sein, wenn dieses als erheblich schwer einzustufen ist. Dem Oberverwaltungsgericht Hamburg lag ein Fall zur Entscheidung vor, bei dem ein Apotheker verbotenen Handel mit Betäubungsmitteln betrieb. Darin sahen die Richter nicht nur „berufsunwürdiges“ Handeln, sondern auch die 242 fehlende „Zuverlässigkeit“, die für die Berufsausübung gewährleistet sein muß. (OVG Hamburg - Bf VI 14/92) Seiten 18 und 19: Gesucht und entdeckt Die Kaltwasserkur des katholischen Pfarrers Sebastian Kneipp (1821-1897) ist auch heute noch ein allseits bekannter Mann. Die Kneipp-Kur lebt noch heute. Die Medizin hat sie, wie Sebastian Kneipp von Anfang an forderte, in ihren breiten Heilschatz überführt und ihr eine exakte, wissenschaftliche, allgemeingültige Grundlage gegeben. Sie wird heute immer häufiger bei Erschöpfungszuständen, Fehlsteuerungen des Vegetativen Nervensystems, Kreislaufschwächen, Krankheiten der Atemwege oder der Verdauungsorgane, Rheuma, Stoffwechselstörungen und Ähnlichem eingesetzt, um diese zu beheben. Die Kneipp-Kur leistet mit ihren individuell abzustimmenden elementaren Reizanwendungen wie Licht, Luft, Sonne, Kälte, Wärme, Bewegung, Ruhe, Diät und ihren hydrotherapeutischen Maßnahmen wie Güssen, Waschungen, Bädern, Barfußlaufen und Klistieren unschätzbare Dienste für den erkrankten Menschen. Der Weberssohn Sebastian Kneipp aus Stefansried bei Ottobeuren im Schwäbischen hatte unter größten Entbehrungen und größter Mühe das Abitur geschafft und war in das bischöfliche Klerikalseminar aufgenommen worden, um sich auf das Theologiestudium an der Universität vorzubereiten. Der 27 Jahre alte Kneipp war ein Bücherfreund. Eines Tages las er in einem längst vergessenen Buch eines Dr. Johann Sigmund Hahn, das 1740 erstmals erschienen war, und den langatmigen Titel hatte: „Unterricht von der wunderbaren Heilkraft des frischen Wassers“. Er erfuhr darin von den erwärmenden, belebenden, stärkenden, erfrischenden und auflösenden Kräften des kalten Wassers, durch die beinahe alle Unpässlichkeiten beseitigt werden können. „Auch Bluthusten und Fieber?“ schoß es Kneipp plötzlich durch den Kopf, da er selbst seit seiner Kindheit an diesen lästigen Erscheinungen litt. Er blätterte weiter und fand bei der Aufzählung einiger Krankheiten, bei denen Kaltwasser Heilung bewirkt haben sollte, auch seine Unpässlichkeiten beschrieben: Brustschwäche oder Lungensucht, wie der damalige medizinische Ausdruck war. Es fiel ihm auch eine Kindheitserinnerung ein. Als Hirtenjunge war ihm eine Kuh beim Gang an dieTränke mit einem Bein in ein Erdloch geraten und hatte sich dabei verletzt, so daß sie sich nur noch unwillig zum Wasser schleppte. Dort angekommen, trat sie mitten in das kühle Nass und blieb dort, sichtlich erquickt, stehen, auch als die anderen Kühe bereits wieder hinausliefen. Als er am Abend die Tiere in die Ställe zurückgeleitete, lahmte die usprünglich verletzte Kuh kaum noch. Er entschloß sich, selbst eine Kaltwaserkur nach Dr. Johann Sigmund Hahn durchzuführen: Morgens, mittags und abends wusch er sich die Brust kalt ab und rieb sie dann mit einem Frottiertuch trocken, bis die Haut schließlich rot anlief. Außerdem trank er in großen Mengen Wasser. Nach drei Monaten fühlte er keine Besserung, aber auch keine Verschlechterung. 243 Er führte die Kur weiter durch. In den Ferien wanderte er morgens barfuß auf den taufrischen Wiesen des heimatlichen Dorfes, stellte sich nackt bis zu den Knien in die Donau, hockte sich, bis die Kälte ihn zurück ans Ufer jagte. Dann geschah die Heilung: Seine Stimme wurde kräftiger, der Husten ließ nach und er spuckte auch kein Blut mehr. Der erste Patient des „Wasserdoktors Sebastian Kneipp“ war ein Studienkollege, der auch die Lungensucht hatte. Als Kneipp Priester wurde, war seine berühmte Praxis in Wörishofen. Wenn er sich außerhalb der Ortschaft befand, lief er grundsätzlich barfuß, damit seine Füße atmen konnten, wie er selbst sagte. Am 17. Juni 1897, einen Monat nach seinem 76. Geburtstag, starb Sebastian Kneipp, arm, wie er auch geboren wurde. Kathrin-Annette Wollschlaeger Medizin-Lexikon Medizinsche Fachbegriffe stellen oft ein Verständnisproblem für den Leser dar. Von nun an werden wir medizinische Fremdwörter und Fachausdrücke erklären. Die im Heft kursiv gedruckten Begriffe können im Medizin-Lexikon nachgelesen werden. Sie sind hier in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, damit sie schneller auffindbar sind. Anaphylaktischer Schock: Oft tödlich verlaufender Schock infolge Überempfindlichkeit gegenüber wiederholter injizierter Zufuhr des selben Eiweißkörpers unter Umgehung des Magen-Darm-Kanals. Disseminatus: Verbreitung von Krankheitserregern oder -erscheinungen über ein größeres Gebiet. Evozierte Potentiale: Meßverfahren, das ableitbare Reizantworten des zentralen Nervensystems auf bestimmte äußerliche Reize darstellt. Furunkulose: Auftreten einzelner oder mehrerer eitriger Entzündungen an verschiedenen Körperteilen bei abwehrgeschwächten Personen. Generika: Arzneimittel, die nicht nach dem geschützen Warenzeichen benannt sind, sondern die chemische Kurzbezeichnung tragen. Hämatom: Ansammlung von Blut außerhalb der Blutbahn in den Weichteilen. Hydrotherapeutisch: Hydrotherapie: Heilanwendungen mit Wasser, d. h. Waschungen, Bäder, Güsse und Dämpfe zur Aktivierung des Nervensystems, des Stoffwechsels und des Wärmehaushalts. Immunsuppressivum: Arznei zur Abschwächung oder Unterdrückung einer Immunreaktion. Klistieren: Einlaufenlassen oder auch Einspritzen von größeren Flüssigkeitsmengen in den Mastdarm zur Darmspülung und Anregung zur Darmentleerung bei Verstopfung. Korrelation: 244 Verhältnis oder Beziehung. Läsion: Bezeichnug für eine Verletzung oder Störung eines Körpergliedes oder Organs. Bei der MS werden auch Herde so genannt. Ödem: Ansammlung von Flüssigkeit in Interzellularräumen nach Austritt aus Gefäßen infolge von Eiweißmangel oder Durchblutungsstörungen. Sensitivität: Fähigkeit eines Tests, Personen mit der fraglichen Krankheit vollständig aus der Gruppe der Untersuchten herauszufiltern. T-Lymphozyten: Lymphozyten sind weiße Blutkörperchen mit körnigem Plasma. Sie entstehen im Gewebe und kommen u. a. auch im Knochenmark vor. T-Lymphozyten werden in der Thymusdrüse gebildet. 8.5 „Autoimmun News“ Nr. 4 von August/September 1994 Seite 2: Autoimmunerkrankungen - auch eine journalistische Herausforderung Liebe Leser, mit dieser Ausgabe werden wir viele neue Leser begrüßen dürfen. Deshalb erscheint es uns notwendig, die AutoImmun News noch einmal vorzustellen. Begonnen hat unsere Arbeit mit der Informationen über Multiple Sklerose (MS). Prof. Dr. Niels Franke, der unter dieser Krankheit litt, entdeckte durch einen Selbstversuch ein Medikament zur Behandlung der MS. Die Substanz Deoxyspergualin (DSG) brachte den Krankheitsverlauf zum Stillstand. Ein Pharmaunternehmen prüfte das Medikament in einer Doppelblindstudie und stellte schon nach kurzer Zeit fest, daß sich Frankes Vermutungen bestätigt haben. Ein Eilantrag beim Bundesgesundheitsamt wird dafür sorgen, daß das Medikament möglichst bald vielen MS-Kranken helfen kann. Auf diesen Weg stellte Franke fest, daß es unter Betroffenen und auch Ärzten enorme Wissenslücken über die MS und weitere Therapiemöglichkeiten gibt. Sachkundige Informationen gab es nicht oder wurden sogar gezielt zurückgehalten. Heute können wir glücklicherweise feststellen, daß sich dieses patientenschädliche Verhalten nur im Bereich der Multiplen Sklerose etablieren konnte. Im Sommer 1993 stellten sich deshalb ein paar Journalisten und Mediziner der Herausforderung, die Informationslücken zu füllen. Inzwischen berichten wir aktuell über sämtliche Entwicklungen im Bereich der Medizin. Am meisten interessieren uns die Autoimmunerkrankungen, denn dort herrscht auch der größte Informationsbedarf. Da es sehr viel zu berichten gibt, werden wir in Zukunft die AutoImmun News erweitern. Unsere obersten Ziele bleiben aber weiterhin: sachliche und aktuelle Berichterstattung sowie eine Sprache, die auch der betroffene Patient versteht. Wir wünschen uns, wenn Sie - liebe Leser - die AutoImmun News auch als Ihre Zeitschrift verstehen würden. Schreiben Sie uns: was Sie stört, was Sie vermissen, welches Heilverfahren Sie interessiert, ob Sie mit der 245 Gesundheitspolitik einverstanden sind, oder ob Sie als Arzt Probleme mit der Krankenkasse haben. Ganz einfach, wir wollen Ihre Meinung hören. Noch etwas in eigener Sache: Redaktion und Verlag sind umgezogen, die neue Adresse lautet: Prof. Dr. Niels Franke Verlag, Redaktion AutoImmun News, Mommsenstraße 28, 10629 Berlin. Ihre Redaktion Seiten 3,4,5 und 6: Wunderwaffe Interferone? Immer wieder wird über Interferone gesprochen. Es sind Wellen zwischen Hoffnung und Resignation. Seit den 50er Jahren sind sie bekannt. Man unterteilt sie in Alpha-, Beta- und Gamma-Interferone. Sie wurden bisher bei fast allen Krankheiten ausprobiert, die den Menschen zu schaffen machen und gegen die die Medizin bisher relativ wenig zu bieten hatte. AutoImmun News interessierte der aktuelle Stand der Interferonforschung. Die Entdeckungsgeschichte der Interferone klingt faszienierend. In den 50er Jahren stellten sich ein britischer Virologe und ein Schweizer Arzt folgende Frage: „Warum werden Wirbeltiere oder der Mensch nicht von zwei Viruserkrankungen gleichzeitig überfallen?“ Eigentlich wäre es doch logisch, daß der durch einen Virus geschwächte Körper einem zweiten Virus keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen kann. Vielmehr müßte der Körper von mehreren Viren gleichzeitig befallen werden. Zur Beantwortung dieser Frage experimentierten die beiden Forscher mit Hühnerzellen und Grippeviren. Zellen eines befruchteten Hühnereis wurden mit Grippeviren infiziert. Die Viren drangen in die Zelle ein und vermehrten sich dort. Kurz darauf wurden Zellen und Viren entfernt. Die zurückbleibende Kulturflüssigkeit wurde auf nicht infizierte Zellen gegossen. Nun infizierte man diese Zellen wieder mit Viren. Es zeigte sich, daß die Viren in die neuen Zellen nicht eindrangen und sich somit auch nicht vermehren konnten. Die Schlußfolgerung aus diesem Experiment mußte somit lauten: Die alten Hühnerzellen geben einen Stoff ab, der die neuen Hühnerzellen zuverlässig vor dem Angriff von Viren schützt. Einsatz in der Medizin Die Entdeckung des ersten Interferons löste einen Forschungsboom aus. Insgesamt sind heute über 25 Interferone bekannt. Sie werden aufgrund ihrer antigenen Eigenschaft in Alpha-, Beta- und Gamma-Interferone unterteilt. Ihre chemische Struktur ist sehr kompliziert. Zum Beispiel besteht das BetaInterferon des Menschen aus 165 einzelnen Bausteinen und Aminosäuren. Von den Eigenschaften her handelt es sich um ein Eiweiß oder Protein. Auch die Häufigkeit der Interferone in den einzelnen Hauptgruppen ist unterschiedlich. Es gibt zahlreiche Alpha-Interferone aber nur ein einziges Beta-Interferon. Das Gamma-Interferon ist von seiner Art her nicht mit den beiden anderen verwandt. Heute kennen wir eine ganze Reihe von den Interferonen gleichzusetzenden Stoffen, die alle im menschlichen Körper natürlich vorkommen. Nach genauer Analyse erhielten sie die Benennung 246 Interleukin und eine laufende Nummerierung. Die Bezeichnung Interleukine 1,2 und 3 sind für die Interferone vorbehalten, aber aus historischen Gründen behalten sie ihren Namen „Interferone“. In der Medizin hoffte man durch den Einsatz der Interferone nicht nur Viruserkrankungen, sondern auch bestimmte Tumorarten erfolgreich zu behandeln. Anfang der 80er Jahre starteten eine Reihe von klinischen Untersuchungen. Hier nur einige Beispiele: Verschiedene Interferone bei der Behandlung von Leukämie, Brustkrebs und weitere Tumore und Karzinome. Der Durchbruch gelang nie, obwohl bestimmte Interferone inzwischen bei einzelnen Therapien einen gewißen Stellenwert haben. Die wohl interessanteste Entwicklung ist bei der Therapie der Multiplen Sklerose mit Beta-Interferon zu beobachten. Alpha-Interferon bei Haarzell-Leukämie Das Alpha-Interferon besitzt 24 Subtypen, die alle von den weißen Blutkörperchen gebildet werden. Die einzelnen Wirkungen dieser Subgruppen sind noch unbekannt. Eine erfreuliche Wirkung zeigt ein bestimmtes Alpha-Interferon bei der Therapie der Haarzell-Leukämie, einer seltenen bösartigen Erkrankung der weißen Blutzellen. Bisher mußte dabei häufig die Milz entfernt werden. Durch das Alpha-Interferon kann in 90 Prozent der Fälle die Krankheit unterdrückt werden. Auch bei der Behandlung von sogenannten Feigwarzen scheint die InterferonTherapie gute Erfolge aufweisen zu können. Neuerdings wird wieder darüber nachgedacht, Alpha-Interferone auch bei der Multiplen Sklerose einzusetzen. Bei AIDS-Kranken entsteht häufig eine bestimmte Krebsform, das KaposiSarkom. Durch die Gabe von Alpha-Interferon ist es bisher bei etwa 40 Prozent der Patienten zu einer Rückbildung dieser bösartigen Krebsform gekommen. Beta-Interferon bei Multipler Sklerose Die Behandlung der Multiplen Sklerose mit Beta-Interferon ist keine Neuheit. Bereits 1979 wurde die erste Studie mit natürlichem Beta-Interferon durchgeführt. Das Ergebnis bestand in einer Senkung der Schubraten bei Patienten mit einer schubförmigen MS. Auch weitere Studien kamen meistens zum gleichen Ergebnis. Beta-Interferon hat einen Einfluß auf die Schubrate der MS. Allerdings konnte eine Verbesserung des Behinderungsgrades bei den Patienten nicht beobachtet werden. In einer italienischen Studie wurde sogar eine Zunahme der Schubfrequenz beobachtet. Die USA-Studie Die bislang aufwendigste Studie mit Beta-Interferon wurde 1988 in den USA von dem Berliner Pharmaunternehmen Schering AG begonnen. Die Ergebnisse führten zu einer Zulassung des Medikaments in den USA. Insgesamt wurden bei dieser Studie 372 Patienten rekrutiert. Die Teilnehmer mußten unter einer schubförmigen MS leiden, mindestens zwei Schübe in zwei Jahren bekommen und noch gehfähig sein. Danach wurden sie per Los 247 in drei Gruppen aufgeteilt: Die eine erhielt ein Scheinpräparat (Plazebo), die zweite 1,6 Mio IU (Millionen Einheiten) und die dritte 8 Mio. IU Beta-Interferon. Jeden zweiten Tag mußten sich die Patienten selbst das Plazebo oder BetaInterferon unter die Haut spritzen. Über einen Zeitraum von zwei bzw. drei Jahren wurden Messungen bei den Patienten durchgeführt. Natürlich interessierten sich die Wissenschaftler für die Anzahl der auftretenden Schübe und deren Schwere, aber auch die schubfreie Zeit wurde gemessen. Neben der klinischen Untersuchung wurden die Patienten regelmäßig kernspintomographisch beobachtet. Nach der Auswertung der Daten erkannte man, daß sich der Zeitraum zwischen den Schüben unter der Gabe von Beta-Interferon (8 Mio. IU) vergrößert hatte. Die Patienten der hochdosierten Gruppe hatten nur noch 0,84 Schübe pro Jahr. Dagegen mußten die Plazebo-Patienten noch ganze 1,27 Schübe pro Jahr hinnehmen. Behinderungsgrad blieb unverändert Im klinischen Bereich tat sich überhaupt nichts. Der Behinderungsgrad der Patienten blieb in allen drei Gruppen gleich. Den unter Multiple Sklerose leidenden Menschen konnte keine Erleichterung verschafft werden. Auch das erfreuliche Ergebnis der kernspintomographischen Auswertung - die Herde verringerten sich in ihrer Gesamtfläche unter der Gabe von 8 Mio. IU - muß mit Vorsicht bewertet werden (vergleiche AutoImmun News 3/94, Seite 7). Eine Beziehung zwischen Schubschwere- und dauer sowie gemessenen Herden in Gehirn und Rückenmark konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Nebenwirkungen der Beta-Interferon Therapie sind nicht bedrohlich, stellen für einen MS-Kranken aber dennoch eine erhebliche Belastung dar. Beobachtet wurden grippeähnliche Symptome wie Fieber, Gelenkschmerzen, Schüttelfrost und Kopfschmerzen. Ferner traten Schwindelgefühle und Übelkeit auf. Eine Perspektive? Betrachtet man die derzeitigen Therapiemöglichkeiten der MS, so gehört das Beta-Interferon durchaus zu den diskutablen Therapieansätzen. Natürlich gelten die Ergebnisse der USA-Studie nur für die schubförmige MS. Erfahrungen über die Anwendung bei der chronisch-progredienten Verlaufsform liegen zwar vor, sind aber noch nicht durch eine große klinische Studie abgesichert worden. Schering plant eine solche Studie, doch es wird noch sehr viel Zeit vergehen. In der Zukunft wird man sich intensiver mit Beta-Interferon befassen. Ansätze sind vorhanden. Zum Beispiel fand der Interferon-Experte Dr. Hans-Joachim Obert heraus, daß ein fein abgestimmter Dosierungsplan mit niedrigen Mengen, aber in verschieden Intervallen zu den gleichen positiven Ergebnissen führt wie die Hochdosierung. Damit lassen sich die Nebenwirkungen stark reduzieren. Die Erfolgsaussichten einer MS-Therapie mit Beta-Interferon lassen sich in Zukunft sicherlich noch verbessern. Wer jetzt eine Therapie versuchen möchte, muß leider noch tief in den Geldbeutel greifen. Das Medikament ist in 248 Deutschland noch nicht zugelassen. Eine Therapie mit Privatrezept ist aber möglich. Gamma-Interferon bei Rheuma und anderen Krankheiten Die chronische Polyarthritis oder rheumatoide Arthritis ist eine chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch schubweise, schmerzhafte Schwellungen und die Einschränkung der Funktion der Gelenke. Fast alle Gelenke können erkranken. Im Krankheitsverlauf werden die Gelenkstrukturen weitgehend zerstört. Seit 1983 wird versucht, die rheumatoide Arthritis mit Gamma-Interferon zu beeinflussen. Das Medikament ist ein Eiweißstoff, der im menschlichen Körper natürlich gebildet wird und absolut artspezifisch wirkt, das heißt menschliches Gamma-Interferon wirkt nur beim Menschen, nicht beim Tier. Gentechnische Herstellung Heute wird die Substanz mit gentechnischen Methoden hergestellt, was gegenüber der früher aus menschlichen Blutzellen gewonnen Substanz erhebliche Vorteile bietet. Das Präparat ist hochrein und die Gefahr der Verunreinigung durch Krankheitserreger besteht nicht mehr. Antikörper gegen den Wirkstoff werden nicht gebildet. Das bewährte Dosierungsschema beginnt mit einer höheren Dosis, diese wird allmählich gesenkt und auf einem patientenspezifisch niedrigen Niveau beibehalten. Die Therapie erfordert von Patient und Arzt sehr viel Einfühlungsvermögen. Ganz unbekannt ist die Therapie mit Gamma-Interferon bei der rheumatoiden Arthritis nicht. Alleine an der jüngsten klinischen Studie, deren Ergebnisse 1992 veröffentlicht wurden, nahmen unter Leitung und Kontrolle der MaxPlanck-Gesellschaft 16 deutsche Kliniken teil. Die Studie wurde vom Bonner Forschungsminister finanziert. Insgesamt sind bereits über 1000 Patienten im Rahmen einer klinischen Studie mit Gamma Interferon bei rheumatoider Arthritis behandelt worden. Klinische Verbesserungen Die Studienergebnisse klingen erfreulich. „Gamma-Interferon verringert die Schmerzen in den Gelenken, verbessert die Funktion der Gelenke und ermöglicht somit, daß das tägliche Leben erträglicher wird“, erläutert der Interferon-Experte Dr. Hans-Joachim Obert. Die Liste der positiven Effekte läßt sich weiter fortsetzen. Obert, der sich seit 1978 mit Interferonen beschäftigt und heute für den wissenschaftlichen Beirat der Firma Serono Pharma forscht, beschreibt die Wirkungen weiter: „Es wurde eine Stärkung der Hand beim Greifen beobachtet, die Dauer der morgendlichen Bewegungsunfähigkeit wurde verkürzt und der Kortisonverbrauch konnte gesenkt oder gar abgesetzt werden.“ Mit dem Gamma-Interferon bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis hat man sicher nicht die ultimative Therapie entdeckt, aber zumindest läßt sich der Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Mit dem Medikament Polyferon steht den Patienten die Möglichkeit offen, sich mit Gamma-Interferon behandeln zu lassen. „Vor zu großer Euphorie“ warnt der Rheuma-Experte Prof. Dr. med. Martin Franke aus Baden-Baden: „Man darf nicht vergessen, daß die Patienten lange Zeit an der Nadel hängen. Außerdem erfüllt die Ansprechrate bei den jeweiligen Patienten nicht die erhofften Erwartungen.“ 249 Nebenwirkungen Im Rahmen der klinischen Studien wurden Nebenwirkungen beobachtet. Sie treten aber nur am Anfang der Therapie auf und verschwinden während der ersten Wochen oder Monate. Zu erwarten sind Fieber, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Wärmegefühle und auch Schüttelfrost. Obert faßt das Kapitel Nebenwirkungen mit den Worten zusammen: „Interferon-Gamma ist einer der am besten verträglichen Wirkstoffe in der Rheumabehandlung.“ MS und andere Krankheiten Gamma-Interferon wurde auch bei anderen Krankheiten ausprobiert. Jüngst zeigte die Substanz bei der Behandlung von Hauterscheinungen AIDSErkrankter positive Ergebnisse (vergleiche AutoImmun News 3/94, Seite 12). Die typischen Hautausschläge bildeten sich während der Therapie zurück. Die Patienten haben die Therapie gut vertragen. Auch bei der Hepatitis B wurden Versuche mit Gamma-Interferon durchgeführt. Der Durchbruch scheint aber nicht gelungen zu sein. Für MS eignet sich Interferon-Gamma nicht. Die Ergebnisse einer Studie führten zu einem katastrophalen Ergebnis. Gamma-Interferon löst bei den unter einem schubförmigen Verlauf leidenden Patienten neue Schübe aus. Wenn Sie Fragen zu den Interferonen haben, schreiben Sie an: Prof. Dr. Niels Franke Verlag Red. AutoImmun News Mommsenstraße 28 10629 Berlin Seite 7: AutoImmun News-Herausgeber Prof. Dr. Niels Franke über den Eilzulassungsantrag der Behringwerke von Deoxyspergualin (DSG) bei Multipler Sklerose: „DSG auch bei anderen Krankenheiten probieren!“ Ein Eilantrag auf Zulassung von 15+Deoxyspergualin als Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose ist im Mai 1994 von den Behringwerken (Hoechst) gestellt worden. Die durchgeführte Doppelblindstudie hatte bei einem Teil der Patienten bereits nach einem halben Jahr positive klinische Ergebnisse gezeigt, die nach einem Jahr immer noch nachweisbar waren. Dies alleine ist eine Sensation. Es ist das erste Medikament, bei dem ein klinischer Einfluß auf den Verlauf der MS nachgewiesen werden konnte. Ferner wurde die Harmlosigkeit der Substanz bestätigt - die substanzbezogenen Nebenwirkungen waren nicht schwerwiegend. Damit habe ich zweifellos auch einen persönlichen Erfolg errungen - ich habe selbst eine Multiple Sklerose - habe das Medikament Deoxyspergualin 1989 bei mir erprobt, die positiven Wirkungen gespürt und mich gegen alle Widerstände für eine Überprüfung der Wirkung bei anderen Kranken eingesetzt. 250 Mein Engagement hat sich für alle MS-Kranken gelohnt. Mein erstes Ziel - die Verfügbarkeit von DSG für alle Kranke - ist erreicht. Aber es war nur ein erstes Zwischenspiel, viele wissenschaftliche Fragen bleiben nach wie vor ungelöst: Die optimale Dosierung, die Zeitdauer der Gabe, der Wirkmechanismus, die Grenzen der Wirkung, die Kombination mit anderen Medikamenten, die Wirksamkeit bei anderen Autoimmunkrankheiten. Da ich die Hoffnungslosigkeit der Patienten mit Autoimmunkrankheiten als MS-Kranker am eigenem Leib gespürt habe, möchte ich jetzt meine ganze Kraft einsetzen, um zur Lösung dieser Fragen in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern beizutragen. Ich bin der festen Überzeugung, daß unsere Kenntnisse über die Krankheit Multiple Sklerose nur durch klinische Erfahrungen mit neuen Medikamenten erfolgen kann. Dabei muß in einem nachfolgenden Prozeß der jeweilige Wirkungsmechanismus untersucht werden. Bei diesem Klärungsprozeß sind auch gezielte Tierversuche notwendig und sinnvoll. Die jetzige MS-Forschung hat bisher keine Frage klären können. Ferner hat sich die Forschung bei der Entwicklung des hilfreichen Medikamentes DSG wenig hilfreich gezeigt. Die gesamte Forschungsrichtung war bisher offenbar falsch. Erst ein MS-kranker Arzt mußte den Forschern einen Weg zu einem wirksamen Medikament zeigen. Die Erforschung der Autoimmkrankheiten kann wieder etwas optimistischer in die Zukunft blicken. Neben DSG existieren noch mehrere Medikamente, die bisher bei erkrankten Menschen kaum ausprobiert wurden, aber deren Anwendung durchaus sinnvoll erscheint. Eines dieser Medikamente heißt Leflunomid (vergleiche AutoImmun News 3/93, Seite 7). Jetzt ist es zunächst sehr wichtig, DSG auch bei Patienten mit anderen Autoimmunkrankheiten zu erproben. Ich denke dabei an das entzündliche Gelenkrheuma, den Lupus erythematodes (LE) und viele andere Krankheiten. Hierbei kommt es natürlich auch auf die nötigen Dosierungen und Intervalle an. DSG ist kein Wundermittel. Es ist aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Niels Franke Seiten 8 und 9: News und Hintergrund Neue Labortechnik verunsichert Schwangere Die PCR-Methode (PCR = Polymerase Kettenreaktion) ist eine molekularbiologische Labortechnik zum Nachweis einer frischen ToxoplasmaInfektion. Toxoplasmose wird durch den einzelligen Parasiten „Toxoplasma gondii“ ausgelöst. Geschieht dies erstmalig während einer Schwangerschaft, so kann der Erreger in der Hälfte der Fälle auf das Ungeborene übergehen. Bei einem Teil dieser Fälle wird das Kind geschädigt oder es kommt zu Fehlgeburten. In der Bundesrepublik rechnet man jährlich mit etwa 1700 Fällen. Da die meisten Infektionen ohne Krankheitszeichen für Schwangeren verlaufen, aber dennoch das ungeborene Kind gefährden, kann eine serologische Untersuchung aller Schwangeren sinnvoll sein. PCR eignet sich aber nicht als Routinemethode im Rahmen der Schwangerenvorsorge, denn bisher erreichte Ergebnisse dieser störanfälligen 251 Technik sind wiedersprüchlich: sie lassen noch keinen sicheren Schluß zu, ob eine für das ungeborene Kind gefährliche Toxoplasmose besteht oder nicht. Ärzte und Schwangere können durch PCR-Ergebnisse zu Unrecht eine Toxoplasma-Infektion annehmen. Das kann verunsichern und im schlimmsten Fall dazu führen, daß eine Frau die Abtreibung anstrebt. Die üblichen Methoden weisen Antikörper im Blut nach und erlauben damit einen sicheren Nachweis frischer Infektionen oder deren Ausschluß. In einzelnen, unklaren Fällen ist dann zusätzlich von der PCR-Methode allenfalls eine größere diagnostische Sicherheit zu erwarten. Kein Amalgam für Ungeborene Quecksilber aus Amalgam-Zahnfüllungen schwangerer Frauen wird über die Plazenta auf das ungeborene Kind übertragen. Es gibt bisher zwar keinen wissenschaftlich begründeten Verdacht auf eine Schädigung von Feten und Babys durch eine Amalgambelastung der Mutter. Trotzdem sollte bei Zahnfüllungen während einer Schwangerschaft auf Füllungskunststoffe ausgewichen werden: der frühkindliche Organismus könnte empfindlicher auf Quecksilber reagieren. Bestehende Füllungen sollte man nicht entfernen lassen, wenn keine konkreten Beschwerden vorliegen: das könnte zu einer höheren Quecksilberbelastung führen, als das Tragen klinisch einwandfreier Amalgamfüllungen. Rohkost für Allergiker problematisch Man schätzt die Zahl der echten Lebensmittelallergiker auf unter fünf Prozent der Bundesbürger. Für sie ist der einzige Schutz: das allergieauslösende Lebensmittel zu vermeiden. Auslösende Stoffe sind Überwiegend Eiweiße. Als natürlicher Bestandteil vieler bekannter Lebensmittel oder als Zutaten in zusammengesetzten Nahrungsmitteln können sie zu Ausschlag, Juckreiz, Schleimhautschwellungen und - selten, aber lebensbedrohlich - zu Schockreaktionen führen. Bei der Verarbeitung durch Garen, Trocknen, Sterilisieren von Lebensmitteln verändern sich die enthaltenen Eiweiße, auch die allergieauslösenden: ihre Allergenität läßt nach. Eine allgemeingültige Aussage über die Veränderung der Allergenität erhitzter Lebensmittel ist aber nicht ohne weiteres möglich, da die Hitzestabilität von Allergenen sehr unterschiedlich ist: l. Stark hitzeempfindliche Allergene finden sich in Obst und einigen Gemüsesorten; durch Kochen werden sie inaktiviert. Besonders von Patienten mit Pollenallergie werden diese Nahrungsmittel nicht roh vertragen. 2. Teilweise Hitzeinaktivierung von Allergenen wurde bei Kuhmilch, Hühnereiern, Tomaten, Haselnüssen, Mandeln, Krustentieren, Reis, Sellerie, Senf und Sojabohnen gefunden. Einige sehr hitzestabile Allergene verhindern, daß sich der allergische Verbraucher hier auf eine bessere Verträglichkeit durch Erhitzen der Speisen verlassen kann. 3. Das Erhitzen von Erdnüssen, Fischen und Weichtieren ändert nichts spürbar an deren Allergenität. Besondere Vorsicht ist vor versteckten Allergenen in Fertignahrungsmitteln geboten. BSE-Risiko auch in Arzneimitteln Die BSE-Erkrankung der Rinder ist mit schweren Funktionsausfällen des Gehirns verbunden und führt nach kurzer Zeit zum Tod. Sie scheint eng verwand mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit des Menschen zu sein. Deshalb 252 stellte das Bundesgesundheitsamt neue Sicherheitsanforderungen an die Qualität von Arzneimitteln vor, die aus Körperbestandteilen von Rind, Schaf oder Ziege stammen. Inhaltlich sollen die neuen Sicherheitsanforderungen auch auf kosmetische Produkte angewendet werden, da diese ein ähnliches Risikopotential besitzen wie Arzneimittel zur Äußerlichen Anwendung. Diphtherie- Schutzimpfung auch in Deutschland empfehlenswert Die rasche Zunahme der Diphtherie-Erkrankungen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion macht einen Impfschutz für Reisende in diese Länder besonders wichtig. Es besteht aber auch die Gefahr, daß die Diphtherie vermehrt nach Deutschland eingeschleppt wird. Deshalb sollten sich Personen, die Kontakte mit möglicherweise Infizierten Personen haben ebenfalls ihren Impfschutz auffrischen lassen. BGA-Datenbank im BTX Über BTX stehen jetzt alle Pressemitteilungen des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes zu den Themen Gesundheit und Umwelthygiene in einer Volltextdatenbank zur Verfügung. Fast 700 gesundheitliche Empfehlungen und Stellungnahmen zu aktuellen Fragen können als Originaldokumente abgerufen werden, etwa Informationen über problematische Produkte wie Ledersprays und Holzschutzmittel. Interessierte können sich wenden an: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Weißhausstraße 27, 50939 Köln. Seiten 10 und 11: Psychoneuroimmunologie: Immunschwäche durch Streß, Enttäuschung und Gefühle? Neue Wissenschaftsdisziplin am Münchner Max-Planck-Institut erforscht den Zusammenhang zwischen menschlichem Verhalten und dem Immunsystem. Die Überlegung, daß möglicherweise ein Zusammenhang existieren könnte zwischen Molekülen und Zellen des Immunsystems, Hormonen und Neuropeptiden, Gefühlen und Streß, war Anlaß für Forscher des Münchner Max-Planck-Instituts, sich im Rahmen einer neuen Wissenschaftsdisziplin, der Psychoneuroimmunologie, mit dieser Thematik zu befassen. Die Vermutung war, daß Nerven- und Hormonsystem des Körpers miteinander „kommunizieren“. Forscher hatten erkannt, daß bestimmte Strukturen des Gehirns und des peripheren Nervensystems Boten- und Signalstoffe produzieren, die nach ihrer Freisetzung einen Dialog mit den Zellen führen. Dabei wird der Organismus je nach Wahrnehmung der eigenen subjektiven Situation beeinflußt. Immunologen ihrerseits stellten nun fest, daß Zellen häufig gleiche oder zumindest ähnliche Signalstoffe bilden wie die Nervenzellen. Aus beidem wurde der Schluß gezogen, daß diese Zelltypen angemessene „Gesprächspartner“ darstellen. Aus den Erkenntnissen über die Verbindung von Nerven- und Immunsystem und den wachsenden Einsichten in die gegenseitigen Abhängigkeiten von Gefühlen, Gefühlsverarbeitung und neurochemischen Prozessen erwuchs eine die beteiligten Bereiche verknüpfende Forschung. 253 Dem gesunden Körper stehen zur Erhaltung seiner Unversehrtheit eine Vielzahl von Mechanismen zur Verfügung, die sich gegen von außen wirkende Fremdstoffe, aber auch gegen als fremd erkannte körpereigene Strukturen wenden. Prof. Rainer Landgraf vom Max-Planck-Institut hat sich nun die Aufgabe gestellt, die Beziehungen zwischen Neuropeptiden und Zytokinen (Eiweißstoffen, die hauptsächlich von bestimmten Abwehrzellen produziert werden und für die Kommunikation und Regulation des Immunsystems verantwortlich sind) zu erforschen. Landgraf setzt ein Wechselspiel von Interleukin 1 und dem Neuropeptid Vasopressin voraus, das in einem Kompromiß zwischen immunologischer Reaktionsfähigkeit bzw. Infektionsabwehr und angemessenem Verhalten oder Befindlichkeit mündet. Demnach werde schon beim ersten Auftreten in bestimmten Hirngebieten das Neuropeptid Vasopressin freigesetzt, welches Lern- sowie Gedächtnisprozesse des Immunsystems fördert. Ist das Immunsystem intakt, ist es nicht nur in der Lage, die jeweilige Störung erfolgreich zu bekämpfen, sondern auch Informationen über den Krankheitserreger zu speichern. Eine neuerliche Infektion kann wirkungsvoll bekämpft werden. Wie nun nachgewiesen wurde, können andere Faktoren die Funktionsfähigkeit des Immunsystems beeinflussen. So wurde festgestellt, daß bei Studenten in Prüfungssituationen die Lymphozyten schwächer auf aktivierende Substanzen reagierten, was bedeutet, daß im Falle eines Infektionsschubes der Körper nicht mit voller Kraft dagegen vorgehen kann. Biochemische Ebene Hierbei stellt sich die Frage, in welcher Form das Gefühl der Prüfungsangst auf biochemischem Wege umgesetzt wird. Eine für die biochemische Untersuchung relevante Gruppe der Botenstoffe sind die Neuropeptide, die aus höchstens 100 Aminosäuren bestehen und von Zellen des zentralen Nervensystems gebildet werden. Diese körpereigenen Wirkstoffe werden nun aber auch vom Immunsystem gebildet. In diesem Fall spricht man von Immunopeptiden. Klassische Botenstoffe des Immunsystems, die Zytokine, lassen sich im Gehirn nachweisen und beeinträchtigen wahrscheinlich auch unsere Gefühlswelt während einer Infektionskrankheit. Auslöser für Gefühle Es ist also deutlich, daß Zellen miteinander kommunizieren, direkt und folglich schneller über Neuropeptide, oder aber indirekt, meistens über Hormone. Aber wie? Hierbei spielen die Rezeptoren der Neuro/Immunopeptide eine wichtige Rolle. Rezeptoren sind meistens Proteinmoleküle, die auf der Oberfläche von Zellen sitzen. Werden von den jeweiligen Zellmembranen Botenstoffe empfangen, so lösen sie im Inneren chemische Veränderungen aus. Vermutlich werden durch die Aktivierung solcher Rezeptoren über bislang noch unklare Abläufe Emotionen ausgelöst bzw. unterdrückt. Die Vermutung, daß Störungen emotionaler Art, wie etwa der Verlust des Partners, mit dem späteren Auftreten der Krankheit verbunden sein kann, liegt nahe. Gefühle wie Ärger, Angst, Trauer, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit werden als besonders streßintensiv erlebt. Streß wurde von dem österreichischen Physiologen Hans Seyle 1950 als unspezifische Reaktion 254 des Körpers auf von außen kommende Belastungen beschrieben, die zum Verlust des physiologischen Gleichtgewichts führen kann - aber nicht muß. Es hängt letztlich vom jeweiligen Organismus ab, wie gut Psyche und Emotionen integriert werden, damit das innere Gleichgewicht erhalten bleibt. Da dieses nicht in jedem Fall gelingt, stellt sich die Frage, über welche Mechanismen Streß Krankheiten auslösen kann. Schlüssel Streßhormon Eine Schlüsselrolle spielt hierbei das Cortisol, ein Hormon der Nebennierenrinde. Allgemein wird es als „Streßhormon“ bezeichnet, da es ermöglicht, daß eine Streßanpassung stattfindet. So fördert Cortisol u.a. den Fettabbau und spielt eine Rolle bei der Feinabstimmung des Immunsystems. Wie beim Fieberabbau wurde vom Körper auch hier ein Regulationsmechanismus entwickelt, der überschießende Reaktionen verhindert. Lange anhaltender psychischer Streß kann letztlich zum Zusammenbruch dieses Kontrollmechanismus führen. Diese Rolle kann auch eine längerwährende Krankheit übernehmen, die als „Immunstreß“ funktioniert und damit zu psychischen Krankheiten führen kann. Multiple Sklerose Die Ursachen der Multiplen Sklerose (MS) sind nach wie vor unklar. Ein Denkansatz ist, daß sie einen hormonellen Hintergrund hat, da mehr Frauen als Männer davon betroffen sind. Bis heute sind die Möglichkeiten der Therapie auf die Steroidbehandlung, die von Krankengymnastik und häufig auch von psychotherapeutischer Behandlung begleitet wird, begrenzt. Heftige Nebenwirkungen wie Stimmungslabilität bis hin zur Depression sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen setzen der Steroidbehandlung aber wieder Grenzen. Für Dr. Annette Grasser vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie rückt die Fragestellung in den Vordergrund, ob psychische Begleiterkrankungen den Verlauf der MS beeinflussen. Bei der Untersuchung des hormonellen Verhaltens und psychischen Befindens akut und chronisch erkrankter MSPatienten zeigte sich, daß ein Teil nach einem Hormon-Funktionstest ein ähnliches Cortisol und ACTH-Profil hatte wie Depressive. Konnte bei Depressiven nun mit Gabe von Antidepressiva ein überschießender Anteil ausgeglichen werden, so stellte sich bei ersten Therapieversuchen heraus, daß eine Kombination von Steroiden mit Antidepressiva während eines akuten MS-Schubes günstige Tendenzen zeigte. Diese Ergebnisse müssen zunächst noch sehr vorsichtig bewertet werden, bis weitere Daten diese ersten Ergebnisse möglicherweise bestätigen. Rüdiger Speck Seiten 12,13 und 14: Autoimmunkrankheiten Wenn nichts mehr geht: Muskelschwäche - Myasthenia gravis trifft junge Frauen und ältere Männer am häufigsten 255 Dr. Hans Wilimzig ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie in der Osnabrücker Paracelsus-Klinik. Er zählt zu den Experten im Bereich der Autoimmunkrankheiten. In dieser und der nächsten AutoImmun News wird er über die Krankheit Myasthenia gravis berichten. Im folgenden soll über eine weitere neurologische bzw. neuromuskuläre Autoimmunerkrankung, die Myastenia gravis, berichtet werden. Autoimmunität bedeutet das Vorliegen einer Immunantwort gegen körpereigene Strukturen. Kleinste Mengen von Antikörpern zirkulieren ständig im Blut. Das immunologische Gleichgewicht wird durch ein komplexes Netzwerk gesteuert, welches alle Lymphozyten und ihre Antigenrezeptoren verbindet. Das Gleichgewicht des Systems wird durch das Immungedächtnis oder die Immuntoleranz charakterisiert. Die Myastenia gravis gilt als die am besten erforschte Autoimmunerkrankung des Menschen. Die Ursache dieser Erkrankung wird auf eine verschiedenartige Schädigung von Rezeptoren der Muskelfasern für den Überträgerstoff Acetylcholin durch Antikörper zurückgeführt. Charakteristisch ist eine belastungsabhängige Schwäche und abnorme Ermüdbarkeit der Willkürmuskulatur mit Besserung in Ruhe oder eine permanente, durch Belastung verstärkte Schwäche. Die Erkrankung kann grundsätzlich in jedem Lebensalter auftreten. Frauen erkranken häufiger und früher als Männer. Die Mehrzahl der weiblichen Patienten erkrankt zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Bei Männern liegt der Beginn später, zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Man schätzt die Erkrankungshäufigkeit auf etwa einen Erkrankten auf 10.000 Gesunde ein. Die Behandlung der Krankheit besteht in einer symptomatischen Gabe von Cholinesterase-Hemmern (der Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin wird dadurch gehemmt), einer unspezifischen Immunsuppression und der Entfernung von zirkulierenden Antikörpern aus dem Blutplasma (Plasmapherese). Die operative Entfernung der Thymusdrüse (Thymektomie) wird ebenfalls in Betracht gezogen. Seit kurzer Zeit rückt auch die Gabe von speziellen Immunoglobulinen in den Vordergrund. Von der autoimmunbedingten Myasthenia gravis werden unter Berücksichtigung anderer Ursachen weitere Myasthenieformen abgegrenzt. Hierzu gehören unter anderen die angeborenen myasthenen Syndrome, toxischmedikamentös ausgelöste myasthene Syndrome sowie eine Muskelschwäche, die sich bei Tumorerkrankungen (meist beim Bronchialkarzinom) entwickeln kann. Klinisches Bild Grundsätzlich können alle Muskelgruppen betroffen sein. Meist finden sich die ersten Symptome einer Muskelschwäche an den empfindlichsten kleinen Muskeln, den Augenmuskeln. Typisch ist für den Krankheitsbeginn eine Sehstörung durch Doppelbildersehen, eine Lähmung der Lidhebermuskulatur mit ungleicher Lidspalte und eine Verstärkung dieser Symptome im Laufe des Tages bis zum Abend. Oft kommt es ebenfalls zu einer unterschiedlich ausgeprägten Schwäche der Gesichtsmuskulatur, der Kau-, Schluck- und Sprechmuskeln mit Heiserkeit, undeutlicher Sprache, häufigem Verschlucken 256 und Schwierigkeiten bei Mund- und Augenschluß. Die Gesichtszüge werden schlaff und ausdruckslos. Weiter kommt es zu einer Schwäche der Kopfhaltemuskulatur, der Schultergürtel- und Armmuskulatur sowie der Atemmuskeln, weniger häufig zu einer Schwäche der Beinmuskulatur. Von den Extremitätenmuskeln sind die proximalen (Oberarm- oder Oberschenkelmuskulatur) stärker betroffen. Die klinische Klassifikation der Myasthenia gravis berücksichtigt die initiale Symptomatik, das Manifestationsalter und den Verlaufscharakter. Weniger als 10 Prozent aller Myastheniekranken sind Kinder. Die Myasthenie der Erwachsenen wird je nach Schweregrad in vier Gruppen unterteilt. Vier Schweregrade 1. Die okuläre Myasthenie Betroffen sind die Augenmuskeln: Es besteht eine ein- oder doppelseitige Schwäche der Lidheber, zusätzlich eventuell auch eine Augenmuskelschwäche mit Störung der Augenbewegungen, wobei die Augäpfel nicht mehr parallel nebeneinander stehen, so daß es zu Doppelbildersehen kommt. 2. Die generalisierte Form der Myasthenie Zu dieser Gruppe zählen langsam fortschreitende Myasthenien mit Störungen der Augenmuskulatur, der Schlundmuskulatur, nicht jedoch mit Störungen der Atemmuskulatur. Hier werden eine milde und eine mittelschwere Form unterschieden. Bei der mittelschweren Form werden neben den Augenmuskeln noch andere Willkürmuskeln im Kopf-Schlundbereich sowie an den Extremitäten betroffen. 4. Akute und rasch progrediente Myasthenie Die Muskelschwäche entwickelt sich schnell und schreitet rasch fort. Es kommt zu einer Schwäche der Gesichts- und Schlundmuskulatur, der Atemmuskulatur innerhalb weniger Wochen oder Monate. Häufig finden sich bei diesen Patienten Thymome (Geschwülste des Thymus). 4. Chronische und schwere Myasthenie Es besteht zunächst eine milde Symptomatik, die nach den ersten beiden Krankheitsjahren oder später plötzlich und rasch fortschreitet. Auf Dauer bleiben nur bei ca. 15 Prozent der Erkrankten die Symptome der Muskelschwäche ausschließlich auf die Augen beschränkt. Meist kommt es zu einer Generalisation innerhalb von zwei Jahren, vereinzelt auch erst nach vielen Jahren und Jahrzehnten. Selten wird bei Myasthenie-Kranken eine schubartige Verschlechterung beobachtet. Vor Einführung der immunsuppressiven Therapie war der Krankheitsverlauf geprägt von einer Verschlechterung in den ersten sieben Jahren, seltener trat eine Verschlechterung später auf. Eine spontane Besserung trat bei 11 bis 20 Prozent der Patienten ein. Unter einer Immunsuppressiven Behandlung konnte die Gesamtmortalität deutlich gesenkt werden. Patienten mit einem Thymom haben ohne spezielle Behandlung eine schlechte Prognose. 257 Innerhalb von fünf Jahren sterben über 50 Prozent. Insgesamt ist der Zustand von mehr als 95 Prozent der Patienten durch die Kombination der verschiedenen Therapieverfahren gut stabilisierbar. Myasthene Krise Eine akute Verschlechterung (myasthene Krise) kann trotz regelmäßiger Einnahme von Medikamenten auftreten. Sie kann ausgelöst werden durch entzündliche Erkrankungen, psychische Spannungszustände, unsachgemäße Einnahme zusätzlicher Medikamente und Narkose. Die myasthene Krise ist gekennzeichnet von einer rasch zunehmenden Schwäche der Willkürmuskulatur mit Gefahr der Atem- und Schlucklähmung. Die myasthene Krise kann durch Injektionen von zum Teil ein bis zwei Ampullen Prostigmin behoben werden. Myasthenie-Patienten sollten diese Ampullen immer bei sich tragen. Bei einer myasthenen Krise sollte eine sofortige Einweisung in eine Klinik mit Intensivbehandlung erfolgen. Eine krisenhafte Verschlechterung kann auch bei Überdosierung der angewendeten Medikamente (Cholinesterase-Hemmer) eintreten. Diese sogenannten cholinergischen Krisen sind geprägt von einer zunehmenden allgemeinen Schwäche und Atemstörung, engen Pupillen, geröteten Augen, Muskelkrämpfen, vermehrter Schweiß- und Bronchialsekretion, innerer Unruhe, Ängstlichkeit und Magen-Darm-Krämpfen. Die Myasthenie kann zu Beginn verwechselt werden mit anderen Muskelerkrankungen, den Myopathien, Erkrankungen des Hirnstammes, Vergiftungen und anderen Erkrankungen. Dr. med. HansWilimzig Krankheitsentstehung Es handelt sich bei der Myasthenia gravis um eine erworbene Autoimmunerkrankung. Antikörper gegen Rezeptoren für den Überträgerstoffzwischen Nerv und Muskel ( Acetylcholin) werden an spezifischen Stellen von Muskelzellen (postsynaptische Membran) abgelagert und blockieren hier in dieser Membran befindliche Rezeptoren für den Überträgerstoff Acetylcholin. Diese Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper können mit den heute üblichen Methoden bei etwa 80 bis 90% der Patienten mit einer generalisierten Myasthenie nachgewiesen werden. Für die Entstehung einer Myasthenie wird eine genetishe Disposition diskutiert, da bei zahlreichen Myasthenie-Kranken immunologische Besonderheiten bestehen (spezielle HLA-Typen, z.B. HLA-B8, DR3). Der Thymus spielt zumindest zu Beginn der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Bei 90% der Thymusdrüsen von Myasthenie-Patienten finden sich histologische Besonderheiten. Die Thymusdrüse enthält Zellen, die Ähnlichkeit mit normalen Muskelzellen haben. (sog. Myoidzellen). Diese Myoidzellen tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für Acetylcholin, wie bei normalen Muskelzellen der Willkürmuskulatur.Diese Rezeptoren für Acetylcholin können von Zellen des Immunsystems als "fremd" angesehen werden. Es kommt in einem komplexen Prozeß zu einer Antikörperbildung gegen diese Rezeptoren für den Öberträgerstoff Acetylcholin. In der Thymusdrüse findet ein Reifungs- und Selektionsprozeß der Lymphozyten statt. Es läßt sich an der Thymusdrüse eine Lymphozyten-reiche 258 Rinde und ein lymphozyten-ärmeres Mark unterscheiden. In der Thymusrinde vollzieht sich der Reifungsprozeß der aus dem Knochenmark stammenden Vorläuferzellen. Zunächst bilden diese einen spezifischen Rezeptor aus ( antigenen-spezifische T-Zellrezeptoren), dann erfolgt eine Art Musterungsaverfahren, durch die das spezielle T-Zellrepertoir eines Menschen geprägt wird Der Selektionsprozeß vollzieht sich in zwei Stufen, wobei zunächst eine positive Auswahl erfolgt. Positiv heißt, es bleiben die reifenden T-Zellen erhalten, die ein Antigen, das ihnen von anderen Immunzellen präsentiert wird, erkennen können. In einem weiteren Schritt erfolgt eine negative Selektion, d.h. es werden bestimmte Lymphozythen (TZellen) mit einer besonders hohen Rezeptoraffinität für Autoantigene ausgesondert. Bei Störung,z.b. dem gehäuften Vorkommen von Muskelähnlichen Zellen, können vermehrt spezifische T- Zellen gebildet werden, die außerhalb des Thymus eine verstärkte Antikörperbildung, z.B. gegen Acetylcholinrezeptoren, bewirken. Diese Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper blockieren die entsprechenden Rezeptoren der Muskelzellen, wodurch es zu einer Schwäche des betroffenen Muskels kommen kann. Diagnostische Untersuchung Bei der klinischen Untersuchung wird die belastungsabhängige Ermüdbarkeit von Muskelgruppen geprüft. Ein Pharmakologischer Test (Tensilon-Test) prüft, ob durch intravenöse Gabe dieses Medikaments, das den Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin hemmt, eine vorübergehende Besserung der Muskelschwäche erreicht werden kann. Mit neurophysiologischen Untersuchungsmethoden (Elektromyographie) kann die Muskelschwäche bzw. die leichte Ermüdbarkeit der Muskulatur durch wiederholte elektrische Stimulation nachgewiesen werden. Für die Myasthenie ist charakteristisch, daß sich bei wiederholter Reizung eine deutliche fortschreitende Amplitudenminderung des Reizantwortpotentials (Dekrement) in den untersuchten Muskeln zeigt. Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren finden sich bei über 90% der Patienten mit generalisierter Myasthenie und bei 50% der Patienten mit rein oculärer Myasthenie .Diese Antikörper sind gegen verschiedene Bestandteile des Acetylcholinrezeptors gerichtet. Daneben finden sich bei etwa einem Drittel der Patienten mit generalisierter Myasthenie auch Antikörper gegen quergestreifteMuskulatur. Diese Antikörper kommen bei 80-90% der Patienten mit Thymom und Myastenia gravis vor. Schließlich können inzwischen Antiacetylcholinrezeptor-Antikörper bestimmt werden (Radio- ImmunoPräzipitationstest); damit steht ein sehr spezifischer und sensitiver Test für die Myasthenia gravis zur Verfügung. Durch röntgenologische Untersuchungen, Computer- oder Kernspintomographie muß ein Tymom ausgeschlossen werden. Das vorliegen eines Tymoms stellt eine absolute Indikation zur Thymektomie dar.In der Regel wird bei generalisierter Myasthenia gravis eine Thymektomie empfohlen. Bei isolierter oculärer Myasthenie wird gewöhnlich keine Thymektomie durchgeführt. Behandlung der Myastenia gravis Die symptomatische medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis hat das Ziel, die Konzentration des Überträgerstoffs Acetylcholin an der 259 postsynaptischen Membran zu erhöhen. Zum anderen wird versucht, die Antikörper aus dem Blut zu entfernen, deren Konzentration zu vermindern oder die Autoimmunreaktion zu hemmen. Auf die Thymektomie war bereits eingegangen worden. In einem Drittel der Erkrankungen kann nach Thymektomie mit einer Spontanremission gerechnet werden; in einem weiteren Drittel mit einer deutlichen Besserung des Krankheitsverlaufes. Durch Plasmapherese werden die im Blut zirkulierenden Antikörper kurzfristig entfernt. Eine klinische Besserung ist in der Regel schon nach zwei Austauschbehandlungen zu beobachten, hält jedoch ohne Kombination mit anderen immunsupressiven Maßnahmen in der Regel nur drei bis sechs Wochen an. Ein positiver Langzeiteffekt konnte nicht bewiesen werden. Heute werden hauptsächlich noch drei Indikationen für eine Plasmapherese genannt: die drohende myasthenische Kriese, das Vorliegen einer ausgeprägten Myasthenia gravis und fehlende Wirksamkeit der Medikamente bzw. noch nicht einsetzende Wirkung der immunsupressiven Behandlung sowie bei schwerster Myasthenie als operationsvorbereitende Maßnahme. Symptomatische Behandlung Durch spezielle Substanzen, die den Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin hemmen, wird eine Erhöhung der Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt erreicht. Diese Medikamente nennt man "Cholinesterasehemmer" Verwendet wird das Pyridostigminbromid (Mestinon). Nebenwirkungen entstehen durch eine überschießende vegetative Reaktion in Form von vermehrtem Tränenfluß, vermehrter Schweißsekretion, Schwitzen, Verlangsamung der Herztätigkeit, Bauchkrämpfen und Durchfall. Eine Überdosierung kann diese Nebenwirkungen extrem steigern (cholinerge Kriese). Neben der starken vegetativen Symptomatik mit vermehrter Bronchalsekretion, Speichelfluß und Schwitzen besteht eine innere Unruhe, ferner eine zunehmende Muskelschwäche, insbesondere auch eine Störung der Atemmuskulatur. Eine stationäre Aufnahme ist notwendig wegen der drohenden Gefahr von Atemstörungen. Die Dosierung des Cholinesterasehemmers richtet sich nach der klinischen Symptomatik; anfänglich werden Dosen von etwa 4x 30 mg täglich empfohlen. Immunsupressive Behandlung Verwendet werden zum einen Cortisonpräparate, zum anderen Zytostatika, überwiegend das Azathioprin (Imurek). Die Wirkung von Cortison wird überwiegend auf den immunsupressiven Effekt zurückgeführt. Zu Beginn der Behandlung zeigt sich oft eine vorübergehende Verschlechterung (30bis 80%). Die Angaben zur Dosierung variieren; es lassen sich zwei verschiedene Dosierungsschemata gegenüberstellen: Einmal die täglich hochdosierte Steroidbehandlung mit 60-100 Prednison; zum zweiten die langsame Steigerung niedriger Dosen, die nur jeden zweiten Tag verabreicht werden. Bei der Behandlung mit Cortison sind die bekannten Nebenwirkungen zu beachten. Eine Reduktion der Steroiddosis sollte vorsichtig erfolgen, da u.a. eine Nebennierenrindeninsuffizienz sowie ein Cortisonentzugs-Syndrom (charakterisiert durch Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Fieber, Entzündung von Gefäßen) entstehen kann. Bei den verwendeten nicht-steroidalen immunsuppresiv wirkenden Medikamenten handelt es sich meist um Zystostatika, die antimetabolisch 260 auf rasch sich teilende Zellen wirken. Es bestehen günstige Erfahrungen mit dem Azathioprin (Imurek), das sich wegen der geringeren Nebenwirkungen durchgesetzt hat. Azathioprin wird in einer Dosis von 100 bis 200 mg täglich (ca. 2mg/kg pro Tag gegeben. Ziel ist eine Verminderung der Leukozytenzahl; bei Absinken der Werte unter 2.500 muß vorübergehend mit der Medikamenteneinnahme ausgesetzt werden. Nachteile einer AzathioprinMonotherapie sind ein verzögerter Wirkungseintritt (nach drei bis sech Monaten), eine fehlende Wirkung bei ca. 20% der Erkrankten, schließlich gibt es bei bis zu 10% der Patienten eine Unverträglichkeit und bei 30% erhebliche Nebenwirkungen. Hauptnebenwirkungen sind eine Knochenmarksdepression, Beschwerden im Magen-Darm-Trakt, eine erhöhte Infektionsanfälligkeit, eine Leberschädigung. Ein erhöhtes Tumorrisiko wird neuerdings verneint, theroretisch ist eine erhöhte Tumorrate allerdings bei allen Zytostatika zu erwarten. Es wird deshalb eine Kombination von Steroiden (Cortison) und Azathioprin empfohlen. Andere Medikamente, die seltener verwendet werden, sind das Cyclosphamid (Endoxan) sowie Cyclosporin. Die Behandlung mit diesen Medikamenten hat sich wegen der ausgeprägten und schwereren Nebenwirkungen nicht allgemein durchgesetzt und bleibt Sonderfällen vorbehalten. Ein neuer Therapieansatz besteht in der Anwendung von hochdosierten Immunglobullinen. In unkontrollierten Studien wird über eine rasche und eindrückliche Besserung berichtet. Üblicherweise werden 400 mg/kg pro Tag an fünf aufeinanderfolgenden Tagen gegeben. Oft zeigt sich schon während der Infusionsbehandlung eine Besserung. Schwerwiegende Nebenwirkungen treten nicht auf. Nachteil ist, daß die Wirkung nur ca. ein bis zwei Monate anhält. Ein weiterer Nachteil sind sicherlich die zur Zeit noch sehr hohen Kosten. Nach Ergebnissen von sechs publizierten Studien sprechen insgesamt etwa 80% aller Patienten auf Immunglobuline an, wobei weder der Typ der Myasthenie noch die Dauer der Erkrankung oder Höhe des Antikörpertiters gegen den Acetylcholinrezeptor einen Einfluß darauf haben, ob Immunglobuline wirken oder nicht. Die Wirkung der 7 S-Immunglobuline ist zunächst noch weitgehend unklar. Die Immunglobulinpräparationen werden meist aus einem Pool verschiedner Plasmaspenden hergest3ellt und enthalten ein breites Spektrum unterschiedlicher Antikörperspezifitäten. Es wird vermutet, daß die Immunglobulinpräparate auch natürliche Autoantikörper enthalten, die mit Autoantigenen reagieren und dadurch das Immunsystem von Patienten mit einer Autoimmunerkrankung vor diesen Autoantigenen abschirmen können. Wie die 7 S-Immunglobuline bei der Myastenie wirken, sei jedoch für ihren Einsatz in der Praxis letztendlich zweitrangig, entscheidend sei ihre klinische Wirkung, sagte einer der Experten auf einem Kongreß im September 1993. Neuere therapeutische Ansätze zielen auf spezifische immuntherapeutische Verfahren, diew selektiv den Autoimmunprozeß gegen Acetylcholinrezeptoren beeinflussen. Bisher befinden sich diese Verfahren noch im experimentellen Stadium. Neben der speziellen medikamentösen Behandlung ist gerade bei der Erkrankung an Myasthenia gravis eine Aufklärung über die Art der Erkrankung, den Verlauf, über Warnsyptome einer Verschlechterung und eine 261 Aufklärung über ungünstige Faktoren, die zu einer Verschlechterung führen können notwendig. Zu letzterem gehören extreme psychische und physische Belastungen, hormonelle Störungen, Infektionskrankheiten u.a. ; ferner kann eine Myastenia gravis durch zahlreiche Medikamente verschlechtert werden. Dazu gehören u.a. Antibiotika ( Aminoglykoside, Tetracycline, hochdosierte Penecilin-Gaben), ferner Antiarrhythmika, Malaria-Mittel, Rheuma-Mittel, Medikamente, die bei Grippe genommen werden, Psychopharmaka, hormonell wirksame Präparate und Muskelrelaxantien. Ausführliche Information bietet z.B. die Deutsche Myasthenie-Gesellschaft e.V. Hohentorsherstraße 49/51, D-28199 Bremen, an. Dr. med. Wilimzig In der nächsten Ausgabe geht es um die Krankheitsentstehung, Diagnose und Therapie. Wenn Sie Fragen zur Myasthenia gravis haben, schreiben Sie an: Prof. Dr. Niels Franke Verlag, Mommsenstraße 28, 10629 Berlin. Seite 15: Urteile und Tips für Patient und Arzt Stationäre oder ambulante Behandlung: Wann wird Krankhaustagegeld gezahlt? Für die Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung ist die Beurteilung durch den behandelnden Arzt lediglich ein Indiz. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast und kann den Nachweis in der Regel nur duch ein Sachverständigengutachten führen. Medizinsch notwendig ist eine stationäre Behandlung nur, wenn der angestrebte Behandlungerfolg nicht auch durch ambulante Behandlungsmaßnahmen erzielt werden kann. Für die Annahme einer medizinischen Notwendigkeit reicht es nicht aus, daß eine stationäre Behandlung „nützlich“ ist und die Beschwerden des Versicherungsnehmers dadurch „besser in den Griff“ zu bekommen sind als bei einer ambulanten Behandlung. Gemäß § 1 Ziffer 1 und 2 AVB ist Voraussetzung für die Gewährung von Krankenhaustagegeld, daß die stationäre Behandlung medizinisch notwendig ist. Dies ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Fall, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheint, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Es reicht nicht aus, wenn das Gutachten Bemerkungen allgemeiner Natur als Begründung anführt, zum Beispiel „eine stationäre Behandlung sei durchaus gerechtfertigt gewesen“. Ob eine stationäre Behandlung notwendig ist, kann sinnvoll nur in Gegenüberstellung zur ambulanten Behandlung gesehen werden. Der angestrebte Behandlungserfolg darf daher nicht ebenso durch ambulante Maßnahmen erreichbar sein. (LG Berlin, Urt. v. 25.8.92 - 7033/90) Achtung: Sonderrechte für Behinderte können nachträglich wieder aufgehoben werden Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts kann beispielsweise das durch das Versorgungsamt anerkannte Recht der Notwendigkeit einer 262 ständigen Begleitung (Merkmal „B“ im Schwerbehindertenausweis) wieder aberkannt werden, wenn aufgrund eines ärztlichen Gutachtens festgestellt wird, daß die tatsächlichen Beeinträchtigungen geringer sind als ursprünglich angenommen. Dies ist insbesondere für Verschlechterungsanträge beim zuständigen Versorgungsamt zu beachten. Daher sollte man sich grundsätzlich vor Antragstellung mit seinen behandelnden Ärzten besprechen, damit sich der Antrag nicht in sein Gegenteil verkehrt. (BSG Kassel.: 9 RVs 1792) Elektrische Krankenfahrstühle sind über die Haftpflichtversicherung versichert, aber Antrag stellen Krankenfahrstühle mit maschinellem Antrieb (Elektroantrieb) und einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h sind nach § 2 Absatz 1 Ziffer 6 PflVG nicht versicherungspflichtig. Im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung sind dennoch maschinell angetriebene Krankenfahrstühle auf Antrag zuschlagsfrei mitzuversichern. (R+V H3/93) Seite 16: Leser-Podium „Sogar meinem Zahnarzt fiel Ihre Stimmungsmache auf“ Offener Brief an Prof. Dr. Klaus Toyka (Würzburg) von Ulrike Stürmer (Konstanz): Sehr geehrter Herr Prof. Toyka, ich habe am 14. 3. 1994 Ihren Beitrag in der „Kontraste“-Sendung über DSG gesehen. Ihr Verhalten und Ihr Beitrag bestätigen von neuem meine Meinung über die meisten Neurologen. Statt fachlich zu argumentieren betreiben Sie und Ihre Kollegen eine gemeine Hetze gegen Dr. Franke. Ich, die jahrelang von Neurologen als Simulant und Drückeberger behandelt wurde, soll Ihnen nun glauben, daß DSG eine Ente ist. Der Erfolg gibt Prof. Franke recht. Er hat trotz schwerer Krankheit gehandelt. Ich komme von dem unangenehmen Gefühl nicht los, daß es Neid ist, weil ein fachfremder Mediziner DSG gefunden hat. Sie nehmen uns MSlern auch die geringste Hoffnung auf einen Stillstand oder eine Besserung. Wie können Sie nur so arrogant über unsere Gefühle und Hoffnungen hinweggehen. Betroffenheit legitimiert. Ohne Prof. Franke und seine Mitstreiter hätte ich längst aufgegeben. Aber das können Sie als gesunder Mensch wohl nicht verstehen. Wir MSler sind Menschen, die Hilfe brauchen und keine weisen Ratschläge. Vor was haben Sie und die DMSG Angst? Etwa, daß Sie bald keine MS-Patienten mehr haben? Sogar meinem Zahnarzt, der nichts von DSG wußte, fiel Ihre negative Stimmungsmache in „Kontraste“ gegen Prof. Franke auf. Hören Sie doch endlich mit dieser unangenehmen Hetze auf. Ich bin auf jeden Fall froh, daß es Menschen wie Dr. Franke gibt, die erkannt haben, daß es sich nicht um einen Schnupfen handelt. Hochachtungsvoll Ulrike Stürmer, Konstanz 263 Hilferuf Ich habe eine Große Bitte aufgrund meiner sich wohl verschlimmernden Krankheit an Sie! Ich flehe Sie an, mir diesen Hilferuf zu beantworten!!! Ich flehe Sie an, da man sich mit Betaseron in Deutschland, (unleserliche Handschrift) bis Mitte 1995 „gedulden“ muß, mir die Möglichkeit zur Anwendung von DSG zu geben. Ich möchte das DSG haben, zur Anwendung. Ich flehe Sie an! Bitte, bitte, bitte geben Sie mir die Gelegenheit, es auszuprobieren. Veröffentlichen Sie bitte diesen Hilferuf. Ayhan N., Emmerich Parkausweis (AutoImmun News 3/94) Meine Frau, die Polio hatte, und ich, der ich MS habe, haben beide einen Parkausweis für Schwerbehinderte. Wir machen auch oft davon Gebrauch. Das Problem liegt jedoch darin, daß das Verkehrszeichen, das den nahe zum Eingang gelegenen Parkplatz für „außergewöhnlich gehbehinderte“ Schwerbehinderte reserviert, viel zu wenig beachtet wird. In aller Regel muß man damit rechnen, daß diese Parkplätze von meist jüngeren Kraftfahrern, die überhaupt nicht schwerbehindert wirken, okkupiert werden. Ich halte es für erforderlich, daß die Einhaltung der damit ausgesprochenen Einschränkung durch die zuständigen Kontrolleure viel strenger überwacht wird als bisher. Wer einmal wegen illegalen Parkens auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz ein „Knöllchen“ unter dem Scheibenwischer gehabt hat, wird beim nächsten Mal vielleicht nicht ganz so egoistisch sein. Ich gebe gern zu, daß diese Problematik in den „Neuen Bundesländern“ offensichtlich erheblich ernster ist als in den „Alten Bundesländern“ oder gar im Ausland. Ich habe mich beispielsweise in Kanada davon überzeugen können, daß dort kaum ein Mensch auf die Idee käme, sich auf einen Parkplatz für Schwerbehinderte zu stellen, wenn er dafür keine gesundheitlichen Voraussetzungen hat. Dr. Peter M., Töplitz Gesucht und entdeckt Das Fenster zum Magen William Beaumont (1785-1853) gilt noch heute als Pionier der Verdauungsphysiologie. Berühmt geworden ist der Militärarzt durch ein Verdauungsexperiment an einem kanadisch-französischen Pelzreisenden. Der 18-jährige Alexis St. Martin, brach im Juni 1822 mit einem Aufschrei zusammen. Ein zufällig in unmittelbarer Nähe stehender Jäger reinigte seine Flinte. Ein Schuß löste sich und zerriß die Brust und das Zwerchfell, durchbohrte den Magen und zerstörte die Rippen des 18-jährigen. Zur ersten Hilfe wurde er zu dem einzigen Chirurgen gebracht, der in dieser Einöde im Nordosten der Vereinigten Staaten als Militärarzt residierte, dem Arzt William Beaumont. Kopfschüttelnd betrachtete er das auf einer Pritsche liegende Opfer; Stoffetzen von der Kleidung, Rippensplitter, Muskelgewebe, ein 264 hühnereigroßes Stück Lunge, vermengt mit Blut und aus dem Magen hervorquellendem Speisebrei boten einen furchtbaren Anblick der Wunde. Mit unendlicher Geduld gelang es Beaumont, die Wunde von Schrot und Kleiderfetzen zu reinigen. Danach drückte er die hervorgetretenen Lungenund Magenteile in die Bauchhöhle zurück. Mit einem kohlesauren Verband sollte die Wunde dann ausheilen. Das Ergebnis: Alexis St. Martin hatte nach fünf Tagen „nur noch ein Loch im Bauch“, aus dem alles, was durch die Speiseröhre in den Magen gelangte, bald wieder nach außen trat. Beaumont mußte seinen Patienten mittels Einspritzungen in den After ernähren, um ihn bei Kräften zu halten. Nach Ablauf von anderthalb Jahren hatte sich durch die Verdoppelung der Magenhäute eine Falte gebildet, die sich klappenartig vor die Öffnung des Leibes schob, so daß kein Mageninhalt mehr hervorquellen konnte. St.Martin empfand diese Fisel nicht als störend. Er kam wieder zu Kräften und heiratete später. Aus dieser Ehe entstammten zwei Kinder. Während Beaumont seinen Patienten in dessen Wohnung weiter betreute, hatte er bemerkt, daß sich die Hautklappe bei leichten Fingerdruck ins Mageninnere zurückdrängen ließ, so daß dabei keine Magenflüssigkeit mehr austropfte. „Welch ein glücklicher Umstand. Eine Gelegenheit experimentell die Vorgänge der Verdauung zu studieren!” Schon seit Jahren hatten Biologen die Vision, einem Menschen ein Fenster in den Leib zu setzen, durch das man die Vorgänge im Magen beobachten konnte. Aber bis dahin mußten sie sich mit Spekulationen begnügen. „Ich möchte Sie in meinem Dienst als 'Versuchskaninchen' benutzen” bot Beaumont dem inzwischen 25-jährigen St. Martin an. Ohne zu zögern, erklärte sich der Patient dazu bereit. Durch die direkte Magensaftentnahme war es Beaumont nun möglich, die Zusammensetzung und Wirkungweise der Magendrüsenabsonderungen zu studieren. Über die unterschiedliche Verdauung einzelner Nahrungsmittel an seinem „Versuchskaninchen“ konnte er beobachten, daß die Magendrüsen Verdauungssaft nur dann absonderten, wenn er Nahrung oder einen Fremdkörper in den Magen einbrachte. In einer auch noch in unserem Jahrhundert lesenswerten und anschaulich geschriebenen Abhandlung aus dem Jahre 1834 mit dem Titel „Neue Versuche und Beobachtungen über den Magensaft und die Physiologie der Verdauung”, die er auf eigene Kosten drucken mußte, hinterließ Beaumont den nachkommenden Ärztegenerationen seine Kenntnisse. 1853 starb William Beaumont im Alter von 68 Jahren . Sein „Versuchskaninchen“ Alexis St. Martin überlebte ihn um 30 Jahre. Kathrin-Annette Wollschlaeger Seite 18: Medizin-Lexikon Medizinsche Fachbegriffe stellen häufig ein Verständnisproblem für den interessierten Leser dar. Medizinische Fremdwörter und Fachausdrücke werden im Medizin-Lexikon erklärt. Die im Heft kursiv gedruckten Begriffe können hier nachgelesen werden. In alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, sind sie schneller auffindbar. Acetylcholin: 265 Gefäßerweiternde Substanz mit kurzzeitiger Wirkung. ACTH: Hormon, das über den Blutkreislauf zur Nebennierenrinde gelangt und dort seinerseits die Ausschüttung von Cortisol ins Blut bewirkt. Aminosäuren: Wichtigste Bausteine der Eiweißkörper. Cortisol: Hormon der Nebennierenrinde. Wird als Streßhormon bezeichnet, da es eine Maschinerie in Gang setzt, die in erster Linie der Streßanpassung dient. Endotoxin: Gift, das an die Leibessubstanz der Bakterien gebunden ist und erst nach Auflösung frei wird. Immunsuppressivum: Arznei zur Abschwächung oder Unterdrückung einer Immunreaktion. Karzinom: Im Gewebe liegendes Krebsgeschwulst, das zur Bildung von bösartigen Metastasen neigt. Lymphozyten: Weiße Blutkörperchen mit körnigem Plasma. Sie entstehen im Gewebe und kommen u. a. auch im Knochenmark vor. Mortalität: Das Verhältnis der Todesfälle von Erkrankten im Vergleich zu Gesunden während eines bestimmten Zeitraumes. Myopathie: Oberbegriff für Muskelerkrankungen. Neurochemisch: Chemische Vorgänge in den Nerven. Neuropeptide: Eiweißstoffe der Nervenzellen Okkupieren: Besetzen, sich etwas aneignen. Okulär: Die Augen betreffend oder zu ihnen gehörend. Peripheres Nervensystem: Nicht zum ZNS gehörenden Nerven. Plazenta: „Mutterkuchen“, Bindeorgan zwischen Fetus und Mutter, daß den Stoffaustausch reguliert. Progredienz: Fortschreiten oder zunehmende Verschlimmerung einer Krankheit. Prostigmin: Name eines Medikaments, das die Übertragung von bestimmten Nervensignalen blockiert. Proximal: In der Körpermitte, bzw. im zentralen Teil eines Körpergliedes liegend. Rezeptoren: Aktive Stellen einer Körperzelle, an der sich u. a. die entsprechenden Antigene verankern können. Steroide: 266 Organische Verbindungen. Syndrom: Unterschiedliche Krankheitssymptome ergeben ein charakteristisches Krankheitsbild (Syndrom). Thymusdrüse: Drüse im oberen Brustraum. Sie hat Einfluß auf das Wachstum und den Stoffwechsel. Toxoplasma: Krankheitserregende Parasiten, die hauptsächlich im Brustbereich vorkommen. Seite 19: Wollen Sie mehr über Medizin wissen, mit Ihrem Arzt als Partner über Diagnose und Therapie sprechen, Ihren Arztbrief auch verstehen, über aktuelle Therapien bei chronischen Krankheiten informiert werden, wissen, wie andere Menschen mit ihrer Krankheit leben, Tips und neue Rechtsprechung lesen, dann liegen Sie mit den AutoImmun News goldrichtig. AutoImmun News berichtet über alles aus Medizin und Wissenschaft, was wichtig für Sie ist. Sie erhalten zweimonatlich die NEWS, das Aktuellste und Wichtigste aus unverständlichen Fachzeitschriften und Kongressen. Unser Maßstab ist eine verständliche Sprache, denn Gesundheit geht alle etwas an. Informierte Patienten und Ärzte therapieren besser zusammen, wenn sie wissen worum es geht. Erfahrene Ärzte, Wissenschaftler, Juristen und Journalisten arbeiten mit uns zusammen. Herausgeber Prof. Dr. med. Niels Franke: „Ich möchte Sie zu einem optimistischen Aufbruch in der Medizin einladen. Mit den AutoImmun News werden Sie vorzüglich auf dem laufenden gehalten.“ UND DAS SCHÖNE IST: AutoImmun News kann jetzt abonniert werden. Wenn Sie die AutoImmun News noch in diesem Jahr bestellen, erhalten Sie das Vorzugsangebot von nur DM 60,- (anstatt DM 88,-). Im Preis enthalten sind alle Extraausgaben und Sonderhefte zu Themenschwerpunkten. 8.6 „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1994 Seite 3: Auf die Plätze, fertig … Der Wettlauf zum Mond war eine spannende Angelegenheit. Wir saßen bis spät in die Nacht vorm Bildschirm. Endlich geschah es. Das Ziel war erreicht, 267 der Mond erobert. Im Laufe der Jahre merkte man aber, daß der Mond relativ bedeutungslos für die Menschheit ist und stellte weitere Mondflüge ein. Doch ein wichtiger Schritt war es für die Menschheit allemal. In der medizinischen Forschung ist es fast genauso. Man möchte zwar (noch) nicht eine Therapie auf dem Mond testen, aber Entdeckungen zum Wohle der Menschheit sind eben genauso spannend wie ein Mondflug. Der Start zu dieser Phase scheint gerade begonnen zu haben. Die Jagd auf die unheilbaren Krankheiten hat begonnen. Bei einigen Leiden früher, bei anderen eben später. Manche schlafen immernoch. Sehr gut kann man das bei Krankheit Multiple Sklerose beobachten. Vor ein paar Jahren konnte man den Patienten außer einem Schulterzucken recht wenig gegen ihre gräßliche Krankheit anbieten. Nun befinden sich eine ganze Reihe von neuen Medikamenten in der Warteschleife. Und weitere rücken nach. Man versteht die MS zunehmend besser. Der Konkurrenzkampf zwischen den beteiligten Pharmaunternehmen belebt das bis dahin traurige Geschäft. Ob dabei die ultimative Therapie gegen die MS herauskommt, bleibt abzuwarten. Die bislang bekannten Ergebnisse und Erkenntnisse stimmen jedenfalls optimistisch. Und an diesem Punkt gleicht die medizinische Forschung doch wieder dem Wettlauf zum Mond: Ohne Start hätte man nie den Mond erreicht. Hätte man nie begonnen, sinnvolle Therapieforschung zu betreiben, ständen unsere Ärzte immernoch ohne Perspektive dar. Mit dem Erreichen des Mondes (neuer Arzneien) ist ein erster wichtiger Schritt unternommen worden, aber die Erforschung von Schwerkraft und Weltraum (Ursachen von Krankheiten) steht noch aus. Drei neue Medikamentenentwicklungen sollen hier besonders betont werden. Für die Therapie der MS scheint sich neben dem DSG noch eine weitere Substanz mit fast sensationellen Ergebnissen zu nähern. Das Cladribine (Seite 20) führte in einer amerikanischen Studie zu Verbesserungen bei chronisch-progredienten Verläufen. Erste Ergebnisse bei Patienten in Deutschland bestätigen diesen Trend. Über das Leflunomid haben wir Sie bereits informiert. Die Hoechst-Studie bei Rheuma läßt ebenfalls positive Ergebnisse erahnen. Wir wünschen unseren Lesern, auch mit unserem neuen - verkürzten - Namen „autoimmun“, eine weiche Landung beim Mondrückflug und beim Lesen dieser Ausgabe viele nützliche Erkenntnisse, . Ihre Redaktion autoimmun Seiten 4 und 5: News und Hintergrund Multiple Sklerose und Deoxyspergualin: BGA-Mängelrüge führt nicht zu Verzögerungen, Behringwerke weiter optimistisch Aus der Reihe der zur Behandlung der Multiplen Sklerose anstehenden Medikamente wird die Substanz Deoxyspergualin (DSG) mit großen Hoffnungen erwartet. Das hat zwei Gründe: In der klinischen Prüfung zeigte DSG während der Behringstudie einen positiven Einfluß auf das klinische 268 Befinden der Patienten im Vergleich zur Placebogruppe. Ferner wird von Experten die gute Verträglichkeit des Medikaments hervorgehoben. DSG wurde von Prof. Niels Franke 1989 in einem Selbstversuch erfolgreich getestet. Seitdem drängt Franke auf die allgemeine Verfügbarkeit der Arznei für alle MS-Patienten. In einer eigenen, offenen Studie bewies er bereits 1993 Wirksamkeit und Verträglichkeit von DSG. Zu diesen Ergebnis kamen auch die Behringwerke, die im Mai 1994 einen Eilantrag auf vorzeitige Zulassung von DSG beim Bundesgesundheitsamt (Institut für Arzneimittel) gestellt haben. Der Leiter der Zulassungsstelle beim BGA Dr. Harald Schweim veranschlagte damals für die Zulassung von DSG einen Zeitraum von etwa vier bis sieben Monaten (AutoImmun News 3/93). Auf erneute Nachfragen äußerte sich Schweim zurückhaltend: „Die Bearbeitung des Antrags läuft in zwei Stufen. Die erste ist abgeschlossen.“ Dies bestätigt auch der verantwortliche Leiter der DSG-Studie Dr. K. Theobald: „Das normale Zulassungsverfahren sieht nach Abschluß der ersten Stufe eine sogenannte Mängelrüge vor. Darin stellt das Amt Fragen an das Pharmaunternehmen. Das kann die pharmazeutisch-technische Qualität der Studie betreffen oder auch den klinischen Bereich. Wir beantworten gerade die Fragen. Ich denke, im Oktober werden wir damit fertig werden.“ Bisher kann das BGA den selbst gesetzten Zeitplan einhalten. Verzögerungen kann es nur geben, wenn das BGA einen Mängelbericht anfertigt oder Behring selbst das Eilverfahren in ein „normales“ Zulassungsverfahren umwandelt. Die Marburger sind eher optimistisch. „Wir haben eine faire Chance, daß die Zulassung noch in diesem Jahr erfolgen könnte. Wahrscheinlich müssen wir mit Auflagen rechnen, die weitere Prüfungen vorschreiben“, so Theobald. Solange die Behörde keine Entscheidung trifft, wird es auch keine dritte DSGStudie geben. Auch wenn bereits Planungen getätigt worden sind. Patienten, Ärzte und Fachwelt warten auf die BGA-Entscheidung. Das Institut für Arzneimittel ist Gesundheitsminister Seehofer unterstellt. Er möchte das Verwaltungsverfahren straffen und „schlagkräftige Kampfboote“ ins Gesundheitswesen schicken. Eine viertel Million MS-Patienten werden seine ehrgeizigen Pläne auch an der schnellen Verfügbarkeit des ersten deutschen MS-Medikaments messen. Multiple Sklerose und Beta-Interferon: Neue Studien bringen frischen Wind, aber im Hintergrund Patentgerangel Für MS-Kranke nähert sich mit dem Beta-Interferon nun eine weitere Therapiemöglichkeit. Ausgangspunkt für den Einsatz von Beta-Interferon bei MS ist die von Schering durchgeführte USA-Studie bei schubförmigen Verlauf. Das Ergebnis, die Verringerung der Schubfrequenz, ist ermutigend. (AutoImmun News 4/94). Seit kurzem führt Schering eine europaweite Doppelblindstudie in 30 Zentren bei 720 Patienten mit chronisch-progredienter Verlaufsform durch. Interessenten können sich nicht mehr bewerben. Sie sind nicht erwünscht, „da zu viele Anrufe von interessierten Patienten den Klinikbetrieb stören könnten“, teilt das Unternehmen mit. Das Unternehmen Ares-Serono setzt auf das aus Warmblüterzellen hergestellte Beta-Interferon. Auch hier laufen derzeit zwei Studien mit über 269 300 Patienten. Man verspricht sich eine wesentlich bessere Wirkung auf die MS als mit dem Scheringprodukt. Dies soll eine weitere US-Studie mit dem Warmblüterprodukt unterstreichen. Der amerikanische Neurologe Prof. L. Jacobs wird die Ergebnisse seiner Studie in diesen Tagen der Fachöffentlichkeit auf zwei Kongressen präsentieren. Dabei will er den Nachweis erbringen, daß das Fortschreiten der MS aufzuhalten sei. Grundlage dieser Feststellung sind die Ergebnisse einer zweijährigen Studie mit 301 Patienten. Ferner versucht die Neurologin Prof. Haas in Magdeburg mit einer Kombination aus dem umstrittenen Imurek und Beta-Interferon bei einer kleineren Patientengruppe eine Wirkung nachzuweisen. Patentstreitigkeiten bedecken die Pharmaunternehmen nicht gerade mit Ruhm. Schering arbeitet in Europa ohne gesichertes Patent mit „seinem“ Beta-Interferon. Das Patent an der Expression des Genproduktes besitzt u. a. das Unternehmen Biogen. Schering verlor im letzten Jahr ein erstes Gerichtsverfahren, mit dem es von Biogen die Aufgabe des Patents gefordert hatte. Ein weiteres Verfahren steht an. Im Hintergrund wird verhandelt. Für den Patienten und seinen Arzt zählt in erster Linie die Frage: „Wann ist es soweit?“ Dazu gehört die Bereitschaft der Pharmaunternehmen, Interessierte mit Informationen zu versorgen. Oft ist das nicht der Fall. Deshalb erhalten Sie nähere Informationen über eine MS-Therapie mit Beta-Interferon bei autoimmun. Seiten 6,7 und 8: Doppelblindstudie Im Dienste der Wissenschaft Wenn der Arzt nicht weiß, was für ein Medikament der Patient bekommt Die Wirksamkeitsprüfung von Medikamenten am Menschen ist in die öffentliche Schußlinie geraten. „Das Thema ist brisant und gleichzeitig schwierig“, bemerkt Dr. G, praktischer Arzt aus Nürnberg. Zwei Beispiele sollen dies veranschaulichen. Mark (27 Jahre) leidet unter permanenten Schlafstörungen. Er bekommt regelmäßig von seinem Arzt ein Medikament, das mehr oder weniger hilft. Zumindest kann er durchschlafen. In einer Illustrierten liest er über ein neues Medikament. Es soll die lästigen Schlafstörungen noch besser beseitigen. Leider werden noch Jahre ins Land ziehen, bis er eventuell das neue Medikament erhalten kann. Es müsse noch klinisch getestet werden, berichtet ihm sein Hausarzt. Mark sieht die Begründung dafür ein: Klinische Wirksamkeitsprüfung am Tier, dann am gesunden Menschen und schließlich bei einer kleinen Zahl von Patienten, die auch an Schlafstörungen leiden. Erst wenn dann bewiesen ist, daß das neue Medikament eine Wirkung hat und außerdem keine gravierenden Nebenwirkungen zeigt, bekommen es die Patienten angeboten. Mark weiß, daß er die Zeit bis zum Abschluß der Prüfung abwarten kann, denn mit seinen jetzigen Pillen kann er einigermaßen gut leben. Wenn er ein neues Medikament bekommt, möchte er sich schon sehr sicher sein, daß es keinen Schaden an seiner Gesundheit anrichten kann. Eine strenge Medikamentenprüfung ist da sinnvoll. 270 Gabi (34 Jahre) leidet an einer unheilbaren Krankheit. Auch sie hat von einem neuen Medikament gehört. Ihre Krankheit läßt ihr vielleicht nur wenig Zeit zu leben. Sie möchte unbedingt die neue Chance, auch wenn sie noch so klein ist, wahrnehmen, denn eine andere Wahl hat sie nicht. Ihr Arzt erklärt ihr ebenfalls den langen Fahrplan der Medikamentenprüfung. Er schlägt ihr vor, an der Studie teilzunehmen. Sie willigt ein und bewirbt sich um die Teilnahme. Gabi hat Glück im Unglück. Aus der großen Zahl der Bewerber wird sie ausgewählt und darf mit ein paar hundert anderen unheilbar Kranken das neue Medikament ausprobieren. Doch der Haken liegt im Detail. Sie erfährt von dem Arzt, der bei ihr den Versuch durchführt, daß er nicht wisse, ob sie tatsächlich das neue Medikament bekommt oder nur ein Placebo, also ein wirkungsloses Scheinpräparat. Der Arzt erklärt ihr das Verfahren. Sowohl die Patienten als auch er wissen nicht, wer welches Präparat bekommt. „Das wurde vorher ausgelost, wie beim Lotto. Man nennt das Doppelblindstudie“, erklärt er vorsichtig. Wenn nur der Patient nicht weiß, ob er ein Placebo erhält, dann spricht man von einer einfachen Blindstudie. Gabi ist entsetzt, fühlt sich betrogen, muß aber einsehen, daß eine halbe Chance besser ist als gar keine. Standard In den USA und Europa hat sich vielerorts diese Form der Arzneimittelprüfung durchgesetzt. In Deutschland ist die Doppelblind-studie inzwischen Standard, obwohl der Gesetzgeber dieses Verfahren nicht ausdrücklich vorschreibt. Wissenschaftler und Experten streiten allerdings nach wie vor über den Sinn und Zweck dieses Verfahrens. Der Vorteil einer Doppelblindstudie liegt vor allem in der besseren Meßbarkeit der Ergebnisse. Wenn es den Placebopatienten schlechter geht als den Medikamentenempfängern, dann muß das neue Medikament wirken. Der Arzt selber weiß ebenfalls nicht, was er seinen Patienten verabreicht. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes doppelblind. Das ist beabsichtigt, er könnte sonst den Patienten beeinflussen oder gar im Falle einer Placebobehandlung eine andere, vielleicht notwendige Therapie durchführen. Dem Placebopatienten muß es meßbar schlechter gehen als den anderen Probanden - im Dienste der Wissenschaft. Wechselwirkung Die Kritik an diesem Verfahren kommt aus verschiedenen Richtungen. Der Medizinexperte Petr Skrabanek und der Arzt James McCormick lehnen diese Form der Medikamentenprüfung ab, „weil es zwischen dem Placebo-Effekt eines Medikamentes und seinen spezifischen Effekten eine Wechselwirkung gibt. So ist es durchaus möglich, daß verschiedene Doppelblindstudien über dieselbe Behandlungsmethode verschiedene Ergebnisse liefern: Mal Nutzen, mal Schaden, mal gar keinen Effekt.“ In einer kürzlich durchgeführten Doppelblindstudie ging es um ein neues Schmerzmittel. Einmal wirkten sowohl das Placebo als auch das neue Schmerzmittel lindernd. In einer zweiten Testreihe wurde genau das Gegenteil ermittelt. Beide Gruppen berichteten über zunehmende Schmerzen. Die Untersucher standen vor einem Rätsel. Entscheidend mitbeeinflußt wurde das Ergebnis auch durch die Art, wie den Patienten das neue Medikament präsentiert wurde. Dabei spielt das Gespräch mit dem Arzt eine wesentliche 271 Rolle, auch wenn er nicht weiß, was er dem jeweiligen Probanden gibt. Somit können eine ganze Reihe von Zufällen das Ergebnis einer Doppelblindstudie beeinflussen. Das erscheint paradox. Die Befürworter der Doppelblindstudien wollen ja gerade den Zufall mit ihrem Verfahren ausschalten. Dies gelingt aber immer seltener. Während einer noch laufenden Doppelblindstudie in Deutschland, die das Ziel verfolgt, die Wirkung einer neuen Substanz bei einer unheilbaren Autoimmunkrankheit festzustellen, traten gleich zwei Vorfälle ein, die das Ergebnis verfälschten: Eine Gruppe von Patienten war sich nicht darüber im klaren, ob sie das Placebopräparat erhielten oder nicht. Kurzer Hand tauschten sie untereinander ihre Medikamente nach einem vorgefertigten Plan ohne das Wissen der Prüfer aus. Andere Probanden wollten dem Placeborisiko entgehen und behandelten sich selbst zusätzlich mit Cortison. Fehlende Dosisfindungsstudie Eine weiteres Problem spricht der Internist und Rheumatologe Prof. Dr. Martin Franke an: „Der Doppelblindstudie sollten sogenannte Dosisfindungsstudien vorausgehen. Das passiert aber nicht.“ Vielfach werden diese aufwendigen Versuche gestartet, ohne das man eine Ahnung davon hat, in welcher Dosis die neuen Medikamente bei den betroffenen Patienten wirken könnte. In den USA wird folgendes Modell angewendet: Nach einer gewissen Zeit tauschen die beiden Versuchsgruppen untereinander. Die ehemaligen Placeboempfänger bekommen nun das Präparat und umgekehrt. Ob dieses Verfahren wesentlich zur Verbesserung der Wirksamkeitsfindung eines Medikaments beiträgt, bleibt abzuwarten. Letztlich berührt die Doppelblindstudie eine ethische Frage. Wem kann man es zumuten, eventuell ein Placebo zu nehmen? Der von Schlaflosigkeit geplagte Mark hat sicherlich noch Zeit, da es bereits Medikamente gibt, die seine Krankheit lindern. Bei Gabi sieht es schon anders aus. Ihr wird unter Umständen eine wirkungsvolle Therapie vorenthalten. Sie muß damit rechnen, nicht wieder gut zu machende körperliche Schäden hinnehmen zu müssen oder gar zu sterben. Eine sehr schnell durchgeführte Doppelblindstudie dauert rund zwei Jahre. Gabi muß für ein zweifelhaftes Modell der Medikamentenprüfung warten - im Dienste der Wissenschaft. Doppelblindstudien sind nicht vorgeschrieben Pharmaunternehmen behaupteten immer wieder, der Gesetzgeber schreibe diese Form der Arzneimittelprüfung vor. Nach Untersuchung der geltenden Rechtslage zeigt sich ein etwas anderes Bild. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verlangt zwar vor der Zulassung eines neuen Medikaments eine umfassende klinische Prüfung, jedoch schreibt es an keiner Stelle vor, daß doppelblind geprüft werden muß. Bei den „verschiedenen Spielarten der Arzneimittelprüfung“ hat „der forschende Mediziner Integrität und Autonomie seiner Patienten und Probanden streng zu achten“, stellt der Arztrechtler Laufs fest. Der Hinweis auf die Doppelblindstudie ist in den Prüfrichtlinien zur Arzneimittelprüfung enthalten. Er ist nicht zwingend und stellt schon gar keine Vorschrift dar. Entschieden wird von Fall zu Fall. Die 272 Juristen sind dabei eher zurückhaltend. Man läßt die Mediziner gewähren. „Diese Probleme werden in den medizinischen Bereich abgeschoben“, schätzt die Juristin Jutta Sturm-Heidler den Sachverhalt ein. „Dort sind dann immer erst die Ethik-Kommissionen gefragt, die Juristen selbst vermeiden eine Bewertung.“ Der gesetzliche Rahmen erlaubt ein den Bedürfnissen der betroffenen Patienten angepaßtes Modell der Arzneimittelprüfung. Die Mediziner sind aufgefordert, ihr bisheriges Verfahren so zu verbessern, daß auch unheilbar Kranke beschützt und nicht benützt werden. Seite 9: „Schlagkräftige Kampfboote“ Nach dem Aids-Skandal ist das Bundesgesundheitsamt (BGA) zerteilt worden. Das Ergebnis sind mehrere Einzelinstitute. Bundesgesundheitsminister Seehofer plant nun die Privatisierung - Experten warnen. Begleitet durch viel Medienbeachtung ist das Bundesgesundheitsamt von seinem Dienstherren, Gesundheitsminister Horst Seehofer, jetzt in leichter zu steuernde Einrichtungen aufgeteilt worden. 118 Jahre lang hatte diese Mischung aus Gesetzesvollzug, Politikberatung, Risikobewertung und Forschung die zentrale Rolle im deutschen Gesundheitswesen gespielt. Negative Schlagzeilen produzierte das BGA schon öfters - mal fiel es durch zu große Industrienähe auf, mal durch Überreaktion, zuletzt - beim Skandal um HIV-verseuchte Blutkonserven - durch Verschlafenheit. Die Zahl der BGA-Mitarbeiter hatte sich in den letzten acht Jahren fast verdoppelt, auf 3087 Personen. Der Etat war auf annähernd 300 Millionen Mark gewachsen. Aber nicht Sparmaßnahmen von Gesundheitsminister Seehofer machten der Berliner Großbehörde den Garaus. Es war der lässige Umgang mit der tödlichen Aids-Infektion, der den Minister handeln ließ: Der Bluterskandal, bisher die schwerste Medikamentenkatastrophe in der Bundesrepublik, machten das Ausmaß der Schlampereien deutlich. Bis 1985 wurden in den alten Bundesländern von den 4000 regelmäßig behandelten Blutern mehr als 50 Prozent mit HIV infiziert. Wieviele Menschen sich durch HIV-verseuchte Blutkonserven mit dem AIDSVirus ansteckten, steht immer noch nicht fest. Sicher ist, daß Kontrollmechanismen versagt haben und wider besseren Wissens nicht rechtzeitig gehandelt wurde. Ob die Ursachen in dem Bürokratismus der Mammutbehörde zu suchen sind - oder in der Inkompetenz einiger BGABeamter, die durch politische Arithmetik an ihre Posten gekommen waren muß offen bleiben. Durch das BGA-Nachfolgegesetz wurde die Bundesbehörde nun in vier voneinander unabhängige Bereiche aufgeteilt. „Aus dem Tanker wurden schlagkräftige Kampfboote“, kommentierte Bundesgesundheitsminister Seehofer die neue Organisationsform im öffentlichen Gesundheitsdienst. Daß es sich dabei vielleicht doch nur um Beiboote des ehemals schwer zu manövrierenden Dampfers BGA handeln könne, meint nicht nur die BGA-nahe Fachwelt. Auch in- und ausländische Fachleute beziehen Stellung: Verbraucherschutz und medizinische Forschung bedürften gerade heute einer fachübergreifenden staatlichen Institution. Überwachungsaufgaben im gesundheitlichen Verbraucherschutz könnten weitgehend privatisiert werden, ist die dem gegenüber noch weitergehende 273 Ansicht Seehofers. Auffällig ist auch, daß Teile des BGA nach Bonn geholt wurden, während die Regierung und das Parlament die andere Richtung gewählt haben. Diese Verlagerung von Arbeitsplätzen von der neuen in die ehemalige Bundeshauptstadt war mit der Zersplitterung des BGA in Einzelinstitute leichter zu erreichen. Jens Zimmermann Das zergliederte Bundesgesundheitsamt 1. Das „Robert-Koch-Institut“ befaßt sich mit Infektions- sowie mit nichtübertragbaren Krankheiten und der Risikobewertung gentechnisch veränderter Organismen. Das Aids-Zentrum wird Teil dieses Instituts. 2. Das „Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin“ ist der Verbund des bisherigen Max-von PettenkoferInstituts mit dem Institut für Veterinärmedizin. Es soll gentechnisch veränderte Nahrungsmittel, Chemikalien und Tierkrankheiten auf gesundheitliche Folgen für den Menschen untersuchen; außerdem kümmert es sich um den Tierschutz. 3. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte“ führt die Aufgaben der Medikamentenzulassung und -überwachung fort. Es beobachtet den Verkehr mit Betäubungsmitteln und die Medizintechnik. Arzneimittel auf der Basis von Blut werden jetzt vom „Bundesamt für Impfstoffe und Sera“ in Frankfurt am Main betreut. 4. Das „Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene“ ist dem Umweltbundesamt formell unterstellt. Es untersucht schwerpunktmäßig gesundheitliche Auswirkungen von Umweltbelastungen. Seiten 10,11,12, und 13: Autoimmunkrankheit Wenn nichts mehr geht: Myasthenia gravis: Die beste Forschung zu Autoimmunerkrankungen taugt nichts, wenn die Patienten keine Verbesserung spüren. Neuen Wind bekommen Ärzte mit Immunglobulinen. Es handelt sich bei der Myasthenia gravis um eine erworbene Autoimmunerkrankung. Antikörper gegen Rezeptoren für den Überträgerstoff zwischen Nerv und Muskel (Acetylcholin) werden an spezifischen Stellen der Muskelzellen, den postsynaptischen Membranen, abgelagert und blockieren hier in dieser Membran befindliche Rezeptoren für den Überträgerstoff Acetylcholin. Diese Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper können mit den heute üblichen Methoden bei etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten mit einer generalisierten Myasthenie nachgewiesen werden. Krankheitsentstehung Für die Entstehung einer Myasthenie wird eine genetische Disposition diskutiert, da bei zahlreichen Myasthenie-Kranken immunologische Besonderheiten bestehen (spezielle HLA-Typen, z. B. HLA-B8, DR3). Der Thymus spielt zumindest bei der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Bei 90 Prozent der Thymusdrüsen von Myasthenie-Patienten finden sich histologische Besonderheiten. Die Thymusdrüse enthält Zellen, die Ähnlichkeit mit normalen Muskelzellen haben. (sog. Myoidzellen). 274 Diese Zellen tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für Acetylcholin, wie bei normalen Muskelzellen der Willkürmuskulatur. Diese Rezeptoren für Acetylcholin können von Zellen des Immunsystems als „fremd“ angesehen werden. Es kommt zu einer Antikörperbildung gegen diese Rezeptoren für den Überträgerstoff Acetylcholin. In der Thymusdrüse findet ein Selektionsprozeß der Lymphozyten statt. Es lassen sich an der Thymusdrüse eine lymphozyten-reiche Rinde und ein lymphozyten-ärmeres Mark unterscheiden. In der Thymusrinde vollzieht sich der Reifungsprozeß der aus dem Knochenmark stammenden Vorläuferzellen. Zunächst bilden diese einen Rezeptor aus (antigenen-spezifische TZellrezeptoren), dann erfolgt ein Musterungsverfahren, durch die das spezielle T-Zellrepertoir eines Menschen geprägt wird. Der Prozeß vollzieht sich in zwei Stufen, wobei zunächst eine positive Auswahl erfolgt. Positiv heißt, es bleiben die reifenden T-Zellen erhalten, die ein Antigen, das ihnen von anderen Immunzellen präsentiert wird, erkennen können. In einem weiteren Schritt erfolgt eine negative Selektion, d.h. es werden bestimmte Lymphozythen (T-Zellen) mit einer besonders hohen Rezeptoraffinität für Autoantigene ausgesondert. Bei Störung, z.B. dem gehäuften Vorkommen von muskelähnlichen Zellen, können vermehrt spezifische T- Zellen gebildet werden, die außerhalb des Thymus eine verstärkte Antikörperbildung, z.B. gegen Acetylcholinrezeptoren, bewirken. Diese Acetylcholin-RezeptorAntikörper blockieren die entsprechenden Rezeptoren der Muskelzellen, wodurch es zu einer Schwäche des betroffenen Muskels kommen kann. Diagnose Bei der klinischen Untersuchung wird die belastungsabhängige Ermüdbarkeit von Muskelgruppen geprüft. Ein Pharmakologischer Test (Tensilon-Test) prüft, ob durch intravenöse Gabe dieses Medikaments, das den Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin hemmt, eine vorübergehende Besserung der Muskelschwäche erreicht werden kann. Mit neurophysiologischen Untersuchungsmethoden (Elektromyographie) kann die Muskelschwäche bzw. die leichte Ermüdbarkeit der Muskulatur durch wiederholte elektrische Stimulation nachgewiesen werden. Für die Myasthenie ist charakteristisch, daß sich bei wiederholter Reizung eine deutliche fortschreitende Amplitudenminderung des Reizantwortpotentials in den untersuchten Muskeln zeigt. Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren finden sich bei über 90 Prozent der Patienten mit generalisierter Myasthenie und bei 50 Prozent der Patienten mit rein oculärer Myasthenie. Diese Antikörper sind gegen verschiedene Bestandteile des Acetylcholinrezeptors gerichtet. Daneben finden sich bei etwa einem Drittel der Patienten mit generalisierter Myasthenie auch Antikörper gegen die quergestreifte Muskulatur. Diese Antikörper kommen bei 80-90 Prozent der Patienten mit Thymom und Myasthenia gravis vor. Schließlich können inzwischen Antiacetylcholinrezeptor-Antikörper bestimmt werden; damit steht ein sehr spezifischer und sensitiver Test für die Myasthenia gravis zur Verfügung. Durch röntgenologische Untersuchungen, Computer- oder Kernspintomographie muß ein Thymom ausgeschlossen werden. Das Vorliegen eines Thymoms stellt eine absolute Indikation zur Thymektomie dar. In der Regel wird bei generalisierter Myasthenia gravis eine Thymektomie 275 empfohlen. Bei isolierter oculärer Myasthenie wird gewöhnlich keine Thymektomie durchgeführt. Therapie Die symptomatische medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis hat das Ziel, die Konzentration des Überträgerstoffs Acetylcholin an der postsynaptischen Membran zu erhöhen. Zum anderen wird versucht, die Antikörper aus dem Blut zu entfernen, deren Konzentration zu vermindern oder die Autoimmunreaktion zu hemmen. Bei einem Drittel der Erkrankungen kann nach Thymektomie mit einer Spontanremission gerechnet werden; bei einem weiteren Drittel mit einer deutlichen Besserung des Krankheitsverlaufs. Durch Plasmapherese werden die im Blut zirkulierenden Antikörper kurzfristig entfernt. Eine klinische Besserung ist in der Regel schon nach zwei Austauschbehandlungen zu beobachten, hält jedoch ohne Kombination mit anderen immunsuppressiven Maßnahmen in der Regel nur drei bis sechs Wochen an. Ein positiver Langzeiteffekt konnte nicht bewiesen werden. Heute werden hauptsächlich noch vier Indikationen für eine Plasmapherese genannt: die drohende myasthenische Krise, das Vorliegen einer ausgeprägten Myasthenia gravis und fehlende Wirksamkeit der Medikamente, bzw. noch nicht einsetzende Wirkung der immunsuppressiven Behandlung sowie bei schwerster Myasthenie als operationsvorbereitende Maßnahme. Behandlung der Symptome Durch spezielle Substanzen, die den Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin hemmen, wird eine Erhöhung der Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt erreicht. Diese Medikamente nennt man „Cholinesterasehemmer“. Nebenwirkungen entstehen durch eine überschießende vegetative Reaktion in Form von vermehrtem Tränenfluß, vermehrtem Schwitzen, Verlangsamung der Herztätigkeit, Bauchkrämpfen und Durchfall. Eine Überdosierung kann diese Nebenwirkungen extrem steigern (cholinerge Krise). Neben der starken vegetativen Symptomatik mit vermehrter Bronchialsekretion, Speichelfluß und Schwitzen treten innere Unruhe, ferner eine zunehmende Muskelschwäche, insbesondere auch eine Störung der Atemmuskulatur auf. Eine stationäre Behandlung ist notwendig wegen der drohenden Gefahr von Atemstörungen. Die Dosierung der Cholinesterasehemmer richtet sich nach der klinischen Symptomatik; anfänglich werden Dosen von etwa 4 x 30 mg täglich empfohlen. Immunsuppression Verwendet werden zum einen Cortisonpräparate, zum anderen Zytostatika, überwiegend das Azathioprin (Imurek). Die Wirkung von Cortison wird überwiegend auf den immunsuppressiven Effekt zurückgeführt. Zu Beginn der Behandlung zeigt sich oft eine vorübergehende Verschlechterung in 30 bis 80 Prozent der Fälle. Die Angaben zur Dosierung variieren; es lassen sich zwei verschiedene Dosierungsschemata gegenüberstellen: Einmal die täglich hochdosierte Steroidbehandlung mit 60 bis 100 mg Prednison; zum zweiten die langsame Steigerung niedriger Dosen, die nur jeden zweiten Tag verabreicht werden. Bei der Behandlung mit Cortison sind die bekannten Nebenwirkungen zu beachten. Eine Verringerung der Steroiddosis sollte vorsichtig erfolgen, da 276 u.a. eine Nebennierenrindeninsuffizienz sowie ein Cortisonentzugs-Syndrom (charakterisiert durch Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Fieber, Gefäßentzündung) entstehen kann. Bei den verwendeten nicht-steroidalen, immunsuppressiv wirkenden Medikamenten handelt es sich meist um Zytostatika, die antimetabolisch auf rasch sich teilende Zellen wirken. Es bestehen günstige Erfahrungen mit dem Azathioprin (Imurek). Azathioprin wird in einer Dosis von 100 bis 200 mg täglich gegeben. Ziel ist eine Verminderung der Leukozytenzahl; bei Absinken der Werte unter 2.500 muß die Medikamenteneinnahme vorübergehend ausgesetzt werden. Nachteile einer Azathioprin-Monotherapie sind ein verzögerter Wirkungseintritt (nach drei bis sechs Monaten), eine fehlende Wirkung bei ca. 20 Prozent der Erkrankten, schließlich gibt es bei bis zu 10 Prozent der Patienten eine Unverträglichkeit und bei 30 Prozent erhebliche Nebenwirkungen. Nebenwirkungen Hauptnebenwirkungen sind eine Knochenmarksdepression, Beschwerden im Magen-Darm-Trakt, eine erhöhte Infektionsanfälligkeit und eine Leberschädigung. Ein erhöhtes Tumorrisiko wird neuerdings verneint, theoretisch ist eine erhöhte Tumorrate allerdings bei allen Zytostatika zu erwarten. Es wird deshalb eine Kombination von Steroiden (Cortison) und Azathioprin empfohlen. Andere Medikamente, die seltener verwendet werden, sind Cyclosphamid (Endoxan) sowie Cyclosporin. Die Behandlung mit diesen Medikamenten hat sich wegen der ausgeprägten und schweren Nebenwirkungen nicht allgemein durchgesetzt und bleibt Sonderfällen vorbehalten. Neue Therapieansätze Ein neuer Therapieansatz besteht in der Anwendung von hochdosierten Immunglobulinen. In neueren Studien wird über eine rasche und eindrückliche Besserung berichtet. Üblicherweise werden 400 mg/kg pro Tag an fünf aufeinanderfolgenden Tagen gegeben. Oft zeigt sich schon während der Infusionsbehandlung eine Besserung. Schwerwiegende Nebenwirkungen treten nicht auf. Ein Nachteil ist, daß die Wirkung nur ca. ein bis zwei Monate anhält. Ein weiterer Nachteil sind sicherlich die zur Zeit noch sehr hohen Kosten. Nach Ergebnissen von sechs publizierten Studien sprechen insgesamt etwa 80 Prozent aller Patienten auf Immunglobuline an, wobei weder der Typ der Myasthenie, noch die Dauer der Erkrankung oder die Höhe des Antikörpertiters gegen den Acetylcholinrezeptor einen Einfluß darauf haben, ob Immunglobuline wirken oder nicht. Die Wirkung der 7 S-Immunglobuline ist zunächst noch weitgehend unklar. Die Immunglobuline werden meist aus einem Pool verschiedener Plasmaspenden hergestellt und enthalten ein breites Spektrum unterschiedlicher Antikörperspezifitäten. Es wird vermutet, daß die Immunglobulinpräparate auch natürliche Autoantikörper enthalten, die mit Autoantigenen reagieren und dadurch das Immunsystem von Patienten mit einer Autoimmunerkrankung vor diesen Autoantigenen abschirmen können. 277 Wie die 7 S-Immunglobuline bei der Myasthenie wirken, sei jedoch für ihren Einsatz in der Praxis letztendlich zweitrangig, entscheidend sei ihre klinische Wirkung, sagte einer der Experten auf einem Kongreß im September 1993. Neuere therapeutische Ansätze zielen auf spezifische immuntherapeutische Verfahren, die selektiv den Autoimmunprozeß gegen Acetylcholinrezeptoren beeinflussen. Bisher befinden sich diese Verfahren noch im experimentellen Stadium. Neben der speziellen medikamentösen Behandlung ist gerade bei der Erkrankung an Myasthenia gravis eine Aufklärung über die Art der Erkrankung, den Verlauf, über Warnsymptome einer Verschlechterung und eine Aufklärung über ungünstige Faktoren, die zu einer Verschlechterung führen können, notwendig. Zu letzteren gehören extreme psychische und physische Belastungen, hormonelle Störungen, Infektionskrankheiten und anderes. Ferner kann eine Myastenia gravis durch zahlreiche Medikamente verschlechtert werden. Dazu gehören u.a. Antibiotika, ferner Antiarrhythmika, Malaria-Mittel, Rheuma-Mittel, Medikamente, die bei Grippe genommen werden, Psychopharmaka, hormonell wirksame Präparate und Muskelrelaxantien. Dr. med. Hans Wilimzig Seiten 14,15 und 16: News und Hintergrund Englische Killerbakterien sind alte Bekannte „Nekrotisierende Fasciitis“ heißt dieses seit Jahrzehnten bekannte und relativ seltene Krankheitsbild. In Deutschland werden jährlich 30 bis 40 Fälle geschätzt, die Krankheit ist nicht meldepflichtig. Sie wird du´rch Streptokokken hervorgerufen, deren bakterielle Stoffwechselprodukte möglicherweise zusammen mit Toxinen schwere Entzündungen auslösen. Bestimmte Grunderkrankungen scheinen das Erscheinungsbild nachteilig zu beeinflussen. Die Krankheit endet vergleichsweise häufig tödlich. Gegen die Entzündungen kann mit Penicillin und anderen Antibiotika vorgegangen werden, bei Fortschreiten der „nekrotisierenden Fasciitis“ ändern sich die Durchblutungsverhältnisse im Entzündungsgebiet, chirurgische Maßnahmen sind dann angezeigt. Merkblatt: „Jodmangel und Schwangerschaft“ Wird der gesteigerte Jodbedarf während der Schwangerschaft nicht gedeckt, kann sich ein Schwangerschaftskropf entwickeln. Die größte Gefahr droht jedoch dem Kind, das durch Jodmangel Schäden erleiden kann. Das aufklärende Merkblatt ist erhältlich bei: Arbeitskreis Jodmangel, Postfach 1541, 64505 Groß-Gerau. Lungenkrebsrisiko durch Vogelhaltung Vogelhaltung kann ungeahnte Gefahren bergen: Das schon vorhandene Lungenkrebsrisiko verdoppelt sich für die Freunde der gefiederten Lieblinge. Das hat eine Forschergruppe des Berliner Bundesgesundheitsamts 278 herausgefunden. 239 Lungenkrebspatienten aus drei Berliner Krankenhäusern und 429 Gesunde wurden von den Forschern befragt. Von Interesse waren neben der Vogelhaltung auch Fragen nach anderen Risikofaktoren, wie etwa dem Rauchverhalten. Ergebnis der Befragung: Das Lungenkrebsrisiko verdoppelt sich durch Vögel im Haus. Aber das verdoppelte Risiko eines Nichtrauchers sei immer noch ein relativ geringes, meint Michael Thamm vom Bundesgesundheitsamt. Hingegen haben Raucher - bedingt durch ihr ohnehin erhöhtes Lungenkrebsrisiko - durch Vögel als Haustiere eine schwerwiegendere Verdoppelung ihrer Gefährdung hinzunehmen. Winzigste Vogelfedern und Kotpartikel, die mit Pilzen behaftet sind, könnten zu einer Dauerreizung der menschlichen Lunge führen, vermuten die Berliner Wissenschaftler. Deshalb rät Michael Thamm dazu, die Wohnung gut zu lüften und Vogelkäfige regelmäßig zu reinigen. „Elektrosmog“ und Leukämie Der TÜV Bayern/Sachsen und die Deutsche Aerospace (Dasa) schlugen in einem Gutachten vor, eine Studie in Auftrag zu geben, um die Wirkung von elektromagnetische Strahlung auf Menschen zu erforschen. Das bayerische Umweltministerium will deshalb Menschen, die im Umkreis von Hochspannungsleitungen und am Münchener Flughafen leben, beobachten lassen. Ziel der Untersuchung ist, die tatsächlichen Belastungen zu erkennen. Bayern will damit als erstes Bundesland einen Vorstoß zum Schutz der Bevölkerung vor „Elektrosmog“ wagen. Im Herbst 1992 hatte eine umstrittene schwedische Studie bei Kindern und Jugendlichen, die unter Hochspannungsleitungen leben, ein erhöhtes Leukämierisiko festgestellt. Bisher haben das Bundesamt für Strahlenschutz und die Deutsche Strahlenschutzkommission beim Umweltministerium keinen Zusammenhang zwischen „Elektrosmog“ und Krebs oder Elektrosensibilität (Kopfschmerzen, Nervosität, Allergien) feststellen können. Durch das bisher lückenhafte Datenmaterial läßt sich das Auftreten von möglichen Spätfolgen jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen. „Elektrosmog“ bezeichnet das Einwirken von elektrischen und magnetischen Kraftfeldern auf den Menschen. Diese Felder treten in der Nähe von Hochspannungsleitungen und beim Betrieb von Haushaltsgeräten (auch Mobiltelefonen) auf. Verschreibung von Betäubungsmitteln vereinfacht Die Vorschriften für das Verschreiben von Betäubungsmitteln wurden durch die Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnungen (BtMÄndV) erheblich vereinfacht. Betäubungsmittel-Rezeptformblätter und -anforderungsscheine können von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte bestellt werden. Schriftliche Anforderungen, auch per Telefax, nicht jedoch telefonisch, beim: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bundesopiumstelle, Genthiner Straße 38, 10785 Berlin, Fax: 030/25492-210. 279 Die zulässigen Verschreibungsmengen wurden erhöht, der Verschreibungszeitraum auf 30 Tage ausgedehnt, ohne daß Vermerke wie: „Menge ärztlich begründet“ oder: „Bedarf für ... Tage“ erforderlich sind. Vorerst unverändert bleiben die Betäubungsmittel-Rezeptformblätter. Erst nach der bundesweiten Einführung der „Chipkarte“ werden sie den EDV-technischen Möglichkeiten angepaßt, in einer Übergangsfrist können dann die herkömmlichen Formblätter aufgebraucht werden. Weitere Vereinfachungen sind für die nächste BtMÄndV geplant. Nähere Informationen gibt es unter den Telefonnummern 030/25492 - 119 und -150. AIDS-Prognosen bald möglich? Wissenschaftlern der New Yorker Rockefeller-Universität gelang es, zutreffende Prognosen zum Krankheitsverlauf bei HIV-infizierten Menschen zu liefern. Möglicherweise läßt sich der Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS jetzt früher durch Nachweis von Boten-RNS in Blutzellen erkennen. In einer siebenjährigen Studie wurde an 18 Versuchspersonen der Anteil von HIV-Boten-RNS in den Blutzellen beobachtet. Diese Substanz stellt genetische Informationen des HIV-Virus dar. Der jeweils gemessene Wert kann als neuer Indikator auch die verlangsamte Virus-Vermehrung während einer medikamentösen Behandlung widerspiegeln und somit helfen, den Erfolg von Medikamenten bei HIV-Infizierten zu beurteilen, meinen die Forscher. Neues Medikament gegen Alzheimer In den USA und Frankreich wurde ein neuer Wirkstoff zugelassen, der Linderung bei leichten und mittleren Formen der Alzheimer-Krankheit zu erreichen verspricht. Es ist die erste Substanz, die die Symptome nachweislich beeinflussen kann, stellte die US-Gesundheitsbehörde FDA fest. Der Wirkstoff Tacrine verbesserte die Lernfähigkeit der Patienten und konnte ihr Erinnerungsvermögen meßbar steigern, so ein Bericht im „Mayo Clinic Gesundheits-Brief“. DSG auch bei ALS eingesetzt Deoxyspergualin (DSG) scheint sich auch noch bei anderen Krankheiten zu bewähren. Die Amyotrophische Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung der für die Muskeln zuständigen Nerven. Männer erkranken an ALS dreimal häufiger als Frauen. Die Krankheit taucht meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. Eine ALS wird durch gesteigerte Reflexe und der Messung bestimmter Reizpotentiale nachgewiesen. Die Entstehung dieser Krankheit ist vollkommen unklar. Wissenschaftler vermuten einen genetischen Defekt. Für den betroffenen Patienten besteht eine schlechte Prognose. Nur rund 20 Prozent der Erkrankten erreichen das fünfte Krankheitsjahr. Es treten Spastiken, Krämpfe und Lähmungen am ganzen Körper auf. Erfaßt die ALS schließlich die Atemmuskulatur, kann es zu einer Bulbärparalyse kommen. Der Erstickungstod kann dann nur noch mit ständigem Absaugen des Speichels verhindert werden. 280 Bei dem Versuch, das verhängnisvolle Fortschreiten der ALS zu stoppen, wurden vor über einem Jahr einige ALS-Patienten von Prof. Dr. N. Franke mit dem auch bei Multipler Sklerose eingesetzten Medikament DSG behandelt. Das Zwischenergebnis stimmt Franke vorsichtig optimistisch: „Der Zustand der Patienten scheint unverändert zu sein. Es entsteht der Eindruck, daß DSG den Krankheitsverlauf verlangsamt haben könnte.“ Mehr Allergien im Westen als im Osten Heuschnupfen, Asthma und andere allergische Erkrankungen sind in den alten Bundesländern viel weiter verbreitet als in den neuen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Robert Koch Instituts. Die Daten wurden 1990/91 an Erwachsenen in Ost und West erhoben und zeigen Unterschiede erst bei denen, die 40 Jahre oder jünger sind. Gegenstand dieser Untersuchung waren Befragungen und Serumuntersuchungen auf Antikörper. Die Risikofaktoren für Inhalationsallergien scheinen demnach in der frühen Kindheit sensibilisierend zu wirken. Dazu zählen unter anderem: l Infekte in der Kindheit. In der DDR waren die Kinder weitaus häufiger mit Infekten konfrontiert, was einen möglichen Schutzfaktor darstellen könnte. l Rauchverhalten der Eltern. Der Anteil der Raucher ist im Osten deutlich geringer. Demgegenüber nahm im Westen die Zahl der Raucher schneller zu. Ein Zusammenhang zwischen Passivrauchen in der Kindheit und einer Sensibilisierung gegen Inhalationsallergene wurde nachgewiesen. l Durch den langsamer wachsenden Bestand an Kraftfahrzeugen waren die heute 20- bis 25jährigen Neubundesbürger in ihrer Kindheit weit weniger der Belastung durch Autoabgase ausgesetzt. Die Hypothese, daß Autoabgase die Sensibilisierung gegen Inhalationsallergene fördert, ist ein weiterer Erklärungsansatz für die OstWest-Unterschiede. Ruhen der Zulassung für Omeprazol Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat das sofortige Ruhen der Zulassung für den Wirkstoff Omeprazol zur Injektion angeordnet. Befristet wurde die Anordnung zunächst bis zum 31.7.1995. Einzelfallmeldungen hatten den begründeten Verdacht von unerwünschten Arzneimittelwirkungen am Auge und am Ohr aufgebracht. Beobachtet wurden Verschwommensehen, Schleiersehen, Einschränkungen des Gesichtsfeldes und Sehschärfeverlust; sehr selten auch Hörstörungen. Die Nebenwirkungen treten offenbar selten auf, können aber schwerwiegend verlaufen und führen in Einzelfällen bis zur Erblindung und zum Verlust der Hörfähigkeit. Omeprazol wird zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren eingesetzt. Für die Therapie bei der Refluxösophagitis und des Zollinger-Ellison-Syndroms gilt es als unverzichtbarer Wirkstoff. Nicht bekannt ist, welcher Mechanismus bei der Entstehung der Nebenwirkungen zugrundeliegt. Sicher ist aber, daß mit der Injektion von Omeprazol schneller höhere Plasmaspiegel erzielt werden als bei oraler Verabreichung. 281 Keine Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, sehen die übrigen EUStaaten, in denen die Injektionsform zugelassen ist. In Deutschland wurden ca. 60 Prozent der weltweit angewendeten Einheiten von Omeprazol als Injektionsform verbraucht, häufig in nicht zugelassenen Indikationen und zu hohen Dosierungen. Seiten 17, 18 und 19: Interview „Ich halte den Einsatz von DSG für sinnvoll“ Die Arztkarriere von Dr. Klaus Regensburger stand unter keinem guten Stern. Bereits nach drei Jahren Tätigkeit wurde der heute 33-jährige von der Multiplen Sklerose überfallen. Vom ersten MS-Symptom bis zur kompletten Pflegebedürftigkeit vergingen nur vier Wochen. Der Tiefschlag traf den unverheirateten Medizinier völlig unerwartet. Seine Kollegen päppelten Regenburger mit Kortison und Endoxan wieder einigermaßen auf. Doch der Arzt Regenburger wußte, daß er nicht mehr viel Zeit haben würde. Der nächste Schub hätte schon der letzte sein können. Bei der Suche nach einer Anschlußtherapie stieß er auf Deoxyspergualin (DSG). Im September 1993 wurde Regensburger mit diesem Medikament behandelt. Heute beschreibt er seinen Zustand als stabil. Seit seiner Therapie geht er Prof. Dr. Niels Franke zur Hand. Über seine gesammelten Erfahrungen mit DSG spricht er im Interview mit autoimmun. autoimmun: Wann und wie sind Sie zu einer DSG-Therapie gekommen und wie beurteilen Sie heute ihren Gesundheitszustand? Dr. Regensburger: Nach meinem ersten Krankheitsschub habe ich eine sinnvolle Anschlußtherapie gesucht. Nach Durchsicht der medizinischen Literatur bin ich auf DSG gestoßen. Die Therapie wurde bei Prof. Franke im September 1993 durchgeführt. Erste Effekte bemerkte ich bereits während der Infusion. Danach folgte eine kurzfristige Verschlechterung meiner Sehfähigkeit, die sich aber nach ein paar Tagen wieder gab. Meine Koordinationsfähigkeit und der Bewegungsapparat wurden durch die DSG-Therapie positiv beeinflusst. Nach rund acht Monaten erreichte ich ein Defektstadium, das mir offensichtlich länger anhaltende Stabilität gab. Seitdem ist mein Zustand unverändert. Ich bin belastbarer geworden. autoimmun: Sie haben jetzt bereits einige Erfahrungen mit DSG an sich selbst und bei vielen Patienten sammeln können. Im Gegensatz zu den an den Doppelblindstudien beteiligten Ärzten konnten Sie sehen, was das Medikament bewirken kann. Ist DSG eine Waffe gegen die MS? Dr. Regensburger: Die Therapie mit DSG bei MS-Patienten zeigte bisher zwei Effekte. In hoher Dosierung wirkt die Substanz ohne Zweifel immunsuppressiv. Ferner konnte ich einen anderen Effekt beobachten, der scheinbar auf das Immunsystem zielt. Dabei wird vermutlich eine Veränderung an den krankheitsauslösenden Zellen vorgenommen. Hierbei scheint die Dosierung eine untergeordnete Rolle zu spielen. autoimmun: Zur Zeit denkt man über Kombinationen von DSG mit anderen Medikamenten nach. Haben Sie vor Ihrer DSG Therapie bereits andere Präparate an sich ausprobiert? 282 Dr. Regensburger: Nein, ich habe keine anderen Therapien versucht. Kombinationen mit anderen Präparaten halte ich für sehr sinnvoll. Ich glaube, man könnte damit das Therapiergebnis verbessern. autoimmun: An welche Substanzen denken Sie? Dr. Regensburger: Es kommen eine ganze Reihe von Präparaten in Frage. Die Interferone könnten sicherlich eine ergänzende Wirkung haben. Aber auch Substanzen, die das Nervenwachstum fördern, können eine Rolle spielen. Mein persönliches Interesse hat das Medikament Leflunomid geweckt. autoimmun: Viele Patienten werfen den MS-Forschern vor, sie hätten die aktuelle Entwicklung verschlafen. Wie beurteilen Sie das Engagement in der MS-Forschung? Dr. Regensburger: Sicherlich läßt sich das eine oder andere zum Thema MSForschung sagen. Es ist ein schwieriges Thema, man sollte schon sehr genau hinschauen. Eines möchte ich jedoch mit Sicherheit feststellen: Ich vermisse bei der MS-Forschung immernoch Offenheit gegenüber neuen Therapien, die einen nachvollziehbaren theoretischen Ansatz bieten. Die Wissenschaft speziell bei der MS-Forschung - schien festgefahren zu sein. Scheinbar fühlte man sich dabei auch noch wohl. autoimmun: Konnten Sie bei der Therapie mit DSG besondere Erfolge oder Mißerfolge beobachten? Dr. Regensburger: Die Reaktionen bei den Patienten auf die Zuführung von DSG waren sehr unterschiedlicher Art. Ich konnte sowohl sehr positive als auch negative Ergebnisse beobachten. Die erfreulichen Therapieergebnisse werden überwiegen. Ein Wundermittel ist DSG aber nicht. autoimmun: Sind Ihnen Besonderheiten aufgefallen? Vielleicht eine spezifische Wirkung bei bestimmten Symptomen? Dr. Regensburger: Ja, bei vielen Patienten, die bereits unter einen imperativen Harndrang oder gar Inkontinenz litten, stellten sich Verbesserungen im Blasenbereich ein. Dieser Effekt läßt sich nicht durch eine Placebowirkung erklären. Da hat DSG schon gewirkt. autoimmun: In welchem Stadium zeigt die DSG-Therapie ihre größten Erfolge? Dr. Regensburger: Es ist wie bei vielen Therapien. Je früher, um so besser. Wenn man die Frühstadien behandelt, ist die Chance größer, ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern. Einzelne Krankheitssymptome können verschwinden oder verbessern sich. Eine Rückkehr der vollkommenen Gesundheit halte ich für unwahrscheinlich, außer vielleicht im Frühstadium der Krankheit. autoimmun: Und die fortgeschrittenen Fälle? Dr. Regensburger: Irgendwann ist die Multiple Sklerose mit den zur Zeit zur Verfügung stehenden Medikamenten nicht mehr beeinflußbar. Ich halte den Einsatz von DSG dennoch für sinnvoll. Hierbei sollte man aber sehr individuell vorgehen. In ein grobes Raster passen diese Fälle nicht hinein. autoimmun: Würden Sie es wagen, eine Erfolgsquote bei der MS-Therapie mit DSG zu nennen? Dr. Regensburger: Nein, ich kann mir noch keine abschließende Meinung bilden. Dazu war die Beobachtungszeit auch zu kurz und das Patientenkollektiv zu vielschichtig. 283 autoimmun: Könnten Sie sich vorstellen, daß das Medikament auch bei anderen Krankheiten einen Effekt zeigen könnte? Dr. Regensburger: Das ist nicht auszuschließen. Man sollte über das ganze Spektrum der Autoimmunkrankheiten nachdenken. autoimmun: Die Dosierungsfrage von DSG bei MS scheint eine der vielen offenen Fragen zu sein. Die umfangreichen Doppelblindstudien konnten nur zwei Dosierungen beobachten. Jetzt therapiert man die Placebo-Patienten nach dem Motto 'höher, schneller, weiter'. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Patienten gemacht? Dr. Regensburger: Die Dosierungsfrage ist nach wie vor ungeklärt. Auch die Dauer der Therapie und der Intervallrhythmus sind ungeklärt. Diese Fragen lassen sich erst beantworten, wenn noch mehr Patienten mit DSG behandelt worden sind. Ich hoffe, daß das bald geschehen wird. Nach meinen persönlichen Erfahrungen komme ich zu der Auffassung, daß es wahrscheinlich auf eine individuelle Anpassung hinauslaufen wird, um negative Effekte möglichst ausschließen zu können. Mitentscheidend wird dabei die Reaktion der einzelnen Patiententypen auf verschiedene Dosierungen sein. autoimmun: Von den Verhinderern (DMSG, einzelnen Neurologen etc.) des MS-Medikaments DSG wurden immer wieder die Nebenwirkungen ins Feld geführt. Konnten Sie Nebenwirkungen bei den Patienten beobachten? Dr. Regensburger: Nebenwirkungen, die der Substanzwirkung zuzuschreiben sind - also Nebenwirkungen im klassischen Sinne - habe ich nicht beobachtet. Nach der Therapie verschlechterte sich das Krankheitsbild bei einigen Patienten partiell. Dieser Effekt war aber nur von vorübergehender Dauer. Es kam wieder zu einer Stabilisierung. Bei den chronisch-progredienten MSFällen läßt sich díeses Phänomen noch schwieriger beschreiben. Hier muß man noch weitere Zeit abwarten. autoimmun: Wenn Sie temporäre Verschlechterungen beobachten konnten, könnte man durch Weitergabe von DSG diese Verschlechterungen verhindern? Dr. Regensburger: Eine weitere Therapie nach Auftritt dieser Symptome halte ich für sinnvoll. autoimmun: Im Zusammenhang mit DSG hört man immer häufiger Kritik an den sogenannten Doppelblindstudien. Wie beurteilen Sie diese Art der Medikamentenprüfung? Dr. Regensburger: Doppelblindstudien sind in der Tat kritisch zu sehen, weil bei schwerwiegenden Erkrankungen - zu denen auch die Multiple Sklerose zählt - Medikamente, die einen ausreichenden Verdacht auf Wirksamkeit haben, den Betroffenen schnell zur Verfügung gestellt werden sollten. Über das Risiko von Nebenwirkungen sollte jeder Patient aufgeklärt werden. Sodann müßte jeder Patient selbst entscheiden, ob er sich einer Therapie unterziehen möchte. autoimmun: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Dr. Regensburger: Die schnelle Zulassung von DSG, damit der Wirkungsmechanismus, die Dauer der Gabe, die Höhe der Dosierung gerade in Hinsicht auf den individuellen Verlauf - festgestellt werden können. Seiten 20 und 21: 284 Aktuelle Therapie Neues Medikament zur Behandlung der chronisch-progredienten Multiplen Sklerose zeigte in einer US-Studie hoffnungsvolle Ergebnisse. Positiver Eindruck Gerade bei der chronisch-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) wäre schon sehr viel gewonnen, wenn ein Stillstand der Krankheit erreicht werden könnte. Cladribine (so die engl. Bezeichnung), ein immunsuppressiver Wirkstoff, der bisher bei bestimmten Formen der Leukämie angewandt wurde, scheint das zu können - und vielleicht noch ein bißchen mehr. 1990 wurden bereits vier Patienten mit Cladribine behandelt. Die erzielten Erfolge waren so ermutigend, daß sich ein Team um J.C.Sipe aus La Jolla (USA) zu einer größeren Studie entschloß. 51 Patienten, die alle an chronisch-progredienter MS leiden, stellen sich seit einem Jahr dieser Untersuchung zur Verfügung. Dieser Gruppe und allen anderen Teilnehmern an pharmakologischen Studien ist für ihre Mitarbeit und für ihren Mut zu danken. Studienanlage Angelegt ist diese Studie auf eine Dauer von zwei Jahren. Nach Ablauf eines Jahres wurden die Zwischenergebnisse in dem Fachblatt „The Lancet“ veröffentlicht. Getestet wurde auch bei dieser Studie doppelblind, wobei nach einem Jahr ein Wechsel der Placebo- mit den Cladribineempfängern vorgesehen war. Die Patienten wurden nach Alter, Geschlecht und Grad der Behinderungen eingeteilt. Anschließend wurden nach diesen Kriterien 24 passende Paare gebildet. Per Los wurde entschieden, wer aus dem jeweiligen Paar ein Placebo und wer Cladribine empfangen würde. Von den drei Patienten, für die kein passender Partner gefunden wurde, erhielten zwei Patienten Cladribine und einer das Placebo. Zunächst waren sechs Zyklen geplant, bei denen jeweils sieben Tage lang eine tägliche Dosis von 0,1 mg pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht wurde. Kurz nach Beginn zeigte das Blutbild einiger Patienten eine zu starke Suppression und man entschied sich, nur insgesamt vier Zyklen zu wiederholen. Verabreicht wurde das Cladribine über einen zentralen Venenkatheter. Alle Patienten wurden jeden Monat auf ihr Befinden untersucht. Nach sechs und zwölf Monaten wurden je Patient eine Kernspintomographie sowie eine Liquoruntersuchung durchgeführt. Alle Blutwerte wurden monatlich kontrolliert. Bei den Untersuchungen durch ebenfalls „blinde“ Neurologen hat man das klinische Befinden der Patienten an zwei Skalen gemessen: An der Expanded Disability Status Scale (EDSS) und der Scripps Neurologic Rating Scale (SNRS). Ergebnis Die Auswertung der Kernspintomographie ergab, daß aktive Läsionen der Cladribinegruppe in ihrem Volumen zwar leicht vermindert wurden, insgesamt aber zeigte sich keine deutliche Veränderung. Hier ist die weitere Entwicklung abzuwarten. Bei der Konzentration der maßgeblichen Proteine im Liquor allerdings fand man meßbar bessere Werte in der Gruppe der mit Cladribine behandelten Patienten. 285 Die Werte der Placebogruppe hatten sich verschlechtert. Die deutlichsten Hinweise auf einen positiven Einfluß von Cladribine auf den chronischprogredienten Krankheitsverlauf fand man bei dem Vergleich der Patienten anhand der beiden Skalen EDSS (vergleiche Graphik) und SNRS. Die Kurve zeigt eine deutliche Verschlechterung des klinischen Zustands in der Placebogruppe; die mit Cladribine behandelten Patienten blieben stabil. Die in den Kurven eingetragenen Werte geben den Durchschnitt wieder. Im einzelnen sahen sie für die Cladribinegruppe so aus: Ein Patient verschlechterte sich um einen EDSS-Punkt, vier Patienten hatten eine Verbesserung um jeweils einen Punkt und bei 19 Patienten lag die festgestellte Veränderung unter einem Punkt auf der EDSS-Skala. Durchschnittlich zeigten die Patienten der Cladribinegruppe nach zwölf Monaten nicht nur keine Verschlechterung, sondern sogar eine bescheidene Verbesserung ihres klinischen Zustands. Nebenwirkungen Insgesamt ist Cladribine von allen Patienten gut vertragen worden. Bei mehreren Patienten beobachtete man eine Marksuppression, die nur in einem Fall klinisch relevant war. Die Markfunktion wurde einige Monate nach Abschluß der Cladribinebehandlung wieder vollständig zurückgewonnen. Eine Patientin erkrankte nach dem zweiten Infusionszyklus an Hepatitis B. Die Infektion war so stark, daß die Patientin nach fünf Tagen starb. Die Leberwerte aller anderen Patienten waren normal und zeigten keinen Unterschied zwischen Placebo- und Cladribinegruppe. Auch bei den bisher weltweit 5000 mit Cladribine behandelten Patienten wurde keine Hepatitis beobachtet. Bei den vier 1990 behandelten MSPatienten, die insgesamt 2,5 mg Cladribine pro Kilogramm Körpergewicht bekommen hatten, zeigten sich nach vier Jahren keine Nebenwirkungen. Beurteilung In weiteren Untersuchungen möchte man versuchen, Cladribine subkutan zu verabreichen, um das Legen eines Katheters zu vermeiden. Außerdem geht man davon aus, daß auch eine niedrigere Dosierung effektiv sein kann, wodurch eine Marksuppression verhindert werden könnte. Zusätzlich soll Cladribine auch auf seine Wirksamkeit an MS-Patienten mit schubförmigem Verlauf getestet werden. Insgesamt ergaben die Zwischenergebnisse einen positiven Eindruck und es bleibt zu hoffen, daß Cladribine in Zukunft als Medikament zur Behandlung der chronisch-progredienten MS eingesetzt werden kann. Ute Neumann Wie erhält man eine Cladribine-Therapie? Vorab sollte ein gründliches Gespräch mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Ist dieser zu einer Therapie bereit, wird er das Medikament per Privatrezept über eine internationale Apotheke aus den USA bestellen. Weitere Informationen über Cladribine erhalten Sie bei: Department of Molecular and Experimental Medicine, Scripps Research Institute, La Jolla, California 92037, USA. Seiten 22 und 23: 286 Hürdenlauf „Ewig bin ich meinem OP-Protokoll hinterhergelaufen - erst die Drohung mit dem Anwalt hatte Erfolg.“ Von Rüdiger Speck Ich hatte Schmerzen in der Brustgegend und bin zum Internisten gegangen, um mich untersuchen zu lassen. Die Schmerzen stellten sich als harmlos heraus. Da ich diesen Arzt aber zum ersten Mal aufgesucht hatte, wurde meine „medizinische Karriere“ aufgerollt. 1972 trat der erste große „Störfall“ ein: Eine Ader im Vorderhirn platzte. Die Operation verlief wohl recht gut. Behinderungen, die in den Folgejahren auftraten, wurden immer mit meinem Hirntrauma in Verbindung gebracht. Im Februar 1993 „krachte“ es zum zweiten Mal. Diagnose: Multiple Sklerose. Mein Internist stellte sich die Frage: Welche meiner Behinderungen sind mit welcher Krankheit in Verbindung zu bringen? Ich sollte bei der Klinik meinen Entlassungsbericht anfordern, in dem mein Zustand nach der Operation festgehalten worden war. Damit hätte er dann sehr viel mehr Klarheit gehabt. Gesagt, getan. Ich habe der Neurochirurgischen Klinik in Göttingen einen freundlichen Brief geschrieben und um Übersendung des Entlassungsberichts gebeten, den ich auch in Form eines Arztbriefs bald erhielt. Während einer Reha-Maßnahme sagte mir eine Arzthelferin, daß ich außerdem auch einen Anspruch auf mein Operationsprotokoll hätte. Von nun an sollte es ein halbes Jahr dauern, bis ich dieses wichtige Dokument bekommen sollte. Der Briefverkehr mit der Neurochirurgischen Klinik nahm stetig an Umfang zu. Freundlich, aber bestimmt bat ich immer wieder um Zusendung meines OPProtokolls. Wieder und wieder wurde es mit der Begründung abgelehnt, man könne es mir erst „nach Vorliegen der Einwilligung des Operateurs“ zuschicken. Ich erfuhr, daß dieser an einer Züricher Klinik arbeitete und rief dort an, um ihn um seine Genehmigung zu bitten. Von seiner Sekretärin wurde ich vertröstet, man werde mir eine Kopie zusenden. Ich habe gewartet und gewartet und kein Protokoll bekommen. Je länger die Wartezeit dauerte, desto mehr verfestigte sich in meinem Kopf der Gedanke, daß irgend etwas während meiner Operation schief gegangen sein müsse. Keine Resignation, ein neuer Versuch in Göttingen. Wieder schrieb ich und machte mich zum Bittsteller, doch langsam mit dem Gefühl, ich würde mein Ziel nie erreichen. Und wieder kam eine ablehnende Antwort. Ich war kurz davor, aufzugeben. Endlich kam der Tip. Ich solle nicht weiter um das Dokument bitten, sondern von der Klinik die Herausgabe mit einer Fristsetzung verlangen. Andernfalls würde ich in dieser Angelegenheit einen Rechtsanwalt bemühen. Genau diesen Brief schrieb ich jetzt und setzte einen Termin. Ich schickte ihn per Einschreiben ab, damit er juristisch verwertbar wurde. Den Anwalt brauchte ich nicht mehr einzuschalten, denn diese Sprache hatte ihre Wirkung gezeigt. Kaum war eine Woche vergangen, lag das Protokoll vor meinen Augen. Auf einem leeren Blatt Papier stand ohne Anrede, ohne Gruß die Bemerkung: „Anbei senden wir Ihnen die Kopie des OP-Protokolls.“ Das Einsichtsrecht des Patienten in seine Krankenunterlagen Häufig sind Patienten verunsichert, ob sie von dem behandelnden Arzt die Herausgabe der Berichte verlangen können, die ihre eigene Person betreffen. 287 Die bundesdeutsche Rechtsprechung erkennt einen Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen an. Dabei hält der Bundesgerichtshof allerdings Einschränkungen für notwendig: Zum Beispiel darf der Arzt dem Patienten seine persönlichen Notizen, der er angefertigt hat, vorenthalten. Objektiv erhobene Befunde sind dem Patienten aber zu überlassen. Dieser Anspruch besteht auch, wenn sich dem Patienten durch die Einsichtsnahme mittelbar eine ungünstige Prognose erschließen könnte, deren Kenntnis seinen körperlichen Zustand verschlechtern würde. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Der Bundesgerichtshof akzeptiert therapeutische Gründe, die das Recht auf Einsichtnahme des Patienten einschränken können. Dieses „therapeutische Privileg“ darf aber das Recht des Patienten nicht untergraben. Deshalb ist die Grenze für solche Ausnahmefälle sehr eng zu ziehen. Allgemein anerkannt sind Fälle aus den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie. In der Regel läßt sich die Ablehnung der Einsichtnahme selten aufrechterhalten. Bittet der Patient den Arzt, ihm die Unterlagen zur Einsichtsnahme auszuhändigen, sollen sie ihm auch überlassen werden. Dabei können an die Stelle von Originalen Kopien treten, deren Kosten der Patient zu tragen hat. Der betroffene Patient darf dabei sein Einsichtsrecht nicht mißbrauchen oder zur Unzeit ausüben, und er muß auf den geordneten Ablauf des Praxis- bzw. des Krankenhausbetriebes Rücksicht nehmen. Am Rande ist zu bemerken, daß der Arzt aus dem Vertrag zwischen Arzt und Patient verpflichtet ist, den Patienten auf dessen Wunsch hin in angemessener Form über den Befund und die Prognose zu unterrichten. Aber diese Tatsache hat nichts mit dem Anspruch auf Einsicht in die Krankenhausunterlagen zu tun. Steffen Hahn Urteile und Tips für Patient und Arzt TIP FÜR DEN PATIENT: Rechtsschutzversicherung mit Tücken Als chronisch Kranker hat man häufig Schwierigkeiten mit Arbeitgeber, Krankenkasse, Ärzten oder Sozialamt. Oft bekommt man sein Recht nur dann, wenn man einen Anwalt oder gar das Gericht einschaltet. Gerade hier ist eine Absicherung durch den frühzeitigen Abschluß einer Rechtsschutzversicherung (Wartezeit und Risikoabschlüsse beachten!) dringend anzuraten. Ohne Rechtsschutzversicherung schrecken viele vor dem Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens zurück. Der in den sogenannten „Familienrechtsschutzversicherungen“ enthaltene „Sozialrechtsschutz“ bezieht sich erst auf ein eventuell notwendig werdendes gerichtliches Verfahren. Hier entstehen in der Regel auch die meisten Kosten, beispielsweise durch notwendig werdende Gutachten. Bei der Meldung eines Versicherungsfalles ist insbesondere darauf zu achten, daß der Versicherungsfall, bzw. die den Versicherungsfall auslösende Willenserklärung im bereits versicherten Zeitraum liegen. Die Rechtsschutzversicherung wird häufig auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen. So kann beispielsweise die Deckung abgelehnt werden, wenn der Rentenbescheid zwar im versicherten Zeitraumraum, die 288 Rentenantragsstellung (d.h. „die den Versicherungsfall auslösende Willenserklärung“) jedoch außerhalb des versicherten Zeitraums lag. TIP FÜR DEN ARZT: Berichtspflicht des hinzugezogenen Arztes Der hinzugezogene Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, den überweisenden Arzt in einem Arztbrief darüber zu informieren, was er in Erledigung des Überweisungsauftrags getan hat. Die Berichtspflicht umfaßt auch solche Maßnahmen, die der überweisende Arzt über den ihm konkret erteilten Überweisungsauftrag hinaus hat vornehmen wollen, zu denen es aber wegen Nichterscheinens des Patienten nicht mehr gekommen ist. Im Rahmen der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs durch den Patienten stellt eine unterlassene Information einen Pflichtverstoß des hinzugezogenen Arztes dar, der eine Mithaftung als Gesamtschuldner (neben dem überweisenden Arzt) begründen kann. (BGH - VI ZR 237 / 92) Kurz und knapp 1. Drehköpfe am Lenkrad müssen bereits seit 1993 in den Fahrzeugschein eingetragen werden. - Bei der Bemessung der Einkommenssteuer konnten Kfz-Aufwendungen Geh- und Stehbehinderter sowie außergewöhnlich Gehbinderter bisher nach dem tatsächlichen Km-Satz errechnet werden. Ab dem 1. Januar 1994 gilt eine Begrenzung von 0,52 DM pro Kilometer. Das Bundesfinanzministerium empfand einen höheren Betrag als unangemessen. Seiten 24 und 25: Entdecker Alt wie ein Baum Ein uralter Menschheitstraum: Die Suche nach der ewigen Jugend Geheimnisvolle Elexiere, Brunnen- und Quellwasser sollten alte Männer und Frauen wieder schön und frisch machen. Auch die Heilkundigen hatten sich durch alle Jahrhunderte darüber Gedanken gemacht und waren dabei auf die kuriosesten, wenngleich gar nicht so dummen Ideen gekommen, sieht man von den von abergläubischem Geist diktierten Empfehlungen aus dem Mittelalter ab, daß alte Menschen im Blut junger Menschen baden und täglich durch ein Rohr den Atem junger Mädchen inhalieren sollten. Aber es standen diesen unsinnigen Verjüngungsmethoden eine Reihe von bemerkenswerten Ideen gegenüber. Chinesische und indische Ärzte verabreichten schon vor über tausend Jahren altersschwachen Patienten frische Tierhoden, während betagte Priester die Keimdrüsen von Opfertieren aßen. Die Babylonier und Ägypter versuchten, die Rückkehr zur Jugend durch das Eingießen des Blutes junger Männer in den greisen Körper zu erzielen. Ein höchst riskantes Unternehmen, da man die verschiedenen Blutgruppen und deren Unverträglichkeit nicht kannte. 289 Der bedeutendste Kliniker und medizinische Lehrer des achtzehnten Jahrhunderts, der Holländer Herrmann Boerhaave schwor auf das Fluidum der Körperwärme. Er verordnete dem schon sehr alten Bürgermeister von Amsterdam zwei Jungfrauen, die mit ihren jungen Leibern seinen eigenen verjüngen sollten. Was dabei geschah, wußten nur der Bürgermeister und die zwei Jungfrauen! Jugend aus der Keimdrüse Im 19. Jahrhundert schien den Forschern, die sich mit der Verjüngung und somit mit der Hinauszögerung des Todes befaßten, die Verwendung von Keimdrüsen der sicherste Weg zu sein. Der Göttinger Physiologe Arnold Adolph Berthold (1803 - 1861) hatte die Probe aufs Exempel gemacht: Er hatte jungen Hähnen die Keimdrüsen herausgeschnitten und anderen älteren - wieder eingepflanzt. Zwar geschah nichts spektakulär Verjüngendes, aber Bertold hatte die neue Wissenschaft der Hormone begründet. Ein gelungener Versuch? Auch der französische Physiologe Charles Edouard-Brown-Sequard (18181894), Professor der experimentellen Medizin, hatte sich mit Leib und Seele diesem Forschungsgebiet verschrieben. Er verwies seine Mitarbeiter im physiologischen Labor oft auf die im Jahre 1796 erschienene Schrift des deutschen Arztes und Menschenfreundes Christoph Wilhelm Hufeland: „Über die Kunst das menschliche Leben zu verlängern“. Darin war zu lesen: „In den Zeugungssäften ist eine solche vitale Kraft konzentriert, daß der kleinste Teil davon ein neues Lebewesen schaffen kann.“ Brown-Sequard folgerte daraus: „Was Leben spenden könne, müsse auch Leben erhalten.“ Er war mit 72 Jahren schon alt und schwach geworden. Er sah sich nach halbstündiger Laborarbeit genötigt, Platz zu nehmen. Sehr häufig war seine Erschöpfung so groß, daß er im höchsten Grade schläfrig wurde, er schlief dann nur oberflächlich wenige Stunden, so daß er wie zerschlagen aufwachte. Er entschloß sich zu einem heldenmutigen Selbstversuch durch Injektion eines Keimdrüsenextrakts. Anfangs hatte er frische Keimdrüsen von Hunden und Meerschweinchen unter Beigabe von etwas Wasser zerrieben, dann das Gemisch gefiltert und ein wenig des Extrakts unter die Haut seines Oberschenkels gespritzt. Dabei zeigten sich bei den ersten Versuchen zeitweise Schmerzen. Brown-Sequard veränderte den Extrakt. Nun machten sich weniger Schmerzen bemerkbar: „Ich besaß alle Kräfte wieder, die ich vor Jahren besaß! Die Laborarbeit ermüdet mich nicht mehr. Ich bin jetzt imstande, stundenlang zu stehen ohne mich setzen zu müssen.“ Seinen Beschreibungen nach mußten die Wirkungen der Hormonkur überwältigend gewesen sein. Brown-Sequard starb fünf Jahre nach seinem Selbstversuch. Dennoch stellte dieser Versuch einen Meilenstein in der Medizingeschichte dar. Durch ihn sind die endokrinen Drüsen in den Mittelpunkt der Wissenschaft gelangt. Im 20. Jahrhundert ist die Geschichte des deutsch-schweizerischen Chirurgen Prof. Paul Niehaus (1882 bis 1975) hervorzuheben. Niehaus glaubte an die Möglichkeit einer Zelltherapie. Nach vierjährigem, fruchtlosem Bemühen kam der 1. April 1931. Niehaus hatte gerade zu Mittag gegessen als das Telefon klingelte. Frischzellentherapie 290 Es meldete sich der Chefchirurg einer Berner Klinik. Niehaus erfuhr, daß einem Chirurgen ein Kunstfehler unterlaufen war. Dieser hatte einer Patientin versehentlich die Nebenschilddrüse verletzt, die den Kalziumgehalt des Blutes regelt. Eine gefährliche Verletzung. „Schicken Sie diese Patientin sofort her“, forderte Niehaus. Er ließ sich dann zu einem Viehhof bringen und entnahm einem Kalb die Nebenschilddrüse. Die inzwischen angekommene Patientin befand sich in einem schlechtem Zustand und litt unter schweren Krämpfen. Niehaus zerschnitt die Nebenschilddrüse des Kalbes in Stücke, schwemmte sie in einer Kochsalzlösung auf und installierte sie in einem kleinen Einschnitt, den er der Kranken im Muskelgewebe oberhalb der Brust beigebracht hatte. Danach blieb ihm nichts weiter übrig, als abzuwarten. Wahrhaftig, nach wenigen Stunden begannen sich die Krämpfe zu lösen und hörten schließlich ganz auf. Das medizinische Wunder hielt an. Damit hatte Niehaus die Frischzellentherapie erfunden. Er wurde von Ärzten verehrt. Die Suche nach der Rückkehr der Jugend geht aber auch in unserer Zeit weiter. Kathrin-Annette Wollschlaeger Seite 26: Vor allem für Patienten Haben Sie vielen Dank für die Zusendung eines Probeheftes Ihrer „AutoImmun News“. Ich habe sie gerne gelesen, zumal ich seit 30 Jahren klinische Immunologie betreibe. Unsere Patienten haben ausschließlich Immunkrankheiten: 1/3 rheumatische Prozesse, 1/3 allergische im engeren Sinne, dazu kommen AIDS und Transplantierte. Patienten mit MS und Myasthenie betreut die Universitäts-Nervenklinik, wo wir konsiliarisch tätig sind. Gern offeriere ich Ihr Journal vor allem auch Patienten. Leider geben die Patienten kaum Geld für Informationsmaterial aus und sei es noch so gut. Prof. H. W. Baenkler, Medizinische Klinik III der Universität Erlangen-Nürnberg Versorgungsengpässe Eine ganz große Unverschämtheit leisten sich die Behringwerke als Lizenznehmer, aber nicht als DSG-Hersteller, weil sie keine Produktionsanlagen errichten wollen. Sie wollen wohl erst die Nachfrage und den Erfolg abwarten und dann voll einsteigen. Also wir sollen für teures Geld das DSG aus Japan beschaffen wegen der entstehenden Versogungsengpässe. Es ist ein grausames Spiel, bei dem nur wirtschaftliche Machtinteressen zählen. Giesela P., Toulouse (Frankreich) Zu wissenschaftlich Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß mir diese vielen medizinischen Artikel zu wissenschaftlich sind. Ich bin ein einfacher Mann, über achtzig Jahre alt und seit fünf Monaten an Rheuma erkrankt. Recht vielen Dank. 291 Hans G., Kirchham Interferone (AutoImmun News 4/94) Ihren Bericht über die Interferone habe ich in Ihrer letzten Ausgabe sehr aufmerksam gelesen. Mich hat sehr das Beta-Interferon bei Multipler Sklerose interessiert. Mir scheint, daß man das Medikament bei schubförmigem Verlauf recht gut einsetzen kann. Jedoch sollte bedacht werden, daß man dadurch allerhöchstens Zeit gewinnen kann, etwa so wie mit dem Kortison. Die Krankheit wird aber nicht eingedämmt. Werner Z., Magdeburg Aufrichtige Quelle Ein Exemplar der „AutoImmun News“ möchte ich gerne meinem Neurologen geben, der sich sehr daran interessiert zeigte. Ich selbst bin seit etwa Sommer letzten Jahres betroffen, seit Anfang diesen Jahres steht die Diagnose fest: Enzephalomyelitis disseminata. Leider wurde von den behandelnden Ärzten keine vernünftige Auskunft gegeben, sondern im Gegenteil der wahre Sachverhalt auf unverständliche Weise verharmlost, so daß ich über die tatsächliche Art der Erkrankung lange Zeit im Dunkeln tappen mußte. Es würde mich sehr freuen, wenn ich eine aufrichtige Quelle gefunden hätte, an die ich mich auch bei weiteren Fragen wenden könnte. Ute W., Stuttgart Pfadfinder Ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) veranlaßte mich, an Sie zu schreiben und ich bedanke mich für die zugesandte Fachzeitschrift „AutoImmun News“. Bei meiner Krankheit ist dringend ein Heilmedikament angezeigt. Hier kann Ihre Zeitschrift ein wertvoller Pfadfinder, Ratgeber und Informand sein. Herbert S., Overath Übersichtlich Die Artikel sind sehr interessant und auch für Laien übersichtlich dargestellt. Bei den vielen Berührungspunkten, die zwischen Augenheilkunde und Autoimmunkrankheiten bestehen, glaube ich sicher, daß der eine oder andere interessante Artikel zustandekommen könnte. Zur Mitwirkung sind wir gerne bereit. Dr. med. Georg Mehrle, Berufsverband der Augenärzte Deutschland E.V. Seite 27: Medizin-Lexikon Medizinsche Begriffe stellen häufig ein Verständnisproblem für den Leser dar. Fremdwörter und Fachausdrücke werden im Medizin-Lexikon erklärt. Die im Heft kursiv gedruckten Begriffe können hier nachgelesen werden. In alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, sind sie schneller auffindbar. Amplitudenminderung: 292 Minderung der Schwingungsweite, des größten Ausschlags. Antiarrhythmika: Arzneimittel, die den Herzrhythmus normalisieren. Bulbärparalyse: Lähmung der Schluck-, Kau- und Kehlkopfmuskulatur infolge Schädigung oder Erkrankung des verlängerten Marks. Disposition: Krankheitsbereitschaft, Veranlagung oder Empfänglichkeit für bestimmte Krankheiten. Endokrine Drüsen: Drüsen, die ihre Hormone unmittelbar in die Blutbahn abgeben. Guillain-Barré-Syndrom: Erkrankung dezentraler Nerven, führt u. a. zu Lähmungen, die sich zurückbilden können. HLA-Typen: In jeder Körperzelle vorhandene Antigene, die für die Gewebsverträglichkeit nach Transplantationen zuständig sind. Immunglobuline: Oberbegriff für Eiweißbestandteile im Blutplasma, die Antikörpereigenschaften aufweisen. Immunsuppressiv: Abschwächung oder Unterdrückung einer Immunreaktion. Inkontinenz: Unvermögen, Harn oder Stuhl willkürlich zurückzuhalten. Intravenös: Infusion oder Injektion, die direkt in die Vene gelegt wird. Läsionen: Verletzung oder Störung eines Körpergliedes oder Organs. Lipidsenker: Arzneimittel, das den Fettgehalt des Blutes senkt. Monotherapie: Behandlung einer Krankheit mit einem einzigen Arzneimittel. Muskelrelaxantien: Arzneimittel, die durch ihre dämpfende Wirkung die Muskulatur zum Erschlaffen bringen. Nebennierenrindeninsuffizienz: Funktionsschwäche, ungenügende Arbeitsleistung der Nebennierenrinde (z.B. bei abrupt abgesetzter Kortisontherapie). Oculär: Zu den Augen gehörend. Plasmapherese: Plasmaaustausch zur Gewinnung von Spenderplasma. Postsynaptisch: Hinter der Berührungsstelle zwischen Nerv und Muskel gelegen. Refluxösophagitis: Entzündung der Speiseröhre durch Magensaft, der mit den Speisen in die Speiseröhre zurückgestoßen wird. Rezeptoraffinität: 293 Reizaufnehmende Zelle im Gewebe, an der sich passende Antikörper verankern können. Sensitiv: Leicht reizbar, empfindsam. Subkutan: Eine Arznei wird unter die Haut oder das darunter liegende Fettgewebe direkt verabreicht. Thymektomie: Entfernung des Thymus, z. B. bei Thymom (siehe dort). Thymom: Vom Thymus ausgehender Tumor, der meist im Kindes- oder Jugendalter auftritt. Thymusdrüse: Drüse im oberen Brustraum. Sie hat entscheidenden Einfluß auf das Wachstum und den Stoffwechsel. Vegetativ: Das autonome Nervensystem und seine Funktionen betreffend. Zollinger-Ellison-Syndrom: Erkrankung des Magen-Darm-Trakts, verursacht durch gut- oder bösartige Tumore in Schilddrüse oder Bauchspeicheldrüse. In der nächsten AutoImmun-Ausgabe: Autoimmunkrankheit: Lupus. Ernährung: Kann man Gesundheit essen? Urteil: Rundfunkgebührenbefreiung jetzt schwieriger. Therapie: Imurektherapie - Was ist dran? 8.7 „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember/Januar 1994/1995 Seite 3: Es gab einmal …die Idee, Brustimplantate aus Silikon einzusetzen, aus kosmetischen oder medizinschen Gründen. Egal welche Gründe nun vorlagen, die Patientinnen haben ein Recht darauf, daß es mit rechten Dingen zugeht. Aber offensichtlich lief bei einigen Frauen das Silikon aus und verursachte schwere Autoimmunkrankheiten. Gewarnt haben Experten schon frühzeitig. Das BGA sieht aber keinen Grund, Silikonimplantate aus dem Verkehr zu ziehen. …während der Wirtschaftswunderjahre in Deutschland eine ganze Reihe von neuen Produkten. Alles, was neu war, war aber nicht zugleich besser. Oftmals hat sich die schlechtere Ware nur deshalb durchgesetzt, weil die Werbung besser war oder mächtige Unternehmen die schwächeren schluckten. Müssen wir jetzt Zeuge eines solchen Vorganges in der Medizin werden? …die faszinierende Idee, pflegebedürftigen Menschen eine Hilfe zukommen zu lassen. Politiker debattierten uferlos über die Durchführung dieses Plans. Nun liegt das Gesetz vor. Im nächsten Jahr sollen dann auch die Pflegebedürftigen selbst etwas davon haben. Wer aber hat nun Anspruch auf Hilfe? 294 …die Vorstellung, mit der Ernährung Einfluß auf Autoimmunkrankheiten nehmen zu können. Viele Patienten versuchten ihr Glück mit einer Ernährungsänderung. Wenige hatten Erfolg und erzählten es weiter. Bald darauf kamen auch die ersten Ärzte auf die Idee, eine Ernährungstherapie zu verkaufen. Die Patienten speckten ab und die Geldbeutel der Wunderheiler füllten sich. Einen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit einer Ernährungstherapie gibt es nicht. Aber wie sollten wir uns denn nun ernähren? Auf diese und andere Fragen wollten wir versuchen, in dieser Ausgabe Anworten zu geben. Ihre Redaktion autoimmun Lieber Leser, natürlich interessieren sich die meisten von Ihnen für die Zulassung von Deoxyspergualin. Wir haben für Sie versucht, alles Aktuelle hierzu zusammenzutragen. Leider lagen bei Redaktionsschluß noch keine Hinweise auf einen Zulassungsbescheid des Bundesgesundheitsamtes vor. Wir werden Sie sofort mit einem Extrablatt unterrichten, wenn sich etwas Wesentliches ergeben sollte. Bis dahin arbeiten wir fieberhaft für Sie weiter. Unsere nächste reguläre Ausgabe erscheint im Februar 1995. Seiten 4 und 5: Aktuelles Noch kein Zulassungsbescheid vom BGA Nach Ablauf der Siebenmonatsfrist hält es die Behörde nicht für wichtig, das dringend benötigte MS-Medikament DSG freizugeben. Behringwerke weiter zuversichtlich Im Mai 1994 wurde von den Behringwerken ein Antrag auf vorzeitige Zulassung von Deoxyspergualin (DSG) zur Behandlung der Multiplen Sklerose beim Bundesgesundheitsamt gestellt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie waren so positiv, daß man sich zu diesem Schritt entschloß. Bei Antragstellung sicherte der Leiter der Zulassungstelle, Dr. Harald Schweim, eine schnelle Bearbeitung des Antrags (autoimmun 3/94) zu. Längstens dürfe das Verfahren sieben Monate dauern, hieß es. Im Dezember ist die selbstgesetzte Bearbeitungsfrist abgelaufen. Auf Nachfragen bei der Behörde äußerte der zuständige Sachbearbeiter Prof. Josef Karkos gegenüber autoimmun: „Der Vorgang wird jetzt nicht entschieden. Wir bemühen uns zwar, voranzukommen, aber es wird noch einige Zeit beanspruchen.“ § 28 Absatz 3 Arzneimittelgesetz verlangt für eine schnelle Zulassung Hinweise auf eine Wirksamkeit. „Nach meinem Rechtsverständnis liegen diese Hinweise deutlich vor“, erklärt Dr. Klaus P. J. Theobald von den Behringwerken. Pressesprecher Dr. Wolfgang Faust ergänzt den Vorgang mit den Worten: „Alles andere als eine baldige Zulassung von DSG wäre eine große Überraschung“. In Marburg ist man weiter zuversichtlich. Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben die 1992 gemeinsam mit dem BGA erarbeiteten Ziele und Voraussetzungen voll erfüllt. Nun erwartet man endlich den positiven Bescheid. Zu der Frage, ob die nun zu erwartende Verzögerung 295 im Zusammenhang mit dem auf den Markt drängenden Beta-Interferon zu sehen ist, möchte sich noch niemand äußern. „Gegen die Interessen der Kranken“ Fast sechs Jahre nach dem Selbstversuch mit DSG ist mein Zustand weiter stabil. Ich habe noch Restschäden, mit denen ich zu leben lernen muß. Als Kranker, Arzt und Wissenschaftler habe ich energisch für die allgemeine Zulassung gekämpft. Und ich werde mich weiter dafür einsetzen. Bei diesem Kampf hat mich immer wieder erstaunt und erschreckt, mit welcher ablehnenden Gleichgültigkeit die Patientenorganisation (DMSG) und viele MS-Forscher und -Kliniker einer wirksamen Behandlung der MS gegenüberstehen. Die Behringwerke begannen 1992 mit einer wissenschaftlichen Studie, die wegen ihrer guten Resultate zu einem Eilzulassungsantrag führten. Betrachte ich die Ergebnisse meiner Einzelfalltherapien, so sind folgende Feststellungen nach zwei Jahren zu treffen: 1. Bei etwa 75 Prozent der behandelten Kranken konnte eine Änderung des Krankheitsverlaufs erreicht werden. 2. Klinisch können deutliche Besserungen nur in den frühen Phasen der MS erreicht werden und zwar dort, wo Schäden am zentralen Nervensystem nur funktionell sind. Zerstörte Nervenzellen können nicht wieder belebt werden. 3. Die Substanz hat Wirkungen sowohl im schubförmigen als auch im chronisch-progredienten Stadium der Krankheit. 4. DSG ist ein wirksames Medikament bei der MS, hochgesetzte Erwartungen der Patienten können aber unter Umständen subjektiv enttäuscht werden. 5. Für die 25 Prozent der Kranken (häufig bei weit fortgeschrittenen Krankheitsverläufen), bei denen die Substanz versagt, müssen andere Therapien erprobt werden. 6. DSG ist sehr gut verträglich. Da die Behringergebnisse und meine Untersuchungen eine positive Wirkung ergaben, ist dringend eine sofortige Zulassung von DSG geboten. Auch andere Substanzen zur MS-Behandlung werden in Zukunft entwickelt. Eine Vielzahl neuer, gezielt wirkender Therapien ist nötig, um alle Kranken behandeln zu können. Die Trägheit der Institutionen (z.B. BGA) und das Festhalten an liebgewonnenen Überzeugungen dürfen die Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente nicht verhindern. Das wäre gegen die Interessen aller Kranken. Niels Franke Meinung Auf dem Teppich bleiben! Eine Zwischenbilanz nach zwei Beobachtungsjahren in der MSTherapieforschung von Michael Tycher Viele Wissenschaftler arbeiten an Verbesserungen der MS-Therapie. Doch jetzt in Euphorie auszubrechen, ist verfrüht, denn noch kein Kassenpatient hat bisher eine Therapie erhalten. Die seit rund zwei Jahren anhaltende Aufbruchstimmung in der MS-Forschung tut gut, jedoch sollte zum Jahresende eine Zwischenbilanz gezogen werden: 296 Eine Reihe von Medikamenten ist zur Zeit in der Diskussion. Alle sind grundsätzlich zu begrüßen. Aber was liegt heute wirklich vor? Was dürfen wir in der Zukunft noch erwarten? Das Beta-Interferon: „Die MS ist besiegt“, heißt es. „Großartig“ meldet die amerikanische MS-Gesellschaft und auch die ansonsten öffentlichkeitsscheue Schering AG meint in ihrem „Forschungsmagazin“, die Tests hätten sich als Durchbruch erwiesen. Selbst die DMSG möchte „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ plötzlich mitarbeiten. Es wäre alles sehr schön, wenn es nicht gleichzeitig ernüchternd wäre. Das Beta-Interferon existiert seit über zwanzig Jahren. Bereits in den achtziger Jahren wurde das Forschungsinteresse verneint. Bonn war der Gedanke, etwas an der MS zu tun, nicht einmal drei Millionen Mark wert. Nun der Boom, die ersten Testergebnisse. Beim schubförmigen Verlauf läßt sich die Zeit zwischen den Schüben verlängern - das kann man mit Imurek auch erreichen - und die Kernspintomographie zeigt Verkleinerungen der typischen MS-Herde. Ein theoretischer Wert, denn ein Zusammenhang zwischen Herdgröße und klinischer Verschlechterung bei der MS ist nicht bekannt, eher unwahrscheinlich. Auch bei kerngesunden Menschen sind die „MS-typischen Herde“ bereits nachgewiesen worden, gesteht ein Radiologe. Was bleibt beim Beta-Interferon? Die Nebenwirkungen stellen für einen ohnehin schon schwerkranken Patienten eine gefährliche Zusatzbelastung dar. Zwei der Redaktion bekannte Patienten berichteten sogar über massive Verschlechterungen, die schließlich zum Absetzen des Medikaments führten. „Fieber, Schwächegefühl, Grippesymptome und keine Wirkung“ sind die häufigsten Meldungen. Eine Patientin beschrieb die Wirkung der sehr teuren Therapie mit den Worten: „Mir hat es geschadet. Wenn es bei MS wirken würde, dann hätte man es schon vor zwanzig Jahren eingesetzt.“ Das Beta-Interferon sollte nicht zu negativ bewertet werden, denn mit der nachgewiesenen Minimalwirkung ist die MS attackiert worden. Es wäre sehr schön, nun auch den Grund dafür zu kennen, um diesen Therapieansatz weiter zu verbessern. Aber bitte auf dem Teppich bleiben! Eine klinische Verbesserung spüren die Patienten nach Beta-Interferon nicht. Anders das DSG. Die erste Behring-Studie gibt Hinweise auf einen Krankheitsstillstand und möglicherweise treten bei MS-Patienten sogar Verbesserungenauf, die sich ein Jahr oder vielleicht auch länger halten. Auch hier ist die Wirkung völlig unklar, aber die Nebenwirkungen sind so gering, daß man in Fachkreisen von einer „guten Verträglichkeit“ spricht. Durch einen beim BGA eingereichten Eilantrag hofft man auf baldige Verfügbarkeit des Medikaments in Deutschland. Mit Cop-1 liegt eine Medikament vor, das bereits seit Jahren sehr gute Ergebnisse gerade bei Frühstadien zeigt. Bei schubförmigem Verlauf wurde in einer großen Studie eine Verringerung der Schubrate um 74,8 Prozent gemessen. Die Beta-Interferon Studie (1993) konnte die Schübe dagegen nur um 33,3 Prozent reduzieren. Damit müßte jegliche Forschung mit BetaInterferon sofort eingestellt und Cop-1 zugelassen werden. Betrachtet man auch die positiven Eindrücke, die das US-Medikament Cladribine beim chronischen Verlauf hinterlassen hat, so ergibt sich ein ermutigendes Gesamtbild der MS-Therapieforschung. Weitere Medikamentenprüfungen mit anderen aussichtsreichen Substanzen sind in 297 der Planung, so daß die Zukunft hoffnungsvoll erscheint. Aber bitte zügig und mit der nötigen wissenschaftlichen Entschlossenheit. Entschlossenheit ist jetzt vom BGA zu verlangen: Das zur Zeit wirkungsvollste Medikament DSG muß ohne schuldhafte Verzögerung zugelassen werden. Seiten 6,7 und 8: Mörderische Brüste Ungefähr 3 Millionen Frauen weltweit haben Brustimplantate auf Silikonbasis erhalten. Einige wollten nach einer Brustamputation den vorherigen Zustand wiederherstellt haben. Andere wollten der Natur nachhelfen und ließen sich Silikonimplantate aus rein kosmetischen Gründen einsetzen. Die Beweggründe, die Frauen dazu bringen, Operationen und künstliche Implantate in ihren Körpern zu dulden, sind durchaus verschieden, die Folgen aber sind gleich: Denn Nebenwirkungen und Spätschäden machen keinen Unterschied, wen sie heimsuchen. Vor ungefähr drei Jahren hörte man erste beunruhigende Meldungen über Silikongel-gefüllte Brustimplantate (Mammaendoprothesen). Kamen damals die Berichte über die Entstehung von Krebs und rheumatischen Erkrankungen sowie anderen Komplikationen im Zusammenhang mit den Silikonprothesen fast ausschließlich aus den USA, so erkennt man nun auch langsam in Deutschland die Tragweite des Problems. Seit Januar 1992 hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) den Einsatz von silikongefüllten Brustimplantaten gestoppt. Das BGA in Deutschland zog nach und betreibt einen Stufenplan zur Klärung des Sachverhalts. Nur noch unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Silikonimplantate jetzt verwendet werden: Zum Wiederaufbau der Brust nach Brustamputation, bei schweren Formstörungen, zum Ersatz einer bestehenden Prothese oder nach Unfällen. Aus rein kosmetischen Gründen sollen Implantate aus Silikon nicht mehr angewandt werden. Sorglos - oder verantwortungslos? Daß es überhaupt jahrzehntelang so sorglos verwendet werden konnte, liegt einmal daran, daß lange auf Sicherheitsnachweise von den Herstellern verzichtet wurde. Silikonprothesen werden schon seit den späten sechziger Jahren produziert und eingepflanzt - Jahre bevor das FDA für medizinische Produkte zuständig wurde. Zum anderen gelten diese Brustimplantate für das BGA als nicht zulassungspflichtige Fertigarzneimittel, die deshalb auch nicht so einfach per Gesetz verboten werden können. Ein typisches Silikonimplantat besteht aus einer elastischen Hülle mit flüssiger Silikongelfüllung. Beide Materialien bestehen aus Silikon und Silika. Silika sind quarzähnliche Substanzen, die zur Härtung zugesetzt werden. Silikon wird in dieser Form auch als Füllmaterial verwendet. Um das Implantat einzusetzen, ist eine Operation notwendig, meist unter Vollnarkose. Das Silikonkissen kann entweder durch einen Einschnitt in der Achselhöhle, durch die Brustwarze oder die submammäre Falte (unter der Brust) im Körper plaziert werden. Im Regelfall wird das Implantat hinter oder über den Brustmuskel zwischen Brustdrüse und Brustmuskel geschoben. Ist der 298 Hautmantel zu dünn, dann wird das Implantat zwischen Brustmuskel und Rippen eingepflanzt. Solch eine Operation kostet um 5000 - 10.000 DM (Stand 1993). Zahlreiche unangenehme Nebenwirkungen können damit verbunden sein. Bis zwei Monate nach der Operation treten Schwellungen auf. Fester kann sich die Brustregion bis zu sechs Monate nach der Operation anfühlen. Eine zuverlässige Mammografie ist nicht mehr möglich: Das Füllmaterial Silikongel ist für Röntgenstrahlen undurchsichtig. Spätfolge: Kapselfibrose Jahre nach einer Implantation von Silikonprothesen ist bei der Mehrzahl der Frauen (50-76 Prozent) mit einer Kapselfibrose zu rechnen: Es hat sich im Laufe der Zeit eine Narbengewebskapsel um das Implantat herum gebildet. Die Kapsel zieht sich zusammen und verhärtet die Brust. Die Brüste stehen dann prall vom Körper ab. Bei dieser - salopp Tennisball-Brust genannten Bindegewebsverdichtung reagiert der Körper mit einer starken Abwehrreaktion auf den eingesetzten Fremdkörper aus Silikon. Ärzte versuchen, das Narbengewebe vom Implantat durch Druck zu lösen, um so die verunstaltende Verkapselung zu reduzieren. Bei einer manuellen Sprengung der Bindegewebskapsel nimmt der Arzt die Brust in beide Hände und bringt die Kapsel aus Narbengewebe zum Platzen. Ein schmerzhafter und unangenehmer Vorgang, den die Frau bei vollem Bewußtsein und ohne Schmerzbetäubung erlebt. Die Gefahr ist dabei sehr groß, daß das Silikonimplantat dabei platzt. Es können sich auch Blutergüsse im Brustbereich durch diese rauhe Methode bilden. Neben diesen bisher gut bekannten Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen wird jetzt die breite Palette an Krankheitserscheinungen beachtet, die durch heraussickerndes Silikon erzeugt werden. Autoimmunerkrankungen Dazu zählen systemische Sklerose, Lupus-Erkrankungen, Sklerodermie und andere Symptome, die den Autoimmunerkrankungen zugerechnet werden. Auch können Silikon-Sarkome auftreten: Krebstumore, die sich durch den implantierten Fremdkörper bilden. Wie kann es durch Silikon zu massiven Reaktionen des Immunsystems kommen, die in Autoimmunerkrankungen gipfeln? Jahrelang wollte kaum jemand wahrhaben, daß das Silikon der Implantate an den massiven Gesundheitsschäden von behandelten Frauen beteiligt ist. Die mehr als 60 Herstellerfirmen behaupteten seit den sechziger Jahren immer wieder, es bestehe kein Gesundheitsrisiko. Noch im Mai dieses Jahres schloß eine Studie jeden Zusammenhang zwischen Silikonkissen zur Brustvergrößerung und der Organerkrankung Sklerodermie aus. Japanische Forscher berichteten bereits in den 70er Jahren von ernsthaften Entzündungen und besorgniserregenden Problemen bei Frauen, denen zur Brustvergrößerung das Silikonöl direkt in die Brust gespritzt wurde. Man stellte fest, daß sich Silikon innerhalb von zwei Jahren im ganzen Körper verteilen 299 kann. Deshalb ist die Methode, Flüssigsilikon direkt einzuspritzen, frühzeitig verboten worden Die Hülle von Silikonbrustimplantaten wird heute in einem Arbeitsgang hergestellt, dadurch weist sie keine Nahtstellen auf. Um den Schutz vor auslaufendem Silikon zu erhöhen, werden sogenannte DoppellumenProthesen eingesetzt. Sie bestehen aus einer inneren Kammer, die mit Silikongel gefüllt ist - und einer äußeren Barriere aus Kochsalzlösung. Auch Implantate mit einer mikrostrukturierten Hülle oder einer beschichteten rauhen Hülle aus Polyurethan sollten sich bewähren und die Gefahr einer Kapselfibrose verringern. In Tierversuchen haben sich Zersetzungsprodukte und der Härter (TDA) des Polyurethanschaumes als krebserregend herausgestellt. Tröpfchen für Tröpfchen in den Körper Was aber passiert, wenn die Elastomerhülle einer Prothese bricht, und sich der flüssige Inhalt in die Brusthöhle ergießt? Welche Folge hat das ständige Aussickern winziger Silikontröpfchen (bleeding, sweating oder Ausschwitzen genannt) in den Körper? Die Prothesenhersteller weisen darauf hin, daß keine Implantathülle völlig dicht ist. Dieses Problem ist seit Jahrzehnten bekannt und konnte nie gelöst werden. Oft finden sich Ansammlungen von Makrophagen um die Silikonimplantate herum. Diese sehr aggressiven Freßzellen können die Hülle des Implantats beschädigen. Sie verschlucken kranke Körperzellen und Fremdstoffe. Makrophagen können zu Fremdkörper-Granulomen (Riesenzellen mit mehreren Zellkernen) verschmelzen. In den zentralen Organen des Immunsystems, den Lymphknoten, fand man bei Implantatträgerinnen Granulome mit Silikoneinschlüssen. Oft waren die Lymphknoten geschwollen. Es ist möglich, daß das Immunsystem spezifische Silikonantikörper ausbilden könnte. Eine andere Möglichkeit ist, daß das Immunsystem nicht das Silikon angreift, sondern Proteine, die an der Silikonoberfläche reagieren und verändert werden. Diese denaturierten Proteine könnten eine Immunantwort des Körpers provozieren. Vielleicht übernimmt das Silikon auch die Rolle eines Adjuvens, also einer Substanz, die die Reaktion von Antikörpern auf gleichzeitig anwesende Antigene auslöst. Im Tierexperiment scheint einiges für die Adjuvens-These zu sprechen. Vielleicht ist der Auslöser der beobachteten Immunstörungen aber auch in der chronischen Entzündung zu suchen, die sich um das Implantat herum bilden kann. Die Immunzellen in der Nähe des Implantats senden hierbei hohe Mengen Zytokine in den Körperkreislauf. Die Mitteilung der Zytokine löst dann eine Immunreaktion im ganzen Körper aus. Die Ratlosigkeit der Forscher zeigt sich in der Menge der verschiedenen Erklärungstheorien. Rückwirkend müssen hier dreißig Jahre Medizingeschichte rekonstruiert werden. Warum Silikon? Weil eine mit Silikon gefüllte Brust ein natürliches Gefühl vermittelt? Weil sich Silikon einfach verarbeiten läßt? Wohl auch deshalb: Silikon ist ein preiswertes Material. Aber oft haben Billigmaterialien einen Mangel: Woran am Anfang gespart werden konnte, muß später teuer 300 nachgebessert werden. 4,2 Milliarden Dollar hält der Entschädigungsfond der amerikanischen Silikonprothesenhersteller bereit. Nur ein Bruchteil davon ist für Frauen vorgesehen, die keine Amerikanerinnen sind; die einmalige Entschädigungszahlung fällt für sie auch deutlich niedriger aus. Silikon - Im Duden findet sich: Ein Kunststoff von großer Wärme- und Wasserbeständigkeit. Was so harmlos klingt, was jahrelang als wahres Wunder- und Allroundmittel gepriesen wurde, das entwickelt im menschlichen Körper heimtückische Wirkungen. Jens Zimmermann Fragen an Rechtsanwalt Dirk Peukert zum Patientenrecht autoimmun: Die Frist, sich für den Entschädigungsfond der Implantathersteller registrieren zu lassen, ist am 1. Dezember 1994 abgelaufen. Welche Möglichkeiten bleiben Frauen, die sich nicht haben registrieren lassen? Peukert: Man kann einen Produkthaftungsprozess in den USA anstreben. Ob Einzelklagen von Ausländerinnen in Amerika zulässig sind - oder in die Heimatländer verwiesen werden, entscheidet der zuständige Richter im Dezember 1994. autoimmun: Was gilt es dabei zu beachten? Peukert: Alle Informationen über die Operation sammeln - davon soll man sich nicht abbringen lassen, darauf hat man einen Anspruch. Sind bereits Symptome aufgetreten, sollte ein Facharzt diese bestätigen. autoimmun: Müssen Gutachten und Unterlagen übersetzt sein? Peukert: Ja, und beglaubigt. Man benötigt einen amerikanischen Anwalt. Andererseits kann auch der deutsche Arzt belangt werden, wenn er, neben Operationsfehlern, nicht genügend über die Risiken aufgeklärt hat. Je weiter die Operation zurückliegt, desto schwieriger die Beweisführung. Betroffene erhalten Informationen bei: Selbsthilfegruppe Silikongeschädigter Frauen e. V., Weißdornweg 39 63225 Langen Tel.: 061 03 - 716 20 Fax.: 061 03 - 799 80. Seite 9: Hoffnung durch Cladribine Neues US-Medikament gegen Multiple Sklerose: Bezugsquelle, Preis und erste Patienteneindrücke In der letzten Ausgabe von autoimmun (5/94) haben wir über das MSMedikament Cladribine berichtet. Laut einer US-Studie an chronischprogredienten MS-Patienten zeigte die immunsuppressive Substanz deutliche Verbesserungen im klinischen Bereich. Die amerikanischen Wissenschaftler haben während der zweijährigen Studie die EDSS-Punkte gemessen. EDSS-Punkte werden nach einer 301 neurologischen Untersuchung festgelegt. Sie reichen von einem Punkt (noch symptomfrei) bis zu zehn Punkten (schwerste Symptome, Pflegefall). Bei der Cladribine-Studie wurde dieser Wert alle zwei Monate gemessen. Somit besaß man nach zwei Jahren einen Überblick darüber, wie sich die Placebo- und die Behandlungsgruppe jeweils entwickelt hatten. Das Ergebnis zeigte in der Placebogruppe die erwarteten Verschlechterungen. Cladribineempfänger konnten dagegen ihren klinischen Zustand verbessern. Dieser positive Eindruck ist deshalb besonders erfreulich, weil er bei chronisch-progredienten MS-Fällen nachgewiesen wurde und das Medikament von fast allen Patienten gut vertragen wurde. Allerdings sind bei der Anwendung gegen die Haarzell-Leukämie auch erhebliche Nebenwirkungen beobachtet worden. Bereits in Deutschland behandelte MS-Patienten gaben autoimmun Auskunft über ihren Eindruck. Doch dieser ist mit aller Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen, denn die Behandlungsdauer beträgt erst drei Monate. Außerdem wichen die behandelnden Ärzte zum Teil erheblich von den vorgegebenen Dosierungen und Intervallen ab. Die Ärztin Dr. Kerstin L. aus Lebus leidet unter einer chronischen Variante der MS. Sie erhielt vor drei Monaten Cladribine. „Mein heutiges Allgemeinbefinden ist eher positiv, obwohl sich eine unmittelbare Wirkung bei mir nicht eingestellt hat. Da ich zur Zeit auch andere Therapien ausprobiere, läßt sich eine exakte Trennung, was nun im einzelnen wirkt, schwer vornehmen.“ Der Bremer Verwaltungsangestellte Bernd St. ist sich ebenfalls noch nicht im klaren, ob er einen Effekt bei seiner chronischen MS nach Cladribinegabe bemerkt hat. Vor fast drei Monaten ließ er sich behandeln. „Es ist schwer zu sagen, ob es mir besser geht. Aber eines kann ich mit Sicherheit schon jetzt feststellen. Das ständige Krankheitsgefühl, das mit meinem Zerfall das ganze letzte Jahr parallel ging, scheint sich doch zu beruhigen.“ Michael S. aus Hilden spürt keine Wirkung. Auch seine Cladribine-Therapie ist keine zwei Monate her. Er muß seine chronische Verlaufsform mit Kortison behandeln. „Es ist wie Zuckerwasser, ich spüre nichts“, erklärt der Werbeexperte. Insgesamt zeigen diese Stellungnahmen, daß noch weitere Beobachtungszeit erforderlich ist. Cladribine in Deutschland Der Wirkstoff ist unter dem Namen Leustatin in Deutschland über die Cilag GmbH in Sulzbach (Tel.: 06196/7060) erhältlich. Der behandelnde Arzt kann Cladribine für eine Einzelfalltherapie bestellen. Das Medikament ist in Deutschland noch nicht zugelassen. Ein Antrag auf Zulassung für die Haarzell-Leukämie ist bereits gestellt worden. Der Preis für sieben Ampullen zu je 10 mg beträgt 5.338.DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Wesentlich günstiger ist der Wirkstoff Cladribine in Polen erhältlich, so ein Cilag-Sprecher. Seiten 10, 11 und 12: Pflegeversicherung: Wer erhält Unterstützung? Nach langem Gezerre kommt ab 1. Januar 1995 in Deutschland mit Beginn der Zahlung der Beiträge für die Pflegeversicherung ein neuer Träger des 302 bundesdeutschen Versicherungssystems hinzu, der mit Wirkung vom 1. April 1995 mit der ersten Stufe der häuslichen, teilstationären und kurzzeitstationären Pflege seine Arbeit aufnehmen wird. Die zweite Stufe wird am 1. Juli 1996 in Kraft treten. Gehört oder gelesen haben zwischenzeitlich die meisten davon. Was sich aber im Einzelnen dahinter verbirgt, wer versichert ist, welche Beitragsbelastung sich für den Einzelnen jeweils ergibt, wie die einzelnen Grade der Pflegebedürftigkeit bemessen werden und vieles mehr, das bleibt häufig im Unklaren. Wer ist versichert? Grundsätzlich sind alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen, seien es pflichtversicherte oder freiwillige, erfaßt. Für freiwillig Versicherte besteht allerdings die Möglichkeit, die gesetzliche Pflegekasse zu verlassen, wenn sie einen gleichwertigen Pflegeversicherungsvertrag abschließen und damit ihrer Versicherungspflicht nachkommen. Dieses muß allerdings in sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes durch einen Antrag veranlaßt werden. Das private Versicherungsunternehmen hat zu gewährleisten, daß seine Leistungen denen der gesetzlichen Pflegeversicherung gleichwertig sind und die Obergrenze der Bela-stung nicht höher ist als die der sozialen Pflegeversicherung. Bereits privat Pflegeversicherte werden mit sofortiger Wirkung in vollem Umfang in den Kreis der Pflegeversicherten einbezogen. Beitragsbelastung Ab 1. Januar 1995 wird ein bundeseinheitlicher Beitrag für die häusliche Pflege von einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens des einzelnen Mitgliedes erhoben. Ab 1. Juli 1996 wird durch das Hinzukommen der stationären Pflege der Beitragssatz auf 1,7 Prozent erhöht. Die Beiträge werden grundsätzlich je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber gezahlt. Sollte allerdings in einem Bundesland kein Feiertag zum Ausgleich für die Arbeitgeberbelastung entfallen, so hat der Arbeitnehmer die Beiträge in vollem Umfang zu übernehmen. Bei Rentnern trägt die Rentenversicherung die Hälfte, bei Arbeitslosen die Bundesanstalt für Arbeit die volle Höhe des Beitrages. Unterhaltsberechtigte Kinder und Ehegatten sind, so die Höchstgrenze des monatlichen Einkommens nicht die Geringfügigkeitsgrenze überstiegt, im Rahmen der Familienversicherung mitversichert. Pflegebedürftigkeit Voraussetzung für Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ist die Pflegebedürftigkeit. Diese liegt nach Definition des Sozialgesetzes bei Personen vor, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die ge-wöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für minde-stens sechs Monate, in erheblichem oder höheren Maße der Hilfe bedürfen.“ Voraussetzung hierbei ist, daß der Hilfebedarf nicht nur in der Übernahme von Verrichtungen bestehen darf, sondern auch in einer notwendigen Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme der Verrichtungen. Abgrenzung 303 Nach dem Gesetz werden drei Stufen von Pflegebedürftigkeit definiert. Nach diesen wird die Leistungshöhe bemessen. Für alle drei Stufen müssen beim personenbezogenen Hilfebedarf zusätzlich „mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung“ benötigt werden. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich pflegebedürftig) sind Personen, die für wenigstens zwei Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung oder Mobilität mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen. Eine Vorgabe von Seiten des Gesetzes, wie umfangreich der Hilfebedarf sein muß, gibt es nicht. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen. Auch hier existiert keine zeitliche Begrenzung. Pflegebedürftige der Stufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die täglich, auch nachts, Hilfe benötigen. Antragstellung Leistungen der Pflegeversicherung werden auf Antrag des Versicherten gewährt. Hierbei bedarf es keiner ärztlichen Verordnung, sondern lediglich eines Antrags des Versicherten bei der Pflegekasse der Krankenkasse, die die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit mit Hilfe des medizinischen Dienstes der Krankenkasse ermittelt. Es sollen vorliegende ärztliche Unterlagen ausgewertet und die betreffenden Personen möglichst in ihrem Wohnbereich untersucht werden. Auch Maßnahmen der Rehabilitation sollen von ihnen überprüft und der Pflegekasse unter Einschluß einer Empfehlung über einen Pflegeplan mitgeteilen werden. Die Entscheidung über die Leistungen liegt ausschließlich bei der Pflegekasse, gegen deren Be-scheide allerdings Widerspruch eingelegt werden kann. Bei erfolglosem Widerspruch ist Klage beim Sozialgericht möglich. Pflegebedürftige Versicherte, die bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit erhalten haben, werden ohne Antragstellung mit Wirkung vom 1. April 1995 in die Pflege-stufe II eingestuft und erhalten entsprechende Leistungen. Leistungen der Pflegestufe III müssen hingegen beantragt werden. Bei Antragstellung bis zum 30. Juni 1995 werden bei Zuerkennung die Leistungen rückwirkend ab 1. April gewährt; bei späterer Antragstellung gilt der jeweilige Monatsanfang. Versicherte, die bislang keinerlei Leistungen erhalten haben, sollten bis spätestens April 1995 den Antrag stellen, um die jeweiligen Leistungen von Anfang an zu erhalten. Pflegesachleistungen In einem Haushalt lebende Pflegebedürftige erhalten monatlich eine Hilfe von bis zu DM 750,00 (I) DM 1.800,00 (II) DM 2.880,00 (III) DM 3.750,00 bei besonders schweren Fällen. Pflegegeld 304 Ersatzweise kann der Pflegebedürftige an Stelle der häuslichen Pflege auch Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen beantragen, was allerdings vom medizinischen Dienst befürwortet werden muß. Das Pflegegeld beträgt je Monat: DM 400,00 (I) DM 800,00 (II) DM 1.300,00 (III). Bei den Pflegestufen I und II besteht halbjährlich die Verpflichtung zur Konsultation einer Pflegeeinrichtung mit Versorgungsvertrag, bei Pflegestufe III vierteljährlich. Die entstehenden Kosten werden von der Pflegekasse unter Anrechnung des Pflegegeldes erstattet, d.h., der Pflegegeldbetrag wird entsprechend gekürzt. Kombination Geld-Sachleistungen Falls der Pflegebedürftige die ihm zustehenden Sachleistungen nur teilweise in Anspruch nimmt, erhält er ein um den entsprechenden Anteil pro-zentual gekürztes Pflegegeld. Der Pflegebedürftige ist an diesen gekürzten Anteil jedoch sechs Monate gebunden. Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson Für den Fall, daß die Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen nicht zur Verfügung steht, bezahlt die Pflegekasse im Laufe eines Jahres vier Wochen eine Ersatzpflegekraft. Die Kosten hierfür dürfen jährlich allerdings DM 2.800,00 nicht übersteigen. Pflegehilfsmittel und technische Hilfen Nach Überprüfung der jeweiligen Notwendigkeit durch den medizinischen Dienst und die entsprechende Pflegefachkraft werden monatlich höchstens DM 60,00 getragen. Für andere Hilfsmittel hat diese Grenze keine Gültigkeit. Volljährige Versicherte müssen jedoch einen Eigenanteil von DM 50,00 tragen. Darüber hinausgehend sind sogenannte Wohnanpasshilfen in Höhe von DM 5.000,00 vorgesehen. Kurzzeitpflege Wenn es nicht möglich sein sollte, Pflege im häuslichen Bereich zu leisten bzw. eine teilstationäre Pflege nicht möglich ist, besteht ein Anspruch auf vollstationäre Pflege. Voraussetzung ist hierbei allerdings, daß der Pflegebedürftige für eine Übergangszeit im Anschluß an eine stationäre Pflege die Kurzzeitpflege benötigt oder sich in einer Krisensituation befindet und die Pflegeperson den Bedürftigen bereits mindestens 12 Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Für einen Zeitraum von vier Wochen werden Aufwendungen von maximal DM 2.800,00 finanziert. Stationäre Pflege Anspruch auf vollstationäre Pflege haben Pflegebedürftige ab 1. Juli 1996 dann, wenn teilstationäre oder durch den jeweiligen Einzelfall bedingte Pflege nicht in Betracht kommt. Die monatlichen Aufwendungen der Pflegekasse werden bis DM 2.800,00 übernommen, jedoch maximal bis DM 30.000,00 im Jahr. Bei besonderem Pflegeaufwand können in Härtefällen der Pflegestufe III Kosten bis zu DM 3.300,00 monatlich übernommen werden. Tages- und Nachtpflege 305 Kann eine häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang sichergestellt werden, besteht Anspruch auf teilstationäre Betreuung in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege einschließlich der Beförderung. Das heißt für Stufe I DM 750,00 Stufe II DM 1.500,00 Stufe III DM 2.100,00. Rüdiger Speck Leistungen der Pflegeversicherung Die Pflegeversicherung gewährt folgende Leistungen: l. Pflegesachleistungen 2. Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen 3. Kombination von Geld- und Sachleistungen 4. Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson 5. Pflegemittel und technische Pflegemittel 6. Kurzzeitpflege 7. Stationäre Pflege 8. Leistungen zur sozialen Absicherung der Pflegenden - Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen. Tips für Pflegepersonen Soziale Absicherung der Pflegeperson Um für Pflegebedürftige möglichst lange Pflege im häuslichen Rahmen zu gewährleisten, soll hierbei vornehmlich die Pflege durch Verwandte, Freunde oder andere ehrenamtliche Personen unterstützt werden. Diese Pflegepersonen, die nicht erwerbstätig sein dürfen und mindestens 14 Stunden wöchentlich im Hause pflegen müssen, sollen l in der Altersversicherung durch Beitragszahlungen der Pflegekasse an die zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung l im Unfallversicherungsschutz durch Einbeziehung von Pflegepersonen in die gesetzliche Unfallversicherung l und bei der Rückkehr ins Erwerbsleben nach einer Pflegetätigkeit durch Anspruch auf Unterhaltsgeld während einer beruflichen Fortbildungsmaßnahme abgesichert werden. Pflegekurse Den Angehörigen sowie an-deren ehrenamtlichen Pflegepersonen sollen Pflegekurse angeboten werden, um damit das soziale Engagement im Bereich der Pflege zu intensivieren und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie durch die Pflege bedingte körperliche und seelische Belastungen zu reduzieren. In den Kursen sollen eigene Fähigkeiten zur Durchführung der Pflege vermittelt werden. Es besteht die Möglichkeit, diese Kurse im häuslichen Rahmen stattfinden zu lassen. Seite 13: Der Körper kämpft gegen sich selbst 306 Bei der Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes richten sich die Abwehrzellen gegen den eigenen Körper. Nahezu alle Organe können angegriffen werden. Eine fatale Fehlschaltung im Immunsystem: Abwehrzellen, die den Menschen vor fremden Angriffen schützen sollen, sehen plötzlich im eigenen Körper den Feind. Sie greifen nahezu jedes Organ direkt an und verursachen teilweise starke Funktionsstörungen. Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist schwer auszumachen, denn durch die vielfältigen Angriffspunkte im Körper kommt es auch zu den unterschiedlichsten Symptomen. Am häufigsten bemerken die Patienten den Beginn der Krankheit durch Gelenkbeschwerden, Hauterscheinungen, Rippenfellentzündungen und Nierenprobleme. Dazu treten in aller Regel noch Müdigkeit und Gewichtsverlust. Der SLE ist eine typische Frauenkrankheit. Nur 10 Prozent der Betroffenen sind Männer. Man vermutet, daß die weiblichen Geschlechtshormone die Entstehung der Krankheit günstig beeinflussen können. Sie tritt bei Asiaten und schwarzen Menschen häufiger auf als bei Weißen. Trotzdem schätzt man, daß es in Deutschland knapp 100.000 Erkrankte gibt. Die Diagnose ist oft schwierig, denn angrenzende Krankheiten (z.B. chronisches Gelenkrheuma) zeigen sich mit ähnlichen Symptomen. Letzte Sicherheit erhält man durch den Nachweis bestimmter Antikörper im Blut. Eine erfolgreiche Therapie ist noch nicht bekannt. Symptomlinderungen werden durch Rheuma-, Antimalariamittel, Kortison undnebenwirkungsstarke Immunsuppressiva erreicht. Neue Medikamente (z.B. Leflunomid, Deoxyspergualin) scheinen eine günstige Wirkung auf den SLE zu zeigen. Fragen zu SLE Wie wirkt sich eine Schwangerschaft auf den Verlauf eines systemischen LE aus? (Claudia B., Saarbrücken) Eine sichere Vorhersage, wie sich eine Schwangerschaft auf den einzelnen Krankheitsverlauf auswirkt, ist nicht möglich. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß inaktive Krankheitsverläufe sich während der Schwangerschaft auch nicht aktivieren. Vor dem Entschluß zur Schwangerschaft ist unbedingt eine Nierendiagnostik notwendig, um zu beurteilen, ob aktiv entzündliche Krankheitszeichen an der Niere vorhanden sind und inwieweit die Nierenfunktion erhalten oder bereits eingeschränkt ist. Zur Schwangerschaftsverhütung ist die „Pille“ zu vermeiden, es muß gynäkologisch über andere Verhütungsmöglichkeiten beraten werden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß Komplikationen beim SLE durch die Einnahme der „Pille“ häufiger auftreten (z.B. tiefe Venentrombosen, Bluthochdruck). Insbesondere Frauen, bei denen ein bestimmter Antikörper festgestellt wurde (Antiphospholipid), sollten die „Pille“ meiden. Was ist ein Pseudo-LE? (Annemarie G., Dresden) Pseudo-LE ist ein Krankheitszustand, der einen SLE vortäuscht. Folgende Erscheinungen führen zu einem SLE-ähnlichen Krankheitsbild: Fieber, Ergüsse in Herzbeutel und/oder Brustfellraum, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen. Der Nachweis bestimmter Antikörper (antimitochondriale Antikörper) schließt aber die Diagnose SLE aus. 307 Pseudo-LE wurde erstmals bei Patienten beobachtet, die eine bestimmte entzündungshemmende Substanz und ein Venenmittel erhielten. Diese Medikamente sind nicht mehr im Gebrauch. Der Pseudo-LE muß gegenüber einer anderen durch Medikamente ausgelösten SLE abgegrenzt werden. Eine größere Anzahl von Medikamenten ist dafür verantwortlich. Das Krankheitsbild ähnelt klinisch dem SLE. Eine Beteiligung der Nieren oder des zentralen Nervensystems tritt jedoch fast nie auf. Die Symptome sind nach Absetzen des auslösenden Medikaments rückbildungsfähig, manchmal sogleich, manchmal nach Monaten. Seiten 14, 15 und 16: News und Hintergrund Vegetarische Ernährung gefährlich für Ungeborene Vegetarische Ernährung kann Ungeborenen gefährlich werden. Babys, die von ihren streng vegetarisch lebenden Müttern ausschließlich durchs Stillen ernährt werden, könnten schwerste Gesundheitsschäden erleiden. Das wurde auf einem Kinderärzte-Kongress in Hannover mitgeteilt. Dieser Muttermilch fehlten die Vitamine B 12 und D, sie sei arm an Calcium. Kinder könnten dadurch Hirnschädigungen und Rachitis erleiden, Mangelernährung dieser Art könnte auch zum Tod führen. Gerhard Schöch, Direktor des Forschungsinstituts für Kindernährung, hält eine vegetarische Diät ohne tierisches Eiweiß für Kinder nicht geeignet. Untersuchungen in den Niederlanden ergaben, daß streng vegetarisch ernährte Kinder drei Monate später als andere Kinder laufen lernten und langsamer wüchsen, stellte Schöch dar. Zu einer weiteren Diät, der phosphatarmen Ernährung, teilten Kinderärzte auf der Jahrestagung mit, sie könne das „Zappelphilipp-Verhalten“ von Kindern nicht günstig beeinflussen. Der Experte, Professor Lothar Reinken, erklärte dazu, auch diese Diät sei eine unausgewogene Mangelernährung. Schwingendes Hirn Deutsche Forscher entdeckten mit den Gammawellen eine bioelektrische Wellenfront, die im menschlichen Hirn ungefähr vierzigmal pro Sekunde schwingt. Empfindliche Meßgeräte zeigten den Forschern einen Zusammenhang zwischen bewußtem Verarbeiten von Sinneseindrücken und den im Hirn ausgelösten Gammawellen. Die Forschergruppe der Tübinger Universität glaubt, mit Hilfe der Magnetoenzephalographie (MEG) einzelne Erregungschaltkreise „belauschen“ zu können; bewußtes Denken ließe die Erregungsschaltkreise im Gleichtakt schwingen, vermuten die Forscher. Arzneimittelreste im Trinkwasser enthalten Patienten beeinflussen mit ihrem Arzneimittelverbrauch die umwelthygienische Beschaffenheit des Trinkwassers. In einer Untersuchung der Technischen Universität Berlin (TU) wurden bis zu 180 Nanogramm Clofibrinsäure pro Liter Trinkwasser gefunden. 308 Clofibrinsäure wird als sogenannter Lipidsenker gegen erhöhte Blutfettwerte eingenommen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung nimmt solche Arzneimittel ein, als Ausgleich für eine ungesunde oder einseitige Ernährung. Eine bessere „Therapie“ könnte eine gesündere Ernährung sein, empfiehlt das Bundesgesundheitsamt. Eine unsachgemäße Arzneimittelentsorgung über das häusliche Abwasser beeinträchtigt ebenfalls die Trinkwasserqualität. Viele Gifte bauen sich nicht so schnell ab, wie es der Druck auf die Toilettenspülung vortäuscht. Den Arzneimittelherstellern wird nahegelegt, bei der Produktentwicklung von Arzneimitteln eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit einzubeziehen. Gegenwärtig werden europaweit neue arzneimittelrechtliche Bestimmungen erarbeitet, die solche Überlegungen berücksichtigen sollen. Die gefundenen Arzneimittelspuren im Trinkwasser liegen weit unter einer Wirkschwelle, betont das BGA - grundsätzlich sollte Trinkwasser aber frei von Fremdstoffen sein. Neuer Impfstoff gegen Keuchhusten Bis Ende des Jahres laufen an mehreren deutschen Universitätskliniken wissenschaftliche Studien zu einem neu zugelassenen Impfstoff gegen Keuchhusten. Der Direktor der Universitätsklinik in Homburg/Saar, Prof. Friedrich Karl Sitzmann, bezeichnete den neuen Impfstoff als „wesentlich besser verträglich als den alten Impfstoff“. Die Schutzwirkung sei unverändert. Herausfinden möchte man in den Studien, ob nun auch Säuglinge mit einer vorbeugenden Impfung gegen Keuchhusten vor der Infektion geschützt werden können. Die Saarländische Kassenärztliche Vereinigung empfahl auf Grund der guten Verträglichkeit, alle noch nicht geimpften Kinder im Alter von 15 Monaten bis sechs Jahren jetzt impfen zu lassen. Keuchhusten ist gerade bei Kindern sehr verbreitet - und kann ihnen durchaus auch gefährlich werden. Leuchtbakterien im Freiland Die Universität Bielefeld hat vom Berliner Robert-Koch-Institut die Genehmigung für einen Freilandversuch mit genmanipulierten Bakterien erhalten. Auf einem Versuchsfeld der Braunschweiger Forschungsanstalt für Landwirtschaft soll untersucht werden, wie sich gentechnisch veränderte Mikroorganismen in der Umwelt verhalten. Für das Experiment werden Bakterien vom Stamm der Rhizobien verwendet, die in Symbiose mit Wirtspflanzen leben. Seit vielen Jahren werden sie zur Bodendüngung in der Landwirtschaft genutzt, da sie den Luftstickstoff in organisch gebundenen Stickstoff umwandeln. Für Menschen, Tiere und Pflanzen sind diese Bakterien ungefährlich; es sei nicht zu erwarten, daß sie sich unabhängig von ihren Wirtspflanzen verbreiteten, sagen die Forscher. Die gentechnische Veränderung besteht in einem zusätzlichen Gen, das die Produktion des Leuchtstoffs amerikanischer Leuchtkäfer einleitet. Dieses Luziferasegen böte keinen Überlebensvorteil für die Bakterien, es markiere sie nur, heißt es. 309 Krankmacher Aromastoff? Künstliche Aromastoffe sind die zweithäufigsten Allergieauslöser. Das sagte der Allergologe Michael Häberle auf einem Symposion für Umweltmedizin in Bad Emstal. Mehr als 100 verschiedene Substanzen werden verwendet, um Körperpflegeund Reinigungsmitteln frischen Duft zu verleihen. Diese Stoffe lösen aber häufig Hautausschläge und Allergien aus. Bisher besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur genauen Deklaration, lediglich der Vermerk „Fragrance“ (Parfüm) muß auf den Etiketten vermerkt sein. Doch nicht nur im Duschgel, auch in Backwaren, Erfrischungsgetränken und anderen Nahrungsmitteln finden sich synthetische Aromen, wie etwa Vanillin. Duft- und Aromastoffe sind in Lebensmitteln bis zu einem Volumenprozentanteil von zwei Prozent nicht deklarationspflichtig. Deshalb fordern Mediziner eine verschärfte Deklarationspflicht für die naturidentischen Zusatzstoffe innerhalb einer Neufassung der AromaVerordnung. Ärzte, die nach der Ursache von Allergien suchen, hätten es dann bei ihrer detektivischen Fahndungsarbeit leichter. Keine Schonfristen mehr nach der Kur Wurde einem Arbeitnehmer eine stationäre Kur von seinem Arzt verschrieben, die von den zuständigen Stellen auch bewilligt wurde, dann braucht dafür kein Urlaub genommen zu werden. Das gilt sowohl für Vorsorgekuren als auch für Rehabilitationsmaßnahmen. „Schonfristen“ von bisher drei bis sieben Tagen nach einer Kur gibt es nicht mehr. Wer nach einer Reha-Kur noch ein paar Tage Erholung braucht, muß sich dafür vom Arbeitgeber Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz bewilligen lassen. autoimmun-Wirtschaft Pharmahersteller gekräftigt Die Mattigkeit des Vorjahres scheint von der Pharmaindustrie gewichen zu sein, glaubt man dem aktuellen Branchenbericht des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI). In den alten und neuen Bundesländern konnten die Arzneimittelumsätze deutlich gesteigert werden. Bundesweit wurden von der Pharmaindustrie in den Monaten Januar bis August 1994 14,4 Milliarden Mark umgesetzt, fast sechs Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Der BPI möchte aber in seinem Branchenbericht noch nicht von einer umfassenden Erholung sprechen. Denn jeder dritte westdeutsche Hersteller müsse noch Erlösrückgänge hinnehmen. Die Steigerung der pharmazeutischen Produktion sei auf relativ wenige Arzneigruppen beschränkt. Schering und Rentschler gemeinsam bei Interferon Der Berliner Pharma-Konzern Schering AG weitet seine Beteiligungen und die Zusammenarbeit mit kleineren Pharma-Unternehmen durch einen jüngst geschlossenen Kooperationsvertrag mit der Dr. Rentschler Arzneimittel GmbH & Co aus. Vertragsgegenstand ist die gemeinsame Weiterentwicklung der Interferonforschung. 310 Demenz-Epidemie in Deutschland befürchtet Ungefähr 1,2 Millionen Deutsche leiden derzeit an fortschreitender Hirnleistungsschwäche. Wissenschaftler erwarten in den nächsten fünfzehn Jahren sogar einen Anstieg auf schätzungsweise 1,8 Millionen DemenzErkrankte. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz; Persönlichkeitsstörungen sind die ersten Symptome, letzlich führt Demenz zum Tod. Das Erkrankungsrisiko liegt für über 65-jährige bei drei Prozent, für über 90-jährige bei 40 Prozent. Bisher besteht ein großer Mangel in der Versorgung der jeweiligen Erkrankten: 80 Prozent werden zu Hause oder bei Angehörigen gepflegt. Betreuungsgruppen sollten deshalb die oft schwierige häusliche Pflegearbeit unterstützen, lautet ein Vorschlag der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Auch werde in Deutschland kaum Demenzforschung betrieben, ganz im Gegensatz zu den USA, wo es 28 Alzheimer-Forschungszentren gibt. Eine Heilung der Krankheit sei aber auf längere Sicht nicht zu erwarten, Hoffnung setze man aber auf die Pharmakologie, meinen die Forscher. Auf einer ersten gemeinsamen Jahrestagung diskutierten am 11. und 12. November die Mitglieder der Hirnliga und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Berlin über die verschiedenen Forschungsansätze und neue Therapiekonzepte . Leistungspflicht für private Reisekrankenversicherung Private Krankenversicherungen müssen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (IV ZR 109/93) vom 2. März 1994 auch bei Krankheiten oder Unfallfolgen, die bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes akut behandlungsbedürftig waren, ihrer Leistungspflicht nachkommen. Vertragsklauseln, die dies ausschließen, sind unwirksam. Denn vielfach sei für die Versicherten nicht erkenn- oder vorhersehbar, daß sie akut behandlungsbedürftig sind. Ein Risikoausschluß für die Reisekrankenversicherung sei deshalb nicht gerechtfertigt. Die Versicherung kann sich aber auf die Leistungsfreiheit berufen, wenn der Versicherte vor Versicherungsbeginn von der Behandlungsbedürftigkeit seiner Erkrankung wußte: In diesem Fall ist er zur Anzeige verpflichtet. Versicherte Pannenhilfe Fußgänger, die pannengeplagten Autofahrern helfen möchten, sind während ihrer Hilfeleistung unfallversichert. Die gesetzliche Unfallversicherung trägt die Folgekosten, wenn sich der hilfsbereite Passant bei der Pannenhilfe verletzt. Das gelte auch, wenn ein Fahrzeug von der Straße geschoben werde, um mögliche Auffahrunfälle zu vermeiden. Schon der direkte Weg zur Hilfeleistung sei bereits unfallversichert, berichtet die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) in einer Pressemitteilung. Seiten 17, 18 und 19: Interview Kann man Gesundheit essen? 311 Bewußte Ernährung ist heute in aller Munde. Durch den Körperkult der Neunziger, der uns Supermarktregale voller Lightprodukte beschert hat, durch einen Lebensmittelskandal nach dem anderen - die Frage nach der Qualität von Nahrungsmitteln bekommt immer mehr Gewicht. BSE-Rindfleisch, Nitratsalat und belastete Babykost machen Angst und verunsichern bei der Entscheidung, was denn überhaupt noch unbedenklich verzehrt werden darf. Viele Menschen beantworten diese Frage durch Verzicht: Liebgewordene Essgewohnheiten werden aufgegeben. Statt des leckeren Sonntagsbratens schmurgeln dann eben Sojabratlinge in der Pfanne. Der Heißhunger auf Verbote und Regeln hat eine endlose Liste von Sonderernährungsformen und Diäten hervorgebracht. Mit der Ärztin Edelgard Hermann-Kunz unterhielt sich autoimmun-Redakteur Jens Zimmermann zu Fragen der Ernährung. Die engagierte Medizinerin ist Leiterin des Fachgebiets Ernährungserhebung und Gesundheit im Berliner Robert-Koch-Institut. Sie war maßgeblich an der Berliner Vegetarierstudie des BGA beteiligt, einer vergleichenden Studie zwischen Vegetarieren und gesundheitsbewußten Nicht-Vegetariern. autoimmun: Haben die vielen Diäten und Ernäh-rungsformen auch mögliche Gefahren, die nicht zu einer besseren Gesundheit sondern - ganz im Gegenteil - zu Störungen des Wohlbefindens führen? Hermann-Kunz: Ich halte beispielsweise makrobiotische Ernährung in ihrer höchsten Stufe für gefährlich. Das Schwergewicht liegt nur auf Getreideprodukten. Frisches Obst, frisches Gemüse soll man gar nicht mehr essen: Das ergibt natürlich einen Mangel, gerade an Vitamin C und Mineralstoffen. autoimmun: Einige Ernährungssysteme gehen mit wenig wissenschaftlichen Richtlinien bei der Auswahl von Nahrungsmitteln vor. Sie suchen nach deren Yin und Yan-Gehalt, verlangen, daß das Gemüse vor Sonnenaufgang geerntet wird - oder finden die Farbe eines Lebensmittels überaus wichtig. Hermann-Kunz: Da steht eine Ideologie dahinter. Aber: Kann man Ernährungsformen wirklich so einteilen? Steht bei Hayscher Trenndiät z. B. nicht auch eine Ideologie dahinter? Denn wissenschaftlich gibt es kaum einen Grund, Kohlehydrate nicht gleichzeitig zusammen mit Eiweißprodukten zu essen. autoimmun: Einige Menschen haben Erfahrung mit mehreren Diäten. Sie suchen geradezu nach Diäten, die sie noch nicht gemacht haben. Hermann-Kunz: Oft machen übergewichtige Menschen unheimlich viele Diätversuche. Das kann zu Negativfolgen führen, wie die permanent ansteigenden Zahlen der Eßstörungen zeigen. Denn durch eine zeitlich begrenzte Diät - egal welche - kann man sein Gewicht nicht auf Dauer reduzieren. Erfahrungsgemäß steigt das Körpergewicht nach einer Diät sehr schnell wieder an. Da gibt es die Theorie vom eingestellten Sollgewicht: Der Körper hat sich über Jahre an ein bestimmtes Gewicht gewöhnt, das möchte er wieder erreichen. Deshalb versucht der Körper nach einer Diät die aufgenommene Nahrung stärker auszunutzen. Dieses Problem löst man nur durch dauerhafte Ernährungsumstellung. autoimmun: Ist es nicht einfacher, das Mehr an Kilos einfach zu akzeptieren? Hermann-Kunz: Wenn Modekriterien der Hauptgrund für's Abnehmen sein sollen, dann ist das kritisch zu betrachten. Kleine Fettpolster am 312 Oberschenkel, wie sie häufig bei Frauen zu beobachten sind, rechtfertigen keine ständigen Diätversuche und akribisches Kalorienzählen. Gerade bei jungen Mädchen findet man oft Untergewicht, weil sie sich einfach zu stark an Modediktate halten. Gleichzeitig ist aber schweres Übergewicht nicht einfach nur als Unschönheit abzutun. Besonders die Stammfettsucht, das sind Fettpolster primär am Bauch, kann massive körperliche Schäden nach sich ziehen. autoimmun: Gewichtsreduktion kann doch für Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie Angina pectoris oder Arthritis, ganz wichtig sein. Hermann-Kunz: Ja, bei allen Krankheiten des Bewegungsapparats, auch bei Wirbelsäulen- und Bandscheibenschäden, ist das wichtig; ganz einfach, weil die Belastung des Stützapparates mit dem reduzierten Gewicht abnimmt. Übergewicht fördert zahlreiche Krankheiten: Stoffwechselkrankheiten, Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems, Diabetes des Typs zwei, um nur einige zu nennen. autoimmun: Sollten auch Menschen ohne Gewichtsprobleme oder ohne ernährungsbedingte Erkrankungen über ihre Ernährung nachdenken? Hermann-Kunz: Überhaupt alle sollten darauf achten, was sie essen. Denn man kann durch vernünftige Ernährung auch Krankheiten verhindern - oder verhindern, daß Krankheiten frühzeitig auftreten. Auch das Wohlbefinden, die Fitheit kann man positiv beeinflussen. autoimmun: Lassen sich durch Ernährung Autoimmunkrankheiten beeinflussen? Hermann-Kunz: Mir ist aus keiner Studie bekannt, daß alleine durch Ernährung Autoimmunkrankheiten günstig beeinflußt wurden. Es gibt aber immer wieder Einzelfallberichte, z.B. daß Diäten in Rheumakliniken deutliche Erfolge brachten. autoimmun: „Gute“ und „schlechte“ Nahrungsmittel, gibt es die? Hermann-Kunz: Bestimmt kann man sagen, daß frische Gemüse gute Nahrungsmittel sind. autoimmun: Naturbelassene Lebensmittel sind harmonisch zusammengesetzt - im Gegensatz zu Auszugsmehlen, Industriezucker oder Knabberartikeln. Gibt es da einen Unterschied in der Nährstoff-aufnahme durch den menschlichen Körper? Hermann-Kunz: Industriell bearbeitete Lebensmittel müssen nicht grundsätzlich schädlich sein: Die vielgeschmähten Konservierungsstoffe schützen vor Lebensmittelvergiftungen. Ein gutes Beispiel für Qualitätsminderung sind hochausgemahlene Auszugsmehle. Wichtige Stoffe wurden entzogen, Ballaststoffe und Vitamine wie B 1 und B 2 fehlen dann. autoimmun: Kann man bei der Auswahl von Nahrungsmitteln seinem Instinkt trauen? Hermann-Kunz: Kinder nehmen häufig das zu sich, was ihnen fehlt, wenn man sie frei auswählen läßt. Aber Ernährungsverhalten wird primär durch unsere direkte Umwelt geprägt, gerade in der Kindheit innerhalb der Familie. Der Naturinstinkt geht dabei verloren. Kritiklos sollten wir uns also nicht auf unseren Instinkt verlassen. Auch ein Problem: War man jahrelang an eine bestimmte Ernährung gewöhnt, kann es zu Verdauungsstörungen kommen, wenn man seine Ernährung grundlegend umstellt. Man kann dann nicht sofort erkennen, ob eine Ernährungsform für einen gut ist oder nicht. 313 autoimmun: Auf Fleisch zu verzichten, bedeutet das ein Mehr an Gesundheit? Hermann-Kunz: Es gibt keinen Beweis, daß Fleisch wirklich ungesund ist. Menschen mit hohem Fleisch- und Wurstkonsum zeigen allerdings oft eine geringe Bereitschaft Gemüse zu essen. Dieses Ungleichgewicht, in Wurst verstecktes Fett aufzunehmen und auf Gemüse mit darin enthaltenen Ballaststoffen zu verzichten, führt zu vielen Krankheits- und Beschwerdeformen. autoimmun: Das Mengenverhältnis ist also entscheidend: Weniger Fleisch und dafür mehr Gemüse und Obst essen. Hermann-Kunz: Ja, solch eine harmlose, aber weit verbreitete Sache wie Verstopfung würde nicht die Einnahme von Abführmitteln nötigmachen, wenn mehr Gemüse und Ballaststoffe aufgenommen würden. Und dafür aber sollte der Konsum von Fett und Fleisch eingeschränkt werden. Fleisch sollte die Beilage und Gemüse der Hauptbestandteil einer Mahlzeit sein. autoimmun: Gibt es Vorteile, die für eine vegetarische Ernährung sprechen? Hermann-Kunz: Wir haben Vegetarier mit gesundheitsbewußten Nichtvegetariern in der Berliner Vegetarierstudie primär auf Herz-Kreislauf Risikofaktoren verglichen. Die Vegetarier bei uns hatten eindeutig weniger Risikofaktoren: Weniger Bluthochdruck, niedrigere Cholesterinwerte. Das andere Extrem: Wenn man zu einer veganischen Ernährung übergeht, also keine tierischen Produkte mehr ißt, auch keine Milchprodukte und keine Eier, dann muß man mit Mangelerscheinungen rechnen, das kann gefährlich werden. Bei veganischer Ernährung fehlt Vitamin B 12, es kommt nur in tierischen Produkten vor. Auch Eisenmangel kann auftreten. Eisen kommt zwar in Pflanzen vor, wird dann aber vom Körper schlechter aufgenommen. Eiweißmangel, Kalziummangel kann sich beim Verzicht auf Milchprodukte zeigen. Auf Dauer führt so eine Diät ganz ohne tierische Produkte zu gesundheitlichen Schäden - außer man ersetzt die fehlenden Stoffe in Form von Tabletten. Ich halte eine Ernährung, die zwingt zu substituieren, für nicht gesund. autoimmun: Ist es sinnvoll, vorbeugend Vitamine und Mineralstoffe als Tablette zu sich zu nehmen? Hermann-Kunz: Da gibt es die Theorie von den antioxidativen Stoffen, das sind in erster Linie Vitamine, aber auch Mineralstoffe und Spurenelemente; sie sollen vorbeugend wirken bei verschiedensten Krankheitsgeschehen. Bei Krebserkrankungen und bei artherosklerotischen Erkrankungen gibt es Hinweise auf die schützende Wirkung bei hoher Aufnahme von Antioxidantien. Vor ein paar Monaten wurde eine finnische Studie veröffentlicht, die die Hoffnung, Krebserkrankungen zu stoppen - durch die Gabe von Vitaminen E und A - allerdings etwas relativiert hat. autoimmun: Ganz auf tierische Produkte sollte ich also nicht verzichten, wenn ich mich vegetarisch ernähren und gesund bleiben möchte? Hermann-Kunz: Sie sollten darauf achten, Milch und Milchprodukte zu sich zu nehmen. Sie sollten schon etwas über Ernährung wissen, damit Sie z. B. Eisenmangel vorbeugen können, auch sollten Sie sich ärztlich kontrollieren lassen. Es gibt Menschen - ich nenne sie „Puddingvegetarier“- die Kuchen essen, Süßspeisen, viel Nudeln usw.; die also einfache Zucker und einfache Kohlehydrate zu sich nehmen. Das stelle ich mir nicht unter gesunder vegetarischer Ernährung vor. Kohlehydrate halte ich für sehr wichtig und 314 gesund. Allerdings eben nicht die einfachen Kohlenhydrate wie Zucker oder Süßigkeiten, sondern die komplexen Kohlehydrate, die im Gemüse enthalten sind, davon essen wir grundsätzlich zu wenig. Auf Zucker kann man gut verzichten. autoimmun: Was ist von der Empfehlung zu halten, Lebensmittel nicht zu kochen, sondern Rohkost zu bevorzugen? Hermann-Kunz: Viele Vitamine werden zwar durch den Kochprozess abgebaut - gerade Vitamin C. Es gibt aber auch Hinweise, daß das Aufschlüsseln der Nahrung durch den Garprozeß erleichtert wird. Provitamin A kann man durch einfaches Kauen gar nicht so aus dem Zellverband der Nahrung herauslösen, wie durch’s Garen. Kochen ermöglicht bei vielen Stoffen eine bessere Resorption. Selbstverständlich sollte man nicht alles einkochen, da hat man mit Sicherheit einen großen Vitaminverlust. Wenn es geht, sollte man viel frischen Salat essen, Gemüse kann man kurz blanchieren, Garzeiten gering halten. autoimmun: Was bedeuten Begriffe wie „Schlackenstoffe“ oder „Übersäuerung“? Hermann-Kunz: Der Begriff „Verschlackung“ bereitet vielen Ernährungsmedizinern Schwierigkeiten, nicht nur mir. Der Begriff ist nicht definiert. Viele Leute, die den Begriff anwenden, sagen nicht genau, was sie darunter verstehen. Was denn nun Schlackenstoffe sind, die unbedingt aus dem Körper ras müssen, ist nicht klar. Ich kenne keinen wissenschaftlichen Grund, der das unterstützen würde. Seiten 20 und 21: Therapie Eine wacklige Sache Seit Jahren wird gegen viele Autoimmunkrankheiten der Wirkstoff Azathioprin eingesetzt. Unter dem Namen Imurek ist er bei Patienten bekannt. Nur wenige vertragen das Medikament gut. Viele fürchten es wegen der schlimmen Nebenwirkungen. Tatsächlich ist das Medikament nur bei Abstoßungskrisen nach Transplantationen in Deutschland zugelassen. Aber es wird auch MSPatienten gegeben, obwohl ein Wirksamkeitsnachweis bei dieser Krankheit nicht vorliegt. Ärzte, die Patienten mit unheilbaren Autoimmunkrankheiten (z.B. Multipler Sklerose) betreuen, haben es wirklich nicht leicht. Gegen die MS ist beispielsweise kein Kraut gewachsen - jedenfalls keines, das man auf unserem deutschen Markt kaufen könnte. Im akuten MS-Schub können die Ärzte Kortison in verschiedenen Dosierungen anbieten - mal hilft's, mal nicht. Aber was ist in Fällen mit rasanter Schubfolge zu tun? Was tun bei einem chronisch-progredienten Krankheitsverlauf? In ihrer Hilflosigkeit verordnen Neurologen das Immunsuppressivum Imurek. Diese Hilflosigkeit mag dem einen oder anderen Arzt auch mal auf den Magen schlagen, aber allein das Lesen des Beipackzettels verursacht so manchem Patient ausgewachsene Alpträume. Es ist schon schwer, eine Nebenwirkung zu finden, die nicht durch Imurek verursacht werden kann. Gar nicht für MS vorgesehen 315 Die Verwirrung beginnt schon damit, daß die Multiple Sklerose bei der Aufzählung der mit Imurek (enthaltener Wirkstoff ist Azathioprin) zu behandelnden Krankheiten gar nicht auftaucht. Die Liste ist auch so lang genug. Einige MS-Patienten berichten über ihre Erfahrungen: Marion Z. aus Essen, 33 Jahre alt und seit vier Jahren an MS erkrankt, nimmt seit vier Monaten Imurek. Ihr behandelnder Neurologe hat es ihr verschrieben, nachdem der bisher schubförmige Verlauf ihrer Krankheit in einen chronischprogredienten übergegangen ist. Imurek zeigt bereits eine Wirkung - leider nicht die erhoffte. Marion Z. klagt über eine weitere Verschlechterung der Symptome, außerdem hat sie Muskelund Gelenkschmerzen. Die Haare fallen ihr gleich büschelweise aus, sie leidet unter Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Schwindel. Der Arzt ist mit ihren Blutwerten gar nicht zufrieden, die Bildung der roten Blutkörperchen ist beeinträchtigt. Verstärkung der MS-Symptome Abgesehen von den Symptomen der Multiplen Sklerose fühlt sich Monika Z. einfach rundherum krank. Sie überlegt, ob sie auf das Medikament verzichten soll. Aber der Neurologe hat sie vor Beginn der Behandlung gewarnt, daß vielen Patienten nach Absetzen von Imurek ein deutlicher Einbruch ihrer Krankheit droht, vor allem, wenn die Behandlung nur kurze Zeit durchgeführt wurde. Jetzt hat Monika Z. sowohl vor der weiteren Behandlung als auch vor dem Absetzen von Imurek Angst. Auch Hans W. aus München, 46 Jahre alt, hat ein ähnliches Problem. Auch er ist an Multipler Sklerose erkrankt und wird mit Imurek seit über einem Jahr behandelt. Aber am Fortschreiten seiner Krankheit hat sich nichts geändert. Geändert hat sich jedoch sein Allgemeinbefinden. Wie auch Monika Z. fühlt sich Hans W. zusätzlich schlecht und ist überdies auch noch extrem anfällig für Infektionskrankheiten. Imurek setzt allgemein den Widerstand gegen Infektionen herab. Hans W. fürchtet jeden Besucher mit einem Schnupfen, denn er kann sicher sein, daß ihm eine schreckliche Erkältung bleiben wird, wenn der Schnupfen-Besucher gegangen ist. Absetzen kann die Krankheit verschlimmern Nichts läßt er aus, wo auch immer Überträger von Infektionskrankheiten lauern, sie scheinen nur auf Hans W. zu warten. Das Benutzen einer öffentlichen Toilette oder eine Fahrt mit der Münchner U-Bahn bleibt ihm jedesmal noch lange in Erinnerung, denn sein Immunsystem wird auch mit den harmlosesten Überträgern kaum noch fertig. Auch er hat starke Zweifel am Sinn dieser Therapie und steht jeden Tag erneut vor der Entscheidung: Abbrechen oder weitermachen? Manchmal hat er den Verdacht, daß man ihm das Medikament nur verordnet, damit überhaupt irgend etwas verordnet wird. Er spürt sehr genau die Hilflosigkeit seines Arztes und das bedauernde Achselzucken auf seine Frage nach neuen Medikamenten nimmt ihm manchmal den letzten Mut. Er würde gerne selbst entscheiden, welche Medikamente an ihm ausprobiert werden. Auf seiner ausführlichen Suche nach Literatur, die beschreibt, welche Wirkung Imurek auf seine Krankheit hat, ist ihm nämlich aufgefallen, daß überwiegend von schweren Nebenwirkungen die Rede ist. Aber das Präparat ist auf dem Markt - und es ist das einzige. 316 Tatsächlich finden sich bei der Literatursuche im Zeitraum Januar bis September 1994 nicht weniger als 229 Veröffentlichungen, in denen von Azathioprin, also dem Wirkstoff in Imurek, die Rede ist. In der Fachliteratur kaum Hinweise auf Multiple Sklerose Allerdings wird in nur zwei dieser 229 Texte auch die Multiple Sklerose erwähnt. In 131 wissenschaftlichen Veröffentlichungen geht es bei dem Stoff Azathioprin um Organtransplantationen. Hier ist natürlich tiefstes Eingreifen in das Immunsystem von Nöten, um das Implantat vor einer Abstoßreaktion zu schützen. Das Immunsystem wird auf breiter Ebene stark unterdrückt. Zwar ist es auch eine Frage der Dosierung, aber ob Azathioprin bei Krankheiten wie der Multiplen Sklerose am richtigen „Einsatzort“ ist, scheint doch sehr fraglich. Hans W. meint: „Ich verstehe nicht, warum man mir bedenkenlos ein Medikament verschreibt, von dem ich schwere Nebenwirkungen zu erwarten habe, obwohl seine positive Wirkung wohl selten ist. Gleichzeitig ist es mir nicht gestattet, ein Medikament unter ärztlicher Aufsicht zu nehmen, das in Deutschland nicht zugelassen ist, ohne dem Arzt in Schwierigkeiten zu bringen. Manchmal fühle ich mich geradezu entmündigt. Das Medikament darf ruhig wirkungslos und sogar schädlich sein, Hauptsache es hat die deutsche Arzneimittelzulassung.“ Ute Neumann Krankheiten, bei denen Imurek verschrieben wird: l. chronische, aggressive Hepatitis 2. Lupus erythematodes 3. chronische Polyarthritis 4. Panateritis nodosa (Gefäßrandentzündung) 5. autoimmune hämolytische Anämie 6. idiopathische thrombozytopenische Purpura 7. Dermatomyositis. Seiten 22 und 23: Hürdenlauf Warten auf den Schwerbehindertenausweis. Nach fast einem Jahr stellt die MS-kranke Ärztin Dr. Andrea Buser resignierend fest: „Das 'Problem' sollte sich wohl von alleine lösen.“ Ich bin Ärztin. Die Diagnose MS wurde bei mir offiziell 1986 gestellt. Das war mitten im Studium und ich wußte nicht, ob ich die Ausbildung würde beenden können. Damals hatte ich noch einen schubförmigen Verlauf und irgendwie habe ich es geschafft, meine Ausbildung abzuschließen und ein Jahr Praxis zu absolvieren. Im Sommer 1993 bemerkte ich den Übergang in das chronische Stadium und mußte meine praktische Tätigkeit aufgeben. Das Laufen fiel immer schwerer. Seit September 1994 werde ich mit DSG behandelt und hoffe, daß sich wenigstens eine leichte Verbesserung einstellt. Dem Schwerbehindertenausweis stand ich die ganzen Jahre ablehnend gegenüber, aber dann war die Zeit wohl gekommen. Im Februar 1994 habe ich alle Zettel dafür ausgefüllt, mich bei einer Neurologin vorgestellt und die 317 Unterlagen abgeschickt. Es wurde mir damals schon gesagt, daß es sogar bis zu sechs Monate dauern könnte. Schon nach vier Wochen kam eine Eingangsbestätigung. Das Laufen wurde nun so beschwerlich, daß ich außerhalb der Wohnung einen Rollstuhl brauchte. Die Monate flossen dahin und ich hörte nichts vom Versorgungsamt. Im Juni fragte ich nach. Ein Herr meinte, sie würden noch auf den Bericht der Neurologin warten und hätten sie bereits ein zweites Mal angeschrieben. Die Sprechstundenhilfe war darüber sehr erstaunt und meinte, sie hätten ihn schon vor langer Zeit abgeschickt. Die Post war mal wieder an allem schuld. Im August kam ein Schreiben. „Die Angelegenheit werde sich noch etwas verzögern.“ Einen Monat später rief ich wieder beim Versorgungsamt an. Der nette Herr teilte mir voller Freude mit, daß die Unterlagen jetzt in der ärztlichen Abteilung lägen und es nur noch 6-8 Wochen dauern könne. Ende Oktober rief ich wieder dort an, um mich nach der Lage zu erkundigen. Der Herr fragte nach meiner Telefonnummer und wollte mich nachmittags zurückrufen. Wahrscheinlich erübrigt sich der Zusatz, daß er mich nicht zurückgerufen hat. In der nächsten Woche probierte ich es erneut. Der Sachbearbeiter konnte sich sogar erinnern. Er meinte, aufgrund meiner Diagnose hätte er mich schon vorgezogen, aber im Augenblick könne er nichts für mich tun. Mittlerweile sitze ich fast permanent im Rollstuhl und schließlich mußten wir auch meinetwegen umziehen. Eine weitere Nachfrage im November ergab: Es werde nur noch ein oder zwei Monate dauern. Dr. Andrea Buser, Düsseldorf Der Schwerbehindertenausweis: Hier die wichtigsten Informationen Unser Rechtssystem kennt keinen einheitlichen „Behindertenbegriff“. Eine Art Schlüsselrolle spielt jedoch die Schwerbehinderteneigenschaft, die das Versorgungsamt im Rahmen der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises feststellt. Als schwerbehindert gilt eine Person mit einer nicht nur vorübergehenden Behinderung von wenigstens 50 Prozent. Wird ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 30 Prozent festgestellt, kann beim Arbeitsamt eine Gleichstellung beantragt werden. Die amtliche Anerkennung als Schwerbehinderter führt abhängig vom festgestellten Grad der Behinderung zu einer Reihe von sogenannten Nachteilsausgleichen. Berufstätige Behinderte können z.B. Zusatzurlaub beanspruchen und haben einen verbesserten Kündigungsschutz. Das Steuerrecht sieht unter anderem Freibeträge vor, im öffentlichen Nahverkehr gibt es Ermäßigungen, öffentliche Einrichtungen (z.B. Museen) gewähren machmal ebenfalls Ermäßigungen. Das Verfahren zur Erteilung eines Schwerbehindertenausweises wird nur auf Antrag des Betroffenen eingeleitet. Das Antragsformular erhält man bei den Versorgungsämtern, den Sozialämtern, den Schwerbehindertenvertretern der Betriebe oder auch den Behindertenverbänden. Im Antragsformular sollte man möglichst vollständige Angaben machen (auch in gesonderten Anlagen). Es ist sinnvoll, bereits vorhandene ärztliche Unterlagen (Befunde oder Klinikunterlagen) ebenfalls in Kopie beizufügen. 318 Vom Antrag und den Anlagen sollte man in den eigenen Unterlagen eine Abschrift verwahren. Der Antragsteller muß zusammen mit dem Antrag gegenüber dem Versorgungsamt eine Schweigepflichtsentbindungserklärung hinsichtlich des oder der behandelnden Ärzte abgeben. Von diesen wird das Versorgungsamt eine Stellungnahme einholen. Es ist wichtig, daß insbesondere der derzeit behandelnde Arzt von der Antragstellung unterrichtet ist. (Am besten eine Kopie des Antrages aushändigen.) Die eigenen Angaben sollten mit denen der Ärzte übereinstimmen. Viele Probleme mit den Versorgungsämtern beruhen auf ungenauen oder verspäteten Stellungnahmen der eigenen Ärzte. Neben der Stellungnahme des Arztes werden die Versorgungsämter manchmal auch eine Begutachtung durch den versorgungsärztlichen Dienst fordern. Dies insbesondere dann, wenn die eingereichten Unterlagen und ärztlichen Befunde nicht eindeutig erscheinen. Nach Vorliegen der erforderlichen Unterlagen entscheiden die Versorgungsämter in der Regel zügig. Üblicherweise hat der Bescheid eine Geltungsdauer von fünf Jahren. Die Geltungsdauer richtet sich danach, ob mit einer Besserung der jeweiligen Beschwerden gerechnet werden kann. Bei Vorlage des Bescheides sowie eines Lichtbildes stellt das zuständige Amt einen Schwerbehindertenausweis aus. Wurde der Antrag negativ oder nicht im vollem Umfang positiv verabschiedet, kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Häufig dauert jedoch das Widerspruchsverfahren relativ lange, so daß man überlegen sollte, einen Verschlechterungsantrag (soweit die gesundheitlichen Voraussetzungen gegeben sind) zu stellen. Das Widerspruchsverfahren hat den (sich meist nur steuerlich auswirkenden) Vorteil, daß der Widerspruchbescheid rückwirkend (vom Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung) gilt. Wenn auch das Widerspruchsverfahren nicht zum Erfolg führt, bleibt nur der Weg zum Sozialgericht. Urteile und Tips für Patient und Arzt Zusammengestellt von Jutta Sturm-Heidler Enge Auslegung bei der Befreiung von Rundfunkgebühren Nach Auffassung des Bundessozialgerichts erscheint es als zunehmend zweifelhaft, ob durch das Merkzeichen „RF“ tatsächlich ein behindertenbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird. Nach § 48 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) sollten Nachteilsausgleiche so gestaltet werden, daß sie behinderungsbedingte Nachteile oder Mehraufwendungen ausgleichen. Die Ausstattung der Haushalte mit Rundfunk und Fernsehgeräten habe sich zum Normalfall entwickelt. Telefon, Radio und Fernsehgeräte könnten daher nicht mehr als Geräte angesehen werden, die hauptsächlich dem Ausgleich bei Alter, Krankheit und Gebrechlichkeit dienen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Befreiung von der Rundfunkgebühr sind daher sehr eng auszulegen. Es sei Sache des Gesetzgebers eventuell weitergehende zeitgemäße Vergünstigungen für Schwerbehinderte zu ermöglichen. (BSG - AZ 9 / 9a RVs 7 / 91) 319 Nicht alle fünf Jahre Neuwagen für Behinderte Schwerbehinderte dürfen nicht generell alle fünf Jahre staatliche Unterstützung für den Kauf eines neuen Autos beanspruchen. Für die Bewilligung der sogenannten KFZ-Hilfe komme es darauf an, ob die weitere Nutzung eines mehr als fünf Jahre alten Autos im Einzelfall technisch und wirtschaftlich für den Betroffenen zumutbar ist. (BSG AZ 11 RAr 69/93) Tip: Leichter durch den Behördendschungel Wer schwerbehindert ist, Behinderte betreut oder als Arbeitgeber Schwerbehinderte einstellen will, muß sich nicht selten durch einen Dschungel von Institutionen und Rechtsvorschriften kämpfen, bis er alles beisammen hat. Hilfe bietet hier ein umfangreiches Informationssystem mit dem Namen REHA-DAT, das in einer Datenbank allen Interessierten kostenlos zur Verfügung steht. Interessenten wenden sich an: Institut der Deutschen Wirtschaft, Datenbank REHA-DAT, Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln, Telefon: 0221 / 3 76 55 12. Seiten 24 und 25: Entdecker Die Rolle der Hygiene Robert Koch und Max Pettenkofer waren sich nicht grün, dennoch besiegten sie zusammen die Cholera. Beide hatten unterschiedliche Ansätze und waren auf dem richtigen Weg. Noch vor 100 Jahren war die Cholera eine Geißel der Menschheit. Das Jahr stand im Zeichen von Pest und Cholera. In Indien konnten wir beobachten, wie schnell sich die Pest entwickeln und ausbreiten konnte. Schließlich wurde ihr Einhalt geboten. Auch die jüngste Choleraepidemie forderte tausende Todesopfer in Afrika. Wir haben verfolgen können, welch große Rolle die Hygiene bei der Entstehung dieser Krankheit spielt. Aber diese Erkenntnis wäre nicht ohne zwei Männer möglich gewesen. Am 23. Juni 1854 trat in München während der Industrieausstellung der erste Krankheitsfall der Cholera, der gefürchtetsten und mörderischsten aller Seuchen, auf. Es traf den Portier des Glaspalastes. Sein Gesicht verfärbte sich zusehends schwarz-blau und er mußte sich schrecklich erbrechen. Wadenkrämpfe und reiswasserartige Durchfälle peinigten das Opfer, bis es körperlich vollends verfiel. Alle Fremden, die zur Industrieausstellung im Glaspalast waren und Augenzeugen des Vorfalls wurden, ergriffen in panischer Angst die Flucht aus München. Grauenhafte Szenen spielten sich in den von der Cholera befallenen Häusern ab. Szenen wie überall auf der Welt, wo die Seuche auf ihrem Weg von Asien über Afrika bis Europa ihre Opfer befiel. Wissenschaftler und Mediziner waren ratlos. Die Erklärungen für solche Seuchenwellen waren vielfältig. Einige sahen in der Cholera sogar eine Strafe Gottes. Die Kirchen griffen diesen Gedanken auf und konnten so die Gotteshäuser füllen. Andere 320 sahen die Ursache in der fortschreitenden Industriealisierung und verlangten die Rückkehr zur mittelalterlichen Lebensweise. Aus heutiger Sicht ist die Erklärung recht simpel, obwohl wir wieder mit scheußlichen Krankheiten zu kämpfen haben. Im 19. Jahrhundert wurde die Cholera meist mit den Tod gleichgesetzt. Pettenkofers Familie betroffen Sie verschonte auch die Familie des Professors der medizinischen Chemie, Max Pettenkofer (1818-1901), nicht. Während sich Töchterchen Anna nur mit knapper Not wieder erholte, starb die Köchin des Hauses. Der sechunddreißigjährige, robuste Pettenkofer genas verhältnismäßig leicht. Pettenkofer war ein glänzender Experimentator. Um der Cholera auf die Schliche zu kommen, ging er ganz systematisch vor: Er besichtigte jedes von der Seuche befallene Haus, untersuchte das Trinkwasser, die Ausscheidungen der Kranken und übertrug die Aufzeichnungen gewissenhaft auf einen großen Stadtplan. Außerdem reiste er, um Erkundigungen einzuziehen, inspizierend und kontrolliernd im ganzen Land herum. Wieder an sein Institut zurückgekehrt, verzeichnete er sämtliche betroffenen Orte auf einer Generalstabskarte von Bayern. Durch seine Aufzeichnungen glaubte er, daß in Mulden gelegene Ortschaften besonders hartnäckig von der Cholera heimgesucht würden. Also müßte die Entstehung einer Choleraepidemie in erster Linie an die Örtlichkeiten gebunden sein. „Und welcher ist ihrer Meinung nach der Krankheitsstoff?“ fragten die Mitglieder des Obermedizinalausschusses, denen er seine Untersuchungergebnisse darlegte. „Ja, darüber muß ich mir noch Gedanken machen“. Umweltbedingungen für Cholera mitverantwortlich Er zeigte sich durchaus nicht abgeneigt, einen Krankheitsstoff anzuerkennen! Um der Seuche Herr zu werden, müßten die Stadtverwaltungen für die Beseitigung örtlicher Krankheitsdispositionen sorgen: Durch Schwemmkanalisationen, Wasserleitungen, Straßenbepflasterung sowie die Einrichtung zentraler Schlachthöfe. Unter der Parole, München müßte die gesündeste deutsche Großstadt werden, setzte Pettenkofer seine Forderungen gegen heftige Widerstände durch. Er war mit seinen Untersuchungen auf das Gebiet der Hygiene geraten und hatte eine neue Wissenschaft begründet. Pettenkofer blieb bei der prophylaktischen Abwehr der Seuchen nicht stehen, sondern erforschte experimentell die Rolle der Bekleidung, das Wasser, die Atmosphäre, die Heizung, die Beleuchtung und die Leichenbestattungen, kurz alle Umweltbedingungen, die für Leben und Gesundheit der Bevölkerung eine Rolle spielen. Seine Bemühungen wurden im Jahre 1865 dadurch gekrönt, daß die Universität ihm ein Ordinariat für experimentelle Hygiene einrichtete. 1879 erhielt er neben seiner Professur ein eigenes hygienisches Institut. 1882 begann er, in seinem Institut ein „Handbuch der Hygiene und Gewerbekrankheiten“ herauszugeben. Robert Kochs Entdeckung 321 In diesem Jahr hatte der Berliner Professor der Hygiene, Robert Koch (18431910), das Tuberkelbakterium entdeckt. Bereits nach einem Jahr gelang ihm eine weitere Sensation für die Welt. Er entdeckte das Cholerabakterium. Koch hatte den Grundsatz: Ohne Cholerabakterium gibt es keine Cholera! Im Jahre 1892 - in Hamburg war gerade eine der heftigsten Choleraepidemien ausgebrochen, die in Deutschland je gewütet hatten - war für Pettenkofer der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Der inzwischen 73jährige und erblich geadelte Pettenkofer erbat von Professor Koch in Berlin eine Kultur Choleravibrionen, um dessen Ansatz zu widerlegen. Er hatte seinen eigenen: Cholerabakterien allein verursachen die Seuche nicht, sondern auch der Boden, das Grundwasser sowie zeitliche Bedingungen. Vor seinen Assistenten, die er im Hörsaal des Münchener Hygieneinstituts versammelt hatte, erklärte er seinen Selbstversuch und seine gegen Kochs Grundsatz gerichtete These. Ein gefährlicher Selbstversuch Vor den Augen seiner bedrückt blickenden Mitarbeiter nahm Pettenkofer zunächst reichlich doppeltkohlensaures Natron zu sich, das die Salzsäure des Magens neutralisieren sollte. Danach trank er das von Koch bereitgestellte Bakterium mit etwas Wasser, damit keine Bakterien zurückbleiben konnten, in einem Zug aus. Max Pettenkofer hatte Glück, die Seuche erfaßte ihn nicht! Lediglich ein leichtes Gurren in den Gedärmen und nachmittags und abends sehr dünne, wässrige Ausscheidungen machten sich nach zwei Tagen bemerkbar. Wie die heutige Medizin weiß, war das von Koch bereitgestellte Bakterium der alleinige Erreger. Wie ein Mitarbeiter von Koch später mitteilte, hatte er Pettenkofer eine nur schwach virulente Kultur geschickt, da er sich denken konnte, was der Kollege vorhatte. Max Pettenkofer war offensichtlich gegen die Cholera immun geworden, weil er sie bereits bei der Epidemie im Jahre 1854 durchgemacht hatte. Pettenkofer schoß sich am 10. Februar 1901 eine Kugel in den Kopf. Ganz München trauerte um den Toten. Kathrin-Annette Wollschlaeger Seite 26: Leser-Podium Glückwunsch Ich möchte Sie herzlich beglückwünschen zu Ihrer Zeitschrift „autoimmun“. Großartig. Dr. Anna Maria R., Cimo (Schweiz) Unerträglich Jedesmal, wenn ich Ihre Zeitschrift in die Hand nehme, verstärken sich meine Parästhesien in den Händen in unerträglicher Weise. Es ärgert mich, daß Ihre Zeitschrift immer aufwendiger gemacht wird. So gesehen ist es ein Witz, daß ausgerechnet die Zeitschrift, die über MS und ihre Folgen sowie Therapieversuche schreibt, meine MS-Symptome verstärkt. Helga C., Tutzing 322 Titelseite Ihre letzte Titelseite hat mich etwas verblüfft. Wir haben im Bekanntenkreis sehr viel darüber diskutiert, ob Sie damit nicht einen Schritt zu weit gegangen sind. Betrachtet man aber das mit der Titelseite verbundene Thema, so erhält diese Provokation einen Sinn. Auch mein Arzt findet Doppelblindstudien mit unheilbar kranken Menschen unzumutbar für Patienten und Arzt. Der Arzt möchte den Patienten helfen, aber er kann es nicht, wenn er nicht weiß, was für Medikamente er den Kranken gibt. Über diesen Skandal sollte noch viel mehr in der Öffentlichkeit gesprochen werden. Hoffentlich hat Ihr Titelbild dazu einen Anstoß gegeben. Thomas B., Stuttgart Kommunikationsstörung Mein Mann leidet unter MS. Wir möchten über ein Kommunikationsproblem zwischen Patient und Neurologen - nicht Ärzten generell! - berichten. Vor einigen Jahren verpaßte ein Neurologe meinem Mann, der unter immer wiederkehrenden Neuralgieschmerzen im linken Arm litt, das Medikament Tegretal. Es wird bei Neuralgieanfällen immer verabreicht. Bereits am nächsten Tag konnte er keinen Schritt mehr alleine gehen. Die Schäden dieser einen Tablette waren nicht mehr wieder richtig gut zu machen. Bei uns gibt es eine Zeit vor und eine nach Tegretal. Der Neurologe tat diese Tatsache trotz Augenscheinlichkeit als „nicht möglich“ ab. Fortan haben wir uns auf Homöopathie und Naturheilkunde konzentriert. Dort sind wir fündig geworden. Die Schmerzanfälle sind nicht mehr spitz und scharf, sondern eher erträglich stumpf. Auch die Abstände zwischen den Anfällen werden länger. Kürzlich mußten wir feststellen, daß „ernsthafte“ Neurologen diese Erfahrung lächerlich zu machen versuchen und nach wie vor Tegretal als Gipfel der Weisheit ansehen. Im Gespräch mit zahlreichen anderen MS-Patienten erfährt man, daß sehr viele ähnliche Schauergeschichten über dieses Medikament erzählt werden. Wird die Erfahrung der Betroffenen von Neurologen generell nicht ernst genommen? Seit einem Jahr ist mein Mann bei einem Naturheilarzt bestens aufgehoben ein ständiges Miteinander ist möglich. Gott sei Dank! Bei uns hat sich ein Vorurteil gegen Neurologen ausgebildet - wahrscheinlich ungerecht - aber an der Beurteilung von Tegretal würde ich es festmachen, ob ich ihm vertraue oder nicht. Lutz und Anna M., Berlin Hohes Niveau Der Artikel in der letzten Ausgabe über die Krankheit Myasthenia gravis war für mich als Betroffene sehr informativ. Allerdings war er auf hohem Niveau geschrieben und nur schwer verständlich. Sandra St., Schwerin Seite 27: Medizin-Lexikon 323 Medizinische Begriffe stellen häufig ein Verständnisproblem dar. Fremdwörter und Fachausdrücke werden hier erklärt. Die im Heft kursiv gedruckten Begriffe sind in alphabetischer Reihenfolge hier aufgelistet. Adjuvans: Stoff, der die Wirkung eines Arzneimittels unterstützt. Anämie: „Blutarmut“, ist die Verminderung des roten Blutfarbstoffes und meist auch der roten Blutkörperchen. Antigen: Fremder Eiweißstoff, der im Körper die Bildung von Antikörpern bewirkt. Antikörper: Sammelbezeichnung für eine Reihe von Abwehrstoffen im Blut. Dermatomyositis: Muskelentzündung, die zusammen mit Entzündungen der Haut auftritt. FDA: Die amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration), zuständig für die Zulassung von Medikamenten, die auf den amerikanischen Markt kommen. Fibrose: Entzündliche Bindegewebsvermehrung. Granulom: Krankhafte Gewebsveränderung mit Geschwulstbildung. Hämolytisch: Eine Auflösung der roten Blutkörperchen bewirkend; mit ihr verbunden. Idiopathisch: Unabhängig von anderen Erkrankungen entstanden. Implantat: Eingepflanztes Organ oder Gewebestück. Implantation ist das Einpflanzen von Organteilen, Gewebe oder sonstigen Substanzen in den Körper. Lymphknoten: Etwa 3 cm große, drüsenähnliche, von Bindegewebshüllen umgebene, rundliche Organe im Lymphgefäßsystem, die die Lymphozyten bilden und Krankheitserreger herausfiltern. Makrobiotik: Kunst, das Leben zu verlängern, z.B. durch geeignete Lebensführung. Makrophage: Große Freßzelle, die beweglich in der Blutflüssigkeit - oder festsitzend im Gewebe - eingedrungene Fremdstoffe unschädlich macht. Mammografie: Untersuchung der weiblichen Brust auf Gewebeveränderungen mit weicher Röntgenstrahlung. Mikrostrukturiert: Bedeutet feinstgegliedert. Parästhesie: Unnormale Körperempfindung (Kribbeln, eingeschlafene Glieder usw.). Polyurethan: Ist ein Kunststoff. Proteine: 324 Sind Eiweißkörper. Sarkom: Ist eine bösartige Geschwulst. Sklerodermie: Ist eine krankhafte Quellung des Bindegewebes. Dabei verhärtet und verdünnt sich die Haut. Submammäre Falte: Eine Falte unter der (weiblichen) Brust. Thrombozytopenische Purpura: Punktförmige Blutung durch Verminderung der jeweiligen Blutplättchen. Venenthrombose: Venenverschluß durch ein festsitzendes Blutgerinnsel. Zytokine: Zellprodukte, die den Ablauf der sogenannten körperlichen Immunantwort regeln. In der nächsten autoimmun: L. MS-Medikament Cop-1 - besser als Betaseron? 2, Was müssen die Krankenversicherungen zahlen? Und dann noch: Der Winter hat Einzug gehalten. Jetzt erfreuen sich Whirlpools größter Beliebtheit. Kaum bekannt ist, daß dabei spezielle Hauterkrankungen auftreten können. Neben Ohren- und Halsschmerzen kann die WhirlpoolDermatitis auftreten. Auslöser ist ein spezieller Keim, der im Trockenen nur schwer überleben kann. Die Hauterscheinungen treten nach 8 bis 48 Stunden auf. Sie zeigen sich am seitlichen Brustkorb. Um einer Whirlpool-Dermatitis vorzubeugen, sollte man darauf achten, daß das Wasser automatisch gefiltert wird. 8.8 „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1995 Seite 3: Sie dürfen auch einmal… auf Reise gehen, sagte die streng blickende Stewardeß einer großen deutschen Airline zu einem mit Krücken bestückten Fluggast. Körperlich behinderte Menschen haben ansonsten nicht das Recht, Reisen zu unternehmen. Wir haben alle noch das Flensburger Gerichtsurteil im Kopf, wo einem Urlauber Entschädigung zugestanden wurde, weil er es erdulden mußte, daß beim Speisen am Nachbartisch ein körperlich Behinderter saß. Wie kann es zu solchen Fehltritten kommen? Predigen doch alle Politiker immer wieder die Gleichstellung von gesunden und körperlich behinderten Menschen. 325 Antworten darauf sind schwer zu finden. Betriebe, die Behinderte einstellen müßten, kaufen sich frei und auch in den Behörden hat die gewünschte Quote noch lange nicht das „Soll“ erreicht. autoimmun wird diese Frage nicht lösen können. Aber wir werden versuchen, Mißstände aufzuzeigen, die, wie wir meinen, eine behindertenfeindliche Entwicklung fördern. Voller Erwartung auf behindertenfreundlichen Umgang recherchierte der renomierte Motorjournalist Jürgen Schrameck für uns bei den Automobilherstellern. Seine Erwartungen wurden bitter enttäuscht. Nicht nur hohe Aufpreise für behindertengerechte Ausbauten schockten uns, sondern auch immobieler Irrfahrten, die ein Autokäufer unternehmen muß, um endlich an die richtigen Stellen zu gelangen. In der Automobilindustrie besteht ein enormer Nachholbedarf, wenn es man es ernst meint, diesen Marktbereich kundenfreundlich zu beliefern. Ihre Redaktion autoimmun Seiten 4, 5, 6 und 7: MS-Medikament im Wartezimmer DSG - Zulassung weiter verzögert - Patienten müssen noch warten „Wir sind nach wie vor von der DSG-Wirkung bei Multipler Sklerose überzeugt. DSG zählt zu den wirkungsvollsten neuen MS-Medikamenten, legt man bestimmte Maßstäbe an, so ist es zur Zeit das beste Medikament“, erläutert Dr. K. Theobald von den Marburger Behringwerken die vorliegenden Ergebnisse. Im wesentlichen stützen sich die positiven Befunde auf die Auswertung der EDSS-Werte (siehe unten). „Auch bei der zweiten Studie, die nicht die sehr guten Ergebnisse der ersten Studie bestätigen konnte, wurde ein meßbares Abbremsen im Krankheitstempo nachgewiesen“, so Theobald weiter. Doch das für die Zulassung des Medikamentes zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BIAM) in Berlin konnte bisher noch keinen positiven Bescheid nach Marburg verschicken. Somit bleibt alles beim alten. Der von den Behringwerken gestellte Eilantrag auf vorzeitige Zulassung von DSG wird weiter bearbeitet. Die Beamten sichern weiterhin zu, daß alles nach Plan läuft. Das bedeutet, daß sich zur Zeit diverse Experten damit beschäftigen, entsprechende Gutachten zu erstellen. Ein für Februar geplanter Termin zur Erörterung der Ergebnisse wurde kurzfristig verschoben. Was bedeuten die EDSS-Werte und die DSG- Ergebnisse für die MSPatienten? „Expanded disability status scale“ oder kurz EDSS ist eine Beschreibung der durch die Multiple Sklerose enstandenen Funktionsstörungen. Da bei der MS mehrere Störungen gleichzeitig oder nacheinander auftreten oder wieder verschwinden können, läßt sich nicht einfach ein Wert festlegen. Um dennoch eine Aussage über den klinischen Zustand der MS-Patienten treffen zu können, hat der Wissenschaftler J. F. Kurtzke ein für den Laien kompliziertes Bewertungsystem entwickelt. 326 Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie die EDSS-Werte ermittelt werden und was sie für eine Bedeutung für Patienten und Wissenschaft haben. Zunächst werden die funktionellen Systeme gemessen. Dazu zählt beispielsweise die Funktion von Blase und Mastdarm oder auch die Sehfähigkeit eines Patienten. Liegt bei einem Patienten nur ein leichter Harndrang vor, bekommt er bei dieser Untersuchung den Wert 1,0. Ist es zu einem Verlust der Harnfunktion gekommen, wird der Wert 5,0 festgelegt. Im Bereich der funktionellen Störungen gibt es rund acht Untersuchungen und einige Zusatzbefunde. Die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen werden vom Neurologen in einer Tabelle notiert und nach einem mathematischen Verfahren zusammengeführt. Die Gewichtung der funktionellen Störungen spielt dabei eine dominierende Rolle. Nachdem diese Werte erhoben sind, wird das Leistungsvermögen des Patienten gemessen. Hierbei wird mehr die subjektive Beurteilung des Erkrankten berücksichtigt. Der Neurologe wird hierbei 16 Punkte abhandeln. Hierzu zählen Fähigkeiten wie Gehen, Treppensteigen, Sprechen und Hören. Auch Dinge wie das An- und Auskleiden, die Fähigkeit zur Körperpflege oder die Intelligenz müssen bewertet werden. Schließlich muß sich der Neurologe auch ein Bild über die Sexualität machen. Diese Gruppe bekommt ebenfalls eine Wertung, die sich aus den einzelnen Fähigkeiten zusammensetzt. Jede diese Fähigkeiten wird auf einer neuen Skala von 0 bis 4,0 bewertet. Wenn zum Beispiel ein Patient ständig unter Ermüdung leidet und keine längeren körperlichen Aktivitäten durchführen kann, erhält er den Wert 4,0. Kompliziertes mathematisches Verfahren Desweiteren werden noch Erhebungen zum sozialen Umfeld des Patienten durchgeführt. Hierbei wird ähnlich vorgegangen wie eben dargestellt wurde. Liegen alle Ergebnisse vor, werden sie in die Kurtzke-Skala nach einem weiteren mathematischen Verfahren eingegliedert. Der daraus entstandene Wert stellt somit ein ungefähres Spiegelbild der durch die MS verursachten Probleme dar. Die EDSS-Skala selbst beginnt bei 0,0 (vollkommen normale Funktionen) bis 10,0 (Tod infolge der MS). Ein Beispiel soll auch hier verdeutlichen, was ein Wert von 1,0 für den Patienten ausmachen kann. Ein Patient mit einem EDSS-Wert von 4,5 ist ohne Hilfe für mindestens 300 m gehfähig, kann ganztägig arbeiten hat, aber eine gewisse Einschränkung hinzunehmen, die er aber mit minimaler Hilfe beheben kann. Man spricht von einer relativ schweren Behinderung. Ein anderer Patient muß mit einem EDSS-Wert von 5,5 leben. Das bedeutet: Er ist nur für 100 m gehfähig. Seine Behinderungen sind so stark, daß seinen normalen täglichen Aktivitäten unmöglich werden. Eine ganztägige Arbeit ist nicht mehr zu leisten. Gelänge es nun, eine Therapie zu entdecken, die die EDSS-Werte des Patienten verringern könnte, würde es dem Patienten leichter fallen mit der Krankheit zu leben. Die Ergebnisse der DSG-Studie zeigten Verbesserungen nach sechs Monaten von bis zu 0,7 EDSS-Punkten. Selbst nach einem Jahr und Absetzen des Medikamentes konnten noch 0,5 EDSS-Punkte Verbesserung nachgewiesen werden, so der Leiter der Studie Dr. K. Theobald. Für einen Patienten, der mit 5,5 EDSS-Punkten 327 arbeitsunfähig ist, wäre es eine entscheidende Erleichterung. In der Wissenschaft geht man davon aus, daß ein durchschnittlicher MS-Patient ohne Behandlung pro Jahr etwa 0,2 bis 0,3 EDSS-Punkte verliert. Dabei spüren es Patienten mit einer chronischen Variante deutlicher, als Erkrankte die unter einem schubförmigen Verlauf leiden. Das Entscheidende ist aber, daß es während der Untersuchungszeit nicht zu einer Verschlechterung der EDSS-Werte bei den Patienten gekommen ist. Dagegen mußten die Placebopatienten den für sie bitteren Weg gehen. Trocken und spannend Das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln nach geltendem Arzneimittelgesetz (AMG) in der aktuellen Fassung Die Voraussetzungen der Zulassung von Arzneimitteln sind im 4. Abschnitt des AMG in den §§ 21 bis 37 abschließend geregelt. Arzneimittel sind zum Beispiel Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen etc, im menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen, Krankheitserreger abzuwehren etc, oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Der Antrag des Pharmahersteller Solche Stoffe dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind. Neben den besonderen Zulassungsunterlagen hat jeder Antragsteller Gutachten von Sachverständigen seinem Antrag beizufügen. Diese Sachverständigen haben in ihren Gutachten die Kontrollmethoden, Prüfungsergebnisse und Rückstandsnachweisverfahren zusammenzufassen und zu bewerten. Das Gesetz spricht von insgesamt vier verschiedenen Gutachtenstypen : Die einzelnen Gutachten 1. Analytisches Gutachten, aus dem hervorzugehen hat, ob das Arzneimittel nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln die angemessene Qualität aufweist, ob die vorgeschlagenen Kontrollmethoden dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und zur Beurteilung der Qualität geeignet sind. 2. Aus dem pharmakologisch-toxikologischen Gutachten muß sich ergeben, welche toxischen Wirkungen und welche pharmakologischen Eigenschaften das Arzneimittel hat. 3.Das klinische Gutachten muß zeigen, ob das Arzneimittel bei den angegebenen Anwendungsgebieten angemessen wirksam ist, ob es verträglich ist, ob die vorgesehene Dosierung zweckmäßig ist und welche Gegenanzeigen und Nebenwirkungen bestehen. 4. Das Gutachten über die Rückstandsprüfung muß darstellen, ob und wie lange Rückstände auftreten, wie diese zu beurteilen sind, ob die vorgesehene Wartezeit ausreicht und ob das Rückstandsnachweisverfahren Rückstände nach Art und Menge gesundheitlich nicht unbedenklicher Stoffe zuverlässig nachzuweisen vermag. Weitere Einzelheiten seien hier ausgespart. Die Zulassungsbehörde hat anhand der Gutachterangaben entsprechend § 25 AMG über die Zulassung 328 zu entscheiden. Sie darf eine Zulassung nur versagen, wenn die Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Nrn. 1-8 AMG vorliegen. Die Rechte des Antragstellers Bei Beanstandungen der vorgelegten Unterlagen ist dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, Mängeln innerhalb einer angemessenen Frist abzuhelfen. Wird nicht abgeholfen, ist die Zulassung zu versagen. Die Behörde kann für die Beurteilung der Unterlagen eigene wissenschaftliche Ergebnisse verwerten, weitere Sachverständige beiziehen oder Gutachten anfordern bzw. unabhängige Gegensachverständige berufen. Dem Antragsteller ist auf Antrag Einsicht in die Gutachten zu gewähren. Verlangt der Antragsteller, von ihm zu stellende Sachverständige beizuziehen, so muß die zuständige Bundesoberbehörde auch diese hören. Die Entscheidung Vor der Entscheidung über die Zulassung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, ist eine Zulassungskommission zu hören. Die gesamten vorgelegten Fakten sind dann Gegenstand einer solchen Anhörung. Wenn die Bundesoberbehörde bei der Entscheidung über den Antrag von dem Ergebnis der Anhörung abweicht, hat sie zwingend die Gründe für ihre Entscheidung darzulegen. Das Bundesgesundheitsministerium hat die Mitglieder der Zulassungskommission zu berufen. Ebenso erläßt es die anzuwendenden Arzneimittelprüfrichtlinien. Gemäß § 28 AMG kann die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung mit Auflagen versehen, was auch nachträglich erfolgen kann. DSG-Zulassung weiterhin offen? Von Niels Franke Wie bereits berichtet, hat die Prüfung von Deoxyspergualin bei Patienten mit Multipler Sklerose erstaunlich positive Ergebnisse gezeigt - vor allem beim wichtigsten meßbaren Parameter, dem klinischen Befinden (EDSS) der Patienten. Gleichzeitig wurden dabei keine ernsthaften Nebenwirkungen beobachtet. Die Wirksamkeit von DSG bei Multipler Sklerose konnte bisher nicht statistisch zweifelsfrei bewiesen werden. Es liegt aber kein ernsthafter Zweifel an einer positiven Wirkung der Substanz vor. Zweifellos besteht aber ein weiterer Forschungsbedarf: Dosierung, Abstände zwischen den Verabreichungen, Kombination mit anderen Substanzen und vieles andere. Die Behringwerke haben daher von vornherein nur eine vorläufige Zulassung von DSG beantragt, die nur mit Auflagen erteilt werden darf. Weitere Untersuchungen sind dann vor der endgültigen Zulassung notwendig. Es ist aber zu hoffen, daß die Vernunft sich durchsetzt und DSG eine Chance gegeben wird. Dies ist im Interesse aller Beteiligten dringend geboten, ebenso wie die schnelle Entwicklung und Zulassung von anderen Substanzen, die bereits positive Ansätze gezeigt haben. Hier wären Substanzen zu nennen wie Beta-Interferon, Cop-1, Lenumide, Cladribine u.s.w. Inwieweit Heilung des zugrundeliegenden Autoimmunprozesses dann möglich sein wird und bei welchen Patienten das funktioniert, werden wir in Jahren wissen. 329 Seiten 8, 9 und 10: Behindertengerechte Fahrzeuge kein Ruhmesblatt für die Autoindustrie Fiat und VW sind Ausnahmen auf einem nicht erschlossenen Markt. Für Käufer bedeutet der PKW-Ausbau oft eine Irrfahrt Von Jürgen Schrameck (Motorjournalist) Gerade Behinderte sind, um mobil zu bleiben und sich eine gewisse Lebensqualität erhalten zu können, auf ein eigenes Auto angewiesen. Voraussetzung dafür ist natürlich ein Fahrzeug, das an die individuellen Bedürfnisse angepaßt ist. Wer in einer solchen Situation ist, weiß auch, wie schwer es ist, ein solches Fahrzeug zu bekommen, wird doch werksseitig nicht viel in dieser Richtung unternommen. In den meisten Fällen werden die Behinderten an Spezialfirmen verwiesen, die solche Umbauten vornehmen. VW geht einen behindertenfreundlichen Weg Einen etwas anderen Weg beschreitet in diesem Fall VW. Das Wolfsburger Unternehmen bietet eine breite Modellpalette mit den unterschiedlichsten Konzepten schon ab Werk an – mühevolle Wege zu Spezialisten sind nicht nötig. In Zusammenarbeit mit Spezialisten, die auf jahrelange Erfahrung zurückblicken können, entwickelte VW eine behindertengerechte Fahrzeugausstattung, die selbstverständlich auch TÜV-Gutachten hat und auf die verschiedenen Fahrzeuge abgestimmt ist. Das „system franz“ Das VW-Programm reicht von einfachen Fahrhilfen, bis hin zum „system franz“ für armlose Autofahrer. Für Behinderungen an den Beinen wurde ein Handbedienungsgerät für Kupplung, Bremse und Gas entwickelt, das ein problemloses Fahren mit den Händen ermöglicht (siehe Seite 10). Mit einer Griffkugel werden alle wichtigen Funktionen gesteuert. Einfache Hilfen, wie eine Lenkunterstützung, das linksseitige Gaspedal, eine Feststellbremse mit Fußbedienung, elektrische Handbremse, Sitzschienenverlängerungen oder verlegte Bedienungshebel für Armbehinderte sind bei VW schon lange eine Selbstverständlichkeit. Erkrankter hat selbst das System entwickelt Auch an den Rollstuhlfahrer dachten die Ingenieure und entwickelten einen vorklappbaren Beifahrersitz, der den nötigen Raum für den Rollstuhl schafft, ohne die Funktionalität des Kofferraums einzuschränken. Besonders stolz sind die VW-Leute auf ihr „system franz“, das speziell für armlose Autofahrer geschaffen wurde. Entwickelt wurde dieses System von dem Techniker Eberhard Franz, der selbst ein Betroffener ist, auf das Autofahren aber nicht verzichten konnte und wollte. Die Konstruktion besticht durch ihren soliden Aufbau und die in höchster Präzision gefertigten Bauteile, die immer weiter entwickelt werden. Durch diese permanenten technischen Verbesserungen ist auch eine hohe Betriebssicherheit geboten. Partnerbetrieb gibt Fahrunterricht Das „system franz“ ist so konzipiert, daß es auch mit Zusatzeinrichtungen wie elektrischem Schiebedach, Radio etc. ausgebaut werden kann. Eingebaut 330 wird dieses System allerdings nicht von VW direkt, sondern von einem Partnerbetrieb. Die Firma ABB, Heidelberg, Abteilung Betriebsmittelbau, Postfach 101680 in Heidelberg ermöglicht Vorführungen und auch Fahrunterricht für dieses System. Die VW-Händler beraten den Kunden fachgerecht bei der Anschaffung dieses Systems. Behindertengerechte Fahrzeuge - ein noch nicht erschlossener Markt Auch bei Fiat wurde in jüngster Zeit ernsthaft über die Ausrüstung von Fahrzeugen für Behinderte nachgedacht und die Italiener entschlossen sich dann, den Punto Selecta, ein Fahrzeug mit stufenloser Automatik, behindertengerecht auszurüsten. Schwenkbare Sitze erleichtern den Einstieg, Lenkhilfen und Spezialtastaturen für Bedienungselemente ermöglichen den Behinderten das Fahren mit dem Mittelklasse-Fiat. Eine besondere Erleichterung ist auch die breite Schiebtür für den Fondraum, die das Beladen erheblich erleichtert. Bei Fiat wurde somit ein erster Schritt in Richtung behindertengerechtes Automobil geleistet, während die meisten anderen Automobilhersteller diesen Markt eher stiefmütterlich behandeln. Irrfahrt für Behinderte Aus diesem Grund müssen die Behinderten auch meistens eine Irrfahrt unternehmen, ehe sie ihr Auto so umgebaut bekommen, daß sie damit auch fahren können. Die Spezialisten sitzen ja schließlich nicht in jeder Stadt. Jeder, der in einer entsprechenden Position in der Automobilindustrie sitzt, sollte sich einmal überlegen, daß er auch in die Situation kommen könnte, auf technische Hilfen im Auto angewiesen zu sein. Ein bißchen mehr Augenmerk und Unterstützung für behinderte Mitmenschen wäre sicherlich angebracht. Auch sie wollen ihr Leben mit Lust genießen und nicht auf Helfer angewiesen sein. Die Automobilindustrie könnte eine große Hilfe sein, wenn sie nur wollte. Die Aufpreisliste für behinderte Autofahrer Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wieviel für behindertengerechte Sondereinbauten zusätzlich zu zahlen ist. Wer einen VW Golf mit einem Handgashebel am Lenkrad fahren möchte, muß für dieses Zusatzgerät DM 732,-- ausgeben. Soll nun auch ein Handbedienungsgerät für die Bremse eingebaut werden, erhöht sich der Aufpreis um DM 1.250,--. Wer sich dabei gut beraten läßt, wird feststellen, daß er statt DM 1.982,-- (DM 732,-- plus DM 1.250,--) ein komplettes Handbedienungsgerät für Bremse und Gas für DM 1.631,-- erhalten kann. Somit hat der Käufer DM 351,-- gespart. Es lohnt sich, exakte Informationen einzuholen. Erfreulich ist bei VW, daß die TÜV-Abnahme für die jeweilige Sonderausstattung ohne Mehrpreis stattfindet. Dagegen scheint man bei Audi nicht ganz das angemessene Preisverhältnis für Sondereinbauten zu haben. Eine schlichte Umsetzung des Wischerhebels von rechts nach links schlägt bei den Ingolstädtern mit DM 427,-- beim Audi 100 zu Buche. Dagegen kostet die selbe Maßnahme beim VW Passat nur DM 168,--. Seite 11: Fusion der Großen 331 Nach Mitteilung aus Londoner Kreisen wird es zu einem Zusammenschluß der britischen Pharma-Konzerne Glaxo (45 000 Beschäftigte) und Wellcome (17 000 Beschäftigte) kommen. Damit würde der weltgrößte Konzern in der pharmazeutischen Industrie entstehen und sogar den US-Konzern Merck & Co. auf den zweiten Rang verweisen. Das Übernahmenangebot von Aktien und Bargeld belaufe sich nach Angaben der Wellcome Firmenleitung auf 8,9 Mrd. Pfund. Glaxo, selbst mit einem derzeitigen Börsenwert von etwa 19,7 Mrd. Pfund eingestuft, teilte unter Bestätigung der Informationen von Wellcome mit, daß beide Pharma-Unternehmen seit längerem an einer Fusion interessiert seien, weil sich die Produktpaletten von Glaxo und Wellcome, so insbesondere für Krebs-, Aids-, Lebererkrankungen sowie Migräne und Anästhesie, ergänzen würden. Die Integration von Wellcome bei Glaxo werde erhebliche Kosten veranlassen, so daß man einen Stellenabbau zu erwarten habe. Nach Verlautbarung der Fusionsbemühungen stieg der Börsenkurs der WellcomeAktien von 688 Pence auf 966 Pence. Nach weiteren Mitteilungen von Glaxo sei eine Fusion dieser Art aber auch dringend geboten, um auf die gegenwärtigen Veränderungen in weiten Bereichen der staatlichen Krankenversorgung, steigender Forschungs- und Entwicklungskosten für biopharmazeutische Produkte sowie aufgrund allgemein steigenden Konkurrenzdrucks entsprechend reagieren zu können. Vor allem im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Pharmaprodukte werden die Möglichkeiten für die Zukunft positiv bewertet, neue Marktanteile zu erschließen. Das von Glaxo hergestellte Magenmittel Zantac, bislang meistverkauftes Medikament der Welt und derzeit in einer Umsatzkrise, soll ebenso von der Fusion profitieren, wie das bekannte Wellcome Antiherpesmittel Zovirax und das HIV-Medikament Retrovir. Schering in China Der Pharmazie-Konzern Schering AG (Berlin) hat nach etwa zweijähriger Bauzeit im chinesischen Guangzhou (Provinz Kanton) das Joint ventureUnternehmen Schering Pharmaceutical Limited (SPL) eingeweiht. Die SPLAnteile liegen mehrheitlich bei der Schering AG. Die hochmoderne Produktionsstätte für Röntgenkontrastmittel soll den chinesischen Markt versorgen und ist mit knapp 150 Mitarbeitern das erste ausländische Unternehmen seiner Art. Schering ist in China zudem mit drei Verkaufsbüros in Guangzhou, Peking und Shanghai vertreten. Nach ScheringSchätzungen liege das momentane Marktvolumen für Kontrastmittel bei etwa zwanzig Millionen Dollar. Seiten 12 und 13: Brennt vielen Menschen auf der Haut: Neurodermitis Neurodermitis ist eine chronische Hauterkrankung. Starker Juckreiz und trockene Haut sind typische Symptome. Erst juckt es, dann kratzt man: Die Haut entzündet sich. Ein für Neurodermitiker vertrauter Teufelskreis beginnt. Dann folgen Behandlungsversuche mit allen möglichen Salben, Cremes, Badezusätzen, Pillen - vielleicht noch angereichert mit Spezialtherapien und 332 fragwürdigen Ernährungsumstellungen. Psychische Hilfsmaßnahmen sind meist nur bloße Anti-Kratz-Therapien. Früher brachte man den starken Juckreiz, der die Neurodermitis begleitet, mit den Hautnerven in Verbindung. Deshalb erhielt diese Krankheit 1891 von einem französischen Hautarzt ihren Namen: Neurodermitis (griechisch neuro = Nerv; derma = die Haut). Nach dem heutigen Wissensstand handelt es sich nicht um eine Nervenerkrankung. Aber die Ursachen konnten bisher noch nicht ausreichend geklärt werden. Atopisches Ekzem, endogenes Ekzem, atopische Dermatitis, Lichen simplex chronicus: Das sind alles Namen für eine einzige Erkrankung mit komplexem Krankheitsbild: Neurodermitis. Es sind viele Krankheitsauslöser bekannt, deshalb kennt man auch ebensoviele Therapieansätze, die Linderung versprechen. Welcher Heilversuch der richtige ist, das hängt vom Einzelfall ab. Eigenverantwortung, Ausdauer und Informationen sind wichtige Begleiter auf dem Weg zur Beschwerdefreiheit. Hauterkrankungen verändern das äußere Erscheinungsbild, deshalb sind sie besonders problematisch. Neurodermitis ist nicht ansteckend, wie es ein hartnäckiges Vorurteil glauben machen will. Man schätzt, daß ca. 3,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind, davon sind 70 Prozent Kinder im Alter bis 14 Jahren. Man beobachtet ein altersabhängiges Auftreten von Hauterscheinungen: Säuglinge, oder auch Kleinkinder, haben eine mehr feuchte Haut, stellenweise gerötet. Meist finden sich Bläschen und Knötchen auf der Haut der Gelenkbeugen, auf Händen, Hals und im Gesicht. Mit zunehmendem Alter des Kindes wird die Haut trockener und schuppender, die Symptome können sich im Schulalter zurückbilden, häufig treten auch Spontanheilungen auf. Jenseits des zwanzigsten Lebensjahrs schwächen sich die entzündlichen Prozesse auf der Haut im allgemeinen ab. Bei erwachsenen Menschen bleiben Überempfindlichkeiten: Meist in den Gelenkbeugen und an den Händen. Haben sie arbeitsbedingt mit allergieauslösenden Stoffen Kontakt, dann machen sich verstärkt Krankheitssymptome bemerkbar. Neben der richtigen Berufswahl sind die Wohnbedingungen und Ernährung wichtig. Es gibt viele Gründe, die eine Neurodermitis fördern können: Streß und andere äußere Einflüße auf die Haut wie das Klima und mechanische Überbeanspruchung. Wird Neurodermitis vererbt? Die genauen Zusammenhänge sind noch nicht klar. Zwillingsuntersuchungen deuten an, daß die Veranlagung, eine Neurodermitis zu entwickeln, vererbt wird. Man weiß aus statistischen Untersuchungen, daß sechzig Prozent der Kinder von Eltern, die beide an Neurodermitis erkrankt sind, ebenfalls daran erkranken. Ist hingegen nur ein Elternteil betroffen, dann halbiert sich die Zahl neurodermitiskranker Kinder auf dreißig Prozent. Menschen, die an Neurodermitis leiden, weisen häufig noch andere Erkrankungen auf, die aus dem weiten Feld der Allergien kommen. Kontaktekzem, Asthma und Heuschnupfen können als Auslöser einer Neurodermitis fungieren. Dann stellt der Arzt im Blut eine erhöhte Konzentration von Immunglobulinen E (IgE) fest. Der allergieauslösende Stoff verrät sich bei der Blutuntersuchung durch ein jeweils spezielles 333 Immunglobulin E. Allergien treten häufig gegen Hausstaubmilben, Tiere, Nahrungsmittel und Blütenstaub auf. Bakterien, Viren und Pilze haben es leicht, auf der empfindlichen und trockenen Haut eines Menschen mit Neurodermitis zu siedeln und so Entzündungen hervorzurufen. Durch die entzündete Haut können wiederum Allergene schneller in den Körper eindringen. Nicht jede Neurodermitis ist jedoch eine Allergie oder erkennbar mit einer Allergie verbunden. Das Klima des Wohnortes hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf den Zustand der menschlichen Haut. Das gillt ganz besonders für Menschen mit Erkrankungen, die die Haut betreffen. Kaltes, trockenes Klima trocknet die Haut aus, fördert so die Neurodermitis. Heilend wirkt demgegenüber gemäßigtes, sonniges Wetter. Allergien, Umweltfaktoren und seelische Probleme spielen eine große Rolle als Auslöser, aber nichts deutet darauf, daß es eine typische Neurodermitikerpersönlichkeit gibt. Was läßt sich zur Linderung der Krankheitssymptome tun? Man kann die Haut mit fett- und feuchtigkeitshaltigen Salben und Cremes schützen. Eine Ernährungsumstellung bietet sich an, da sehr viele Neurodermitiker unter einer Mykose (Pilzinfektion) im Darm leiden. Allgemeine Ernährungsempfehlungen lassen sich nicht machen, dazu ist jeder Einzelfall zu speziell. Außerdem haben nur zehn bis fünzehn Prozent der Menschen mit Neurodermitis eine Nahrungsmittelallergie. Klimawechsel, Entspannungstraining können einen heilsamen Einfluß haben. Und manchmal ist das vielgescholtene Kortison dann leider die letzte, aber wirksame Möglichkeit, die Symptome der Erkrankung einzudämmen. Betroffene können weitere Informationen bekommen beim: Deutschen Neurodermitiker-Bund e. V., Mozartstraße 11, 22083 Hamburg, Telefon 040 - 220 57 57. Oder beim Bundesverband Neurodermitiskranker in Deutschland e. V., Oberstraße 171 56154 Boppard, Telefon 067 - 42 25 98. Seite 14: Eiweißstücke stoppen Mäuse-MS Der Stellenwert der künstlichen MS und eine neue Therapieidee Derzeit wird viel in der MS-Forschung experimentiert. In der frühen Entwicklungsphase von Medikamenten und Arzneimitteln gehen die Wissenschaftler aber nicht an den Menschen heran. Als ideales Versuchsobjekt dient in den meisten Fällen die Maus oder Ratte. Nun stellt sich natürlich die Frage, können Mäuse oder Ratten eine menschliche Multiple Sklerose entwickeln? Nein, dem ist nicht so, denn wenn man tatsächlich auf dem künstlichen Wege eine MS erzeugen könnte, wüßte man auch wie diese Krankheit entsteht und könnte gegen die Entstehung Maßnahmen ergreifen, also die Krankheit heilen. Man arbeitet zur Zeit deshalb nur mit einer der menschlichen MS ähnlichen Krankheit, die in der Retorte entstanden ist. Wissenschaftler nennen diese künstliche MS deshalb experimental autoimmune encephalomyelitis (EAE). Sie ist mit der menschlichen MS nur bedingt vergleichbar, gibt aber Hinweise 334 auf eine Wirkung von neuen Medikamenten, weil sie bei Tieren MS-ähnliche Symptome verursacht. Die unter einer solchen Krankheit leidenden Tieren werden kurzerhand EAE-Ratte oder -Maus bezeichnet. Mit EAE-Mäusen arbeitet der amerikanische Forscher David Topham vom St. Judes Hospital in Memphis/Tennessee. Bei einer Impfung der erkrankten Tiere stellte er fest, daß die EAE-Symptome gar nicht auftraten und bei Tieren, die bereits darunter litten, neue Schübe verhindert wurden. Topham verwendete für diese Immunisierung ein Einweißstück aus einer bestimmten Gewebestruktur. Dieses wird kurz MHC-II-Molekül genannt. Das MHC-II-Molekül bietet dem Immunsystem kleinste Teile des Isoliermaterials von Nervenzellen an. Durch diesen „Trick“ wird eine gewünschte Abwehrreaktion in Gang gesetzt. Im Ergebnis haben die geimpften Tieren Antikörper gegen die entsprechende MHC-Struktur entwickelt. Damit wurde erreicht, daß die aggressiven T-Zellen nicht mehr die myelintragenden Zellen angreifen und sie zerstören. Was bei der EAE-Maus nun zu einem Erfolg geführt hat, muß nicht unbedingt auch gegen die menschliche MS eine positive Wirkung haben. Aber solche Befunde sind sicherlich als Indizien in der MS-Forschung zu werten, solange es keine besseren Forschungsansätze gibt. Die amerikanischen Forscher um David Topham hoffen nun, das MHC-IIMolekül auch bei der menschlichen MS einsetzen zu können. Auf Nachfrage sollen die klinischen Prüfungen bereits in diesem Jahr beginnen. Seiteb 15, 16 und 17: Freibetrag für Behinderte Der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine hat darauf hingewiesen, daß es auch für das Jahr 1995 möglich ist, einen Freibetrag für Körperbehinderungen in die entsprechende Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen. Dies gilt auch für die Fälle, in denen der Grad der Behinderung weniger als 50 Prozent beträgt. Voraussetzung hierfür ist, daß der Grad der Behinderung vom zuständigen Versorgungsamt bescheinigt ist. Raumanzug gegen plötzlichen Kindestod Der plötzliche Kindstod ist die häufigste Todesursache bei Säuglingen zwischen dem zweiten und zwölften Lebensmonat. In der Bundesrepublik Deutschland sterben hieran jährlich etwa 2500 Babys. In einem gemeinsamen Pilotprojekt haben Ärzte am Kinderkrankenhaus in Köln Porz sowie Vertreter der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt einen neuen Schlafanzug getestet. Mit diesem Schlafanzug sollen in Zukunft gefährdete Kinder nicht stationär überwacht werden müssen. Gesunder Schlaf ohne Tabletten möglich Neugeborene benötigen täglich rund 16 Stunden Schlaf. Mit zunehmendem Lebensalter verringert sich das Schlafbedürfnis. Ältere Menschen schlafen nur noch zwischen 5-7 Stunden. 335 Neben Einschlafstörungen sind es die Durchschlafstörungen, die im höheren Lebensalter häufig auftreten. Mit Tabletten soll diese Störung dann behoben werden. Aber nicht in jedem Fall sollte man dem gestörten Schlaf mit Arzneimitteln zu Leibe rücken. Wichtig ist es, auf die Umgebung, Zimmertemperatur (max. 15 Grad Celsius), ausreichend Ruhe sowie auf ein gutes Bett, zu achten. Der nächtliche Schlaf besteht aus verschiedenen Schlafphasen. Neben Tiefschlafstadien gibt es Phasen mit leichtem Schlaf. Außerdem gibt es noch die sog. REM-Schlafphase. In dieser Phase finden die meisten Träume statt. Endlich Krebsregister Ende 1994 nach 15 Jahren Arbeit, ist es dem Bund und den Ländern endlich gelungen, eine Vereinbarung über ein in der Bundesrepublik geltendes sogenanntes Krebsregister zu treffen. Das dafür erforderliche Gesetz ist am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. In den kommenden fünf Jahren soll der Aufbau abgeschlossen sein. Bis dahin muß ein flächendeckendes Netz eines Datenverbundes errichtet sein. Ziel ist die Erfassung aller Daten über Krebserkrankungen in der Bundesrepublik. Nach Auffassung von Experten sei hiermit eine bessere Grundlage für die Krebsvorbeugung und -behandlung gegeben. Pflegeversicherung noch nicht in Schwung Seit dem 1. Januar 1995 ist die neue Pflegeversicherung in Kraft. Der erwartete Boom von Anträgen ist bislang nach Auskunft der Kassen ausgeblieben. Bisher haben nur knapp 10 Prozent der insgesamt erwarteten eine Million Neuantragsteller ihren Antrag eingereicht. Alle, die die Versicherung in Anspruch nehmen wollen, müssen vom Medizinischen Dienst der Pflegekassen untersucht werden. Erst dann erfolgt die Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Anträge für die Pflegeversicherung sind bei den zuständigen Krankenkassen erhältlich. Zurück zur gesetzlichen Krankenversicherung Für noch privatversicherte Angestellte besteht seit 1995 die Möglichkeit, zurück in die gesetzliche Krankenversicherung zu kommen. Beitragsgrenze hierfür ist in den alten Bundesländern ein Einkommen von 70.200 Mark, in den neuen von 57.600 Mark. Dies ist besonders für Alleinverdiener von Interesse, weil deren Familie dann meist beitragsfrei mitversichert ist. Neue Erkenntnisse in der Schmerzforschung Einen neuen Forschungsansatz zur Entstehung chronischer Schmerzen haben Forscher der Tübinger Universität gefunden. Über lange Zeit galt Schmerz als ein körperlich gesteuerter Schutzinstinkt, der mit der Psyche nichts zu tun habe. Demnach führt ein schädigender Reiz zu einer Erregung der Schmerzfühler, deren Signale im Gehirn dann das Schmerzempfinden auslösen. Doch hierbei können sich persönliches Schmerzempfinden und auslösender Reiz vollkommen entgegenstehen. 336 Auf der anderen Seite ist es möglich, daß seelische Einflüsse Schmerzen verstärken. Bislang allerdings existierte kaum Kenntnis darüber, ob Schmerz auch „klassisch konditioniert“ werden kann. Der Begriff geht auf den russischen Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow (18491936) zurück, der einen Hund darauf dressiert hatte, das Ertönen eines Gongs als Ankündigung für Fütterung zu verstehen: beim Ertönen des Tons lief dem Hund das Wasser im Maul zusammen (Konditionierung). Die Fragestellung war nun, ob eine ähnliche Konditionierung auch für Schmerzen gilt. Schmerz entsteht in einer besonderen Region der Großhirnrinde, im sogenannten somatosensorischen Komplex, was bedeutet, daß die klassische Konditionierung von Schmerzreizen sich an den Hirnstromkurven ablesen lassen müßten. Zur Überprüfung dieser Vermutung wurden vom Psychologen der Tübinger Universität, Wolfgang Miltner, bei 16 Personen in einem Experiment ungefährliche, aber schmerzhafte Stromstöße an den Mittelfingern ausgesetzt. Knapp eine Sekunde vor jedem Stromstoß ertönte ein Signalton. Dabei wurden die Veränderungen über 29 Elektroden auf der Schädeldecke gemessen. Hierbei wurde festgestellt, daß nach wiederholter Kopplung von Signalton und Stromstoß eine starke elektrobiologische Reaktion erfolgte, die am stärksten über dem somatosensorischen Bereich war. Offenbar war eine Verbindung zwischen den Erregungsschaltkreisen zur Wahrnehmung des Tons und denen für das Gefühl miteinander verbunden. Bereits das Signal allein löste bei den Versuchsteilnehmern eine unangenehme Empfindung aus, was darauf hinweist, daß der Schmerz in einen bedingten Reflex überführt worden war. Die Forscher zogen daraus die Vermutung, daß, ähnlich einem Zahnarztbohrer, sich hohe Schwingungen besonders gut als bedingten Reflex eignen, die aufgrund ihrer Eindringlichkeit instinktiv mit Schmerz verbunden werden. Die erzielten Forschungsergebnisse unterstützen die Vermutung, daß bedingte Reflexe am Entstehen und Andauern chronischer Schmerzen beteiligt sein könnten. Sonderforschung Neurologie Die Berliner Humbold Universität plant die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs zur Erforschung neurologischer Erkrankungen. Da auch nicht neuronale Zellen bei diesen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen, ist an eine Zusammenarbeit mit dem Max Dellbrück Zentrum für Molekulare Medizin und dem Institut für Molekulare Pharmakologie der Freien Universität Berlin gedacht. Rückruf für Herzschrittmacher Die amerikanische Firma Telectronics Pacings System und ihre deutsche Niederlassung haben einen „Klasse-1-Rückruf“ ihrer Herzschrittmacher gestartet. Mehr als 800 Deutsche tragen Herzschrittmacher, deren Elektroden schwere innere Blutungen verursachen können. Alle Kardiologen sind aufgefordert worden, die Betroffenen Patienten zu informieren. Urlaub für Pfleger 337 Die DAK-Pflegekasse übernimmt für ehrenamtliche Pflegekräfte die Kosten für einen Urlaub. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die Pflegeperson vorher mindestens zwölf Monate den Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung gepflegt hat. Ballon im Kopf bei Hirnschlagader-Verengung Eine Hirnschlagader-Verengung wurde zum ersten Mal in Deutschland mit einem Ballonkatheder behoben. Der halbstündige Eingriff wurde im Berliner Krankenhaus im Friedrichshain von Prof. Jürgen Müller vorgenommen. Schon nach zwei Tagen konnte der Patient entlassen werden. Die übliche Operationsprozedur - sie dauert fünf Stunden - ist mit einer Narkose verbunden und hätte den 59-jährigen unnötig belastet. Patienten, deren Hirnschlagader verengt ist, leiden unter Sehstörungen und Lähmungen. Seit dreißig Jahren wird die Aufdehnung verengter Blutgefäße mit dem Ballonkatheder angewendet. Der Katheder mit Ballon wird bis zur Verengung eingeführt, der Ballon aufgedehnt: Blut kann wieder durch die Ader strömen. Wurde dieses Verfahren bisher nur an der Hauptschlagader eingesetzt, so ist man jetzt mit geeigneten Kathedern in der Lage, auch in empfindliche Regionen vorzustoßen. Umsicht bei der Schädlingsbekämpfung Die ersten Ergebnisse der Berliner „Pyrethroid-Studie“ sind zwiespältig. Es konnte nicht eindeutig eine langzeitige Erkrankung des Nervensystems durch Pyrethroide nachgewiesen werden. Pyrethroide sind Schädlingsbekämpfungsmittel, die zum Schutz der Pflanzen vor Insekten eingesetzt werden. Noch vor Jahren galten sie als besonders verträglich für Umwelt und Menschen. Jetzt vermutet man eine Beteiligung der Pyrethroide an einem neuen umweltmedizinischen Krankheitsbild, dem MCS-Syndrom (MCS = Multiple Chemical Sensitivity). Diese „vielfache ChemikalienÜberempfindlichkeit“ wurde in den USA genauer erforscht. Man nimmt an, daß besonders empfindliche Personen durch Kontakt mit geringsten Mengen voChemikalien Krankheitssymptome ausbilden können, obwohl diese Substanzen keine Reaktion bei der Allgemeinbevölkerung hervorrufen. Tödliche Durchblutungsmittel? Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat die Arzneimittel Dusodril (Ampullen) und Naftilong für ein Jahr vom Markt genommen. Es wird angenommen, daß der Wirkstoff Naftidrofuryl, der in beiden Medikamenten enthalten ist, für zwei Todesfälle mitverantwortlich ist. Der Wirkstoff wurde in verschiedenen Darreichungsformen zur Behandlung von Durchblutungsstörungen der Beine oder des Gehirns eingesetzt. Filterlos rauchen? Untersuchungen des Krebsforschungszentrum Rowell Park in New York legen den Verdacht nahe, daß sich beim Rauchen von Filterzigaretten (die mehr als 90 Prozent aller Tabakerzeugnisse darstellen) mikroskopisch winzige Teilchen 338 der Fasern aus dem Filter lösen und sich in den Lungen der Raucher niederlegen. Es handelt sich hierbei um Zellulose-Acetat, woraus seit Jahrzehnten Filterzigaretten hergestellt werden. Dies führt zu Adenokarzinomen (eine Krebsart) in der Lunge. Seiten 18 und 19: Cop-1: Erst Mäuseversuche dann der Mensch Eiweißbausteine hemmen Selbstzerstörung und reduzieren die Schubrate bei Multipler Sklerose Wie viele Ansätze in der MS-Forschung beginnt, die Entwicklung von Copolymer 1 (Cop-1) mit Tierversuchen. Dabei spielen Mäuse oder Ratten regelmäßig eine Hauptrolle. Wissenschaftlern ist es gelungen, eine künstliche Nervenentzündung zu erzeugen. Die Experimental Allergic Encephalomyelitis (kurz EAE) ist eine der menschlichen Multiplen Sklerose ähnelnde Erkrankung. Doch im Unterschied zur menschlichen MS handelt es sich bei der EAE um eine von Menschenhand verursachte Erkrankung. Man ist sich im klaren darüber, wie man sie erzeugen kann. Genau diese Tatsache macht den Unterschied zur menschlichen MS aus. Eine menschliche MS läßt sich eben noch nicht künstlich erzeugen, da man noch keine genauen Erkenntnisse über die Herkunft der Erkrankung hat. Aber die künstliche EAE ist besser als überhaupt kein Forschungsansatz. So werden weltweit Mäuse und Ratten mit der EAE konfrontiert, damit die Krankheit ausbricht. Bei den erkrankten Tieren werden sodann verschiedene Medikamententests durchgeführt. Ziel dieser Testreihen ist es, eine Substanz zu entdecken, die auch die menschliche MS günstig beeinflussen kann. Wenn ein Medikament bei den EAE-Mäusen gute Resultate zeigt, wird man sich überlegen, ob es auch im Rahmen einer klinischen Studie am Menschen getestet werden kann. Cop-1 und die EAE-Mäuse Eine israelische Arbeitsgruppe vom Weizmann-Institut (Rehovot) untersuchte nun die Wirkung von synthetischen Eiweißmolekülen bei EAE-Mäusen. Das Ergebnis war sehr erfreulich, berichteten die Wissenschaftler. Die Zerstörung der Nerven konnte gebremst werden. Nach weiteren Prüfungsreihen schienen sich die gemachten Beobachtungen zu bestätigen. Im nächsten Schritt ging man an den Menschen heran. Im Rahemen kleinerer Studien, später auch in einer größeren klinischen Prüfung, stellte sich heraus, daß Cop-1 in der Lage zu sein scheint, beim schubförmigen MS-Verlauf die Schubrate um 74,8 Prozent zu verringern. Zum Vergleich seien hier die Ergebnisse der Beta-Interferon-Studie (1993) genannt. Dort wurde beobachtet, daß die Schubrate nur um 33,3 Prozent reduziert wurde. Auch wenn beide Medikamente wegen ihrer unterschiedlichen Wirkungsweise nicht direkt verglichen werden können, so lassen sich jedenfalls die Studienergebnisse vergleichen. Allerdings wird man von streng wissenschaftlicher Seite Kritik äußern, da Cop-1 nicht gegen Placebo getestet wurde. Dennoch ist dies kein Grund, statistisch korrekt erhobene Daten zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr besteht aufgrund dieser Resultate gesteigerter Foschungsbedarf mit Cop-1. 339 Mixtur aus kurzen Eiweißmolekülen Diese Ergebnisse lassen bei MS-Erkrankten Zuversicht aufkommen. Das basische Copolymer-1 ist eine Mixtur aus kurzen Eiweißmolekülen. Die Aminosäuren Alanin, Glutaminsäure, Lysin und Tyrosin sind die Bausteine, die sich durch Peptidbindungen aneinanderketten. Sie bilden so durch zufällige Aneinanderreihung von Peptidketten, jene Eiweißbausteine, die die körpereigenen Abwehrzellen in die Irre führen können. Bei Autoimmunerkrankungen, die mit Nervenschädigungen verbunden sind, greifen T-Zellen des Immunsystems die Schutzschicht der Nervenzellfortsätze an, den Myelinmantel. Ähnlich wie bei elektrischen Leitungen Kurzschlüsse entstehen, wird die Leitungsfähigkeit der Nerven durch die Beschädigung ihrer Isolationshüllen unterbunden. Sobald die Nerven nicht mehr zuverlässig funktionieren und Informationen weitergeben können, kommt es zu unterschiedlichen Symptomen, wie sie beispielsweise für eine Multiple Sklerose typisch sind. Die Vermutung der Forscher Die israelischen Forscher vermuten, daß die Myelinhülle der Nervenzellfortsätze durch das synthetische Copolymer-1 „umgebaut“ wird. Die Bestandteile des Copolymer-1 docken an Bindungsstellen auf der Oberfläche von Nervenzellen an. Dabei konkurriert fremdes Eiweiß mit dem körpereigenen Myelin-Basischen-Protein, das sich normalerweise in diese Kontaktstellen einlagert. Das Copolymer-1 schneidet bei diesem Wettbewerb besser ab als das Myelinprotein, es haftet auch besser an den MHC-Oberflächenstrukturen. Die Forscher glauben, daß Copolymer-1 deshalb so gut als Konkurrent des Myelinproteins geeignet ist, da aus diesem Peptidgemisch sehr viele unterschiedliche Molekülfragmente hervorgehen können; etliche davon sind dem Myelinprotein ähnlich. Durch diese Ähnlichkeit passen die Teilstücke des Copolymers in die Bindungsstellen der MHC-Strukturen, genauso gut wie die Bruchstücke des Myelinproteins. Die MHC-Strukturen zeigen dem Immunsystem somit neben dem körpereigenen auch die fremden Eiweiße vor. Wird der Zelloberfläche ausreichend vom fremden Eiweiß zur Verfügung gestellt, dann kann das Copolymer offenbar verhindern, daß den Abwehrzellen die zelleigene Eiweißvariante vorgezeigt wird. Wie ein Impfstoff Copolymer 1 verhält sich dem Immunsystem gegenüber ähnlich einem Impfstoff. Aber im Gegensatz zu den gängigen Impfstoffen, die die Körperabwehr stärken, wollen die Mediziner ganz gezielt die körpereigene Abwehr hemmen und damit bestimmte Strukturen vor den aggressiven Abwehrzellen schützen. Weitere klinische Versuche haben schon bereits vor über zwei Jahren gezeigt, daß Schübe bei MS-Patienten deutlich seltener auftraten, wenn mit Copolymer-1 behandelt wurde. Gerade bei Frühstadien der Erkrankung erbringt dieses Medikament gute Ergebnisse. Weitere klinische Untersuchungen werden derzeit von der Pharmafirma TEVA vorbereitet. 340 Die Verabreichung erfolgt subkutan, das heißt die Substanz wird in bestimmten Abständen unter die Haut gespritzt. Die Art der Therapie wird beim Beta-Interferon ebenfalls durchgeführt. Information und Kosten Weitergehende Informationen erteilt: State of Israel Ministry Of Health Medical Center Dr. Shlomo Flechter Tel-Aviv University Zerifin, Israel Telefon: 00972-8-449878 Die Kosten gliedern sich auf: Für die erste Untersuchung des Patienten und einen zweitägigen Test werden 2.000 Dollar verlangt. Die Substanz für sechs Monate kostet 3.840 Dollar (Stand 1992/993). Sechs Monate später gibt es wieder eine Untersuchung und einen eintägigen Aufenthalt (1.000 Dollar) und wiederum das Medikament für 3.840 Dollar. Somit belaufen sich die Therapiekosten für ein Jahr auf 10.680 Dollar. Seite 20: MS - Linderung durch Kälte Erst nach zwei Attesten zahlte die Krankenkasse den Kälteanzug Vor 12 Jahren ist bei mir MS diagnostiziert worden. Die Krankheit verläuft schubweise und es wird schlimmer. Natürlich mußte ich auch Krankengymnastik machen. Eine meiner Krankengymnastinnen fiel auf, daß es mir im Sommer und wenn es im Therapieraum warm war, schlecht ging. Bei kühler Witterung war ich leistungsfähiger. Eine Krankengymnastin erzählte mir von einem MS-kranken Mann, der in Amerika in einen zugefrorenen See einbrach. Nachdem Freunde ihn aus dem See heraushalfen, konnte er sich viel besser bewegen als vorher. Ich habe das am Anfang zu Hause mit kaltem Wasser in der Badewanne probiert und es hat leicht gewirkt Dann habe ich es gesteigert und seit mehr als drei Jahren gehe ich jeden Tag ins kalte Badewasser mit mehreren Eisklumpen. Die letzten 15 Minuten halte ich den Kopf soweit unter Wasser, daß nur noch die Nase herausguckt. Ich bin danach in der Lage, wieder ganz normal aus der Wanne zu steigen, mich alleine abzutrocknen, anzuziehen und zur Arbeit ins Büro zu fahren. Ohne das Kältebad wäre das alles nicht möglich. Ein Freund in Amerika hat von meiner Kältetherapie erfahren und mir einen Bericht über ein von der NASA entwickeltes Kältesystem für MS-Patienten geschickt. Dieser Kälteanzug besteht aus Jacke und Mütze, die an ein Kühlaggregat angeschlossen sind. Die Kosten für den Kälteanzug wollte mir die Krankenkasse zunächst nicht ersetzen. Erst nach zwei ärztlichen Attesten zahlte die Krankenkasse doch. Aufgrund meiner positiven Erfahrungen kann ich MS-Kranken dieses System empfehlen, denn nur Versuch macht klug und was haben wir schon zu verlieren. Seitdem ich vor über drei Jahren mit meiner Kältetherapie begann, habe ich seit zwei Jahren keinen Schub mehr gehabt. 341 Peter Fiedler, Frechen Seite 21: Kältetherapie Aus der ärztlichen Bescheinigung der Fachklinik für Neurologie Dietenbronn „Während des stationären Aufenthaltes in unserer Klinik wurden Sie (Herr Fiedler) regelmäßig mit Eisbädern behandelt. Wir konnten feststellen, daß nach einem Aufenthalt von ca. 45 Minuten in einem eiskalten Bad (Kopf ca. 15 Minuten) sich die Symptomatik bei Ihnen deutlich gebessert hat. Sie waren danach sogar in der Lage, ohne eine Gehhilfe zu laufen. Diese Verbesserung hielt einige Stunden an. Irgendwelche Schädigungen durch die Eisbäder konnten wir nicht feststellen. Sie haben berichtet, daß Sie sich ein Kältesystem beschafft haben. Dieses System zu tragen, ist Ihnen auch unter Tage möglich, so daß die Zeitdauer der klinischen Besserung ganz erheblich ausgeweitet werden kann. Dies versetzt Sie in die Lage, weiterhin ganztags berufstätig zu sein. Außerdem können Sie den Verpflichtungen in Ihrem gesellschaftlichen, familiären und sozialen Umfeld nachkommen und sich somit trotz Ihrer schweren Erkrankung eine normale Lebensweise erhalten. Wir halten es daher für dringend wünschenswert, daß Ihnen dieses Kühlsystem zur Verfügung gestellt wird und bitten Ihre Krankenkasse darum, die Kosten dafür zu übernehmen.“ Wann müssen Krankenkassen auch Außenseitermethoden bezahlen? Bereits 1992 stellte der Bundesgerichtshofs in einem Urteil (BGH, VI ZR 135/92) klar, daß es unwirksam ist, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bei unheilbaren Krankheiten nur dann zu ersetzen, wenn sie von der Wissenschaft allgemein anerkannnt sind. § 5 der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenkassen, der genau diese Voraussetzung nannte, wurde die Wirksamkeit versagt. Die Richter stellten fest: Die Qualität der Behandlungsmethoden, die zur Linderung unheilbarer Krankheiten angewandt werden, kann sich eben nicht am Heilerfolg messen lassen. Denn gerade bei Krankheiten, bei denen die wissenschaftliche Klärung der Ursache noch nicht erfolgt ist, haben alle, auch die schulmedizinischen anerkannten Behandlungsversuche, immer nur experimentellen Charakter. So ist es auch schon heute so, daß von Ärzten auch Behandlungsmethoden der alternativen Medizin aufgrund von erfolgversprechenden Erfahrungen angewandt werden, selbst wenn diese Methoden an medizinischen Hochschulen noch nicht allgemein anerkannt sind. Ebenfalls 1992 nahm das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (Az.: S 1 K 128/90 Mz) zu den Außenseitermethoden im Zusammenhang mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) Stellung. Dabei bestätigte es die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und führte den BGH-Grundsatz weiter aus. In der Kommentierung zu diesem Urteil heißt es: Die Grundregel, daß schulmedizinische Methoden anzuwenden sind, schließt Ausnahmen im Einzelfall nicht aus. Die ärztliche Tätigkeit darf nicht mit der Anwendung medizinischer Methoden beendet sein. Danach muß die Krankenkasse 342 zahlen, wenn die eigentliche Ursache der Erkrankung wissenschaftlich noch unbekannt ist, keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und die gewählte Methode zwar nicht notwendig ist, aber im konkreten Behandlungsfall mit einer nicht nur ganz geringen Erfolgsaussicht eine Besserung möglich erscheinen läßt. Somit besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn durch ärztliche Therapie versucht wird, Linderung einer unheilbaren Krankheit zu erreichen. Wenn dieser Grundsatz für Außenseitermethoden gilt, dann muß er erst recht für Arzneimitteltherapien gelten, die sich in einer fortgeschrittenen klinischen Prüfphase und kurz vor einer allgemeinen Zulassung befinden. Die Auseinandersetzung mit der Krankenkasse muß leider der Patient oder sein rechtlicher Vertreter selber führen. Seite 22: Erstattung von Kurkosten Was leisten gesetzliche und private Krankenkassen? Wer als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sich im Kurort in einer Privatklinik stationär behandeln läßt, wird auf den Kosten sitzen bleiben. Leistungen, ob ambulant oder stationär, werden immer auf der Basis eines Antrages bewilligt. Hier können stationäre Kuren für 4-6 Wochen nur in einer Vertragsklinik mit einer Eigenbeteiligung von 12,- DM pro Tag abgerechnet werden. Bei ambulanten Badekuren beteiligt sich die Kasse mit 15,- DM Zuschuß pro Tag pauschal für die Unterkunft außerhalb der Klinik im Kurort sowie für Verpflegung und Reisekosten. Anwendungen werden zu 90 Prozent übernommen. Die Kosten beispielsweise für Lymphdränage ist nur bei vorheriger Genehmigung durch die Kasse möglich. Für ambulante Kur- und Sanatoriumsaufenhalte leisten private Krankenkassen nur dann, wenn Kurleistungen vorgesehen sind. Für Heilbehandlung bis zu einer bestimmten Höhe wird, wie im Tarif festgelegt, geleistet. Die darüber hinaus anfallenden Kosten trägt der Patient selbst. Die Unterbringung und Verpflegung geht voll zu Lasten der Privatversicherten. Die stationären Tarife sehen normalerweise keine Leistungen für Kur- und Sanatoriumsaufenthalte vor. Ausnahme: Der Versicherer gibt vorher eine schriftliche Zusage für die Heilbehandlung. Für Beihilfeberechtigte leistet der Ambulante-Beihilfetarif in Höhe des Beihilfesatzes. Bei einigen Versicherern ohne Begrenzung der Kosten. Hier wird auch aus den Ambulanten-Beihilfe-Ergänzungstarifen für Beamte Kurund Sanatoriumsgeld gezahlt. Bei einer ärztlich verordneten Behandlung in einem Kur- oder Badeort sowie in einer Heilstätte (Sanatorium) erhält der Patient, sofern Beheilfeleistungen für Unterkunft und Verpflegung gewährt werden, ein nach den Tarifen gestaffeltes Tagegeld. Pro Tag der Kurbehandlung unter ärztlicher Leitung nach einem Kurplan mit Unterkunft in einem anerkannten Kurort wird ebenso ein Tagegeld bei einer stationären Kur gewährt. Die durch eine Kur aufgetretene Lücke bei den zusätzlichen Ausgaben schließt eine private Kurtagegeld-Versicherung. Der Abschluß ist vielfach nur für Krankheitskosten-Vollversicherte bis zu einer Höhe von 100,- DM täglich möglich. 343 Hans-Peter Soltow Schwerbehindertenausweis: So wird der Grad der Behinderung festgestellt Das Schwerbehindertengesetz versteht unter einer Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsstörung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, seelischen oder geistigen Zustand beruht, der für das Lebensalter untypisch ist. Die Gesundheitsstörung muß Funktionsbeeinträchtigungen hervorrufen, die Auswirkungen auf das Arbeitsleben und/oder den privaten Bereich haben. Auswirkungen von Erkrankungen, die in Schüben auftreten, die jeweils weniger als sechs Monate andauern, sind dann eine dauerhafte Behinderung, wenn diese Schübe in regelmäßigen Abständen auftreten und jeweils eine gewisse Dauer haben. Es ist im Eigeninteresse des Antragstellers, dem Versorgungsamt möglichst detaillierte Angaben zu machen und alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Ämter fordern von den behandelnden Ärzten Befundberichte an. Als Leitfaden für die Bewertung gibt es die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“. In einer Tabelle werden betimmten Krankheiten Richtwerte zugeordnet. Liegen mehrere Behinderungen vor, wird ein Gesamt-GdB (Grad der Behinderung) erstellt. Dabei werden folgende Beispiele aufgeführt. 1. Sind die einzelnen Funktionsstörungen voneinander unabhängig, kann es gerechtfertigt sein, die einzelnen Grade der Behinderung zu addieren. 2. Gehen die Behinderungen ineinander über, wird in der Regel der höchste GdB angesetzt. 3. Verstärken sich funktionale Ausfälle wechselseitig, kann ein höherer GdB angesetzt werden. 4. Überschneiden sich die Auswirkungen der verschiedenen Behinderungen, so sind neben dem höchsten Einzel-GdB die übrigen Werte nur zum Teil zu berücksichtigen. Jutta Sturm-Heidler Seite 23: USA TOP DEUTSCHLAND FLOP ? Trotz eines vermeintlichen Forschungsbooms bei der Multiplen Sklerose publizieren die deutschen Neurologen im internationalen Vergleich eher zurückhaltend In einer Untersuchung der Forschungsgruppe-autoimmun wurde der Frage nachgegangen, wo wurde in der Welt 1994 (Jan. bis Nov.) am meisten über die Krankheit Multiple Sklerose in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Grundlage der Studie war eine internationale medizinische Datenbank. Insgesamt wurden 672 Fundstellen aus 35 Ländern gesichtet und ausgewertet. Dennoch kann von einer breit gefächerten internationalen MSForschung nicht gesprochen werden. 81,4 Prozent aller Veröffentlichungen verteilen sich auf sechs Länder. In den restlichen 29 Staaten liegen breit 344 verstreute Publikationen vor, die fortgestzte systematische MS-Forschung nicht erkennen lassen. Spitzenreiter sind die USA mit fast der Hälfte aller MS-Veröffentlichungen. An mehreren US-Zentren wird gearbeitet und natürlich werden auch die entsprechenden Ergebnisse in der Fachpresse publiziert. Die ausgewerteten Daten geben in der vorliegenden Zwischenanalyse keine Auskunft über den jeweiligen Forschungsgegenstand in den einzelnen Ländern. Ob qualitativ sinnvoll gearbeitet wurde, die Kapazitäten breit gestreut wurden oder ein angemessenes Verhältnis zwischen Grundlagen- und Therapieforschung bestand, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. Die deutschen Wissenschaftler, denen oft besondere Forschungsqualitäten nachgesagt werden, erreichen hinter den Niederlanden Platz vier. Mit nur 6,4 Prozent Anteil an der Gesamtzahl der Veröffentlichungen läßt sich ein besonderer Forschungsdrang nicht erkennen. In Anbetracht der in Deutschland großzügig zur Verfügung gestellten MS-Forschungsgelder ein eher schlechtes Ergebnis. Dänemark, mit recht spärlichen Mitteln ausgestattet, läßt Länder wie Frankreich oder Japan hinter sich liegen. Seiten 24 und 25: Ärzte gegen Gelbfiebertod Die Krankheit Gelbfieber läuft im ersten Stadium langsam an: Schüttelfrost, hohes Fieber, starke Kopf- und Gliederschmerzen ähnlich wie bei einer Grippeinfektion. Nach drei bis vier Tagen klingt die Krankheit ab oder, wenn der Erkrankte weniger Glück hat, führt sie in das zweite, toxigene Stadium. Gelbsucht, hochgradige Schmerzen im Oberbauch, Bluthusten und schließliches Kreislaufversagen begleiten den Todeskampf. Bis zum 19. Jahrhundert galt Gelbfieber als Schmutzkrankheit, die durch Berühren von Gelbfieberkranken, deren Kleidern oder Betten verursacht wurde. Man glaubte damals, daß allein klinische Sauberkeit vor Ansteckung und Ausbreitung der Seuche schützen könnte. Der kubanische Augenarzt Dr. Carlos J. Finlay (1833 - 1915) vertrat erstmalig den Standpunkt, daß die Seuche durch Moskitos übertragen werde. In seiner Heimat Kuba kamen Moskitos häufig vor. 1900 brach unter den in Havanna stationierten amerikanischen Truppen eine schwere Gelbfieberepidemie aus, die Tausende von Todesopfern forderte. Das Weiße Haus entsandte ein Ärzteteam zur Erforschung des Gelbfiebers. Leiter der Gelbfieberkommission war der Professor der Bakteriologie Dr. Walter Reed, stellvertretender Leiter war Dr. James Caroll. Insektenforscher und Bakteriologe Dr. Jesse W. Lazear war weiteres Mitglied der Kommission. Der leitende Sänitätsoffizier des amerikanischen Stützpunkts ordnete eine stündliche Reinigung der Stadt Havanna an, dem Satz folgend, daß es sich um eine Schmutzkrankheit handele. Selbstverständlich hatte er sich auch mit Dr. Finlay über die Entstehung der Epidemie unterhalten. „Ich kann Ihnen nur raten, die Moskitos zu vernichten.“ meinte Finlay. Der Sanitätsoffizier wollte den Beweis: „Wenn es Ihnen gelingt,“ sagte er zu Finlay, „durch den Stich eines Moskitos Gelbfieber künstlich zu erzeugen, will ich Ihnen gerne glauben und Ihren Rat befolgen.“ 345 Sooft Finlay es auch versuchte, dies gelang ihm nicht. Damals wußte er noch nicht, daß die von ihm verdächtigten Insekten 12 Tage benötigen, um das mit dem Blut Gelbfieberkranker aufgesogene Virus ansteckungsreif werden zu lassen. Diese Entdeckung sollte erst später gemacht werden! Als Dr. Finlay von der Ankunft der amerikanischen Gelbfieberkommission auf Kuba hörte, suchte er den Leiter Dr. Reed auf, der schon wegen der Mückentheorie vorgewarnt worden war. Finlay zog aus seiner Jackentasche ein Tütchen mit kleinen, schwarzen, ovalen Gebilden und überreichte sie Reed mit den Worten: „Dies sind Moskito-Eier. Lassen Sie sie in der Sonne ausbrüten und experimentieren Sie!“ Reed gab die Moskito-Eier weiter an seinen Mitarbeiter Dr. Lazear. Lazear wiederum ließ die Eier in der Sonne ausbrüten. Die geschlüpften Moskitos durften nur abends aus den Reagenzgläsern heraus, denn nur dann pflegen diese Insekten zu saugen. Man wußte auch, daß nur Moskitoweibchen das Gelbfieber übertragen konnten. Dr. Lazear setzte sie sich und seinen Mitarbeitern an. Die Tiere hatten bisher noch keine Gelegenheit gehabt, Gelbfieberkranke zu stechen. Mehrere Tage fütterte er die Moskitos auf diese Weise, ohne daß ihm und seinen Mitarbeitern etwas geschah. Das konnte als Beweis gewertet werden, daß die Insekten von Infektionen frei waren. Dr. Reed mußte zu seinem Bedauern nach Washington zur Berichterstattung der Forschungen, er übertrug seinem Stellvertreter Dr. Caroll die weitere Leitung des Forschungsprojekts. Caroll hatte jetzt die Hauptverantwortung für das, was dem Team an dramatischen Ereignissen noch bevorstand. Glasröhrchen mit Moskitoweibchen in der Hand, gingen Caroll und Lazear zu den Schwerstkranken in den Gelbfieberbaracken. Behutsam lösten sie die Verschlüsse von den Glasröhrchen und stülpten diese auf Brust und Unterschenkel der Kranken. Lazear und Caroll waren beide bereit, sich die auf diese Weise infizierten Moskitoweibchen anzusetzen. Jeder wollte der Erste sein, aber beide dachten auch an ihre Familie, an ihre Kinder. Caroll hatte fünf, Lazear hatte zwei Kinder. Zwei Wochen nachdem die Moskitos an Schwerstkranken gesaugt hatten, war es Caroll, der sich stechen ließ. Bereits nach vier Tagen lag er im Seuchenlazarett. Zu seinem Glück überwand er das erste Stadium des Gelbfiebers. Er trug der Krankenschwester auf: „Rufen Sie rasch Dr. Lazear!“ Als Lazear eintrat empfing ihn Caroll mit dem Freudenruf: „An mir ist erwiesen worden, daß die Moskitoweibchen die Vertreterinnen des mörderischen Gelbfiebers sind!“ Am 13. September 1900 machte dann Dr. Lazear den selben Versuch an sich selbst durch, weil er noch immer Zweifel an der Moskitotheorie hatte. Bis zum vierten Tag verlief das Gelbfieber im ersten Stadium, bis dann das zweite Stadium anfing. Caroll ließ Lazear, der jetzt fortschreitendes Fieber und Gelbsucht hatte, in eine Isolierbaracke bringen. Krampfartiges Zusammenziehen des Zwerchfells deutete an, daß Lazear das berüchtigte Bluterbrechen bevorstand. Er lebte nur noch weitere fünf Tage, starb am 25. September. Mit allen Ehren bestattete man Lazear in seiner Heimatstadt Baltimore. „Er gab sein Leben freiwillig hin, damit Tausende seiner Mitmenschen in den amerikanischen Südstaaten nicht sterben sollten“, hieß es in Ehrungen. Tief erschüttert vernahm Dr. Reed, als er von seinem Rapport aus Washington zurückkam, 346 die Trauerbotschaft, mit der aber auch die endgültige Lösung des Gelbfieberproblems verbunden war. Wissend, daß die todbringenden Insekten ohne Wasser nicht existieren konnten, ließ der mit der Moskitobekämpfung beauftragte Militärarzt alle stehenden Gewässer - vom Tümpel und Graben bis zum Sumpf - mit einem Gemisch aus Petroleum, Asphaltöl und Karbolsäure bestäuben. Zu Tausenden durchstreiften Kubaner mit Sprühgeräten die ihnen zugeteilten Bezirke und besprühten die Mückenlarven. Diese starben unweigerlich nach dem Schlüpfen. Man beseitigte auch die Kehrichthaufen. Die gefundenen Ergebnisse der Gelbfieberkommission wurden auch in der Panamakanal-Zone umgesetzt. Die Arbeit fand ihren Lohn im Jahre 1905: Bis zum Herbst 1905 waren das Gelbfieber und die Malaria in der Panamakanal-Zone überwunden worden. Kathrin-Annette Wollschläger Seite 26: Leserpodium MS - Selbsthilfegruppe Ich habe mich neben meinem recht hohen beruflichen Zeitbedarf an der Gründung einer MS-Selbsthilfegruppe beteiligt. Uns beschäftigt die leider häufige, angstvolle „Ausgeliefertheit“ vieler Kranker. Dabei versuchen wir das Thema „Krankheit und Behinderung“ auch in unserem beruflichen Umfeld einzubringen und als durchaus gesellschaftlich akzeptabel und „normal“ bei vielen ins Bewußtsein zu bringen. Mir ist selbst auch bewußt geworden, daß viele Kranke sich durch ihre eigene Angst häufig selbst ausgrenzen oder bei gesunden Menschen Berührungsängste erzeugen. Dies versuchen wir durch gezielte Aktionen abzubauen und nennen uns deshalb „MS-Selbsthilfegruppe Albatros“. Der Vogel, der Angst vor dem Fliegen hat, ist ein Albatros. Bei uns kann man die Angst überwinden, so wie es auch unser Vogel gelernt hat. Deshalb haben wir uns die ängstlichen Flugübungen dieser Vögel als Vorbild genommen. Einen Albatros stellt unser Logo dar. Dazu gibt es eine Geschichte mit der Angst vor dem Fliegen. Als DSG-Patient, der eine Stabilisierung und leichte Verbesserungen registriert hat, achtet man natürlich auch auf die aktuelle wissenschaftliche Entwicklung im MS-Bereich. Abheben wollen wir nicht, unsere oberste Devise lautet: Alles realistisch wahrnehmen. Günther Vestweber, Alsfeld Wer Kontakt zur MS-Selbsthilfegruppe Albatros sucht, wendet sich an: Günther Vestweber Schellengasse 31 a 36304 Alsfeld Tel.: 06631/1783 Schwere Fälle Bei meiner Tochter hat sich die Multiple Sklerose in den letzten vier Jahren laufend verschlechtert. Sie ist jetzt gänzlich auf fremde Hilfe angewiesen. Sie 347 muß vom Bett in den Rollstuhl und umgekehrt gehoben werden. Ihre Blase ist so schwach geworden, daß sie auch gewindelt werden muß. Sie hat Spastik und verstärkte Ataxie, deshalb muß sie gefüttert werden. Im Mai diesen Jahres hat sie in einer Klinik Kortison bekommen, ohne Erfolg. Ihre Hoffnung gilt der Medizin DSG. Meine große Sorge ist, daß so schwere Fälle vielleicht nicht für eine Behandlung in Betracht kommen. Ilse F.., Berlin Amalgam Nach der Entfernung all meiner Amalgamplomben - dies durfte nur in Abständen von einem Monat geschehen, da ich bei jeder einzelnen entfernten Plombe fürchterliche Entzugserscheinungen hatte - und der gleichzeitigen Einnahme von potenziertem Silberamalgam, begannen sich meine Beschwerden rasch zu bessern. Symptome, wie ständiges Ameisenlaufen in der gesamten linken Körperhälfte, enorme Schwierigkeiten beim Wasserlassen, permanenter Blutunterdruck mit ewig kalten Händen und Füßen gehörten bald der Vergangenheit an. Einzig und allein die multiplen Herde in meinem Kleinhirn (Störung meines Gleichgewichts) - die ich einmal im Jahr durch eine Magnetresonnanzuntersuchung überprüfen lasse und bis jetzt seit Beginn der Therapie nicht zugenommen haben - machen mir noch zu schaffen, obwohl ich es gelernt habe, auch damit ganz gut umzugehen. Sie waren auch letztlich der Grund für meine Pensionierung und nach Behebung einer Schilddrüsenunterfunktion fühle ich mich heute rundum wohl und meine Lebensqualität ist immens gestiegen. Ich fühle mich nicht mehr zum Kreis der MS-Patienten zugehörig. Krista S., Graz Verzweiflung Voll tiefer Verzweiflung mußte ich feststellen, daß DSG entgegen aller Erwartungen nicht 1994 auf den Markt kam. Jeden Tag geht ein Stückchen mehr bei mir kaputt. Ich kann das Grauen nicht mehr aushalten. Wann kann ich endlich eine Therapie mit einer neuen Chance erhalten? Ilse K.., Hamburg Seite 27: Medizinische Begriffe stellen häufig ein Verständnisproblem dar: Fremdwörter und Fachausdrücke werden hier erklärt. Die im Heft kursiv gesetzten Begriffe sind hier in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet Anästhesie Schmerzunempfindlichkeit, hervorgerufen durch Störungen des Nervensystems. Kann aber auch in der Wirkung gewünscht sein, wie bei der Narkose. Hierbei wird die Schmerzempfindung vor operativen Eingriffen ausgeschaltet. Atopisch Bedeutet versetzt, verrückt, verlegt, wenn es sich auf die Lage von Organen oder Organteilen bezieht. 348 Bakteriologie Lehre von den Bakterien. Beta-Interferon Kann den Organismus vor Virusinfektionen schützen. Bildet sich nach Eintritt eines Virus in eine Zelle. Man unterscheidet drei Klassen: Alpha-, Beta- und Gammainterferon. Biopharmazeutisch Herstellung von Arzneimitteln auf biologischer Grundlage. Dermatitis Bezeichnet eine Hautentzündung. Leitet sich ab vom griechischen Wort derma - die Haut. Encephalomyelitis Ist eine Entzündung von Gehirn und Rückenmark. Endogen Ganz allgemein: Etwas entsteht - oder entstand - durch innere Ursachen. Bezieht sich auf Krankheiten oder Stoffe, die im Körperinneren entstehen. Hausstaubmilben Milben sind kleine Spinnentiere. Die im Hausstaub vorkommenden Milben leben von menschlichen Hautschuppen. Ihre Ausscheidungen sind ein entscheidender Bestandteil des Hausstauballergens. Herpes Eine von Viren ausgelöste Bläschenflechte. Gruppen von Bläschen bilden sich beispielsweise im Gesicht oder an den Geschlechtsorganen. Mit fiebrigen Erkrankungen verbunden. IgE Abkürzung für Immunglobuline der Klasse E. Immunglobuline Glykoproteine mit gemeinsamer Grundstruktur. Diese Antikörper werden nach dem Kontakt des Organismus mit einem Antigen gebildet und sind in den Körperflüssigkeiten - wie Serum oder Gewebsflüssigkeiten - für die Abwehr von Krankheitserregern wichtig. Kortison Ein aus der Nebennierenrinde isoliertes Hormon, das als Arzneistoff Verwendung findet. Es bildet die Vorstufe des fünfmal wirksameren Hydrokortisons. Lichen Verschiedene Hautkrankheitsbilder, die flechtenartige, kleinpapulöse Knötchen aufweise, werden unter diesem Namen zusammengefaßt. Lichenifikation Flächenhaftes Eindringen von krankheitserrregenden Stoffen in die Haut. Die Hautfelderung wird vergröbert und verdickt. Hautfurchen vertiefen sich, teilweise treten flache Pappeln oder flechtenartiger Hautausschlag auf. Lymphdränage Bei dieser klassischen Massagetechnik streicht man mit einer speziellen Grifftechnik krankhaft gestaute Lymphgefäße aus. Myelin Isolierschicht der Nerven, aus wasserlöslichen Lipoiden und aus Eiweißstoffen bestehende Substanz in der Markscheide der Nervenfasern. Mykose 349 Krankheiten, die durch Pilze hervorgerufen werden. Peptid Spaltprodukt des Eiweißabbaus, das aus zwei oder mehreren Aminosäuren besteht. Placebo Wird Patienten als Kontrollmittel gegeben, um die tatsächliche Arzneiwirkung von der psychischen Komponente einer Heilmittelgabe unterscheiden zu können. Im Geschmack, im Aussehen gleicht ein Placebo dem echten Arzneimittel, jedoch hat es keinerlei Wirkung. Spontanheilung Tritt Heilung eines Leidens ein ohne daß besonders behandelt wurde, dann spricht man von Spontanheilung. T-Zelle Gehört zu den weißen Blutkörperchen und ist hauptsächlich an der Körperabwehr auf Zellebene beteiligt. Toxigen Wenn ein Giftstoff erzeugt wird - oder etwas durch eine Vergiftung verursacht wird- kann man von einer toxigenen Wirkung sprechen. …und dann noch: Man höre und staune: Nikotin gut für Hirnzellen ! Karl Olov Fagerström will herausgefunden haben, daß der Suchtstoff Nikotin die Konzentrationsfähigkeit erhöht und ein vorzeitiges Absterben von Hirnzellen verhindert. Daher soll nun Nikotin vorbeugend gegen die Alterskrankheiten Alzheimer und Parkinson zum Einsatz kommen. Soetwas nehmen die Suchtstoff-Freunde natürlich dankend auf. Jetzt hoffen die Gastronomen, mit ähnlich verheißungsvollen Forschungsergebnissen der Krise an der Bierfront wirkungsvoll entgegentreten zu können. Neuste Untersuchungen aus der Tiefenbewußtseins-Forschung sollen ergeben haben, daß tiefgreifende Bewußtseinsstörungen durch die Vornahme strenger Alkohol-Diäten in durchaus völlig gesunden Tiefschlaf übergeleitet werden können. Den Probanden habe man den Eintritt in die Tiefschlafphase jeweils in Form eines Peng-Geräusches akustisch wahrnehmbar gemacht, um andererseits einer Schlafsucht vorzubeugen. Damit bewahrheitet sich einmal wieder, mit Hopfen und Malz - da knallt´s. Die ausgegebene Losung lautet also : Alkohol-Therapie ? 8.9 „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1995 Seite 3: Nun ist es also doch geschehen, schrieb uns unser Leser Gerd. K. aus Weil der Stadt. Gemeint ist damit die Tatsache, daß sich die Verhinderer des MS-Medikaments Deoxyspergualin (DSG) durchgesetzt haben. Sie hatten keine Argumente, aber den längeren Arm. Es ist schon ein bißchen komisch, wenn an einer unheilbaren Krankheit leidende Patienten einen Hoffnungsschimmer sehen, eine wissenschaftliche 350 Studie aus Hoffnungen Tatsachen werden läßt und ein paar beleidigte - aber auf wichtigen Posten sitzende - Schreibtischtäter ihren sturen Kopf durchsetzen. Offensichtlich hat noch niemand begriffen, daß es sich dabei um schwerkranke Patienten und nicht um Versuchstiere aus einem Labor handelt. Oder haben wir es nicht verstanden? Die Redaktion dieser Zeitschrift hat sich in den letzten Jahren zwei wesentliche Fragen gestellt. Zunächst: Kann DSG die Erwartungen erfüllen? Diese Frage konnte nur eine wissenschaftlich korrekt durchgeführte Doppelblindstudie beantworten. Das war und ist nach wie vor der selbstgesetzte Maßstab der Wissenschaft. Als die Studie des Pharmaherstellers Behringwerke anlief mußten wir zähneknirschend abwarten. Dann kamen die äußerst positiven Zwischenergebnisse und absolut folgerichtig der Eilantrag auf Zulassung. Die Auswertung der Jahresergebnisse bestätigte den Trend: Klinische Verbesserung und in schweren Fällen Abbremsen des Krankheitstempos. Dann wurden die Stimmen der Verhinderer immer lauter. Die Zulassung verzögerte sich und wir stellten uns die zweite Frage: Liegen wir vollkommen falsch und haben die Verhinderer vielleicht Recht? Sind wir einer riesigen PRKampagne aufgelaufen? Die Behringwerke haben sich nie richtig in die Karten schauen lassen, dennoch waren wir es unseren Lesern und unserer journalistischen Verpflichtung schuldig, exakte Beweise zu liefern. Im November 1994 hatten wir nach starkem Drängen endlich die Gelegenheit, die DSG-Studienergebnisse in Marburg einzusehen. Keine geheime Verschlußsache mehr. Obwohl wir uns verpflichten mußten, keine Veröffentlichungen vorzunehmen, war es für unsere junge Redaktion intern sehr wichtig, die nackten Fakten, Zahlen und Auswertungen kritisch zu prüfen: Wir lagen richtig. DSG ist kein Wundermittel, aber vom positiven Wirkungsund Nebenwirkungsprofil her gibt es zur Zeit kein ähnliches Präparat! Uns erscheint es sehr wichtig, den geneigten Lesern mitzuteilen, daß wir unseren Job ordentlich gemacht haben und ihn weiter sauber ausführen werden. Dabei werden wir uns nur der Wahrheit verpflichtet fühlen. Auch wenn die „wissenschaftliche Wahrheit“ zu einer Lüge verdreht wird, werden wir es Sie wissen lassen. Der von den Behringwerken eingelegte Widerspruch gegen diese Skandalentscheidung gibt zwar noch ein wenig Hoffnung, dennoch scheint keiner mehr über das von den Verhinderern ausgelegte Minenfeld gehen zu wollen. Solange keine grundsätzliche Reform des maßgeblichen Arzneimittelgesetzes einerseits und die Beseitigung bestimmter personeller Strukturen andererseits vollzogen wird, bleibt die optimale Arzneimittelerforschung und -versorgung eine unwägbare Glückssache. Offenbar sieht der dafür verantwortliche Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer noch keinen Handlungsbedarf. Wir werden Sie über die weitere Entwicklung natürlich auf dem Laufenden halten. Daß die Therapie von Autoimmunkrankheiten die zentrale Herausforderung für die Wissenschaft in den nächsten Jahren sein wird, hat sich längst herumgesprochen. Auch wenn ein paar „Ewiggestrige“ lieber weiter in der medizinischen Steinzeit leben wollen, hat die Pharmaindustrie längst reagiert. Weitere hochinteressante Substanzen werden klinisch erprobt. Ein neuartiges MS-Mittel steht kurz vor einer großen Studie. In sogenannten Pilotstudien 351 zeigte Linomide erstaunliche Wirkung bei schubförmiger und chronischer Verlaufsform. Wir haben bereits in einer früheren Ausgabe darauf hingewiesen (autoimmun 1/94, S.11) und greifen den Immunmodulator in dieser Ausgabe noch einmal auf. Dem schwedischen Hersteller ist nur zu empfehlen, um die deutsche Pharmalandschaft soweit wie möglich einen großen Bogen zu machen. Oder ist das aufgestellte Schild nicht zu lesen? „Vorsicht, Arzneimittel-Entwicklungsland!“ Ihre Redaktion Seiten 4, 5 und 6: Schlag ins Gesicht der Patienten Die Zulassung des wirksamen MS-Medikaments Deoxyspergualin wurde versagt Am 28. 4. 1995 ließ das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über den Pressedienst mitteilen: „BfArM mußte die Zulassung für das Arzneimittel Immodul mit dem Wirkstoff Deoxyspergualin (DSG) versagen“. Damit versetzte die ohnehin umstrittene und bei Bundesgesundheitsminister Seehofer in Verruf geratene Behörde tausenden von MS-kranken Patienten einen Schlag ins Gesicht. In dem schnöde abgefaßten Papier der obersten Arzneimittelwächter wird festgestellt, daß der Antragsteller Behringwerke AG „keine ausreichenden Belege für eine Wirksamkeit der Substanz“ beigebracht hat. Eine paar Absätze später betonen die Beamten „einige positive Befunde“, doch lägen „keine verwertbaren Erkenntnisse über Risiken bei längerer Anwendung“ vor. Die unklare Rolle der Behörde bei dem Eilzulassungsverfahren von DSG zeigte sich bereits nach dem Verstreichen der von der Behörde selbst angekündigten Bearbeitungsfrist von vier bis sieben Monaten. In ihrem Papier scheut das Überbleibsel des von Seehofer wegen Unfähigkeit aufgelösten Bundesgesundheitsamts sich auch nicht zu erwähnen, die Behringwerke schon bei der Planung der Studie beraten zu haben. Dies ist durchaus richtig und in aller Regel auch wünschenswert, kommentiert Behringforscher Dr. K. Theobald: „Für den Patienten und eine schnelle Zulassung von Arzneimitteln ist es enorm wichtig, wenn Behörde und Pharmaunternehmen bereits früh Kontakt miteinander aufnehmen.“ Doch verschweigt das BfArM konkrete Zusagen an Pharmaunternehmer. „Man sagte uns zu Beginn der Studie: Sollten Hinweise auf Wirksamkeit vorliegen und eine gute Verträglichkeit von DSG beobachtet werden, würde das MS-Medikament zugelassen werden“, erinnert sich der aus dem Behringvorstand ausgeschiedene und zu Hoechst gewechselte Exvorsitzende Prof. Dr. Gregor Schulz. Dementsprechend herrscht bei den Marburgern eine geknickte Stimmung. „Die Behörde hat sich nicht an konkrete Absprachen gehalten. Auf einmal waren wir die bösen Buben“, kommentiert Pressesprecher Dr. Wolfgang Faust den Vorgang. Faust weiter: „Natürlich haben wir gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. Vieles, was uns das Amt vorwirft, können wir nicht einfach so stehen lassen. Da muß einiges richtig gestellt werden.“ 352 Der Widerspruch ist ein verwaltungsrechtliches Mittel, das die Behörde verpflichtet, den Vorgang nochmals genau zu prüfen. Sollte der Widerspruchsbescheid erneut negativ ausfallen, müßten sich Behrings Juristen Gedanken über eine Verpflichtungsklage machen. Damit könnte man im Erfolgsfall die Behörde durch ein Verwaltungsgericht zu einem positiven Bescheid verurteilen lassen. Ein lang andauerndes Verfahren, das allerdings durch ein sogenanntes „123-Verfahren“ (§ 123, Verwaltungsgerichtordnung, Erlaß einer einstweiligen Anordnung) beschleunigt werden könnte. Doch bereits jetzt verkündet Behring, daß das Unternehmen nicht an einem weitergehenden Rechtsstreit interessiert ist. Seehofers Behörde könnte somit durch einen negativen Bescheid die Akte DSG endgültig schließen. Deshalb lassen einige Patienten von einem Rechtsanwalt prüfen, ob eine Drittwiderspruchsklage gegen den Behördenbescheid Aussicht auf Erfolg hätte. Das Problem könnte in der fehlenden Klagebefugnis der MS-Kranken liegen. Doch scheint bei einer drohenden Gesundheitsverschlechterung durch Unterlassen einer möglicherweise wirksamen Therapie die Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit in Betracht kommen. Damit könnte man klagebefugt vor das Verwaltungsgericht ziehen. Die Behringwerke werden einen juristischen Weg kaum gehen, denn man hat in Zukunft noch eine ganze Reihe von Produkten beim BfArM vorzuführen. Da möchte man mit der Behörde nicht im Clinch liegen. Doch genau dieser Zustand ist bereits eingetreten. So verwundert es gar nicht, wenn sich im idyllischen Marburg zwei Lager aufgetan haben: Einige Mitarbeiter sind bereit, mit den positiven DSG-Ergebnissen bis zur letzten Instanz zu gehen. Auch um sich gegenüber den Berlinern für zukünftige Zulassungsverfahren den nötigen Respekt zu verschaffen. Eine andere Gruppe möchte das DSG-Projekt lieber fallen lassen. Letztlich fehlt den Mitarbeitern auf der mittleren Ebene die Motivation, denn die wirtschaftliche Zergliederung der Hoechst-Tochter in drei Teile ist kein Geheimnis mehr. Die Zulassungsbehörde zeigt sich davon völlig unbeeindruckt. Man hat vom Schreibtisch aus Macht bewiesen, auch wenn es zum Leidwesen vieler MSPatienten ge-schah. Die Kompetenz zur Beurteilung der DSG-Wirksamkeit scheint den Beamten allerdings zu fehlen. Der Sachbearbeiter für das DSGZulassungsverfahren, Prof. Dr. Joseph Karkos, gab autoimmun eine Lehrstunde für das Verständnis der Krankheit Multiple Sklerose: „Die MS ist eine harmlose Krankheit. Sie tritt bei den jungen Leuten während der Pubertät auf und verschwindet dann wieder. Schwere Fälle sind sehr selten und mir nicht bekannt.“ Karkos Vorgesetzter und Abteilungsleiter, Prof. Dr. Gottfried Kreutz, scheint ebenfalls auf dem falschen Platz zu sitzen. Über 15 Behördenmitarbeiter beschwerten sich schriftlich beim Behördenleiter und schließlich bei Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer über Kreutz. Sie warfen ihm unter anderem vor, daß er durch unklare Anweisungen einzelne Zulassungsverfahren verschleppt. Die behördeninterne Auffassung, das MS-Medikament den Patienten nicht zu geben, setzte sich bereits im Herbst 1994 durch. Der bis dahin auskunftsfreudige Abteilungsleiter für Arzneimittelzulassungen, Dr. Harald Schweim, gab gegenüber autoimmun deutlich zu verstehen, daß eine Zulassung sehr unwahrscheinlich ist. Stattdessen solle man sich eher auf 353 andere Produkte konzentrieren. Hierbei bot der Privatdozent seine materielle Hilfe an. Eine Initiative um die beiden Bundestagsabgeordneten Ilse Falk und Wolfgang Börnsen (beide CDU) nahm diese Zeichen sehr ernst und alarmierte Seehofer, der sich als oberster Dienstherr verärgert über das BfArM zeigte. Als konkrete Maßnahme wurden mehrere Treffen in Bonn bei Seehofer veranstaltet. Teilgenommen haben alle Verfahrensbeteiligten. Greifbare Ergebnisse konnten nicht erzielt werden. Das Maleur war allen bewußt. Nur Seehofer selbst hätte mit einer radikalen Entscheidung eingreifen können. „Doch solange wir den Eindruck haben, daß die Berliner Behörde noch alles im Griff hat, wird sich der Minister nicht einmischen. Die Entscheidung über die Zulassung liegt ausschließlich in Berlin“ erklärte Seehofers Pressesprecherin Klug. Jedoch ließ sich die Berliner Behörde nicht reinreden. Allerdings gab man den Behringwerken die Möglichkeit, ihre Ergebnisse der Behörde und den Politikern bei einem eilig angesetzten Termin in Berlin zu präsentieren. Hier versagten die Marburger. „Eine ganz schlechte Vorstellung von den Behringwerken. Ich bin enttäuscht“ brüskierte sich Wolfgang Börnsen. Damit war der Zug abgefahren. Die Behörde besorgte sich nun einen Gutachter ihrer Wahl - Prof. Dr. Dieter Schmidt, einen Epilepsieexperten, dem vorgeworfen wird, er hätte einen Chefarztposten wegen sexueller Belästigungen von Patientinnen verloren. Schmidts Gutachten entsprach dann auch ganz den Vorstellungen der DSG-Verhinderer. Die Behringwerke sahen nun ihre Felle davonschwimmen. Über einen weiteren Seehofertermin setzten sie ein erneutes Gutachten durch. Dieses sollte nun vom Ärztlichen Beirat der DMSG e.V. erstellt werden. Offensichtlich entging den Marburgern, daß die Patientenvertretung der MS-Kranken von Beginn an DSG ablehnte. Zahlreiche öffentliche Äußerungen gaben Zeugnis darüber ab, daß man von dem Medikament nicht viel hielt. Eine sachliche Auseinandersetzung im Interesse der Patienten fand genauso wenig statt wie eine wissenschaftliche Bewertung der Studienergebnisse, die den Teilnehmern der 6 mg/KG-Gruppe bis zu 0,7 EDSS-Punkte zurückgaben. Stattdessen wurde eine emotional geführte Kampagne gegen den Entdecker des DSG, Prof. Dr. Niels Franke, geführt. Darunter litt jeglicher Dialog über eine neue Therapiechance für die Patienten. Die führenden Köpfe der DMSG e.V. verteufelten Franke und damit auch ein potentiell wirksames Medikament. Nicht alle Landesverbände haben diese Politik mitgetragen. Darüber ärgerte man sich offensichtlich in der Zentrale und verbot den Landesgeschäftsführern, Franke bei Veranstaltungen reden zu lassen. „Man teilte uns mündlich mit, daß Vorträge von Franke nicht mehr stattfinden sollten“, erläuterte die Geschäftsführerin des Landesverbandes Berlin, Ilona Nippert, im November 1994 die Order. Genau dieses Redeverbot für Franke kritisierte wenig später der Vorsitzende der Multiple Sklerose - Selbsthilfe e. V. Marktredwitz, Klaus Josten. Prompt meldete sich ein Rechtsanwalt, der den DMSG-Bundesverband vertrat, und forderte die Unterlassung der Behauptung. Josten hielt seine Behauptung aufrecht. Die DMSG-Forderung verstummte. Als dann der ärztliche Beirat der DMSG e.V. zu gutachten hatte, war es nur noch eine Formsache. Die MS-Päpste - bestehend aus Prof. Dr. K.V. Toyka, 354 Prof. Dr. D. Seidel und Prof. Dr. H.-P. Hartung - ließen sich nur zu einer zweiseitigen Stellungnahme hinreißen, verloren kein Wort über die Wirksamkeit und kritisierten die Behringergebnisse als unwissenschaftlich bewertete „hauseigene Beurteilung“. Damit ist ganz deutlich gesagt worden: Was Wissenschaft ist, bestimmt der Ärztliche Beirat der DMSG e.V. Die Marburger haben offenbar diese Erkenntnisse zu keinem Zeitpunkt realisieren können. Selbstbewußt und wissenschaftlich auf höchstem Niveau wurde die DSG-Studie angelegt und durchgeführt. Doch ohne den Segen der DMSG e.V. wird kein noch so wirksames Medikament den leidenden Kranken zur Verfügung gestellt. Da werden lieber 50.000 EDSS-Punkte pro Jahr bei den MS-Patienten an Krankheitsverschlechterungen mit elendem persönlichem Leid und riesigem volkswirtschaftlichem Schaden geduldet. Solange es noch öffentliche Bezüge, Forschungsgelder und zahlungsfähige Privatpatienten gibt, soll die Multiple Sklerose noch weitere 100 Jahre unerforscht bleiben. 355 Hersteller Forschungsnam Land Klinischer Status Möglicher e Verkauf Rentschler Beta Interferon Deutschland Unbekannt Im Verkauf Schering Beta Interferon Deutschland In USA Im USA-Verkauf, 1b abgeschlossen für Europa 1995 Nippon Deoxyspergualin Deutschland/Jap Phase III in Japan im Kayaku/Hoechst an Verkauf (andere Indikationen) Xenova/Roche Anti-CD4/MAb Groß Britanien Vorklinische Unbekannt Phase Teva Copolymer-1 Israel Phase III 1995 abgeschlossen Daiichi Beta Interferon Japan Unbekannt Unbekannt Kabi Pharmacia Linomide Schweden Phase II/III Ares-Serono Beta Interferon Schweiz Phase III Im Verkauf Ares-Serono Beta Interferon Schweiz Phase II/III Im Verkauf 1a Anergen MHC Peptide USA Phase I 1999 Athena AN-100226 USA Vorklinische 1999 Neurosciences Phase Autoimmune Inc. Bovine Myelin USA Phase III 1996 Biogen Beta Interferon USA Phase III 1a abgeschlossen Cel-Sci T-Cell Vaccine USA Phase II 1998 Celtrix TGF-B2 USA Phase I 1998 Centocor Anti-CD4 MAb USA Phase II Unbekannt Icos 23F2G USA Phase I 1999 Immune AI-208 USA Phase I 1999 Response Neurocrine Anti-Vb5.2. USA Vorklinische 1999 Biosciences Phase Protein Design A-Gamma USA Vorklinische 1999 Labs Interferon Phase T-Cell Sciences TM-27-Antigen USA Vorklinische Unbekannt Receptor Phase Xoma Immunofusion USA Vorklinische 2000 Protein Phase Seiten 7 und 8: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – unfähig? Von Niels Franke Die Ablehnung des Eilanträges zur vorläufigen Zulassung von Deoxyspergualin (DSG) durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist für alle MS-Kranken ein erschreckendes, deprimierendes Signal. Es sagt viel über den Zustand der Behörde, nichts über die Wirksamkeit oder über die Nebenwirkungen der Substanz aus. 356 Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat den gesetzlichen Auftrag, Schäden, die nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaften absehbar wären, von den Patienten abzuwenden. Weiter muß bei Medikamenten zur Behandlung von Krankheiten vor einer vorläufigen Zulassung eine Wirkung nicht gesichert, aber doch durch starke Hinweise belegt sein. Der Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte liegen keine stichhaltigen und sachlichen Argumente zugrunde, es ist ein emotionaler Entscheid. Die Sicherheit der Patienten wird durch diese Entscheidung nicht erhöht, im Gegenteil, die Kranken werden gefährdet. Die Gefahr kommt einmal aus der Bedrohung durch die fortschreitende, unbehandelbare Krankheit. Zum anderen aus der jetzt unkontrollierten Anwendung der neuen Substanz.. Aufgrund ärztlicher Therapiefreiheit ist jeder Arzt dazu berechtigt. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse geben auch Anlaß dazu. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat schon in der Vergangenheit häufig seinen gesetzlichen Auftrag nicht erfüllt, es hat versagt. Mit der Zulassung einer Substanz ist die Aufgabe der Behörde nicht beendet. Nur eine dauernde Überwachung der Anwendung kann vor den nicht absehbaren Nebenwirkungen schützen. Zahlreiche Arzneimittelskandale der letzten Zeit - bekannt und unbekannt - belegen die Unfähigkeit dieser Verwalter. Was kann nun der Grund für die Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sein? Ich denke, die Behörde versucht, jenseits ihres gesetzlichen Auftrags Wissenschaftspolitik zu machen. Bisher ist noch keine wirklich gültige Hypothese über die Pathophysiologie von Autoimmunkrankheiten, auch der MS, entwickelt worden. Die vorliegende Entscheidung soll wohl Anlaß für die MS-Forscher sein, bessere Hypothesen und Theorien über die Krankheitsentstehung vorzulegen. Das ist ein menschenverachtendes Vorhaben der „Fachärzte für den Schriftverkehr“ im Amt, es geht an der medizinischen Realität, an der Not der Kranken und ihrer Ärzte vorbei. Die Entscheidungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte müssen durch rechtliche und politische Einflußnahme korrigiert werden. Die Behringwerke - der Lizenznehmer von DSG - haben Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt. Ein erster Schritt. Es ist zu hoffen, daß auch die Politik die Einstellung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zurechtrückt und sie zu gesetzlichem Handeln zwingt. Bisher nicht gemeldet … Behörde bediente sich selbst Ein Mitarbeiter der Zulassungbehörde (Kommission A) erhielt von den Behringwerken schon 1993 DSG für die Behandlung seines MS-kranken Sohnes. Der Patient erhielt von seinem Vater 6 mg/KG, heute geht es ihm gut. Als der Vater, der in zahlreichen Ausschüssen und Beiräten sitzt, über die Zulassung von DSG mitentscheiden sollte, entsandte er einen Vertreter, da er sich befangen fühlte. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte reagierte verstört auf den Vorwurf, daß Mitarbeiter sich erstmal selbst bedient hätten. 357 DSG-Ergebnisse besser als bekannt Die der Zulassungsbehörde vorgelegten Studienergebnisse sind besser, als die Auswertung vorgibt. Der Grund: Vier Placebopatienten behandelten sich nach Bekanntwerden ihres Loses auf eigene Faust mit selbstbeschafftem DSG, blieben jedoch in der Auswertung. Keiner merkte es, aber das positive DSG-Ergebnis wurde dadurch abgewertet. Drei weitere Studienteilnehmer der Placebogruppe behandelten sich mit Imurek weiter, keiner wollte Placebo-Opfer werden. Vier weitere Patienten tauschten während der DSG-Infusionen untereinander ihre Flaschen aus, „damit jeder etwas abbekam!“ Durch die bekanntgewordenen Fälle ist eine statistisch meßbare Schieflage entstanden, die das DSG-Ergebnis noch positiver erscheinen läßt. Kappos nicht gekauft Bei der DSG-Versagung spielte der Privatdozent Dr. Harald Schweim von Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine entscheidende Teilrolle. Auf die Frage, ob er denn die Neutralität des klinischen Leiters der DSG-Studie, Prof. Dr. L. Kappos, respektiere, antwortete der Beamte: „Die sind von den Pharmafirmen alle gekauft, die müssen positive Ergebnisse präsentieren.“ Daß Kappos nicht an den eigene Profit gedacht hatte, beweisen autoimmun vorliegende Dokumente. Danach bat Kappos die Behringwerke darum, seine Auslagen auf ein Forschungskonto zu überweisen, da er „keine persönlichen finanziellen Vorteile“ aus der Teilnahme ziehen wollte. Behörde mußte sich schützen Wie wenig sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte um die Belange der MS-Kranken und die Informationspflicht gegenüber der Presse kümmerte, bekam autoimmun im Februar 1995 schriftlich geliefert. Die Pressesprecherin der Behörde, Karin Günther, kommentierte unsere Recherchearbeit damit, „daß … wir uns dagegen verwahren müssen und ggf. weitere Schritte zum Schutz der Mitarbeiter überlegen werden.“ Verzögerung für Betaseron? Die Hoffnungen auf wirksame Medikamente gegen die heimtückische Krankheit Multiple Sklerose (MS) werden auf eine harte Probe gestellt. Keine Ausnahme macht da das Medikament Betaseron der Schering AG. Dieses gentechnisch erzeugte Beta-Interferon wird nicht so schnell verfügbar sein, wie noch vor Monaten vermutet wurde. Im Mai 1994 ist die Zulassung bei der europäischen Behörde CPMP beantragt worden. Man rechnete mit einer Bearbeitungsdauer von einem Jahr. Solange brauchte das Zulassungsverfahren in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, dort ist das Medikament mittlerweile offiziell erhältlich und beschert dem Scheringkonzern eine spürbare Umsatzsteigerung. Aber was in den USA möglich ist, das muß für die Euro-Bürokraten noch lange kein Maßstab sein. Die ehrgeizigen Pläne von Schering mit dem Produkt Betaseron werden sich wohl in Europa nicht so bald verwirklichen lassen, wenn es nach dem Willen der europäischen Bürokraten geht, meint eine Pressesprecherin des Konzerns. Biotechnische Produkte brauchen schon jetzt eine Zulassung durch europäische Zulassungsgremien, den nationalen Behörden wird beim 358 Zulassungsverfahren allenfalls eine beratende Funktion zugestanden. Seit Anfang 1995 liegt die Zuständigkeit bei einer anderen Europabehörde, der EMEA in London. Ob der Grund der Verzögerung in dem unzureichenden Herstellungsverfahren der Firma Schering zu suchen ist, wie gemunkelt wird, oder ob die Entscheidung in der unüberschaubaren Kompetenzrangelei von Behörden und Gremien abgebremst wurde, das kann den Kranken gleichgültig sein. Wichtig ist, daß wiedereinmal ein erfolgversprechendes Heilmittel nicht dahin gelangen kann, wo es dringend gebraucht wird. Warten und nochmals abwarten zu müssen, ist nicht die rechte Medizin für leidende Menschen, die nicht alle Zeit dieser Welt haben, für Menschen, die in der Gefahr schweben, jeden Tag, der ohne wirksame Therapie vergeht, in ein Leben mit immer mehr Qual abzurutschen. Seite 9: Neuer Immunmodulator bremst MS-Verlauf Demnächst weltweite Multizenterstudie bei Multiple Sklerose Die Therapie von Autoimmunkrankheiten ist zweifellos eine zentrale Herausforderung für Wissenschaft und Medizin. In den nächsten Jahren werden eine Reihe von Medikamenten mit neuen Wirkungsmustern und reduziertem Nebenwirkungsprofil die klinischen Forschungsstätten durchlaufen und damit beim Wettlauf um den lukrativen Markt antreten. Das schwedische Unternehmen Pharmacia hält mit der Substanz Linomide ein interessantes Präparat in der Hand. Dabei handelt es sich um einen neuen synthetischen Immunmodulator. Noch ist der Wirkungsmechanismus von Linomide nicht ganz geklärt, aber die Substanz verursacht eine Aktivitätssteigerung der natürlichen Killerzellen, also keine Immununterdrückung, sondern eine Stimmulation. Zusätzlich hemmt Linomide auch die Synthese von Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha) in den Makrophagen. In der Onkologie werden derzeit mehrere klinische Studien durchgeführt. Bei Patienten mit akuten myeloischen Leukämien nach autologer Knochenmarkstransplantation werden die ersten Ergebnisse zur Wirksamkeit von Linomide in etwa einem Jahr erwartet. „Doch wirklich interessant wird Linomide bei den Autoimmunkrankheiten“, erläutert Dr. Sandor Kerpel-Fronius (Leiter der klinischen Forschung Onkologie - Immunologie, Pharmacia, Deutschland) die Erfolgsaussichten des Medikaments. Mit strenger Systematik hat Pharmacia die vorklinischen Untersuchungen betrieben. Bereits bei der experimentellen allergischen Encephalitis (EAE), die in einigen Bereichen der menschlichen MS ähnlich ist, konnte das typische Krankheitsbild - fortschreitende Bewegungsunfähigkeit verhindert werden. Dies bestätigt auch eine kleinere Multiple Sklerose (Phase II)-Studie, die von Prof. Dr. O. Abramsky und Mitarbeitern - Hadassah Hebrew University, Jerusalem - mit zwölf Patienten durchgeführt wurde. Einbezogen wurden Patienten mit einem chronisch-progredienten Verlauf der Krankheit. Prof. Dr. Olof Borg - Leiter der Forschung und Entwicklung des Bereiches Onkologie und Immunologie, Pharmacia, Milano - beschreibt den Zustand der Patienten 359 als „auf der Schwelle zum Rollstuhl“. Gemeint ist damit ein EDSS zwischen 4 und 5 Punkten. Den Patienten wurde Linomide oral verabreicht. Nach sechs Monaten kam es zu einer Abbremsung des Krankheitsverlaufs, bei einigen sogar zur Verbesserung ihres Zustands. Die Patienten, die lediglich ein Placebo erhalten hatten, mußten eine Krankheitsverschlechterung hinnehmen. Aufgrund dieser positiven Ergebnisse entschloß sich das Unternehmen, eine größere (Phase III) Studie durchzuführen. Hierbei sollen sowohl Patienten mit schubförmigem als auch solche mit chronisch-progredientem Verlauf der MS einbezogen werden. Angeschlossen werden sollen fast alle Länder, „in denen die Multiple Sklerose verbreitet ist“, erklärt Kerpel-Fronius. Die Studien sollen noch in diesem Jahr anlaufen. Viele mögliche Prüfzentren in Deutschland sind zur Zeit mit dem in seiner Wirkung begrenzten BetaInterferon blockiert, so daß es deshalb zu Verzögerungen kommen könnte. Seiten 10 und 11: DAK unterstützt ehrenamtliche Pfleger Die Deutsche Angestellten Krankenkasse bietet ehrenamtlichen Pflegern kostenfreie Schulungskurse. Gelernt werden können das richtige Lagern von Kranken, Grundkenntnisse in Arzneimittelgabe und Ernährungszusammenstellung. Nach Abschluß werden ein Zertifikat und ein Handbuch überreicht. Informationsmaterial und Anmeldeformulare halten die DAK-Geschäftsstellen bereit. Stabile Pharmapreise Nach Auffassung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie werden die Preise für Arzneien auf absehbare Zeit stabil bleiben. Hintergrund sei die massive Verschärfung des Wettbewerbs und die Tatsache, daß die Preise kaum mehr frei kalkuliert werden könnten. 66 Prozent der Arzneimittel seien zudem seit Januar 1995 der Festbetragsregelung unterworfen, bei der die Krankenkassen die Preise bestimmten. Rezepte nicht knicken Um Geld von den Kassen zu erhalten, müssen Apotheker seit 1. Januar die sogenannte „Pharmazentralnummer“ auf den Rezepten vermerken. Da dieses wegen der elektronischen Verarbeitung lediglich bei glatten Rezepten möglich ist, bitten die Apotheker darum, diese nicht zu knicken. Verjährung hinausgeschoben Nach einer Entscheidung des Deutschen Bundestages ist die Verjährungsfrist für Klagen im Zusammenhang mit dem Aids-Blut-Skandal gegen die Bundesregierung auf Ende 1995 hinausgeschoben worden. Steuerfreibetrag für geringe Behinderung Körperbehinderte, deren Grad der Behinderung unter 50, aber über 25 Prozent liegt, haben ab 1995 Anspruch auf einen Steuerfreibetrag, selbst dann, wenn ihre Behinderung „äußerlich nicht erkennbar“ ist. Darauf machte der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine aufmerksam. Voraussetzung 360 ist allerdings, daß die Behinderung von den Versorgungsämtern bescheinigt wird. Diese wird dann bei der Steuerveranlagung den Finanzämtern vorgelegt. Diphtherie-Epidemie in Europa: Experten empfehlen Schutzimpfung Die Diphtherie gehört eigentlich der Medizingeschichte an, dachte man. Nun empfiehlt die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts allen Erwachsenen, dringend zur Wiederimpfung zu schreiten. Die Diphtherieimpfung könne man gleichzeitig mit der Auffrischungsimpfung gegen den Wundstarrkrampf durchführen lassen. Grund für die Empfehlung ist das Aufkommen neuer Erkrankungen in Osteuropa. Alleine in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist die Zahl der Diphtherieerkrankungen von 4.000 im Jahre 1990 auf über 50.000 1994 dramatisch angestiegen. Mittelasien und der Kaukasus sind am stärksten betroffen. Rund 2.000 der bekannten Fällen sind tödlich verlaufen. In Deutschland sind bisher sechs Diphtheriefälle bekannt geworden. Übertragen wird die Krankheit über die Atemwege oder durch Anhusten. Der Erreger ist das Corynebacterium Diphtheriae. Dieses Bakterium selbst löst aber nicht die Erkrankung aus, sondern das von den Bakterien an das Blut abgegebene Gift Toxin. In der Folge kann es zu Halsschmerzen, Fieber und schwerer Atemnot kommen. Auch der Befall von Herz, Nieren und Nerven kann auftreten. Die in Osteuropa beobachtete Diphtherie-Epidemie wird von Experten als sehr gefährlich eingestuft, weil die Bakterienstämme eine sehr große Menge des Giftes produzieren. Inzwischen ist ein internationales Hilfsprogramm gestartet worden. Die GUS-Staaten erhalten rund 80 Millionen Mark. Damit soll die Früherkennung der Krankheit verbessert werden. Neben der Optimierung der medizinischen Versorgung sollen vor allem Immunitätslücken durch gezielte Impfkampagnen geschlossen werden. Die erfolgreiche Therapie der Diphtherie wird mit einem Gegengift und dem Antibiotikum Penizillin durchgeführt. Entdeckt hatte das Gegengift 1889 der Forscher Emil von Behring. Er entwickelte das Gegengift Antitoxin, ein Produkt des Diphtherieerregers. 1893 nahm von Behring erste Versuche am Menschen vor. Schon ein Jahr später konnte die Sterblichkeitsrate von 51 Prozent auf 24 Prozent gesenkt werden. Auch wenn die medizinische Versorgung und Therapie verbessert wurde, ist die Diphtherie damit nicht ausgerottet, sie kann immer mal wieder auftauchen. In Deutschland starben 1942 etwa 15.000 Menschen an der letzten Diphtherie-Epidemie. Neuer AIDS-Test in den USA In den USA hat die Arzneimittelaufsichtsbehörde (FDA) eine neue Methode für einen AIDS-Test anerkannt. Anstatt das Blut zu untersuchen, wird jetzt zuerst der Speichel getestet. Falls die Speicheluntersuchung auf eine Infektion hindeutet, wird zur Sicherheit auch noch ein Bluttest vorgenommen. Galanthamin im Einsatz gegen Alzheimer Eine britische Pharmafirma plant eine europäische Studie mit dem Alkaloid Galanthamin. Dieser Stoff kommt auch in Schneeglöckchen und Narzissen vor. Das britische Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ berichtet, daß nach 361 ersten Versuchen am Menschen ein langsameres Fortschreiten der Krankheitssymptome bei Alzheimerpatienten beobachtet wurde. 30 Minuten Bewegung täglich Amerikanische Experten empfehlen zur Verhinderung von Herz-erkrankungen täglich eine halbe Stunde Bewegung. Diese 30 Minuten können auf mehrere Abschnitte am Tag verteilt werden. Vorgeschlagen wird zum Beispiel, mehr Wege zu Fuß zu gehen oder mehrmals am Tag Treppen zu steigen. Wichtig ist dabei auch, daß man ein wenig das Tempo steigert. Raucherbrüche heilen länger Das Ergebnis einer an der University of Texas Southwestern Medical School durchgeführten Studie brachte es nun wissenschaftlich an den Tag: Der Heilungsprozeß bei Rauchern dauert länger als bei Nichtrauchern. Für die Studie wurden 76 Schienbeinbrüche ausgewählt. Im Durchschnitt verheilte der Bruch bei Nichtrauchern schon nach 146 Tagen. Raucher mußten dagegen fast die doppelte Zeit auf Verheilung warten. Nach durchschnittlich 276 Tagen durften sie den Gipsverband ablegen. Bei zwei rauchenden Studienteilnehmern dauerte die Heilung sogar über ein Jahr. Süßwasserfische ungesund? Salzwasserfische scheinen mehr vor Herzinfarkt zu schützen als ihre Artgenossen aus dem Süßwasser. Zu diesem Ergebnis kam eine finnische Forschergruppe. Ausgehend von der These „Fisch ist gesund“ stellten sich die Epidemiologen die Frage: Warum gibt es im denn im Osten Finnlands deutlich mehr Herzinfarkte als im Westen? Die Antwort ist einleuchtend, denn im Osten werden mehr Süßwasserfische gegessen als im Westen, wo der Fisch aus dem Meer gefangen wird. Und der Süßwasserfisch besitzt weniger Omega-3-Fettsäuren, die angeblich vor Herzinfarkt schützen sollen. Hinzu kommt, daß die Süßwassertiere einen viel höheren Anteil an dem Schwermetall Quecksilber aufweisen als ihre Meereskollegen. Das giftige Quecksilber verursacht wiederum ein dreifach erhöhtes Herzinfarktrisiko. Antikörper wachsen im Reagenzglas Ein neuartiges Verfahren zur Produktion von monoklonalen Antikörpern haben Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts entwickelt. Bisher wurden zur Produktion der monoklonalen Antikörper „Aszites-Mäuse“ eingesetzt. Den Mäusen wurden Antikörper produzierende Tumorzellen in den Bauchraum gespritzt. Da diese Methode inzwischen als verbotener Tierversuch bewertet wird, kam es zur Suche nach einer Ersatzmethode. Inzwischen wurden am Robert-KochInstitut eine Vorrichtung und ein Verfahren entwickelt, mit dem die Herstellung von monoklonalen Zellkulturen im Reagenzglas möglich ist. Die Zellen wachsen bei dieser Methode in Dialyseschläuchen und können von außen mit der notwendigen Nahrung versorgt werden. Silikon-Skandal ohne Ende 362 Im amerikanischen Houston wurde eine US-Firma zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 5,2 Millionen Dollar verurteilt. Die Geschworenen hielten es für erwiesen, daß das Silikon-Brust-implantat vorher nicht ausreichend getestet wurde. Bei der 57-jährigen Klägerin kam es zu Nervenschäden und chronischer Müdigkeit. Der Ehemann erhielt von diesem Geldbetrag ebenfalls eine Million Dollar wegen der entgangenen Zuneigung. Bundesmittel für AIDS-Aufklärung Die von Bundesfinanzminister Theodor Waigel ursprünglich gekürzten Bundesmittel für die AIDS-Aufklärung bleiben nun doch erhalten. Der Haushaltsausschuß des Bundestages beschloß, die Finanzmittel um zwei Millionen Mark auf das Vorjahresniveau von 20 Millionen anzuheben. Zur Begründung gab ein Sprecher der Grünen an: Solange es keine Heilung durch Medikamente gibt, ist Aufklärung die einzige Vorbeugung gegen die Immunschwächekrankheit. Seiten 12 und 13: Leserpodium Nun ist es also doch geschehen... ...daß DSG nicht zugelassen wird. Eigentlich müßte ich jetzt sehr erleichtert sein! Stelle man sich doch nur vor, ich hätte dieses Medikament bekommen, hätte mich subjektiv besser gefühlt, und keiner hätte wissenschaftlich erklären können, warum. Aber durch den selbstlosen Einsatz des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte wurde ich vor dieser entsetzlichen Erfahrung bewahrt. Mein herzlicher Dank an die Verantwortlichen des Bundesinstituts! Ohne Ironie: Ich bin der Ansicht, daß ein hoffnungsvolles Medikament die Psyche positiv beeinflussen kann, besonders bei MS-Kranken, auch wenn die Wirkung nur placeboartig sein sollte. Und da eine günstige psychische Grundhaltung gerade für uns wichtig ist, könnte sich dies meines Erachtens in finanzieller Hinsicht auch für die Krankenkassen vorteilhaft auswirken. Diese Art der Wirkung hat sich bei mir jetzt - allerdings in der anderen Richtung gezeigt: Mein Wohlbefinden hat, seitdem ich die Nachricht der Nichtzulassung gelesen habe, deutlich gelitten, und ich bin da sicher nicht der einzige! Ich kann nur schwer nachvollziehen, daß ein Medikament - nach derart langer Zeit der Hoffnungslosigkeit - das zumindest in der ersten Testreihe deutlich positive Ergebnisse gezeigt hat, ganz abgeschrieben wird. So hätten wir wieder einmal die Situation, daß sich nicht jeder ein Stückchen Gesundheit leisten kann! Ich behaupte sogar, daß nun eine eher gefährliche Situation entstehen kann, da eine auf breiter Basis ärztlich kontrollierte Studie an vielen Patienten nicht mehr stattfinden kann. - Auch wird wohl der Zulauf zu sogenannten Wunderheilern aus lauter Verzweiflung wieder zunehmen. Ich möchte Sie trotz dieses niederschmetternden Ergebnisses ermutigen, weiterzumachen. Es tut gut zu wissen, daß es ein Organ gibt, daß uns über neue Forschungsansätze informiert! Gerd K., Weil der Stadt 363 Nicht empfehlenswert Um dem Antrag auf Zulassung von DSG Nachdruck zu verschaffen, wollten die Behringwerke Unterstützung durch die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) erreichen. Doch der Ärztliche Beirat der DMSG versagte seine Mithilfe. Frustriert, verstockt, denn die alte Dame war im Vorfeld des Entwicklungsprozesses nicht um Rat gefragt worden. Viele Kenner der Szene behaupten auch, die DMSG fürchte um ihren Bestand, Einfluß und Besitz, sollte einem Medikament Erfolg vergönnt sein. Die Hauptschuld am derzeitigen Stand trägt damit alleine die DMSG mit Ihrer Verweigerungshaltung. Das ist verwerflich! Nach ihrer eigenen Satzung sollte sie die MS bekämpfen, nicht aber um Besitzstandswahrung bemüht sein, wozu auch die Privilegien gehören, die sich die DMSG in vierzig Jahren als alleinige Vertretung der MS-ler verschafft hat, die Vorstandsposten, die bundesweite Organisation, das Image. Wir sagen: DMSG - nicht mehr empfehlenswert! Klaus E. Joosten, Bayreuth, MS-Selbsthilfe e.V. Für Laien verständlich Neulich erfuhr ich, daß ein neues Medikament vorgestellt wurde, das in Israel entwickelt worden ist. Dieses bereits in klinischen Studien erprobte Medikament Copolymer-1 interessiert mich. Da Sie in der autoimmun immer für den Laien verständlich erläutern, wäre ich dankbar, wenn Sie mehr darüber berichten könnten. Waldemar L., Igensdorf Fachbegriffe Vielen Dank für die autoimmun. Manchmal sind mir die medizinischen Artikel doch zu wissenschaftlich. Aber ich habe immer das Gefühl, daß ich als Leser ernstgenommen werde. Jetzt verstehe ich auch ein bißchen mehr, wenn mein Arzt mit Fachbegriffen um sich wirft. Auch er schaut sehr gern in die autoimmun, weil er auch nicht die Zeit hat, die schwierige Fachliteratur zu studieren. Sylvia S., Bonn Herausforderung Nach wie vor beschäftigt mich persönlich auch die leider häufige angstvolle „Ausgeliefertheit“ zu vieler Kranker. Daher habe ich meine eigene Erkrankung, die DSG-Thematik und insbesondere auch das Schicksal anderer als Herausforderung an mich und Aufforderung zum weiteren Eigenengagement angenommen. Mir ist eben selbst auch bewußt geworden, daß viele Kranke sich durch ihre eigene Angst häufig selbst ausgrenzen und bei Gesunden Berührungsängste erzeugen. Dies versuche ich durch eigene Aktionen abzubauen. Ich habe mich regional auch an der Gründung einer MS-Selbsthilfegruppe beteiligt und versuche, neben meinem recht hohen beruflichen Zeitbedarf das Thema „Krankheit und Behinderung“ auch meinen beruflichen Partnern darzustellen und als durchaus gesellschaftlich akzeptabel und „normal“ bei vielen ins Bewußtsein zu bringen. 364 Günther V., Alsfeld, Selbsthilfegruppe „Albatros“ Kinderwunsch und MS Seit 31/2 Jahren leide ich an einer schubförmigen MS und hätte sehr gerne in den nächsten Jahren ein Kind. Ich bin aber sehr verunsichert. Einige Fragen beschäftigen mich oft: Wie geht es mir gesundheitlich nach der Geburt, wenn ich (wenn auch nicht allein) dem Erziehungsstreß ausgesetzt bin? Was muß ich beachten, damit es keine gesundheitlichen Konsequenzen hat? Aber was mich am meisten belastet: Wird mein Kind auch einmal an MS erkranken? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit? Mir wäre sehr geholfen, wenn ich von betroffenen Eltern erfahren könnte, wie sie sich entschieden haben und welche Probleme auf sie zugekommen sind. Sind Sie in der selben Lage wie ich, oder haben Sie das alles schon durchgemacht? Ich wäre Ihnen sehr dankbar für einen Brief mit Ihren persönlichen Erfahrungen, da man über das Thema so wenig liest. Regina B., Mainz Anm. der Redaktion: Bisherigen Studien zufolge konnten keine Anhaltspunkte für eine Erblichkeit der MS gefunden werden. Es ist jedoch - wie bei vielen anderen Erkrankungen auch - nicht auszuschließen, daß vererbte Faktoren die Anfälligkeit für MS erhöhen. Es müssen jedoch immer mehrere Verursacher zusammenkommen. Die genetische Disposition alleine führt nicht zur Erkrankung. Unlogischer Behindertenhasser Beim Lesen des Artikels „Frechheit gehört zum Behinderten wie das Klappern zum Handwerk“ in der autoimmun 2/95 stieg zunächst Wut in mir auf. Kein normaler Mensch, auch noch ein angeblich studierter, kann so denken. Aber dann bekam ich plötzlich Mitleid mit Dr. Siepmann. Wer so verschrobene Gedanken hat, muß ein sehr verbitterter Mensch sein. Jemand, der keine Freude am Leben hat, der große Existenzängste haben muß. Ich bin 29 Jahre alt, seit 6 Jahren an MS erkrankt. Seit 4 Jahren bin ich auf einen Rollstuhl angewiesen. Ich gehe noch einer Arbeit nach und suche mir jetzt sogar eine neue, weil ich in meiner jetzigen Position nicht genügend ausgelastet bin. Ich muß darauf hinweisen, daß Dr. Siepmanns Aussagen teilweise unlogisch sind. Er nennt Behinderte „arbeitsscheue Randexistenzen“, aber wenn Behinderte gar nicht erst zum Arbeitsplatz fahren können, können sie auch keiner Arbeit nachgehen. Menschen wie Dr. Siepmann denken auch, daß sie irgendetwas nicht (bezahlt) bekommen, was Behinderten zuteil wird. Diesen Menschen mache ich den Vorschlag, von einem hohen Gebäude zu springen, vielleicht sind sie danach querschnittgelähmt o. ä. Dann sind sie auch behindert und können all die vielen Vorteile genießen, die wir so haben. Wie gerne würden wir auf unsere „Vorteile“ verzichten, könnten wir nur unsere Gesundheit wiedererlangen. Gitta R., St. Augustin Reaktionen 365 Nach Bekanntwerden der Zulassungsversagung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gingen in der Redaktion zahlreiche spontane Anrufe ein. Hier eine kleine Auswahl: Ist das die moderne Form des Massenmords? Man gibt der kranken sozialen Last keine Medikamente mehr. Dietmar Sch., Hamburg Meine Frau und ich sind entsetzt. Wir können es unserer MS-kranken Tochter nicht sagen. Sie hat so viele Hoffnungen in das japanische Mittel gesetzt. Klaus-Peter B., Essen Durch das Verbot, den Betroffenen eine lindernde MS-Arznei zu geben, werden nicht nur Hoffnungen enttäuscht, sondern psychisch ausgelöste Schübe verursacht. Aber das ist den Schreibtischtätern wohl egal. Sabine F., Potsdam Als ich hörte, daß Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer mit in das Zulassungsverfahren einbezogen wurde, habe ich neue Hoffnungen geschöpft. Aber er ist wie alle Politiker. Nur den eigenen Posten erhalten und sich gar nicht um die Menschen kümmern. Kornelia M., Düsseldorf Es war wohl wieder sehr viel Geld im Spiel. Den schmiergeldgewohnten Beamten hat Behring wohl nicht genug bezahlt. Oder? Marianne B., Berlin So, nun sollen alle MS-Kranken erst ihren Körper und ihr Geld für das schwächere Beta-Interferon hinhalten, um dann vielleicht in zehn Jahren doch bessere Medikamente zu bekommen. Sind wir eigentlich Versuchstiere? Nancy J., Rennes (Frankreich) Es wundert mich gar nicht, daß so eine menschenverachtende Entscheidung in Deutschland getroffen wurde. Tracy T., London Ich verstehe die Aufregung nicht. Jeder kann sich, wenn er möchte, eine DSG-Therapie kaufen. Das sind die Vorteile nach der Wende. In der DDR hat es so etwas nicht gegeben. Burkhardt R., Leipzig Unser Sohn leidet an Lupus. Nachdem Prof. Franke auch bei dieser Krankheit mit DSG Erfolge erzielt hat, ist die Entscheidung umso skandalöser. Claudia Z., Göttingen Die DMSG hat sich nicht ge-meinnützig verhalten, sondern gemeinschädlich. Damit hat sie ihre Existenz verspielt. Jegliche staatliche Unterstützung ist ihr ab sofort zu versagen. Peter F., Nürnberg 366 Seite 14: TV-Tips Fr, 16. Juni, 15.30 Uhr N3 Gewalt gegen Alte oder: Die Last der Pflege Film von Werner Filmer So, 18. Juni, 15.10 Uhr ZDF Treffpunkt Natur: Umwelt Mo, 19. Juni, 15.45 Uhr N3 Bremer Gesundheitswerkstatt: Gespräche über Gesundheit und Krankheit Di, 20. Juni, 21.00 Uhr N3 Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Di, 20. Juni, 22.15 Uhr N3 Prisma: Ameisen - die unbekannte Großmacht Moderne photographische Techniken und Computeranalysen zeigen ein faszinierendes Bild der nahezu perfekten sozialen Organisation der Ameisen. Mi, 21. Juni, 23.00 Uhr N3 Psychiatrie in der DDR Heruntergekommene Gebäude, medikamentös ruhiggestellte Patienten, zuwenig Personal, Mißbrauch der Psychiatrie, um politisch Mißliebige aus dem Verkehr zu ziehen. Ist dies das vollständige Bild der DDR-Psychiatrie? Wo waren ihre Mängel, wo ihre Stärken? Do, 22. Juni, 16.15 Uhr N3 Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Do, 22. Juni, 20.15 Uhr Bayerisches Fernsehen Wunschkind als Alptraum? So, 25. Juni, 20.15 Uhr N3 Schauplatz Natur - Ein Umweltmagazin Moderation: Prof. Dr. Adolf Weber Mo, 26. Juni, 15.45 Uhr N3 Bremer Gesundheitswerkstatt: Gespräche über Gesundheit und Krankheit (5) Di, 27. Juni, 15.30 Uhr Bayerisches Fernsehen Forscher - Fakten - Visionen Angekündigtes Thema für Juni: Unsere Ernährung - Genuß ohne Reue? Mi, 28. Juni, 20.15 Uhr RTL Alarm auf Station 2 Dr. Max Burg ist ein junger, aufstrebender Chirurg an einer Frauenklinik, seine Karriere scheint gesichert. Eines abends wird er zu einer Notoperation gerufen. Die Frau überlebt den Eingriff, später stellt sich aber heraus, daß ein Tupfer fehlt. Dr. Burg wird von Zweifeln geplagt, ob er den Tupfer wirklich im Bauch der Patientin vergessen hat, was schlimme Folgen hätte. Mi, 28. Juni, 23.45 Uhr N3 Rückblende: Vor 130 Jahren entdeckt: Die „Mendelschen Regeln“ der Vererbung 367 Do, 29. Juni, 16.15 Uhr N3 Ratgeber: Psychologie Mo, 3. Juli, 19.25 Uhr ZDF Geschichten auf Leben und Tod: Das steh’ ich durch Mo, 3. Juli, 20.15 Uhr N3: Markt im Dritten: Landwirtschaft und Ernährung Mi, 5. Juli, 20.25 Uhr Bayerisches Fernsehen Forscher - Fakten - Visionen Das BR-Wissenschaftsmagazin Di, 11. Juli, 15.55 Uhr ZDF Gesundheitstip Di, 11. Juli, 20.15 Uhr ZDF Naturzeit: Urwaldgeister auf Madagaskar, Expedition ins Reich der Lemuren Di, 11. Juli, 21.00 Uhr N3 Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Sa, 15. Juli, 17.30 Uhr N3 Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik: Townes, Schawlow, Maiman und die Lasertechnik Mo, 17. Juli, 19.25 Uhr ZDF Geschichten auf Leben und Tod: Recht für eine Ewigkeit. Der 20jährige Tony ist durch den Genuß von Kautabak unheilbar an Rachenkrebs erkrankt. Er hat nur noch wenige Wochen zu leben. Die Anwältin Grace soll ihm einen letzten Wunsch erfüllen: Tony will den Tabak-Konzern Federated Tobacco wegen Verharmlosung von Gesundheitsrisiken und Unterschlagung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse verklagen. Di, 18. Juli, 15.55 Uhr ZDF: Gesundheitstip Di, 18. Juli, 21.00 Uhr N3 Ratgeber: Brustkrebs Moderation: Heide Schaar-Jacobi Mi, 19. Juli, 19.00 Uhr Bayerisches Fernsehen Lebenslinien Weiblich, jung, HIV-positiv Sieben Jahre mit dem Virus Di, 25. Juli, 15.55 Uhr ZDF: Gesundheitstip Di, 25. Juli, 21.00 Uhr N3 Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse So, 30.Juli, 20.15 Uhr N3 Schauplatz Natur - Ein Umweltmagazin Moderation: Prof. Dr. Adolf Weber Seite 15: Bundesbehindertenkunstpreis 1995 In der Stadt Radolfzell am Bodensee wurde der 10. Bundesbehindertenkunstpreis ausgeschrieben. Teilnehmen können alle körperlich, geistig und psychisch behinderten Künstler mit einem Schweregrad 368 von mindestens 80 Prozent. Pro Künstler darf nur eine Arbeit eingereicht werden. Die mit den Namen der Künstler versehenen Bilder müssen einen stabilen Rahmen und eine Aufhängevorrichtung besitzen. Eine unabhängige und fachkundige Jury wird alle eingereichten Arbeiten bewerten. Die Preisverleihung findet ebenfalls in Radolfzell am Bodensee statt. Im Herbst dieses Jahres wird eine Ausstellung stattfinden. Dort werden alle eingereichten Bilder zu sehen sein. Weitere Informationen und den Anmeldebogen erhalten Interessenten bei: Kulturamt der Stadt Radolfzell Frau Elfie Cettier Tel.: 07732/81412 Lexikon Monoklonale Antikörper Werden in der Krebstherapie eingesetzt. Diese künstlichen Antikörper heften sich an Tumorzellen und führen so die Körperabwehr geziehlt an den Einsatzort. Mit den monoklonalen Antikörpern lassen sich auch versteckte oder einzelne Krebszellen bekämpfen. TNF-alpha-Freisetzung TNF ist die Abkürzung für Tumor-Nekrose-Faktor. Dieser Eiweißstoff wird von den großen Fresszellen der Körperabwehr freigesetzt und läßt bösartige Geschwülste absterben. Experimentelle allergische Encephalitis (EAE) Künstlich bei Versuchstieren herbeigeführte Gehirnentzündung, die zu Lähmungen führt. EAE ist das einzige Tiermodell für die Multiple Sklerose. Pathophysiologie Beschäftigt sich mit krankhaften Lebensvorgängen und Funktionsstörungen im menschlichen Körper. Autoimmun - Rätsel Gewinnen Sie... ... eine Woche Aufenthalt in der Autoimmunklinik Karlsbad. Sie reisen bequem an, werden mit dem Shuttlebus zur Klinik gebracht und erhalten individuelle Therapien, Naturheilanwendungen und Akupunktur in einem der traditionsreichsten Kurorte Europas. Die weiteren Gewinner bis Platz fünf erhalten einen Buchpreis. Aber jetzt zu unserer neuen Rätselfrage: Wir suchen den Namen eines griechischen Arztes. Er lebte um 400 v. Chr. und ersann ein noch heute gültiges sittliches Grundgesetz des Arztberufes. Seit über zweitausend Jahren ist dieser Name der Inbegriff für ideales Arzttum. Wie heißt dieser "Vater der Heilkunde“? Wenn Sie das Lösungswort wissen, schreiben Sie Ihre Antwort auf eine Postkarte an den: Prof. Dr. Niels Franke Verlag Stichwort „Eid“ Mommsenstraße 28 10629 Berlin 369 Der Einsendeschluß ist der 20. Juli 1995. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitarbeiter von Prof. Dr. Niels Franke und deren Angehörige dürfen leider nicht teilnehmen. Die Gewinner werden schriftlich von uns benachrichtigt. Und das sind die Gewinner vom Preisrätsel (Lösungswort: „Tschechien“) aus der autoimmun 2/95: 1. Preis (Kuraufenthalt in Karlsbad): Frau Ruth Buhrt in Neubrandenburg. Einen wertvollen Buchpreis haben gewonnen (in der Reihenfolge der Ziehung): Herr Thomas Pilanz in Roth, Herr Ossi Tusa Sunila / Finnland, Herr K. H. Dethleffsen in Hammoor und Herr Bernhard Vogel inVöhringen. Herzlichen Glückwunsch! 8.10 „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1995 Seite 3: Kleines Etwas mit großer Wirkung Wir hatten fast alle schon mit ihnen zu tun. Sie sind so klein, daß sie nur mit dem Elektronenmikroskop sichtbar werden, aber ihre Wirkung ist umso deutlicher und kann bisweilen verheerend sein: gemeint sind Viren. Sie sind verantwortlich für zahlreiche Erkrankungen. Die Palette reicht vom harmlosen Schnupfen bis zum tödlichen AIDS. Was Viren so faszinierend macht, ist ihr einfaches und effektives Konstruktionsschema: ein Kern aus Erbinformation, umgeben von einer Schutzhülle. Viren können sich nur in lebenden fremden Zellen vermehren. Sie stehen auf der Schwelle zwischen belebter und unbelebter Materie: einige Viren können sogar kristallisieren. Immer einmal wieder kommt jemand auf die Idee, die Beteiligung von Viren an ungeklärten Krankheitsbildern zu vermuten. Bei Krebs war das so, auch bei der Multiplen Sklerose. Da sich diese geheimnisvollen Viren aber oft gar nicht finden lassen, werden Erklärungen angeboten: Vielleicht verstecken sich diese geheimnisvollen Spezialviren zu gut, heißt es, vielleicht sind sie auch zu klein, als daß man sie mit dem Elektronenmikroskop oder anderem wissenschaftlichen Gerät finden könnte. Oder sind es Viren der ganz besonderen hypothetischen Art: sogenannte Slow-Viren zum Beispiel? Es könnte natürlich auch sein, daß es sie gar nicht gibt, daß die jeweilige Krankheitsursache ganz woanders liegt. Daß man durchaus fündig werden kann, wenn man nur intensiv genug forscht, zeigt die Geschichte des AIDS-Auslösers, des HI-Virus. Es arbeitete sich mittlerweile zum intesivst beforschten Krankheitserreger hoch. Allein in den USA wurden im Jahr 1993 über eine Milliarde Dollar für die Forschung rund um das HI-Virus ausgegeben. Die Ergebnisse dieser AIDS-Industrie sind demgegen-über eher dürftig. Es gibt zwar Medikamente gegen die heimtückische Seuche, aber deren Wirkung kann immer noch nicht als befriedigend bezeichnet werden. Impfversuche stecken in den Kinderschuhen und haben sich bislang als wirkungslos oder zu riskant erwiesen. Dürftige Ergebnisse also nach über 10 Jahren heftigster Forschung? Wir müssen zugeben, daß wir kaum etwas wissen, sagen einige AIDS-Forscher. Mit 370 diesem Resümee stehen sie im Kreis ihrer Wissenschaftskollegen durchaus nicht alleine, aber nicht jeder traut sich, das öffentlich auszusprechen. Nun gut, denkt man sich, AIDS ist der Medizin noch nicht so lange bekannt. Da gibt es Nachholbedarf, das dauert eben seine Zeit. - Man muß sich noch einmal die Summe des AIDS-Forschungsetats vor Augen führen: über 1 Milliarde US-Dollar. Das sind eine Million US-Dollar-Millionen. Wie teuer ist demgegenüber eine Medikamentenstudie mit den schon länger bekannten Krankheiten Multiple Sklerose - oder der ALS? Man könne einen zweistelligen Millionenbetrag hierfür veranschlagen, hört man. Genug Geld für die Forschung ist vorhanden. Die Frage der Schwerpunktsetzung und Verteilung scheint aber noch nicht zufriedenstellend gelöst. Es könnte ein deutlicher, Hoffnung spendender Hinweis sein, daß einige Medikamente, die sich gerade in der Erprobung befinden, bei AIDS und MS sowie anderen Erkrankungen des Immunsystems Wirkung zeigen. Es könnte ein Hinweis darauf sein, die Mechanismen des menschlichen Immunsystems und die damit verbundenen Erkrankungen in einem neuen, übergreifenderen Licht zu sehen. Tja, und dann wäre da noch etwas eher Kleines, das auch uns in den vergangenen Jahren mit seiner Wirkung manchmal überrascht hat: die Autoimmun. Unsere Zeitschrift hat Ihr zweijähriges Jubiläum! Arbeitsreich, wie unsere Tage sind: Beinahe hätten wir es übersehen… DIE REDAKTION Seiten 4, 5 und 6: Auf der Suche nach Immunantwort gegen AIDS-Viren Nach über 10 Jahren intensiver Forschung gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten AIDS - Für viele Menschen hört sich das Wort wie ein Todesurteil an, ungeachtet der Langzeit-überlebenden, ungeachtet der zugegebenermaßen langsamen Fortschritte bei Heilungsverfahren und Vorbeugung. Seit 12 Jahren gibt es die Deutsche AIDS-Hilfe. Die Krankheit selbst und die Geschichten, die sich um sie ranken, gibt es in unserem Bewußtsein noch länger. Gewöhnung ist ein Grund für etliche - besonders jüngere - Menschen, die Gefahr zu verharmlosen, das Risiko einer Ansteckung zu verdrängen. Wie bei vielen unangenehmen Dingen ist auch hier die Bereitschaft groß, in AIDS ein Problem der „anderen“ zu sehen. Ist diese Krankheit nur eine Krankheit der Randgruppen, oder geht AIDS uns alle an? Erstes Auftreten der Symptome Ungefähr seit Mitte 1981 liegen erste Beschreibungen einer Erkrankung vor, die damals GRID (Gay Related Immune Deficiency, gay = homosexuell) genannt wurde. Denn besonders bei jungen, homosexuellen Männern wurden in New York und Los Angeles auffällige Krankheiten beobachtet: Zum einen das Kaposi-Sarkom. Es ist ein sonst sehr seltener und bei älteren Männern auftretener Hautkrebs. Weiterhin eine seltene Form von Lungenentzündung Pneumocystis carinii-Pneumonie, die sonst bei schwer immungeschädigten Transplantationspatienten und Hungernden auftritt. Nach Protesten, und nachdem erste Symptome auch bei Heterosexuellen bemerkt wurden, benannte man die Erkrankung in AIDS um. 371 Eine Krankheit wird beschrieben AIDS - Acquired Immune Deficiency Syndrome heißt diese Abkürzung: erworbenes Immundefektsyndrom. Erworben, weil nicht angeboren, sondern von einer Virusinfektion ausgelöst. Syndrom, weil nicht die HIV-Infektion selbst, sondern Ihre Wirkung auf das Immunsystem zu einer Reihe von Erkrankungen führen kann. Krankheiten einer zusammengehörenden Symptomgruppe ergeben ein Krankheitsbild und werden unter einem Namen zusammengefaßt. Die Medizin nennt so etwas ein „Syndrom“ und sagt damit, daß sie einiges über das Krankheitsbild noch nicht weiß, z. B. was der Krankheitsauslöser ist. 1983 wurde der erste Erreger des Immundefektsyndroms gleichzeitig in Frankreich und den USA entdeckt: das HIV-1 Virus. In der Folgezeit entdeckten Forscher weitere Virusstämme, die jeweils regional gehäuft auftreten. Das Immunsystem des Menschen Grob gesehen ist unser Immunsystem in zwei Teile gegliedert: Das unspezifische Immunsystem, es richtet sich nicht gegen spezielle Erreger, es arbeitet ungezielt gegen alle äußeren Einflüsse. Eine intakte Hautoberfläche mit ihrem Säureschutzmantel, Enzyme im Speichel und der Tränenflüssigkeit oder die Magensäure, das sind Beispiele für Mechanismen, die eindringende Viren und Bakterien wirksam neutralisieren können und deren Eindringen verhindern. Der andere, der spezifische Teil des Immunsystems, stützt sich auf spezialisierte weiße Blutzellen, die bestimmte Strukturen an der Oberfläche von Viren und Bakterien erkennen können. Geraten sie nochmals in Tuchfühlung mit diesen Strukturen, dann reagieren diese weißen Blutzellen schneller und heftiger darauf. Die Strukturen der Oberfläche von Krankheitserregern heißen Antigene. Die Zellen des spezifischen Immunsystems heißen Leukozyten und teilen sich in Makrophagen (große Freßzellen) und Lymphozyten (Lymphzellen). Das gerissene HI-Virus Etliche Erkrankungen können das Immunsystem betreffen. Bei einigen reagiert das Immunsystem zu heftig oder falsch, z. B. bei Allergien, bei anderen Erkrankungen reagiert es nicht oder in nicht ausreichendem Maß auf Krankheitserreger, z. B. bei AIDS. Das Virus dringt von außen in den Körper ein, das Immunsystem wird dadurch in Alarmzustand versetzt. Kurz nach der Infektion mit dem HI-Virus können sich Symptome zeigen, die einer schweren Grippe ähneln. Ungefähr ein Drittel der Infizierten leidet an Fieber, Lymphknotenschwellungen, Hauterscheinungen bis hin zu allgemeiner Abgeschlagenheit. Diese Entwicklungsstufe der akuten HIV-Krankheit kann leicht unbemerkt bleiben, da die Erwiderungen des Körpers auf die Infektion nur sehr gemäßigt sein können. Außerdem treten solche Kennzeichen auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen auf. Werden schließlich Antikörper gebildet, die sich dem Störenfried entgegenwerfen sollen, dann reagiert das HI-Virus recht gerissen: Es dringt in die Zellen ein, die es eigentlich bekämpfen sollen. In der Folgezeit verschwinden die Krankheitserscheinungen meist vorübergehend. Es vergehen Monate oder gar Jahre bis zum Auftreten erster Symptome. Fortschreitende Immunschwäche 372 Testverfahren weisen nicht das Virus selbst, sondern nur die HIV-Antikörper im Blut nach. Deshalb kann man erst zwölf bis sechzehn Wochen nach einer HIV-Infektion zu einem Testergebnis kommen, denn es müssen sich ja erst einmal Antikörper gebildet haben. Durch einen Test kann man allerdings nicht vorhersagen, wann jemand an AIDS erkranken wird. Je nach Einzelschicksal beschädigt die HIV-Infektion in unterschiedlich langen Zeiträumen das Immunsystem. Ein kleiner Teil der HIV-positiven Menschen hat Fieber, Durchfall, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Kopfund Gelenkschmerzen. Müdigkeit und eine deutliche Abgeschlagenheit treten als weitere Folgen ein. In beliebiger Kombination - oder auch einzeln - treten diese Anzeichen auf, manchmal verschwinden sie ganz. Das Voranschreiten des Immundefekts kann aber auch weitgehend symptomfrei, also unbemerkt ablaufen. Da die Symptome auch von anderen Erkrankungen verursacht sein können, sind sie kein verläßlicher Hinweis auf eine HIV-Infektion. Die Zahl der Helferzellen sinkt Die eingedrungenen HI-Viren funktionieren die Helferzellen zu Virusbrutmaschinen um und zwingen so die Abwehrzellen des Körpers, weitere neue Viren zu produzieren. Ist eine Wirtszelle schließlich erschöpft und verbraucht, stirbt sie und die neuproduzierten Viren schwärmen in den Körper aus, um weitere Zellen der Körperabwehr anzugreifen. Nach 7-10 Jahren hat die Hälfte der HIV-Infizierten einen starken Immundefekt durch den Verlust von T- und B-Lymphozyten. Die verminderten Immunzellen können den Körper nicht mehr zuverlässig schützen. Opportunistische Infektionen können den so geschwächten Organismus leicht heimsuchen. Die Infektanfälligkeit führt zu typischen Infektionskrankheiten. Die erste schwere opportunistische Infektion kündigt bei HIV-positiven Menschen das Erscheinen des Vollbilds von AIDS an. Weitere Anzeichen könnnen dann Tumore sein, wie das Kaposi-Sarkom. Es können sich leukämieähnliche Erkrankungen entwickeln. Wenn das Gehirn von der HIV-Infektion in Mitleidenschaft gezogen wurde, kann es zu Konzentrationsstörungen kommen. Die Virenvermehrung auf Kosten der Helferzellen des Immunsystems läuft weiter, bis der angegriffene Körper schließlich unter Mitwirkung anderer Infektionen stirbt. Ärzte kämpfen um die Verlängerung der Überlebenszeit AIDS läßt sich von unterschiedlichen Seiten her behandeln. Die opportunistischen Infektionen werden herkömmlich kuriert. Mit einer gesunden Lebensweise kann versucht werden, die Selbstheilungsmechanismen des Körpers und seine Abwehrkraft zu stärken. Das tödliche Virus kann man direkt angreifen, indem man versucht, die Vermehrung des HIV zu hemmen. Einerseits können dadurch Symptome, die durch das Virus selbst ausgelöst werden, vermindert werden. Andererseits wird das Immunsystem stabilisiert und verbessert. Die Substanzen, die bisher mit eher bescheidenem Erfolg eingesetzt wurden, lassen sich in drei Gruppen aufteilen: 1. Nucleosidanaloga, sie hemmen ein Enzym des Virus, das Reverse Transkriptase (RT) genannt wird. Diese Stoffe vermindern die Virusvermehrung, weil sie als falscher Baustein in die Erbanlagen des Virus eingebaut werden. Eine befallene Wirtszelle kann dann keine neuen Viren mehr produzieren. Das Medikament AZT ist ein Beispiel dafür. 373 2. Nicht-nucleosid-analoge RT-Hemmer: Sie haben im Versuch eine nachgewiesene Wirkung gegen die Reverse Transkriptase des HIV. 3. Proteasehemmer vermindern die Fähigkeit der Viren, sich innerhalb der Zelle zusammenzusetzen. Dadurch können weniger oder auch nicht infektiöse Viren entstehen. Virushemmende Medikamente können die symptomfreie Zeit verlängern oder auch schon bestehende Symptome verringern. Es zeigt sich bei Bestimmung der Blutwerte ein Anstieg der T-Helferzellenzahl. Deshalb eignen sich diese Medikamente zur vorbeugenden Behandlung. Ein Arzneimittel, das jetzt in mehreren Studien eine segensreiche Wirkung gegen das AIDS-Virus zu zeigen scheint, ist das Thalidomid. Mehr über dieses Medikament erfahren Sie auf Seite 8 in dieser Autoimmun. Schutz vor Ansteckung Schutz vor einer HIV-Infektion ist besser möglich, als vor vielen anderen Infektionskrankheiten. Impfverfahren stecken allerdings noch in den Kinderschuhen. AIDS ist sexuell übertragbar. Deswegen ist es wichtig, daß Schutz auf diesem Gebiet stattfindet. Ein Mittel gegen AIDS ist Information. Deshalb ist gründliche und frühzeitige Aufklärung über Safer Sex und den Gebrauch von Kondomen so wichtig. Normaler zwischenmenschlicher Umgang, wie Händeschütteln, flüchtige Küsse, Umarmungen und der Gebrauch gemeinsamer Haushaltsgegenstände oder Toiletten führt nicht zur Ansteckung. Wer sich weitergehend über AIDS und die Infektion mit dem HI-Virus informieren möchte, kann sich an eine der vielen Beratungsstellen wenden. Die telefonische Beratung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln ist jeden Tag von 10.00 bis 22.00 Uhr unter der Nummer 0221 - 89 20 31 zu erreichen. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat mehrere Broschüren herausgebracht, die die verschiedensten Aspekte von AIDS streifen. Man erhält diese Broschüren über die örtliche AIDS-Hilfe, Pflegedienste, Beratungsstellen oder direkt bei der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. in Berlin (Dieffenbachstraße 33, 10967 Berlin). Kostenlos - und sehr informativ ist beispielsweise die über einhundertseitige Broschüre „Unkonventionelle Medizin bei HIV und AIDS“. In ihr gibt der Autor H.D. Wolfstädter - unter Mitarbeit zahlreicher Ärzte - einen Blick auf alternative Therapien in und außerhalb der Schulmedizin. Das ist auch für alle interessant, die sich über Therapiemöglichkeiten bei Krankheiten des Immunsystem informieren wollen. In der Broschüre „Aids - heutiger Wissensstand“ sind die wichtigsten neuen Erkenntnisse über AIDS in Kurzform zusammengefaßt. Im Anhang findet man eine umfangreiche Liste der AIDS-Hilfe-Organisationen in Deutschland. Seite 7: News & Hintergrund Insektensprays krebserregend? Das niedersächsische Sozialministerium hat nach einer Studie aus Vorsorgegründen vor dem Gebrauch von Insektenbekämpfungsmitteln in geschlossenen Räumen gewarnt. Es ist zwar nicht bewiesen, daß die zur Zeit im Handel befindlichen Sprays Blutkrebs auslösen, es gebe jedoch 374 andererseits Hinweise auf ein deutlich erhöhtes Risiko. Aufgrund der Studie soll untersucht werden, ob der Stoff Permethrin, der in diesen Mitteln enthalten ist, langfristig nicht doch ein Risikofaktor ist. Chronisches Asthma: Immer mehr Kinder leiden daran Auf dem 10. Deutschen Allergie- und Asthmatag in Bonn wies der Vorsitzende Martin Schata darauf hin, daß sich die Zahl der asthmakranken Kinder in den letzten Jahren mehr als verzehnfacht hat. Rund 10 bis 15 Prozent der Kinder leiden nach neusten Studien an einem Defekt im Bereich der Atemwege. Besonders alarmierend sei, daß gerade in den entwickelten Ländern die Zahl der Todesfälle steige, erläuterte Schata. Allergien können häufig auch Asthma auslösen. So ist es für einen Asthmatiker besonders wichtig herauszufinden, auf welche Stoffe er reagiert. Kostenlos kann man sich bei den Krankenkassen zu dem Problem Informationsmaterial geben lassen. Vitamin B gegen Schlaganfall Ältere Menschen leiden häufig unter einem größeren Schlaganfallrisiko. Scheinbar liegt die Ursache dafür in einem Mangel an Vitamin B und Folsäure, so berichten US-Wissenschaftler im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ Nr. 5. Versuchspersonen, die nicht ausreichend Vitamin B12, B6 und Folsäure zu sich nahmen, hätten doppelt so häufig gefährliche Verengungen der Halsschlagader und damit ein erhöhtes Schlaganfallrisiko gehabt. Selen kann vor Krebs schützen Daß das Spurenelement Selen offenbar Einfluß auf die Entwicklung von Karzinomen hat, ist bereits in mehreren Untersuchungen dargelegt worden. So hat beispielsweise 1992 Donald J. Lisk den Beweis für die These erbracht, daß mit selenhaltigem Dünger aufgezogene Knoblauchzwiebeln in der Lage sind, das Wachstum bösartiger Tumore bei Säugetieren zu unterdrücken. Nach einer neueren Studie, die in Danzig (Polen) durchgeführt wurde, konnte nachgewiesen werden, daß die Selenkonzentration im Blut krebskranker Kinder bedeutend niedriger ist als bei gesunden Kindern. In dieser Studie wurde das Blut von 205 Kindern im Alter von sechs Monaten bis sieben Jahren regelmäßig untersucht. Die Kontrollgruppe bestand aus 128 gesunden Kindern. Mit diesem statitisch relevanten Ergebnis ist natürlich keine Aussage über die Entstehung von Krebs getroffen worden. Versorgungsamt bezahlt DSG-Therapie Die Behandlung der Multiplen Sklerose mit dem durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte abgelehnten Medikament Deoxyspergualin (DSG) wurde kürzlich vom Versorgungsamt Regensburg genehmigt. Die Behörde trägt die für die Behandlung notwendigen Kosten. In der Begründung des Amtes wird allerdings darauf abgestellt, daß andere - gängige Medikamente keine Wirkung hatten. Ob diese Entscheidung eine Signalwirkung für andere Behörden oder Krankenkassen haben wird, ist noch nicht absehbar. 375 Weiterer Einsatz von Vitamin C Die Einsatzmöglichkeiten von Vitamin C (Ascorbinsäure) sind immer noch nicht erschöpfend untersucht. Einen neuen Anlauf unternimmt jetzt das auf Homöopathie und Pflanzenheilkunde spezialisierte Unternehmen Pascoe. In einem Sonderdruck der von Pascoe herausgegebenen Zeitschrift „Acta Biologica“ werden die Wirkungsweise und die Therapiemöglichkeiten des Vitamins erklärt. Neben dem breitgefächerten Einsatz der Ascorbinsäure wird auf wissenschaftliche Studien Bezug genommen, die positive Effekte bei Asthmatikern nachweisen. Beschrieben werden aber auch Fallbeispiele zu chronischem Gelenkrheuma und Neurodermitis. Ferner sieht der Berliner Arzt für Naturheilverfahren Dr. Dieter Klein eine Einsatzmöglichkeit bei MSPatienten. Interessenten können den Sonderdruck kostenlos anfordern bei: Pascoe GmbH, Schiffenberger Weg 55, 35394 Gießen, Tel.: 06 41-79 600. Seiten 8 und 9: Comeback für Contergan Das geschichtsträchtige Medikament befindet sich in mehreren klinischen Studien. Auch bei Multipler Sklerose wird die Wirkung getestet „Wir würden eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über Thalidomid sehr begrüßen“, kommentiert Dr. Kai Zwingenberger von der Firma Grünenthal das stärker werdende Interesse an dem Wirkstoff. Unter den Namen Contergan schrieb das Medikament eines der dunkelsten Kapitel der Arzneimittelgeschichte. Heute wird Thalidomid von Wissenschaftlern immer häufiger genannt, wenn es um unheilbare Krankheiten geht. „Das liegt an der ungewöhnlichen Wirkung, die andere Medikamente nicht haben“, schreibt jüngst das Fachblatt „Pharma Business“. Wie Thalidomid beim Menschen exakt wirkt, ist bis heute noch ein Geheimnis. Aber um einige Erkenntnisse ist man seit dem großen Arzneimittelskandal doch reicher geworden. Besonders deutlich ist der Effekt bei der Lepra, einer Infektionskrankheit der Haut, die in Brasilien und Mexiko stark verbreitet ist. Schon 1964 beobachtete der israelische Wissenschaftler Jacob Sheskin, daß bei Gabe von Thalidomid das Fortschreiten der Krankheit verhindert werden kann. Seitdem wird das Medikament weltweit gegen Lepra eingesetzt. Mit der Entdeckung der Immunschwächekrankheit AIDS began auch die Suche nach helfenden Arzneimitteln. Hierbei zeigte Thalidomid erstaunliche Wirkungen. So bilden sich zum Beispiel bei einem bestimmten Krankheitstyp die schmerzhaften Geschwüre im Gesichtsbereich zurück. In den letzten Jahren nahm man sich auf internationaler Ebene immer stärker dem rätselhaften Medikament an. Unzählige Untersuchungen wurden durchgeführt. Dabei wurde unter anderem entdeckt, daß Thalidomid die Produktion des Tumor-Nekrose-Faktors alpha hemmt, bestimmte Virustypen unterdrückt und Einfluß auf die Produktion von Gamma-Interferon besitzt. In Deutschland wird Thalidomid an mehreren Zentren AIDS-Patienten gegeben. Inzwischen sind weltweit eine Reihe von Therapiestudien angelaufen. Pharmaunternehmen in den USA befinden sich mit ihren 376 Thalidomid-Studien bei einigen Krankheiten in der vorklinischen Phase, bei anderen bereits in Phase III. Frühestens wird das Medikament 1997 auf den Markt kommen. Eine Multiple Sklerose-Studie befindet sich in Phase II. Hierbei ist zu bemerken, daß eine Wirkung von Thalidomid bei der künstlichen MS, dem EAE-Versuch, nicht nachgewiesen wurde. Ferner wird die Wirksamkeit bei verschiedenen Hautkrankheiten, dem systemischen Lupus erythematodes, Diabetes und einigen Krebserkrankungen erforscht. Der Contergan-Skandal Das rezeptfreie Schlafmittel Contergan der Firma Grünenthal GmbH befand sich von 1957 bis 1961 im Handel. Zu Spitzenzeiten wurde Contergan von über einer Million Menschen regelmäßig eingenommen, auch von Kleinkindern und Schwangeren. Contergan galt als sehr gut verträglich, Pharmavertreter bewarben es teilweise als „Schlafmittel des Jahrhunderts, unschädlich wie Zuckerplätzchen“. Seit Ende der fünfziger Jahre häuften sich die Geburten von Kindern mit Mißbildungen an Armen und Beinen. Ärzte sprachen von einem „ ,epidemischen’ Geschehen“. Erst im November 1961 wurde der Kinderarzt Dr. Lenz nach Auswertung der von ihm an Mütter mit mißgebildeten Kindern verteilten Fragebögen auf den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Contergan während der Schwangerschaft und Mißbildungen bei Kindern aufmerksam. Das Medikament wurde vom Markt genommen. Die furchtbare Bilanz: Während der vier Jahre der Contergan-Zulassung wurden allein in Deutschland circa 5000 Menschen geschädigt. Von den Betroffenen wurde ein Musterprozeß gegen die Herstellerfirma geführt, der 1970 mit einem Vergleich endete, der jedem Geschädigten eine geringe Entschädigung und eine noch geringere Monatsrente einbrachte. Kontaktadresse: Bundesverband Contergangeschädigter e. V. - Hilfswerk vorgeburtlich Geschädigter Paffrather Str. 132-134 51069 Köln Tel. 0221 / 6 80 34 79 ALS weiter unbesiegt - vorsichtiger Optimismus aus den USA und der Schweiz Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gilt unter Experten als die bösartige Schwester der Multiplen Sklerose (MS). Neurologische Defekte im muskulären System führen oft zur absoluten Unbeweglichkeit. Nur rund zwanzig Prozent der Erkrankten erreichen das fünfte Krankheitsjahr. Die meisten Patienten sterben vorher häufig an Erstickungen, weil die für die Beatmung zuständigen Muskeln versagen. Pharmakologische Studien haben bislang kein Medikament hervorgebracht, das einen positiven Einfluß auf die ALS nachweisen konnte. Zwei jüngere Studien überprüften die Wirksamkeit von Dextromethorphan einem Glutamatrezeptor - und einer hochdosierten Cyclophosphamidtherapie bei ALS-Patienten. In beiden Fällen konnte eine Wirksamkeit nicht 377 nachgewiesen werden. Vorsichtigen Optimismus verkündet nun das Columbia-Presbyterian Medical Center in New York. In Kürze werden die Ergebnisse von drei klinischen Studien erwartet. Die ALS-Patienten wurden dabei intravenös mit Immunoglobulin - einer passiven Immunisierung behandelt. Große Hoffnungen werden auch weiterhin in das Protein Neurotrophin-3 (NT-3) gesetzt, das am Züricher Hirnforschungsinstitut unter der Leitung von Prof. Dr. Martin E. Schwab erforscht wird. (Hierzu bereits Autoimmun 1/94). MS-Studie mit Lenomid läuft an Das schwedische Pharmaunternehmen Pharmacia geht in der klinischen Erforschung des synthetischen Immunmodulators weiter voran. Die weltweite Doppelblindstudie mit Lenomid bei Multipler Sklerose wird Ende des Jahres beginnen. In Deutschland werden mehrere Prüfzentren beteiligt sein. Neben den Professoren Haas (Berlin), Kappos (Basel), Kornhuber (Ulm) und Franke (München) wird auch der von vielen Seiten als eher zurückhaltend angesehene Prof. Dr. H.-P. Hartung Lenomid an MS-Patienten testen. Hartung gehört dem Ärztlichen Beirat der DMSG an. Die Substanz zeigte in einigen Pilotstudien hervorragende Ergebnisse beim chronisch-progredienten Verlauf der MS (vergleiche Autoimmun 3/95). Pharmacia plant aber auch einen möglichen Einsatz in der Krebstherapie. Gentechnik Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) sucht derzeit nach Methoden, mit denen nachweisbar ist, ob Lebensmittel mit Hilfe der Gentechnik hergestellt wurden. Die Ergebnisse einer ersten Besprechung sind besorgniserregend: Für Lebensmittel, die mit gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, diese aber nicht enthalten, gibt es keine oder nur indirekte Nachweismethoden. Das gilt zum Beispiel für Zucker, der aus genmanipulierten Zuckerrüben gewonnen wurde. Nur bei Lebensmitteln, die selbst gentechnisch verändert sind (z.B. Kartoffeln) oder gentechnisch veränderte Bestandteile haben (z.B. Joghurt), ist ein direkter Nachweis möglich. Insektenschutz Im Sommer ist die Mückensaison wieder im vollem Gange. Um der Mückenplage Herr zu werden, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Chemische Insektenvernichtungsmittel - meist aus der Spraydose - bergen bei nicht sachgemäßer Anwendung Vergiftungsgefahren. Es kann zu Hautveränderungen, Augen- und Schleimhautreizungen sowie zu Kopfschmerzen kommen. Lange Wirksamkeit und schwache Geruchsbelästigung sind die Vorzüge chemischen Mückenschutzes. Allerdings besteht bei diesen Mitteln der Verdacht, daß sie Nervenschäden und Muskelkrämpfe auslösen können. Natürliche Insektenschutzmittel sind zwar ungiftig, riechen aber oft stark und halten nicht lange vor. Außerdem können durch sie Allergien ausgelöst werden. Die einzig nebenwirkungsfreie Methode ist altbewährt: die Fliegenklatsche. 378 Seite 10: Medikament Leflunomid: Hervorragende Ergebnisse bei Rheumastudie - auch MS-Patienten können hoffen Mit der Zulassung ist nicht vor 1998 zu rechnen Experten beurteilen Leflunomid als ein Medikament mit viel Zukunft. Das Hoechstprodukt zähle zu den interessantesten Neuentwicklungen im Pharmabereich, gibt sogar die Konkurrenz zu. Wissenschaftler sehen in Leflunomid das „Aspirin“ zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten. Bevor es jedoch zur gewinnträchtigen Ernte für die Hoechst AG kommt, sind klinische Studien durchzuführen und das entsprechende Arzneimittelzulassungsverfahren erfolgreich zu bewältigen (vergleiche auch Autoimmun 3/93). Zur Zeit befindet sich „der Hoffnungsträger für Rheuma und viele andere Autoimmunkrankheiten“ - so Hoechst selber in einem internen Mitteilungsblatt - in der dritten Phase der klinischen Erprobung. Die zweite Phase ist vor kurzem abgeschlossen worden. Die Ergebnisse sind erfolgreich. Es wurden 402 Patienten mit rheumatoider Arthritis in vier Gruppen eingeteilt. Neben einer Placebogruppe wurden den Patienten 5 mg, 10 mg und 25 mg oral über einen Zeitraum von sechs Monaten verabreicht. Statistisch nachweisbar gab es bei den hochdosierten Gruppen weniger schmerzhafte Entzündungen. Auch andere rheumatypische Kriterien zeigten nach der Leflunomid-Therapie Verbesserungen. „Die Nebenwirkungen überraschten uns positiv“, erläutert Dr. Robert R. Bartlett, verantwortlich für die klinische Erforschung bei der Hoechst AG. Bei fünf bis 12 Prozent der Patienten (je nach Dosierungsgruppe) wurden Brechreiz oder Übelkeit beobachtet. Unter allergischen Reaktionen litten drei bis sechs Prozent und unter vorübergehendem Haarausfall ein bis sechs Prozent der Probanden. Die Wissenschaftler stellten während der Leflunomidgabe einen Rückgang der Leukozytenzahl fest. Dieser sei allerdings nicht so stark gewesen, daß man von von einer sogenannten Leukoponie sprechen konnte. Insgesamt seien die Nebenwirkungen sehr gering gewesen. Hoechst selber scheute deshalb nicht den in mancher Hinsicht richtungsweisenden Vergleich mit dem Medikament Methotrexat (von den Pharmaunternehmen Lederle und medac) und stellte fest: „Leflunomid ist weniger toxisch (giftig) als Methotrexat.“ Wie wirkt Leflunomid? Hierzu Bartlett: „Wissenschaftliche Experimente haben gezeigt, daß das Mittel an drei wichtigen Stellen des Immunsystems ansetzt: Erstens bei der Reifung, zweitens bei der Rezeptorexpression und drittens bei der Signalübertragung zwischen immunkompetenten Zellen.“ Inzwischen hat Hoechst mit einer großen Multizenterstudie begonnen. Dabei sollen die bisher erreichten Ergebnisse bestätigt und das Zulassungsverfahren angestrebt werden. Dabei hat man sich von Firmenseite entschlossen, auch noch die Krankheit Psoriasis (Schuppenflechte) zusätzlich aufzunehmen. Die jetzigen Studienergebnisse gelten allerdings nur für die rheumatoide Arthritis. Jedoch komme das Mittel auch für die Krankheiten systemischer Lupus und Multiple Sklerose in Frage, so Bartlett. Dies widerspricht auch nicht 379 der von Hoechst eingereichten Patentschrift. Dort läßt sich entnehmen, daß man noch einiges mit dem Medikament vorhat. Seite 11: Tips & Urteile Infektionen am Arbeitsplatz Ein Arbeitnehmer kann von seinem Arbeitgeber keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld erheben, wenn er sich eine Infektionskrankheit bei der Arbeit zugezogen hat. Das Bundesarbeitsgericht in Kassel hat damit die Klage einer medizinischen Assistentin abgewiesen, die vor allem mit Röntgen- und Laboratoriumsaufgaben betraut war. (8 AZR 582/94) Kein Anspruch auf einen freien Tag am Geburtstag Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) haben Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes auch dann keinen Anspruch auf Arbeitsbefreiung an ihrem Geburtstag, wenn ihnen an diesem Tag jahrzehntelang ein freier Nachmittag gewährt wurde. Zur Begründung führten die Richter aus, daß der öffentliche Dienst das Geld der Allgemeinheit ausgibt und an Haushaltspläne gebunden ist. Gerade bei zusätzlichen Arbeitsfreistellungen ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen. (5 AZR 679/93) Risikoprüfung bei Abschluß einer Berufsunfähigkeitsrente Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung, die nur bei Schließung des Vertrages vorgenommen werden kann, nimmt dem Versicherer die Rücktrittsberechtigung. Im vorliegenden Falle hatte der Versicherungsnehmer im Antrag einen Arztbesuch wegen Rückenschmerzen angegeben. Diesen Antrag hatte die Versicherung zuerst ohne weitere Prüfung angenommen und Jahre später den Rücktritt erklärt. Der BGH stellte fest, daß ohne weitere Aufklärung der Ursachen von Rückenschmerzen sich in einer Berufsunfähigkeitsversicherung im allgemeinen eine ordnungsgemäße Risikoprüfung nicht durchführen läßt. Mit dem Unterlassen der hier gebotenen Rückfrage steht zugleich fest, daß mangels ordnungsgemäßer Risikoprüfung eine Rücktrittsberechtigung des Versicherers nicht besteht. (BGH IV ZR 201/93 Urteil vom 02.11.1994) Der Grad der Behinderung im Schwerbehindertenausweis Der Grad der Behinderung kann dann nicht erhöht werden, wenn in einem der Leiden des Behinderten eine Verschlechterung eingetreten ist, dies aber durch die Besserung eines anderen Leidens ausgeglichen wurde. (BSG 9 RVs 2/93 Urteil vom 11.10.94) Notwendige und zweckmäßige ärztliche Behandlung Ein Vertragszahnarzt, der nach Beratung eines Patienten auf dessen Wunsch Kunstoff anstelle von Amalgam als Füllmaterial in einem Regelfall verwendet, 380 kann nicht wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien disziplinarisch bestraft werden. (14a RKa 7/92 Urteil vom 08.09.93 MDR 928/1994) Zu Unrecht gezahltes Geld muß vom Versicherten nicht immer zurückgezahlt werden Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts kann zu Unrecht gezahltes Krankengeld nur innerhalb eines Jahres zurückgefordert werden. In einem dem Gericht vorgelegten Fall darf ein Arbeiter das ihm ausgezahlte Krankengeld behalten. Die Kasse hatte bereits 1985 festgestellt, daß der Arbeiter während seiner Krankheit bei einer Firma tätig war. Erst 1990 verlangte die Kasse die Rückzahlung des Krankengeldes. Sind der Krankenkasse alle erforderlichen Tatsachen zur Beurteilung eines Falles bekannt, muß die Rückforderung innerhalb eines Jahres erfolgt sein. (1 RK 6/94) Seite 12: Autoimmun-Leserbefragung 1995 Fast jeder zweite Leser gibt sein Blatt an andere weiter Für ein Fachblatt ist es immer besonders interessant zu wissen, wer seine Leser sind, und wie sie über ihr Blatt denken. Denn nur, wenn Verlag und Redaktion die Wünsche und Kritik der Leser kennen, läßt sich das Produkt weiter verbessern. Deshalb verschickte Autoimmun in drei Kampagnen an 352 Leser einen Fragebogen. Der Rücklauf betrug 203 Antworten, was 57,7 Prozent sind und eine relativ hohe Leser-Blatt-Bindung bedeutet. Dieses Ergebnis ist umso erfreulicher, da es vielen Lesern wegen ihrer krankheitsbedingten Handicaps Mühe machte, einen Fragebogen auszufüllen. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die geantwortet haben. Das Durchschnittsalter der Autoimmun-Leser beträgt 47,6 Jahre. 54,2 % sind weiblich und 45,8 % männlich. Dies entspricht nicht ganz der Geschlechterverteilung bei den Autoimmunkrankheiten, gibt jedoch den Trend wieder, daß mehr Frauen erkrankt sind. Die Berufsausbildung unserer Leser war ein weiterer Schwerpunkt der Befragung. 36 Prozent besitzen einen Hochschulabschluß. Dabei spielte die Fachrichtung keine Rolle. Demgegenüber lesen 64 % die Autoimmun, ohne auf eine Universität gegangen zu sein. Ferner interessierte uns die Frage: Wie wird die Autoimmun gelesen? Das Ergebnis ist erstaunlich, denn 42,3 % aller Abonnenten geben die Autoimmun anderen Lesern weiter (siehe Graphik unten). Dies bedeutet eine größere Reichweite, als ursprünglich angenommen wurde. Die Frage, ob die zweimonatliche Erscheinungsweise der Autoimmun zu selten, zu häufig oder richtig ist, wurde eindeutig beantwortet. 88,5 % der Leser sind der Meinung, daß alle zwei Monate der richtige Erscheinungsrhytmus ist. 11,5 % gaben keine Antwort. Bestätigt wurde der Verlag auch beim Seitenumfang. 84,6 % halten den derzeitigen Umfang der Autoimmun für angemessen. Nur 7,6 % wünschen sich eine Verkleinerung des Blattes. 381 Wir baten unsere Leser auch, eine Gesamtnote nach dem Schulnotenprinzip (1 = sehr gut bis 6 = ungenügend) für die Autoimmun insgesamt und für die äußere Erscheinung (Layout, Fotos etc.) abzugeben. Mit der Durchschnittsnote von 1,9 für die Gesamtbewertung können Verlag und Redaktion zufrieden sein. Die äußere Erscheinung wurde mit einer 2,3 bewertet. Die Redaktion wird diese Ergebnisse zum Anlaß nehmen, weitere Verbesserungen anzustreben. Weiter hat uns die Benotung einzelner Rubriken interessiert. Hier eine Auswahl der Ergebnisse: Berichte über Therapiemöglichkeiten: 1,6, Darstellung von Autoimmunkrankheiten: 1,9, News & Hintergrund (kurze Meldungen): 2,0, Tips und Urteile: 1,9, Leserbriefe: 2,6, Medizin-Lexikon: 2,1 sowie Einzelschicksale und -darstellungen: 2,1. Wir werden die gesamten Ergebnisse zum Anlaß nehmen, bestimmte Rubriken im Blatt zu verbessern und anders zu gewichten. Zum Schluß wollten wir noch wissen, ob gewerbliche Anzeigen in der Autoimmun für überflüssig gehalten oder als informative Beigabe angesehen werden. Das Ergebnis war erstaunlich: 52 Prozent der Leser wünschen sich mehr Anzeigen im Blatt, nur 8 Prozent lehnen Werbung ab. Weiteren 40 Prozent ist es egal, ob Werbung im Blatt ist. Dieses Ergebnis sollte Unternehmen aus den Bereichen Gesundheitswesen und Pharma ermutigen, in der Autoimmun präsent zu sein. Seite 13: Leserpodium Selbstmord Nachdem mein Mann von der Ablehnung von DSG erfahren hat, zerplatzten für ihn endgültig seine Träume von einem Leben in seinem Sinn, wo er sich und seine Vorstellungen finden konnte. Er hatte den Mut zu gehen. Nach seinem Tod habe ich, zumindest zur Zeit, nicht das Bedürfnis, vielleicht auch 382 nicht die Kraft, mich mit MS auseinanderzusetzen. Speziell die Entscheidung des Bundesgesundheitsamtes bzgl. DSG erweckt in mir eine unglaubliche Wut, die ich zur Zeit aber nicht konstruktiv einsetzen kann. Ich bewundere alle Menschen, die auch jetzt noch die Kraft und die Energie haben, um weiterzukämpfen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin viel Glück. Irmi G., Neumünster Erwerb von DSG In der letzten Ausgabe von Autoimmun von Juni/Juli 1995, in der Sie davon berichteten, daß die Behörde die Zulassung von DSG versagt hat, ist in den Reaktionen zu lesen, ein Herr Burghardt R. aus Leipzig verstehe die Aufregung nicht, weil jeder die DSG-Therapie kaufen könne. Nun frage ich Sie, wo DSG verkauft wird, bzw. zu welchem Preis es erworben werden kann? Franz M., Bad-Fischau (Österreich) Nach unserem Kenntnisstand ist Deoxyspergualin in Japan für Transplantationen zugelassen. Die Redaktion Eigene Verantwortung Mein Krankheitsverlauf läßt kein Warten mehr zu, wenn ich vermeiden will, ein Pflegefall zu werden. Es ist eine Unverschämtheit, den Betroffenen ein solches Mittel wie DSG vorzuenthalten, obwohl diese bereit sind, DSG in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt auf eigene Verantwortung zu nehmen. Eine zusätzliche Verschlimmerung ihrer körperlichen Verfassung kann es für Betroffene kaum geben. Ich frage mich, ob das Medikament nicht längst auf dem Markt wäre, wenn die, die entscheiden, selbst betroffen wären. Peter K., Duisburg Nachdenklich Die Versagung der DSG-Zulassung trifft mich nicht unmittelbar, da ich an Rheuma leide. Doch stimmt mich der ganze Vorgang sehr nachdenklich. Wenn Medikamente vorhanden sind, die nur die Spur einer Heilungschance haben, dann sollte man sie auch unheilbaren Kranken anbieten. Wer da anders denkt, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er als Arzt seinen Beruf verfehlt hat. Knuth L., Essen Kranke verwalten Auf was wartet eigentlich die DMSG? Vor zwei Jahren wurde bei mir MS festgestellt. Ich rief bei der DMSG an, um Informationen über Therapien zu bekommen. Eine rotzfreche Dame erklärte mir, daß ich erst Mitglied werden muß, dann könne man mich ernstnehmen. Heute bin ich froh, daß ich nicht Mitglied geworden bin, denn dieser Verein möchte den Menschen nicht helfen, sondern nur die Kranken verwalten und sich durch öffentliche Gelder und gutgemeinte Spenden selbst am Leben erhalten. Die Passivität bei der Erforschung von neuen Medikamenten ist erschreckend kriminell. Angela Sch., Hamburg 383 Neues MS-Medikament In Ihrer letzten Ausgabe haben Sie über das Medikament Lenomid berichtet. Bisher waren mir die positiven Ergebnisse insbesondere bei der chronischen MS-Verlaufsform unbekannt. Bitte berichten Sie weiter über solche mutmachenden Entwicklungen. Man hört ja sonst nichts über neue Medikamente. Die DMSG feiert „ihr“ Beta-Interferon seitenlang. Ich kenne drei MS’ler, die haben es ausprobiert und denen geht es heute so schlecht, wie es ihnen noch nie gegangen ist. Die Ärzte bestehen aber darauf, daß sie sich über zwei Jahre spritzen müssen. Bitte bleiben Sie weiter am Ball. Mechthild D., Chemnitz Schmerzen Ich zähle zu den MS-Kranken, die häufig fürchterliche Schmerzen im Gesicht haben. Mein Arzt sagt, da kann man nicht viel machen. Und mit Schmerzmitteln ist er wegen der Suchtgefahr vorsichtig. Gibt es neue Möglichkeiten? Susen K., Spokane (USA) Demnächst werden wir das Thema „Schmerztherapie“ behandeln. Die Redaktion Seite 14: Medizin und Wissenschaft in den Medien, TV-Tips So, 6. August, 19.10 Uhr, 3sat: Wissenschaft im Kreuzverhör „Rückkehr der Seuchen?“ Diskussionsreihe mit Gästen Mo, 7. August, 20.15 Uhr, BR: Reportage am Montag: Der „Wettlauf mit dem Tod“ - Bayern hilft AIDS-Kindern in Rumänien. Di, 8. August, 15.55 Uhr, ZDF: Gesundheits-Tip Di, 8. August, 16.00 Uhr, BR: Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik - „Blutgruppen“, die lange Geschichte der Bluttransfusionen Di, 8. August, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde - „Wenn der Schmerz im Nacken sitzt“, Probleme mit den Halswirbeln Di, 8. August, 21.00 Uhr, N3: Visite - Gesundheit im Alltag, Moderation: Karen Kruse Mi, 9. August, 20.15 Uhr, SFB: QuiVive - Medizin: „Schlaganfall: kein Schicksalsschlag“ Wer einen Schlaganfall erleidet, muß sich meistens einer mühevollen Rehabilitation unterziehen. Wer aber vorher schon die Warnzeichen seines Körpers erkennt, kann einem Schlaganfall vorbeugen. Do, 10. August, 22.50 Uhr, SFB: Berühmte Ärzte der Charité - „Das scheinbar Unmögliche“ Walter Stoeckel arbeitete in den letzten Kriegstagen 1945 unbeirrbar als Geburtshelfer an der Berliner Charité. Nach dem Ende des Krieges legte er den Grundstein für eine Zusammenarbeit mit der sowjetischen Kommandantur und den in die Charité entsandten Ärzten der Roten Armee. Fr, 11. August, 13.15 Uhr, BR: Geheimnisvoller Kosmos - Gehirn 384 „Wenn man die Welt nicht mehr versteht“ - Die Kommunikation ist ein elementares Bedürfnis der Menschen. Bei Erblindung, Ertaubung oder Verlust der Sprache ist die Fähigkeit zur Kommunikation eingeschränkt. In diesem Film werden moderne Behandlungs- und Operationstechniken vorgestellt, die eine Kommunikation wieder möglich machen. Sa, 12. August, 9.30 Uhr, WDR: Träumen wir uns gesund? Noch vor kurzem wurden Träume in das Reich des Mystischen verbannt. Jetzt beschäftigen sich Wissenschaftler und Schlafforscher ernsthaft mit diesem Thema. So, 13. August, 19.10 Uhr, 3sat: Wissenschaft im Kreuzverhör „Erbkrankheiten“ - Neue Diagnosemöglichkeiten zwingen Menschen oftmals zu einer Entscheidung, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht. Die unheilbare Erbkrankheit Chorea Huntington bricht gewöhnlich erst in der 2. Lebenshälfte aus. Davor liegen 30 bis 50 gesunde Lebensjahre. Auf der anderen Seite scheint vielen dieses Leben nicht lebenswert: Bei vorgeburtlicher Diagnose ist Chorea Huntington oft Grund für eine Abtreibung. Di, 15. August, 15.55 Uhr, ZDF: Gesundheits-Tip Fr, 18. August, 13.15 Uhr, BR: Geheimnisvoller Kosmos - Gehirn „Konkurrent Computer? - Ist das Gehirn des Menschen in der Lage, sich selbst eine Konkurrenz zu schaffen? Der Film geht der Frage nach, ob eine Maschine tatsächlich in der Lage ist, so komplexe Vorgänge wie die des menschlichen Gehirns nachzuvollziehen. Di, 22. August, 15.55 Uhr, ZDF: Gesundheits-Tip Di, 22. August, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde „Chronologie der Medikation“ Di, 22. August, 21.00 Uhr, N3: Visite Gesundheit im Alltag, Moderation: Karen Kruse Mo, 28. August, 16.00 Uhr, N3: Bremer Gesundheitswerkstatt Aktuelles Thema Mi, 30. August, 22.15 Uhr, ZDF: 100 Jahre Röntgen - „100 Jahre Durchblick“ Di, 5. September, 21.00 Uhr, N3: Ratgeber - Erkrankung der Schilddrüse Mi, 6. September, 20.15 Uhr, BR: Forscher - Fakten - Visionen - Das BRWissenschaftsmagazin Di, 12. September, 21.00 Uhr, N3: Visite Gesundheit im Alltag, Moderation: Karen Kruse Di, 19. September, 22.15 Uhr, N3: Prisma - Mein Bauch bleibt zu! Operieren mit dem Endoskop Mi, 20. September, 21.00 Uhr, BR: Der Griff ins Gehirn Di, 26. September, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber - Rätsel Immunsystem - Was schwächt, was stärkt die Abwehrkraft des Körpers? Seite 15: Lexikon Stichwort: TNF - Botenstoff mit mehrdeutiger Botschaft Faktor der unüberschaubaren Beziehungen des Immunsystems läßt Tumore und Hoffnungen schwinden 385 Der amerikanische Immunologe Lloyd Old entdeckte im Jahr 1975 einen körpereigenen Proteinbaustein, der im Reagenzglas Krebszellen abtöten konnte. Zehn Jahre später waren die Voraussetzungen für die gentechnische Produktion dieses außergewöhnlichen Stoffes geschaffen. Aus seiner besonderen Eigenschaft leitet sich der Name des Tumor-Nekrose-Faktor getauften Eiweißstoffs ab - vom griechischen Wort „nekrosis“ für absterben. Der Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) wird im menschlichen Körper von den Makrophagen (Freßzellen) gebildet, wenn sie auf krankheitserregende Stoffe gestoßen sind. Unerfüllte Erwartungen In den achtziger Jahren wurde TNF als Wunderdroge gegen den Krebs gefeiert. Heute weiß man, daß sich diese hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt haben. Genauso erging es Jahre davor den Interferonen. Auch diese Botenstoffe waren einmal Hoffnungsträger der Krebstherapie. Aber auch die Interferone haben die in sie gesetzten Erwartungen nur unzureichend erfüllt. Interferone und andere Zellprodukte wie der Tumor-Nekrose-Faktor, die den Ablauf der Immunantwort regeln, werden unter dem Begriff Zytokine zusammengefaßt. Es sind Botenstoffe, die von Zellen der Körperabwehr gebildet werden und andere Zellen beeinflussen können. Nachhilfeunterricht für das Immunsystem kann gefährlich werden Schwere Nebenwirkungen plagten die Patienten, an denen erste Therapien mit Zytokinen erprobt wurden: hohes Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen. Ursachen könnten in der unterschiedlichen Konzentration von Zytokinen im menschlichen Körper zu finden sein. Eine natürliche Immunantwort läßt Zytokine nur direkt am Tumor in hohen Konzentrationen entstehen, - während bei der therapeutischen Anwendung der gesamte Körper mit dem Botenstoff überschwemmt wird. In der Folge greift das Immunsystem auch gesunde Zellen an, es kann zu allergischen Schocks kommen. Inzwischen gibt es auch Hinweise darauf, daß TNF nicht nur Tumore schrumpfen, sondern auch wachsen lassen kann. Neue Anwendungsmöglichkeiten Die hohen Forschungskosten und die Entwicklung gentechnischer Herstellungsverfahren wollen die Pharmafirmen nicht umsonst investiert haben. Das Unternehemen BASF hat beispielsweise mit dreistelligen Millionenbeträgen auf den Stoff TNF gesetzt. Inzwischen sieht man zukünftige Einsatzgebiete von TNF weniger in der Krebstherapie. Man favorisiert nun eher die Behandlung von Entzündungen, Schock und Autoimmunerkrankungen. Leser werben Leser! Jeder Autoimmun - Abonnent, der einen neuen Leser für unsere Zeitschrift begeistern kann, erhält von uns ein Dankeschön. Sie können wählen zwischen drei kleinen Aufmerksamkeiten. Zeigen Sie doch mal Freunden und Bekannten die Autoimmun, die Zeitschrift für den besser informierten Patienten. Wenn der neue Leser an aktuellen Informationen genauso interessiert ist wie Sie, möchte er Autoimmun vielleicht auch regelmäßig lesen. Für Ihre Mühe haben wir für Sie ausgewählt: 386 1. Morgendlicher Muntermacher: Uhrenradio in elegantem schwarz mit großen roten Leuchtziffern. Das UKW-Radio weckt mit Musik oder Warnton. 2. Jahresplaner im taschenfreundlichen Format. Das komplette Plansystem schafft Überblick für das Jahr 1996. Unterteilung in Rubriken mit durchdachten Systemblättern. Der Planer ist aus Kunstleder und hat diverse Einsteckfächer. 3. Digitale Meßgenauigkeit: Quecksilberfreies Fieberthermometer mit LCDAnzeige. Amtlich geeicht, wasserdicht und mit Signalton. Inkl. Etui und Batterie. Für jeden geworbenen Neuabonnenten erhalten Sie eine der oben genannten Prämien Ihrer Wahl (nur solange Vorrat reicht), sobald der neue Autoimmun Leser die Zeitschrift Autoimmun für mindestens ein Jahr abonniert hat und die Abonnementkosten überwiesen worden sind. Schreiben Sie an: Franke Verlag, Mommsenstraße 28, 10629 Berlin 8.11 „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1995 Seite 3: Wieviele noch? Auch wenn es einige nicht hören möchten: Der entschlossene Selbstmord von Klaus von der Burg aus Neumünster hat uns alle entsetzt und schlimmer, er hätte nicht sein müssen. Klaus von der Burg könnte noch leben. Er bekämpfte die bislang unheilbare Krankheit Multiple Sklerose erfolgreich mit einem Medikament, dessen Zulassung noch 10 Jahre dauern kann. Von der Burg war Teilnehmer einer Medikamentenprüfung. Er spürte selbstkritisch die günstige Wirkung einer Substanz, nahm kaum Nebenwirkungen wahr und kam zu dem Entschluß, die Verbesserung seiner Symptome der Arznei DSG zuzuschreiben. Erfreulich aus medizinischer Sicht. Soweit, so gut. Als es ihm wieder schlechter ging, wollte er die Therapie fortsetzen. Doch plötzlich sagten alle nein: Krankenkasse, Horst Seehofer, Pharmahersteller Behringwerke und die Schreibtischmediziner des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Schließlich wurde die beantragte Eilzulassung wegen des Vetos der DMSG-Ärzte versagt. Von der Burg handelte und nahm sich das Leben, weil man es ihm durch Entzug einer hilfreichen und nachweisbar wirksamen Medizin verwehrte. Nur das ist der wahre Grund. Die Ursache dafür setzte nicht seine Krankheit, sondern ein bürokratisch unflexibler Apparat. Jeder der hier genannten trägt ein wenig Schuld an dem Tod von Klaus von der Burg. Es ist jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, ob man Medikamente, die sich in wissenschaftlichen Studien befinden, nicht den Ärzten von unheilbaren Kranken - ohne Wartezeit - zur Verfügung stellen sollte. Wir meinen: Ja, Herr Seehofer. Eine Reform des Arzneimittelgesetzes ist notwenig und wäre eine politisch populäre Maßnahme. Die Stimmung in der Ärzteschaft wird immer eindeutiger: Neurologen stehen der MS weitgehend ratlos gegenüber, sie wollen mit neuen Arzneien arbeiten, um ihren Patienten eine Chance zu geben. Doch sie bekommen die Präparate nicht oder nur für viel Geld auf dem Schwarzmarkt. Das Medikament DSG ist 387 wertvoller als Gold geworden und schwerer zu bekommen als Plutonium. Was für ein Zustand! Weshalb schweigt die DMSG? Ihre Gründung war auch Antwort auf das schreckliche nationalsozialistische Euthanasieprogramm. Warum läßt man nun solche Dinge geschehen und behauptet, man wüßte von gar nichts und alles sei in Ordnung? Kürzlich erhielt ein weiterer Patient die Absage von seiner „Gesundheitskasse“, daß die Therapie mit DSG nicht bezahlt werde. Er ist stark selbstmordgefährdet, berichtet sein Umfeld… Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… wurde gemeldet: Krebsmittel im Einsatz gegen Multiple Sklerose. Eine Nachricht von der Universität Patras (Griechenland) gibt vielen MS-Kranken Hoffnung. Prof. Koundouris und sein Ulmer Kollege Prof. Kornhuber haben eine Behandlung entwickelt, wonach der Einsatz des Krebsmedikaments Mitoxantron kombiniert mit Immunoglobulinen die Bildung weißer Blutkörperchen verhindert. Nach Angaben des griechischen Arztes leiden in Europa ca. drei Millionen Menschen an Multipler Sklerose. Mitoxantron gehört zu den sogenannten Immunsuppressiva (Imurek u.a.). Autoimmun wird darüber in einer der nächsten Ausgaben ausführlich informieren. Seiten 4, 5 und 6: Die Angst zu ersticken Asthma ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege. Typisch sind plötzlich auftretende Atemnotsanfälle, die durch eine Verkrampfung der Bronchien verursacht werden Weltweit nehmen die chronischen Atemwegserkrankungen - wie das Asthma deutlich zu. In Deutschland hat sich das Auftreten von Asthma in den letzten 50 Jahren fast verzehnfacht. Auslöser von Asthmaanfällen ist eine Erregung des Nervus Vagus, eines Nervs, der zum vegetativen Nervensystem zählt. Die kleinen Bronchien verkrampfen sich anfallsweise. Diese Verkrampfung und Verengung der Bronchien behindert das freie Atmen so sehr, daß ein starkes Gefühl von Atemnot entsteht. Wenn das Asthma von einer chronischen Bronchitis begleitet wird, wenn also eine Infektion der Bronchien besteht, spricht man von Bronchialasthma. Dann sind die Schleimhäute angeschwollen und sondern Schleim ab. Quälender Husten begleitet die daraus resultierende Atemnot. Früher glaubte man, daß Asthma eine „nervöse“ Erkrankung sei, die nur vom Gemütszustand beeinflußt wird. Doch langsam begannen die Mediziner umzudenken. Um 1900 wurde der Begriff Allergie als klinische Bezeichnung eingeführt. Man erkannte, daß sich Reaktionen des Organismus auf nur in kleinsten Spuren vorhandene Fremdstoffe so stark steigern konnten, daß sie Krankheitssymptome hervorriefen. Bei Kindern ist Asthma die häufigste chronische Erkrankung, sehr oft durch allergische Komponenten hervorgerufen. Wer in späteren Lebensjahren an Asthma erkrankt, hat es meist mit der nichtallergischen Form zu tun. Oft sind es viele Faktoren, die beim Bronchialasthma zusammenwirken. Auch das Wetter spielt eine wichtige Rolle. 388 Erkältung als Ursache? Asthma ist keine Bagatellerkrankung. Jährlich sterben in Deutschland 30.000 Menschen an Asthma. Es liegt damit bei den krankheitsbedingten Todesursachen unter den ersten zehn. Aber das Verständnis für Menschen mit Asthma ist noch sehr unterentwickelt. Immer noch heißt es, Asthmatiker wären einfach nur empfindlich und mit einer psychischen Deformation geschlagen. Natürlich hat diese Erkrankung - wie fast jede andere auch - eine seelische Dimension. Wer Angst hat zu ersticken, der gerät in Panik und verschlimmert seine Krankheitssymptome zusätzlich. Aber es ist wichtig zu wissen, daß Asthma eine nachweislich körperliche Krankheit ist, die man keinesfalls verharmlosen darf. Fast jeder war schon einmal erkältet. Akute Bronchitis ist die Folge einer Erkältung. Husten mit Auswurf sind typische Krankheitszeichen. Diese unangenehmen Erfahrungen vergaß man spätestens nach zwei Wochen wieder: Die Krankheitssymptome waren ohne gesundheitliche Schäden abgeklungen. Anders bei der chronischen Form der Bronchitis: Sie dauert länger, wiederholt sich in Abständen und hinterläßt Schäden an Bronchien, Lunge und sogar am Herzen. Manchmal sind Bronchitis und Asthma leicht zu verwechseln. Aber im Gegensatz zu Asthmatikern spüren Menschen mit chronischer Bronchitis jahrelang keine Atemnot. Lebenswichtige Atmung Wir atmen meist „automatisch“, ohne unser bewußtes Zutun. Erwachsene schöpfen 16 Atemzüge in der Minute, Säuglinge sogar 30 - 35. Für eine ungehinderte Atmungs- und Lungenfunktion ist die beim Aus- und Einatmen in die Lunge gelangende Luftmenge, das Atemvolumen, wichtig. Auch der Luftrest, der nach dem Ausatmen in der Lunge bleibt, ist ein Anhaltspunkt. Die menschliche Lunge hat ein Fassungsvermögen von ca. 3,5 Litern Luft. In der Minute verbraucht man durchschnittlich acht Liter Luft, bei extremer körperlicher Anstrengung kann sich der Wert auf maximal 70-90 Liter pro Minute steigern. Unsere Lunge führt dabei einen Gasaustausch durch: Sauerstoff, der für den Körperstoffwechsel dringend gebraucht wird, kann ins Blut gelangen - das Stoffwechselprodukt Kohlendioxid wird aus dem Körper heraustransportiert und an die Luft abgegeben. Ausatmungsluft enthält dann 100 mal mehr Kohlendioxid als atmosphärische Luft. Wir atmen ein, wenn sich unser Brustraum erweitert. Die Muskeln heben die Rippen und flachen das Zwerchfell ab, die Muskulatur der Bronchien erschlafft: Frische Luft kann in die Lunge strömen. Schleimhäute in Nase und Nasennebenhöhlen befeuchten und wärmen die Atemluft an. Reinigung durch kleine Flimmerhärchen Die Schleimhäute der Luftröhre und der Bronchien sind mit feinen Flimmerhärchen ausgestattet. Diese Flimmerhärchen sind ständig in Bewegung und befördern Fremdkörper und Verunreinigungen nach außen. Denn die Luft, die uns umgibt, ist mehr oder weniger mit Staubteilchen und Krankheitserregern belastet. Damit diese Fremdstoffe nicht über die Lunge ins Blut gelangen können, hat unser Atmungssystem komplizierte Abwehr- und Reinigungsmechanismen. So gelangt gefilterte und auf Bluttemperatur erwärmte Luft in die Lungenbläschen, wo sich schließlich der Gasaustausch vollzieht. Beim Ausatmen verkleinert sich der Brustraum, weil die Rippen sich 389 senken und das Zwerchfell gewölbt wird. Bauchmuskeln - und Elastizität der Lunge - unterstützen die Ausatmung. Es folgt eine Atempause als Entspannungsmoment. Wenn Fremdkörper in die Luftröhre gelangt sind, lösen sie über die in der Schleimhaut sitzenden Nervenfühler einen Hustenreiz aus. Luft wird in der Lunge gestaut, bis der Druck hoch genug ist, um durch einen heftigen Hustenstoß den Fremdkörper gemeinsam mit der ausgeatmeten Luft aus den Luftwegen hinauszubefördern. Wenn das Bronchialsystem entzündet ist - und Schleim die Atemwege blockiert - dient das Husten dazu, den übermäßig gebildeten Schleim zu entfernen. Die Innenräume der Atemwege verengen sich, bei Atemnot fällt die Atempause aus. Die Atemtakte (Einatmen - Ausatmen - Atempause) verlieren ihre Regel- und Gleichmäßigkeit. Die Atemtätigkeit wird unregelmäßig und übermäßig: Es wird zu tief eingeatmet, doch die Ausatmung bleibt unvollkommen. Zuviel Sauerstoff gerät ins Blut, aber viel zuwenig Kohlendioxid wird abgegeben. Wenn der Brustkorb sich nicht richtig senken kann, die Elastizität der Lunge nachläßt - dann staut sich die Luft in der Lunge. Bei ständiger Überblähung der Lunge spricht man vom Krankheitszustand eines Lungenemphysems. Um einen ungefähren Anhaltspunkt über den eigenen Gesundheitszustand zu bekommen, kann man einen einfachen Selbsttest anwenden: Man holt tief Luft und hält dann den Atem an. Ein gesunder Mann sollte ungefähr 50 Sekunden lang eine Atempause einlegen können, eine Frau mindestens 40 Sekunden. Um den Krankheitszustand beurteilen zu können, werden zuverlässigere und genauere Hinweise benötigt. Zwei wichtige Hilfsmittel, um den Krankheitsverlauf richtig beurteilen zu können, sind: das Peakflow-Meter (ein Meßgerät zur Lungenfunktionsmessung) und das Asthma-Tagebuch. Peakflow bedeutet maximale Atemstromstärke. Typisch für das Asthma bronchiale sind deutliche Schwankungen, die je nach Tageszeit variieren. Morgens sind die Werte am niedrigsten, abends am höchsten. Je größer die Schwankungsbreite der Peakflow-Werte, desto notwendiger ist eine Behandlung. Wenn im Asthmatagebuch die Meßwerte - und die Einnahme von Medikamenten - genau festgehalten wurden, kann der Arzt seine Behandlung danach richten. Er kann dann sehen, welche Medikamente zu welchem Zeitpunkt am wirkungsvollsten sind. Blick in die Lunge Der Arzt hat die Möglichkeit, mittels einer Bronchoskopie die zähen Schleimablagerungen in den Bronchien zu beobachten. Dazu wird ein dünnes, schlauchartiges Instrument in die Lunge eingeführt. Der Arzt kann durch das Bronchoskop genannte optische Instrument die Verengung des Bronchialsystems direkt betrachten. Für den Patienten ist diese Untersuchungsmethode heute nicht mehr so belastend, da die Untersuchung unter Betäubung durchgeführt wird - und die Diagnosegeräte immer kleiner geworden sind. Wenn man weiß, welche Faktoren Asthma im Einzelfall auslösen, dann gilt es, diese Auslöser zu meiden. Bei einer durch Stauballergie ausgelösten Asthmaerkrankung z. B. kann man durch geeignete Gestaltung der Wohnumgebung das Risiko eines Asthmaanfalles mindern und die Medikamentengaben verringern. 390 Therapie mit Kortison Eine entzündungshemmende Wirkung hat das Kortison, das wegen seiner Nebenwirkungen von vielen Menschen mit Mißtrauen betrachtet wird. Kortison wird angewandt, um langfristig das überempfindliche Bronchialsystem von Entzündungen zu befreien. Die Nebenwirkungen sind nicht so stark, wenn Kortison als Inhalationsspray genommen wird. Auch andere entzündungshemmende Medikamente können wirkunsvoll als Dosieraerosol oder in Pulverform inhaliert werden. Bei akuter Atemnot ist Kortison allerdings wirkungslos, es dauert Wochen, bis sich eine Wirkung bemerkbar macht. Schnelle Hilfe aus der Spraydose Um einen Atemnotanfall zu bekämpfen, verwendet man deshalb eine andere Gruppe von Medikamenten: die Bronchospasmolytika. Ihr Name leitet sich von Spasmus (Verkrampfung) und Lyse (Lösung) her. Sie nehmen Einfluß auf das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, um die verkrampfte Bronchialmuskulatur erschlaffen zu lassen. Im konkreten Fall von Atembeschwerden werden Sympathomimetika die stärkste Wirkung haben. Nach fünf bis zehn Minuten tritt die bronchialerweiternde Wirkung ein und hält bis zu sechs Stunden an. Tritt die erwünschte Wirkung nicht ein, ist das nächst stärkere Medikament anzuwenden. Medikamente können vorbeugend genommen werden, z. B. bei Anstrengungsasthma. Ein anderer wichtiger Arzneistoff zur Asthmabekämpfung ist das Theophyllin. Es läßt sich nicht inhalieren. Außer als intravenöse Injektion im Notfall kommt es deshalb nur in Tablettenform für eine sinnvolle längerfristige Behandlung in Frage. Obwohl in der Diagnostik des Asthma bronchiale und bei den Behandlungsmöglichkeiten Fortschritte gemacht werden, sind doch kaum Erfolge zu verzeichnen, wenn es um die Verhinderung des Asthmatodes geht. Die Morbidität (Sterblichkeitsrate) dieser Erkrankung steigt sogar. Die Neugründung von Selbsthilfegruppen belegt diesen Trend. Deshalb ist es für Asthmakranke so wichtig, daß sie die Schwere ihrer Erkrankung nicht unterschätzen. Wie bei jeder chronischen Erkrankung verspricht ein sorgfältig ausgearbeitetes Behandlungsschema zur Dauerbehandlung den größten und kontinuierlichsten Erfolg. Deshalb ist es so wichtig, daß Arzt und Patient zusammenarbeiten und der Patient an der Anpassung der Therapie aktiv mitarbeitet. 391 „Die Furcht vor dem nächsten Anfall bestimmt mein Leben“ Wie fing das Asthma bei Ihnen an? Als Kind hatte ich oft Luftnot beim Treppensteigen. Mitten im Zweiten Weltkrieg litt ich besonders, wenn ich in den Luftschutzkeller mußte. Nach dem Krieg wurde ich an die Nordsee verschickt, die Atmung besserte sich. Jahrzehnte hatte ich dann keine Beschwerden. Wann kam das Asthma wieder und warum? Ich war in den letzten Jahren öfter erkältet - mit viel Husten. Ich habe mir das Asthma angehustet. Atemnotzustände nahmen immer mehr zu. Wenn mein Arzt näher auf meine Luftnot eingegangen wäre, mir früher die richtigen 392 Medikamente verordnet und mir die Gefahren des Rauchens erklärt hätte, vielleicht ginge es mir dann heute nicht so schlimm. Glauben Sie an eine psychische Ursache? Nein, ich denke, zuerst ist die Krankheit da. Dann kommt die Angst zu ersticken. Und die Angst vor dem nächsten Anfall hat natürlich Einfluß auf mein ganzes Leben: Schaffe ich es, einkaufen zu gehen? Kann ich die Urlaubsreise wagen? Wir Asthmatiker ersticken ja nicht, weil wir keine Luft bekommen, wir ersticken von zuviel eingeatmeter Luft. Rein geht die Luft, aber nicht mehr raus aus der Lunge. Was tun Sie gegen die Atemnot? Meine Fachärztin hat mir Medikamente verschrieben, mit denen ich meine Krankheit im Moment im Griff habe. Auch Kortison, das für mich trotz starker und sehr unangenehmer Nebenwirkungen unentbehrlich ist. Ich mache unter fachlicher Anleitung täglich eine bis eineinhalb Stunden Sport, z. B. Atemübungen. Das tut mir gut und stabilisiert meine Gesundheit. Wie geht es weiter? Ich frage mich: Warum geht es mir schlecht, obwohl meine PeakflowMeßwerte normal sind? Es sind viele Fragen offen, an Asthma muß weiter geforscht werden, um den Kranken wirkungsvoll helfen zu können. Seite 7: News & Hintergrund Mehr ambulante Operationen In Deutschland ist die Zahl der ambulant durchgeführten Operationen in den letzten zwei Jahren um 50 Prozent gestiegen. Die Grundlage dafür ist das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992, das im Vergleich zur bisherigen stationären Behandlung im Krankenhaus die kostengünstige ambulante Operation vorschlägt und auch entsprechend fördert. Hierbei ist jedoch die Nachsorge nach wie vor ein großes Problem. Bei etwa jedem hundertsten Patienten treten schwere Komplikationen auf, jeder fünfte Patient klagt nach der Narkose über Übelkeit. Einige Ärzte warnen vor Zwischenfällen und empfehlen zur Erhöhung der Sicherheit die stationäre Beobachtung der Patienten für ein bis zwei Tage nach der Operation. Krank durch „Arbeitsklima“ In den letzten zehn Jahren ist das sogenannte Sick Building Syndrome immer häufiger aufgetreten. Als „Sick Building Syndrome“ werden Beschwerden wie Hautreizungen, Übelkeit und Kopfschmerzen bezeichnet, die durch Schadstoffbelastung der Luft am Arbeitsplatz verursacht werden. Die genauen Ursachen sind noch weitgehend unklar, meistens spielen viele Faktoren eine Rolle. Erstaunlich ist, daß die bei Messungen festgestellten Schadstoffkonzentrationen meist weit unter den zulässigen Grenzwerten liegen. Die Gefährlichkeit ergibt sich also offensichtlich aus der Kombination der Substanzen. Neuartige Bauhilfsstoffe , die erst in jüngerer Zeit Verwendung fanden, können nach Meinung von Experten der Auslöser sein. Neue Testmethode ersetzt Tierversuche 393 Die vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) entwickelte Acute Toxic Class-Methode (ATC) verringert die Zahl der notwendigen Tierversuche. Tierversuche spielen bei der Einstufung der Giftigkeit von Stoffen eine wichtige Rolle. Aber auch die neue Testmethode kommt nicht ganz ohneTierversuche aus. Durch exakte biometrische Messungen kann jedoch auf 70 Prozent der Tierversuche verzichtet werden. Abführmittelverbrauch geht zurück Nach einer Mitteilung des Robert-Koch-Instituts geht der Abführmittelverbrauch in Deutschland zurück. In drei Erhebungsphasen wurden jeweils rund 5000 Personen zwischen 25 und 69 Jahren befragt, ob sie in den letzten sieben Tagen ein Abführmittel genommen hätten. Dabei gaben durchschnittlich 2,6 Prozent der befragten Frauen, aber nur 0,3 Prozent der Männer an, ein Laxans eingenommen zu haben. Nach weiteren Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts wurden von den Studienteilnehmern 87 verschiedene Laxantien verwendet, von denen die meisten rezeptfrei erhältlich sind. Warnung vor Schimmelpilzen Schimmelpilzsporen im Haushalt stellen für immungeschwächte Patienten ein ernsthaftes Infektionsrisiko dar. Atemwegserkrankungen sind besonders häufig. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt daher, Schimmelpilzquellen wie verschimmelte Lebensmittel, Blumenerde und Vogelkot zu meiden und wenn vorhanden, dann zu vernichten. Eine hohe Sporenbelastung ergibt sich auch bei Renovierungsarbeiten insbesondere dann, wenn Staub aufgewirbelt wird. Besondere Gefahren lauern auch in der Bio-Tonne. AIDS-Therapiestudienregister veröffentlicht Das Register verschafft Ärzten und AIDS-Patienten einen Überblick über die aktuellen und die geplanten AIDS-Studien. Informiert wird über die verwendeten Substanzen, die Teilnahmebedingungen und die durchführenden Institutionen. Das Register kann gegen Einsendung eines mit 4 DM frankierten DIN A4 Rückumschlags bei folgender Adresse bestellt werden: Robert-KochInstitut, Fachbereich Infektionsepidemiologie/AIDS-Zentrum, Reichpietschufer 74-76, 10785 Berlin. Seiten 8 und 9: Therapie Dauerbrenner Kortison – eine Bilanz Bei nahezu jeder chronischen Krankheit wird das entzündungshemmende Hormon eingesetzt. Doch schon früh mußte die Medizin erkennen, daß Kortison keine Heilung bringen kann. Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Therapie sind Gegenstand eines Autoimmun-Mehrteilers. In dieser Ausgabe: Entdeckung und Funktion im Körper Die erste Patientin, die mit Kortison behandelt wurde, war 1948 eine nahezu bewegungsunfähige Rheumatikerin, die in der Majo-Klinik in den USA 394 therapiert wurde. Nach einer nur einwöchigen Kortison-Behandlung konnte diese schwerstkranke Patientin aufstehen. Das Ergebnis ist auf die ausgeprägt entzündungshemmende Wirkung von Kortison zurückzuführen. Schon 1948 hatten die Ärzte und Wissenschaftler der Majo-Klinik darauf hingewiesen, daß Kortison keinesfalls die eigentliche Erkrankung „ausheilen“ kann. Es hemmt die Entzündung, solange es in ausreichender Menge im Körper vorhanden ist. Nur ein Kortisonüberschuß im Körper wirkt entzündungshemmend. Kortison wird bei chronischen Erkrankungen, die mit Entzündungen einhergehen, angewandt. Als Beispiel können hier Gelenkrheuma, Asthma, entzündliche Darmkrankheiten, allergische Erkrankungen und auch der allergische Schock genannt werden. Ein Hormon der Nebennierenrinde Was ist Kortison? Es handelt sich um Glucocorticoide. Das sind lebenswichtige Hormone der Nebennierenrinde. Ihre Bedeutung für den Körper besteht wahrscheinlich darin, daß sie dem Körper in Streßsituationen (zum Beispiel bei Hunger oder starker körperlicher Belastung) rasch Energie zur Verfügung stellen, hauptsächlich in Form von zuckerartiger Glucose. Diese Wirkung betrifft vor allem den Stoffwechsel der Kohlenhydrate und hat daher zu dem Namen Glucocorticoide geführt. Die Entstehung und Bildung von Kortison erfolgt in der Nebennierenrinde aus dem Cholesterol. Hierbei ist der wirksamste körpereigene Vertreter das Cortisol. Ohne Hormonbildung entsteht Lebensgefahr Neben diesem einen Kortisontyp werden noch andere Hormone in der Nebennierenrinde gebildet. Diese wirken zum Teil auf den Wasser- und Salzhaushalt des Körpers. Der wichtigste Vertreter hierbei ist das Aldosteron. Ferner werden auch Sexualhormone in der Nebennierenrinde gebildet, wobei die männlichen Geschlechtshormone überwiegen. Kommt es zu einer Funktionsstörung der Nebennierenrinde oder gar zu einem vollständigen Ausfall der Funktion, tritt ein lebenbedrohender Zustand ein. In einem solchen Fall muß der Ersatz der lebenswichtigen Hormone schnellstens eingeleitet werden. Ein Regelkreis im Körper sorgt für einen ständigen Kortisonvorrat Die Bildung und Ausschüttung des Kortisons wird in einem Regelkreis kontrolliert. Es besteht ein negativer Rückkoppelungsmechanismus. Zum Beispiel führt eine Abnahme der freien Cortisolkonzentration im Blut im Gehirn zur Ausschüttung eines anderen Hormons, das wiederum ein weiteres Hormon stimuliert, welches schließlich das fehlende Cortisol in der Nebennierenrinde produzieren läßt. Umgekehrt führt eine Erhöhung der Cortisolkonzentration im Blut zu einer verminderten Freisetzung der eben genannten Hormone und verursacht den für den Körper erforderlichen Effekt. Bei längerer Einnahme von Kortison kann dieser Regelkreis gestört werden. Das Absetzen ist deshalb sehr behutsam und mit ständiger Verminderung der Dosis durchzuführen. Der Körper unterliegt bei der Kortisonbildung einem bestimmten täglichen Rhythmus. Morgens in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 9.00 Uhr bildet der Körper ein Maximum an Kortison, deshalb erreicht man mit der Einnahme zu dieser Tageszeit auch die größte Wirkung und die geringsten Nebenwirkungen. Dr. med. Hans Wilimzig 395 MS-Medikament DSG weiter im Kreuzfeuer Die Anzahl der Ärzte, die mit dem japanischen Präparat Deoxyspergualin (DSG) Krankheiten wie Multiple Sklerose, Lupus u. a. erfolgreich behandeln, steigt weiter. Nun wenden sich Ärzte an Gesundheitsminister Horst Seehofer und fordern ein Ende der unzumutbaren Zustände für Ärzte und Patienten, da noch keine allgemeine Zulassung vorliegt. In einem Schreiben an Seehofer bemerkt zum Beispiel die Münchner Ärztin Dr. Margret Krimmel: „Nur die cleversten und finanziell besser gestellten Kranken haben einen Ausweg: den Schwarzmarkt! Wer über gute Beziehungen zu japanischen Vermittlern oder zur Herstellerfirma Kayaku verfügt, darf hoffen. Er bekommt das Mittel, wenn auch zu unterschiedlichen Preisen, das deutsche Ärzte gerne infundieren. Sie haben bisher erfreulich positive Ergebnisse feststellen können, die mit anderen auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln nicht zu vergleichen sind. Besonders ärgerlich, ja skandalös ist für die Betroffenen - wie dies im Schwarzmarkt wohl üblich ist, - daß sie für das Mittel sehr unterschiedliche Preise zahlen und teilweise ihre letzten Ersparnisse ausgeben müssen, um an das DSG zu gelangen. Einige Beispiele, die für viele stehen: a) Frau im Rollstuhl, mittleren Alters aus L., erhält über einen japanischen Industrievertreter 10 x 100 mg Ampullen Trockensubstanz zu je 1.200.-- DM = 12.000.-- DM/g. b) Junger Mann, 31 Jahre alt, aus B., bereits im Wasserbett, dessen Vater die letzten Ersparnisse einsetzt, erhält durch schwierige Verhandlungen 3 g, also 30 x 100 mg Ampullen zu je 2.500.-- DM. Er gibt also mehr als das Doppelte wie unter a) aus. Um die finanzielle Belastung zu vermindern, verkauft der Vater einen nicht benötigten Teil DSG an einen anderen Patienten für 3.000.-DM/100 mg Ampulle. c) Patientin, 31 Jahre alt, aus D., deren Ehemann (Wirtschaftsprüfer) holt selbst auf Grund seiner Beziehungen DSG in Japan und zahlt für 2 g 27.000.-DM. Plus rund 8.000.-- DM Flug- und Reisekosten = 35.000.-- DM, somit 1.750.-- DM für 100 mg. Als Ärztin habe ich bei etwa 120 MS-Kranken das DSG infundiert und bei über 80 Prozent signifikante Verbesserungen des Krankheitsbildes beobachten können. Wie ich aus Patientenkreisen, die in MS-Gesellschaften organisiert sind, erfahre, beginnt dort eine zunehmende Unruhe und Verbitterung gegenüber den zuständigen Gesundheitsbehörden, weil bekannt geworden ist, daß doch einige Patienten mit DSG behandelt werden können. Man sollte die Verärgerung und Enttäuschung von immerhin einigen hunderttausend MS-Kranken und deren Angehörigen sowie deren Einfluß auf weite Bevölkerungskreise nicht unterschätzen.“ Dr. med. Margret Krimmel Derweilen verdichten sich die Hinweise, daß die zweite Behringstudie nicht korrekt durchgeführt wurde. Wie Autoimmun inzwischen bekannt wurde, gab es Probanden, die an beiden Studien teilgenommen hatten. So erhielt der Patient Klaus von der Burg in beiden Durchgängen die Höchstdosis. Nachdem die Wirkung nachließ und von der Burg trotz Bitten keine weitere Substanz erhielt, nahm er sich das Leben (vergleiche Autoimmun 4/95, Seite 13). Autoimmun liegen die Aussagen von weiteren Placebo-Teilnehmern vor, die sich auf eigene Faust mit DSG behandeln ließen. Ob sich mit diesen Vorfällen 396 die schlechteren Ergebnisse der zweiten DSG Studie erklären lassen, bleibt noch offen. Die Redaktion Autoimmun bittet daher alle Teilnehmer der DSGBehringstudie, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Wir sichern Ihnen absolute Verschwiegenheit und Diskretion zu. Redaktion Autoimmun, Mommsenstraße 28, 10629 Berlin, Telefon: 030-3 27 95 00. Immer mehr Krankenkassen sind bereit, die DSG-Therapie zu bezahlen Zunehmend mehr Krankenkassen und Versorgungsämter übernehmen die Kosten für eine DSG-Therapie bei Multipler Sklerose. Diese Fälle werden dokumentiert und begleitet von der „MS Selbsthilfe e.V.“ in Bayreuth. Wer mehr Informationen erhalten möchte, wendet sich an Klaus Josten bei: MS-Selbsthilfe e.V. Knappertbuschstr. 5 95445 Bayreuth Telefon: 0921-85 46 00 Seiten 10 und 11: News & Hintergrund Autoimmun-Test: So betreuen Krankenkassen ihre Mitglieder Autoimmun hat bei insgesamt acht Krankenkassen und Krankenkassenverbänden nachgefragt. Wir wollten wissen, was die einzelnen Krankenkassen leisten, wie Mitglieder die Pflegeversicherung in Anspruch nehmen können und ob der Service funktioniert. Reagiert haben nur fünf, auf die Antworten der drei restlichen warten wir immer noch. Aber was kam bei unserer Mini-Studie heraus? Riesige Berge von Broschüren, Drucken und Informationszetteln - tausende Papierseiten, aber keine Antworten auf unsere gezielten Fragen. Die inhaltliche Auswertung der Druckerzeugnisse hält noch an, wird auch noch eine Weile dauern. Dem geneigten Leser können aber dennoch einige unbestechliche Meßwerte angeboten werden: Am schnellsten reagierte die Barmer Ersatzkasse, deren weit über ein Kilo schweres Päckchen mit Abstand auch am gewichtigsten war: Einundzwanzig Broschüren steckten in dem mit 6,40 DM frankierten Umschlag. Fast drei Wochen später traf das Schlußlicht ein: Der nur 500 Gramm schwere Umschlag des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen e. V. (fünf Broschüren), der um eine Mark überfrankiert war. Ja, auch so kann man Mitgliedsbeiträge verwenden. Vorbildlich dagegen: Das Leichtgewicht des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen 210 Gramm für drei Mark (fünf Broschüren). Die DAK schickt 450 Gramm für drei Mark, ist damit doppelt gut im PreisLeistungsverhältnis und auf dem dritten Platz in Punkto Schnelligkeit. Zwar sind nur zwei Broschüren im Umschlag, aber der buntbebilderte Jahresbericht besitzt hohen optischen Unterhaltungswert. Es fehlt die Nummer zwei in Schnelligkeit und Gewicht. Sie ist groß: Fast jeder zweite Krankenversicherte ist Mitglied bei ihr, sie nennt sich „Die Gesundheitskasse“, sie heißt aber nicht Allgemeine Orts-Gesundheitskasse, 397 sondern: AOK. Im Umschlag stecken vier Broschüren und der Jahresbericht 1994. Der ist nicht ganz so schön bebildert, wie der der DAK, hat aber einen sehr edel wirkenden Hochglanzumschlag mit Prägedruck. Fazit: Nein, wir werden das Informationsmaterial nicht der Altpapierverwertung zuführen, wir werden es lesen . Weintrinker leben länger als Abstinenzler Nach einer Untersuchung von dänischen Medizinern haben Menschen, die täglich zwischen drei und fünf Gläser Wein trinken, eine höhere Lebenserwartung. Die Studie ergab auch, daß das Trinken von Bier keinen Einfluß auf die Lebenserwartung hat. Gewarnt wurde vor dem Genuß hochprozentiger alkoholischer Getränke, da hier die Wahrscheinlichkeit, an Krebs oder Herzleiden zu sterben, deutlich höher lag. Hautkrankheiten und die Psyche Nach Ansicht von Experten hat die Psyche einen größeren Einfluß auf Hautkrankheiten, als bisher vermutet. Untersuchungen belegen den starken Einfluß des Zentralnervensystems auf das Immunsystem. Patienten mit chronischen Hauterkrankungen wie z.B. Neurodermitis reagieren auf Stress oft mit einer Verschlimmerung des Krankheitsbildes. Deshalb werden an der Universitätsklinik Mainz auch Verhaltenstherapien zur Behandlung eingesetzt. Weniger Hirnhautentzündung durch neuen Impfstoff Seit der Einführung eines Impfstoffs gegen das Hib-Bakterium, das die Mehrzahl der eitrigen Hirnhaut-entzündungen bei Kleinkindern auslöste, ist die Zahl der Erkrankungen von geschätzten 1400 - 1900 im Jahr 1989 auf ungefähr 57 Fälle 1994 zurückgegangen. Immer mehr Menschen greifen zur Selbstmedikation Rund 7,7 Milliarden Mark haben die Bundesbürger 1994 für frei verkäufliche Arzneimittel ausgegeben. 20 Prozent des Gesamtumsatzes von Apotheken und Drogerien machen die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente aus. Damit spielt die Selbstmedikation eine immer größere Rolle. Auf 30.000 Rheumakranke ein Facharzt Zuwenig niedergelassene Rheumatologen – Patienten sind unterversorgt Deutsche Rheumapatienten haben allen Grund zur Sorge. Da es zuwenig Spezialisten gibt, „bleibt nur eine zweitklassige Therapie für uns übrig“, befürchtet die 37-jährige Andrea J. aus Wilhelmshaven. Sie leidet seit 6 Jahren unter chronischem Gelenkrheuma. Die Lage ist in Tat unbefriedigend. So stellte jüngst der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen, Dr. Thomas Karger, nüchtern fest: „Zwei Millionen Rheumakranken bleibt eine moderne rheumatologische Behandlung verschlossen, obwohl sie davon profitieren könnten“. Das aktuelle Zahlenmaterial bestätigt selbst die düstersten Visionen: Für die in Deutschland geschätzten drei Millionen Rheumakranken stehen nur rund 100 niedergelassene Rheumatologen zur Verfügung. Das bedeutet: Auf einen Rheumaspezialisten kommen 30.000 Patienten. 398 Der Grund für diese Schieflage liegt vor allem in der Tatsache, daß bislang die Internisten für Rheuma zuständig sind. Doch bei denen fehlt es häufig an Spezialwissen, über das nur niedergelassene Rheumatologen verfügen. Von den 15.700 in Deutschland zugelassenen Internisten haben sich nur 125 auf die Rheumatologie spezialisiert. „Für die Bedarfsplanung sind grundsätzlich die Krankenkassen zuständig“, kommentiert der niedergelassene Rheumatologe Prof. Dr. Martin Franke das Dilemma. Abhilfe könnte eine gezielte Bedarfsplanung durch die Krankenkassen bringen. Doch bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht man keine Handlungsmöglichkeit. „Niedergelassene Rheumatologen stellen ein Teilgebiet dar. Darauf darf sich die Bedarfsplanung der Krankenkassen nicht beziehen. Man kann Ärzte nicht dazu zwingen, sich auf ein Teilgebiet zu spezialisieren“, äußert sich eine KBV-Vertreterin zur Problematik. Wenig Trost erzeugen dabei Meldungen, daß sich die Versorgungssituation vor allem in den Ballungsgebieten verbessert habe, so das Gesundheitsblatt „medizin heute“, und daß neue Rheumazentren in Planung sind. Für Andrea J. bleibt da ein flaues Gefühl im Magen. Neue Studienergebnisse: Salz doch nicht ungesund Hände weg vom Salzfaß – jahrzehntelang galt diese Empfehlung. Zuviel Salz im Essen sei ungesund, hieß es: Würziger Geschmack der Speisen würde mit hohem Blutdruck erkauft. Frühere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, daß die Deutschen zuviel Salz über die Nahrung aufnähmen. Ärzte, die um die Gesundheit ihrer Patienten besorgt waren, empfahlen deshalb salzarme Ernährung. Jetzt gerät die Ansicht von der gesunden salzarmen Ernährung ins Wanken. Neue Untersuchungen und Studien belegen jetzt: Zuwenig Salz kann krank machen. Insbesondere ältere Menschen sind betroffen. Oft läßt bei ihnen das Durstgefühl nach, sie trinken viel zuwenig. Flüssigkeitsmangel ist die Folge, das Blut wird dicker, die Durchblutung vermindert sich. Wenn Senioren dann durch Schwitzen oder Durchfall noch mehr Wasser verlieren, kann es kritisch werden. Gerade in den Sommermonaten leiden ältere Menschen besonders unter Schwächegefühl und Kreislaufkollaps. Diese Austrocknung kann durch ausreichendes Trinken verhindert werden. Salz spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es Wasser im Körper bindet. „Ja, aber was ist mit meinem Blutdruck?“, wird so mancher jetzt denken. Keine Sorge, antworten die Forscher heute, nur etwa 30 - 40 Prozent der Hochdruckpatienten spüren eine Besserung ihres Gesundheitszustandes, wenn sie salzarm essen. Bei Menschen mit normalen Blutdruckwerten reagieren sogar nur 20 Prozent mit einem sinkenden Blutdruck. Wenn man aber auf seinen Blutdruck achten muß - oder möchte -, dann sei es besser, sein Übergewicht zu reduzieren. Auf Alkohol sollte man verzichten, dafür aber viel Obst und Gemüse essen. Neue und exaktere Meßmethoden liefern heute sehr genaue Werte über den tatsächlichen Salzverzehr. Eine Untersuchung der Jenaer Universität kommt zu dem Schluß: Wir nehmen täglich viel weniger Salz zu uns, als bisher angenommen wurde. 399 Seite 12: Tips & Urteile Zuzahlungsbefreiung bei Arzneimitteln Für die vollständige Befreiung von der Zuzahlung zu Arzneimitteln und anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen kommt es nach § 62 Absatz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB V (Sozialgesetzbuch) allein darauf an, ob der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezieht. Auch wenn er auf Kosten eines Sozialhilfeträgers in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht ist, kann er die Befreiung von der Zuzahlung beantragen. Allein das theoretische Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfeleistung reicht nicht aus, um eine Befreiung von der Zuzahlungspflicht zu erhalten. Dieser Anspruch muß auch tatsächlich bei einer Behörde geltend gemacht werden. (BSG Urteil vom 3. 3. 94, 1 RK 33/93) Dieses Urteil klingt beim ersten Lesen unsozial, da der Verzicht auf Sozialhilfeleistungen gleichzeitig zum Verlust der Befreiung auf Zuzahlung bei Arzneimitteln sowie anderer Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen führt. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, daß durch diese Regelung eine aufwendige Doppelprüfung des Anspruchs auf Sozialhilfe vermieden wird. Kosten für Fahrradrollstuhl müssen erstattet werden Die Kosten für einen sogenannten Fahrradrollstuhl („Rollfiets“) sind dann von den Krankenkassen zu erstatten, wenn dadurch die krankheitsbedingte Bewegungsbehinderung ausgeglichen werden kann. Zusätzlich kommt die Kostenerstattung nur dann in Frage, wenn dem Behinderten ein elektrischer Rollstuhl bisher nicht gewährt worden ist. (LG Dortmund, Urteil vom 17. 8. 94, 1 S 72/94) Keine Erstattung für Pflegemittel Zu den von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossenen Pflegemitteln für Kontaktlinsen gehören die Mittel zur Desinfektion, Neutralisierung und Proteinentfernung, die unerläßlich sind, um die Kontaktlinsen in einem gebrauchsfähigen Zustand zu erhalten. Der Leistungsausschluß für Pflegemittel in § 33 Absatz 3 SozialgesetzbuchKrankenversicherung (SGB-KV) gilt auch für den Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. (BSG Urteil vom 9. 3. 94 - 3/1 RK 11/93) Behandlung durch den Heilpraktiker Die Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker werden nur dann von den Krankenversicherungen bezahlt, wenn diese „medizinisch notwendig“ sind. Dieses ist vom Standpunkt der Schulmedizin aus zu überprüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch neuere und in der Schulmedizin noch nicht gesicherte Behandlungsmöglichkeiten zulässig sein müssen. (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. 12. 94, 4 U 295/93) 400 Betriebsrente auch bei Teilzeitbeschäftigung Auch Teilzeitbeschäftigte haben nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts Anspruch auf eine Teilrente. Beschäftigte, die Teilzeit arbeiten, dürfen nach diesem Urteil von der betrieblichen Altersversorgung nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedoch steht ihnen nur eine Betriebsrente zu, die dem Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur Vollarbeitszeit entspricht. (Bundesarbeitsgericht, 3 AZR 149/94) Seite 13: Leserpodium Lenomid-Studie bei MS In Ihrem Artikel berichten Sie über eine Studie mit dem Medikament Lenomid, die Ende dieses Jahres anlaufen soll. Ich bin an einer Teilnahme interessiert, da ich seit über zehn Jahren unter einer Multiplen Sklerose mit chronischprogredientem Verlauf leide. Für nähere Informationen und eventuelle Adressenangabe wäre ich Ihnen dankbar. Christa B., Hannover Die Lenomid-Studie bei chronisch-progredienter MS wird von Pharmacia durchgeführt. Das Unternehmen hat in mehreren Städten (Berlin, Basel, Ulm, Osnabrück, München u. a.) Prüfzentren einbezogen. Nähere Informationen und die Adressen erhalten Sie bei: Pharmacia Herrn Dr. med. Sandor Kerpel-Fronius Munzinger Str. 9 79 111 Freiburg Telefon: 0761-4510203 Wut auf die Zulassungskommission 1975 wurde bei mir die schreckliche Krankheit MS festgestellt. Seit 1991 sitze ich im Rollstuhl. Die Verschlechterung meiner Krankheit ließ sich trotz der Medikamente Imurek, Dexamethason und Cyclophosphamid nicht verhindern. So wie ich hofften tausende Betroffene, daß DSG zugelassen wird. Aber leider vergebens. Auch Minister Seehofer wollte mir nicht helfen. Am meisten Wut habe ich auf die Kommission, die über die Zulassung zu entscheiden hatte. Da hatte ein Prof. Dr. J. Karkos zu entscheiden, der behauptet, daß MS eine Krankheit wäre, die während der Pubertät auftritt und später wieder verschwindet. Ich könnte ihm mit nur geringem Aufwand 100 andere Fälle nennen. Weiterhin denke ich, daß die DMSG nicht daran interessiert ist, daß die Krankheit MS jemals in den Griff zu bekommen ist, da die Mitarbeiter ihre Posten verlieren würden. Von denen habe ich noch nie etwas gehört, das unser Leben wieder lebenswerter machen würde. Ich habe dann noch dem Medizinprofessor geschrieben, dessen Sohn auch an MS erkrankt ist. Er hat seinen Sohn erfolgreich mit DSG behandelt, und bei der Abstimmung über die Zulassung hat er das Medikament im Stich gelassen. Das werde ich niemals verstehen. 401 Jürgen Sch., Plauen Wieviele Tote muß es noch geben? Zwei Dinge haben mich entsetzt: Ein DSG-Patient begeht Selbstmord, weil er das helfende Medikament nicht mehr weiter bekommt. Unglaublich, aber es scheint weder unsere Politiker noch die DMSG zu interessieren. Wo sind wir eigentlich und wieviele Tote muß es noch geben, bis man uns MS-Kranken endlich die freie Therapiewahl gibt? Stattdessen macht die DMSG jetzt offen Werbung für das Geschäft mit BetaInterferon. Schering wird sich bedanken, vielleicht sollten die nächsten DMSGAusgaben „Schering-Aktiv“ heißen. Ich werde jedenfalls austreten. In Ihrer Ausgabe 4/95 schreiben Sie, daß u. a. auch Prof. Dr. H.-P. Hartung die Lenomid-Studie bei chronisch-progredienter MS durchführen wird. Hartung hat sich bereits bei der Zulassung von DSG als „Bremser“ gezeigt und mit der DMSG die Ablehnung verursacht. Ist jetzt damit zu rechnen, daß er uns auch Lenomid vorenthält? Jochen D., Kiel Beträchtliche Bewegung In der letzten Zeit tritt hier eine beträchtliche Bewegung in Neurologen- wie Pharmaziekreisen in Erscheinung. Die Ruhe der MS auf dem Abstellgleis scheint mir doch endlich der Vergangenheit anzugehören – hoffentlich bleibt dieser Zustand auch weiterhin erhalten. Jedoch sind wir sicher, daß die Autoimmun so schnell nichts anbrennen läßt, sobald sich neue Ansätze ergeben. Carl Jo R., Düsseldorf DSG-Therapie: Wann zahlen Krankenkassen? In Ihrer letzten Ausgabe lasen wir den Artikel mit der Überschrift: „Versorgungsamt bezahlt DSG-Therapie“. Wie ist es möglich, eine Therapie mit dem abgelehnten Medikament DSG zu erhalten? Unsere Mutter hat wie viele andere Ihre ganze Hoffnung in dieses Medikament gesetzt. Da sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert, würden wir uns freuen, wenn Sie uns helfen würden. Sylke L., Steinbach Lesen Sie hierzu bitte auch Seite 9. Die Red. Seite 14: Lexikon Stichwort: Myelin – die Schutzhülle ist defekt Die fettartige Isolierschicht der Nervenfasern, auch Markscheide genannt, besteht aus Myelin. Diese Ummantelung wird von den Gliazellen (griechisch glia = Leim) gebildet, die auch das Hirngewebe nach außen abgrenzen. Nach manchen Verletzungen, der Entzündung eines Nervs oder bei Entmarkungskrankheiten wie z. B. Multipler Sklerose wird das lebenswichtige Myelingewebe angegriffen und zu Neutralfetten abgebaut. Dann fehlt das Myelinmark, das wie eine isolierende Schutzhülle aus Fetten und Eiweißen jede Nervenfaser umschließen soll und nun nicht mehr dafür sorgen kann, 402 daß die Informationen ungehindert von einer Nervenzelle zur nächsten weitergeleitet werden. In Tierversuchen erreichte man in solchen Myelinmangelfällen durch Transplantieren von Gliazellen die Neuproduktion von Myelin. Denn die Gliazellen sind im Gegensatz zu den Nervenzellen auch nach der Geburt noch vermehrungsfähig. Allerdings zeigten die Versuche bisher kaum klinische Verbesserungen der behandelten Tiere. Das Myelin ist ein Stoffgemisch verschiedener Lipoproteide. Das sind Verbindungen aus Eiweiß und Fetten (Lipiden) oder fettähnlichen Stoffen (Lipoiden). Lipide sind eine uneinheitliche Gruppe von natürlichen Substanzen mit unterschiedlicher chemischer Struktur: Fette, Wachse und Öle. Sie sind in organischen Lösungsmitteln, wie Äther, Chloroform oder Benzol gut löslich, aber nicht in Wasser. Als Lipoide werden fettähnliche Substanzen mit gleichen Eigenschaften bezeichnet. Im menschlichen Körper kommen Fette und fettähnliche Stoffe außerdem im Blut vor, wo sie fettlösliche Substanzen transportieren (z.B. Vitamine), sowie als Stützstoff der Zellmembran und als gespeichertes Depotfett. Der Motto ‘96 - Preis Gewinnen Sie den Motto ‘96 - Preis! Wir suchen das Motto für das Jahr 1996, ein Motto, das uns Multiple SkleroseErkrankten Mut geben soll. 1995 hieß unser Motto: „Behindert und einsam, Mitmenschen wo seit ihr?“. Für 1996 suchen wir wieder einen Zweizeiler mit mehr Optimismus. Vorschläge kann jeder einreichen. Der Preis ist mit DM 250.– dotiert. Von einer sachkundigen Jury (AOK Wunsiedel) wird der Zweizeiler ausgewählt, der uns nach Inhalt und Ausdruck den nötigen Mut für das Jahr 1996 geben wird. Bitte senden Sie Ihren Vorschlag an: MS-Selbsthilfe e.V. c/o Herrn Klaus Josten Knappertsbuschstr. 5 95445 Bayreuth Einsendeschluß: 30. 11. 1995 Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Di, 3. Oktober, 20.15 Uhr, RTL: Der Killervirus – In deinen Adern fließt der Tod Spielfilm – Die junge Medizinerin Dr. Marissa Blumenthal (Nicolette Sheridan) soll den Ausbruch einer unbekannten Viruserkrankung untersuchen. Die Ärztin der Weltgesundheitsorganisation erkennt bald, daß es sich um den gefährlichsten Virus der Welt handelt. Di, 3. Oktober, 22.05 Uhr, RTL: Die neuen Killerviren – Ein EXTRA-Spezial Dokumentation über mysteriöse Krankheitserreger. Woher sie kommen, weiß niemand genau. Wann sie auftauchen, kann niemand vorhersagen. Doch plötzlich sind sie da: Viren. Sie heißen Ebola, Lassa, Dengui oder Hepatitis-C. 403 Mi, 4. Oktober, 20.15 Uhr, BR: Forscher - Fakten - Visionen „Eine Pille gegen Alkohol - die Zigarette aus der Apotheke“ Das BR-Wissenschaftsmagazin geht den Ursachen und Therapiemöglichkeiten verschiedener Suchtformen nach. Mi, 4. Oktober, 20.15 Uhr, SFB: QuiVive - Medizin „Die sogenannte Grippe: Hausmittel, Heilmittel und Impfungen“ Mi, 4. Oktober, 21.30 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis „Alte Erreger - neue Gefahren“ Bakterien und Viren gehören seit Menschengedenken zu unserem Alltag. Sie befinden sich überall. Jetzt stellen sie wieder eine Bedrohung für uns dar. Krankheiten wie Diphtherie und Tuberkulose breiten sich wieder aus. Mo, 9. Oktober, 21.45 Uhr, WDR: Medizin-Magazin live „Schmerz“: Neue und bewährte Therapien werden vorgestellt, Experten beantworten Zuschauerfragen. „Zyklotest“: Ein neues Gerät zur natürlichen Schwangerschaftsplanung durch exakte Bestimmung der fruchtbaren Tage. Di, 10. Oktober, 21.00 Uhr, N3: Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Mi, 11. Oktober, 11.45 Uhr, 3sat: ML Mona Lisa “Wer zahlt - wer pflegt?” Zwischenbilanz zur Pflegeversicherung Rund 450.000 Menschen erhalten seit Inkrafttreten der Pflegeversicherung keine Leistungen mehr, weil sie nicht täglich mindestens eineinhalb Stunden Pflege brauchen. Mi, 11. Oktober, 18.30 Uhr, WDR: Amalgam Amalgamangst in den Zahnarztpraxen: Im Frühjahr 1995 bestätigte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einmal mehr, daß Amalgam meßbar zur Quecksilberbelastung im Menschen beitrage. Mi, 11. Oktober, 20.15 Uhr, SFB: QuiVive - Medizin “Immer schlapp - was tun?“ Schlummersucht und chronische Müdigkeit Menschen, die am „chronischen Müdigkeitssyndrom“ leiden, fühlen sich völlig erschöpft, leiden an Konzentrationsstörungen bis hin zum black-out und haben nicht selten Depressionen. Dieses Syndrom ist als Krankheitsbild umstritten - manche Ärzte meinen, daß die Immunabwehr nicht mehr funktioniere. Mo, 16. Oktober, 21.45 Uhr, WDR: HIV-positiv: Es gibt ein Leben nach dem Test Jedes Jahr erfahren etwa 1.000 Frauen allein in Deutschland, daß sie sich mit HIV infiziert haben. Die Betroffenen, die im Film zu Wort kommen, sehen sich jedoch nicht als hilflose Opfer. Sie sind aktive, mutige Frauen, die gegen Schweigen und Gleichgültigkeit ihre Bedürfnisse artikulieren und das Leben lieben. Di, 24. Oktober, 21.00 Uhr, N3: 404 N3 Ratgeber „Homöopathie - Heilen mit Nichts?“ Mi, 25. Oktober, 20.15 Uhr, BR: Forscher - Fakten - Visionen Das BR-Wissenschaftsmagazin Mi, 25. Oktober, 21.00 Uhr, ZDF: Abenteuer Forschung Di, 31. Oktober, 21.00 Uhr, N3: Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Di, 14. November, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber „Das Sterben begleiten“‚ Moderation: Heike Schaar-Jacobi Di, 21. November, 21.00 Uhr, N3: Visite - Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Do, 23. November, 21.00 Uhr, Radio Bremen 2: Forum der Wissenschaft „Wie eine Welle im Ozean“ Quantenmedizin zwischen östlicher Tradition und westlicher Technologie 8.12 „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1995/Januar 1996 Seite 3: Fast unglaublich, aber wahr! Daß sich eine wirksame Therapie der Multiplen Sklerose schon längst nicht mehr jeder leisten kann, hat sich herumgesprochen. Nun gibt es die Geschichte einer weniger bekannten Hamburger Musikband. Ein Mitglied der Gruppe leidet unter MS. Das Spielen seines Instruments fiel ihm immer schwerer und jetzt möchte er eine DSG-Therapie versuchen. Um das nötige Geld für das Medikament zu bekommen, entschloß sich die gesamte Band zu einem Benefiz-Konzert. Auftreten werden noch sechs weitere Gruppen - die Einnahmen werden ausschließlich der Therapie des MS-erkrankten Bassisten der Gruppe „The Tyks“ zufließen. Dann bat der Initiator der Gruppe die Hamburger DMSG um Unterstützung. Doch nun das Unglaubliche: Die DMSG ist zur Mitarbeit bereit, wenn die Einnahmen des Konzertes in ihre Vereinskasse abgeführt werden, so DMSGMitarbeiterin Sabine Jungk. Also Konzert ja, Geld für die DMSG auch ja, aber Therapie für Jimmy nein, weil dann kein Geld übrig wäre. Daß es bei der DMSG nur um Geld geht, haben viele schon begriffen, aber MS-Kranken Geld für eine Therapie wegzunehmen, grenzt an unglaubliches Raubrittertum. Es kommt noch schlimmer: DMSG-Mitarbeiterin Jungk, eigentlich dem Sozialdienst verpflichtet, zeigt die ganze Doppelmoral der von Bundesgesundheitsminister Seehofer unterstützen „Patientenvertretung“. Wenn denn der Musiker vielleicht doch genügend Geld hätte, dann würde sie 405 ihm die Therapie mit DSG selbstverständlich empfehlen. Das ist nicht nur die offizielle Anerkennung der Zwei-Klassen-Medizin, sondern eine schallende Ohrfeige für sämtliche Mitglieder der DMSG, die Offenheit und Ehrlichkeit von Ihrem Verband verlangen dürfen. Fazit: Nach außen lehnt die DMSG neue Therapien ab. Man ist aber käuflich, und gutbetuchte Patienten erhalten unter der Hand nützliche Therapietips. Die breite Masse wird hingehalten und ihrem sich verschlechternden Krankheitsverlauf ausgesetzt. Es geht aber auch anders: Das Landratsamt Ravensburg hat mit einem amtsärztlichen Zeugnis vom 8. 11. 1995 einem MS-Patienten die Kostenerstattung für eine DSG-Behandlung gewährt, weil diese „einen positiven Einfluß haben kann“. Das Benefiz-Konzert für den MS-kranken Bassisten der Gruppe „The Tyks“ findet trotzdem am 29. 12. 1995 in der „Großen Welt“ in Hamburg statt. Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… teilte die deutsche Firma Gry-Pharma mit, daß für das MS-Medikament Copolymer-1 (Cop-1) Zulassungsanträge in den USA, Großbritannien und Israel gestellt worden sind. Eine große US-Studie zeigte beachtliche Erfolge bei leicht bis mittelschwer betroffenen Patienten: Neben der Reduzierung der Schub-rate wurde eine Verbesserung des klinischen Befindens (EDSS) nachgewiesen. „Mit der Zulassung von Cop-1 zur Behandlung der MS ist bereits Mitte nächsten Jahres zu rechnen, in Großbritannien vielleicht sogar schon früher“, beschreibt Dr. Renate Materna von Gry-Pharma, Tochter der in Israel ansässigen Firma Teva, die zukünftige Entwicklung. Ein Zulassungsantrag in Deutschland ist zur Zeit nicht geplant. Jedoch werden in verschiedenen Ländern offene Studien durchgeführt, die die wissenschaftlichen Ergebnisse absichern sollen. In Deutschland werden 500 MS-Kranke an 26 Zentren einbezogen, in Österreich weitere140 Menschen. Die Patienten erhalten 20 mg Cop-1. Wohlgemerkt: Es wird kein Scheinpräparat gegeben. Interessierte Patienten können sich ab sofort für eine Therapie bewerben. Mehr dazu auf Seite 7 „Ich finde, daß ein Forscher, der bei so viel Zweifel schweigt, sich krimineller Pflichtvergessenheit schuldig macht“ Dr. Charles Thomas, Harvard Biologe Seiten 4 und 5: Stiefkind Schmerztherapie Zwei bis dreitausend Menschen bringen sich in Deutschland jährlich um, weil sie ihre quälenden Schmerzen nicht mehr ertragen können. Das schätzt die Deutsche Schmerzliga in Frankfurt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Interessen chronisch Schmerzkranker zu vertreten. Immer noch werden Menschen mit starken Schmerzen aufgefordert, die Zähne zusammenzubeißen. Moderne Schmerzforschung zeigt jedoch, daß zögernde Schmerzbehandlung sehr oft zur Grundlage für Dauerschmerzen 406 werden kann. Denn auch Nervenzellen scheinen lernfähig zu sein und „speichern“ die Erfahrung wiederholter starker Schmerzreize. Durch Veränderungen auf kleinster Ebene in den Nervenzellen werden die Nerven dermaßen empfindlich, daß bereits sehr schwache Reize rasende Schmerz-anfälle auslösen. Das hinterläßt auch im zentralen Nervensystem seine Spuren: Die Reize werden ins Rückenmark und bis ins Hirn weitergeleitet. Nicht heilbare Grundleiden, die mit Schmerzen verbunden sind, können Ihre Bedeutung gegenüber dem Schmerz verlieren. Er wird zum beherrschenden chronischen Symptom. Wenn sich alles um den Schmerz dreht Hat der Schmerz seine Leit- und Warnfunktion verloren und wird zum ständigen Begleiter, stellt er eine eigenständige Krankheit dar. Der Mensch ist dann chronisch schmerzkrank. Als Patient erlebt er den Schmerz als Mittelpunkt seines Denkens und seines Handelns. Über lange Zeit erduldet er viele Behandlungsversuche, die nicht immer Erfolg haben. Das kann dazu führen, daß er sich von seiner Umwelt abkehrt und es aufgibt, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nicht immer kann der Arzt helfen. Manchmal scheint es so, als wolle der Arzt nicht helfen. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man den Verbrauch von hochwirksamen Schmerzmedikamenten in Deutschland mit den Mengen vergleicht, die in anderen europäischen Ländern verordneten werden. Gerade bei den Medikamenten, die den Opiaten oder opiatähnlichen Stoffen zuzurechnen sind, wird auf Kosten von leidenden Menschen gespart. Und das, obwohl neue Auflagen der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) die Verabreichungsmöglichkeiten erleichtert haben. Es wird geschätzt, daß höchstens 20 Prozent der niedergelassenen Ärzte und nur wenige Klinikärzte BtMVV-pflichtige Präparate einsetzen. Viele Patienten, die von ihrem Arzt mit wirksamen Medikamenten versorgt werden, müssen erleben, daß ihnen plötzlich wirksame Schmerzmittel versagt werden, wenn sie wegen anderer Erkrankungen im Krankenhaus behandelt werden. Die Zurückhaltung einiger schmerzbehandelnder Ärzte erklärt sich aus der Gefahr einer befürchteten Arzneimittelabhängigkeit. Diese Gefahr betrifft aber die Ärzteschaft selbst: In ihren Reihen war (etwa in den 30er Jahren) – und ist – die Abhängigkeit von Suchtstoffen eine „Berufskrankheit“. Internationale Suchtstoffabkommen haben zudem zu einer Ächtung der Opiate geführt. Aber der vielleicht sorglose Umgang mit süchtigmachenden Arzneimitteln, wie er vor vielen Jahrzehnten üblich gewesen sein mag, darf nicht dazu führen, daß Menschen das Leben unerträglich wird. Die Versorgung Schmerzkranker darf nicht an Vorurteilen scheitern. Das sagen auch viele Algesiologen, wie sich die Ärzte selber nennen, die sich auf die Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzbeschwerden spezialisiert haben. Ein wichtiger Bestandteil der medikamentösen Schmerztherapie ist die Anwendung von zentralwirksamen Substanzen, die früher als allerletzte Reserve angesehen wurden - heute jedoch zu den Standardmedikamenten der Schmerztherapie gehören. Standard nicht nur bei der Schmerzbekämpfung krebskranker Patienten, sondern insbesondere in der Langzeittherapie chronisch schmerzkranker Menschen. 407 So ist Morphin bis heute eines der wirksamsten Mittel zur Bekämpfung stärkster Schmerzen. Weltweit ist es das am häufigsten eingesetzte stark wirksame Opioid. Durch moderne Darreichungsformen kann die Wirkdauer deutlich verlängert und die Suchtgefahr verringert werden. Der Erlanger Pharmakologe Kay Brune hält das Suchtpotetial der Opiate für „überschätzt“. Sie seien nicht gefährlicher als andere Medikamente, Nebenwirkungen wären selten, meint Brune. Ursachen und Bedeutung von Schmerzen Schmerz stellt eine zusammengesetzte Sinneswahrnehmung unterschiedlicher Arten dar: Schmerzen können „ziehen“, „stechen“, „drücken“. Das Wohlbefinden ist gestört, aber als Warnsignal ist der akute Schmerz lebensnotwendig. Man kann das auch daran erkennen, daß Menschen, denen ein Schmerzempfinden von Geburt an fehlt, früh sterben. Es gilt, die Schmerzursache zu finden, Abhilfe durch Behandlung zu schaffen. Schmerzen können auf mannigfache Weise entstehen. Verletzungen, Reizungen und Entzündungen von Muskeln, Bändern und Gelenken, aber auch vorzeitiger Verschleiß von Wirbelsäule und Gelenken machen sich äußerst unangenehm bemerkbar: Rückenschmerzen sind weltweit eine Hauptursache für Arbeitsausfälle. Zwei von drei Erwachsenen leiden irgendwann während ihres Lebens an schmerzhaften Beschwerden im Wirbelsäulenbereich. Geschädigte Nerven – oder auf Nervenbahnen ausgeübter Druck – lassen ebenso Schmerzempfindung entstehen, wie Erkrankungen der inneren Organe oder Steinleiden. Verkrampfungen und Muskelverspannungen sind oft 408 der Beginn eines sich verstärkenden Schmerzkreislaufs. Denn durch eingeschränkte Beweglichkeit werden Fehlhaltungen begünstigt, die im Lauf der Zeit weitere Muskelanspannungen erzeugen, noch mehr Schmerzen sind die Folge. Oft werden Schmerzen gar nicht am Ort der Enstehung gespürt: Schmerzen strahlen in den Körper aus. In völlig anderen Körperregionen wird empfunden, was das Leben zur Qual werden lassen kann. Auch unabhängig von organischen Ursachen können Schmerzreize auftreten. Seelisch bedingte Schmerzen werden genauso wirklich und deutlich gespürt, können oft aber nicht genau beschrieben oder geortet werden. Gewitter im Kopf Zu den bekanntesten Schmerzkrankheiten zählt die Migräne. Oft wird sie mit dem Spannungskopfschmerz verwechselt, der häufigsten Kopfschmerzform in Deutschland. Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft beschreibt sieben Merkmale, die auf Spannungskopfschmerz deuten: 1. Kopfschmerzendauer zwischen einer halben Stunde und sieben Tagen. 2. Sie werden als drücken bis ziehend, nicht aber als pul sierend empfunden. 3. Auftreten meist beidseitig. 4. Körperliche Aktivität wird nicht unmöglich. 5. Beim Arbeiten oder Treppensteigen verstärken sich die Schmerzen nicht. 6. Licht und laute Geräusche sind erträglich, es kommt kaum zu Übelkeit oder Erbrechen. 7. Schmerzintensität ist leicht bis mäßig. Demgegenüber klagen Migränepatienten über einseitige, stechende, oft auch pulsierende Kopfschmerzen. Körperliche Anstrengung, Lärm und Licht verstärken die Krankheitssymptome. Menschen, die von einem Migräneanfall heimgesucht werden, sind häufig nicht arbeitsfähig. Frauen leiden weitaus häufiger unter Migräne als Männer, beim Spannungskopfschmerz sind beide gleichermaßen betroffen. Schmerzexperten warnen vor den Gefahren einer Selbstmedikation. Man sollte bei der Vielzahl von rezeptfreien Schmerzmitteln nicht glauben, daß diese Medikamente harmlos und ohne Nebenwirkungen sind. Medikamente können Kopfschmerzen hervorrufen, gerade bei Einnahme großer Mengen über einen langen Zeitraum hinweg. Abhängigkeit, Nieren- und Lebererkrankungen können auch nach kurzer Einahmedauer drohen. Behandlung durch den Facharzt Der auf Schmerzbehandlung spezialisierte Arzt ist darin geübt, Wirkung und Gefahren einer medikamentösen Therapie gegeneinander abzuwägen und genau auf den Patienten zuzuschneiden. Er weiß um die Gefahr der medikamentenbedingten Sucht und hat Erfahrung im Bereich der Entzugsbehandlung. Zusätzlich kennt er Verfahren, die Nerven durch Lokalanästhesie zu blockieren. Opiate können in Rückenmarksnähe appliziert werden. Schmerztherapeuten bieten auch Stimulationsverfahren an, wie die Akupunktur oder elektrische Nervenstimulation. Entspannungsverfahren wie die Chirotherapie, die mit speziellen Griffen versucht, Verspannungen zu 409 lösen und so Schmerzzustände zu lindern, gehören ebenso in die breite Palette der möglichen Therapieverfahren. Schmerzpatienten haben ein Recht auf fachliche Behandlung ihrer Schmerzen. Dieses Recht auf schmerzfreies Leben sollte jeder Betroffene gegenüber seinem Arzt oder der Krankenkasse durchsetzen können. Schmerzen: Hilfe, Beratung und weiterführende Informationen erhalten Sie bei: Bundesverband der Deutschen Schmerzhilfe e. V., Woldsenweg 3, 20249 Hamburg, Telefon: 040 - 46 56 46 (Beratung: Di - Fr 10.00 -13.00 Uhr, Di und Do auch 14.30 - 16.00 Uhr). Oder: Deutsche Schmerzliga, Roßmarkt 23, 60311 Frankfurt am Main, Telefon: 069 - 29 98 80 75 (Beratung: Mo - Fr 9.00 - 17.00 Uhr). Seiten 6 und 7: MS-Forschung 1995: hoffnungsvoll und zugleich deprimierend DSG-Zulassung verweigert – Behring gibt auf – Schering wartet auf Betaseron – Zulassung von Cop-1 in USA beantragt – Lenomid-Studie beginnt im Dezember Die Situation in der MS-Therapieforschung 1995 ist hoffnungsvoll und deprimierend zugleich. Bei Betrachtung der zahlreichen neuen Medikamente, die sich in frühen und späten Stadien der klinischen Erprobung befinden, ist Hoffnung für die rund zweihunderttausend MS-Kranken in Deutschland berechtigt. Denn nie zuvor wurde soviel MS-Forschung in den Labors der Pharmafirmen betrieben. Deprimierend ist die endgültige Versagung der Zulassung des Medikaments Deoxyspergualin. Dabei erwies sich die Pharmafamilie Hoechst/Behringwerke nicht als kompetent genug, eine MS-Studie durchzuführen, die mit ihren Ergebnissen vor Ärzten, der abgewirtschafteten Patientenvertretung DMSG und der skandalumwitterten Zulassungsbehörde Bestand haben könnte. Die Studienergebnisse sind hervorragend und wurden international von Experten schon als Durchbruch gefeiert. Nachdem jüngst der vom Pharmaunternehmen eingelegte Widerspruch ebenfalls abgelehnt wurde, herrscht in Marburg Resignation. DSG-Studienleiter Dr. Jan Racenberg: „In diesem Jahrtausend wird es DSG auf dem deutschen Markt nicht mehr geben.“ Noch deutlicher bezeichnet Behring-Pressesprecher Dr. Pohlmann die Situation: „Das ist nicht mehr unser Bier!“ Dabei hätte die finanzstarke „Mutter“ Hoechst AG das DSG durchaus mit Erfolgsaussicht vorantreiben können. Doch der Hoechst AG wurde das Medikament zu teuer, da man an den japanischen Patentinhaber Nippon Kayaku fortwährend hätte zahlen müssen, vermuten Pharmaexperten. In der Chefetage bei Hoechst heißt es: „ Die MS-Patienten und die Öffentlichkeit sind schuld. Die haben uns bedrängt und zur Weiterentwicklung getrieben“, so Dr. Horn aus dem Hoechst Werk Kalle-Albert in Wiesbaden. Dazu paßt, daß man noch ein anderes lukratives Präparat in der Entwicklung hat. Leflunomid, ein hochinteressanter „Immunrestaurator“, der seit der Patentanmeldung schon viele Jahre ohne klinische Erprobung in den Labors lagerte. 410 Jetzt wird Leflunomid bei Rheumapatienten erprobt. Auch liegen schon erste Wirkungshinweise bei Multipler Sklerose vor. Der „Immunrestaurator“ zeigt erstklassige Ergebnisse sowohl bei chronischen als auch bei schubförmigen Verlaufsformen. Eine breite Erprobung bei MS wird es aber nicht geben. Somit heißt es abwarten bis zur Jahrtausendwende. Betaseron kurz vor der Zulassung Etwas geschickter ist die Schering AG mit dem gentechnisch aus ColiBakterien hergestellten Beta-Interferon vorgegangen. Man entschloß sich, das jahrzehntealte Beta-Interferon aus der Kiste zu holen und über eine amerikanische Tochter der US-Zulassungsbehörde FDA nach vollzogener Studie vorzulegen. Beim schubförmigen Verlauf konnte statistisch ein kleiner, aber viel beachteter Erfolg nachgewiesen werden. Da die Nebenwirkungen zwar mittelschwer, aber nicht tödlich waren, ließen die Amerikaner folgerichtig das Interferon zu, denn es gibt kein Medikament gegen die unheilbare Krankheit MS. Diese Auffassung ist logisch, ethisch und nachvollziehbar. In Deutschland dagegen wartet man auf das allesheilende Wundermittel und läßt die Patienten vorsätzlich ohne Therapie. Zurück zu Schering: Die amerikanischen MS-Patienten versuchten das BetaInterferon bei ihrer Krankheit, und die Kassen bei Schering klingelten, der Aktienkurs stieg an, man freute sich auf das europäische Geschäft. Seit Ostern wird nun ständig von der Zulassung geredet. „Nur noch eine Formalität. Eine mündliche Zusage der europäischen Arzneimittelkommission liegt uns schon vor. Im Dezember haben wir die Zulassung“, freut sich Schering-Sprecher Dr. Oentrich. In London, wo die europaweite Zulassung erfolgen soll, hüllte man sich in Schweigen. Schering selbst hat noch andere Probleme: Das Kontrastmittel Isovist mußte wegen fehlender Produktsicherheit vom Markt genommen werden. Wieder fehlen Einnahmen und nun kam das Drama mit der thromboseverursachenden Antibabypille Femovan. Unter den Mitarbeitern herrscht gedrückte Stimmung. Eine Fusion des strauchelnden Berliner Pharmaunternehmens mit der BASF rückt immer näher, so Börseninsider. Noch aber wird heftig dementiert. Eine europaweite Zulassung von Betaseron könnte die Kassen wieder klingeln lassen. Zwei-Klassen-Patienten Eine weitere Entwicklung gibt allen Grund zur Sorge: Auf dem Rücken der Patienten demonstriert Seehofers Behörde Macht gegen Pharmaunternehmen. Es scheint, als sei es in Deutschland besonders schwer, ein MS-Medikament zuzulassen. Das trifft die meisten Patienten, denn die wirksamen Arzneien gegen die MS werden jetzt über das Ausland verkauft. Somit können Pharmaunternehmen ihre Entwicklungskosten reinholen und noch Profit machen. Die Kosten für eine Therapie mit BetaInterferon, Cop-I oder DSG sind dermaßen hoch, daß oft nur der Verkauf einer wertvollen Edelkarosse das nötig Geld bringt. In der Phamabranche scheint man aber gelernt zu haben, zumindest was die Frage der allgemeinen Zulassung in Deutschland betrifft. Das schwedische Unternehmen Pharmacia, das mit Lenomid einen weiteren Trumpf gegen das Nervenleiden in der Hand hält, strebt ebenfalls eine europäische Zulassung an. Ein Zulassungsantrag im innovationsfeindlichen Deutschland kommt für die Schweden nicht in Frage. Man läßt das Präparat ab Dezember 1995 zwar 411 in einigen deutschen Kliniken prüfen, doch der „Plan“ sieht anders aus. Lenomid wird bei nahezu sämtlichen Autoimmunkrankheiten, Krebs und anderen Leiden weltweit getestet. Somit hält man sich alle Optionen offen. „Doch wirklich interessant für uns ist die Multiple Sklerose. Dort haben wir in bisherigen Studien sehr erfolgversprechende Ergebnisse beim chronischprogredienten Verlauf gesehen“, erklärt Pharmacia-Sprecher Dr. Sandor Kerpel-Fronius. Aber auch hier ist vor 1997 mit keiner Verfügbarkeit zu rechnen. Cop-1: 1996 Zulassung in den USA Das Dilemma der deutschen MS-Forschung läßt sich noch mit einem weiteren Beispiel belegen. Copolymer-1 (Cop-1 oder Copaxone), urspünglich in Israel entwickelt, zeigt nach der Auswertung neuester Daten an der University of Maryland (Baltimore) sehr gute Ergebnisse im Frühstadium der MS. So kann mit Cop-1 die Anzahl der Schübe um 32 Prozent verringert werden. Auch das klinische Befinden der Patienten wurde nachweisbar verbessert, eine Wirkung, die die Beta-Interferon-Präparate vermissen lassen. Die Ergebnisse sind so ermutigend, daß in den USA, Großbritannien und Israel bereits Zulassungsanträge gestellt worden sind. „Damit erscheint die Zulassung in den USA bis Mitte nächsten Jahres möglich“, teilte die Teva-Tochter GryPharma mit. In Deutschland laufen zwar in Würzburg, Hannover und Göttingen ebenfalls Versuche mit Cop-1, doch an eine deutsche Zulassung ist nicht zu denken. Wieder einmal stehen deutsche MS-Patienten im Regen oder müssen sich über das Ausland versorgen. Vielleicht denkt man in Seehofers Bundesgesundheitsministerium einmal über den Forschungsstandort Deutschland und den volkswirtschaftlichen Schaden nach – und wenn dann noch eine Minute Zeit ist, auch über tausende von MS-kranken Menschen, die täglich gegen ihre Krankheit zu kämpfen haben und nur den Hauch einer Therapiechance nutzen würden. 412 Seiten 8 und 9: Dauerbrenner Kortison – eine Bilanz Teil II: Im letzten Heft der Autoimmun wurden die Entdeckung des Kortisons und seine Funktion im Körper dargestellt. Kortison ist ein Hormon, das der Körper selbst bildet. Der zweite Teil unserer Serie erläutert die Wirkungen der Glucocorticoide, zu denen auch Kortison zählt, wenn sie als Medikament verabreicht werden. Hormone der Nebennierenrinde, zu denen Glucocorticoide und auch das Kortison gehören, beeinflussen fast alle funktionellen Systeme im Organismus. Man unterscheidet physiologische Wirkungen, d. h. solche, die im Organismus normalerweise durch körpereigenes Kortison entstehen, von den pharmakologischen Wirkungen, d.h. wenn Kortison in hohen Dosen therapeutisch gegeben wird. Die physiologischen Effekte betreffen überwiegend den Stoffwechsel. Die Übergänge sind allerdings fließend. Wenn Kortison in (unphysiologisch) hohen Dosen gegeben wird, sind neben den erwünschten Wirkungen auch "unerwünschte" zu erwarten, die vorwiegend die zu starke Ausprägung der physiologischen Wirkungsweise (also überwiegend der Stoffwechselwirkung) betreffen. Synthetisch hergestellte Glucocorticoide (z. B. Dexa-methason, Triamcinolon und Prednison) werden therapeutisch in drei Bereichen eingesetzt, die 413 Beziehungen zum Immunsystem haben: als immunsupprimierend wirkende Medikamente (Immunsuppressiva), als antilymphozytäre Zytostatika in der Krebsbehandlung sowie in der Therapie von allergischen und entzündlichen Erkrankungen. Wie wirkt Kortison im Organismus ? Die Zellen des Körpers sind in unterschiedlicher Weise mit Rezeptoren für Glucocorticoide ausgestattet. Glucocorticoide binden an diese spezifischen Rezeptoren im Zytoplasma von Körperzellen an. Dieser RezeptorGlucocorticoid-Komplex gelangt in den Zellkern und bewirkt eine Veränderung der Bildung von Eiweißkörpern (Proteinen). Nicht nur Zellen des Immunsystems haben Glucocorticoid-Rezeptoren, sondern auch andere Körperzellen werden durch Kortison beeinflußt. Z. B. werden in der Leber verstärkt Enzyme (katalysierende Eiweißkörper für chemische Reaktionen) gebildet, die für die physiologische Wirkung der Glucocorticoide verantwortlich sind (Blutzuckererhöhung, Abbau von Stärke und Eiweiß zur Zuckergewinnung). Die Veränderung des Stoffwechsels von einem „Baustoffwechsel“ zu einem „Energiestoffwechsel“ ist eine wesentliche Eigenschaft der Glucocorticoide als „Streßhormone“. Neben der Bildung von Enzymen wird die Entstehung von sog. Regulatorproteinen ausgelöst, die Stoffwechselwege beeinflussen. Umgekehrt wird auch die Bildung bestimmter Proteine unterdrückt („abgeschaltet“). Dieser Effekt stellt einen wesentlichen Teil der pharmakologischen Wirkung des Kortisons als Immunsuppressivum und als entzündungshemmendes Medikament dar. Durch Glucocorticoide wird die Funktion von Körperzellen und die Bildung von spezifischen Proteinen verändert. Die biologische Wirkung von Glucocorticoiden dauert deshalb länger an, als die Halbwertzeit der Glucocorticoide im Plasma erwarten läßt. Entzündungshemmende Wirkungen Viele immunologisch bedingte Erkrankungen rufen Entzündungsreaktionen hervor, z.B. Gelenkentzündung bei rheumatoider Arthritis. Glucocorticoide stellen die wirksamsten verfügbaren entzündungshemmenden Stoffe dar. Diese antiphlogistisch genannte Wirkung von Kortison ist z.T. noch wenig geklärt. In aktivierten Entzündungszellen (Leukozyten: Macrophagen u.a.) wird die Bildung von Botenstoffen (Zytokinen: z.B. Interleukin I oder Tumornekrosefaktor) „abgeschaltet“. Die Prostaglandinsynthese (Prostaglandine sind bei allen Entzündungsreaktionen beteiligt) wird durch Verhinderung der Freisetzung von Arachidonsäure aus Phospholipiden gehemmt. Arachidonsäure ist eine Vorstufe der Prostaglandine, die als „Gewebshormone“ eine wichtige Rolle als Vermittler von Entzündungsreaktionen spielen. Glucocorticoide greifen eine Stufe früher in den Arachidonsäurestoffwechsel ein als die sog. nicht-steroidalen Antiphlogistika (z.B. Acetylsalicylsäure wie Aspirin u.a.) Durch Glucocorticoide wird die Durchlässigkeit der Gefäßwände, die bei Entzündungen gesteigert ist, vermindert, es gelangt weniger Plasma aus den Gefäßen in die Umgebung. Glucocorticoide hemmen auch das Haften von Entzündungszellen an den Gefäßwänden und den Austritt dieser Entzündungszellen in das umliegende Gewebe. Ferner wird durch Glucocorticoide die Freisetzung von Entzündungsstoffen aus bestimmten Leukozyten gehemmt. 414 Wirkungen auf das Immunsystem Durch Glucocorticoide wird die Bildung von Eiweißkörpern, die an Entzündungsvorgängen beteiligt sind (z.B. Interleukin 2 und andere Zytokine), gehemmt. Eine Folge dieser Hemmung bewirkt eine Blockade der Aktivierung von T (Thymus)-Lymphozyten. Die T-Lymphozyten kontrollieren die Immunreaktionen und sind Träger der zellulären Immunreaktion. Deren Bedeutung beruht vor allem auf ihrer Mitbeteiligung bei chronischentzündlichen Vorgängen. Durch Glucocorticoide wird die Sensibilisierung von T-Lymphozyten durch Antigene verhindert. Die immuno-logische Reaktivität von T-Lymphozyten (T-Helferzellen und T-Suppressorzellen) wird beeinträchtigt. Die Hemmung der Aktivität dieser Immunzellen bedingt aber auch eine erhöhte Infektanfälligkeit. Antiallergische Wirkungen Nach Kontakt eines sensibilisierten Organismus mit einem Antigen kann es zu einer heftigen allergischen Reaktion (Anaphylaxie) kommen. Dabei werden Substanzen von spezifischen Leukozyten freigesetzt, die kleinere Gefäße stark erweitern und die Gefäßwände durchlässiger machen können (z.B. Histamin, Serotonin). Durch Glucocorticoide wird die Freisetzung dieser Substanzen reduziert und die Durchlässigkeit der Gefäßwände vermindert. Nebenwirkungen („unerwünschte Wirkungen“) Die Nebenwirkungen bei einer Behandlung mit hohen Dosen von Glucocorticoiden betreffen vor allem die Stoffwechselwirkungen. Da Glucocorticoide u. a. dazu dienen, dem Körper in Streßsituationen rasch Energie bereitzustellen, ist vor allem der Kohlehydratstoffwechsel betroffen. Glucocorticoide fördern die Entstehung von Glucose (Zucker), erhöhen die Blutzuckerwerte und steigern in der Leber die Bildung und Neugewinnung von Zucker aus Stärke und Aminosäuren, die durch den Abbau von Eiweiß frei werden. Durch Kortisonzufuhr bildet sich eine „diabetogene Stoffwechsellage“ aus. Bei Menschen, deren Kohlehydratstoffwechsel nur unzureichend reguliert wird, die einen „latenten“ Diabetes mellitus haben, kann sich ein manifester Diabetes entwickeln, oder ein bestehender Diabetes mellitus kann entgleisen. In Muskel- und Fettgewebe wirken Glucocorticoide abbauend. Im Bereich der Muskulatur kann es zu Muskelschwäche kommen. Ein Teil der neugebildeten Glucose wird in Fett umgesetzt und abgelagert; vor allem im Bereich des Gesichts und des Nackens kann dies bei längerer Kortison-Behandlung sichtbar werden. Glucocorticoide hemmen die Aufnahme von Kalzium, es kann zu einer Entkalkung der Knochen, einer Osteoporose, kommen. In unterschiedlicher Weise wirken Glucocorticoide auch auf den Salz- und Wasserhaushalt. Durch die verminderte Ausscheidung von Natrium wird gleichzeitig auch Wasser zurückgehalten, es kommt zu einer Wasseransammlung (Ödem) im Gewebe. Ferner kann Bluthochdruck entstehen. Die Ausscheidung von Kalium wird durch Glucocorticoide erhöht, der dadurch entstehende Kaliummangel kann zu Muskelschwäche führen. Glucocorticoide beeinflussen auch den Stoffwechsel und die Bildung von Bindegewebszellen. Es kann deshalb zu Wundheilungsstörungen kommen; bei langfristiger Anwendung von Glucocorticoiden wird die Haut dünner und weniger widerstandsfähig. Andere Nebenwirkungen von Glucocorticoiden, vor allem bei hochdosierter Gabe, werden im dritten Teil dieser Serie erläutert. Dr. med. Hans Wilimzig 415 Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Osnabrück Seiten 10 und 11: News & Hintergrund Die Zeitbombe tickt im Körper Silikon ist ein autoimmunologischer Wirkstoff. Er ist, wenn er im Körper – vor allem aus Brustprothesen – freigesetzt wird, verantwortlich für die Entstehung von Krankheiten wie Rheuma und Multiple Sklerose. Niemand wollte diese Tatsache wahr haben. Erst der Bericht des plastischen Chirurgen Henry Jenny deckte einen Medizinkrimi auf. Heute zahlen US-Firmen Milliarden Dollar an die geschädigten Opfer. In Deutschland wird Silikon weiter medizinisch verwendet. Baron Jöns Jakob Berzelius, ein schwedischer Chemiker, isolierte als erster das elementare Silicium im Jahre 1824. J. J. Friedel und James Craft stellten die ersten organischen Silikonverbindungen her. Frederick Kipping aus England fabrizierte 1894 organisches Silikon mit der Grignard Methode und nannte diesen Stoff Silicone. Erst 1929 gelang es dem Amerikaner Wallace Carothers, Silikon zu polymerisieren, d.h. lange molekulare Ketten zu formen. Je länger diese Ketten sind, desto dickflüssiger wird die entstandene Flüssigkeit. Die Querverbindung der Ketten führt zur Verfestigung des Silikons. Dieses Verfahren spielt sich bei Zimmertemperatur ab oder bei starkem Erhitzen mit speziellen Katalysatoren. Silikon entstand ohne seriöse Forschung Die Gründung der Dow Corning Corporation als Tochtergesellschaft der Corning Glass Works und Dow Chemical Company wurde am 1. April 1942 beschlossen. Erst im Jahre 1950 begann Dow Corning, medizinische Produkte herzustellen und zu verkaufen. 10 Jahre lang wurden verschiedene Medizinprodukte geschaffen und den Ärzten angeboten, ohne seriöse Forschung für die Sicherheit. Man hielt den Gebrauch des Silikons im menschlichen Körper für ungefährlich. 1964 fand Dr. Donald Bennett im biologischen Forschungslaboratorium im Dow Chemical Gebäude unerwartete biologische Aktivitäten des OrganoSilikons. Er entdeckte, daß die Silikonhüllen für Medikamente und Hormone höchst durchlässig sind und sprach von einer Periode der dosierten Medikamentabgabe. 1986 erreichte Dow Cornings Jahresumsatz bereits die erste Milliarde Dollar. Nicht ganz 10 Jahre später erklärte die Firma ihren Bankrott. Worin lag der Grund für diesen Untergang? Schon in den sechziger Jahren zeigten Forschungen, daß gewisse OrganoSilikone großen Einfluß auf das menschliche Immunsystem haben. Dow Corning hoffte, mit dem Silikon das Immunsystem soweit zu manipulieren, daß die meisten Krankheiten, Infektionen und sogar Krebs geheilt werden könnten. Leider wurden diese Träume nie Wirklichkeit. Körperverletzung mit Brustprothesen Erst Prozesse der klagenden Frauen brachten eindeutigen Betrug, Fälschungen wissenschaftlicher Dokumente und frevelhaftes Benehmen der Prothesenhersteller an die Öffentlichkeit. So schwor z. B. Wayne M. Hancock, der oberste Anwalt der Dow Chemical Company, am 18. Februar 1992 vor einem Notar in Kalifornien, daß die Firma nie etwas mit der Entwicklung und 416 Forschung der Silikon-Brustprothesen zu tun gehabt hätte. In einem wissenschaftlichen Artikel dankt Prof. Harold Harris im Jahre 1965 Dow Chemical Company für persönliche Hilfe und die ihnen zur Verfügung gestellten Silikonflüssigkeiten. 1972 publizierten die beiden Dow Chemical Wissenschaftler James F. Hayden und A. Barlow ihre Ergebnisse über die Beziehungen zwischen Organosilikon und dem weiblichen Reproduktionssystem. Silikon verursacht Rheuma Als sich mit den Jahren die Fälle von meist unbekannten oder gar neuen Krankheitsbildern bei Frauen mit Silikon-Brustprothesen mehrten, schöpften Ärzte zunehmend den Verdacht, daß Silikon die Ursache dieser Autoimmunkrankheiten sein könnte. Inzwischen sind 137.000 Frauen von anerkannten Spezialisten auf dem Gebiet der Rheumatologie und Immunologie als Silikonkranke diagnostiziert worden. Auf der anderen Seite wurden mehrere Arbeiten von bekannten Universitäten veröffentlicht, in welchen ein direkter Zusammenhang zwischen Silikon und Autoimmunerkrankungen als unwahrscheinlich erschien. Nicht alles, was scheint, ist Gold. Billiges Blech kann vergoldet werden. So wurden Studien der Mayo Klinik (USA) von Fabrikanten und plastischen Chirurgen bestellt und bezahlt. Die kürzlich erschienene Harvard-Studie, bei der Krankenschwestern mit Brustimplantaten nach ihrem subjektiven Befinden befragt wurden, scheint ebenfalls retuschiert zu sein. 1993 begann Harvard eine doppelt so große, von Dow Corning bezahlte, unpublizierte Studie. Sie zeigte einen statistisch klaren 50% igen Anstieg der rheumatischen Erkrankungen bei Frauen, die Silikonprothesen trugen. Weiterhin wurde bewiesen, daß ein Zusammenhang mit schweren Erkrankungen erst 10 Jahre post-operativ statistisch deutlich wurde. Leider zeigt sich immer deutlicher, daß mit viel Geld und Politik sogar medizinische Forschungsergebnisse totgeschwiegen werden können. Medikamenteneinnahme zur richtigen Zeit: Die „innere Uhr“ entscheidet Viele Stoffwechselvorgänge des Körpers unterliegen der „inneren Uhr“, die vom Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen abhängig ist. Die optimale Einnahme von Arzneimitteln und deren Wirkung muß auf den Tag-NachtRhythmus abgestimmt werden. Hierbei ist nach den verschiedenen Krankheiten und Medikamenten zu unterschieden. Tageszeitliche Unterschiede gibt es bei der Magensäureproduktion, die abends und nachts am höchsten ist. Daher sollten bestimmte Medikamtente gegen Magengeschwüre, die die Säureproduktion hemmen, abends eingenommen werden. Kortison sollte morgens zwischen sechs und neun Uhr eingenommen werden, da die Ausschüttung der Kortisone durch die Nebennierenrinde morgens ihr Maximum erreicht. Dagegen sollten Asthmatiker ihre Mittel in ausreichender Dosis abends einnehmen, da die meisten Asthmaanfälle wegen der verminderten Lungenfunktion in der Nacht auftreten. Patienten mit Bluthochdruck unterliegen ebenfalls dem Tag-Nacht-Rhythmus. Vormittags steigt der Blutdruck an, und nachts fällt er wieder ab. Daher treten Herzinfarkte am häufigsten morgens zwischen 8 und 12 Uhr auf. Auch hier ist mit der richtigen Dosis zum besten Zeitpunkt vorzubeugen. 417 Seite 12: Tips & Urteile Zur steuerlichen Berücksichtigung von Aufwendungen für Kurreisen Von dem Erfordernis, die medizinische Notwendigkeit einer Kurreise durch ein vor ihrem Antritt ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares Zeugnis nachzuweisen, kann abgesehen werden, wenn feststeht, daß eine gesetzliche Krankenkasse diese Notwendigkeitsprüfung vorgenommen und positiv beschieden hat. Davon kann in der Regel ausgegangen werden, wenn die Kasse einen Zuschuß zu den Kosten für die Durchführung der Kur - z. B. zu den Kosten für Unterkunft und Verpflegung - gewährt hat. (BFH Urteil vom 30.6.1995 III R 52/93) Die steuerliche Anerkennung von Ausgaben für einen Kuraufenthalt wird grundsätzlich von dem vielen Laien unbekannten Erfordernis der Vorlage eines vor Kurantritt erstellten amtsärztlichen Attestes (zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit) abhängig gemacht. Nach dieser neuen Entscheidung des BFH kann der Weg über die möglicherweise mit weniger Aufwand zu erreichende anteilige Kostenbeteiligung durch die Krankenkasse den in der Praxis meist gescheuten Weg zum Amtsarzt ersparen. J.S-H. Kündigung von Schwerbehinderten Soweit die Fürsorgestelle der Kündigung des Arbeitgebers nicht innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang widerspricht, gilt die Zustimmung grundsätzlich als erteilt. Diese Annahme gilt jedoch nicht, wenn die Fürsorgestelle die ablehnende Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers innerhalb von zwei Wochen zur Post gegeben hat. Es ist nicht auf Bekanntgabe des Bescheids beim Arbeitgeber abzustellen. (BAG 9.2.1994, 2 AZR 720/93) Karenztage in der Krankenhaustagegeldversicherung Dauert der Versicherungsfall wegen Behandlungsbedürftigkeit derselben Krankheit an, wird die Leistungspflicht des entsprechenden Versicherers jedoch immer wieder durch nicht vollständige Arbeitsunfähigkeit des Versicherten unterbrochen, so sind die Karenztage nur einmal und nicht bei jedem erneuten Eintritt der Arbeitsunfähigkeit anzurechnen. (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.12.1993, 7 U 85/93) Strenge Anforderungen bei der Erteilung des Merkmals „ag“ Der Nachteilsausgleich durch die Erteilung des Merkmals „ag“ („außergewöhnlich gehbehindert“) steht den Schwerbehinderten nicht zu, wenn sie wegen eines Anfallsleidens oder wegen Störungen der Orientierungsfähigkeit nur unter Aufsicht gehen können, aber nicht auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sind. (BSG Urteil vom 13.12.1994 9 RVs 3/94, Bestätigung und Fortführung von BSG 29.1.1992) 418 TIP: Telefonpreise für Schwerbehinderte gesenkt Ab 1.1.1996 gilt das neue Tarifkonzept der Telekom. Es wird einige Änderungen der bisherigen Regelungen geben. So wird der monatliche Grundpreis von Sozialanschlüssen um DM 10,60 gesenkt. Er kostet im neuen Jahr nur noch DM 9,00. Blinde, Gehörlose und sprachbehinderte Telekomkunden mit einem Behinderungsgrad von mindestens 90 Prozent bekommen ihren Telefonanschluß noch preiswerter: für DM 5,00. Wir wollten von der Telekom wissen, ob auch andere Behinderte (z.B. Gehbehinderte) von der Vergünstigung Gebrauch machen können. „Ich glaube schon“, sagte der freundliche Telefonberater. Seite 13: Leserpodium Enttäuschung Ich bin Autoimmun-Abonnent seit Juli 1993, also ganz von Anfang an. Somit war ich immer auf dem neuesten Stand und konnte die ganze Geschichte um DSG fern in Sofia verfolgen. Zusammen mit mir haben hier noch viele MSkranke Bekannte ständig auf Neuigkeiten gewartet. Sie können sich kaum vorstellen, wie groß unsere Enttäuschung über die Zulassungskommission und über die DMSG ist. Der Selbstmord von Klaus von der Burg hat uns entsetzt. Jeder von uns, der mit dieser Krankheit leben muß, ist wenigstens einmal auf diesen Gedanken gekommen. Aber die Ursache bei von der Burg bildete nicht seine Krankheit, sondern die Verzweiflung darüber, daß ihm ein Medikament, das ihm geholfen hat, nicht mehr zur Verfügung stehen konnte. Ich bin sicher, daß DSG früher oder später zugelassen wird. Es wird aber für manche von uns zu spät sein. Leider muß sich jetzt jeder von uns selbst retten, natürlich nur, wenn er die finanzielle Möglichkeit dazu hat. Valentin B., Sofia, Bulgarien Haarausfall Als MS-Patientin (Diagnose 1980) und Leserin Ihrer Zeitschrift würde mich sehr interessieren, ob Ihnen zu folgendem Problem Erfahrungen vorliegen: Ende 1994 hatte ich sehr starken Haarausfall, der zwei bis drei Monate anhielt und dann von selbst zum Stillstand kam. Blutuntersuchungen durch meine Hausärztin ergaben damals normale Werte. Andere Faktoren – wie Medikamente oder Diät – schieden aus. Auch hatte ich lange kein Kortison eingenommen. Mein Neurologe konnte mir nichts über einen möglichen Zusammenhang zwischen MS und Haarausfall sagen. Seit sechs Wochen gehen mir meine Haare nun wieder stark aus. Ein von mir konsultierter Hautarzt befand meine Kopfhaut und Haarwurzeln für gesund. Die verschriebenen Präparate haben bis jetzt leider nichts bewirken können. Einen Zusammenhang zwischen der MS und meinem Haarausfall schloß er aber nicht aus. Gibt es Hinweise zu meinem Problem? Angelika L., Kassel Haarausfall und MS ist der Medizin bekannt, tritt aber in seltenen Fällen auf. Die Redaktion 419 MS und Lebenserwartung Für mich kam eine Mitgliedschaft bei den Verbrechern der DMSG niemals in Frage. Aber 1988 habe ich von einer ebenfalls an MS erkrankten Patientin etwas zu lesen bekommen, eine Veröffentlichung der DMSG für ihre Mitglieder. Darin war wörtlich geschrieben „Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich aufgrund besserer Behandlungsmethoden auf 25 Jahre nach Beginn der Erkrankung ausgedehnt.“ Das wäre bei mir etwa 1997. Erst war ich erschrocken, aber dann war ich irgendwie erleichtert, wenn ich mir vorstelle, daß sich mein Zustand in den nächsten Jahren weiter so verschlechtert wie bisher. Ich hatte dann längere Zeit nichts weiter gehört. Aber dieses Jahr habe ich einen Artikel gelesen, der den gleichen Inhalt hatte. Davor hätte ich keine Angst, verglichen mit der vor einer weiteren Verschlechterung. Dann nämlich würde ich fast meine Würde verlieren. Z.B. jetzt, wo ich hinreisen könnte, wohin ich will, geht es aus besagten Gründen nicht mehr. Jürgen Sch., Plauen Brief an die DMSG Frau Barbara A. aus Berlin schrieb im Oktober 1995 an die DMSG : „Ich bin entsetzt, mit welcher Ignoranz Sie zu Lasten der angeblich von Ihnen vertretenen MS-Kranken tätig geworden sind. Sie führen einen einzigen Abwehrkampf gegen DSG, ohne dessen Wirksamkeit zur Kenntnis zu nehmen. Die intensive Unterstützung der Beta-Interferon Therapie, die demnächst von Schering angeboten wird, läßt die Vermutung zu, daß es auch hier nur um knallharte kommerzielle Interessen zwischen Pharmaindustrie und Medizinern geht. Diesem Kreis ist es lieber, wenn aus drei Schüben jährlich einer wird, womit der Kranke auf Dauer bei Beta-Interferon als Patient erhalten bleibt. Dagegen kann bei einer ganz frühen Anwendung der DSG-Therapie mit einem Stillstand gerechnet werden, also eine kausale Therapie. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich und mehrere mir bekannter MS-Fälle sind mit DSG seit über einem Jahr behandelt. Ich habe auch in den übrigen Bereichen Ihrer Tätigkeit nie den Eindruck gehabt, daß mir bei meinem Problemen geholfen werden konnte. Hiermit kündige ich meine Mitgliedschaft in Ihrem Verein.“ Seite 14: Stichwort: Hippotherapie: Therapie auf dem Pferderücken Reiten macht Spaß, unter therapeutischer Anleitung kann es die Gesundheit fördern und eine heilsame Wirkung bei Krankheiten entfalten, die mit Bewegungsstörungen einhergehen. Die therapeutische Arbeit mit Pferden läßt sich in drei Bereiche einteilen: Das Pferd im Sport, in der Pädagogik und in der Medizin. Behindertenreiten gibt den Patienten ein Gefühl der Selbständigkeit und die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Heilpädagogisches Reiten unterstützt eine positive 420 Verhaltensänderung bei verhaltensauffälligen oder geistig behinderten Kindern und Jugendlichen. Der medizinische Einsatz des Pferdes ist eine konsequente Fortführung des therapeutischen Ansatzes. Die Hippotherapie ist eine ärztlich verordnete und überwachte Behandlungsmethode. Dabei sitzt der Patient auf dem Rücken des Pferdes. Er wirkt nicht auf das Tier ein. Das Pferd schreitet einher, wobei die rhythmischen und gleichmäßigen Bewegungen die Muskulatur des Patienten lockern und sein Gleichgewichtsgefühl fördern. Durch das aufrechte Sitzen auf dem Pferderücken wird der Oberkörper des Patienten stabilisiert und seine Rückenmuskulatur gestärkt. Muskeln werden gleichzeitig entspannt und gekräftigt. Um einem fortschreitenden Muskelabbau zu begegnen, kann die Hippotherapie eine gute Ergänzung zur normalen Physiotherapie sein. „Man muß es ganz deutlich sagen“, meint Andreas Schwarz, Krankengymnast in Berlin. „Es handelt sich hierbei um keine Form des Reitens. Das Pferd schreitet. Durch die regelmäßigen dreidimensionalen Bewegungen werden Wirkungen und Effekte erzielt, die nicht mit herkömmlichen physiotherapeutischen Behandlungsmethoden erlangt werden können“. Damit sich der speziell ausgebildete Therapeut ganz auf den Patienten konzentrieren kann, wird das Pferd von einer dritten Person geführt. Dieser Helfer muß ausreichende Erfahrung in der Langzügelarbeit haben. Das Pferd muß entsprechend ausgebildet sein, über ein ausgeglichenes Temperament verfügen und die „richtige“ Größe haben. Daß die Hippotherapie ihren Preis hat, verwundert nicht. Krankenkassen wollen nicht in jedem Fall die Kosten übernehmen und fragen: „Welche Wirkungen werden mit der Hippotherapie erreicht, die mit üblicher Krankengymnastik nicht erzielt werden können?“. Diese Frage kann nur ein entschlossener Arzt beantworten. Multiple Sklerose-Register : Die Erhebung und Auswertung von Daten über die MS könnte vieles erleichtern Ein Krebs-Register gibt es schon. Kliniker, Ärzte und Wissenschaftler haben großen Nutzen daraus gezogen. Ein zentrales MS-Register gibt es in Deutschland noch nicht. Dabei hätte eine solche Datenansammlung für Patienten und Forschung spürbare Vorteile: 1. Aus einer großen Anzahl von Daten ließen sich verschiedene typische Krankheitverläufe ermitteln. Bisher wird nur zwischen schubförmiger und chronischer Verlaufsform getrennt. Doch jeder Arzt und Patient weiß, daß man die Krankheit viel differenzierter betrachten muß. Eine große Zahl von verschiedenen Symptomen, die bisher wenig verstandene Lage der MStypischen Herde in der Kernspintomographie und weitere wichtige Labordaten würden mehr Aussagekraft erlangen und Verständnis für eine bisher kaum begreifbare Krankheit ermöglichen, wenn sie zentral ausgewertet würden. Mit den gesammelten Daten ließen sich viel gezielter neue wirksame Medikamente und Therapiestudien vorbereiten. 2. Durch die wahrheitsgetreue Festschreibung und Wiedergabe der typischen MS-Verläufe ließe sich ein Standardverlauf ermitteln. Diesen könnte man als Maßstab bei klinischen Überprüfungen von neuen Medikamenten nehmen. Dies hätte zwei entscheidende Vorteile. Zum einen ließe sich viel schneller und exakter die Wirksamkeit einer Substanz nachweisen, zum anderen wäre 421 ein Placebo (Scheinpräparat) nicht mehr erforderlich, was MS-Studien ethisch ins richtige Licht rücken würde. „Zur Zeit gehen uns unheimlich viele Daten verloren. Das in Medikamentenprüfungen ermittelte Wissen bleibt praktisch ungenutzt“, erläutert Prof. Dr. Dr. Christian Franke das Problem. Franke ist als Neurologe im Münchner „Klinikum Rechts der Isar“ tätig und weiß aus praktischer Erfahrung, wo es hakt. Seine Berufskollegen sehen das Problem ähnlich. Daß es immer noch kein MS-Register gibt, ist unverständlich und eine Forschungsbremse. Derzeit versucht eine Initiative von Wissenschaftlern, Ärzten und Dokumentatoren zu prüfen, ob das Projekt „MS-Register“ realisierbar wäre. „Letztlich wird es am Geld fehlen“, befürchtet Franke. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Dezember 1995 Mi, 6. Dezember, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin „Wenn Wohnen krank macht“. Viele Wohnungen machen ihre Bewohner krank, wenn sie durch ungesunde Baustoffe belastet sind. Inzwischen nehmen Ärzte die Umwelt in der Wohnung genauso ernst wie die schädlichen Umweltfaktoren draußen. QuiVive sucht nach den Ursachen wohnungsbedingter Er-krankungen und fragt, wie man die Wohnumgebung „sanieren“ kann. Mi, 6. Dezember, 20.50 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis Mi, 6/7. Dezember, 0.15 Uhr, ZDF: Transplantationsgesetz – Hirntod Diskussion zu einem brisanten Thema Fr, 8. Dezember, 15.30 Uhr, 3sat: Gesundheitsmagazin Praxis „Naturheilverfahren – natürlich gesund?! Homöopathie – Was kann sie wirklich?“ Als Expertin im Studio: Dr. med. Veronika Carstens. Mo, 11. Dezember, 21.45 Uhr, WDR: Brustkrebs - über Angst, Wut und Mut Die Sendung informiert über Kombinationen von schulmedizinischen und alternativen Behandlungsmethoden. Di, 12. Dezember, 21.35 Uhr, WDR: Globus - Forschung und Technik Themen: Krank durch Impfung? Eltern sind zunehmend verunsichert, ob Impfungen oft mehr schaden als nutzen. Wunderdroge Melantonin? Ewige Jugend und Schutz vor bösartigen Erkrankungen, das sind die Hoffnungen, die an die Einnahme von Melantonin geknüpft werden. Wissenschaftlich bewiesen ist davon bisher nichts. 422 Leuchtender Kunststoff: Wissenschaftler arbeiten an Alternativen zu den Flüssigkristallanzeigen im Display von Laptop-Computern. Di, 12. Dezember, 21.00 Uhr, N3: Visite – Gesundheit im Alltag Moderation: Karen Kruse Das Magazin wird regelmäßig dienstags um 21.00 Uhr im N3 gesendet. Mi, 13. Dezember, 18.30 Uhr, WDR: Diabetes – nur eine Sache des Typs? Mi, 13. Dezember, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin „Akupunktur – Stiche, die unter die Haut gehen“ Die Akupunktur ist über 4000 Jahre alt und gehört zu den am weitesten verbreiteten Heilmethoden der Welt. Wann hilft sie wirklich, was sagt die Wissenschaft, welche Erfahrungen haben die Patienten gemacht und was kostet eine Behandlung? Im Studio sprechen Experten und Kritiker. Mi, 13. Dezember, 20.15 Uhr, 3sat: Tatort Tropen „Auf der Suche nach dem schwarzen Gold“. Arzneirohstoffe aus den tropischen Regenwäldern. Di, 19. Dezember, 18.30 Uhr, WDR: Magenbeschwerden Störungen in der Magengegend und im Verdauungstrakt gehören zu den häufigsten Beschwerden. Kliniker der Ruhrland-Universität (Bochum) haben eine neue Behandlungsmethode entwickelt. Di, 19. Dezember, 20.15 Uhr, PRO7: Verfilmung einer wahren Geschichte Über den Kampf von Eltern für ein lebenswertes Leben ihrer kranken Kinder. Di, 19. Dezember, 22.15 Uhr, N3: Prisma Fr, 22. Dezember, 15.30 Uhr, 3sat: Die Sprechstunde „Fehlernährung - Notstand im Schlaraffenland“. In einer Welt des Überflusses mangelt es nicht an guten Ratschlägen für die Ernährung. Dennoch sind die Regeln eines ausgewogenen Speiseplans weitgehend unbekannt. Dieser „Notstand“ soll beseitigt werden. Januar 1996 Di, 2. Januar, 13.00 Uhr, N3: DokZeit: Prisma-Magazin Moderation: Wolfgang Buck Di, 2. Januar, 22.15 Uhr, N3: Prisma Do, 4. Januar, 21.00 Uhr, RB 2: Wie eine Welle im Ozean „Quantenmedizin zwischen östlicher Tradition und westlicher Technologie“. Die westliche Schulmedizin betrachtet den menschlichen Körper als komplizierte Maschine, deren Aktivität vom Gehirn gesteuert wird. Doch unterhalb der zellulären Ebene besteht der Körper aus Molekülen, Atomen und sub-atomaren Teilchen, die ständig in Bewegung sind – es ist Energie. 423 Der Körper bildet ein Energiefeld, das mit anderen Energiefeldern in Wechselwirkung steht. Jeder Mensch hat seine eigenen Schwingungen und jede Krankheit kündigt sich durch ein eigenes Schwingungsmuster an. Bestimmte Therapien setzen auf dieser Ebene an, wie z.B. Akupunktur und Homöopathie. Di, 9. Januar, 22.15 Uhr, N3: Prisma Di, 16 Januar, 21.45 Uhr, WDR: Quarks & Co Thema: Fett Di, 23. Januar, 22.15 Uhr, N3: Prisma 8.13 „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1996 Seite 3: Die Vikinger sind schuld! Autoimmun befindet sich nunmehr im vierten Jahrgang. Seit Beginn unserer Tätigkeit in einem besonders schwierigen Teil der Medizin haben wir viel gelernt und auch viel an fragende Leser weitergegeben. Hauptgegenstand unserer Recherche war und ist die Krankheit Multiple Sklerose. Eine quälende bis lebensbedrohliche Nervenerkrankung. Vor vier Jahren sah es um Wissen und Therapie zur MS deutlich schlechter aus als heute. Viele Patienten glaubten noch, eine harte Diät würde die Ursachen der MS beseitigen - heute weiß man, daß diese Art der Alternativmedizin keinen Einfluß auf die Krankheit hat, sondern eher psychologische Defizite berührt. Ja, als wir vor vier Jahren in Fachzeitschriften blätterten, mit Pharmafirmen diskutierten und Ärzte zu Gespächen einluden, gab man den Patienten „Imurek“, heute entfernt man sich immer mehr von dieser Therapie, denn mit dem jüngst zugelassenen Beta-Interferon besitzt man eine vergleichbare Waffe gegen die MS. Der Schering AG, die die Entwicklung trotz patentrechtlicher Streitigkeiten vorangetrieben hat, ist zu diesem Erfolg zu gratulieren, denn nicht immer werden wirksame Medikamente zugelassen. Weitere Erkenntnisse über den gezielten Einsatz von Kortison während akuter Verschlechterungsphasen sind in den letzten Jahren hinzugekommen. Doch wir sollten bei allen Erfolgen nicht vergessen, daß es nur kleine Schritte waren, mit denen man MS-Patienten mehr Lebensqualität durch Therapie geben wollte. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Die MS-Forschung wird weitere Siege vermelden, aber auch Niederlagen müssen verkraftet und ehrlich eingestanden werden, denn: Der erkrankte Mensch ist zu schützen, für sein Leiden wollen wir zur effizienteren Gestaltung der Forschung und zu ihrer Beschleunigung beitragen, unsere Aufgabe ist die Information. So glauben wir, daß keinem Patienten damit geholfen wird, wenn Neurologen der Havard Medical School in Boston (USA) der Frage nachgehen, ob die Vikinger die MS nach Amerika einschleppten. Wir dürfen uns nicht mit dem Erreichten zufriedengeben. Ihre Redaktion 424 Nach Redaktionsschluß… …teilte die deutsche Vertretung des schwedischen Pharmaunternehmens Pharmacia mit, daß sich der Start der geplanten Studie mit Lenomid gegen Multiple Sklerose verzögert. Nun wird die weltweit angelegte DoppelblindStudie im Februar/März 1996 beginnen. Eine europäische Expertenkommission wacht über die Durchführung und kann jederzeit die Zwischenergebnisse einsehen. Falls das Medikament Therapieerfolge zeigt, soll die Studie aus ethischen Gründen unterbrochen und ohne Plazebo weitergeführt werden. Gerüchte über Nebenwirkungen - insbesondere Rippenfellentzündung - wurden bestätigt, die Wahrscheinlichkeit sei jedoch sehr gering. …sprechen mehrere Universitäten von einem Anstieg der Multiple SkleroseHäufigkeit. Gebiete mit einem besonderen MS-Risiko seien die USA, Kanada, Australien und Europa, so Forscher von der Havard Medical School in Boston (USA). In Europa sei besonders der Norden betroffen. Einzelne Zone im Süden weisen jedoch ein enorm hohes MS-Vorkommen auf. So stellten Wissenschaftler der Universität Modena (Italien) fest, daß in Modena ein besorgniserregender Anstieg der jährlichen Neuerkrankungsrate von 1,5 auf 39 Fälle unter 100.000 Einwohnern in 20 Jahren zu verzeichnen sei. Wissenschaftler der Catholic University of Leuven (Belgien) bestätigen diesen Trend, weisen jedoch auf die schwierige Vergleichbarkeit unterschiedlicher Meßmethoden hin. Seiten 4 und 5: Beta-Interferon bei Multipler Sklerose: optimistisch stimmender Beginn Am 15. 1. 1996 wurde in Europa Betaferon zur Behandlung der schubförmigen MS zugelassen. Damit steht auch deutschen Patienten eine neue Therapie zur Verfügung. Das Beta-Interferon ist in den USA und in Europa zur Therapie früher, schubförmiger Stadien der MS zugelassen worden. Betaferon wird gentechnisch aus Coli-Bakterien hergestellt. Die Zulassung ist im wesentlichen aufgrund der Befunde einer Doppelblindstudie in den kernspintomographischen Untersuchungen nach drei Jahren erfolgt. Das Volumen der „Herde“ war in der Behandlungsgruppe um rund 14 Prozent signifikant kleiner als in der Gruppe mit dem Scheinmedikament. Eine positive klinische Wirkung - also eine Befundverbesserung bei den neurologischen Untersuchungen - wurde nach drei Jahren noch nicht beobachtet. Eine weitere positive Beobachtung war eine hochsignifikante Abnahme der Schubrate, die aber im klinischen Befinden keine Auswirkungen hatte. Es wurden weiter Schübe beobachtet, aber das durchschnittliche Intervall zwischen ihnen verlängerte sich von elf Monaten bei der Scheinbehandlung auf circa 14 Monate bei Patienten, die mit Betaferon behandelt wurden. Es ist aufgrund dieser Ergebnisse unbestritten, daß Betaferon die Weiterentwicklung der MS verzögern kann, den Verlauf der Krankheit aber nicht aufhält. Weitere Doppelblindstudien mit diesem Präparat zur Überprüfung der Wirkung bei chronisch-progredienten Verläufen der MS 425 laufen in Europa und in den USA. Ergebnisse sind noch nicht bekannt geworden. Beta-Interferon in Deutschland bereits seit 18 Jahren zugelassen In der Bundesrepublik Deutschland ist Beta-Interferon als humanes Leukozyten-Interferon bereits seit ungefähr 18 Jahren zur Therapie von schweren, unbeherrschbaren Viruserkrankungen zugelassen. Das Präparat der Firma Rentschler heißt Fiblaferon. In den achtziger Jahren wurde eine Doppelblindprüfung dieses Arzneimittels bei schubförmigen Verläufen der MS bereits überlegt, dann aber wegen Geldmangels nicht durchgeführt. Aus dieser Zeit - dem Beginn der achtziger Jahre - liegen zahlreiche Publikationen aus offenen Studien mit diesem Beta-Interferon vor, in denen prinzipiell die gleichen Wirkungen beschrieben wurden, wie die, die das Scheringpräparat gezeigt hat. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist die beobachtete Reduktion der Schubhäufigkeit. Auch in diesen frühen Untersuchungen wurde eine Wirkung aus-schließlich in den Anfangsstadien der schubförmigen MS beobachtet. Bei den Beta-Interferonen besteht aber noch keine Klarheit über die immunologischen Wirkungen. Es gibt erste, aber experimentell weitgehend unbestätigte Modellvorstellungen. Seit den achtziger Jahren ist es durch offene Studien geklärt, daß Beta-Interferon einen schwachen Einfluß auf den Verlauf einer schubförmigen MS hat. Wertet man die vorliegenden Befunde kritisch, so zeigt sich: Der Einfluß ist etwa gleichstark wie der des altbekannten Wirkstoffs Azathioprin, der als „Imurek” in den Apotheken steht. Die Wirkung der verschiedenen Beta-Interferone auf den Verlauf von Autoimmunkrankheiten ist prinzipiell bei allen Präparaten gleich. Daher setzt man besonders in Italien und Frankreich ein weiteres, gentechnisch hergestelltes Beta-Interferon bei vielen Autoimmunkrankheiten ein - so bei Lupus erythematodes, chronischem Gelenkrheuma und anderen. Es handelt sich um ein mit Hilfe von Warmblüterzellen von der Firma Serono hergestelltes Präparat. Befunde liegen aus offenen Studien vor. Auch hier ist ein schwacher Einfluß auf den Verlauf der Krankheit unbestritten. Mit diesem, wie auch mit weiteren Beta-Interferonen werden Doppelblindstudien bei den verschiedenen Formen der MS durchgeführt und sind zum Teil auch schon publiziert. Die Wirkungen der Präparate sind auch hier gleich. Lästige Nebenwirkungen Seit langem ist bekannt, daß alle Beta-Interferonpräparate gleiche und dosisabhängige Nebenwirkungen haben, manchmal in sehr schwerer Form. Harmlos, subjektiv jedoch sehr unangenehm sind Rötungen und Schwellungen an der Injektionsstelle. Subjektiv am lästigsten sind die grippeähnlichen Symptome, die vor allem zu Beginn der Behandlung auftreten. Bei manchen Patienten verschwinden die Nebenwirkungen nie, bei anderen nach einigen Wochen. In höheren Dosierungen kann diese Nebenwirkung bis zum körperlichen Verfall der Patienten führen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Zulassung von Beta-Interferon zur Behandlung der MS erfreulich ist. Der Einfluß auf den Krankheitsverlauf ist schwach, die Nebenwirkungen können subjektiv aber sehr lästig sein. Kein Beta-Interferon kann Endpunkt der Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für Autoimmunkrankheiten sein, - jedoch sind Prüfung und Zulassung ein optimistisch stimmender Beginn. Notwendig ist 426 jetzt die schnellstmögliche Weiterentwicklung und Zulassung der weiteren immunwirksamen und immunmodulierenden Substanzen Lenomid, Leflunomid, Deoxyspergualin, COP-1 und weiterer. Prof. Dr. med. Niels Franke Ausgewählte Daten zur Entwicklung von Beta-Interferon - Eine Chronologie In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts: erste Hinweise auf Interferone man entdeckte das Phänomen der viralen Interferenz. 1956/1957: Entdeckung durch Lindemann und Isaacs. 1979: Pilotstudie von Jacobs mit natürlichem Beta-Interferon bei schubförmiger MS. 1983 wurde Beta-Interferon erstmals angeboten. 1986: Studie von Jacobs mit natürlichem Beta-Interferon - Schübe konnten reduziert werden. 1988: Beginn einer aufwendigen Schering-Studie mit Beta-Interferon in den USA. 1993: Studie von Paty mit Interferon aus E.-coli-Bakterien - ZNS-Läsionen wurden reduziert. Juli 1993: Zulassung des modifizierten Beta-Interferons in den USA. 1995: Studie von Fieschi mit CHO-Interferon aus Hamsterzellen - Schübe wurden reduziert, das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt. November 1995: Zulassung des modifizierten Beta-Interferons für Europa. 1996: Mit Beginn des Jahres wird modifiziertes Beta-Interferon in Deutschland verfügbar. So wirken die Interferone im Körper des Menschen Interferone sind Eiweißstoffe mit Botenstofffunktion, die im menschlichen Körper mit den Antikörpern und dem restlichen Immunsystem reagieren. Auch verlangsamen sie die Zellteilung. Je nach Art dieser Reaktionen unterscheidet man Alpha-, Beta- und Gamma-Interferone. Zwar gibt es über zwanzig verschiedene Alpha-Interferone, jedoch jeweils nur ein Beta- und ein Gamma-Interferon. Alpha- und Beta-Interferone entfalten ihre Wirkung hauptsächlich gegen Viren. Gamma-Interferon stimmt in seiner Aminosäurestruktur nur mehr oder weniger zufällig mit den anderen Interferonen überein. Es wirkt immunmodulatorisch. Je nach Vorbedingungen kann es stimmulierend oder unterdrückend auf die Antikörperproduktion und die anderen Komponenten des Immunsystems wirken. In Versuchen ergab sich zudem, daß Gamma-Interferon Entzündungsprozesse oft eher fördert als positiv beeinflußt. Interferone binden sich an Kontaktstellen (Rezeptoren) auf der Oberfläche von Immunzellen. Dieser Zellkontakt löst dann Folgen im Zell-inneren aus. Die vielfältigen Wirkungen der Interferone beruhen auf ihrer Konzentration, der unterschiedlichen Zahl von Rezeptoren, auf die sie treffen, der unterschiedlichen Rezeptorform sowie auch auf dem unterschiedlichen Verhalten der Rezeptoren nach Aufnahme des Botenstoffs. Das Beta-Interferon-Molekül besteht aus einer Stützstruktur von 166 Aminosäuren und einem Zuckeranteil, der ein Viertel des Gewichts ausmacht. Wie alle Interferone wirkt das Beta-Interferon artspezifisch: Nur ein im 427 menschlichen Körper gebildetes - oder ein künstlich getreu nachgebildetes Interferon kann eine volle therapeutische Wirkung entfalten. Man spricht bei Interferonpräparaten deshalb von verschiedenen BetaInterferonen, weil jeweils unterschiedliche Herstellungsverfahren auch Ihre Spuren im Aussehen des Beta-Interferon-Moleküls oder in der Zusammensetzung und Reinheit der Arznei hinterlassen. Aufgrund des künstlichen Herstellungsverfahrens sind aufwendige Reinigungsprozesse notwendig, denn es kommt häufig zur Bildung inaktiver di- oder trimerer Moleküle. Natürliches Beta-Interferon wird zumeist intravenös infundiert und kann unter anderem schwere grippeähnliche Symptome hervorrufen. Seiten 6 und 7: News & Hintergrund MS-Selbsthilfe e.V. Klaus Josten Knappertsbuschstr. 5 95445 Bayreuth OFFENER BRIEF AN DEN BUNDESMINISTER FÜR GESUNDHEIT, HORST SEEHOFER Sehr geehrter Herr Bundesminister Seehofer! Im Namen einer großen Zahl von MS-Betroffenen möchte ich mich über die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (DMSG) beschweren. Deutlich und vernehmlich. Es ist nicht das erste Mal, daß ich mich im Auftrage der von mir geführten MS-Selbsthilfe e.V. (Oberfranken, zwei Arbeitskreise in Bayreuth und Marktredwitz) und im Namen sehr vieler anderer an Multipler Sklerose erkrankter Menschen an Sie wende. Wir MS-Betroffenen suchen und wünschen im Grunde nur eines: „Macht uns unsere MS so erträglich wie möglich“. Doch davon werden wir immer mehr entfernt. Die DMSG hat Verdienste aufzuweisen, das haben die letzten 40 Jahre gezeigt. Heute jedoch kann man als MS-Betroffener den Eindruck haben (und nicht nur ich habe diesen Eindruck), daß sie ihre Zuständigkeit mehr und mehr aus der Zugehörigkeit zur internationalen IMSG zieht. Die Haltung der DMSG zu Fragen der Wahl von Medikamenten und Therapien ist nicht mehr nur als restriktiv zu bezeichnen, sondern als verwerflich und unethisch. Frau M. Hohlmeier berichtet von einem „90 Millionen-Etat“, über den die DMSG verfügen könne, aber die geplanten Einnahmen aus einem BenefizKonzert für einen MS-ler wollte die Gesellschaft selbst einstreichen. Nein, Herr Bundesminister, diese DMSG mit ihrem Verwaltungsapparat, mit ihren Vorständen und Beiräten auf allen Ebenen, mit ihrer monopolistischen Selbstherrlichkeit vertritt längst nicht mehr ihre erkrankten Mitglieder, - sie verwaltet sie! Landesverbände kündigen ihre Loyalität auf, Ortsgruppen treten geschlossen aus und machen sich selbständig und Mitglieder verlassen „in hellen Scharen“ diesen Verein. Geschäftsführer bedienen sich aus der MSKasse und müssen strafrechtlich verfolgt werden. Offensichtlich mangelnde Verantwortungsbereitschaft, fehlendes Verständnis für die drängenden Sorgen und Nöte einer nicht geringen Anzahl chronisch Kranker und eine 428 erhebliche Portion Gleichgültigkeit in Verbindung mit Inkompetenz sind charakteristisch für den gegenwärtigen Zustand der DMSG. Die Gründung von unabhängigen Gruppen will die DSMG verhindern, sogar mit anwaltlicher Hilfe und Drohungen. Bestandssicherung ist die Devise, ein weiterer Grundsatz scheint das Einfrieren von medizinischen Erkenntnissen zu sein. Ärzte (auch der Schulmedizin zugehörend) fragen sich, warum neue Forschungsansätze von der DMSG nicht an die Patienten weitergegeben werden. Eigene Forschung? Da kommen Zweifel auf. Ein unangreifbarer ärztlicher Beirat besitzt das Forschungsmonopol in Deutschland. Ausländische Neurologen (zum Beispiel der Schweizer Prof. Dr. Ludwig Kappos) werden von der Überprüfung noch nicht zugelassener Medikamente ausgeschlossen. Auch deutsche Ärzte mit vernünftigen schulmedizinischen Ansätzen werden ausgegrenzt. Medikamente werden nur dann ernst genommen, wenn Pharmaunternehmen einflußreichen Ärzten ausreichend Geld zahlen (der Fall Serono in Würzburg). Insiderkreise bemängeln die Passivität der DMSG: „Viel Rotation, keine Bewegung!“ In den Vorständen sitzen Verwaltungsjuristen und Mediziner, die Patientenbeiräte sind schweigsames Dekor mit eingeschränkter Daseinsberechtigung. Sie stellen eine Verhöhnung der legitimen Interessen von kranken Mitgliedern dar. Eine einheitliche Stellungnahme zu neuen wissenschaftlichen Ergebnissen gibt es nicht. Auf verschiedenen Ebenen wird mit geteilter Zunge gesprochen. Erschreckend sind Bewertungen zu neuen Medikamenten: „Ja, wenn Sie es selbst bezahlen wollen, dann nehmen Sie es doch!“ Diese DMSG, sehr geehrter Herr Minister, dürfte seit geraumer Zeit keine repräsentative Interessenvertretung für MS-Betroffene mehr sein. Erschütternd an der heutigen Verfassung der DMSG ist nicht nur ihre totalitäre Selbstherrlichkeit, sondern besonders ihre Verweigerungshaltung. Ich werfe der DMSG im Namen vieler MS-Kranker vor, daß sie MS-Forschung behindert und ihre Position ausnutzt. Für das öffentliche Gesundheitswesen ist die DMSG somit nicht mehr uneingeschränkt tragbar. Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, bitte überprüfen Sie, ob und wie lange Sie noch aus Steuergeldern Zuschüsse an die DMSG weiterreichen wollen. Hochachtungsvoll MS-Selbsthilfe Klaus Josten, - Vorsitzender Lesen Sie hierzu auch das Leserpodium auf Seite 13! Aus den Universitäten und Labors Multiple Sklerose-Forschung aus aller Welt: Das Wichtigste zusammengefaßt Alternativmedizin hat keine Wirkung bei MS Wissenschaftler des Odense University Hospitals in Dänemark haben in einer fünf Jahre dauernden Untersuchung festgestellt, daß Behandlungen der MS mit schulmedizinisch nicht gebräuchlichen oder alternativen Methoden den Verlauf der Krankheit nicht beeinflussen können. Während des Untersuchungszeitraums wurden insgesamt 49 Patienten, die auf schulmedizinsche Betreuung verzichteten, regelmäßig untersucht und befragt. 429 Das Augenmerk der Forscher richtete sich auf die klinische Entwicklung (EDSS), Blasen- und Darmfunktionen und neuropsychologische Tests. Die Methoden der Alternativmedizin konnten den MS-Verlauf nicht günstig verändern, im Gegenteil, nur noch 27 Prozent der Studienteilnehmer schworen auf die Alternativmedizin. Bemerkenswert ist die Beurteilung der Forscher zum Patiententyp der Alternativ-medizin: MS-Kranke, die sich der Schulmedizin versagen, leiden wahrscheinlich unter psychosozialen Schwierigkeiten. 1000 mg Kortison bei chronischer Multiple Sklerose Italienische Forscher der Triester Universität (Cattinara Hospital) bewiesen kürzlich in einer plazebokontrollierten Studie die Wirksamkeit der KortisonStoßtherapie bei chronisch-progredienter MS. Die Patienten erhielten fünf Tage intravenös und anschließend vier Tage oral jeweils 1000 mg Kortison (Methylprednisolon). Nach 10, 30 und 90 Tagen wurde ihr klinischer Zustand (EDSS) gemessen. Das Ergebnis zeigte nachweisbare Verbesserungen bei den Patienten. Nennenswerte Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Drei Kategorien von MS-Symptomen Forscher vom Fairview MS Center, Minneapolis, USA beschäftigen sich mit der Abgrenzung von MS-Symptomen. In dem Fachblatt Clinical-Neuroscience veröffentlichten die Wissenschaftler Teile ihrer Arbeit. Danach sind die MSSymptome in drei Kategorien einzuteilen: Symptome die sich direkt aus der Demyelinisierung ableiten lassen, solche der Komplikationen, die infolge der Demyelinisierung entstehen, und schließlich die Symptome, die sich als psychologische Aspekte einer chronischen Erkrankung entwickeln. Ziel der Untersuchung ist, daß die moderne klinische Therapie diese Erkenntnisse einbezieht und auch anwendet. Kosten für Baclofen-Pumpen gegen Spastik gerechtfertigt Im fortgeschrittenen Stadium der MS kann eine verstärkte Spastik beim Patienten auftreten. Dagegen wird von den Ärzten der Wirkstoff Baclofen verordnet. In einigen Fällen wird auch eine Pumpe eingesetzt, die dem Körper regelmäßig die eingestellte Dosis gibt. Zwischenzeitliche Zweifel wegen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses konnten kürzlich durch eine abgeschlossene Studie an der University of Manitoba, Winnipeg in Kanada ausgeräumt werden. Die Ergebnisse zeigten deutlich, daß die Frequenz der Spastik, die mit der Ashworth Skala gemessen wird, deutlich geringer war als in einer Kontrollgruppe. Die Verringerung der Spastik hielt 24 bis 41 Monate an. Sauerstoff-Überdruck-Therapie bei MS In einer Zusammenfassung bewerten Wissenschaftler des Department of Clinical Epidemiology and Biostatistics in Amsterdam, Niederlande, die Nachweisbarkeit der Wirkung der Sauerstoff-Überdruck-Therapie (SÜT) bei Multipler Sklerose. Ausgewertet wurden insgesamt 14 kontrollierte Studien, wobei acht davon noch andauern. In den meisten Studien wurden die Patienten in 20 Sitzungen zu jeweils 90 Minuten mit Sauerstoffüberdruck behandelt. Die Nebenwirkungen waren 430 minimal, positive Effekte auf das klinische Befinden (EDSS) der Patienten konnten jedoch nicht nachgewiesen werden. MS-Medikament FK 506 unwirksam In einer Studie mit 19 Patienten untersuchten Wissenschaftler vom Medical Center der Universität Pittsburgh, USA, die Wirkung des Medikaments FK 506 auf bestimmten Zellen und den klinischen Status von MS-Patienten. Das Einjahresergebnis ist ernüchternd. Ein Einfluß auf das zelluläre Geschehen der Patienten konnte ebensowenig beobachtet werden wie eine Verbesserung der MS-Symptome. Ist MS eine Autoimmunkrankheit? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der Havard Medical School, Boston, USA, nach. Dabei wird die Fachwelt noch einmal daran erinnert, daß man nur von einer Annahme, nicht jedoch von einer bewiesenen Tatsache ausgeht, wenn man die MS unter die Autoimmunkrankheiten einordnet. Zwar spreche sehr viel für diese These, doch sollte man zunehmend auch Untersuchungen durchführen, die eine andere Deutungsmöglichkeit zuließen. Seiten 8 und 9: MS-Demyelinisierung innerhalb von 24 Stunden - neue Erkenntnisse aus der Diagnostik Auch wenn die Frage nach den Ursachen der Multiplen Sklerose bislang noch nicht geklärt werden konnte, gibt es neuere Erkenntnisse über den natürlichen Verlauf der Krankheit. Mit Hilfe der Kernspintomographie und der ProtonenMagnetresonanzspektroskopie (MRS) erlangten Wissenschaftler des Institute of Neurology/National Hospital Queen Square (London) weitere Einblicke in den MS-typischen Prozeß der Demyelinisierung. Bereits quantitative Kernspinverfahren konnten nachweisen, daß anormale Wasseransammlungen (Ödeme) die Ursache für spätere Verletzungen (Läsionen) des Myelins darstellen. Das durch eine Entzündung enstandene Ödem dehnt sich aus und erreicht nach etwa einem Monat sein größtes Ausmaß. Dann läßt die Steigerung nach, weil vermutlich die Entzündung abklingt. In den nachfolgenden Wochen verschwindet das Ödem und hinterläßt kleinere Läsionen. Mit Hilfe der Protonen-Magnetresonanzspektroskopie (MRS) ließ sich nun feststellen, daß die eigentliche Demyelinisierung bereits während der Entzündungsphase beginnt und „elektrophysiologische Untersuchungen deuten darauf hin, daß sie wahrscheinlich zu einem sehr frühen Zeitpunkt (in den ersten 24 Stunden) auftritt“, erläutert Prof. Dr. W. I. McDonald vom Londoner Institute of Neurology. Auf die entscheidende Frage - warum sich die MS mit ihren Krankheitsaktivitäten weiterentwickelt - können die neuen diagnostischen Verfahren keine Antwort geben. Mit neueren Untersuchungen wurde sogar festgestellt, daß neue Krankheitsaktivitäten 5 bis 10 mal häufiger sind als ein klinischer Rückfall, obwohl beim chronischen Verlauf der MS weniger neue Läsionen auftreten. McDonald vermutet, die Ursache dafür könne im Schrumpfen der Axonen - den Reizleitungen der Nervenzellen - liegen. 431 Mehr Reha-Kliniken in den Neuen Ländern Zu DDR-Zeiten wurden die Kur- und Erholungskliniken im Osten Deutschlands staatlich unterstützt. Jetzt werden sie ohne Fördermittel und Zuschüsse ausschließlich privat finanziert. Ein lukratives Geschäft sind Reha-Kliniken für Investoren trotzdem. In Mecklenburg-Vorpommern wird auf Wirtschaftlichkeit gesetzt und der RehaKlinikbau erlebt einen Boom. Auf eine solide Auslastung möchte man demgegenüber in Brandenburg hoffen. Sieben neue Kliniken wurden bzw. werden gebaut, von den Kostenträgern gibt es klare Belegungsabsichten. Überkapazitäten möchte man für die Reha-Kliniken in Brandenburg ausschließen. Für jede Klinik sollen deshalb Versorgungsverträge unter Zustimmung der Landesregierung abgeschlossen werden. In manchen Orten ist die Reha-Klinik mit 100 bis 120 geschaffenen Arbeitsplätzen der Hauptarbeitgeber. Jede Klinik verfügt über 200 bis 220 Betten. Die Auslastung der Kliniken wird über die Krankenkassen als Kostenträger gewährleistet. Das brandenburgische Gesundheitsministerium gibt die Auslastung der bisherigen Kliniken mit 90 bis 95 Prozent an. Computer-Recherche Einen neuen Online-Dienst für Ärzte und Wissenschaftler bieten Burda Medien aus München und die Firma Active Consult Multimedia gemeinsam an. Ende letzten Jahres wurde der Dienst auf der Fachmesse „Medica“ in Düsseldorf dem Fachpublikum vorgestellt. Der „Health Online Service“ getaufte Informationsdienst ermöglicht den kostenlosen Zugriff auf medizinische Datenbanken und auf ausgewählte Artikel in Fachzeitschriften. Ärzte können den Online-Dienst nutzen, um sich schnell über den aktuellen wissenschaftlichen Stand ihrer Fachgebiete zu informieren. Man erhofft sich damit aber auch eine Verbesserung der Patientenbetreuung, wenn die Ärzte auf dem neuesten Stand sind. Diagnose nach ICD 10 verschlüsselt Mit Beginn des Jahres 1996 müssen Ärzte ihre Diagnosedaten verschlüsselt weitergeben. An die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen gehen nun Zahlenschlüssel - und nicht mehr wie bisher von jedem lesbare Diagnosen im Klartext. Schon 1993 wurde das im Gesundheits-Strukturgesetz festgelegt. Es heißt, ICD 10 („International Classification of Diseases“ internationaler Katalog von Krankheiten, 10. Überarbeitung) solle mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in die medizinische Versorgung bringen. Datenschützer meinen, der Code sei unsicher und mit dem neuen Verfahren werde dem „gläsernen Patienten“ Vorschub geleistet. Da die aktuelle Fassung des ICD 10-Katalogs praktisch für jeden erhältlich ist, kann sich auch weiterhin jeder über die vom Arzt festgestellte Krankheit informieren, wenn er die Möglichkeit hat, entsprechende Patientendaten einzusehen. Im Krankenhaus hat sich ICD 10 schon seit Jahren bewährt. Man erwartet nun von der neuen Regelung auch aussagekräftige Statistiken. Apotheken-Aktion: „Top im Kopf“ 432 „Das Gedächtnis nimmt ab, wenn man es nicht übt!“, erkannte Cicero bereits vor über 2000 Jahren. Zum Testen und Trainieren des Gehirns rufen deshalb Deutschlands Apotheken im Januar auf. Der Startschuß der Aktion „Top im Kopf“, die unter Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer steht, fiel am 24.1.96 um 21 Uhr im ZDF-Gesundheitsmagazin Praxis. Alle Apotheken machen mit einem auffälligen Plakat auf die Vorsorgemaßnahme und Aktionswoche aufmerksam. Ab dem 25. Januar 1996 liegen Aktionsmaterialien zum Selbstkostenpreis von DM 1,50 bereit. Diese bestehen aus einem Taschenbuch, in dem auf etwa 40 Seiten allgemein verständliche, kompakte Informationen über das Gehirn, seine Funktionsweise und seine Erkrankungen gegeben werden. Dem Buch liegt ein Test bei, mit dem auf spielerische Art und Weise festgestellt werden kann, ob Gehirnschwächen vorliegen. Unter der Rubrik „Gibt es Medikamente, die helfen?“ wird auf Arzneien eingegangen, die zu einer besseren Durchblutung des Gehirns führen oder den Gehirnstoffwechsel beeinflussen können. Leider werden gerade auf diesem Gebiet durch un-seriöse Versprechungen oftmals falsche Hoffnungen geweckt. Deshalb ist es besonders wichtig, Rat vom Apotheker einzuholen. „Wer rastet, der rostet!“, dieser Spruch gilt nicht nur für Gelenke und Muskeln, sondern auch für das Gehirn. Wenn es nicht ständig beansprucht wird, verkümmert es wie ein unbelasteter Muskel. Daß es allerdings Fälle gibt, in denen ältere Menschen an Hirnleistungsstörungen leiden, ist unbestritten. Aber dagegen kann man etwas tun. Mit einer Steigerung der Gedächtnisleistung und des Lernvermögens ist bei einer medikamentösen Langzeittherapie im Rahmen eines „therapeutischen Gesamtkonzepts“ zu rechnen. Derzeit als sinnvoll erachtete Behandlungen mit Arzneien wie den verschreibungspflichtigen „Nootropika“ und Calciumantagonisten oder im Bereich der Selbstmedikation mit Ginkgo-Biloba-Extrakten werden von hirntrainierenden Maßnahmen begleitet. Dies ist die dritte Aktion, die die Apotheker gemeinsam mit dem ZDF-Gesundheitsmagazin Praxis, der AOK und der Bayer AG starten. 1994 und 1995 wurden bereits die sehr erfolgreichen Aktionen „Testen nach dem Essen“ und „Nieren OK? Einfach selber testen“ durchgeführt, an denen sich jeweils 19.000 Apotheken und rund 7 Mio. Kunden beteiligten. Keine Angst vor Sex Die meisten Männer haben nach einem überstandenen Herzinfarkt oder nach einer Herzoperation große Angst vor Sex. Der amerikanische Arzt Dr. James Muller beruhigt mit neuen Forschungsergebnissen. Auf einem Ärztekongreß sagte er, daß körperliche Liebe keine stärkere Belastung für das Herz darstelle als das morgendliche Aufstehen aus dem Bett oder ein zügiger Spaziergang durch den Park. Rückgang der Krebsvorsorgeuntersuchungen In den letzten Jahren ist die Zahl der Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung bei Frauen um 7 Prozent zurückgegangen. Ein Grund für den Rückgang ist wahrscheinlich die Furcht vor einem positiven Befund. In der Bundesrepublik Deutschland erkrankt beinahe jede zehnte Frau an 433 Brustkrebs. Die Vorsorgeuntersuchung ist immer noch die einzige Möglichkeit, um Krebs frühzeitig zu bekämpfen. Zusätzlich wird Frauen dringend empfohlen, ihre Brust häufiger nach Knoten abzutasten. Auch im Alter verringert eine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung die Gefahr, an Brustkrebs zu sterben. Eine schwedische Studie mit Rentnerinnen belegt, daß das Risiko durch periodische Mammographie-Untersuchungen (Mammographie ist eine spezielle Röntgen-Methode) um 30 Prozent verringert werden kann. Kurz und bündig… l. Botulismuserreger gefährdet Haustiere. Um Nervenlähmungen zu vermeiden: Hunde nicht aus stehenden Gewässern trinken lassen. 2. Bei der Placebotherapie bewegt sich der Arzt zwischen seriöser Medizin und Scharlatanerie. Bypass-operationen bei Angina pectoris verwischen diese Grenze, sagt ein Verbandsblatt Berliner Ärzte. 3. Es muß nicht immer Chemie sein: Thymian stillt Husten und wirkt gegen die Verschleimung der oberen Luftwege. 4. Die meisten Menschen können 4000 Gerüche unterscheiden. Bis zu 10.000 unterscheidet die Nase eines geübten Weinkenners. 5. Bioprodukte sind oft schmackhafter, aber nicht immer besser, urteilen deutsche Verbraucher. Seiten 10 und 11: Dauerbrenner Kortison - eine Bilanz Teil III Wie im vorangegangenen Teil erläutert, wird Kortison bei allergischen Erkrankungen angewendet, insbesondere beim allergischen Schock. In hoher Dosis wird es auch bei sogenannten immunproliferanen Krankheiten eingesetzt. Hierbei handelt es sich um Tumoren des lymphatischen Systems, die lymphatische Leukämie, das Multiple Myelom u.a. Weniger reife Lymphozyten reagieren sensibler auf Kortison. Einsatz bei Autoimmunkrankheiten Kortison wird jedoch auch bei autoimmunologischen Erkrankungen angewendet, z.B. bei der autoimmunologischen hämolytischen Anämie und der immunologisch bedingten thrombozytopenischen Purpura. Letztere kann sich bei anderen immunproliferativen Erkrankungen, bei Kollagenosen oder auch unter einer Therapie z.B. mit Chinin entwickeln. Eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen ist die rheumatoide Arthritis. Wegen der Nebenwirkungen einer längerdauernden Behandlung erfolgt die Kortisongabe jedoch nur in Sonderfällen, so bei Patienten mit extremen Gelenk- oder Gewebserkrankungen. Die Kortisonbehandlung eines Lupus erythematodes ist umstritten. Klarer kann die Kortisontherapie in der Regel bei der Polymyositis, der Peri arteriitis nodosa und anderen zu den Kollagenosen, bzw. Immunvaskulitiden zu rechnenden Erkrankungen befürwortet werden. Kortisongabe bei Multipler Sklerose Bereits in einem früheren Artikel (Autoimmun 2/93) wurde auf die hochdosierte Kortison-behandlung bei MS eingegangen. Die hochdosierte Therapie (fünf bis sieben Tage 500 bis 1000 mg Kortison) hat sich inzwischen international weitgehend durchgesetzt. Mögliche Nebenwirkungen wie 434 Überempfindlichkeitsreaktionen oder schwere Herzrhytmusstörungen sind zu beachten. Die anaphylaktischen Reaktionen, die bei Infusionsbeginn oder später auftreten können, sind weder voraussehbar, noch durch Allergietests vorher zu erfassen. Im Einzelfall sprechen gegen eine hochdosierte Therapie neben den für Kortisontherapien üblichen Kontraindikationen auch bestehende Herz-erkrankungen, insbesondere Herzrhytmusstörungen, schwere Nierenerkrankungen sowie Epilepsien. Die Nebenwirkungen auf das Herz hängen z.T. von der Infusionsgeschwindigkeit ab. Die Infusion sollte daher nicht länger als eine Stunde dauern. Gegenüber der langdauernden Gabe von Kortison sind die Nebenwirkungen der kurzzeitigen Behandlung jedoch wesentlich geringer. Es treten dennoch häufig nervöse Unruhe, Schlafstörungen, Akkomodationsstörungen und Gesichtsrötung auf. Bei Patienten mit latentem oder manifestem Diabetus mellitus besteht zusätzlich die Gefahr einer Blutzuckerentgleisung. Hochdosierte Gluccocorticoide erhöhen die cerebrale Anfallsbereitschaft. Seltener hat die kurzfristige, hochdosierte Kortisonbehandlung psychische Störungen im Sinne einer Psychose zur Folge. Ebenfalls selten wurde eine Zerstörung von Knochengewebe des Oberschenkelhalsknochens (Femurkopfnekrose) beobachtet. In Abhängigkeit vom individuellen „Ansprechen“ auf die Kortisongabe wird zur Beendigung der Behandlung eine langsame Dosisreduktion („Ausschleichen“) praktiziert. Hochdosierte Behandlung bei Sehnerventzündungen Eine vergleichende Studie bei MS-Patienten mit einer Sehnerventzündung, die entweder hochdosiert mit Kortison oder niedriger dosiert mit Kortisontabletten behandelt wurden, ergab einen geringen Vorteil der hochdosiert behandelten Gruppe. Überraschend war dabei die Beobachtung, daß 27 Prozent der Patienten aus der niedrig dosiert therapierten Gruppe innerhalb von sechs bis 24 Monaten erneut eine Sehnerventzündung am selben oder am anderen Auge erlitten, während dies nur bei 13 Prozent der intravenös hochdosiert behandelten Patienten eintrat. Die Ursache dieser unterschiedlichen Wirkung ist heute noch unklar. Konsequenterweise wird jedoch empfohlen, auch Patienten mit einer Sehnerventzündung primär hochdosiert intravenös zu behandeln. Eine weitere mögliche Konsequenz dieser Studie besteht in der wiederholten Behandlung bzw. Intervallbehandlung und der Kombination mit anderen immunmodulierenden Therapien. Untersuchungen hierzu wurden bereits begonnen. Aufgrund des sehr unterschiedlichen Verlaufs der Multiplen Sklerose liegen jedoch noch keine sicheren Ergebnisse vor. Zusammenfassung Mit diesem dreiteiligen Überblick sollte deutlich gemacht werden, daß Kortison bei der Behandlung vieler Autoimmunerkrankungen einen besonderen Stellenwert innehatte und auch jetzt noch hat. Seine immunpharmakologische Wirkung besteht an erster Stelle in der Beeinflussung von Entzündungsreaktionen auf verschiedenen Ebenen. Eine große Zahl von zellulären und geweblichen Regulationsvorgängen, die für die Funktion des Immunsystems von Bedeutung sind, wird dabei beeinflußt. Bei der Langzeitbehandlung treten offensichtlich mehr Nebenwirkungen auf als bei der kurzzeitigen Kortisongabe. Die hochdosierte intravenöse 435 Kurztherapie birgt jedoch schwerwiegende Risiken (Herzrhythmusstörungen, Epilepsien, schwere Nierenerkrankungen), die zu beachten sind. Zur Behandlung von MS-Schüben hat sich die hochdosierte kurzzeitige intravenöse Kortisonbehandlung weitgehend durchgesetzt. Offen ist heute noch die Frage, inwieweit diese Behandlung auch bei chronisch-progredienter MS hilfreich sein kann, ob eine Intervallbehandlung oder eine Kombination mit immunsuppressiven Medikamenten sinnvoll ist. Dr. med. Hans Wilimzig Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Osnabrück Seite 12: Tips & Urteile Beschränkte Kostenübernahme für den Amalgamaustausch Ein höherer Zuschuß als 60 Prozent der notwendigen Kosten kann auch bei einem wegen Amalgamallergie erforderlichen Austausch von Zahnfüllungen nicht gewährt werden. Gemäß § 30 Sozialgesetzbuch V richtet sich die Höhe des Zuschusses zu den Kosten für Zahnersatz nach dem Gegenstand der Behandlung und nicht nach der Ursache. Dies gilt auch, wenn die jetzige Versorgung mit Zahnersatz durch Nachwirkungen einer früheren Behandlung (mit Amalgam) verursacht wurde. Die vom Gesetzgeber bei Zahnersatzleistungen unabhängig von der Ursache vorgenommene Aufteilung des Versicherungsrisikos zwischen Krankenkasse und Versichertem ist auch verfassungskonform. (BSG, Urteil vom 8. 3. 95, 1 RK 7/94) Dolmetscher für Schwerhörige Schwerhörige haben bei Arztbesuchen keinen Anspruch auf Kostenerstattung für einen Gebärdendolmetscher. Dies gilt nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts selbst dann, wenn eine Verständigung zwischen dem Schwerhörigen und den Ärzten nicht möglich ist. Generell sieht das Gesetz Sachleistungen oder Kostenerstattungen vor, die nur im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung stehen, aber nicht Teil der ärztlichen Behandlung sind. Welche derartigen Nebenleistungen erstattungsfähig sind, hat der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt. Die Aufwendungen für einen Gebärdendolmetscher zählen nicht dazu. (BSG, Urteil vom 10. 5. 95, 1 RK 20/94) Zusatzurlaub für Schwerbehinderte Das Bundesarbeitsgericht stellte hierzu in einer Entscheidung fest: 1. Der Schwerbehinderte, der die Wartezeit nach § 4 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaub erfüllt hat, erwirbt den vollen Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz auch dann, wenn er erst im Laufe des Jahres als Schwerbehinderter anerkannt wird. 2. Der Anspruch auf Zusatzurlaub erlischt, wenn ihn der Schwerbehinderte nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres oder - bei Vorliegen der tarifvertraglichen Übertragungsvoraussetzungen -nicht bis zum Ende des Übertragungszeitraums geltend gemacht hat. 436 3. Die Ungewißheit über die Schwerbehinderung ist kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund für eine Übertragung des Zusatzurlaubs auf den tarifvertraglichen oder gesetzlichen Übertragungszeitraum. (BAG, Urteil v. 21. 2. 95, AZR 675/93) TIP: Wahlmöglichkeit in der Krankenversicherung Ab 1. 1. 1996 wurden die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten in den Krankenkassenwahlrechten beseitigt. Versicherungspflichtige sowie freiwillig Versicherte können seit diesem Zeitpunkt zwischen den Ortkrankenkassen des Wohn- oder Beschäftigungsortes und einer jeden Ersatzkasse frei wählen. Wichtig ist, daß die gewählte Krankenkasse an den Beitritt keinerlei Bedingungen knüpfen darf. Sie ist zur Aufnahme verpflichtet! Das Wahlrecht ist innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der Versicherungspflicht auszuüben. Versicherte sind an die getroffene Kassenwahl grundsätzlich mindestens 12 Monate gebunden. Will ein Versicherter seine Krankenkasse wechseln, muß er die bestehende Mitgliedschaft mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres kündigen. Da die Kündigungsmöglichkeit ab dem 1. 1. 1996 in Kraft tritt, ist ein Kassenwechsel nach den neuen Wahlrechtsvorschriften frühstens ab 1. 1. 1997 möglich. Nähere Auskünfte erteilen die Krankenkassen. Seite 13: Leserpodium In der letzten Ausgabe gaben wir die Eindrücke der Hamburger Band „The Tyks“ wieder, die für ihren an MS erkrankten Bassisten auf dem Wege eines Benefiz-Konzerts das erforderliche Geld für eine Therapie einspielen wollte. Das zweifelhafte Verhalten der örtlichen DMSG löste bei vielen Lesern, der MS-Gesellschaft und ihren Gegnern gleichermaßen Entrüstung aus. In einer kleinen Auswahl veröffentlichen wir Stimmen zum Thema. Eigenständige Vereinsgründung Wir sind ein Verein zur Betreuung von MS-Betroffenen. Seit vier Jahren gehört der Multiple Sklerose e.V. nicht mehr der DMSG an. Ehrenamtliche Mitarbeiter von uns verließen damals die DMSG. Grund waren ähnliche Dinge, über die jetzt auch Autoimmun aus anderen Landesverbänden berichtet hat. Aber nach 25 Jahren MS-Arbeit in Flensburg konnten wir unmöglich alle unsere Freunde alleine lassen. Deshalb gründeten wir unseren Verein und nahmen in Kauf, uns in Kiel schlimme Feinde zu schaffen. Der Start war schwierig, denn wir wurden unter Androhung gerichtlicher Verfolgung von allen Informationen über MS abgeschnitten. Heute hat unser Verein 150 Mitglieder, davon 64 MS-Betroffene. Wir möchten noch lange einen gemeinsamen Weg mit denen gehen, die den Menschen im MS-Erkrankten sehen - und ihn nicht nur als Nummer verwalten. Vorstand und Betreuerinnen des Multiple Sklerose e. V., Flensburg Verwunderung Mit großer Verwunderung habe ich das Editorial gelesen. Ich kenne einige Mitglieder der DMSG in Hamburg persönlich. Ich habe noch nie gehört, daß 437 es in bezug auf die erkrankten Mitglieder zu derartigen Äußerungen gekommen ist. Das ist so unglaublich, daß es nicht wahr sein kann! Marita B., Hamburg Gegendarstellung In der Zeitschrift Autoimmun 6/95 wird behauptet, ich hätte geäußert, daß der DMSG Landesverband Hamburg e.V. zur Unterstützung des Konzerts der Gruppe „The Tyks“ nur bereit sei, wenn die Einnahmen des Konzerts in die Vereinskasse der DMSG-Hamburg e.V. abgeführt würden. Diese Behauptung ist unwahr. Ich habe keineswegs die Unterstützung des Konzerts von Zahlungen an die Vereinskasse abhängig gemacht, sondern darauf verwiesen, daß die DMSG-Hamburg nur ein Benefiz-Konzert unterstützen könne, das der Gesamtheit der MS-Betroffenen zugute komme, nicht aber ein Konzert, das dem Zweck diene, die Behandlung eines einzelnen MSBetroffenen zu gewährleisten. Sabine Jungk, Hamburg Keine Spenden mehr Seit Jahren habe ich der DMSG regelmäßig einen größeren Betrag gespendet. Über einige Unstimmigkeiten und die fehlende klare Linie bei der Patientenvertretung habe ich bisher hinwegesehen. Doch mit ihrem Artikel haben Sie mir die Augen geöffnet. Ich werde mein Geld jetzt woanders hingeben. Möchte anonym bleiben, Name liegt der Red. vor Hetzblatt Für dieses Hetzblatt zahle ich kein Geld mehr. Edgar B., Amsel-Kontaktgruppe Freiburg Ausländer Als MS-kranker Ausländer hat man mich bei der DMSG nicht gut beraten. Ich solle doch in die Türkei zurückgehen, dort „gibt es wohl auch Doktors“. Man müsse sich zuerst um die deutschen MS-Fälle kümmern. Gegen die MS kann nichts getan werden. Weiß denn niemand bei der DMSG, was MS eigentlich bedeutet? Mehmet G., Dortmund Warum keine Hilfestellung? Warum unterstützt die DMSG nicht junge Hamburger Musiker im Bestreben, etwas für MS-Kranke zu tun? Weshalb sammelte die DMSG jahrzehntelang Erfahrungen - mit unser aller Unterstützung, - wenn sie nichts davon abgeben will? Habe ich da immer etwas falsch verstanden? Ist denn eine todbringende Krankheit nicht immer auch das Schicksal eines einzelnen Menschen? Und geht es nicht darum, niemanden mit seinem Leid alleine zu lassen? Ist es nicht vielmehr ein Gebot der Nächstenliebe, jedem einzelnen zu helfen? Aber auch das geschieht dieser Tage in unserem Land: Wenn ein kleiner Junge 438 dringend eine lebensrettende Knochenmarkspende braucht, dann krempeln Menschen und Organisationen die Ärmel hoch, packen zu, wenn die Not am größten ist, statt sich in den Polstersesseln ihrer Büros zu flezen - und dafür auch noch ein Extratrinkgeld zu verlangen. Gabi M., Köln Seite 14: Lexikon Stichwort: Das Guillain-Barré-Syndrom bzw. die chronische Polyneuritis Krankheit mit „MS-Symptomen“ Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) tritt weltweit unter etwa zwei von 100.000 Einwohnern auf, bezogen auf Deutschland sind das jährlich rund 1.600 Erkrankungen. Das GBS kann in jedem Alter eintreten, eine Häufung zeigt sich zwischen dem 50. und dem 75. Lebensjahr. Es handelt sich um eine fortschreitende Entzündung peripherer Nerven und Nervenwurzeln. Man unterscheidet eine akute, subakute und chronische Verlaufsform. Beim chronischen GBS gibt es außerdem eine chronisch-rezidivierende Variante. Die Bezeichnungen „Polyradikulitis“ oder „Polyneuritis“ weisen darauf hin, daß viele Nervenwurzeln oder periphere Nerven betroffen sind. Symptomatik und Krankheitsverlauf Die ersten Anzeichen können Kribbeln oder Gefühlsverlust in Zehen und Fingern sein. Meist ensteht zunächst ein Schweregefühl in den Beinen, das in unterschiedlich starke Lähmungen mündet. Die Arme sind meist weniger betroffen. Diffuse Schmerzen treten im Rücken, am Hals und in den Gliedern auf. Oft kann der Beginn dieser neurologischen Erkrankung nur schwer vom Abklingen grippeähnlicher Krankheiten unterschieden werden. Eines der wichtigsten diagnostischen Kriterien ist, daß bereits im Anfangsstadium des GBS die Muskelreflexe verlorengehen oder abgeschwächt werden. Auch die Hirnnerven, die Atem-, Blasen- und Zugenschlundmuskulatur können beeinträchtigt werden, so daß die Patienten zeitweise Hilfsmittel benötigen. Herzrhythmusstörungen mit Pulsveränderungen können die vorübergehende Verwendung eines Herzschrittmachers erfordern. Ebenso treten Schäden am vegetativen Nervensystem und Blutdruckschwankungen, oft ein ausgeprägter Blutdruckanstieg, auf. Krankheitsverlauf und Dauer variieren erheblich. Bei etwa 4/5 der Patienten kommt es innerhalb von drei Wochen noch zu einer Verschlechterung, in der vierten Woche wird ein Stillstand und der Übergang zur allmählichen Besserung erreicht. Bei wenigen Patienten kann aber eine Lähmung aller Extremitäten über Wochen und Monate anhalten. Auch der Schweregrad der Erkrankung variiert erheblich. Ein kleiner Teil der Patienten leidet nur an einem Taubheitsgefühl der Extremitäten sowie an allgemeiner Schwäche und kann weiter seinen täglichen Verrichtungen nachgehen. Fast die Hälfte der Patienten ist jedoch vorübergehend gelähmt, fast 1/3 benötigt eine künstliche Beatmung. Die Diagnose des GBS wird anhand der klinischen Symptomatik, der Krankheitsentwicklung, elektrophysiologischer Untersuchungen und der Liquoruntersuchung des Nervenwassers gestellt. Verwechslungen mit ähnlichen Krankheiten müssen vermieden werden. 439 Vorstellungen zur Krankheitsursache Das Auftreten eines GBS steht im Zusammenhang mit vorangegangenen Infektionen der Atemwege und des Magen-Darm-Trakts. Meist lagen ein bis zwei Wochen vor Beginn der neurologischen Erkrankung Infektionen mit Viren, Mykoplasmen oder Bakterien vor. Es wird vermutet, daß beim GBS eine der Infekt-ion nachfolgende Immunreaktion auftritt, bei der das Immunsystem Strukturbestandteile des peripheren Nervensystems zerstört. Die Immunreaktion gegen den Infektionsauslöser könnte im Rahmen einer Kreuzreaktion gegen Markscheidenantigene gerichtet sein. Den vorangegangenen Infektionen wird eine unspezifische Auslöserfunktion bei der Entstehung des GBS zugeschrieben. Man ist heute der Ansicht, daß primär antikörper-vermittelte Autoimmunreaktionen als Entstehungsmechanismen in Frage kommen. Bislang ist unklar, weshalb vorwiegend motorische Nervenfasern geschädigt werden, benachbarte sensible Fasern jedoch verschont bleiben. Möglicherweise ist die Ursache in immunologischen Unterschieden der Myelinscheiden zu sensiblen und motorischen Nervenfasern zu suchen. Behandlungsmethoden Noch gibt es keine kausale Therapie, sondern nur eine symptomatische Behandlung mit immunsuppressiv wirkenden Medikamenten, intravenöser Gabe von Immunoglobulinen, Entfernung von Antikörpern durch Plasmapherese oder selektive Absorption. Die Physiotherapie stellt einen Schwerpunkt der Behandlung dar. Beim akuten GBS zeigte sich, daß Kortisongaben nicht sinnvoll sind, als wirksam erwies sich eine Behandlung mit Plasmaaustausch (Plasmapherese), dem jedoch jüngsten Untersuchungen zufolge die Behandlung mit Immunoglobulinen überlegen ist. Bei bestimmten chronischen Verlaufsformen wird durch immunsuppressive Behandlung mit Kortison oder Azathioprin (Imurek) der Krankheitsverlauf vieler Patienten positiv beeinflußt. In Ausnahmefällen kommt auch eine Behandlung mit Ciclosporin oder Zytostatika in Frage. Dr. med. Hans Wilimzig Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Februar/März ‘96 Fr, 9. Februar, 13.35 Uhr, BR: Lebenslinien Weiblich, jung, HIV-positiv Fr, 9. Februar, 15.30 Uhr, 3sat: Visite - Gesundheit im Alltag Themen u. a.: Gebärmuttermyome und das tockene Auge Sa, 10. Februar, 9.30 Uhr, WDR: Extrem: Kerngesund, aber krank? Es gibt Menschen, die kerngesund sind, oftmals aber gegen so manche Regel vernünftiger Lebensweise verstoßen. Dies hat Forscher fragen lassen, was uns gesund erhält oder krank macht. So, 11. Februar, 14.30 Uhr, WDR: Brustkrebs - über Angst, Wut und Mut 440 Mi, 14. Februar, 11.45 Uhr, 3sat: ML Mona Lisa Das perfekte Kind - Gentests an Kunstembryonen auf dem Prüfstand Mi, 14. Februar, 18.30 Uhr, WDR: Tele-Praxis Wie gefährlich ist Röntgen? Mi, 14. Februar, 20.15 Uhr, BR Krebs und Gene - Das Geschäft mit den Tests Liegen bestimmete Gene im Erbgut des Menschen vor, ist die Gefahr einer Krebserkrankung relativ hoch. Diese Erkenntnis eröffnet aber auch die Möglichkeit einer Gentherapie. In den USA werden dafür klinische Versuche bei Lungenkrebs vorbereitet. Der Film berichtet über Patienten und Forscher in Deutschland und den USA. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie Gene, die eigentlich vor Krebs schützen, plötzlich mutieren, oder wie sie durch Umwelteinflüsse oder Viren umprogrammiert werden und einen Tumor erzeugen können. Fr, 16. Februar, 13.00 Uhr, 3sat: Es muß gehen Fernsehfilm über ein angeblich hoffnungslos verkrüppeltes Mädchen, das unbedingt Tanzen lernen möchte. Mit großer Geduld und unter Schmerzen schafft sie es, die Krücken abzulegen und vorsichtig frei zu laufen. Mo, 19. Februar, 12.00 Uhr, 3sat: Globus - Forschung und Technik Vorgesehenes Thema: Laserschuß contra Verkalkung Mi, 21. Februar, 20.15 Uhr, BR Krebs und Immunsystem - Neue Hoffnung bei Metastasen Bei Metastasen gibt es die sehr seltenen Fälle, daß sie sich„spontan” völlig zurückbilden. Man vermutet, daß das Immunsystem dabei eine entscheidende Rolle spielt, daß es tatsächlich Krebszellen erkennen und vernichten kann. Der Film berichtet u. a. über immuntherapeutische Studien und Ansätze. Do, 22. Februar, 13.45, WDR: Tele-Praxis Alltagshilfen für Behinderte Mo, 26.Februar, 6.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde Neue Hoffnung bei Multipler Sklerose? Mo, 26. Februar, 21.45 Uhr, WDR: Medizin-Magazin live Krebs: Körper und Seele im Kampf gegen den Tumor Experten geben während und nach der Sendung Ratschläge am Studiotelefon. Di, 27. Februar, 16.03 Uhr, ARD: Fliege - Talkshow zu aktuellen Themen Die unsichtbaren Angreifer - Pilzkrankheiten Mi, 28. Februar, 20.15 Uhr, BR Krebs und Umwelt Mi, 13. März, 21.00 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis Der Reiz des Frühlings: Allergien, kommt Zeit - kommt Arzt? 441 Mi, 27. März, 20.15 Uhr, BR Operation im Mutterleib Schnellübersicht für regelmäßige Sendungen aus Medizin und Wissenschaft Gesundheitsmagazin Praxis ZDF, mittwochs, 21.00 Uhr Sendetermine: 14.2., 13.3. Abenteuer Forschung ZDF, mittwochs, 21.00 Uhr Sendetermine: 7.2., 27.3. N3-Ratgeber Medizin N3, dienstags, 21.00 Uhr Sendetermin: 6.2. Visite - Gesundheit im Alltag N3, dienstags, 21.00 Uhr Sendetermine: 13.2., 5.3., 26.3. Servicezeit Gesundheit N3, montags, 16.00 Uhr Sendetermine: 5.2., 12.2., 19.2., 26.2., 4.3., 11.3., 18.3., 25.3. Die Sprechstunde BR, dienstags, 20.15 Uhr Sendetermine: 13.2., 20.2., 27.2., 6.3., 12.3., 19.3., 26.3. Die Sprechstunde N3, montags 6.00 Uhr Sendetermine: 19.2., 26.2., 4.3., 11.3., 18.3., 25.3. Bremer Gesundheitswerkstatt N3, sonntags, 9.45 Uhr, jeden Sonntag zur gleichen Zeit Wissenschaftssendung mit wechselnden Titeln BR, mittwochs, 20.15 Uhr, Sendetermine: 7.2., 14.2., 21.2., 28.2., 13.3., 27.3. 8.14 „Autoimmun“ Nr. 2 von April/Mai 1996 Seite 3: Leere in der Forschung - oder die schlechte Sprache der MS-Kranken „Kaum Forschung, nur noch Leere: der Niedergang der deutschen Universitäten“ beklagte der Hochschuldozent Josef Joffe unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“. Nein, von „Leere“ in der Forschung kann nicht die Rede sein. Wissenschaftler deutscher Universitäten arbeiten an ihren Projekten eifrig, ordentlich und, das ist vorauszusetzen, exakt, also ergebnisorientiert, um neudeutsches Politiker-vokabular zu bemühen. Ist es also falsch, von „Leere” zu sprechen, sofern überhaupt geforscht wird? Der Autor meint eine inhaltliche „Leere“: Es geht also auch um die Qualität der Forschung. In den Geisteswissenschaften, aber auch in der Medizin, wird diese meistens durch zwei Faktoren bestimmt: durch private Aufträge aus der 442 Industrie und Wirtschaft sowie durch eigene Projekte der aus Steuergeldern finanzierten Universitäten. Denken wir über das Beispiel Multiple Sklerose-Forschung nach und reden Tacheles. MS-Forschung an deutschen Universitäten besteht in Wirklichkeit darin, möglichst viele markt- und profitorientierten Studien für die Pharmaindustrie gegen Entgelt so durchzuführen, daß am Ende alle etwas davon in der Tasche haben. Eigene universitäre Therapieansätze werden in Deutschland sehr selten entwickelt, es wird das getestet, was die Pharmaunter- nehmen wünschen. Und wenn Universitätsinstitute selbst tätig werden, kommt oft nichts Hilfreiches dabei heraus. So das Beispiel der Universität Ulm, wo sich Forscher um die Intelligenz von MS-Kranken sorgten. Mit einem Wortschatztest wollte man das Tempo des Spracherwerbs bei MS-Patienten untersuchen und fand schließlich einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Auftreten erster Krankheitssymptome und der Verschlechterung des Erinnerungsvermögens. Von solchen Studien hat kein MS-Kranker etwas, ja, sie sind geeignet, die Kranken gesellschaftlich weiter zu isolieren. Das Leben der kranken Menschen wird dadurch keinesfalls erleichtert. Solchen Forschungen dienen auch nicht der Entwicklung von MSTherapien. Unsinnige Spielerei, die die Frage aufwirft: Hat die „Leere“ an den Universitäten etwa etwas mit der Intelligenz zu tun? Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… …meldet das Fachblatt „arznei-telegramm“, daß jetzt die Ergebnisse nach vier bis fünf Jahren der Beta-Interferon-Studie (Betaferon) bei schubförmiger MS vorliegen. „Von den verbliebenen 166 Teilnehmern haben nur 5 das fünfte Studienjahr tatsächlich erreicht“, heißt es. Auch konnte die Verminderung der Schubrate um rund 25 Prozent nach fünf Jahren statistisch nicht mehr belegt werden. Leider bleiben auch die Dauer der Schübe, die Symptome zwischen den Schüben und das Fortschreiten der MS unbeeinflußt. Damit stellt sich die Frage, ob bei geringer Wirkung und starken Nebenwirkungen dieser teure Therapieversuch sinnvoll ist, so Wissenschaftler der University of Liverpool, England. „Es ist doch bedauerlich, daß die Menschen so viele gute Sachen verwerfen, nur weil sie ungesund sind.“ Mark Twain Seiten 4 und 5: Spastik - kein hoffnungsloser Fall: Früherkennung ist wichtig Wenn nichts mehr „geht“, ist die Medizin noch nicht am Ende. Obwohl die genauen Ursachen noch ungeklärt sind, läßt sich mit Arzneien und Krankengymnastik eine spürbare Linderung erreichen Viele Menschen, die unter Multipler Sklerose leiden, kennen die Spastizität. Bei MS sind Rückenmark, Gehirn und andere Teile des Nervensystems geschädigt. Durch den Befall des Rückenmarks werden die Muskeln gestört. 443 Sie sind ständig angespannt. Spastizität bedeutet Steifigkeit des Bewegungsapparats durch Muskelverkrampfungen. Bewegungen sind nur noch unter großen Anstrengungen möglich - wegen einer erhöhten Grundspannung der Muskulatur bei raschen Bewegungen und dazu „einschießenden“ Muskelkrämpfen. Bei stark ausgeprägter Steifigkeit können rhythmische Zitterbewegungen auftauchen. Häufig dann, wenn mit dem Fuß aufgetreten wird. Die Zitterbewegungen hören nach einiger Zeit von alleine auf, in schwereren Fällen hilft manchmal erst eine Stellungsänderung des Fußes. Mitunter ist die Fortbewegung auch vollkommen verhindert. Der Mensch kann laufen, weil sich die Muskeln zusammenziehen, wenn sie von den Nerven einen Reiz bekommen. Diese Muskelkontraktion verändert den Winkel des Gelenks, über das der jeweilige Muskel gespannt ist: Eine Bewegung findet statt. Alle Muskeln haben Gegenspieler in solchen, die die Gegenbewegung ausführen können. Normalerweise wird beim Zusammenziehen eines Muskels sein Gegenspieler völlig entspannt. Die gegeneinander wirkenden Muskeln erzeugen einen spürbar federnden Widerstand, wenn man mitten in einer Bewegung verharrt. Steuersysteme im Rückenmark, Hirnstamm und in der Großhirnrinde regeln Muskeltätigkeiten über die Vorspannung der Muskeln. Diese wird gemessen und ins Rückenmark gemeldet: Die steuernden Teile des Nervensystems wissen so, in welchem Zustand sich ein Muskel und in welcher Stellung sich das entsprechende Gelenk befindet. Großhirn, Hirnstamm und Rückenmark geben dann Steuerbefehle, wie stark und wie weit sich ein Muskel kontrahieren soll, um die gewünschten Bewegungen zu erreichen. Ursachen nur teilweise bekannt Auf kleinster Ebene, der der Muskelzellen und der angeschlossenen Nerven, sind die ursächlichen Zusammenhänge der Spastizität bisher nur teilweise bekannt. Wichtig für einen geschmeidigen und genauen Bewegungsvorgang scheint ein ausgewogenes Verhältnis der chemischen Überträgerstoffe zu sein, die zwischen den einzelnen Nervenzellen ausgetauscht werden. Wenn alle Teile des Regulationsmechanismus fein abgestuft ineinandergreifen, dann merken wir nichts davon, wir bemerken nur, daß die von uns gewünschten Bewegungen leicht und genau ablaufen. Bei Spastizität ist der Regulationsmechanismus aus dem Gleichgewicht geraten. Wenn Muskeln mit gegensätzlicher Funktion an einem Gelenk nicht mehr zusammenwirken und sich gegenseitig ablösen, wenn also gleichzeitig ein Muskel und sein Gegenspieler aktiviert werden - dann verschlechtert sich die Bewegungs-funktion. Besonders an Arm- und Beinmuskeln läßt sich Spastizität als übermäßige Muskelanspannung beobachten. Sind Muskelgruppen betroffen, die über das Rückenmark gesteuert werden, dann wird die Gehfähigkeit behindert. Adduktorenspasmus ist beispielsweise eine vermehrte Muskelanspannung in den Oberschenkeln, die viele Tätigkeiten auf schmerzhafte Weise unmöglich macht. Früherkennung ist wichtig Bei ein und demselben Menschen können aber gleichzeitig neben verkrampften Muskelgruppen ganz andere Muskeln in anderen Körperbereichen schlaff sein. Während die Beinmuskulatur verkrampft ist, können beispielsweise Teile der Rumpfmuskulatur weniger aktiv sein. Um sich 444 ein Bild von der Wirkung der Spastizität zu machen, muß man die ungleiche Verteilung der Muskelspannung beachten. Spastik ist durch Medikamente und Krankengymna-stik beeinflußbar. Therapien gegen die erhöhte Muskelspannung können die Beweglichkeit verbessern oder wieder herbeiführen. Komplikationen, die durch Bewegungsmangel hervorgerufen werden, lassen sich verhindern. Es ist deshalb ganz besonders wichtig, Spastizität rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Die Symptome müssen nicht bestehen bleiben, sie können sich in manchen Fällen zurückbilden. Weil diese motorischen Störungen oft das Gehver-mögen beeinflussen, beeinträchtigen sie auch die allgemeine Leistungsfähigkeit, die Selbständigkeit und damit auch die Arbeitsfähigkeit. Wenn Restsymptome zurückbleiben, oder keine Besserung eintritt, ist es wichtig, sich mit Hilfsmitteln vertraut zu machen. Es gilt, möglichst große Selbständigkeit zu erhalten, um Schäden durch Bewegungsmangel vorzubeugen. Medikamente können die Spastizität oft günstig beeinflußen. Die Dosierung muß für jeden Patienten individuell eingestellt werden. Es muß exakt die Arzneimittelmenge gefunden werden, bei der die Muskelanspannung herabgesetzt wird, die Muskelkraft aber noch ausreicht. Vermindert man die Spastik, kann sich die Schwäche deutlicher zeigen. Eine Reststeifigkeit, die stützen hilft, muß dann belassen bleiben. Es bedarf einer feinen Regulierung zwischen erwünschter Wirkung und unerwünschten Nebenwirkungen. Manchmal ist es deshalb besser, das Medikament während eines Rehabilitationsaufenthalts anzupassen. Die Medikamente können die Veränderungen im Rückenmark, die zur Spastizität geführt haben, nicht rückgängig machen. Auch wenn die Muskeln lockerer werden, bleibt die gestörte Feinmotorik. Pumpe unter der Bauchdecke Die Entwicklung von Medikamenten gegen Spastizität stagniert seit mehr als zehn Jahren. Häufig wird Baclofen eingesetzt. Es wird normalerweise in Tablettenform eingenommen. Manche Patienten klagen bei steigender Dosis über eine Verschlechterung des Gehens und Stehens. Bei ihnen ist eine Restspastik als Stützfunktion erforderlich. Es ist aber auch möglich, das Medikament über eine Pumpe direkt in den Rückenmarkkanal einzugeben. So ist eine ständige Versorgung mit dem krampflösenden Wirkstoff gewährleistet. Eine niedrigere Dosierung ist möglich, Nebenwirkungen sind weniger heftig. Die Medikamentenpumpe wird unter die Bauchdecke in den Körper gepflanzt. Die meisten Medikamente, die zur Behandlung der Spastizität eingesetzt werden, haben Nebenwirkungen. Sie ermüden und stören das Gleichgewicht. Häufige Nebenwirkungen des Baclofen beispielsweise sind Muskelschwäche und Ermüdung, aber auch zerebrale Krampfanfälle. Die Medikamente der Benzodiazepingruppe haben neben der muskelentspannenden Wirkung auch Einfluß auf die Psyche. Es sind Stimmungsaufheller, die Abhängigkeit auslösen können. Neben der medikamentösen Behandlung ist die Krankengymnastik bedeutsam. Krankengymnasten zeigen individuelle Übungen, die den Beschwerden entgegenwirken. Es ist besser, mehrmals täglich kürzere Übungen zu machen, als einmal bis zur völligen Ermüdung zu trainieren. Ziel ist, die Gehfähigkeit solange wie möglich zu erhalten. Ist das nicht mehr 445 möglich, dann wird der Krankengymnast Hilfsmittel und ihren sinnvollen Einsatz zeigen. Wichtig ist, daß die Krankengymnastik ohne Unterbrechung auch zu Hause durchgeführt wird. Ein Spezialfall der krankengymnastischen Anwendungen ist die Eisbehandlung. Seit über zwanzig Jahren ist wissenschaftlich belegt, daß Kälte den Muskeltonus wirksam herabsetzen kann. Cryo- oder Kälte-Therapie erfolgt in Form von Eisbädern, kalten Bädern oder Duschen. Wahrscheinlich wirkt die Kälte nicht direkt örtlich auf die Muskeln ein, sondern reflektorisch auf Rückenmarksebene. Zwischen einer halben und sechs Stunden hält die Spastizitätsverminderung an. In letzter Zeit werden Kälteanzüge mit NASATechnologie angeboten. Sie ermöglichen die Körperkühlung, während der Patient seinem normalen Tagwerk nachgeht. Seiten 6 und 7: Therapie Unklar: Mitoxantron - giftige Chemotherapie für MS-Patienten? Ein mögliches Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose, aber zwei Meinungen unter den Experten. Die einen lehnen das Krebsmittel nach Studienergebnissen ab, die anderen beginnen eine neue Studie, um doch die Wirksamkeit zu beweisen. Als im letzten Jahr zwei italienische Studien mit 20 und 25 Patienten an den Universitäten von Palermo und La Sapienza in Rom mit dem Medikament 446 Mitoxantron bei Multipler Sklerose abgeschlossen wurden, teilten sich die Meinungen unter den Fachleuten. Zwar konnte man bei 10 Patienten mit schubförmiger MS eine Krankheitsverschlechterung verhindern, jedoch wurde kaum eine klinische Verbesserung registriert. Trotz weiterer Untersuchungen mit dem Krebsmittel konnten sich die Experten aus Pharmaindustrie und Wissenschaft bis heute nicht einigen, ob Mitoxantron in die engere Wahl der MS-Medikamente zu nehmen ist. Dabei ist das Mittel in seiner Anwendungsbreite bereits eingegrenzt. Mitoxantron ist ein giftiges Zytostatikum, das Schäden an der Zelle und DNS produziert. „Der genaue Wirkungsmechanismus ist noch nicht vollständig geklärt“, heißt es in einer Standardinformation für Krankenhausapotheker des Arzneimittelwerks Dresden GmbH. Mitoxantron ist in Deutschland zur Behandlung von bösartigen Leukämien und verschiedenen Krebs-arten als Mittel der letzten Wahl zugelassen. Die Chemokeule wird intravenös verabreicht. Dabei soll der Arzt beim „Umgang mit Mitoxantron Handschuhe und Schutzbrille tragen, um eine Kontamination zu vermeiden.“ Allein dieser Hinweis erspart es den Anwendern von Mitoxantron, die ellenlange Nebenwirkungsliste durchzulesen. Die Arznei ist giftig und gefährlich. Diese Tatsache scheint auch die Fachwelt zu unterschiedlichen Auffassungen über eine Anwendung bei MS zu führen. In Deutschland schwor der inzwischen pensionierte Ulmer Prof. Dr. Hans-Helmut Kornhuber auf das Präparat. Jedoch gelang ihm der Durchbruch mit Mitoxantron nicht. Stattdessen möchte jetzt der Pharmabetrieb Lederle, jüngst an Wyeth-Pharma GmbH verkauft, mit einer Studie beweisen, daß die Arznei „eine starke Wirkung auf gadoliniumanreichernde Herde hat“ und damit besonders für aktive Krankheitsverläufe geeignet sei, so Dr. Bergitta Kjaer von Lederle. 447 Ende des Jahres soll die Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Peter Hartung mit dem Lederle-Mitoxantron (Novantron) beginnen. Hartung zählt zum Ärztlichen Beirat der DMSG. Die Anfrage von Autoimmun an den Beirat, wie er die Mitoxantron-Therapie bei MS beurteile, wurde lediglich mit der Nennung weiterer Kontaktpartner beantwortet. Deutliche Worte über das Zytostatikum spricht die Pharmafirma Asta Medica AG. Sie hat im Bereich der Krebstherapie für das Arzneimittelwerk Dresden GmbH das Marketing für Mitox-antron übernommen. In einer Stellungnahme heißt es: „Der Einsatz von Mitoxantron ist nicht neu und kann nicht als Sensation betrachtet werden. Prof. Kornhuber steht in Deutschland relativ isoliert mit seiner Favorisierung des Zytostatika-Einsatzes bei MS-Patienten und wird teilweise deswegen sogar kritisiert.“ Noch deutlicher wird Astas Pressesprecherin Locher: „Unverantwortlich!“ Die Fachwelt ist gespalten. Ob nun die geplante Studie neue Erkenntnisse bringen wird, darf bezweifelt werden, denn „der therapeutische Einsatz wird durch Toxizität (Giftigkeit, Red.) von Mitoxantron begrenzt. Einzelne kleinere Phase-II-Studien haben nicht zu kongruenten Ergebnissen geführt“, so die Forscher von Asta Medica. Ob die „öffentlichkeitsreifen“ Ergebnisse von Prof. Dr. Ludwig Kappos aus Basel Neues bringen werden, bleibt abzuwarten. Der 448 Streit um Mitoxantron bei MS läßt bei den Patienten sicherlich kein neues Vertrauen in Ärzteschaft und Hersteller wachsen. Seiten 8 und 9: News & Hintergrund Aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zu MS und Autoimmunkrankheiten zusammengefaßt Durch Schwangerschaft wird Multiple Sklerose nicht verschlechtert In einer europäischen Multicenterstudie, an der auch die Julius-MaximiliansUniversität in Würzburg beteiligt war, stellten sich Wissenschaftler die Frage, ob es eine Beziehung zwischen Schwangerschaft und Multipler Sklerose gibt. Während und nach der Schwangerschaft wurden die Schubrate, Langzeiteffekte, Einfluß auf die Geburt und Stillzeit sowie der immunologische 449 Status beobachtet. Auch wenn in den ersten drei Monaten nach der Entbindung ein Anstieg der Schubrate vermutet werden kann, läßt sich grundsätzlich keine überdurchschnittliche Verschlechterung der MS durch eine Schwangerschaft nachweisen. Kein Erfolg mit Ginkgo bei MS Eine Forschergruppe der Universität Bordeaux (Hospital Pellegrin) in Frankreich untersuchte 1995 in einer placebo-kontrollierten Studie die Wirkung von Ginkgolide B - einem homöopathischen Extrakt aus Ginkgoblättern - bei Multipler Sklerose. Die 104 beteiligten Patienten erhielten sieben Tage hintereinander 240 mg oder 360 mg Ginkgolide B pro Tag oder ein Scheinpräparat. Eine klinische Verbesserung (EDSS) konnte bei den Ginkgolide B-Gruppen im Verhältnis zur Placebogruppe nicht entdeckt werden. Damit steht fest, daß Ginkgolide B kein taugliches Medikament zur Behandlung der sich verschlechternden MS ist. Bessere Blasenfunktion nach Gabe von Alpha-Blocker Wissenschaftler vom St. Vincent’s Hospital in Dublin, Irland, überprüften 1995 im Rahmen einer Doppelblindstudie den Effekt eines Alpha-Blockers auf Blasenschwäche und Bettnässen. 18 an diesem Symptom leidenden MSPatienten wurde der Rezeptor des Alpha-Blockers 1-Adrenergic, der hauptsächlich am Blasenhals vorkommt, verabreicht. Nach vier Wochen wurden die Blasenwerte gemessen. In der Behandlungsgruppe wurde bei 41 Prozent der Patienten eine Verbesserung der Blasenfunktion festgestellt. Somit könnte der Alpha-Blocker bei der Behandlung von Blasenstörungen von MS-Patienten eine Rolle spielen. Im MS-Tierversuch Erfolg mit Tumor-Nekrose-Faktor Ein erfreuliches Forschungsergebnis meldet die Medical Academy of Lodz aus Polen. Wissenschaftler überprüften einen löslichen Rezeptor des TumorNekrose-Faktors (TNF) bei der Tier-MS. Die experimentelle autoimmune Encephalomyelitis (EAE) ist eine künstlich herbeigeführte MS-ähnliche Entzündung des Myelins. Das Verfahren wird häufig angewandt, um die Wirkung von neuen Medikamenten in der vorklinischen Phase zu prüfen. Der Tumor-Nekrose-Faktor zeigte im Tierversuch eine Hemmung der Krankheit. Ferner schützte diese Therapie die Tiere vor wiederkehrenden Symptomen. Auf dem Hintergrund der kürzlich in Deutschland angelaufenen LenomidStudie, deren Theorie sich ebenfalls mit der Wirkung des Tumor-NekroseFaktors befaßt, scheint dieses Ergebnis besonders beachtenswert zu sein. Neue Einteilung von MS-Stadien Mediziner der Harvard Medical School in Boston, USA, empfehlen, von der am meisten verwendeten EDSS-Skala zur Einteilung der unterschiedlichen MS-Krankheitsstadien und -entwicklungen abzurücken. Die bisher häufig bei klinischen Medikamentenstudien verwendete komplizierte EDSS-Wertung sei für den Arzt schwierig anzuwenden und unterscheide verschiedene MSStadien schlecht. Das neue „Desease Steps“-Verfahren (DS) soll nur die Krankheitsschritte in sechs Stufen beschreiben, was für den Neurologen 450 leichter durchführbar ist. In einer Untersuchung an 1323 Patienten bewährte sich das DS-Verfahren und zeigte Schwächen beim EDSS auf. Erfolg mit Magnetfeld-Therapie Forscher von den Neuro Communication Research Laboratories in Danbury, England, berichten über den erfolgreichen Einsatz von Magnetfeldern bei zwei MS-Patienten mit einem chronisch-progredienten Krankheitsverlauf. Nachdem die beiden Patienten mit einem bestimmten Magnetfeld behandelt wurden, zeigten sie sofort meßbare Verbesserungen der motorischen Funktionen und der Lauffähigkeit. 24 Stunden später traten weitere Verbesserungen bei den Patienten ein. Die Wissenschaftler sehen einen wirksamen Einsatz der Magnetfeld-Therapie vor allem bei chronischen MS-Verläufen, um Motorik und Empfinden zu verbessern. Lupus vererbbar? Ein Wissenschaftler-Team der San Yatsen University of Medical Sciences in Guangzhou, China, wertete eine über 23 Jahre gelaufene Untersuchung zu der Frage aus, ob der systemische Lupus erythematodes von Mutter zu Tochter vererbbar ist. Dabei entdeckte man einen Hinweis darauf, daß eine Vererbbarkeit über die weibliche Linie durchaus möglich ist. Die Krankheit brach in den beobachteten Fällen vor der Pubertät aus. Bestätigt: Schering-Pille doch schädlich Viele Frauen nahmen an, daß „Antibaby-Pillen“ der neusten und dritten Generation milder und verträglicher sind. Doch sie haben sich leider getäuscht: Hormonkombinationen der neusten Generation zur Schwangerschaftsverhütung verdoppeln das Thromboserisiko gegenüber den bewährten Pillen, so das ab-schließende Ergebnis einer jüngst veröffentlichten britischen Studie. Erste Anzeichen für eine schlechte Verträglichkeit der „neuen“ Pillengeneration gab es bereits im Herbst 1995, als mehrere Pressemeldungen sogar von Todesfällen sprachen. Im Kreuzfeuer der Kritik stand damals die Schering-Pille „Femovan“. Mit Zögern reagierte damals das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und beschloß, die Erstverordnung der Antibabyillen vom Typ „Femovan/ Marvelon“ nur für Frauen unter 30 Jahren auszuschließen. „Halbherzige Entscheidung“, kommentiert der Informationsdienst „arzneitelegramm“ in seiner Februarausgabe diesen Schritt. Das Amt ging von der Annahme aus, daß Frauen über 30 Jahren von einem positiven Einfluß dieser Pillen auf das arterielle System profitieren könnten. Genau dies konnte die aktuelle britische Studie nicht belegen. Statistisch ließ sich überhaupt kein Unterschied in der Herzinfarkthäufigkeit nach Anwendung von Pillen der zweiten und dritten Generation finden. Die ersten Hinweise wurden nicht ernst genommen. Die ersten Signale tiefer Venenthrombosen bei der Einnahme von Pillen der dritten Generation nahmen die britischen Gesundheitswächter etwas ernster als ihre deutschen Kollegen. Das Committee on Safety Medicines (CSM) wartete erst gar nicht die nun ausgewertete Studie ab, sondern verbot die zweifelhaften Pillen. 451 Daß diese Entscheidung nicht falsch war, beweist eine von Experten entwickelte Rechnung: Hätte das CSM die Veröffentlichung der Studie abgewartet, hätte man - statistisch gesehen - 80 weitere Venenthrombosen und einen Todesfall in Kauf genommen. Brustkrebs seltener bei Frauen mit schwachem Immunsystem Wie Mediziner vom Central Hospital in Ottawa (Kanada) nach Abschluß einer Studie feststellten, erkranken Frauen, die mit abstoßungshemmenden Medikamenten (Immunsuppressiva) behandelt wurden, seltener an Brustkrebs. Die positive Wirkung der Immunsuppression wurde von Wissenschaftlern damit erklärt, daß ein aktives, also nicht medikamentös unterdrücktes Abwehrsystem möglicherweise vermehrt bestimmte Signalstoffe produziert. Von diesen Signalstoffen wird angenommen, daß sie bestimmte Immunzellen aktivieren, die auch einige Arten von Brusttumoren auslösen können. Arbeitsplatz wirkt auf das Wohlbefinden Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt zu den entscheidenden Faktoren für die Gesundheit auch der Arbeitsplatz. Neben der sozialen Situation und der Umwelt gehört die Arbeitsplatz-beschaffenheit zu den wichtigsten Aspekten. Der Arbeitsplatz ist als einer der zentralen Lebensbereiche mit seiner jeweiligen Arbeitssitua-tion anzusehen. Beides kann sich sowohl positiv als auch negativ auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen auswirken. Immer mehr Unternehmen erkennen die modernen Belastungen im Beruf, die gerade bei chronischen Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. Die Belastungsfaktoren sind isolierte Einzelarbeit, Monotonie, geringer Entscheidungsspielraum und geistige Unter- oder Überforderung. Diesen Tatsachen wollen Unternehmen in Zukunft größere Beachtung schenken. Kurz und bündig… l. Seit der Einführung eines Impfstoffs gegen das Hib-Bakterium, das die Mehrzahl der eitrigen Hirnhautentzündungen bei Kleinkindern auslöste, ist die Zahl der Erkrankungen zurückgegangen. 2. Das Robert-Koch-Institut weist darauf hin, daß Malaria-Vorbeugung bei Tropenreisen nach wie vor notwendig ist. Da bereits viele Malaria-erreger gegen bestimmte Arzneien resistent sind, gibt jetzt die Weltgesundheitsorganisation Informatio-nen über die Medikamente heraus. 3. Laut AOK gibt es in Deutschland 1,2 Mio. Paare, die unfreiwillig kinderlos sind. Von Hormontherapien bis zur künstlichen Befruchtung reicht die Spanne der Behandlungsmöglichkeiten. Mittlerweile ist der unerfüllte Kinderwunsch als Krankheit anerkannt. Seite 10: Tips & Urteile Bei höherem Krankengeld kann der Rentenantrag bei Fristwahrung zurückgenommen werden Der Versicherte kann seinen Rentenantrag auch noch nach Erlaß eines EURentenbescheids innerhalb der Widerspruchsfrist zurücknehmen. Damit bleibt 452 ihm die Möglichkeit, ein höheres Krankengeld zu bekommen. Hierzu hat das Bundessozialgericht folgende Grund-sätze aufgestellt: 1. Hat ein Rentenversicherungsträger rückwirkend Erwerbsunfähigkeitsrente für eine Zeit bewilligt, für die der Versicherte Krankengeld bezogen hat, ist der Rentenversicherungsträger der Krankenkasse nicht erstattungspflichtig, wenn die Rentenbewilligung rückwirkend entfallen ist. 2. Der Versicherte kann seinen Rentenantrag jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gegen den bereits erlassenen Rentenbescheid zurücknehmen. 3. Der Befugnis des Versicherten, den Rentenantrag auch nach der Bewilligung von Erwerbsunfähigkeits-rente in Hinblick auf ein höheres Krankengeld noch zurückzunehmen, steht ein mit der Erteilung des Rentenbescheids bereits entstandener Erstattungsanspruch der Krankenkasse nicht entgegen. Einzige Ausnahme: Die Krankenkasse fordert den Versicherten nach § 51 SGB V unter Fristsetzung zur Antragstellung oder zur Aufrechterhaltung eines bereits gestellten Antrags auf. (BSG Urteil vom 9.8.1995 – 13 RJ 43/94) Keine Kostenerstattung bei Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Arztes Eine Kostenerstattung nach § 13 II SGB V neuer Fassung ist ausgeschlossen, wenn sich ein freiwillig versichertes Krankenversicherungsmitglied durch einen zur vertragsärztlichen bzw. vertragszahnärztlichen Versorgung nicht zugelassenen Arzt hat behandeln lassen. Versicherte können grundsätzlich unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen, den Zahnkliniken und Einrichtungen der Krankenkassen, den vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten sowie den zu ambulanten Operationen zugelassenen Kliniken frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden (§ 76 I 2 SGB V). Diese Regelung gilt auch für freiwillig Versicherte. (BSG Urteil vom 10.5.1995 – 1 RK 14/94) Grad der Behinderung Der Grad der Behinderung (GdB) ist abstrakt und unabhängig von den Verhältnissen des Einzelfalls festzustellen. Es kann kein höherer GdB festgestellt werden, weil der Behinderte ein Kleinkind ist. Auch mögliche zukünftige psychische Beeinträchtigungen durch die Behinderung berechtigen nicht zur Anerkennung eines höheren GdB. (LSG Rheinl.-Pfalz Urteil vom 27.4.95 – L 4 Vs 158/94) § Notizen § Ein Schreibtelefon eines Gehörlosen kann je nach Notwendigkeit und dem Umfang der Nutzung zur Kommunikation mit anderen Gehörlosen ein notwendiges und wirtschaftliches Hilfsmittel sein. (BSG Urteil vom 25.10.1995 – 3 RK 30/94) Der Informationsbedarf eines Blinden rechtfertigt die Versorgung mit einem Lese-Sprechgerät nur, wenn das Gerät wöchentlich mindestens fünf Stunden benutzt wird. 453 (BSG Urteil vom 23.8.1995 – 3 RK 7/95) Sozialhilfeempfänger haben keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung für die Reparatur ihres Fernsehers. Kosten für die Instandsetzung sind bereits in den regelmäßigen Zuwendungen für den Lebensunterhalt enthalten. (BVerwG vom 21.6.1994 – AZ 5 C 52.92) Vertraglich geschuldete Pflegeleistungen sind nicht als vor dem Bezug von Pflegegeld einzusetzendes Einkommen zu berücksichtigen, sondern berechtigen nur dazu, das Pflegegeld um bis zu 50 % zu kürzen. Damit ist eine Anrechnung von vertraglich geschuldeten Pflegeleistungen auf das nach BSHG gewährte Pflegegeld nur teilweise möglich. (BVerwG Urteil vom 18.5.1995 – 5 C 1.93) Seite 11: Leserpodium Verändert DSG die Killerzellen? DSG wurde vor einem Jahr nicht zugelassen, bitter für uns MS-Betroffene. Man weiß, daß es hilft, aber man weiß nicht wie. In den Studien war ständig die Rede davon, daß klinisch der Beweis nicht erbracht werden kann. Man bezog das Ergebnis immer auf die Kernspintomografie. Dort ließ sich keine Verbesserung im klinischen Sinn finden. Wenn aber das japanische Erdpilzprodukt DSG nun gentechnisch wirksam wäre und die Oberfläche der Killerzellen so veränderte, daß diese das Myelin nicht mehr als Fremdkörper ansähen? Dann würden die Freßzellen nicht mehr ihr Unheil anrichten können. Gibt es eine medizinische Einrichtung, die diesen Gedanken aufgegriffen hat? Und könnte uns MS-Betroffenen doch noch geholfen werden? Dann ließe sich die DSG-Behandlung vielleicht kostengünstiger und effektiver gestalten. Oder sollten Hoffnungen und geleistete Vorarbeiten wieder den fehlenden Finanzen zum Opfer fallen? Ingrid N., Berlin West-Medikamente Ich bin Aussiedlerin aus Rumänien. Gestatten Sie mir, Ihnen im Namen einer seit 25 Jahren an MS erkrankten Frau aus Rumänien zu schreiben. Sie hat immer noch den Willen, sich im Haus zu bewegen, im Haushalt so viel wie möglich nützlich zu sein und in Würde zu leben. Den ärztlichen Behandlungen hat sie immer vertraut und sich ständig über neue Behandlungsmöglichkei-ten informiert. In letzter Zeit hofft sie sehr auf die Behandlung mit einem westlichen Medikament, aber es ist fraglich, ob eine Behandlung angesichts der herrschenden materiellen Zustände in Rumänien zustande kommen kann. Der Kampf dieser Frau unter sehr schweren Lebensumständen war und ist auch jetzt beeindruckend. Viktoria R., Dortmund Methotrexat Seit 17 Jahren bin ich an MS mit chronisch progredientem Verlauf erkrankt. Während eines zweiwöchigen Klinikaufenthalts wurde mir geraten, mich mit Methotrexat behandeln zu lassen. 454 Wegen der starken Nebenwirkun-gen muß ich einmal in der Woche zur Blutkontrolle. Methotrexat ist normalerweise ein Medikament gegen Krebs, auch bei Rheuma wird es angewandt. Bisher habe ich noch nichts über die Behandlung der chronisch progredienten MS lesen können. Können Sie nicht einmal über diese Behandlungsmethode berichten? Klaus-Dieter F., Köln Vitamine Wie ich aus dem englischen Fernsehen erfahren habe, laufen in England zur Zeit klinische Versuche gegen MS mit Antidepressiva, Vitamin B12 und Aminosäuren. Eine Frau, die seit 1992 an progressiver MS erkrankt war, ging nach der Behandlung in Remission und ist seit 19 Monaten symptomfrei. Wie kann ich mehr über diese Therapie erfahren? Es scheint alles sehr logisch zu sein. Ich glaube, daß emotionaler Streß bei mir selbst ein Hauptauslöser der Krankheit war. Gertrud W., Bad Salzuflen Außenseitermethoden Mit großem Interesse lese ich Autoimmun. Ein Hauptproblem für MSBetroffene besteht darin, daß Außenseitertherapien nicht bezahlt werden. Wenn auch die neurologische Fachwelt oft nicht bereit ist, Außenseitermethoden anzuerkennen, so darf man doch erwarten, daß die Fachwelt zumindest einmal genauer hinschaut. Nach und nach gewinnt der Wissenschaftsbetrieb Erkenntnisse, die längst nicht mehr neu sind. Der MS-Betroffene steht dabei, ohnmächtig verharrend, den Glauben an die Wissenschaft verlierend, seinem Schicksal unentrinnbar ausgeliefert. Heinz K., Schlat DSG auf dem Schwarzmarkt Mit Entsetzen hatte ich registriert, daß die Zulassung von Deoxyspergualin abgelehnt wurde. Glücklicherweise konnte ich auf dem schwarzen Markt die erforderliche Menge des Medikaments aus dem Ausland erhalten. Gespräche mit anderen an MS erkrankten Personen, die sich DSG über dunkle Kanäle besorgten, zeigten überall dieselben Erfahrungen: Stopp der Krankheit und Verbesserung des Krankheitsbildes. Bitte geben Sie den Kampf um dieses Medikament nicht auf, Professor Franke. Jutta M., Oldenburg DMSG-Werbung Ich habe mir im Fernsehen die Sendung über Multiple Sklerose von Ilona Christen angesehen. Es hat mir sehr gut gefallen, weil verschiedene Erkrankte mit ihren Schicksalen zu Wort kamen. Auch der Therapieüberblick war gut. Gestört hat mich der DMSG-Werbespot zu Beginn. Jetzt weiß ich auch, daß die Mitgliedsbeiträge für sinnlose Werbefilme ausgegeben werden, die viel Geld kosten. Klaus K., Frankfurt/M. Seiten 12 und 13: 455 Klein, aber fein! Begegnung statt Patientenverwaltung - der „Verein zur Betreuung von Multiple Sklerose Betroffenen in Flensburg und Umgebung e.V.“ zeigt, wie’s geht. Von Stephanie Redwanz Neben der „Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft“ gibt es in Deutschland noch andere Organisationen, die sich um MS-Betroffene kümmern. Nicht so groß und mächtig, dafür klein und effektiv. Ganz oben, im äußersten Norden Deutschlands, existiert der „Verein zur Betreuung von Multiple Sklerose Betroffenen in Flensburg und Umgebung e.V.“. Den Verein gibt es seit 1993. Er hat 150 Mitglieder, wovon 65 Betroffene sind und entwickelte sich aus der Zweigstelle der DMSG Flensburg. Rolf Beck, der 67jährige Vorsitzende, kam zu diesem Verein „wie die Jungfrau zum Kinde“. Als Vorsitzender einer Freimaurerloge machte er während eines Basars die Bekanntschaft engagierter und hilfsbereiter Damen, die in der damaligen MSGruppe mitarbeiteten. Da die Zweigstelle dringend einen neuen Vorsitzenden suchte, fragten die Damen Rolf Beck. Erfahrungen und Kontakte aus der Wirtschaft erleichterten den Start Nach etwas Bitten und reiflicher Überlegung sagte Beck zu. Er war ja in Rente und wollte mit seiner Erfahrung und seinen Kontakten zur Wirtschaft helfen, so gut es ging. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der ehemalige Organisationsleiter einer Bundesbehörde noch nie etwas mit der Krankheit MS zu tun gehabt. Seit 1991 war Beck Zweigstellenleiter in Flensburg. Nach internen Auseinandersetzungen mit der DMSG trat er 1993 aus dem Verein aus. Doch auch die 12 Betreuerinnen, die die Hauptarbeit in den einzelnen MS-Gruppen leisteten, traten einen Tag später aus der DMSG aus. Schmunzelnd erinnert sich Beck an diese eher schon komische Situation. Doch was nun anfangen? „Dann machen wir das eben eigenständig und von der DMSG unabhängig weiter, wir können die Betroffenen doch nicht mit ihren Problemen alleine lassen.“ Gesagt, getan! An Organisationstalent und fachlicher Qualifikation mangelt es Beck und den Betreuerinnen nicht. Die engagierten Damen, alle um die 50 Jahre alt, kommen aus der Sozialarbeit und dem Krankenpflegebereich. Für den neuen Verein mußten allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden: - die Vereinsarbeit muß durchsichtig und für alle Beteiligten nachvollziehbar sein; - die Behindertenarbeit muß sachkundig sein, im sozialen wie im kaufmännischen Bereich; - der Schwerpunkt der Vereinsarbeit liegt darin, die MS-Kranken aus ihrer gesellschaftlichen Isolation herauszuholen und ihnen bei auftretenden Problemen behilflich zu sein. „Begegnung“ ist das Zauberwort. Für die Kranken und ihre Angehörigen ist es wichtig, mit anderen Betroffenen und Nichtbetroffenen reden zu können, gemeinsam etwas zu unternehmen (Ausflugsfahrten, Seminare, Vorträge) oder einfach mal zum Kaffeeklatsch zusammenzukommen. Um diese anspruchsvollen Ziele verwirklichen zu können, hat man die verschiedenen Begegnungsgruppen in Flensburg, Glücksburg, Harrislee und Tarp gegründet. Die Gruppen mit 8 bis 13 regelmäßigen Besuchern treffen sich einmal im Monat, aber an verschiedenen Tagen, so daß jeder Interessierte die 456 Möglichkeit hat, an jedem der einzelnen Treffen teilzunehmen. Den Transport der Vereinsmitglieder zu den Veranstaltungen übernimmt der Verein kostenlos, wenn es nötig ist. Auch Nichtmitglieder sind gern gesehene Gäste in den Begegnungsgruppen. Die Betreuerinnen organisieren diese Treffen: Sie sorgen dafür, daß die Rollstühle aufgepumpt bereitstehen, der Kaffee heiß ist, genügend Kuchen parat steht, und sie begleiten die Gäste mit guter Laune und Hilfe durch den Nachmittag. Ein anderer wichtiger Teil der Vereinsarbeit ist die Seniorengruppe „mach mit“. 12 Seniorinnen treffen sich regelmäßig zu Handarbeitstagen, an denen ausgefallene und qualitativ hochwertige Handarbeiten für die dreimal im Jahr stattfindenden Basare gefertigt werden. Und - fügt Rolf Beck hinzu - die Leiterin dieser Gruppe könne einen ganz schön antreiben… Der Verein finanziert sich zu 50 Prozent aus den Verkäufen dieser Handarbeiten bei Veranstaltungen zu Ostern, im Sommer und zum Advent. Die andere Hälfte des Etats ergibt sich aus den Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Und - das wichtigste überhaupt - diese Gelder kommen den Betroffenen direkt zugute. Wofür das Geld ausgegeben wird, entscheiden der Vorstand und die ehrenamtlichen Be-treuerinnen gemeinsam. Nur durch diese direkte Zusammenarbeit mit den Betroffenen und dem Erkennen ihrer Wünsche sind alle bisher angebotenen Veranstaltungen ein großer Erfolg gewesen. Auch wenn einige ältere Mitglieder aus gesundheitlichen Gründen mal nicht an den Angeboten teilhaben können, werden sie nicht vergessen. Sie werden dann von den Betreuerinnen auf Wunsch zuhause besucht, Probleme werden soweit wie möglich gelöst und man kann mal wieder klönen (Hochdeutsch: einen ausquatschen). Trotz Informationssperre durch die DMSG erscheint ein eigenes Heft Eine andere wichtige Informationsquelle für die Mitglieder ist das Heft „Begegnung“. Es erscheint vierteljährlich und wird in mühsamer Kleinarbeit von Rolf Beck am heimischen PC gesetzt. Er sammelt Informationen über neue Therapien und Medikamente sowie alle Nachrichten, die ihm zu MS zugänglich sind. Mühsam deshalb, weil die DMSG sich weigert, ihre Informationen an den Flensburger Verein weiterzugeben. Aber man hat ja so seine Quellen. Außerdem werden in diesem Heft Veranstaltungen und regelmäßige Treffen angekündigt. Für Neubetroffene und deren Familienmitglieder bietet der Verein ein Kontakttelefon, er berät außerdem in Wohnungs- und Heimangelegenheiten und vermittelt Kontakte zu Behörden und Institutionen. Der Flensburger Verein ist ein gelungenes Beispiel für ehrliche und erfolgreiche Selbsthilfe in Deutschland. Interessierte erhalten weitere Informationen bei: Verein zur Betreuung von Multiple Sklerose Betroffenen in Flensburg und Umgebung e.V. Im Tal 6 24939 Flensburg Telefon: 0461-47856 (nach 18.00 Uhr) Seite 14: 457 Lexikon Stichwort: Feldenkrais-Methode Ganzheitliche Körpertherapie zur Verbesserung des Bewegungspotentials Jahrelang entwickelte der aus Israel stammende Ingenieur und Physiker Moshé Feldenkrais eine pädagogische Methode zur Verbesserung des menschlichen Selbstbildes, das für unser Verständnis der Bewegungskoordination verantwortlich sein soll. Dabei geht seine Methode von einem Zusammenspiel zwischen körperlicher Bewegung und dem Bewußtsein aus, versteht sich also als ganzheitliches Modell. In den letzten fünf Jahren ist die Feldenkrais-Methode verstärkt zur Behandlung von krankheitsbedingten Körperbehinderungen (z. B. Multipler Sklerose) ins Gespräch gekommen. Im Gegensatz zur Krankengymnastik, die den Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit erreichen will, geht das Feldenkrais-Modell einen Schritt weiter. Durch sehr sensibles und langsames Bewegen einzelner Körperregionen und -glieder, gepaart mit Pausen für Bewußtseinsübungen, sollen nicht nur körperliche Bewegungsblockaden abgebaut, sondern auch ein neues Selbstwertgefühl entwickelt werden. Der Patient soll eine aktivere und positivere Einstellung erlangen. Der psychologische Hintergrund der Feldenkrais-Methode ist somit auch als Verhaltensänderung beim Patienten anzusehen. Der Körperbehinderte soll sein Denken so ändern, daß er nicht mehr fragt, „Was kann ich alles nicht mehr?“, vielmehr wird er nachforschen „Was kann ich noch?“. Ein zwangloses Umfeld in kleinen Gruppen ist notwendig, um Erfolge zu erreichen. Erste Feldstudien mit MS-Kranken zeigten Fortschritte bei den Patienten. Depression Wie Fieber auf das Immunsystem wirkt und dadurch Gemütsstörungen behandelt werden können Der menschliche Körper setzt Fieber ein, um Krankheitserreger zu beseitigen. Schon länger wurde vermutet, daß Fieber auch gegen Depressionen hilft. Was anfangs nur eine Erfahrung vieler Menschen an sich selbst war, konnten Forscher jetzt bestätigen: Fieber hellt die Stimmung auf. Die Schulmedizin kennt die Heilwirkung der erhöhten Körperwärme und die Therapie mit künstlich erzeugtem Heilfieber. Dabei werden fiebererregende Medikamente gespritzt oder durch Kurzwellen eine Überwärmung des Körpers erreicht. Forscher um Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie in Freiburg, konnten nun zeigen, daß Botenstoffe des Immunsystems unsere Laune beeinflußen. Psychoneuroimmunologie heißt die recht junge Disziplin, die die Zusammenhänge zwischen Körperabwehr und menschlichem Verhalten erforscht. Die Vorgänge im Körper bei natürlichen Fieberzuständen sind recht kompliziert. Damit bei Infektionskrankheiten das Wachstum der Erreger gebremst werden kann, wird dem Gehirn befohlen, den Körper stärker zu erwärmen. Eine Gruppe von bestimmten Botenstoffen kurbelt das Immunsystem an. Das Zytokin, das Fieber anregt und zugleich müde macht, heißt Interleukin-1. An ihm sind Forscher besonders interessiert. Man nimmt an, daß es ein Auslöser für den normalen Schlaf ist, denn bei gesunden 458 Menschen findet man besonders starke Konzentrationen von Interleukin-1 kurz vor dem Zubettgehen. Interleukine fördern die Ausschüttung mehrerer anderer Botenstoffe im Gehirn. Diese sind wichtig für den erholsamen Tiefschlaf. Aber vor Beginn der Traumphasen wird der Ausstoß einiger Gehirnbotenstoffe stark verringert. Somit sinkt die Konzentration von Signalsubstanzen, die bei depressiven Menschen nur eingeschränkt wirksam zu sein scheinen. Gemütskranken fehlt meist der erholsame Tiefschlaf - traumreicher REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) tritt bei ihnen häufiger auf. Die Psychiatrie versucht seit Jahren, Depressionen mit Arzneien zu behandeln, die die REM-Schlafphasen verringern. Zur Verlängerung der erholsamen Tiefschlafphasen und zur Verkürzung des REM-Schlafes kann man die fehlenden Botenstoffe verabreichen. Die Freiburger Forscher gingen einen anderen Weg. Sie erhöhten die Körpertemperatur von depressiven Patienten mit Medikamenten und erzeugten künstliches Fieber. Es konnten höhere Konzentrationen der Botenstoffe Interleukin-1 und -6 sowie des Tumor-Nekrose-Faktors gefunden werden. Die psychische Verfassung der Patienten besserte sich schon vor dem Einschlafen. Nach der mit Fieber durchschlafenen Nacht hatte sich die Stimmung aller Patienten gebessert. In der folgenden Nacht wurde die Fieberbehandlung unterbrochen. Die Forscher konnten bemerken, daß die fehlenden Traumphasen jetzt nachgeholt wurden. Der REM-Schlafanteil der Versuchspersonen war deutlich erhöht. Damit kehrten am nächsten Morgen auch die Depressionen zurück. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung April / Mai ‘96 Di, 9. April, 20.15 Uhr, BR : Die Sprechstunde Diagnose Krebs - was dann? Di, 9. April, 19.45 Uhr, WDR: ALTERnativen - das Magazin für den Neuanfang im Leben Thema u. a.: Alzheimer - Chancen für Betroffene und Angehörige Etwa 800.000 Menschen leiden in der Bundesrepublik an der Alzheimer Krankheit. Die Sendung zeigt Möglichkeiten, wie die Betroffenen und ihre Angehörigen den schweren Weg der Erkrankung gemeinsam gehen können. Mi, 10. April, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin Pollen über Berlin - Hilfe bei Heuschnupfen Mi, 10. April, 21.00 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis - Probleme mit dem Magen: Was steckt hinter Magenerkrankungen, Darmbeschwerden und Geschwüren? Neue Lasertechnologie 459 zur Therapie bösartiger Magenerkrankungen - Pilze - eine neue “Modekrankheit”? - Neues von der Herzfront: Der Laser als Lebensretter Do, 11. April, 16.03 Uhr, ARD: Fliege „Hilfe, meine Leber streikt!“ Do, 11. April, 21.45 Uhr, BR: Diese vitale Wut Ital. Fernsehfilm von 1989, Regie: Lina Wertmüller Der amerikanische Journalist John Knot (Rutger Hauer) arbeitet an einer Artikelserie über Aids. Er bereist die großen Städte dieser Welt und gibt vor, an Aids erkrankt zu sein, um die Reaktionen der Menschen zu testen. Überall stößt er auf Ablehnung und Diskriminierung, auf irrationale Ängste und Hysterie. Doch dann erfährt er, daß er tatsächlich HIV-positiv ist. Er gibt seine Tätigkeit auf und baut mit Hilfe einer amerikanischen Fabrikantin ein Imperium zur Unterstützung der Aids-Forschung auf. Di, 16. April, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde Größerwerden mit Hormonen Di, 16. April, 21.45 Uhr, WDR: Quarks & Co Aus der Apotheke der Natur Was steckt wirklich in den Arzneien auf natürlicher Basis? Mi, 17. April, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin Überflüssig wie ein Kropf? Funktionen und Fehlfunktionen der Schilddrüse. Mi, 18. April, 18.30 Uhr, WDR: Tele-Praxis Körperschmerz - Seelenschmerz Mi, 24. April, 23.05 Uhr, N3: Mittwochsthema Herztod So, 28. April, 18.15 Uhr, ZDF: ML Mona Lisa Die Schönmacher - Gefahren des Melatonins - Helfen hochkonzentrierte Enzyme und Vitamine der Schönheit und Gesundheit? - Fruchtsäuren gegen Falten? Di, 30. April, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin: Kreislaufstörungen - ein tödliches Risiko? Aktuelle Informationen zum Bluthochdruck. Kreislaufexperten sprechen im Studio. Di, 21. Mai, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber 460 Hauterkrankungen Mi, 22. Mai, 22.15 Uhr, ZDF: Pflegeversicherung (Vorgesehene Dokumentation zum Thema) Schnellübersicht zu regelmäßigen Sendungen aus Medizin und Wissenschaft Gesundheitsmagazin Praxis ZDF, mittwochs, 21.00 Uhr Sendetermine: 10.4., 15.5. Abenteuer Forschung ZDF, mittwochs, 21.00 Uhr Sendetermin: 22.5. N3-Ratgeber Medizin N3, dienstags, 21.00 Uhr Sendetermine: 30.4., 21.5. Visite - Gesundheit im Alltag N3, dienstags, 21.00 Uhr Sendetermine: 9.4., 23.4., 28.4. Servicezeit Gesundheit N3, montags, 16.00 Uhr Sendetermine: 15.4., 22.4., 29.4., 6.5., 13.5., 20.5. Die Sprechstunde BR, dienstags, 20.15 Uhr Sendetermine: 9.4., 16.4., 30.4., 7.5., 14.5., 21.5., 28.5. Die Sprechstunde N3, montags, 6.00 Uhr Sendetermine: 1.4., 15.4., 22.4., 29.4., 6.5., 13.5., 20.5. Bremer Gesundheitswerkstatt N3, sonntags, 9.45 Uhr, Sendetermine: 14.4., 21.4., 28.4., 5.5., 12.5., 19.5. Wissenschaftssendung mit wechselnden Titeln BR, mittwochs, 20.15 Uhr, Sendetermin: 17.4. 8.15 „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1996 Seite 3: Schwere Schübe durch Antikörper Noch während der Recherche zu unserer Titelgeschichte - Vergleich der MSMedikamente Beta-Interferon 1b (Betaferon) und Deoxyspergualin (DSG) häuften sich die Hinweise auf eine gefährliche Eigenschaft des bereits als Wundermittel gefeierten Interferons. Rund 40 Prozent der behandelten Patienten entwickelten nach drei Monaten einen hohen Antikörperspiegel gegen das Beta-Interferon 1b. Da die Antikörper offensichtlich die ohnehin dürftige Wirksamkeit des Beta-Interferons 1b blockieren, konnte das Medikament keinen stabilen Zustand bei den MS-Patienten herbeiführen. Im 461 Gegenteil: Etwa die Hälfte erlitt schwere Schübe, berichtet das weltweit angesehene Medizinblatt „Lancet“. Weitere schlimme Folgen könnten sich einstellen, wenn der Körper aufgrund einer Virusinfektion Interferon benötigt. Eine körpereigene Bereitstellung könnte dann wegen der ungewollt entstandenen Antikörper nicht erfolgen. Der kleinste Virus könnte ungeahnte Schäden anrichten. Erste Verdachtsmomente in der wissenschaftlichen Literatur für diese ernüchternden Alarmsignale waren frühzeitig nachlesbar. Doch scheinbar versäumte man es im ärztlichen MS-Hauptquartier der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, den Hinweisen entschieden nachzugehen. Erstaunlicherweise gab man sogar dem Vertreter des deutschen Pharmaherstellers Schering AG, Dr. Steffen Stürzebecher, Gelegenheit, in einem sechsseitigen Gespräch Produktwerbung für Betaferon zu betreiben. Der in kollegialem Plauderton gehaltene Dialog mit Prof. Dr. Dietmar Seidel streifte nur kurz die bedeutungsvolle Frage der Antikörperbildung und wurde selbst von Schering-Vertreter Stürzebecher als „noch unklar“ offengelassen. Hätte nicht ein Wissenschaftler, der ohne Frage Kompetenz und Wissen über die MS besitzt, die Aufgabe gehabt, ein solches Gespräch mit der notwendigen Distanz zum Thema zu führen? Mit entsprechendem Hintergrundwissen hätte zwangsläufig die gefährliche Antikörperbildung des Betaferons zentrales Thema für einen Experten sein müssen, der gerade im Namen der DMSG seine Patienten schützen will. Es bleibt abzuwarten, wann sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – von Natur aus langsam – einmischt und die deutsche Zulassung von Betaferon in Frage stellt. US-Ärzte melden jedenfalls immer häufiger Therapieabbrüche: nicht wegen Wirkungslosigkeit, sondern wegen neuer schwerer Schübe. Ebenfalls bleibt abzuwarten, ob das kürzlich in den USA zugelassene Avonex, eine weitere Beta-Interferon-Variante, ebenfalls Antikörper bildet und damit dem gentechnisch hergestellten Scheringprodukt nachfolgt. Eines können MSPatienten überhaupt nicht gebrauchen: Medikamente, die ihre Krankheit verschlechtern. Nach Redaktionsschluß… …teilte der klinische Leiter der von der Hoechst AG/Behringwerke durchgeführten Multiple-Sklerose-Studie mit Deoxyspergualin (DSG), Prof. Dr. med. Ludwig Kappos, mit, daß sich bisher „kein wirklich überzeugender Effekt des Präparats im Vergleich zum Plazebo“ ergibt. Allerdings schließt Kappos nicht aus, daß sich „positive Behandlungseffekte bei Untergruppen der in der Studie behandelten ergeben“ könnten. Der Pressesprecher der Behringwerke, Dr. Pohlmann, der jüngst von dem derzeit besten Medikament gegen MS sprach, ein DMSG initiiertes Komplott erkannte und auf politischer Ebene Hilfe suchte, war zu einer Stellungnahme nicht bereit. „Das Geheimnis der Medizin besteht darin, den Patienten abzulenken, während die Natur sich selber hilft.“ Voltaire Seiten 4, 5 und 6: 462 Aufmarsch gegen die Multiple Sklerose: Beta-Interferon-Spritze und DSG-Infusion im Vergleich Zwei Arzneien gegen die bisher unheilbare Krankheit MS haben in den letzten Jahren unter Patienten, Ärzten, Pharmaunternehmen und in der Fachöffentlichkeit für Hoffnung, Aufsehen und Ernüchterung gesorgt: BetaInterferon und Deoxyspergualin (DSG) Der Wirkungsvergleich von Medikamenten ist schwierig. Zum einen besitzen unterschiedliche Arzneien auch verschiedene Wirkungsweisen. Zum anderen wirkt nicht ein Medikament bei allen Menschen gleich, selbst die bewährtesten Mittel haben bei manchen Patienten gar keine oder sogar eine schädliche Wirkung. Wiederum können Präparate, von denen schwere Nebenwirkungen erwartet werden dürfen, bei Erkrankten ohne Komplikationen einen heilenden Effekt verursachen. Klinische Studien, die mit einer größeren Anzahl von Patienten durchgeführt werden, versuchen den Zufall auszuschalten und ein annähernd objektives Bild der Arzneiwirkung zu zeichnen. Dabei werden für eine spezielle Krankheit bestimmte Daten erhoben. Bei Krebs-Studien spielt zum Beispiel die Ansprechrate einer Arznei beim Menschen eine wichtige Rolle. Die Medikamentenwirkung ist in Multiple-Sklerose-Studien etwas komplizierter zu messen, aber unmöglich ist es nicht. Die dabei international einheitlich verwendeten Kriterien, die über die Wirksamkeit eines Medikaments bei erkrankten Menschen entscheiden, ermöglichen den Vergleich der Testergebnisse. Der Konkurrenzkampf der verantwortlichen Pharmaunternehmen, die erste Zulassung zu erlangen, eine reservierte Patientenvertretung, eine aus den USA nach Deutschland übergeschwappte und wieder verebbte Erfolgshysterie und eine gegen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer entscheidende Zulassungsbehörde sorgten für Unsicherheit und Fehlentscheidungen. Somit sollte auf der Basis bisher vorhandener Ergebnisse ein bilanzierender Vergleich von Beta-Interferon und Deoxyspergualin gezogen werden. Schwieriger Vergleich Medikamente lassen sich nur dann vergleichen, wenn gleiche Kriterien gelten. Für das gentechnisch hergestellte Schering-Interferon und das japanische DSG stehen vergleichbare Messungen zum Behinderungsgrad der Patienten und Daten der Kernspintomographie zur Verfügung. Die Ergebnisse der Interferon-Studie sind veröffentlicht und nachlesbar, hingegen liegen die Endresultate der DSG-Studie immer noch nicht vor. Die Eilzulassung für die MS-Patienten wurde letztlich aufgrund eines Gutachtens des ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. versagt. Trotzdem lassen sich die bereits publizierten Daten der Firma Behringwerke verwenden. Ferner legte das Pharmaunternehmen gegenüber Autoimmun exklusiv einen umfangreichen Teil der für die Zulassungsbehörde bestimmten Unterlagen vor. In beiden Doppelblindstudien wurde das klinische Befinden der Patienten gemessen, also der Behinderungsgrad. Um den Behinderungsgrad eines Patienten festzustellen, ist eine umfassende neurologische Untersuchung notwendig. Der Arzt bestimmt danach den Grad der Behinderung auf einer zehnstelligen Skala, die EDSS (Expanded Disability Status Scale) genannt wird. Beispielsweise würde ein EDSS-Wert von „0“ bedeuten, daß der Patient 463 keine Symptome spürt. Beim Wert „5“ liegen bereits starke Gehbehinderungen oder andere schwere Symptome vor. Der Wert „10“ würde den Tod durch Multiple Sklerose bedeuten. Die Studienteilnehmer wiederholen die EDSS-Untersuchung in vorher festgelegten Zeitintervallen. Damit läßt sich ermitteln, ob die Wirkung einer Arznei den Behinderungsgrad des Patienten über einen festgelegten Zeitraum beeinflußt. So wurden alle 372 Teilnehmer der MS-Studie mit Beta-Interferon (1b) regelmäßig auf ihren Behinderungsgrad untersucht. Dabei stellten die Ärzte der Studiengruppe „Interferon-Beta“ bereits 1993 fest, daß die Arznei keine Verbesserung des Behinderungsgrads (EDSS) erwirkt. Der Behinderungsgrad der Placebopatienten war dem der Beta-Interferon-Gruppe annähernd gleich. Da im wesentlichen Patienten mit einem schubförmigen MS-Verlauf (mindestens zwei Schübe pro Jahr) teilnahmen, interessierte man sich für Anzahl, Dauer und Schwere der Schübe. Hier konnte man Erfolge messen. Die durchschnittliche Anzahl der Schübe sank gegenüber den Placebopatienten von 1,27 auf 0,84 Schübe pro Jahr. Auch der Schweregrad der Schübe in der hochdosierten Beta-Interferon-Gruppe ließ nach. Allerdings haben alle Patienten letztendlich doch Schübe bekommen und bei einem von vier Patienten verschlechterte sich sogar das Befinden. Ernüchternd stellt der Wissenschaftler Dr. med. Barry G. W. Arnason 1993 in der angesehenen Fachzeitschrift „Neurology“ fest: „Interferon-Beta ist nicht das lang erwartete Heilmittel der MS.“ Bemerkenswert sind auch die Ergebnisse einer italienischen Forschergruppe, die mit einem Interferon-BetaPräparat bei 16 Patienten eine Verschlechterung von Schubrate und Progression im Gegensatz zur Placebogruppe feststellte. Ein weiteres Problem bereitet den Forschern Kopfzerbrechen. Offensichtlich entwickeln sich im Körper Antikörper gegen das Beta-Interferon. Die Folgen könnten fatal sein. Die Bedeutung für das Langzeit-Therapieergebnis werde unter den Experten diskutiert, stellt jüngst das „Deutsche Ärzteblatt“ fest. Weitere Ernüchterung über die seit Jahrzehnten bekannte Beta-InterferonTherapie läßt das kürzlich veröffentlichte Fünfjahresergebnis aufkommen. Bei den mit Interferon-Beta 1b behandelten MS-Patienten konnte keine Verminderung der Schubrate mehr nachgewiesen werden. Lediglich fünf Patienten nehmen im fünften Therapiejahr noch an dem Versuch teil, die anderen brachen ab. Der Gegenspieler Deoxyspergualin (DSG) zeigt beim Behinderungsgrad (EDSS) deutliche Vorteile gegenüber dem Beta-Interferon. Noch nach 12 Monaten konnte der EDSS-Wert bei den hochdosiert behandelten Patienten um einen Punkt verbessert werden. „Dies kann den Unterschied zwischen Rollstuhl und Krücke bedeuten“, beurteilt der ehemalige Studienleiter Dr. K. Theo-bald die Lage. Ferner seien die Patienten schubfrei geworden, kommentiert Behrings Pressesprecher Dr. Pohlmann das Resultat. Dies scheint deshalb besonders erwähnenswert, weil das DSG auch bei den Nebenwirkungen Pluspunkte sammeln kann. Die „Rote Liste“, das verbindliche Arzneihandbuch, verlangt wegen der gefährlichen Nebenwirkungen bei der Beta-Interferon-Therapie eine engmaschige Patientenüberwachung. 464 Der Vorsprung von DSG durch die beiden verbuchten Pluspunkte für Verbesserung des Behinderungsgrades (EDSS) und die gute Verträglichkeit schrumpft durch die Ergebnisse der Kernspintomographie der Interferon-Beta 1b-Studie auf 2:1. Mit der Kernspintomographie läßt sich das Gehirn graphisch in mehrere Schichten „zerlegen“. Somit bekommt man einen Einblick in das Entzündungsgeschehen. Es wird vermutet, daß sichtbare, für die MS typische Herde die Folge der Demyelinisierung sind. Diese sogenannten Läsionen werden durch das bildgebende Verfahren in ihrer Größe regelmäßig gemessen. Werden sie durch eine Therapie kleiner, so wertet man dies als Erfolg. Obwohl noch kein Beweis dafür vorliegt, daß die Verkleinerung der Läsionen eine Verbesserung des Behinderungsgrades bewirkt, scheinen sie bei der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle zu spielen. Hierbei übernimmt die Kernspintomographie eine wichtige Kontrollfunktion. Die Therapie mit Interferon-Beta 1b bewirkte nach zwei Jahren eine Verkleinerung der Läsionsfläche um 1,1 Prozentin der hochdosierten Gruppe. In der Placebogruppe wurde eine 16,5-prozentige Vergrößerung gemessen. Ferner haben sich auch weniger neue Läsionen gebildet, was allerdings nur in einer Untergruppe mit geringer Teilnehmerzahl untersucht wurde. Die im Rahmen dieses Vergleichs aufgezeigten Fakten lassen keine Therapieempfehlung zu. Dennoch spricht vieles wegen der direkten Wirkung auf den Behinderungsgrad des Patienten und der guten Verträglichkeit für das DSG. Beta-Interferon scheint mit seinen therapeutischen Möglichkeiten ausgereizt zu sein. Neue positive Erkenntnisse wären zu wünschen, sind aber nicht zu erwarten. 465 466 Seite 7: News & Hintergund Krebs 80 Prozent aller Krebsarten umweltbedingt entstanden Nach Angaben des im Fachblatt „Medizinische Klinik“ veröffentlichten „Europäischen Kodex gegen den Krebs“ sind „80 bis 90 Prozent aller Krebsarten in westlichen Ländern in irgendeiner Weise ‘umweltbedingt’“ entstanden. Die Wissenschaftler fassen allerdings den Begriff Umwelt sehr weit und schließen soziale und kulturelle Bedingungen mit ein. Damit komme der primären Krebsprävention (Klärung der Entstehungsrisiken, z.B. Ergebnisse aus epidemiologischen Studien) noch mehr Bedeutung zu. Das Krebsrisiko des einzelnen Menschen läßt sich nach wie vor durch einen gesunden Lebensstil (tertiäre Prävention) vermindern. Dabei sind die Hauptrisiken: Nikotin, Alkohol, Vitamin- und Bewegungsmangel, Übergewicht, Sonnenbestrahlung, Umgang mit krebserzeugenden Substanzen und zu seltene Versorgeuntersuchungen. 467 ASS schützt vor Speiseröhrenkrebs Das rezeptfrei erhältliche ASS (Acetylsalicylsäure) schützt vor Speiseröhrenkrebs. Das zeigten die Ergebnisse einer bei 13.300 Personen durchgeführten Untersuchung in den USA. Die Substanz wird eigentlich bei Entzündungen, fiebrigen Erkältungen und Schmerzen eingenommen. Nun entdeckten Wissenschaftler der University of Alabama, daß das Präparat eine schützende Wirkung vor Speiseröhrenkrebs besitzt. Das Risiko, an dieser Krebsform zu erkranken, wurde durch die regelmäßige Einnahme von ASS um 90 Prozent gesenkt. Weitere Studien werden durchgeführt und sollen die Ergebnisse bestätigen. Rheuma Seminarangebote erschienen Das jährlich erscheinende Heft „Seminarverzeichnis der Deutschen RheumaLiga“ ist jüngst veröffentlicht worden. In der Broschüre erhalten Erkrankte, deren Angehörige und ehrenamtliche Berater ein bundesweites Seminarangebot, um die Lebenssituation von Rheumapatienten zu verbessern. Die Broschüre ist kostenlos zu erhalten bei: Deutsche RheumaLiga Bundesverband, Referat für Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung, Rheinallee 69, 53173 Bonn. Diäten sind „blanker Unsinn“ Anläßlich des 102. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin wies das Fachblatt „Medical Tribune“ nochmals darauf hin, daß es keine spezielle Rheuma-Diät gäbe. Ärzte bezeichneten eine solche Therapie als „Quatsch“. Der Rheumatologe Dr. Thomas Karger aus Köln kritisierte die Diät-Hysterie mit den Worten: „Die größte Freude, die Sie einem langjährigen Rheumatiker machen können, ist, ihm alles zu erlauben, denn es ist ihm schon alles verboten worden.“ Günstige Methotrexat-Therapie Eine klinische Verbesserung der rheumatoide Arthritis nach Gabe von ca. 20 mg Methotrexat pro Woche soll sich schon nach 4 bis 6 Wochen einstellen. Da ein Großteil der Substanz über die Niere wieder ausgeschieden wird, ist auch bei einer Langzeit-Therapie von 10 bis 15 Jahren mit einer geringen Nebenwirkungsrate zu rechnen. Dabei kann es zu Magenschmerzen und Schleimhautentzündungen kommen. Durch die Verabreichnung von Folsäure lassen sich die Nebenwirkungen an den ersten beiden Tagen vermindern. Seite 8: Aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zu MS und Autoimmunkrankheiten zusammengefaßt Kombination von Cop-1 und Beta-Interferon unterdrückt Myelin-Basis-Protein Der Frage, ob ein zusätzlicher therapeutischer Effekt bei der Kombination von Cop-1 und Beta-Interferon (1b) entsteht, gingen zwei Wissenschaftler vom Department of Neurology, University of Maryland, Baltimore (USA) nach. 468 Dabei wurden von zwei gesunden Individuen Zellproben entnommen. Im Labor wurde die Reaktion dieser Zellproben auf die Gabe von Cop-1 und Beta-Interferon (1b) – kombiniert und isoliert – getestet. Bei Kombination der Arzneien stellte man eine zusätzliche Suppressionssteigerung (Unterdrückung) in der Zuführung bestimmter, Myelin-Basis-Protein spezifischer T-Zell-Linien fest. Die Unterdrückung anderer für das Immunsystem relevanter Zellen konnte nicht erreicht werden. Da die Rolle von immunbedeutsamen Zellen, Boten- und Signalstoffen bei der MS noch nicht geklärt ist, ist die Bedeutung der Erkenntnisse aus der vorklinischen Untersuchung noch nicht abschätzbar. Knochenmarkstransplantation bei bösartiger MS und Lymphomen Englische Forscher wiesen in der Fachzeitschrift Bone-MarrowTransplantation auf den möglichen Vorteil einer Knochenmarkstransplantation bei bösartigen Verläufen der MS hin. Zwar besteht ein rund 50-prozentiges Risiko, daß die sich die übernommen T-Lymphozyten gegen das Empfängergewebe richten und zum Tode führen, dennoch könnte die Übertragung andererseits positive Effekte bei einem intolerablen MS-Verlauf zeigen. Ähnlich ist die Ausgangslage bei bösartigen Lymphomen (Lymphknotenvergrößerungen, z.B. Formen der Leukämie). Ob eine Knochenmarkstransplantation durchgeführt werden soll, muß nach einer gründlichen Risikoabwägung entschieden werden. MS-Sterbestatistik Wissenschaftler des Instituts für klinische Epidemiologie in Kopenhagen (Dänemark) werteten kürzlich die seit 1948 gesammelten Daten einer Registrierung aller dänischen Multiple Sklerose Patienten aus. Danach waren von den 6727 erfaßten Patienten bis zur Auswertung 2300 bereits verstorben. Hierbei stellte sich heraus, daß Männer durchschnittlich 28 Jahre nach Beginn der Krankheit und Frauen nach 33 Jahren starben. MS-Studie mit Interleukin-1 nach gelungenem Tierversuch? Wissenschaftler vom Department of Pharmacology, Synergen Inc., Boulder (USA) untersuchten die Rolle des Interleukin-1-Antagonisten (Antagonismus = aufhebende Wirkung) bei der experimentellen allergischen Enzephalomyelitis (EAE). Bei der EAE handelt es sich um eine der Multiplen Sklerose ähnlichen, künstlich eingeleiteten Erkrankung bei Tieren, vornehmlich bei Mäusen und Ratten. Man vermutet, daß Interleukin-1 beim MS-Entzündungsprozeß wesentlich beteiligt ist. Im MS-Tierversuch gaben die Forscher den EAE-Ratten nach neun Tagen, in denen sich auch klinische Verschlechterungen gezeigt hatten, den Interleukin-Antagonisten. Im Ergebnis verzögerte der Antagonist das Auftreten neuer Symptome und verkürzte die Dauer von Krankheitserscheinungen. Die Wissenschaftler fordern nun weitergehende klinische Prüfungen bei entzündlichen Krankheiten des zentralen Nervensystems. Ob Aids oder MS: Rolipram kurz vor der Erprobung am Menschen 469 Ein Ergebnis aus der Grundlagenforschung meldet eine Forschergruppe der Neurologischen Abteilung der Universität Tübingen. Im Multiple-SkleroseTierversuch gelang der Nachweis, daß die Substanz Rolipram geeignet ist, die Produktion des Tumor-Nekrose-Faktors (alpha), Lymphotoxin und GammaInterferon zu unterdrücken. Man geht davon aus, daß diese drei beim zellulären Geschehen der MS eine wichtige Rolle spielen. Die Wissenschaftler fordern jetzt weiterführende klinische Studien beim Menschen. Einen anderen Weg mit dem gleichen Präparat beschritten Forscher der Tufts University School of Medicine in Boston (USA). Sie erkannten ebenfalls die starke Unterdrückungswirkung, jedoch halten sie Rolipram für sinnvoller bei der Therapie von Aids. Nicht im Tierversuch, sondern mit aus dem Blut entnommenen, Aids-infizierten Zellen wurde ein Erfolg erzielt: Rolipram verhinderte die Neubildung eines für die Ausbreitung von Aids wichtigen Zelltyps. Auch in den USA fordert man den Einsatz beim Menschen. Seite 9: Mobilitätsgewinn durch Amphetamine Mit sehr erfreulichen Ergebnissen einer Studie traten jüngst Wissenschaftler der Universität von New Mexiko (USA) an die Öffentlichkeit. Um die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten zu verbessern, gab man den Patienten im Rahmen einer Doppelblindstudie geringe Dosen von Amphetaminen (Anregungsmitteln). Dabei stellte man sehr bald fest, daß die durch den Schlaganfall ausgeschaltete körpereigene Produktion von Noradrenalin wieder angeregt wurde. Der Überträgerstoff ist für die Weiterleitung von Impulsen zwischen den Nervenzellen verantwortlich. Durch die Gabe von Amphetaminen verstärkte sich die Übertragungsfähigkeit wieder, was zu einer Verbesserung der Motorik und somit der Muskelsteuerung führte. Mit dieser Methode sei man der bislang wenig erfolgreichen Behandlung von Gehirnschädigungen einen Schritt nähergekommen. Experten sehen derzeit mögliche Therapieansätze bei weiteren Krankheiten (z.B. Multipler Sklerose), was die 15-jährige Forschungsarbeit der Amerikaner noch aufwerten würde. Fibromyalgie - viele Frauen leiden darunter Fibromyalgie ist eine chronische, nicht-entzündliche Form des Rheumatismus, die nur das Weichteilgewebe und besonders die Muskulatur betrifft. Körperlicher Schmerz an bestimmten Druckpunkten stört den Bewegungsapparat. Zu den häufigsten Symptomen zählen Muskel- und Gelenkschmerzen, Schweißbildung, Morgensteifigkeit, Allergien und Migräne. Nach Schätzung von Experten leiden in Deutschland etwa 2,4 Millionen Menschen am Fibromyalgie-Syndrom, neun von zehn darunter Frauen, so daß von einer typischen Frauenkrankheit gesprochen werden kann. Die Krankheit läßt sich aufgrund neuerer medizinischer Erkenntnisse leicht diagnostizieren, jedoch bemängelt die Selbsthifegruppe FibromyalgieSyndrom, daß nach ihren Erkenntnissen nur etwa 20 Prozent der Ärzte über diese Krankheit informiert sind. Beachten Sie bitte hierzu den TV-Tip zum 1. Juli 1996.Weitere Informationen bei: Selbsthilfegruppen ”Fibromyalgie- 470 Syndrom“ in Deutschland, Postfach 1308, 71536 Murrhardt, Tel.: 07191980013/14. Buch-Tip Mit dem „Kursbuch Medikamente“ stellt jetzt der niederländische Medizinprofessor Ivan Wolffers seine neue Übersicht über Arzneimittel vor. Das Buch verzichtet auf schwieriges Fachchinesisch und ist damit für Patienten und interessierte Laien ein hervorragendes Nachschlagewerk über die verschiedensten Krankheiten und Arzneimittelwirkungen. Das „Kursbuch Medikamente“ ist erhältlich bei die AOK oder über: Libri Distributions GmbH, August-Schanz-Str. 33 in 60433 Frankfurt/M. Es kostet DM 39,80 plus DM 4 Versandkosten. Pollenallergie Die Krankenkassen weisen darauf hin, daß Pollenallergien nicht unterschätzt werden sollten. Nach Auftreten der ersten Symptome sollte der Arzt aufgesucht werden. Oft entwickelt sich aus den ersten lästigen Niesattacken und dem anhaltenden Schnupfen eine Atemwegsallergie, die bis zum Asthma führen kann. Der Facharzt kann mit einer Immuntherapie deutliche Linderung herbeiführen. Schuppenflechte Forscher der Ulmer Universitätsklinik klärten im Tierversuch die Entstehung der Schuppenflechte (Psoriasis). Danach greifen die T-Lymphozyten die körpereigene Haut an, nachdem sie von „Superantigene“ genannten Bakterienbestandteilen aktiviert worden sind. Damit bestätigt sich, daß es sich um eine Autoimmunkrankheit handelt, die durch körperfremde Faktoren ausgelöst wird. Kurz und bündig… l. Eine vorbeugende Behandlung von Atemwegserkrankungen mit dem Wirkstoff Cromoglicinsäure führt zu einer Verminderung der Anzahl und des Schweregrades von Anfällen. Der Wirkstoff kann als Inhalationslösung genommen werden und ist gut verträglich. 2. Der Deutsche Neurodermitiker Bund e.V. hat jetzt ein bundesweites SOSTelefon eingerichtet. Unter der Telefonnummer 0190-251051 kann man die sogenannte „Haut-Line“ erreichen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit erfährt der Anrufer alles über die Neurodermitis, deren Verlauf und Therapiemöglichkeiten. 3. Immer häufiger versichern jetzt auch deutsche Gesellschaften ihre Kunden gegen unheilbare Krankheiten wie Krebs, Multiple Sklerose oder Aids. Für monatlich rund 100 DM ist eine Absicherung für alle Krankheiten gewährleistet. Die Auszahlung erfolgt in der Regel nach Diagnosestellung. Die sog. „Dread-Disease-Policen“ werden zur Zeit von der Axa Versicherung und der DBV angeboten. Seite 10: 471 Tips & Urteile Bei geringfügiger Beschäftigung droht Ausschluß von der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeits- und Altersversorgung Die erwartete und beanspruchte Erwerbsunfähigskeits- und Altersversorgung kann bei Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung ausgeschlossen werden. Dies bestätigte nun ein höchstrichterliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Überprüft wurde, ob Artikel 4 Absatz 1 Richtlinie 79/7 EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau einer deutschen Regelung entgegensteht, die den gesetzlichen Ausschluß von der Rentenversicherung vorsieht, wenn weniger als 15 Wochenstunden gearbeitet wird und der Lohn weniger als ein Siebtel des gesamten erwirtschafteten Monatseinkommens ausmacht. Betroffen von einer geringfügigen Beschäftigung sind vor allem Frauen, die oft auch weniger als halbe Tage neben ihrer Hausfrauentätigkeit arbeiten. Der Ausschluß von der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeits- und Altersversorgung wurde als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz kritisiert. Doch die Richter gingen davon aus, daß die fraglichen Rechtsvorschriften für die deutsche Regierung erforderlich waren, um ein sozialpolitisches Ziel zu erreichen. Eine Diskriminierung durch das deutsche Recht konnte man nicht erkennen. (EuGH, Urteil v. 14. 12. 1995 - Rs C-317/93) Blindengerechter Personalcomputer nach Bundessozialhilfegesetz Immer wieder stellen sich Behörden und Gerichte die Frage, ob bestimmte Geräte Hilfsmittel darstellen, die für den Körperbehinderten im täglichen Leben oder im Beruf erstattungsfähig sind. Hierzu stellte das Bundesverwaltungsgericht fest: 1. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §§ 39,40 Bundessozialhilfegesetz (BSGH) kann die Versorgung eines blinden Jurastudenten mit einem blindengerechten Personalcomputer umfassen. 2. Ein blindengerechter Personalcomputer ist ein „anderes Hilfsmittel“ im Sinne von § 40 Absatz 1 Nr. 2 BSGH und § 9 Absatz 1 EinglH-VO. 3. Hat der Sozialhilfeträger Hilfeleistungen für einen in der Zukunft hinreichenden Zeitraum abgelehnt (oder gar eingestellt), so kann für die gerichtliche Verpflichtung zur Hilfegewährung die Sach- und Rechtslage auch über die letzte Behördenentscheidung hinaus im gesamten Regelungszeitraum maßgeblich sein. Begrenzt wird dieser Zeitpunkt durch die letzte tatrichterliche Entscheidung, wenn diese den Regelungszeitraum betrifft. (BVerwG, Urteil vom 31.8.1995 -5 C 9.94) Erstattungsfähigkeit einer transportablen Auffahrrampe Zur Frage der Erstattungsfähigkeit einer transportablen Rampe für den Rollstuhl gibt es jetzt mehr Klarheit: Bei einer transportablen Auffahrrampe, die dem behinderten Versicherten mit Hilfe Dritter nicht nur die Verladung seines Elektrorollstuhls in einen PKW, sondern auch die Überwindung entsprechender Höhenunterschiede (häufig Stufen) ermöglicht, handelt es sich jedenfalls dann um ein erstattungsfähiges Hilfsmittel im Sinne von § 33 Absatz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wenn der 472 Versicherte infolge seiner körperlichen Behinderung überhaupt nicht mehr in der Lage ist, seinen mechanischen Rollstuhl selbst zu bedienen. (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 27.10.1994 - L 5 K 86/93) § Notizen § Eine Rückforderung von Beiträgen zur Rentenversicherung ist grundsätzlich nicht möglich. Aus dem Kranken- oder Verletztengeld entrichtete Beiträge zur Rentenversicherung können bei rückwirkender Zubilligung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten nicht zurückgefordert werden. (BSG, Urt. v. 21. 1. 1995, 12 RK 51/93) Geleistetes Pflegegeld soll in einer analogen Anwendung von § 102 Absatz 5 Sozialgesetzbuch VI bis zum Ende des Kalendermonats gezahlt werden, in dem der Pflegebedürftige verstorben ist. Somit ist das geleistete Pflegegeld für diesen Monat nicht zurückzufordern und verbleibt im Vermögen des Verstorbenen bzw. seiner Erben. Seite 11: Leserpodium DSG-Schwarzmarkt Unsere Geduld ist nun am Ende. Ich möchte nicht weiter mit ansehen, wie es meinem Mann von Monat zu Monat schlechter geht. Viele Leser schreiben, daß sie sich DSG auf dem Schwarzmarkt besorgen. Wir möchten das Medikament nun auch dort kaufen. Können Sie uns dabei helfen? Es muß doch irgendwie weitergehen. Wir haben zwei Kinder, die uns noch brauchen. Wir im Osten konnten uns noch keine Reichtümer zusammensparen. Mein Mann bekommt eine kleine Rente und ich bin schon geraume Zeit arbeitslos. Ich empfinde es als einen Skandal, daß DSG nicht zugelassen wird und bin zutiefst enttäuscht, verbittert und mutlos. Annelie H., Stolpen Wo ein Medikamenten-Schwarzmarkt in Deutschland existiert, ist uns unbekannt. Red. Erfahrungsaustausch Wer setzt sich mit mir in Verbindung, um mit mir über seine Erfahrungen nach einer DSG-Behandlung zu sprechen? Bitte melden Sie sich telefonisch oder schriftlich bei: Hartmuth Dodek, Rossinistr. 8, 88353 Kißlegg, Tel.: 07563-3230. Beta-Interferon: Konkurrenz für Schering durch Biogen Die Firma Biogen ist seit drei Jahren ein Wettbewerber der Firma Chiron, die vor drei Jahren von der Schering AG übernommen wurde. Wahrscheinlich besitzt man in der Industriezone Meyrin-Satigny bei Genf ein Produktionslaboratorium. Am 27. 10. 1995 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß Biogen 1996 mit einem Produkt an die Öffentlichkeit treten werde, das breiter wirksam sei und weniger Nebenwirkungen aufweisen solle als Beta-Interferon. 473 Am 6. 12. 1995 berichteten Börsenhändler von einem Verkaufsdruck auf die Schering-Aktie wegen des neuen Konkurrenzprodukts. Im Dezember sprach der Generaldirektor Allain Gilbert von einer bevorstehenden Zulassung. Am 6. 2. 1996 taucht in einem Bericht des Chairmann von Biogen, Jim Vincent, erstmals der Name des aus Tierzellen entwickelten Beta-Interferons auf: Avonex. E. J. S., aus K. MS-Behandlung mit Kälteanzug Seit langem ist bekannt, daß Körperkühlung eine Verbesserung der MSSymptome bewirken kann. Um die Körpertemperatur zu senken, sind Kühlbecken verwendet worden. Allerdings war es schwierig, Schwerbehinderte in das Wasserbecken zu legen. Hinzu kommt, daß der Patient infolge einer Gefäßverengung rasch zu frieren beginnt. Ein von der NASA entwickeltes Kühlsystem ist vor kurzem zur MS-Therapie eingeführt worden. Der Anzug verbessert bei über 80 Prozent der Patienten die unterschiedlichsten MS-Symptome und verschafft den Kranken eine Linderung ihrer Beschwerden. Die Kühlweste bewirkt eine Teilkühlung des Körpers, die vom Anwender als angenehm empfunden wird, da kein Zittern auftritt. Die zentrale Körpertemperatur kann in 30 bis 40 Minuten um 1/2 bis 1 Grad Celsius gesenkt werden. Aus Versuchen weiß man, daß eine Erhöhung der Körpertemperatur um 1 Grad Celsius die Übertragung der Signale an demyelierten Nerven komplett blockieren kann. Durch Kühlung um 1 Grad lassen sich andererseits die Leitungen wieder herstellen. Die Temperaturempfindlichkeit von MSPatienten, deren Nervenbahnen demyelisiert sind, läßt sich mit den Ergebnissen dieser Versuche erklären. Die Kühleinheit kann entweder am Körper getragen oder als eine stationäre Einheit neben dem Benutzer fest installiert werden. Das tragbare System erlaubt dem MS-Patienten auch den Aufenthalt im Freien, auf Reisen und beim Einkaufen. Dr. med. K.-H. Huth, Burgackerweg1, 64678 Lindenfels Unabhängige Quelle Es sieht jetzt wirklich so aus, als tue sich doch einiges bei der MS-Forschung. Dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken und Sie auffordern, weiter mit der Autoimmun darüber zu berichten. Andere unabhängige Quellen gibt es nicht. Sabine D., Erfurt Seiten 12 und 13: Medizin aus dem All Bei Raumflügen forschen immer mehr Wissenschaftler Was nutzt es den Menschen auf der Erde? Raumfahrt kostet weltweit viele Milliarden Dollar. Und doch ist es ist ein faszinierendes Ereignis, wenn Mondlandungen glücken, bemannte Weltraumstationen mit rund 22.000 Stundenkilometern über unsere irdischen 474 Köpfe rasen und wiedergekehrte Astronauten euphorisch von der phantastischen Ansicht unseres blauen Planeten Erde berichten. Die technische Perfektion, mit der Shuttles, Raketen und Raumstationen arbeiten, stellt allemal eine anzuerkennende wissenschaftliche Leistung dar. Aber angesichts der enormen Kosten und der ungelösten Probleme auf der Erde drängt sich die Frage nach Sinn und Zweck der Raumfahrtabenteuer auf. Gern verweisen die Verantwortlichen dann auf Erfolge in der medzinischen Forschung, die sich aus Experimenten in der Schwerelosigkeit ergeben. Bevor die Medizin Forschungsgegenstand von Missionen in den Weltraum wurde, interessierten sich die raumfahrenden Großmächte zunächst nur für den Prestigegewinn, dann für den miltitärischen Nutzen (SDI) und schließlich für verbesserte Nachrichten- und Kommunikationsmöglichkeiten. Seit Mitte der achtziger Jahre steigerte sich das Interesse der Raumfahrtnationen für die Medizin und Biologie. In den letzten zwei Jahren fliegen immer häufiger Wissenschaftler mit in die Schwerelosigkeit und führen dort Experimente durch. Die Medizin profitiert zunehmend davon. Vorbeugung gegen plötzlichen Kindstod Ein gutes Beispiel ist ein atmungsaktiver Anzug, der 1993 von Astronauten der D-2 Mission während eines Experimentes getragen wurde. Dieser Pyjama wird derzeit im Rahmen einer Pilotstudie zur Verhinderung und Untersuchung des plötzlichen Kindstods eingesetzt. Jährlich sterben etwa 2.500 Säuglinge im Alter zwischen dem 2. und 12. Lebensmonat an plötzlichem Atemstillstand. Der Body besitzt mehrere Sensoren, die während des Schlafes verschiedene Atmungs- und Kreislaufdaten des risikobehafteten Kindes messen. Falls die Daten ihre Grenzwerte überschreiten, bekommt der Arzt im Krankenhaus sofort die wesentlichen Fakten über den Zustand des Kindes übermittelt und kann mit den Eltern Sofortmaßnahmen besprechen. Diese nicht-stationäre Überwachung von gefährdeten Kindern vermindert das Riskio eines plötzlichen Kindstods. Außerdem tragen die von der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt gespeicherten Gesamtdaten zu einem besseren Verständnis der Vorgeschichte und möglicher Therapiemaßnahmen des plötzlichen Kindstods bei. Die sogenannte Fern-Endoskopie ist heute ebenfalls das Ergebnis einer 1993 durchgeführten D-2 Mission. Dabei handelt es sich um den Weltraum-Roboter Rotex, der ferngesteuert Befehle ausführen kann, was an sich keine Neuheit wäre, wenn nicht die sogenannte Signallaufzeit bei größeren Entfernungen die Handlungen des Roboters wegen der um wenige Sekunden verlängerten Übertragungszeit verzögerte. Wissenschaftler rüsteten den Roboter unter anderem mit einer „autonomen Quasi-Intelligenz“ aus und ermöglichten dadurch den Ausgleich der verlorenen Zeit. Damit war die Technik reif für die Medizin. Anfang des Jahres führten Ärzte in München eine Magenspiegelung bei einem Patienten durch, der 50 Kilometer weit entfernt im Labor der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (Oberpfaffen-hofen) lag. Der Einsatz dieser modernen Technik bedeutet für den Patienten in Zukunft eine bessere medizinische Versorgung, denn in kürzester Zeit können Spezialisten weltweit zu einer Therapie oder Operation hinzugezogen werden. Dabei wird das von der Telekom betriebene ISDNNetz die technischen Voraussetzungen schaffen. 475 Die Ergebnisse der beiden Beispiele sind für Medizin und Patienten erfreulich. Ärzte und Wissenschaftler begrüßen die Innovationen und fordern den baldigen allgemeinen Einsatz. So ist medizinische Forschung inzwischen ein etablierter Bestandteil von Experimenten im Weltraum geworden. Weniger spektakuläre Versuche und deren Ergebnisse stellen den Alltag der Wissenschaftler an Bord eines Shuttles oder einer Raumstation dar (siehe eine Auswahl in der Tabelle). Dabei haben die zahlreichen Untersuchungen und Versuchsreihen zunächst mehr Wert für die Grundlagenforschung in Biologie und Medizin. Grundlagenforschung und neue Rätsel Häufig wird verglichen, wie sich etwas in der Schwerelosigkeit und dann auf der Erde verhält. Zum Beispiel untersuchten Forscher der National Aeronautics and Space Administration, Washington (D.C.) 1994 während einer amerikanischen Space-Shuttle-Mission die Makrophagen (Freßzellen) einer Maus in der Schwerelosigkeit. Dabei zeigte sich eine Vermehrung des Tumor-Nekrose-Faktors und des Interleukins-1. Das Experiment wurde in einer späteren Shuttle-Mission wiederholt - dabei kam das Gegenteil heraus, es kam zu einer Hemmung dieser für das Immunsystem wichtigen Stoffe. Offene Fragen beschäftigen also die Wissenschaftler. Die Schwerelosigkeit hat wohl ihre eigenen Regeln, die heute noch weitgehend unbekannt sind. Doch die Nasa beschäftigt sich auch mit Verhaltensuntersuchungen beim Menschen: Ein Ergebnis gilt wohl als sicher, Sex in der Schwerelosigkeit funktioniert nur, wenn ein Partner angeschnallt ist, sonst droht Verletzungsgefahr, so eine weitere Nasa-Untersuchung. Seite 14: Lexikon Stcihwort: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Noch nie wurde über eine seltene Krankheit so viel geredet Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) ist in den letzten Monaten häufiger im Zusammenhang mit der Bovinen Spongiformen Enzephalopatie, kurz: BSE, ins Gerede gekommen. Dabei ist die CJK keine neue Modeerscheinung, sondern bereits 1921 von den Kieler Neurologen Hans-Gerhard Creutzfeldt erstmals beschrieben worden. 1975 gelang es Wissenschaftlern, eine Virus nachzuweisen, das sich durch seine langsame Übertragungs- und Infektionszeit (slow virus) auszeichnete. Die Zeit zwischen der Ansteckung und dem Auftreten der ersten Symptome beträgt bei der CJK sechs Monate bis drei Jahre. Ursache unbekannt Die Ursache der Krankheit ist noch unbekannt, man nimmt an, daß sogenannte Prionen (kleine infektiöse Partikel im Kleinhirn) für die schwammartige Veränderung der Hirnstubstanz verantwortlich sind. Forscher der Case Western University of Cleveland (USA) haben jüngst entdeckt, daß sich Prionentypen sogar verändern, mutieren, können. Die Übertragung der CJK von Mensch zu Mensch ist möglich. Häufig geschieht dies durch ärztliche Tätigkeit in Krankenhäusern. Deshalb haben Wissenschaftler der University of Iowa (USA) schon 1994 zur Vorsicht gemahnt, wenn an infizierten Gehirnteilen pathologisch gearbeitet wird. Beim Menschen zeigt sich die CJK 476 durch eine Vielzahl von Symptomen. Zunächst treten Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auf. Danach kann es zu erhöhter Reizbarkeit, Kopfschmerz, Schlaflosigkeit und Schwindel kommen. Während der Anfangsphase beobachteten Wissenschaftler der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der FU Berlin auch optische Halluzinationen. Später etabliert sich eine ansteigende Geistesschwäche (Demenz), gefolgt von Spastik und Ataxien. Kurz bevor der Patient ins Koma fällt, treten Muskelzersetzungen und Krampfanfälle auf. Durchschnittlich 13 Monate nach Ausbruch endet die Krankheit tödlich. Bisher ist es der Medizin nicht gelungen, den Verlauf günstig zu beeinflussen. Ging man vor wenigen Jahren noch davon aus, daß CJK eine Erkrankung im sechsten Lebensjahrzehnt ist, so steht heute fest, daß auch zwanzig- bis dreißigjährige Menschen erkranken können. Die CJK-Diagnose erfolgt mit dem EEG. Langsame Gehirnwellen geben den Hinweis. Ärzte vom Flieman Hospital in Haifa (Israel) konnten jüngst unter Verwendung einer speziellen Computertomographie die Bewegung des Gehirnbluts eines CJK-Erkrankten bestimmen und damit andere Demenzerkrankungen ausschließen. Weitere Verbesserungen in der Diagnose sind nötig, da die Abgrenzung zu ähnlichen Erkrankungen (z.B. Alzheimer und Parkinson) in der Anfangsphase oft schwierig ist. Experten stellen die Forderung nach verbesserter CJK-Diagnose und vermuten, daß eine große Anzahl von CJK-Todesfällen als Alzheimer- oder Parkinsonfälle in die Statistik eingegangen sind. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch Rinderseuche BSE? Nach jüngsten Erkenntnissen gilt es als wahrscheinlich, daß der Erreger der Rinderkrankheit Bovine Spongiforme Enzephalopatie (BSE) im Zusammenhang mit der CJK steht. Allerdings ließ sich noch kein BSE-Erreger bei CJK-Erkrankten entdecken, obwohl zur Zeit an Nachweisverfahren gearbeitet wird. Umgekehrt dagegen lassen sich Tiere mit der CJK infizieren. Auch Tiere untereinander (z.B. von Mäusen zu Hamstern) lassen sich mit einem Zwischenwirt infizieren. Erfahrungen mit Tierseuchen, insbesondere mit Enzephalopatien (auch BSE zählt hierzu), zeigen, daß die Erreger sehr resistent sind. Versuche ergaben, daß der Erreger der Schafsseuche nach drei Jahren in der Erde noch infektiös war. Die Weiden ehemals infizierter Tiere stellen damit für deren BSE-freie Nachkömmlinge eine Infektionsgefahr dar. Die Übertragung von BSE auf andere Tiere (Schwein und Geflügel) läßt sich wegen der kurzen Zeit bis zur Schlachtung und der langen Ansteckungsphase nicht überprüfen, obgleich zu vermuten ist, daß die verarbeiteten Kadaver den Erreger weitergeben können. Inwiefern weitere Produkte, die aus Rinderextrakten hergestellt werden (Gelatine, Kosmetika, Arzneimittel etc.), ein Infektionsrisiko darstellen, werden weitere Untersuchungen zeigen müssen. Eines ist zur Zeit unbestritten: Kein Mensch kann für sein Produkt BSE-Freiheit garantieren. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Juni / Juli ‘96 Sa, 8. Juni, 18.00 Uhr, 3sat: 477 Ohne Zivis geht nix Sozialeinsatz statt Bundeswehr: 9000 Zivildienstleistende arbeiten in Hessen bei Sozialverwaltungen oder freien Wohlfahrtsverbänden, in Krankenhäusern oder Altenheimen. Über die Gründe ihres Engagements geben sie Antworten. Sa, 8. Juni, 22.00 Uhr, WDR: Die großen Krankheiten Malaria So, 9. Juni, 19.00 Uhr, Pro7: Welt der Wunder Thema unter anderem: Künstliche Organe Um dem Bedarf an transplantier-barem Material nachkommen zu können, versuchen Wissenschaftler, Organe zu züchten. Di, 11. Juni, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde Mit Kneipp die Lebensweise ändern Di, 11. Juni, 21.00 Uhr, N3: N3-Ratgeber: Der Kampf ums kranke Herz Immer komplizierter und aufwendiger sind die Maßnahmen, um das gefährdete Herz am Leben zu erhalten. Darüber, ob der Aufwand unseres hochgerüsteten technischen Systems überhaupt gerechtfertigt ist, soll kontrovers diskutiert werden. Mi, 12. Juni, 18.30 Uhr, WDR: Telepraxis: Gesundheit am Stück - die neuen Kompaktkuren Krankenkassen und Ärzte setzen auf eine neue Form der Kuren: täglich bis zu sechs Stunden und bis zu vier Wochen am Stück sollen sich die Patienten mit sich selbst auseinandersetzen. Mi, 12. Juni, 20.45 Uhr, 3sat: Heilkraft aus dem Weltall? Auf der Suche nach Orgon - Wunderpulver oder Hokuspokus? Fr, 14. Juni, 15.30 Uhr, ZDF: Die Sprechstunde Mit der Natur heilen - Moortherapie Sa, 15. Juni, 22.05 Uhr, WDR: Die großen Krankheiten Cholera Sa, 18. Juni, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde Den Rücken stärken mit der Rückenschule Di, 18. Juni, 21.45 Uhr, WDR: Quarks & Co Vorsicht, Parasiten! Mi, 19. Juni, 18.30 Uhr, WDR: Telepraxis: Gekrümmt durchs Leben - Morbus Bechterew An Morbus Bechterew, einer schmerzhaften Entzündung der Wirbelgelenke, leiden rund 500.000 Menschen in Deutschland. Betroffen sind meist Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Im Endstadium führt die unheilbare Krankheit zur Verknöcherung und Versteifung der Wirbelsäule. Der Film zeigt, was Erkrankte tun können. 478 Sa, 22. Juni, 22.05 Uhr, WDR: Die großen Krankheiten Lepra Mi, 26. Juni, 18.30 Uhr, WDR: Tele-Praxis Hypnose hilft heilen Mo, 1. Juli, 21.45 Uhr, WDR: Medizin-Magazin Fibromyalgie-Syndrom; mit Dr. Marianne Koch und Experten (siehe auch Seite 9 in diesem Heft) Mi, 3. Juli, 21.00 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis Themen u.a.: Elektrosmog - die unsichtbare Gefahr; Gifte in Wohnung und Textilien Mi, 3. Juli, 23.05 Uhr, N3: Die Spezialmutter oder Leben mit Down-Syndrom Der Film von Kathrin Latsch dokumentiert anhand verschiedener Lebensläufe, wie Kinder, die mit dem Down-Syndrom geboren wurden, ihren Weg ins eigene, fast „normale“ Leben finden. Di, 9. Juli, 21.00 Uhr, N3: N3-Ratgeber Medizin Venenerkrankungen Mi, 17. Juli, 21.00 Uhr, ZDF: Abenteuer Forschung Entstehung des Universums Buch-Tip Über die positive Anwendung von Marihuana bei Krankheiten wie MS, Epilepsie, Migräne u.a. berichtet diese ausführliche Dokumentation. Fallbeispiele unterstreichen die Wirksamkeit der Heilpflanze. Dr. med. Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer, im Vorwort: „Die Autoren legen schlüssig dar, warum nur eine Legalisierung des Cannabis-Konsums zu einer hinreichenden medizinischen Versorgung mit dieser Heilpflanze führen kann.“ Marihuana - die verbotene Medizin, von Lester Grinspoon und James B. Bakalar, 25 Mark, Zweitausendeins. 8.16 „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1996 Seite 3: Heimeinweisung wider Willen! Eine medizinische Zeitschrift sollte über politische Ereignisse dann berichten, wenn sie die Interessen der Leserschaft berühren. Mit dem Sparprogramm der Bundesregierung, insbesondere der Sozialreform, ist dies gegeben. Schwerbehinderte können danach gegen ihren Willen in Heime eingewiesen werden, wenn die Kosten für häusliche Pflege „unangemessen“ hoch sind. Im Juli passierte im Rahmen der Sozialreform der ergänzte § 3 a BSHG 479 (Bundessozialhilfegesetz), der eine solche Zwangseinweisung vorsieht, den Bundesrat. „Insbesondere MS-Kranke sind in diesem Fall ein gutes Beispiel“, so Frau Dr. Völkel-Albert von der Bonner Pressestelle des Bundesministers für Gesundheit Der bisherige Vorzug der ambulanten gegenüber stationärer Pflege wird aufgegeben und umgekehrt. Die Gesetzes-reform gilt seit dem 1. Juli 1996. Daß damit die Menschenwürde und das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit aufgehoben werden, scheinen nur wenige zu bemerken. MSKranke, Rheumatiker u.a. müssen, sofern ein ungünstiger Krankheitsverlauf vorliegt, damit rechnen, unmittelbar von der neuen Regelung betroffen zu sein. Im Bundestag haben der Reform alle Parteien mit Ausnahme B 90/Die Grünen zugestimmt. Eine Protestveranstal-tung zeigte keine Wirkung. Im Zuge des Entwurfs äußerten Politiker kein Verständnis für Schwerbehinderte. Seehofer servierte eine Delegation unhöflich ab. Sein Staatssekretär kommentierte den Vorgang mit den Worten: „Euch geht es doch allen noch gut hier im Land mit 20.000 Mark im Monat“. Behindertenbeauftragter Körner von B 90/Die Grünen kann eine Assoziation zum NS- „Euthanasie“-Programm nicht von der Hand weisen. Körner weiter: „Obwohl sich einige Behindertenverbände dem Protest angeschlossen haben, zeigen die mitgliederstarken Verbände wie die DMSG eine merkwürdige Zurückhaltung.“ Bis zum Redaktionsschluß dieser Autoimmun ist keine Stellungnahme des Bundesverbands oder des Ärztlichen Beirats der MS-Patientenvertretung erfolgt. Andererseits schmückt sich die DMSG, nach den Motiven ihrer Gründung gefragt, mit der Forderung, eine Entrechtung der MS-Kranken, die im NS schließlich zum „Euthanasie“-Mord führte, dürfe es nie wieder geben. Nun werden die Mitglieder in ihren Rechten massiv attackiert und man schweigt. Für Schwerstbehinderte, die vor dem 1. Juli 1996 häus-liche Pflege erhalten haben, soll der Besitzstandsschutz gelten, das heißt, sie werden nicht unter diese Regelung fallen. Pflegefälle, die nach diesem Termin eintreten, fallen darunter. „Es gibt eine Härtefallklausel und wir werden sehen, daß eine 25jährige Schwerstbehinderte nicht zusammen mit einem 50-jährigen in ein Zimmer gelegt wird“, ergänzt die Pressesprecherin des Ministers. Nach Redaktionsschluß… …häufen sich die Meldungen über schwere Nebenwirkungen bei der MSTherapie mit Beta-Interferon (Betaseron). Der in Freudenstadt ansässige Neurologe Prof. Dr. med. Wolfgang Kießling behandelt in einer kleinen Studie 14 Patienten mit Beta-Interferon. In einem Vortrag äußerte sich Kießling kritisch über das neue MS-Medikament: „Von den 14 Patienten mußten 10 während der Therapie wegen einer schubartigen Verschlechterung mit Kortison behandelt werden.“ Kießling zu den Nebenwirkungen, die „in bisherigen Studien möglicherweise heruntergespielt“ wurden: „Die von der Pharmaindustrie empfohlene Dosierung mußte bei 10 Patienten reduziert werden, weil die Nebenwirkungen (Spastik und Grippesymptome) sonst unerträglich geworden wären.“ Somit kommt der Arzt zu dem Urteil: „Die vorliegenden Daten sind sehr ernüchternd und geben Anlaß dazu, die Indikation zur Interferon-Therapie nicht nur eng zu fassen, sondern überhaupt zu überdenken.“ Es bleibt zu hoffen, daß die obersten Arzneimittelwächter auf 480 Grund dieser Ergebnisse ihrem Auftrag, MS-Patienten vor schädigenden Arzneien zu bewahren, nachkommen werden. „Krank sind die meisten. Aber nur wenige wissen, daß sie sich etwas darauf einbilden können. Das sind die Psychoanalytiker.“ Karl Kraus Seiten 4, 5 und 6: Amalgam – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko In der Öffentlichkeit gerät der Füllungswerkstoff Amalgam immer häufiger in die Diskussion. Eine neue Studie bestätigt die Befürchtungen: Die empfohlenen Werte der Weltgesundheitsorganisation WHO werden überschritten. Krankheiten - auch mit neurologischen Erscheinungen verschwinden mit der Amalgamentnahme. Amalgame sind plastische, knetbare Legierungen aus flüssigem Quecksilber und einer pulverartigen Mischung anderer Metalle wie Silber, Zinn, Kupfer und Zink. Als Füllungswerkstoff für Karieslöcher sind Amalgame in der Zahnmedizin schon seit über hundert Jahren in Gebrauch. Ebensolange dauert schon die Diskussion um vermutete und nachgewiesene Gesundheitsschäden durch Amalgam. Die Mischung der einzelnen Metallkomponenten in Amalgamen ist in diesem Jahrhundert mehrmals stark verändert worden. Zwei wichtige Fortschritte waren die Ersetzung der sehr riskanten „Kupferamalgame“ durch die besser verträglichen „Silberamalgame“ in den dreißiger Jahren und 1992 die Abschaffung der korrosionsanfälligen sogenannten „gamma-2-haltigen“ Amalgame. Die heute verwendeten „gamma-2-freien Amalgame“ enthalten folgende Bestandteile: mindestens 40 Prozent Silber und - jeweils maximal 32 Prozent Zinn, 30 Prozent Kupfer, 3 Prozent Zink und 2 Prozent Quecksilber. Fünf Metalle, die von Natur aus nur in Spuren im menschlichen Körper vorkommen. Das Schwermetall Quecksilber ist in allen chemischen Zustandsformen giftig: als Dampf, der über die Atmung in die Lunge gelangt und dort zu etwa 80 Prozent resorbiert wird; als anorganisches Quecksilber- (salz), von dem der Darm allerdings nur 5 bis 10 Prozent resorbiert, wenn es mit der Nahrung aufgenommen wurde. Am stärksten toxisch sind organische Quecksilberverbindungen wie das Methylquecksilber, ein konservierend, antiseptisch und fungizid (pilztötend) wirkender Bestandteil unter anderem in Medikamenten und Kosmetika. Leiser geworden ist der Streit über Quecksilbermengen, die aus Amalgamfüllungen in die Mundhöhle freigesetzt werden. Die Zahnärzte haben nachgegeben, ohne laut darüber zu sprechen. Ein typisches Beispiel ist die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein: 1988 hat sie in einer Patientenbroschüre noch behauptet, pro Tag gelangten nur 0,1 Mikrogramm (millionstel Gramm) Quecksilber aus Amalgamfüllungen in die Mundhöhle, dagegen satte 13 Mikrogramm aus Atemluft, Trinkwasser und Nahrungsmitteln. 1994, also nur sechs Jahre später, sieht dieselbe Zahnärztekammer die Tatsachen deutlich anders: Aus Luft, Trinkwasser und Nahrung sollen jetzt täglich sogar 24 Mikrogramm in den Körper gelangen - 481 und in der gleichen Größenordnung, nämlich 10 bis 20 Mikrogramm, werde Quecksilber aus Amalgamfüllungen freigesetzt. Weil sich die hier für das Amalgamquecksilber genannten Zahlen aber nur auf die aus Zahnfüllungen herausgelösten Mengen beziehen, haben die Amalgambefürworter an dieser Stelle ihre neue Verteidigungslinie aufgebaut: „Herausgelöst“ heiße ja nicht „vom Körper resorbiert“, sagen sie. Stimmt, das sind zwei verschiedene Schritte. Dazu wieder die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein im Jahr 1994: „Nach realistischen Einschätzungen beträgt die durchschnittliche Quecksilberaufnahme aus Amalgamfüllungen 1 bis 2 Mikrogramm pro Tag.“ - das zehn- bis zwanzigfache der Menge, die man nur sechs Jahre vorher behauptet hatte. In einer an Zahnärzte und Krankenkassenmitarbeiter, nicht an Patienten, gerichteten Schrift, faßt wieder die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein den von ihr anerkannten Wissensstand so zusammen: „Amalgamfüllungen tragen analytisch meßbar zur Gesamtbelastung des Organismus mit Quecksilber bei. Amalgamfüllungen leisten wahrscheinlich sogar einen größeren Beitrag zur Belastung der Normalbevölkerung (ohne beruflichen Kontakt mit Quecksilber) mit anorganischem und metallischem Quecksilber, als man früher angenommen hat.“ Zu ähnlichen Bewertungen kamen in jüngster Zeit u. a. das HygieneInstitut des Ruhrgebiets, das kanadische Medical Devices Bureau und das Institut für Toxikologie der Universität Düsseldorf. Durch heftiges Kauen, Zähneknirschen im Schlaf, ein saures Mund-milieu und heiße Nahrung kann sich die Quecksilberfreisetzung exorbitant erhöhen. R. Schiele (Universität Erlangen) rechnet unter solchen Umständen mit einer Quecksilbertagesdosis von bis zu 100 Mikrogramm. Welche Quecksilbermengen sind nun gefährlich? Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt drei Grenzwerte: als „acceptable daily intake“ (ADI, duldbare Tagesaufnahme) 45 Mikrogramm/Tag Gesamt-Quecksilber bzw. 30 Mikrogramm/Tag Methylquecksilber, bei einer „kritischen Dosis“ für Methylquecksilber von 400 Mikrogramm/Tag. Vor einigen Wochen hat die sog. Tübinger-Amalgamstudie, bei der Speichelproben von 17.000 Freiwilligen untersucht wurden, für Aufsehen in den Medien gesorgt: rund 40 Prozent der Versuchsteilnehmer hatten Quecksilberkonzentrationen im Speichel, aus denen sich eine deutliche, in einigen Fällen dramatische Überschreitung des WHO-Grenzwertes errechnen läßt. Dazu sagt der Toxikologe Prof. Dr. Otmar Wassermann (Universität Kiel) in einem Gutachten für die Staatsanwaltschaft Frankfurt: „Das jahrelange, zum Teil jahrzehntelange Überschreiten des ADI-Wertes als Folge von Amalgamfüllungen stellte und stellt eine Risikoerhöhung dar, die unbedingt hätte vermieden werden müssen, über die die Amalgamhersteller hätten aufklären müssen und die bei einem Teil der mit Amalgam Behandelten gesundheitliche, toxisch bedingte Schädigungen zur Folge hatte und hat.“ Allerdings muß die Tübinger Speicheltestserie mit einem generellen Vorbehalt betrachtet werden: Dort wurde wasserlösliches und partikuläres Quecksilber gemessen - beide Fraktionen werden vom Körper, wie oben dargestellt, nur im geringem Maße aufgenommen. Nicht erfaßt wurde im Test dagegen die gefährlichere, dampfförmige Fraktion. Welche Gesundheitsschäden werden beschrieben? 482 Die Liste ist lang und heftig umstritten. Sie reicht von anhaltender Mattigkeit, Antriebsschwäche, Depression, Schwindelgefühl, Nervosität, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Migräne bis zu Ekzemen, Bronchitis, Asthma, Haarausfall und Bindehautentzündung. Berichtet wird häufig auch von Fruchtbarkeitsstörungen, wobei erst nach Entfernung der Amalgamfüllungen eine Schwangerschaft möglich geworden sei. Andere Patienten führen Lähmungen in Armen und Beinen auf ihre Zahnfüllungen zurück. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß das Bundesgesundheitsamt schon vor geraumer Zeit drei Einschränkungen für den Amalgameinsatz vorgeschrieben hat: Keine großen Amalgamfüllungen bei Schwangeren (Quecksilber kann in der Leber des Fötus gespeichert werden), keine neuen Amalgamfüllungen bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung und überhaupt keine Amalgamfüllungen für Kleinkinder. Im engeren Sinne allergische Reaktionen auf Amalgam scheinen sehr selten zu sein. Weltweit sind etwa 100 Fälle beschrieben, bei denen örtliche, meist flechtenähnliche Schleimhautreaktionen beobachtet wurden. Sensibilisierungen gegen Amalgam-Metalle lassen sich mit Epikutantests aufdecken. Keine der Leidensgeschichten von Amalgamgeschädigten läßt sich nachträglich experimentell darauf überprüfen, ob Quecksilber oder ein anderes Dentalmetall die Beschwerden verursacht hat. Unübersehbar ist jedoch die inzwischen von hunderten Patienten berichtete allmähliche oder auch schnelle Besserung nach Amalgamentfernung. Jeden Zusammenhang zwischen den genannten Erkrankungen und Quecksilber wegen des fehlenden Kausalbeweises bestreiten zu wollen, paßt heute nicht mehr zur ärztlichen Sorgfaltspflicht. Immer mehr Zahnärzte nehmen darum die Beschwerden von Patienten als subjektive Leidenserfahrung ernst und verzichten auf Amalgam, auch wenn sie eher einen psychischen Hintergrund vermuten. Es ist heute kein Problem mehr, einen Zahnarzt zu finden, der Amalgamüberempfindlichkeit mit Elektro-akupunktur feststellen kann und die medikamentöse Quecksilberausleitung anwendet. Das war vor ein paar Jahren noch anders; da konnten Amalgamleidende nur bei Zahnärzten aus dem „Bundesverband naturheilkundlich orientierter Zahnärzte“ oder aus der „Internationalen Gesellschaft für ganzheitliche Zahnmedizin“ auf Verständnis und Behandlung hoffen. Inzwischen sind auch viele „ganz normale“ Praktiker dafür aufgeschlossen. In der Regel wissen die vielen örtlichen Selbsthilfegruppen von Zahnmetallgeschädigten gut Bescheid. Zahnärzte, die nur Amalgamfüllungen oder Goldguß beherrschen, gibt es immer weniger. Viele sind bereits mit der breiter werdenden Palette von Amalgamalternativen vertraut. Als vorerst ungelöstes Problem bleibt: Alle Alternativen, ausgenommen Goldguß, befinden sich noch in der Erprobungsphase. Skeptiker rechnen damit, daß Berichte über immunologische Probleme besonders bei Kunststoffen nicht mehr lange ausbleiben werden. Und alle Alternativen sind teurer als Amalgam. Sollen sich MS-Patienten Amalgam entfernen lassen? Interview mit Dr. med. Dieter Klein Autoimmun: Was empfehlen Sie MS-Patienten, wenn sie noch Amalgamfüllungen besitzen? 483 Klein: Wenn ich MS-Patienten behandele, dann bestehe ich fast auf der Beseitigung von Amalgam. Man muß ihnen aber sagen, daß die Entfernung eine Verschlechterung verursachen kann. Deshalb beginne ich bereits sechs Wochen vorher mit einer intravenösen Vitamin C-Gabe, um das Amalgam zu binden. Einen Tag vor der Amalgamentfernung beginnt eine homöopathische Quecksilberausleitung, die fortgesetzt werden sollte. Im Ergebnis hat sich der körperliche Zustand bei mehreren MS-Patienten über Monate hin stabilisiert. Autoimmun: Erstatten die Krankenkassen die Kosten für die Amalgamentfernung und Ausleitung? Klein: Nein, nur in seltenen Fällen übernehmen die Kassen die Kosten von etwa 3000 Mark. Es müssen Anträge gestellt werden. Wir gehen leider einer Zwei -Klassen - Medizin entgegen. Autoimmun: Lassen sich Schwermetalle als Auslöser für Autoimmunkrankheiten nachweisen? Klein: Es gibt keine Beweise, wir nehmen an, daß sie als Schrittmacher fungieren. Autoimmun: Wie funktioniert eigentlich die Amalgamentfernung? Klein: Zunächst wird die grobe Entfernung durch den Zahnarzt vollzogen. Anschließend werden Medikamente eingesetzt, um die Ausleitung der Metalle in Gang zu setzen. Nach einem Jahr sollte man die Konzentration der Metalle testen lassen. Autoimmun: Was kommt anstelle des Amalgams in die Zähne? Klein: Das große Problem der Zahnärzte! Es gibt keine Alternative. In Japan verwendet man Stahlplomben, in Deutschland Keramik, Zement und synthetische Stoffe, die allerdings vorher auf ihre Verträglichkeit getestet werden sollten. Autoimmun: Haben Sie selbst noch Amalgamfüllungen im Mund? Klein: Ich habe sie mir sehr spät entfernen lassen. Seite 7: Neues aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zusammengefaßt ACE-Hemmer erfolgreich im Multiple Sklerose-Tiermodell Bei der bisher unheilbaren Nervenkrankheit Multiple Sklerose könnten Wissenschaftler vom Department of Neurology, University of Pennsylvania, Philadelphia (USA) eine neue Therapie entdeckt haben. Mit einem gewöhnlichen ACE-Hemmer behandelten sie Ratten, die mit dem Tiermodell der MS (EAE) infiziert wurden. ACE-Hemmer (angiotensin converting enzyme) bewirken eine Abnahme des Gefäßwiderstands. Gegenüber der unbehandelten Gruppe von Ratten verbesserten die behandelten Versuchstiere ihren klinischen Zustand und weitere wichtige Meßwerte. Die Wissenschaftler gaben den Tieren das in Deutschland für der Behandlung von niedrigem Blutdruck und Herzfunktionsstörungen zugelassene Medikament Captopril über 21 Tage. Die Dosierung lag bei 30 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Zu den bekannten Nebenwirkungen zählen Hautreaktionen, Übelkeit, Schwächegefühle und allergische Reaktionen. Wirksame Therapie mit Leflunomid jetzt bei rheumatoider Artritis 484 Ihre Ergebnisse einer Doppelblindstudie mit dem von der Hoechst AG entwickelten Leflunomid veröffentlichten Wissenschaftler vom Institut of Rheumatology in Belgrad (Jugoslawien). Leflunomid galt bislang als zukunftsträchtiges Medikament für die Therapie von Autoimmunkrankheiten wie MS, Psoriasis und Lupus erythemadodes. In einer Studie mit 402 unter rheumatoider Arthritis leidenden Patienten zeigte die Arznei Verbesserungen bei primären und sekundären Meßwerten. Die jugoslawischen Rheumapatienten wurden sechs Monate mit dem deutschen Leflunomid behandelt. Die Ärzte gaben ihnen in vier Gruppen aufgeteilt Placebo, 5, 10 oder 25 mg Leflunomid täglich. Nur sieben Prozent der Patienten zeigten ungünstige Erscheinungen, berichtet das Forscherteam. An Nebenwirkungen wurden Magenbeschwerden, Gewichtsverlust, allergische Reaktionen und Hautausschlag beobachtet. Erfreulich scheint auch die Ermittlung der optimalen Dosierung aufgrund der erreichten Ergebnisse zu sein. Mit 10 bis 20 mg Leflunomid pro Tag würde sich der Behandlungserfolg ohne ungünstige Begleiterscheinungen einstellen. Diese Dosierung entspricht auch der Empfehlung des Leflunomid-Spezialisten Dr. Robert Bartlett (Hoechst AG) zur Behandlung der Multiplen Sklerose. Eine derzeit in Europa laufende weitere Studie wird über die Anwendung von Leflunomid näheren Aufschluß geben. Achtungserfolg bei tödlich verlaufender MS-Schwester Die ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) gehört zu den degenerativen Nervenkrankheiten. Muskelschwäche und Lähmungen führen bei 95 Prozent der Erkrankten innerhalb von fünf Jahren zum Tode. Nun haben Forscher des Department of Pharmacokinetics and Drug Metabolism, Parke-Davis Pharmaceutical Research Division, Ann Arbor (USA) im Rahmen einer internationalen Studie eine Möglichkeit gefunden, den Verlauf der Krankheit zu verzögern. Mit dem Wirkstoff Riluzol werden offensichtlich die entscheidenden Nervenzellen geschützt und ihr Abbau streckenweise verhindert. Damit sei zwar kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht, aber „es ist ein Hoffnungszeichen für den gesamten Bereich der degenerativen Nerven- und Hirnleiden, zu denen auch Alzheimer und die BSE-verwandte Creutzfeld-Jakob-Krankheit gehört”, erläutert Prof. Dr. Albert Ludolph von der Charité Berlin in einem Artikel der „Welt“. MS-Diagnose mit SPET-Methode gibt über Krankheitszustand Auskunft In einer kleinen Pilotstudie untersuchten Forscher vom Department of Neurology, University Hospital, Groningen (Niederlande) den Zusammenhang von Gehirnschädigungen und dem klinischen Zustand von fünf MS-Patienten. Dabei bedienten sich die Niederländer nicht der herkömmlichen Kernspintomographie, sondern versuchten, die Krankheitsherde mit der „single photon emission tomography“ (SPET), einem neuen Verfahren, das unter Verwendung von Cobalt 57 Gehirngewebe sichtbar macht, zu entdecken. In der Tat sendeten die Läsionen eine bestimmte Signalintensität aus. Die gesammelten Daten wurden auf einen Zusammenhang zum klinischen Befinden hin untersucht. Über den klinischen Zustand des Patienten gibt der EDSS-Werte (von 1 bis 10) Auskunft. Insgesamt stellte man fest, daß die durch SPET erhobenen Daten in einem engen Zusammenhang mit dem Krankheitszustand der MS-Patienten stehen. Dieser Zusammenhang 485 konnte bisher mit der üblichen Kernspintomographie nicht nachgewiesen werden. Seiten 8 und 9: Sanfte Stärkung des Immunsystems Bisher galt das körpereigene Hormon Melatonin als ausgezeichnetes Schlafmittel. Doch durch neuere Untersuchungen könnten sich mehrere Einsatzmöglichkeiten ergeben. Auch bei der Therapie von Autoimmunerkrankungen liegen erste positive Hinweise vor Als man in den sechziger Jahren entdeckte, daß die mitten im Gehirn liegende Zirbeldrüse ein Hormon mit dem Namen Melatonin produziert, konnte niemand etwas damit anfangen. Das Organ und sein Produkt seien ohne wichtige Funktion, glaubte man damals. Erst im Laufe der Jahre untersuchten Wissenschaftler die Bedeutung des Melatonins. Man stellte eine schlaffördernde Wirkung fest, entdeckte einen bakterien- und virusabwehrenden Effekt und stellte sich die Frage, wozu das Hormon denn noch gut sei. Um dies klären, wurden viele Untersuchungen durchgeführt. Dabei kam man Schritt für Schritt zu ganz bemerkenswerten Ergebnissen. Der Körper produziert das Hormon hauptsächlich in der Nacht, es zeigte in den bisherigen Versuchen eine sehr geringe Giftigkeit und besitzt eine das Immunsystem stärkende Wirkung. Letztes veranlaßte amerikanische Forscher, über einen Einsatz bei Autoimmunkrankheiten nachzudenken. Dabei ließ man sich von folgenden Überlegungen leiten: Wenn Frauen wesentlich häufiger an Autoimmunkrankheiten (z.B. Multipler Sklerose, Rheuma, Lupus etc.) leiden und generell ein noch ungeklärter Zusammenhang mit dem auch in Verhütungsmitteln verwendeten Hormon Östrogen vermutet wird, dann könnte ein anderes Hormon ebenfalls eine Rolle spielen. In einem weiteren Schritt wurde erkannt, daß die tägliche Gabe von 10 mg Melatonin nach einem Monat zu einer Zunahme desTumorNekrose Faktors alpha, des Interferons-Gamma und Interleukins-2 führt. Mit allen drei körpereigenen Stoffen werden zur Zeit in der MS-Forschung Versuche unternommen. Englische Wissenschaftler erkannten 1993, daß der Melatoninspiegel vor einem MS-Schub niedrig ist. Auch entdeckte man eine weitaus niedrigere Menge des Hormons in den Monaten März bis Mai, in denen über 40 Prozent der Erkrankten Schübe aufweisen. Ob sich das killerzellenaktivierende Melatonin zu einem therapeutischen Einsatz bei MS eignet, bleibt weiteren Studien vorbehalten. Diese sind leider kaum zu erwarten, da für ein körpereigenes Hormon kein Patentschutz möglich ist. Damit fehlt den Pharmaunternehmen der finanzielle Anreiz. Eine mögliche Einnahme des in den USA frei erhältlichen Wirkstoffs ist jedoch mit dem Arzt abzusprechen, der ein Rezept ausstellen sollte. In Deutschland wird das Hormon nicht wie in den USA als Nahrungsmittelergänzung angesehen, sondern als zulassungspflichtige Arznei, teilte jüngst das Berliner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte der Fachpresse mit. Die Einsatzmöglichkeiten der immer populärer werdenden Substanz scheinen vielseitig zu sein. Der Medizinprofessor Russel J. Reiter und der Journalist Jo Robinson erwarten von Melatoningaben eine Verlangsamung des menschlichen Alterungsprozesses, einen Beitrag zur Aids-Forschung und 486 einen körpereigenen Schutz gegen Krebserkrankungen. In ihrem kürzlich erschienen Buch zum Thema Melatonin nennen sie auch Bezugsquellen. Das als Trockenextrakt zu erwerbende Melatonin sollte abends vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Die Dosierung hängt vom Einsatzgebiet ab. Als Schlafmittel werden 0,2 bis 10 mg, gegen den Alterungsprozeß 0,1 bis 3 mg und zur Stimulierung des Immunsystems 2 bis 20 mg empfohlen. Da oftmals die körpereigene Melatoninproduktion nicht ausreicht und dadurch bisher in der Wissenschaft wenig verstandene Krankheiten auszulösen scheint, läßt sich auch mit melatoninreicher Nahrung ein wenig Unterstützung erreichen. Allerdings ist der Melatonin-Gehalt in Lebensmitteln wie Hafer, Reis oder Bananen zwar im Verhältnis zu anderen Produkten relativ hoch, jedoch kaum wirksam im Sinne einer möglichen medizinischen Behandlung. Zu Beginn eines Therapieversuchs sollte geprüft werden, ob ein Ausschlußgrund vorliegt. Hierzu zählt das Risiko, bei gleichzeitiger Einnahme von Kortison eine aufhebende Wirkung zu erzielen. Ferner sollten Schwangere kein Melatonin nehmen, da es noch keine Untersuchungen über mögliche Risiken für Mutter und Kind gibt. Schließlich sollten alle Autoimmunerkrankten sorgfältig die immunaktivierende Wirkung einkalkulieren. Im Gegensatz zu den derzeit hoch im wissenschaftlichen Trend liegenden, das Immunsystem unterdrückenden Medikamenten, die eine zum Teil enorme Giftigkeit besitzen, gehen die Ideen mit dem Melatonin einen anderen - milden - Weg. Es bleibt zu hoffen, daß weitere Erkenntnisse, insbesondere zur Beeinflussung von Autoimmunkrankheiten, nachfolgen werden. Erfolge einzelner Therapieversuche können niemals für die Allgemeinheit gelten. 487 Seiten 10 und 11: Der Wolf im Körper Beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) versagt das Immunsystem und greift Haut und Organe an. Frauen sind neunmal häufiger erkrankt als Männer Trotz aller Unklarheiten haben Autoimmunkrankheiten einen gemeinsamen Nenner: Teile des Immunsystems sind fehlgeleitet und richten ihre 488 Abwehrkraft gegen den eigenen Körper, weil sie nicht mehr zwischen unerwünschten Eindringlingen und schützenswerten Organen unterscheiden können. Der systemische Lupus (lat. Wolf) erythematodes (SLE) gehört zur Gruppe der Autoimmunkrankheiten und wird der Inneren Medizin zugerechnet, wo er - von der Schadensverursachung her auch hingehört - im Gegensatz zu anderen Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose, die man in der Neurologie besser aufgehoben sieht). Man weiß heute, daß der SLE durch die Bildung bestimmter Antikörper ausgelöst wird. Doch die eigentlichen Ursachen der Erkrankung bleiben im Dunkeln, wie bei allen Autoimmunkrankheiten. Das vielseitige Krankheitsbild trifft neunmal häufiger Frauen als Männer und zwar im jungen Erwachsenenalter. Der SLE-Patient kann unter verschiedenartigem Organbefall leiden - Nieren, Herz, Gefäße, ZNS, Haut, Lunge und Blutzellen können wahllos betroffen sein. Regelmäßig kommt es zu Entzündungen, weil das Immunsystem das jeweilige Organ attakiert. Schließlich gehören zum SLE auch neurologische Beschwerden. Sämtliche Symptome können sehr variabel auftreten, was den Erkrankten das Leben im Alltag schwierig macht. Die ärztliche Diagnose wird anhand klinischer Zeichen und eines Nachweises bestimmter Antikörper geführt. Neben diesem Schwerpunkt wird die Erfüllung von mindestens vier von elf Kriterien einer Tabelle (sog. ARA-Tabelle) geprüft. Liegen die Kriterien vor, geht man von einem gesicherten SLE aus. Der Verlauf der Krankheit ist in der Regel nicht bösartig. Nur sehr wenige Fälle sind lebensbedrohend. Jedoch ist die Diagnose SLE für Betroffene und deren Angehörige eine enorme Belastung in Beruf und Alltag. Eine Therapie des SLE, die die Ursache der Krankheit beseitigt, existiert nicht. Die ärztlichen Möglichkeiten beschränken sich heute auf die Behandlung der durch das Immunsystem verursachten Symptome. Im akuten Stadium wird Kortison gegeben. Auch entzündungshemmende Medikamente kommen zum Einsatz. Je nach Schwere des Krankheitsverlaufs versucht man es mit dem Einsatz von Zytostatika, die in ihrem Verhalten die Immunzellen „schädigen“ oder verändern sollen. „Der Lupus ist ein Paradebeispiel für eine Autoimmunkrankheit“ Interview mit Prof. Dr. med. Martin Franke über den Lupus Autoimmun: Der Systemische Lupus erythematodes (SLE) wird zu den Autoimmunkrankheiten ge-zählt. Was versteht man darunter? Franke: Der SLE ist ein Paradebeispiel für eine Autoimmunkrankheit. Autoimmun heißt, daß sich das Abwehrsystem, das sich normalerweise mit Fremdeinwirkungen auf den Organismus auseinandersetzt, plötzlich gegen das eigene Körpergewebe richtet und dadurch Krank-heitserscheinungen hervorruft. Autoimmun: Gibt es Hinweise auf die Ursache des SLE? In welcher Richtung wird zur Zeit geforscht? Franke: Es gibt Hinweise darauf, daß zwei Dinge bei der Entstehung des SLE zusammenkommen. Das ist zum einen eine genetische Veranlagung für solche Abweichungen des Immunsystems. Zum anderen gibt es wohl Faktoren, die diese Abweichung auslösen können. Das können u.a. Virusinfektionen sein. Aber auch Medikamente können schubauslösend 489 wirken. Genau kennen wir die auslösenden Dinge noch nicht. Die Forschung geht in zwei Richtungen. Zum einen definiert man, wo die einzelnen genetischen Dispositionen sitzen, die zu diesem Selbstangriff führen. Wir müssen davon ausgehen, daß das Immunsystem einen ganzen Wasserfall von Mechanismen in Gang setzt. Und die werden jetzt im einzelnen analysiert. Dabei scheint es so zu sein, daß verschiedene Mechanismen unterschiedlich genetisch fixiert sind. Eine Reihe davon sind bereits isoliert worden. Somit kann man heute ein bißchen vorhersagen, wie schwer die Erkrankung verlaufen wird. Es gibt sehr viele verschiedene Verläufe, wir sprechen dann von spontanen Verlaufsformen, die eher unberechenbar sind. Autoimmun: Warum leiden eigentlich mehr Frauen als Männer unter SLE? Franke: Das hängt wohl mit der genetischen Disposition zusammen. Ferner ist zu diskutieren, ob hormonelle Faktoren dabei eine Rolle spielen. Aber Hormone sind nicht als Ursache dafür anzusehen, daß SLE bei Frauen häufiger vorkommt. Weibliche Sexualhormone (Östrogene) können allerdings ein SLE-Syndrom auslösen. Über Hormonschutz muß in jedem Fall ärztlich entschieden werden. Autoimmun: Gibt es neue therapeutische Ansätze? Sind neue Medikamente in Sicht? Franke: Zunächst wäre festzuhalten, daß es für den SLE-Kranken eine „Lebensversicherung“ gibt, nämlich das Kortison. Als das Kortison in den fünfziger Jahren noch nicht erfunden war, galt der SLE zu einem hohen Prozentsatz als tödliche Erkrankung. Noch heute besitzt das Kortison eine wichtige Bedeutung. Es muß gut gehandhabt werden und darf nicht zu hoch dosiert werden, vor allen Dingen nicht auf Dauer. Immunsuppressiva werden in bestimmten Stadien eingesetzt. Geprüft sind Azathioprin und Endoxan. Eine neue Entwicklung geht in Richtung Cyclosporin A, wobei die Nierenfunktion zu beachten ist. Das Endoxan hat die Eigenschaft, daß es bei Nierenbefall sehr wirksam ist. Es ist aber zu berücksichtigen, daß die Tumorabwehr vermindert werden kann. Bei vorsichtiger Handhabung ist es doch wohl ein verwendbares Mittel. Eine ganz neue Entwicklung sind die Anti-Lymphozyten-Antikörper, die bei intravenöser Gabe schwere Nebenwirkungen verursachen können. Man arbeitet an einer verbesserten Toleranz. Auch die Therapie mit hohen Gaben von Immunglobulinen hat einen sicheren Kurzzeiteffekt. Auch länger anhaltende Remissionen sind beschrieben worden. Ferner hat die Plasmapherese ihre Bedeutung. Dabei werden Immunkomplexe, die ein Produkt der Abwehrreaktion sind und sich in Organen abgelagert haben, ausgewaschen. Ich halte es für wichtig, daß die Suche nach besser verträglichen Immunsuppressiva weitergeht. Man sollte versuchen, Medikamente, die bei der MS offensichtlich wirksam sind, auch beim SLE einzusetzen. Ich denke dabei an das DSG. Man sollte z.B. die Firma Hoechst dazu gewinnen, eine kleine - vielleicht offene - Studie mit dieser Substanz beim Lupus durchzuführen. Einzelne Wirkungshinweise gibt es bereits. Autoimmun: Sind psychotherapeutische Maßnahmen bei chronischen Erkrankungen sinnvoll? Franke: Jede Krankheit wird durch die Persönlichkeit, auf die sie stößt, besonders charakterisiert. Psychologische Hilfen, bis hin zur Psychotherapie, 490 kommen dann in Betracht, wenn die jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen oder die Krankheit die Persönlichkeit verändert. Eine umfassende rheumatologische Therapie sollte immer diesen Aspekt mit berücksichtigen. Autoimmun: Kann eine besondere Ernährung oder Diät den SLE beeinflussen? Franke: Nein, es gibt keine Diät, die gegen den SLE etwas leisten kann. Wir wissen aber, daß fischhaltige Nahrung entzündungshemmend sein kann. Allerdings sollte man sich nicht einseitig ernähren und sich dadurch die Lebenfreude nehmen. Verschlechtert ein Nahrungsmittel den körperlichen Zustand, dann sollte man es sofort weglassen und Ersatz suchen. Autoimmun: Zählt der SLE zu den vererbbaren Krankheiten? Franke: Es ist keine Erbkrankheit. Aber wir wissen, daß es Familien gibt, in denen gehäuft entzündliche rheumatische Krankheiten auftreten können. In diesem Zusammenhang muß aber auch gesagt werden, daß die Schwangerschaft kein Hindernis darstellt - sie ist trotz SLE möglich. Es dürfen dabei keine schädigenden Medikamente gegeben werden. Eine ärztliche Überwachung ist in jedem Fall notwendig. Seite 12: Tips & Urteile Kürzung des Zusatzurlaubs von Schwerbehinderten unzulässig Immer wieder kommt es seitens der Arbeitgeber zu einer Kürzung des Zusatzurlaubs (Zwölftelung) für Schwerbehinderte, wenn das Arbeitsverhältnis während des Jahres aufgenommen oder beendet wurde. Oft scheuen sich die Betroffenen dann zu protestieren oder gar rechtlichen Beistand einzuholen. Dabei ist das Verhalten von Arbeitgebern, die diese Urlaubskürzung vornehmen, nicht statthaft, wie das Bundesarbeitsgericht bereits mehrfach entschieden hat. In einer jüngst ergangenen Entscheidung faßte die höchste Arbeitsgerichts-instanz die Grundsätze noch einmal zusammen. Danach ist auch eine Zwölftelung des Zusatzurlaubs nicht erlaubt, wenn die Schwerbehinderung erst im Laufe des Jahres anerkannt wurde. Der Urlaub ist voll zu gewähren. Somit kann eine bereits vorliegende Schwerbehinderung den Anspruch auf Zusatzurlaub nicht beeinflussen. Als Begründung gaben die Richter an, es sei entscheidend, daß überhaupt eine Schwerbehinderung im Urlaubsjahr bestand. Der Zusatzurlaub muß im Kalenderjahr beantragt und genommen werden, es sei denn, die Voraussetzungen für eine Übertragung in das folgende Jahr liegen vor. (Urt. v. Bundesarbeitsgericht v. 21. 2. 1995 - AZR 675/93) Netzwerk für berufliche Integration von behinderten Menschen Noch immer bereitet die Integration von behinderten Menschen in das Berufsleben Schwierigkeiten. Zahlreiche Projekte und Hilfsdienste wurden gegründet, um bei der Eingliederung von Behinderten Hilfe zu leisten. Nun haben sich die verschiedenen Institutionen und Fachdienste zusammengeschlossen und die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung gegründet. Die Arbeitsgemeinschaft möchte den einzelnen Hilfsorganisationen unterstützende Dienste anbieten, die sich letztlich auch für 491 die Betroffenen auszahlen sollen. Ferner möchte man erfolgreiche Konzepte der Behindertenintegration dokumentieren und veröffentlichen. Schließlich versteht sich die Arbeitsgemeinschaft als Interessenvertreter gegenüber Politik, Verwaltung, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Mehr Informationen zum Thema bei: Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung, Fuhlsbüttler Str. 402, 22309 Hamburg, Tel.: 040-632 5494 / 5, Fax: 040-632 5496. Urlaub für Asthmatiker und Allergiker Zum zweiten Mal erscheint das Verzeichnis von asthma- und allergikergerechten Ferienwohnungen. Die Übersicht von geeigneten Urlaubsunterkünften wurde vom Deutschen Allergie- und Asthmabund e.V. herausgegeben und ist gegen Zusendung von DM 10,- erhältlich bei: DAAB e.V., Ortsverband Berlin-Südost, Orchideenweg 114, 12357 Berlin, Tel. 0306618895. Notizen Hausbesuche im Notfalldienst gehören nach wie vor zu den Kernpflichten des ärztlichen Berufs. Sie sind besonders gewissenhaft durchzuführen und können nur dann verweigert werden, wenn ein weiterer Notfall auftritt. In diesem Fall muß sich der Arzt jedoch genaue Informationen vom Anrufer geben lassen. Reichen diese nicht zu einer Beurteilung aus, muß er den Hausbesuch unverzüglich durchführen. Dies gilt auch, wenn der Patient anbietet, die Praxis aufzusuchen, denn es gibt keinen Grund, den anrufenden Patienten hinzuhalten. (Urteil des Berufsgerichts bei dem Verwaltungsgericht Münster vom 30.11.1994 - 14 K 5116/93) Der Pflegende eines Schwerbehinderten ist dann versicherungspflichtig, wenn er mindestens 14 Stunden wöchentlich nicht erwerbsmäßig die Pflege leistet. Jedoch darf er neben der Pflege keine Erwerbs-tätigkeit ausüben, die mehr als 30 Stunden pro Woche beansprucht. Unter diesen Umständen zahlt die Pflegekasse auf Antrag die Versicherungsbeiträge des Pflegenden in voller Höhe. Das anzurechnende Bruttoarbeitsentgelt hängt von der Pflegestufe ab. Kostenerstattung für medizinisch notwendige Heilbehandlung Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (IV. Zivilsenat) ist ein privater Krankversicherer dazu verpflichtet, die Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung zu erstatten, wenn sie „mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen läßt.“ Leidet der Versicherte an einer unheilbaren Krankheit, für die es zum maßgeblichen Zeitpunkt keine in Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, ist selbst dann von einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung auszugehen, wenn der durchgeführten Behandlung zwangsläufig ein Versuchscharakter zukommt. Im Sachverhalt ging es um eine Aids-Therapie, jedoch dürfte der Grundsatz auch für Krebs und MS Geltung bekommen. (Aktenzeichen: IV ZR 133/95) Seite 13: 492 Schering-Pille Artikel in der Autoimmun 2/96 über das erhöhte Thromboserisiko der Schering-Pille „Femovan“. Es trifft in der Tat zu, daß sich in epidemiologischen Studien eine Verdoppelung des sehr geringen Thromboserisikos unter Einnahme von Pillen mit den Inhaltsstoffen Desogestrel oder Gestoden gefunden hat. Allerdings ist damit nicht gesagt, daß dies tatsächlich ein pharmakologischer Effekt ist. Bei so geringen Risiken (und sie sind selbst bei Verdoppelung noch sehr gering) ist ein Effekt verschiedener Störfaktoren sehr wahrscheinlich. Pillen der „dritten Generation“ galten bei Ärzten als besonders verträglich und wurden daher vermehrt an Frauen verschrieben, die ohnehin ein erhöhtes Thromboserisiko hatten. Dr. Monika Klutz-Specht, Dr. Friederike Weber-Diehl Schering AG, Berlin Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hält mit Schreiben vom 1.7.1996 die Anwendungsbeschränkung für Pillen der dritten Generation aufrecht. Red. MS-Foren im Internet Unter alt.support.mult-sclerosis wird im Internet topaktuell aus dem amerikanischen Sprachraum über MS-Probleme informiert. Das Hauptthema bilden Anamnese- und Therapieberichte (Kostendiskus-sion). Gelegentlich findet man unter Z-Netz.gesundheit.krankheiten in deutscher Sprache MSrelevante Beiträge. Die Einrichtung eines speziellen deutschen Forums ist noch nicht erfolgt, wird aber vorbereitet. Für die telefonkostengünstige Auswertung der Diskussionsbeiträge kann der Freeware-Off-line-Reader FreeAgent von Forte Inc. empfohlen werden. Christoph Gaebel cgth47@t-online.de, Thürmsdorf Kein Beta-Interferon Das im Januar 1996 in Deutschland freigegebene Beta-Interferon konnte mein Arzt nicht mehr verschreiben, weil die Zeit der Verabreichung bei mir schon überschritten war, laut Aussage meines Arztes. Jetzt möchte ich gern das japanische Medikament verordnet bekommen. F. H., Krefeld DMSG und Pharmaindustrie Am 1. Juni 1996 fand in Siegen-Geisweid ein Forum des DRK mit dem Titel „Leben mit Multipler Sklerose“ statt. Mir fiel unter anderem auf, daß und wie die Medikamente Azathioprin (Imurek) und Deoxyspergualin (DSG) miteinander verglichen wurden. Von DSG wurde mit negativen Seitenhieben abgeraten. Azathioprin hingegen wurde in einem positiven Licht dargestellt, obwohl die Nebenwirkungen bei diesem Medikament enorm sind. Dafür wurde mir bei diesem Forum wieder veranschaulicht, wie die Pharmaindustrie und der Ärztliche Beirat der DMSG ihre Interessen durchsetzen. 493 Dieter S., Bad Laasphe Gelungener Artikel Autoimmun 3/96: Vergleich DSG und Beta-Interferon. Ich möchte Ihnen zu dem gelungenen Vergleich von DSG und Beta-Interferon in der letzten Autoimmun gratulieren. Als Angehörige einer MS-Kranken liest man Artikel über neue Medikamente gegen diese grausame Krankheit sehr kritisch. Doch die Sachlichkeit und Objektivität, mit der Sie die beiden Präparate verglichen haben, verdient Anerkennung. Besonders, wenn man bedenkt, daß Sie, verehrter Prof. Franke, eigentlich das DSG in den Himmel heben müßten. Doch durch die Darstellung von Fakten bekommt man ein exaktes Bild über die Therapiemöglichkeiten der Konkurrenten. Wir lassen uns gern weiter mit Autoimmun über MS und andere Autoimmunerkrankungen informieren. Dr. Karin F., Hamburg Ein weiteres Beta-Interferon Sie haben in Autoimmun ja dankenswerterweise häufig über neue Ansätze wie das bereits erwähnte DSG und das Scheringpräparat „Betaferon“ (Interferon-Beta 1b) berichtet und dabei von Vorteilen, aber auch von Nachteilen (Nebenwirkungen) geschrieben. In diesem Zusammenhang wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie etwas über das in den USA am 20. 5. 1996 zugelassene Medikament „Avonex“ schreiben könnten. Es handelt sich bei „Avonex“ offensichtlich um ein Interferon-Beta 1a - Medikament, also nicht wie bei Schering um ein Interferon-Beta 1b - Medikament. Mich interessieren die therapeutischen Möglichkeiten von „Avonex“. Prof. Dr. Michael S.-R., Mainz Der Unterschied zwischen den Interferonen-Beta 1a und 1b liegt vereinfacht gesagt in der Herkunft. Während das Interferon-Beta 1b aus dem Bakterienstamm Eschericha coli gewonnen wird, gewinnt man das InterferonBeta 1a aus Tierzellen. Ein durchgreifender therapeutischer Unterschied bei der MS ist nicht festgestellt worden. Ob das Interferon-Beta 1a mildere Nebenwirkungen hat, muß sich in weiteren Studien zeigen. Seite 14: Lexikon Stichwort: Ozon Oben zuwenig und unten zuviel: Umweltgifte schädigen den Ozonhaushalt der Erde Warnungen vor Gesundheitsschäden durch Veränderungen im Ozonhaushalt vergällen uns alljährlich die Sommermonate. Ozon ist eine Form des Sauerstoffs mit der chemischen Formel O3, also ein unsichtbares, aber hochaggressives Gas. Rund 90 Prozent des Ozons befinden sich in 10 bis 50 Kilometer Höhe (Stratosphäre). Dort übernimmt es eine wichtige Aufgabe. Es hält den schädlichen Teil der ultravioletten Strahlung aus dem Weltall zurück und läßt die lebensnotwendige Licht- und Wärmestrahlung auf die Erde durch. 494 Ozon ist bis zu einer bestimmten Konzentration geruchlos. Die intakte Ozonschicht hielt ca. 90 Prozent der UV-B Strahlung von der Erde ab. Seit einiger Zeit ist bekannt, daß sich dieser schützende Ozongürtel abbaut. Verantwortlich sind Schadstoffe, insbesondere Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) aus Sprays, Kühl- und Reinigungsmitteln. Mit der Verringerung der Ozonschicht wächst die Gefahr einer Schwächung des Immunsystems sowie schwerer Haut- und Augenschäden durch steigende UV-Strahlung. Die USUmweltbehörde befürchtet mit einer Abnahme der Ozonschicht um jeweils 1 Prozent einen Anstieg des schwarzen Hautkrebses um 2 und weiterer Hautkrebserkrankungen um 3 Prozent. Auf der Nordhalbkugel konnte bereits eine Abnahme der Ozonschicht um 2 bis 8 Prozent verzeichnet werden. Schützen kann sich nur, wer direkte Sonnenbestrahlung vermeidet und Sonnenbrände verhindert. Experten raten, sich nicht länger als 5 (sehr hellhäutige) bis 30 (dunkelhäutige Mitteleuropäer) Minuten schutzlos der Sonnenbestrahlung auszusetzen. Wer sich in der Sonne aufhält, sollte sich durch leichte Kleidung und Sonnenschutzmittel mit einem Lichtschutzfaktor von mindestens 15 schützen. Zu beachten ist aber, daß diese erst 30 Minuten nach dem Auftragen ihre Wirkung entfalten. Ärzte sind sich einig: Bräunung der Haut ist eine Abwehrreaktion und kein Zeichen für Gesundheit. Eine andere Gefahr liegt in der steigenden Ozonkonzentration in den unteren Luftschichten („Ozonsmog“). Unter Wärmeeinwirkung verwandeln in den unteren Schichten der Atmosphäre Stickoxide und Kohlenwasserstoffe, beides Schadstoffe aus Abgasen, Sauerstoff zu Ozon. Dieser Anteil bodennahen Ozons nimmt jährlich um rund ein Prozent zu und hat sich bei einem heutigen Mittel von 80 mg seit der Jahrhundertwende vervierfacht. In Ballungsgebieten ist die Konzentration geringer als im Umland, da Ozon seinerseits mit anderen Schadstoffen reagiert und erneut abgebaut wird. Ein hoher Ozongehalt der Atemluft verursacht Hustenreiz, Reizungen von Hals und Rachen oder Augenbrennen sowie eine Verschlechterung der Lungenfunktion, doch sehen neuere Untersuchungen weitere Risiken (siehe nebenstehende Graphik). So, wie die Ozonkonzentration im Sommer ansteigt, gibt es auch an einem mittleren Sommertag je nach Licht und Wärmegrad verschiedene Werte. Zwischen 11.00 und 18.00 Uhr wird die höchste Ozonbelastung gemessen, verstärkt durch Hochdruckwetter und Hitze. Sind die Grenzwerte erreicht, empfehlen Experten empfindlichen Menschen - besonders aber Kindern, Senioren und Asthmatikern -, anstrengende Tätigkeiten zu vermeiden und sich mittags und nachmittags nicht im Freien aufzuhalten. 495 Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Aug. / Sep. ‘96 So, 4. August, 18.15 Uhr, ZDF: ML Mona Lisa Diagnose Brustkrebs 496 Jährlich müssen 42.000 Frauen mit der Diagnose Brustkrebs fertig werden. Bei der Tumor-Vorsorge herrschen beängstigende Zustände. Radiologen und Pathologen mangelt es an Erfahrung. Nahezu jede vierte Diagnose mußte von Zweitgut-achtern korrigiert werden. Mo, 5. August, 6.00 Uhr, N3 : Die Sprechstunde Naturheilkunde bei Wechseljahrsbeschwerden Moderation: Dr. Antje-Katrin Kühnemann (Wiederholung). Di, 6. August, 13.45 Uhr, N3: Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik Fleming, Florey, Chain und das Penicillin. Di, 6. August, 21.00 Uhr, N3: N3-Ratgeber: Die Wunderpillen – Schutz oder Schaden für Millionen? Mehr als 700 Millionen Mark jährlich sind uns inzwischen Wunderpillen wert: Vitamine, Spurenelemente und Hormone. Über die Nützlichkeit solcher Pillen gibt es widersprüchliche Studien, unterschiedliche Expertenmeinungen und verunsicherte Verbraucher. Noch nie schien es so leicht wie heute, eine ungesunde Lebensweise und Risikofaktoren durch zusätzliche Pilleneinnahme auszugleichen. Kompetente Gäste werden im Studio eine kontroverse Diskussion führen. Mi, 7. August, 20.15 Uhr, B1: QuiVive-Forum Diabetis - eine Krankheit wird normal. Durch die SFB-Sendung führt Eckart Schibber. Mi, 7. August, 20.15 Uhr, BR: Forscher – Fakten – Visionen Das BR-Wissenschaftsmagazin Do, 8. August, 12.00 Uhr, WDR: Tele-Praxis Was tun bei chronischen Schmerzen? Fr, 9. August, 15.30 Uhr, 3sat: Visite – Gesundheit im Alltag Themen: - Vitiligo - die Weißfleckenkrankheit, etwa jeder hundertste Bundesbürger leidet an der juckenden und schmerzenden Hautkrankheit. - Das übergewichtige Kind; - Furunkel/Karbunkel; - Jet-lag und Flugangst. Mo, 19. August, 17.30 Uhr, N3: Pflanzen, Heiler und Dämonen Die Maya-Heiler, Totzil (Mexiko) Mi, 21. August, 20.15 Uhr, BR: Was wächst im Garten der Gentechnik? Mi, 21. August, 21.00 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis Folgende Themen sind geplant: - Anabolika: der todkranke Adonis - Vom Wunderkind zum Wunschkind 497 Mo, 26. August, 17.30 Uhr, N3: - Pflanzen, Heiler und Dämonen - Der heilende Kaktus Di, 27. August, 13.45 Uhr, N3: Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik Die Nervenzelle - Santiago Ramon y Cajal Di, 27. August, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde Fr, 30. August, 21.15 Uhr, ZDF: Reportage Buch-Tip Medizin und spannnende Unterhaltung in einem. Wie das geht? Der Londoner Journalist Patrick Lynch zeigt es mit seinem Roman „Ground Zero“. Das Thema: Ein doch nicht so unbekanntes Virus fordert Opfer und wird zu einer ernsthaften Bedrohung für das menschliche Immunsystem. Wir lernen etwas über Antigene, unsere genetische Struktur und die Virologie. Ein intelligenter Wissenschaftskrimi, der in seiner Präzision und Hintergründigkeit den VirusThriller „Out-break“ weit übertrifft. „Ground Zero“ (557 S.) von Patrick Lynch ist im Münchner Limes Verlag erschienen und kostet 44 Mark. 8.17 „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1996 Seite 3: Ein kleines Jubiläum ist es schon, wenn wir Ihnen die 20. Autoimmun vorlegen dürfen. Dazu gestatten wir uns einen kurzen Rückblick. Im Sommer 1993 falteten wir noch eigenhändig die erste Ausgabe in München. Sie entstand, weil Tausende von Anfragen und Briefen aus aller Welt bei Prof. Dr. Niels Franke auf Antwort warteten. Sie hatten alle ein gemeinsames Anliegen: MS-Patienten wollten Informationen über Frankes Selbstversuch mit dem damals neuen japanischem Medikament DSG erhalten. Und wir bemerkten einen weitergehenden Bedarf nach grundsätzlichen Informatio-nen zur Multiplen Sklerose und dem weltweiten Forschungsstand. Keiner klärte die Patienten auf, keiner zeigte ihnen Therapieange-bote und keiner nahm ihre Anliegen ernst. So begannen wir mit unserer Arbeit. Wir stellen seitdem Fragen an Ärzte, Pharmakonzerne, Politiker und Patientenvertretungen – auch unbequeme Fragen. Wir suchen weltweit in Universitäten und Kliniken nach neuen Entwicklungen. Bei unserer Tätigkeit lernen wir immer wieder Neues, im Gegensatz zu anderen, die der Meinung sind, sie wüßten bereits alles. Dies gibt uns auch die Motivation, trotz vieler Widerstände weiterzumachen. Inzwischen verbinden wir unsere Arbeit auch mit Berichten über die Therapie- und Forschungslage zu anderen Autoimmunerkrankungen. Um unsere redaktionelle Unabhängigkeit zu bewahren, haben wir uns entschlossen, Anzeigen aus dem Pharmabereich nicht in das Heft zu nehmen. 498 Auch das unterscheidet uns zu vielen Blättern, die sich um Ihre Gesundheit bemühen wollen. Dagegen fühlen wir uns durch Werbung, die keine Verbindung zur Medizin aufweist, nicht beeinflußt. Somit können wir für Sie – liebe Leser – auch in Zukunft medizinische Entwicklungen kritisch im Blick behalten und Sie darüber informieren. Ihre Redaktion Autoimmun Nach Redaktionsschluß… … meldet der Wissenschaftler Dr. Jean Roudier vom Laboratoire d'ImmunoRhumatologie, Faculte de Medecine de Marseille (Frankreich) neue Erkenntnisse über die Krankheitsentstehung der rheumatoiden Arthritis. Dabei scheint das Hitzeschockprotein 73, das sich bei der rheumatoiden Arthritis an immunrelevante Zellen (MHC-Moleküle) bindet, für die Krankheit verantwortlich zu sein. Bereits seit den 70er Jahren sei bekannt, daß Rheumapatienten mit einer bestimmten MHC-Konstellation sehr anfällig für diese Autoimmunkrankheit sind, schreibt die „Ärzte Zeitung“. Und genau in diesen Fällen könnte das Hitzeschockprotein 73 den Verlauf der rheumatoiden Arthritis ungünstig beeinflussen. Um den Verlauf der rheumatoiden Arthritis zu stoppen, müsse man ein Medikament geben, das wiederum das Hitzeschockprotein 73 bindet und damit die Krankheit verhindert. Nach Ansicht von Roudier besäße diese Eigenschaft das Multiple SkleroseMedikament Deoxyspergualin. „Die Hälfte der modernen Medikamente könnte man aus dem Fenster werfen, wenn man nicht Angst um die Vögel haben müßte.“ Martin Henry Fischer Seiten 4 und 5: Was ist Elektrosmog und wie wirkt er? Bisher wurden gesundheitliche Schäden durch Elektrosmog unterschätzt. Doch neue Hinweise zeigen, daß die unsichtbaren Wellen unseren Körper beeinflussen. Die Folgen können von Schlaflosigkeit bis Krebs reichen. Mein Anrufbeantworter steht zwischen zwei Computern. Wenn ich die Ansage ändern will, muß ich die Computer abschalten, sonst nimmt der Anrufbeantworter nichts auf. „Störstrahlung“, sagte der Ser-vicetechniker trocken, „damit müssen Sie leben.“ Magnetische und elektromagnetische Felder von Mikrowellengeräten, Fernsehern, Mobiltelefonen, Hochspannungsleitungen, Sendemasten, Eisenbahntrassen (Transrapid!) und aus zahllosen anderen Quellen können nicht nur elektronische Steuerungen durcheinanderbringen. Sie beeinflussen auch biologische Abläufe im menschlichen Körper. Wie das geschieht, konnte bisher nicht befriedigend geklärt werden; die Hinweise sind aber so vielfältig und so häufig, daß Elektrosmog als Bestandteil der Umweltverschmutzung nicht mehr bestritten werden kann. Was ist Elektrosmog? Dieser etwas verwaschene Begriff bezeichnet die in elektrischen „Feldern“ herrschende, die Umgebung des Feldes beeinflussende Kraft. Physiker unterscheiden zwischen elektrischen Feldern im engeren Sinn (hier geht die Kraft von elektrischen Spannungen aus, ohne daß ein Strom 499 fließen muß – etwa bei ausgeschaltetem Gerät) und magnetischen Feldern (hier fließen Ströme). Elektrische Felder werden in Volt pro Meter (V/m) gemessen, magnetische Felder in Mikrotesla (µT). Elektrische Felder werden von allen leitenden, geerdeten Materialien gebremst (von Hauswänden zum Beispiel), magnetische Felder durchdringen beinahe alles und sind mit normalem Aufwand nicht abzuschirmen. Dann gibt es noch eine dritte Kategorie, die elektromagnetischen Felder. Sie werden mit hoher Frequenz von Antennen ausgesendet, ihre elektrischen und magnetischen Komponenten sind unauflösbar miteinander verbunden. Gemessen werden sie in Watt pro Quadratmeter (W/m2). Diese Definitionen sind wichtig, um Meldungen über Elektrosmog interpretieren und einordnen zu können. Für die Vorbeugung gegen Elektrosmog haben sie keine große Bedeutung – denn an beinahe jedem Ort in einem Industrieland schwirren alle Felder gleichzeitig durch die Luft. Das Ergebnis ist Elektrosmog. Wir wirkt Elektrosmog? Alle lebenden Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen sind elektrisch geladen. Ohne diese Ladung könnten keine Reize weitergeleitet werden, könnte das Gehirn nicht arbeiten, könnte keine Nahrung ins Innere der Zellen gelangen, könnte sich kein Muskel zusammenziehen, könnten die Organe ihre Arbeit nicht aufeinander abstimmen. Von außen einwirkende künstliche elektrische und magnetische Felder können die natürliche Ladung der Zelle leicht durcheinanderbringen. Meldungen über Gesundheitsschäden kommen aus aller Welt Über einen möglichen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern (EMF) und Krebs bei Kindern berichten Studien aus vielen Ländern seit Ende der siebziger Jahre. Meinert (Inst. f. Med. Statistik Univ. Mainz) hält „verschiedene Hinweise auf eine Assoziation zwischen EMF und Krebserkrankungen, speziell Leukämien, bei Kindern“ für unübersehbar. Bei polnischen Soldaten zwischen 20 und 49 Jahren, die hoher EMF-Belastung ausgesetzt waren, fand Szmigielski (Militärinstitut für Hygiene in Warschau) ein auf das achtfache erhöhtes Risiko für Lymphome und Leukämien. Auch Tumoren in Gehirn, Speiseröhre, Dick- und Enddarm traten häufiger auf. Hocking (Melbourne/Australien) berichtet über eine Verdoppelung des Leukämierisikos bei Kindern, die zwischen drei TV- und Radiosendetürmen leben. Der Allgemeinarzt Egbert Kutz aus Vollersode (Kreis OsterholzScharmbeck bei Bremen) hat unter seinen Patienten eine etwa fünffache Erhöhung der Hirntumorrate festgestellt, die er mit einer Radaranlage der Bundeswehr und einem Funkturm der Telekom in Verbindung bringt. Die sogenannte Niedersachsenstudie zu EMF und Leukämie bei Kindern (Michaelis, Grigat u. a., Pressekonferenz TU Braunschweig vom 8. 2. 1996) ergab weitere Hinweise darauf, „daß ein schwacher Zusammenhang zwischen der häuslichen Exposition durch starke elektromagnetische Felder und Krebserkrankungen bestehen könnte.“ Die Wohnungen von 129 Kindern mit Leukämie und 115 mit soliden Tumoren in Nervensystem, Nieren und Weichteilen wiesen durchschnittlich höhere Feldstärken auf als die Wohnungen gesunder Kinder, allerdings waren die Unterschiede nicht extrem. Aus der Schweiz kommt eine neue Untersuchung über Schlafstörungen und andere psychovegetative Beschwerden durch den Kurzwellensender Schwarzenburg. Nach Protesten aus der Bevölkerung ließ das Institut für 500 Sozialmedizin der Universität Bern die drei Antennen des Senders nach dem Zufallsprinzip umstellen und abschalten, gleichzeitig führte eine Stichprobe aus der Bevölkerung dreimal zehn Tage lang Protokoll über Befindlichkeit und Schlafqualität. Eindeutiges Ergebnis: Je dichter der Wohnort am Sender lag, je größer die Feldstärke war, desto mehr Menschen klagten über Beschwerden wie Schlafstörungen, Nervosität, Mattigkeit, Kopfschmerzen, kurz: psychovegetative Störungen. Von EMF erzeugte Schlafstörungen wurden in mehreren Tierexperimenten als Störung des Melatoninhaushaltes interpretiert. In der Schweizer Studie jedoch fand sich eindeutig kein Zusammenhang zwischen Kurzwellenstrahlung und Melatoninproduktion. Melatonin ist ein Neurohormon, das nachts von der Epiphyse (Zirbeldrüse) erzeugt wird und über den Hypothalamus für einen gleichmäßigen Gang der „inneren Uhr“ des Menschen sorgen soll. Im Tierversuch hemmten starke elektromagnetische Felder den natürlichen nächtlichen Anstieg der Melatoninkonzentration. Bei der Entstehung und Bekämpfung von Krebs spielt Melatonin mit Sicherheit ein Rolle: Killerzellen werden stimuliert, hormonabhängige Tumoren wie Brustkrebs werden gehemmt. Verschiedene Autoren beobachteten einen Melatoninmangel bei depressiven Patienten. Schäden an der Erbinformation Die Trägersubstanz der Erbinformation, die DNS, kann im Magnetfeld teilweise oder komplett brechen. Im Gehirn soll schon die Strahlung von Mobiltelefonen DNS-Brüche auslösen können. Bei Schäden an der DNS setzen Reparaturmechanismen ein; sind diese Mechanismen aber gestört, kann ein DNS-Schaden zur Entwicklung von Krebs führen. Die meisten Berichte über schwere Erkrankungen durch Elektrosmog haben einen gemeinsamen Mangel: Sie können nicht experimentell nachgeprüft werden. Denn das würde vermutlich heißen, eine Patientengruppe bis zum Auftreten der Erkrankung starken elektromagnetischen Feldern auszusetzen und die Kontrollgruppe davon zu verschonen. Eine experimentelle Nachprüfung ist meist nur im Tierversuch möglich. Befunde an Menschen können nur epidemiologisch und im Nachhinein interpretiert werden. Diese Lücke in der Beweisführung läßt sich erst schließen, wenn die einzelnen Schritte des Wirkmechanismus von elektromagnetischen Feldern auf Körperzellen im Labor aufgeklärt sind. Wie kann man sich vor Elektrosmog schützen? Gegen magnetische Felder ist wenig zu machen. Am ehesten können Verbraucher etwas unternehmen gegen vermeidbare elektromagnetische Felder, die im eigenen Haushalt entstehen. Das einfachste Mittel ist immer das beste: Stecker rausziehen, wenn das Gerät nicht gebraucht wird. Nachtspeicherheizungen und Sicherungskästen gehören nicht ins Schlafzimmer. Den beliebten NiedervoltHalogenlampen samt Trafo sollte man sich auf höchstens einen Meter nähern. Dasselbe gilt für Leuchtstoffröhren, einschließlich Energiesparlampen. Fernseher im Schlafzimmer oder Modelleisenbahnen im Kinderzimmer nicht nur ausschalten, sondern nachts den Stecker raus. Radiowecker zur Sicherheit anderthalb Meter vom Kopfende des Bettes aufstellen. Nach Dauergebrauch von elektrischen Heizdecken ist der begründete Verdacht entstanden, daß Fehlgeburten, Leukämie bei Kindern, Hodenkrebs und Brustkrebs an Häufigkeit zunahmen. Zwischen Arbeit an Industrie- 501 Nähmaschinen und Alzheimer besteht ein Zusammenhang, Frauen waren häufiger betroffen als Männer. Alle Ratschläge lassen sich einfach zusammenfassen: Möglichst großen Abstand halten von EMF-Quellen, elektrische Geräte nur zum Gebrauch einschalten und so lange wie möglich vom Netz getrennt lassen. Wer sich gegen Störungen durch Hochspannungsleitungen oder Sender wehren will, sollte sich lieber kein eigenes Meßgerät kaufen, sondern ein fachlich versiertes Umweltlabor mit der Messung beauftragen. Dr. Jörg Feldner Literaturempfehlung Seit April 1995 gibt das nova-Institut Köln einen „Elektrosmog-Report“ als Beilage des monatlich erscheinenden Informationsdienstes „Strahlentelex“ heraus. Bezugsquelle: Thomas Dersee, Rauxeler Weg 6, 13507 Berlin. Der „Elektrosmog-Report“ richtet sich vorwiegend an Fachleute aus Technik und Medizin. Eine fachlich ausgezeichnete und gleichzeitig gut lesbare Broschüre über Entstehung und Wirkung von Elektrosmog ist als Gemeinschaftspublikation der Verbraucherzentralen Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen erschienen: „Wir reden über Elektrosmog“, 76 Seiten, 8,- DM plus 3,- Porto oder im Buchhandel (ISBN 3-923760-62-0). Seite 6: Krebs durch Imurek? Gegen viele Autoimmunerkrankungen wird der Wirkstoff Azathioprin eingesetzt. Bei MS ist die Meinung geteilt, ob Azathioprin (Imurek) sinnvoll ist. Die Ergebnisse einer neuen Studie geben den Kritikern Recht: Auch in niedrigen Dosen ist die Substanz krebserregend. Ursprünglich wurde Azathioprin zur Behandlung von Abstoßungskrisen nach Organtransplantationen zugelassen. Wenn sich der Körper gegen das neue Herz, Lunge oder Leber wehrte, wurde das Immunsystem soweit unterdrückt, daß die Abstoßung relativ beherrschbar wurde. Heute stehen den Ärzten neue und weniger giftige Substanzen zur Verfügung, in Zukunft wird sich die Lage weiter verbessern. Bei der Therapie von Autoimmunkrankheiten (z.B. Multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis, Lupus erythematodes und anderen) versucht man mit Azathioprin durch die Vergiftung und Schwächung des Immunsystems, eine Verringerung der gegen den eigenene Körper gerichteten Aktivität zu erzielen. Dabei galt Azathioprin lange als Mittel mit einer aussichtsreichen Perspektive. Das Therapeutikum geht mit dem eigenen Körper radikal um. Azathioprin greift in die DNS-Synthese und den Zellzyklus ein. Die Folge davon ist eine reduzierte Produktion von Antikörpern und bestimmten T-Zellen. Die maximale Wirksamkeit entwickelt das Präparat nach drei bis sechs Monaten Therapie. Als optimale Dosierung werden 2-3 mg pro Kilogramm Körpergewicht am Tag empfohlen. In Deutschland wird der Wirkstoff von fünf verschiedenen Pharmaunternehmen nach Ablauf des Patentschutzes angeboten. Dabei ergibt sich eine recht stolze Preisspanne von rund 100,- DM pro 100 Tabletten zu 50 mg. 502 Trotz der vielen Erkenntnisse über Azathioprin ist es verwunderlich, daß einige elementare Voraussetzungen für die Anwendung bei Autoimmunerkrankungen in der Praxis nicht berücksichtigt wurden. Bei der MS-Therapie ist der Einsatz schon erstaunlich, berücksichtigt man, daß der Wirksamkeitsnachweis nie erbracht worden ist. In 22 weltweit durchgeführten Studien wurde dies versucht. In der bekanntesten, der an 354 Patienten durchgeführten British-Dutch-Study, wurden nach vier Jahren Einnahme keine klinisch relevanten Ergebnisse gemessen. Dies veranlaßte den Wissenschaftler R. Huhes 1994 zu der Feststellung: „Ich würde Azathioprin nur bei einer sehr kleinen Minderheit von Patienten mit einem frühen aggressiven schubförmigem Verlauf einsetzen.“ Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Liste der festgestellten Nebenwirkungen scheint fast unerschöpflich zu sein, sogar von der Auslösung schwerer Schübe wird berichtet. Im einzelnen wurden beobachtet: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Entzündung an der Bauchspeicheldrüse, Leberschaden, Blutungen, Blutarmut, Verminderung der weißen Blutkörperchen, Herzrhythmusstörungen, schwere Infektionen, Schwindel, allergische Reaktionen, Kreislaufkollaps, Atemnot, Muskelentzündungen, Kribbeln in den Gliedern, Schmerzen und vieles mehr. Damit aber noch nicht genug. Der Schweizer Wissenschaftler Prof. Dr. Ludwig Kappos beschwichtigte 1990 noch die Fachwelt mit einer Studie, wonach er keine nachweisbar erhöhte Anzahl von bösartigen Geschwülsten bei Azathioprin-Patienten während einer Langzeitbeobachtung feststellen konnte. Das Ergebnis einer aktuellen Studie von französischen Wissenschaftlern aus Lyon sieht den Sachverhalt anders. Danach gibt es sehr wohl ein erhöhtes Krebsrisiko während der Therapie mit Azathioprin bei Multipler Sklerose. Interessant ist dabei – im Gegensatz zu älteren Thesen –, daß auch bei niedrigen Dosierungen ein erhöhtes Krebsrisiko besteht. Mit zunehmender Dauer der Einnahme steigt das Krebsrisiko an. Die Studie ermittelte Krebserkrankungen der Brust, Gebärmutter, Niere, Lunge und Haut. In Anbetracht dieser neuen Erkenntnisse sollte der Umgang mit Azathioprin vermieden werden. Seite 7: Neues aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zusammengefaßt Kollagen bei rheumatoider Arthritis: begrenzte Wirkung – Forschung soll fortgesetzt werden Die Wirksamkeit von Kollagen (Typ II, oral) bei rheumatoider Arthritis wurde von einer Forschergruppe des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin im Rahmen einer Doppelblindstudie untersucht. An dieser Studie nahmen 90 Patienten teil. Vorausgesetzt wurde unter anderem, daß die Patienten erst in einem Frühstadium erkrankt waren. Die Erstdiagnose sollte nicht älter als drei Jahre sein. Die Patienten wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Jeweils 30 Patienten erhielten 12 Wochen lang täglich 1 oder 10 mg Kollagen (Typ II, oral), die restlichen Probanden bekamen ein wirkungsloses Placebo. Die Auswertung ergab, daß kein nachweisbarer Unterschied zwischen den drei Gruppen festgestellt werden konnte. Allerdings wurde in den KollagenGruppen eine gute bis sehr gute Ansprechrate beobachtet, die jedoch 503 statistisch nicht ausreichte. 14 Patienten beendeten die Studie vorzeitig: Zwei wegen Nebenwirkungen (Übelkeit) und 12 wegen einer fehlenden Wirkung. Die Ergebnisse rechtfertigen weitere Untersuchungen, so die Wissenschaftler, um zu erkennen, welche Patienten von dieser Therapie profitieren können. Gute Ergebnisse im Tiermodell: Rolipram jetzt bei MS gefordert Neurologen der Universität Tübingen fordern den Einsatz von Rolipram im Rahmen einer Studie bei MS-Patienten. Die Substanz, ursprünglich als Antidepressivum untersucht, wurde bereits beim Tiermodell der Multiplen Sklerose (EAE) mit Erfolg getestet. Rolipram unterdrückt die Bildung des Tumur-Nekrose-Faktors alpha, von Lymphotoxin und schließlich auch Gamma-Interferon. Genau diese Zytokine spielen vermutlich eine wesentliche Rolle beim MS-Entzündungsprozeß und dem Verlauf der Krankheit. Europäische Datenbank für MS Wissenschaftler der Universität Würzburg stellten die europäische Datenbank für MS EDMUS vor. Das computergestützte System erfaßt die Daten der registrierten Patienten und bietet den Anwendern einen schnellen Zugriff darauf. In diesem Zusammenhang sind weitere Studien geplant. Unter anderem soll der Einfluß von Schwangerschaften auf die MS untersucht werden, aber auch weitere, den klinischen Verlauf einer MS beeinflussende Faktoren sollen ermittelt werden. Wieder Transplantationssubstanz gegen Autoimmunkrankheiten Wissenschaftler des Institute of Rheumatology, Women's Medical College in Tokio, Japan untersuchten erneut die in Japan zugelassene Substanz Mizoribin (Handelsname „Bredinin“) bei Lupus erythematodes und rheumatoider Arthritis. Das seit Jahren bekannte Medikament verbesserte den Zustand der Patienten nachhaltig. Bredinin ist in Deutschland nicht zugelassen. Vor rund 10 Jahren wurde eine klinische Erprobung in Deutschland eingestellt. Nach den vorliegenden neuen Ergebnissen sollte man die Abwehrhaltung überdenken. Neuer Magnet-Stimmulator gegen Spastizität dem alten überlegen Neurologen des Aarhus Universitätshospitals in Dänemark testeten einen neuen Hochfrequenz- Magnet-Stimmulator zur Behandlung der Spastizität bei MS-Patienten. Das Modell mit dem Namen Labmag ist dem Vorgängergerät MagPro in den wesentlichen technischen Daten überlegen. Allerdings fehlen immer noch Beweise dafür, daß dieses Verfahren einen Erfolg bei der symptomatischen Therapie der Spastizität hat. Verschlechterung durch Überdosis von 4-Aminopyridin Ärzte der Notfallaufnahme des Vancouver Hospital und Health Science Centers (Kanada) berichten über atypische Nebenwirkungen nach Einnahme einer Überdosis von 4-Aminopyridin. Bei diesem Präparat handelt es sich um einen Kaliumkanalblocker, der verschiedentlich in der MS-Therapie eingesetzt wird und die Nervenleitfähigkeit beeinflußt. Der Wirkstoff ist in Deutschland zur Therapie der MS nicht zugelassen. 504 Die kanadischen Ärzte beobachteten bei einem Patienten nach Einnahme einer Überdosis von 4-Aminopyridin eine fortschreitende Verschlechterung der Gehfähigkeit. Ferner stellten die Mediziner fest, daß eine Störung des Spannungszustandes von Muskeln und Gefäßen entstand. Neue Warnung vor Beta-Interferon Im Fachblatt Nervenarzt erinnern Neurologen an die erhöhte Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung vor der Therapie mit Beta-Interferon bei MS. Insbesondere sollen Ärzte auf die mangelnde Wirkung und die starken Nebenwirkungen, die dann mit einer großen Zahl anderer Arzneien behandelt werden, hinweisen. Seite 8: Tonnenschwere Müdigkeit Schwere erdrückende Müdigkeit ist ein typisches Symptom für die Multiple Sklerose. Aber auch Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen können darunter leiden. Mit einem seit Jahren bekannten Wirkstoff läßt sich jetzt die Müdigkeit erfolgreich behandeln. „Es ist zum verzweifeln. Jeden Tag das gleiche Ritual. Nach dem Mittagessen überkommt mich die Müdigkeit, so daß ich mich kaum mehr auf den Beinen halten kann“, klagt die beruftstätige Sabine H. Sie leidet unter MS. Das schnelle Ermüden mit anschließender Erschöpfung ist durchaus ein typisches Symptom der Krankheit. Häufig wird dieses Krankheitszeichen selbst von den Fachärzten unterschätzt. So auch bei Sabine H., deren Neurologe eine psychologische Ursache aufgrund ihrer Belastungssituation vermutete. Dies alleine reicht für eine Erklärung nicht aus, denn bis zu 88 Prozent aller MS-Patienten leiden meistens in den Nachmittagsstunden unter zunehmender Schwäche, Erschöpfung, geistiger Trägheit und Schläfrigkeit, wie eine Studie jüngst ermitteln konnte. Daß MS-Müdigkeit zu einem schweren Begleitsymptom der Krankheit zu zählen ist, bewiesen 1995 israelische Wissenschaftler vom Department of Neurology der Universität in Tel Aviv. Sie verglichen MS-Patienten, die unter permanenter Müdigkeit litten, mit Patienten des chronischen Müdigkeitssyndroms (chronic fatigue syndrome, CFS). Mit Hilfe eines sogenannten Müdigkeits-Index, der im wesentlichen die Muskeltätigkeit mit berücksichtigte, wurden die Werte der Versuchsteilnehmer ermittelt. Dabei stellte sich heraus, daß der MüdigkeitsIndex bei MS-Patienten deutlich höher lag als bei den an chronischem Müdigkeitssyndrom erkrankten Menschen. Solange die eigentlichen Ursachen der MS nicht geklärt sind, lassen sich die Gründe des MS-Müdigkeitssymptoms schwer ermitteln. In der Fachwelt diskutiert man Schmerzen als Ursache für die Erschöpfung. Aber auch über psychologische Hintergründe, wie Depressionen, wird nachgedacht. Etwas klarer nachvollziehbar ist die These von der Medikamenteneinnahme, die eine Müdigkeit verursacht. Berücksichtigt werden auch Anämie und Infektionen, doch konkrete Nachweise liegen bisher nicht vor. Die Therapie der MS-Müdigkeit sollte nicht mit Stimmulanzien, Drogen und ähnlichen Präparaten erfolgen. Ob das zur Zeit im Test befindliche 4-Aminopyridin ein 505 erfolgreiches Mittel sein wird, hängt von den Untersuchungsergebnissen ab. Gute Erfolge ließen sich mit dem Wirkstoff Amantadin erzielen. Amantadin-Therapie bei der MS- typischen Müdigkeit Ursprünglich zählte Amantadin zu der Gruppe der Virostatika (zyklische Amine), die bei virusbedingten Infektionen (z.B. Influenza-Virus A) eingesetzt wurden. Sehr viel später wurde es als Parkinsonmittel entdeckt und bei Restsymptomen nach Gehirnoperationen verwendet. Die Wirkung basiert im wesentlichen auf der Verhinderung der Ablagerung, Vermehrung und Reifung von Viren. Bei der Parkinsonanwendung erreicht Amantadin im Rahmen einer Monotherapie eine Besserung der Gesamtsymptomatik zwischen 20 und 30 Prozent. Wegen des Zytostatika-ähnlichen Effektes kann es zu Nebenwirkungen kommen. Bei 1 bis 5 Prozent der Parkinson- und Influenza-Patienten kommt es nach der Einnahme u.a. zu Ataxie und Schlafstörungen. Bei 5 bis 10 Prozent der Behandelten wurde Schwindel beobachtet. In einer 1995 an der State University of New York (MS Comprehensive Care Center) durchgeführten Studie wurde untersucht, ob Amantadin im Vergleich zu Placebo und dem Wirkstoff Pemolin das MS-Symptom Müdigkeit wirkungsvoll beseitigen kann. Pemolin, ein Psychoanaleptika zur Behandlung von Leistungs- und Antriebsschwäche, steht auf der „Doping-Liste“ und wird verbotenerweise von Sportlern zur Leistungsstimulanz verwendet. Im Ergebnis erreichte Amantadin – gemessen an der „fatigue severity scale (FSS)“ – eine 79prozentige Verbesserung der MS-typischen Müdigkeit. Pemolin konnte keine nachweisbare Verbesserung im Vergleich zu Placebo bewirken. Neurologische Symptome haben sich während der Therapie mit Amantadin nicht verschlechtert. Amantadin ist in Deutschland rezeptpflichtig. Die Dosierung sollte mit 100 mg beginnen und nach vier bis sieben Tagen auf den wirksamen Bereich von 200 bis 400 mg „eingeschlichen“ werden. Der Wirkstoff wird von mehreren Pharmaunternehmen angeboten, die jedoch leider sehr unterschiedliche Preise für das Medikament nehmen, ein Vergleich kann sich lohnen. Eine Therapie sollte mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Seite 9: Bald keine Placebostudien mehr bei MS? Noch immer ist der Maßstab jeder Medikamentenzulassung die Placebokontrollierte Doppelblindstudie. Dabei stellen sich neben den ethischen Problemen auch Kostenfragen. Mit einem neuen Modell versuchen Wissenschaftler anhand der progressiven Multiplen Sklerose, dieses Verfahren bald überflüssig zu machen. „Zwei Jahre lang habe ich ein Scheinmedikament erhalten. Vor kurzem sagte man es mir endlich. Zu Beginn der Studie konnte ich noch laufen, jetzt nicht mehr!“ So wie Dieter L. aus Lüneburg fühlen sich viele Teilnehmer von klinischen Studien betrogen. Sie gehen zwar freiwillig zu den Medikamententests, denn sie erhoffen sich eine Verbesserung ihre Krankheit. Wer aber zwei Jahre oder länger eine wirkungslose Substanz schluckt, der 506 riskiert nicht nur eine Verschlechterung seines Zustands, sondern darf andere Therapien nicht beginnen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Besonders MS-Patienten gehen ein hohes Risiko ein, wenn sie an sogenannten Doppelblindstudien teilnehmen. Weder Patient noch behandelnder Arzt wissen, ob ein wirksames Präparat oder ein Placebo verabreicht wurde. Diese Form von Arzneimittelprüfung ist für die Zulassung einer Arznei Voraussetzung. Ohne Doppelblindstudie geht es nun einmal nicht. Doch jede Regel hat ihre Ausnahme. So lassen sich schwerlich Placebos bei Krebskranken einsetzen, man stößt dort an ethische Grenzen. Auch bei Transplantationen wäre es kaum möglich, dem Körper etwas vorzumachen. Hingegen hält man viele Autoimmunerkrankungen für nicht so schlimm, als daß man den Erkrankten nicht doch die Placebo-Tortour abverlangt. Rheuma, Lupus und MS zählen zu den „erträglichen Krankheiten“, wie es jüngst ein Pharmaberater erklärte. Da diese Auffassung auch von den Spitzenkräften der Neurologie vertreten wird, ist das Verfahren zu einem non-plus-ultra geworden, an dem sich alle neuen Medikamente messen lassen müssen. Rege Kritik an diesen Placebo-Studien wird aber häufig von Wissenschaftlern geäußert. Sie halten diese Verfahren für nicht aussagekräftig. Zudem tauchen immer wieder ethische Bedenken auf, wenn chronische und bislang unheilbare Krankheiten Gegenstand einer Doppelblindstudie werden. Letztlich ist es für den Pharmaunternehmer, der sein Produkt vermarkten möchte, auch eine Kostenfrage. Umständliche Placebo-Studien kosten sehr viel Geld. So kostete die Studie mit Deoxyspergualin bei Multipler Sklerose rund 20 Mio. Mark. Nun haben sich Wissenschaftler aus den USA und Kanada (Mayo Klinik und University of Western Ontatrio) die Mühe gemacht, 427 Placebo-Daten aus vier großen Doppelblindstudien auszuwerten. Dabei ging es um die Entwicklung einer Methode, die die Zahl der Placebo-Patienten verringern oder gar ausschließen könnte. Einbezogen wurden nur progressive MS-Fälle aus zwei Azathioprinstudien, einer Cyclosporin A-Studie und einer Untersuchung mit dem Wirkstoff Cyclophosphamid. Man konzentrierte sich nur auf die Daten der Placebo-Patienten. Dabei stellte man ein Modell auf, das zukünftige Studien auch ohne Placebo zulassen würde. Der von den Wissenschaftlern überprüfte Placeboverlauf bezieht alle wesentlichen MSFaktoren ein. Das Modell geht von einer wahrscheinlich rund 31prozentigen Verschlechterung auf der EDSS-Skala im Laufe von zwei Jahren ohne Behandlung aus. Hoffentlich kann man den Placebopatienten diese Zeit bald ersparen? Seiten 10 und 11: Hoffnung für Millionen Interview mit Autoimmun-Herausgeber Prof. Dr. med. Niels Franke über sein kürzlich erschienenes Buch und seine neusten Erkenntnisse zu Deoxyspergualin und der Therapie von Autoimmunkrankheiten Autoimmun: Sie haben ein neues Buch geschrieben. Was ist Ihr Ziel? Franke: Meine Absicht besteht darin, auf drei Dinge aufmerksam zu machen: Erstens auf den Umgang des Medizinbetriebes mit Patienten, die an lebenslangen unberechenbaren Autoimmunerkrankungen leiden; zweitens 507 auf die Behandlung der Substanz 15-Deoxy-spergualin (DSG) durch die sogenannten medizinischen Experten und die pharmazeutische Industrie. Drittens möchte ich weitere Zukunftsperspektiven für die Entwicklung wirksamer Therapien aufzeigen. Schließlich betrifft das auch meine weitere persönliche Arbeit. Autoimmun: Wo sehen Sie Unzulänglichkeiten im bestehenden Medizinbetrieb? Wo liegen die Ansatzpunkte Ihrer Kritik? Franke: Unser Medizinbetrieb ist darauf eingestellt, akute medizinische Probleme schnell zu lösen. Beispiele hierfür sind operative Maßnahmen (Organtransplantationen, Antibiotikabehandlungen u.a.). Bei Patienten mit chronischen Erkrankungen (z.B. Multipler Sklerose) kann schnelle – grundsätzliche – Hilfe nicht geleistet werden. Autoimmun: Wie könnte man Ihrer Ansicht nach Patienten mit chronischen Erkrankungen besser und gezielter helfen? Franke: Die Behandlung von chronischen Erkrankungen heißt auch immer Hilfe zur Selbsthilfe. Dies bedeutet, den Patienten als eigenverantwortliche Persönlichkeit zu achten und auch so zu behandeln. Seine subjektiven Beschwerden müssen ernst genommen und verstanden werden. Dem Erkrankten sollte der Wunsch vermittelt werden, ein aktives Leben – wie auch immer die Möglichkeiten des einzelnen gegeben sind – zu führen. Dieses wichtige Ziel kann vom herrschenden Medizinbetrieb in der Regel nicht bei chronisch Kranken erreicht werden. Autoimmun: Neben der Hilfe zur Selbsthilfe sollte man den Patienten eine wirksame Therapie anbieten können. Sehen Sie konkrete Möglichkeiten? Franke: Das DSG ist ein konkreter Ansatz. Die Substanz ist in der Lage, bei vielen Patienten die Immunkrankheit auf Dauer zu heilen. Das heißt, um das Beispiel MS zu nehmen, die neurologischen Symptome werden nicht schlimmer, es tritt nach meinen Beobachtungen ein Stillstand ein. Die bis dahin enstandenen neurologischen Schäden bilden sich aber im allgemeinen nicht zurück. Autoimmun: Haben Sie Erfahrungen mit DSG bei anderen Autoimmunkrankheiten sammeln können? Franke: Bei anderen Autoimmunkrankheiten kann man das gleiche Ergebnis erreichen. Die Krankheiten kommen auch hier bei vielen Patienten zum Stillstand. Organische Schäden bilden sich allerdings auch hier nicht zurück. Als Beispiele dafür sollen die rheumatoide Arthritis und der Lupus erythematodes genannt werden. Autoimmun: Warum ist DSG noch nicht für alle Patienten zugelassen? Franke: Die auf zwei Jahre angelegte Doppelblindstudie der Firma Behringwerke AG bei Multipler Sklerose zeigte zwar bei der Zwischenauswertung nach einem halben Jahr hervorragende Ergebnisse und sehr wenige Nebenwirkungen. Trotzdem war das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, also die Zulassungsbehörde, nicht bereit, eine vorläufige Zulassung unter strengen Auflagen des weiteren Wirksamkeitsnachweises zu erteilen. Aus unverständlichen Gründen waren auch die Spitzenkräfte der MS-Forscher nicht in der Lage, die Bedeutung der Ergebnisse dieser Studie zu verstehen und wissenschaftlich zu würdigen. Der Zulassungsantrag der Firma Behringwerke wurde deshalb nicht unterstützt. Das Pharmaunternehmen beschloß aufgrund dieser Fehlentscheidung – aus 508 nachvollziehbaren Gründen – die Zulassung der Substanz für MS nicht weiter zu betreiben. Es ist unverständlich, daß bis heute – nach zwei Jahren – die längst vorliegenden Ergebnisse der gesamten Studie nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Der wissenschaftliche Leiters dieser Studie, Prof. Dr. Ludwig Kappos (Basel), hat dies wiederholt schon zugesagt. Bei mir entsteht dadurch der Eindruck, daß durch diese Verweigerungshaltung etwas verschwiegen werden soll. Autoimmun: Sie haben während ihrer Tätigkeit oft die DMSG kritisiert. Befassen Sie sich auch in Ihrem Buch mit der Patientenvertretung? Franke: Ich erwähne auch die Untätigkeit und Ignoranz der DMSG in meinem Buch. Die ursprüngliche Ärztevereinigung und deren Ziele halte ich für richtig und wichtig. Ich denke aber, daß das Wirken des jetzigen Vereins in der Öffentlichkeit manchmal den Problemen der Kranken nicht dienlich ist. Autoimmun: Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven einer Therapie bei Autoimmunerkrankungen? Franke: Ich denke nach den jetzigen Ereignissen, die den MS-Forschern die Gelegenheit gegeben hätten, sich an die Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts zu setzen, daß die Forschungsentwicklung noch nicht beendet ist. Im weiteren Verlauf wird die Wissenschaft Therapien für Autoimmunerkrankungen entdecken. Dabei wird es sich vermutlich um „Abfallprodukte“ anderer medizinischer Disziplinen handeln, die von operativ tätigen Kollegen aus der Transplantationsforschung stammen könnten. Diese Ansätze könnten dann schnell zu wirksamen Therapien gegen Autoimmunerkrankungen führen. Daß man diesem Gedankengang nicht folgen kann, bedeutet für mich ein völliges Versagen und eine totale Unfähigkeit der Autoimmunforschung, insbesondere der MS-Forschung. Autoimmun: Wie möchten Sie Ihre persönlichen Ziele formulieren? Franke: Ich möchte weiterhin eine industrieunabhängige Zeitschrift herausgeben, die sich mit neuen Ansätzen der wissenschaftlichen Forschung befaßt und die Ergebnisse in verständlicher Sprache publiziert. Ferner möchte ich eine Autoimmunklinik mit neuen Strukturen und Zielen entwickeln. Als Richtschnur sollen die Ergebnisse meiner bisherigen Arbeit gelten. Drittens steht für mich die Suche nach neuen wirksamen Therapien und Substanzen im Mittelpunkt der Tätigkeit. Seite 12: Tips & Urteile Wann können Kosten für die Gesundheit als außergewöhnliche Belastung abgesetzt werden? Die Bundesbürger geben jährlich mehrere Millionen Mark für ihre eigene Gesundheit aus. Der Haken daran: Die Krankenkassen zahlen nur für sehr gezielte Maßnahmen. Vieles muß der Kranke aus eigener Tasche begleichen. Wer als Steuerpflichtiger solche Kosten hat, kann sie am Jahresende dem Finanzamt im Rahmen seiner Lohn- bzw. Einkommenssteuererklärung als außergewöhnliche Belastung in Rechnung stellen. 509 Die Finanzbehörde verlangt in diesem Fall ein amtsärztliches Attest. Doch Vorsicht: Schreibt der Amtsarzt lediglich, daß das Hilfsmittel oder die Maßnahme nur zu einer Besserung der Beschwerden führt, ist das nicht ausreichend. Vielmehr muß er darlegen, daß es bei der Maßnahme um eine indizierte Heilbehandlung geht. So wurde zum Beispiel ein Spezialbett wegen Rückenbeschwerden nach einem Bandscheibenschaden nicht als außergewöhnliche Belastung akzeptiert, da das entsprechende Attest fehlte. (Finanzgericht Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 12.2.1996 – 1 K 2689/93). Auch die Klimakur zur Behandlung einer Neurodermitis wurde wegen des nicht ausreichenden Attests abgelehnt. Zudem darf nicht der Eindruck entstehen, daß es sich um einen Familienerholungsurlaub handelt (Finanzgericht BadenWürttemberg, Urteil vom 14.12.1995 – 6 K 159/59). Operationseinwilligung unwirksam bei zweifelhafter Diagnose Die Aufklärung vor einer Operation setzt zwingend eine abgesicherte Diagnose voraus. Liegt dem operierenden Arzt nur eine ärztliche Empfehlung aufgrund einer bestimmten Indikation vor, hat keine ausreichende Aufklärung stattgefunden. Die Diagnose einer Krankheit oder eines Leidens muß dem aktuellen wissenschaftlichen Standard entsprechen. Der bloße Verdacht einer Diagnose reicht nicht aus und führt nicht nur zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs, sondern stellt eine strafbare Körperverletzung durch den Mediziner dar. (Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 3.3.1995 – 24 U 311/93) Neu: Hilfemittelverzeichnis mit 850 Firmenadressen Der Kauf von Hilfsmitteln für den therapeutischen und sonderpädagogischen Bereich bereitet oft Schwierigkeiten. Mit einer von dem Ergotherapeuten Arvid R. Spikermann erstellten Datenbank (ERGO-DAT) soll es in Zukunft leichter werden. Die Datenbank enthält die Adressen von 850 aktuellen Anbietern, ihre Telefonnummern und eine kurze Produktübersicht. Obwohl der Schwerpunkt der Datenbank im Bereich der technischen Kommunikationshilfen liegt, erfährt man vieles über allgemeine Hilfsmittel, Therapiebedarf, weitergehende Literatur und weiteres. Wer nicht über Computer und CD-Rom-Laufwerk verfügt, kann sich einen aktuellen Ausdruck gegen Verrechnungsscheck über DM 30,- schicken lassen. Adresse: Arvid R. Spikermann, Oldenburger Str. 19, 24143 Kiel. Notizen Die Teilnahme an Ärztekongressen ist für Mediziner nicht immer steuerlich absetzbar. Bei eintägigen Veranstaltungen wird unterstellt, daß die Aufwendungen für die Teilnahme Betriebs- oder Werbekosten verursachen, die dem Fiskus in Rechnung gestellt werden können. Mehrtägige Kongresse in attraktiven Kurorten unterliegen einer Prüfung, ob nicht überwiegend private Interessen im Vordergrund standen. Einen einheitlichen europäischen Behindertenparkausweis soll es ab dem 1. Januar 1998 geben. Damit hat die europäische Kommission einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur gegenseitigen Anerkennung von 510 Behindertenparkausweisen angenommen. Die jeweiligen Daten der nationalen Exemplare werden dabei übernommen. Die Kostenübernahme einer Auslandsbehandlung wird dann von den Krankenkassen getragen, wenn nach anerkanntem Stand der medizinischen Kenntnisse eine Behandlung der speziellen Krankheit nur im Ausland möglich ist. In jedem Fall sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.9.1995 – 2 C 33/94) Eine neue Härtefall-Richtlinie zur Pflegeversicherung sieht vor, daß Sachleistungen für ambulante Pflege bis zu einem Grenzwert von DM 3750 ,anstatt DM 2800,- übernommen werden können. Voraussetzung hierfür ist ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand, der im Einzelfall geprüft wird. Seite 13: Leserpodium Zwangseinweisung von Schwerbehinderten Editorial in der Autoimmun 4/96 über den von Bundestag und Bundesrat beschlossenen § 3a Bundessozialhilfegesetz, der die Zwangseinweisung von Schwerbehinderten gegen ihren Willen in Heime vorsieht. Menschenwürde „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so steht es im Grundgesetz geschrieben. Anscheinend versteht man unter dem Wort „Menschen“ nur kerngesunde und unbehinderte Vorzeigeexemplare. Wer durch eine Schwerbehinderung auf die Hilfe anderer angewiesen ist, ist kein „Mensch“ mehr, sondern darf gegen seinen Willen in Anstalten eingewiesen werden. Er verliert seine Würde. Wohin sich meine MS entwickeln wird, ob ich Hilfe fremder Menschen benötigen werde, weiß ich nicht. Aber ich habe Angst vor Menschen, die mit diesem unglaublichen Zynismus jegliche Moral und Achtung vor dem Leben verloren haben. Diese schleichende Entwicklung geht doch nur in eine einzige Richtung: Euthanasie. Damit steht fest, daß aus der deutschen Geschichte kein Mensch – und schon gar kein Politiker – gelernt hat. Volker M., Nürnberg Mit erarbeitet Die DMSG hat die Reformvorhaben zum BSHG kritisch beobachtet und entsprechende Stellungnahmen zu den Gesetzentwürfen mit erarbeitet. Trotz der Kritik unserer Spitzenverbände hat sich der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat am 26. Juni 1996 auf einen gemeinsamen Kompromiß über die Reform der Sozialhilfe geeinigt. Hinsichtlich des § 3a BSHG ist leider nur eine „Minimallösung“ in Form einer Bestandsschutzregelung erzielt worden. Dieser sieht vor, daß Schwerbehinderte, die bisher von mehreren Pflegern zu Hause versorgt wurden, die Betreuung auch weiterhin erhalten. Allerdings soll zukünftig der Vorrang der ambulanten Pflege gegenüber der stationären Hilfe 511 dann nicht gelten, wenn eine geeignete Hilfe im Heim zumutbar und die Betreuung zu Hause mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Diese Regelung ist sicherlich auch im Hinblick auf die angespannte Haushaltssituation der Kommunen zu bewerten. Daß trotzdem nicht alle Forderungen zugunsten unserer Mitglieder zum Erfolg führen können, ist leider eine Realität. Seien Sie versichert, daß wir unsere – wie Sie schreiben – „historische Verantwortung“ gegenüber den MS-Betroffenen sehr ernst nehmen. Dorothea Pitschnau, DMSG Bundesverb., Geschäftsführerin Amalgam: Man sollte Bescheid wissen Eine wirkliche Alternative zum Werkstoff Amalgam gibt es wohl noch nicht. Trotzdem sollten die Patienten in den Zahnarztpraxen über die Risiken ehrlich aufgeklärt werden. Doch viele Zahnärzte, so auch mein ehemaliger, möchten darüber nicht sprechen. Vielleicht weil ihnen die Zeit zu kostbar ist. Wer aber ohnehin unter einer Krankheit leidet, der sollte seinen Körper nicht noch zusätzlich mit Giften belasten. Mein jetziger Zahnarzt hat mich über das Amalgam aufgeklärt. Er ist der Meinung, man sollte darüber Bescheid wissen. Ursula Sch., Essen Als MS-Patient ernstgenommen Vom Aufbau Ihrer Zeitschrift bin ich total begeistert. Bei Gesprächen mit diversen Neurologen konnte ich durch Informationen aus Ihrer Zeitschrift feststellen, inwieweit die Herren Ärzte sich über die Krankheit MS informieren. Bei diesen Gesprächen wurde man/frau nicht mehr als dummer Patient behandelt, sondern ernstgenommen. Weiterhin habe ich mich bemüht, durch Gespräche mit unseren Politikern Bewegung in die Zulassung des Medikaments DSG zu bringen. Ich hoffe, daß Sie sich auch weiterhin so engagiert für die Belange der MS-Patienten einsetzen, denn die DMSG können Sie in dieser Hinsicht vergessen. Johann M., Brinkum Kostenübernahme für DSG-Therapie Folgenden Brief seiner Krankenkasse stellte uns ein Leser freundlicherweise zum Abdruck zur Verfügung: Sehr geehrter Herr D., die BKK Post übernimmt die Kosten eines Behandlungsversuches mit Deoxyspergualin bei Herrn Prof. Franke in München. Auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) soll die Kostenzusage für diesen Behandlungsversuch zunächst auf drei Monate beschränkt werden. Begleitend dazu sollen neurologische Untersuchungen mit Dokumentation erfolgen, damit nach Ablauf der drei Monate die Angelegenheit erneut dem MDK vorgelegt werden kann. (…) Es muß wohl noch abgeklärt werden, ob diese Befristung auf drei Monate sinnvoll ist. BKK Post, Leiter der Landesverwaltung, Tübingen 512 Seite 14: Lexikon Stichwort: Schuppenflechte (Psoriasis) Jüngste Forschungen sehen Autoimmunreaktionen als Ursache der Hautkrankheit an Bereits im Altertum beschrieben Mediziner eine schuppende, stark juckende Hauterkrankung, die in drastischen Fällen die gesamte Körperoberfläche in Mitleidenschaft ziehen konnte, verwechselten sie jedoch mit Ekzemen oder gar der hochgefährlichen Lepra. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts definierte F. v. Hebra die Schuppenflechte (Psoriasis) als gesonderte Krankheit. Obwohl von dem hartnäckigen Hautleiden keine Ansteckungsgefahr ausgeht, sehen sich viele Patienten auch heute noch mit sozialen Problemen konfrontiert. Allein in Deutschland leiden etwa eineinhalb Millionen Menschen an Psoriasis. 95 Prozent sind von der gewöhnlichen Form (Psoriasis vulgaris) betroffen, die zumeist im frühen Erwachsenenalter eintritt und nach einem plötzlich auftretenden und einem chronischen Krankheitsbild unterschieden wird: Die akute Form ist oft kennzeichnend für die erstmalige Erkrankung oder für einen Krankheitsschub. Häufig bestand vor dem spontanen Ausbruch der Hauterkrankung eine Infektionskrankheit. Typisch sind kleinfleckige, punkt- bis erbsengroße rote Entzündungen der oberen Hautschichten (Ober- und Lederhaut) am ganzen Körper, die wenig schuppen, jedoch stark jucken. Eine vollständige Rückbildung tritt nach wenigen Wochen oder Monaten ein, die Erkrankung selbst ist damit jedoch nicht besiegt. Meist entsteht eine chronisch-stationäre Form, unter der mehr als 70 Prozent der Patienten leiden. Die befallenen Stellen bilden „Bezirke“, münzgroße, ringförmige, in schweren Fällen „landkartenähnliche“ rote Flächen überziehen die erkrankte Haut. Weniger entzündlich, ist die chronische Psoriasis vulgaris von starker silbrig-weißer Abschuppung der Oberhaut gekennzeichnet, häufig begleitet von schmerzhaften Rissen. Die Erscheinungen bleiben über längere Zeit konstant und treten vorwiegend im Frühjahr oder Herbst auf. Hautsächlich sind die Streckseiten der Arme und Beine, behaarte Körperteile, das Kreuzbein und Stellen, an denen Haut an Haut reibt, in Mitleidenschaft gezogen. Nach Rückbildung der Symptome treten lediglich vorübergehende Veränderungen der Pigmentierung oder der Haarstruktur auf. Eine Langzeitfolge kann die Schädigung kleiner Gelenke sein. Trotz intensiver Forschung blieb die Ursache der Psoriasis bis heute unklar. Neben Durchblutungsstörungen wurden in jüngster Zeit auch Immunstörungen diskutiert. Dennoch konnten zumindest Therapien entwickelt werden, um die Symptome zu lindern. Wirkungsvoll sind Salben mit dem Wirksoff Dithranol, einer künstlichen Form des in Asien seit alters angewandten Goapulvers. Viele Patienten konnten mit gezielten UV-B Lichttherapien unter ärztlicher Kontrolle Besserungen erreichen. Risikoreich, für Psoriasis der Kopfhaut aber unabdingbar ist die Kortisonbehandlung. Eine Langzeitstudie mit dem Immunsuppressivum Cyclosporin zeigte oftmals gute Rückbildungen, jedoch mit dem Risiko starker Nebenwirkungen. Wissenschaftler unter der Leitung von Jörg Christoph Prinz konnten nun an der Hautklinik der Universität München nachweisen, daß hinter der Krankheit eine Autoimmunreaktion steht. Sie hatten beobachtet, daß rund zwei Drittel 513 aller Patienten vor Ausbruch ihrer Krankheit eine Angina erlitten hatten. Diese Erkrankung leitet, so Prinz, eine Abwehrreaktion des Körpers ein, die sich nicht nur gegen die Antigene auf den eingedrungenen Bakterien, sondern fälschlich auch gegen die auf den Zellen der äußeren Hautschicht richten kann. Die Oberflächen der Hautzellen und der Bakterien seien nahezu identisch. Dennoch nehmen die Forscher an, daß eine ererbte Anfälligkeit vorliegen muß, damit es zu dieser Entgleisung kommt. Familiäre Häufungen der Schuppenflechte waren bereits früher beobachtet worden. Man nimmt nun an, daß die bei jedem Menschen verschiedene, genetisch bedingte Kombination bestimmter Eiweißstoffe auf der Zelloberfläche die T-Helferzellen erst ihr Angriffsziel, die Antigene auf den Hautzellen, erkennen läßt. Mit einer ungünstigen Eiweißstoff-Kombination werden manche Menschen empfänglicher für Psoriasis als andere. Prinz hofft nun, mit einer genaueren Analyse der Antigene der Hautoberfläche eine Möglichkeit zur Impfung gegen Psoriasis entwickeln zu können. Nähere Informationen zur Psoriasis erhalten Sie bei: Deutscher Psoriasis Bund e.V. Selbsthilfegemeinschaft Schuppenflechte Oberaltenallee 20a, 22081 Hamburg Telefon: 040 - 22 33 99 Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Okt. / Nov. ‘96 Fr, 11. Oktober, 15.30 Uhr, 3sat: Visite - Gesundheit im Alltag Biodanza – eine Tanztherapie – in Chile entwickelt und seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland bekannt. Biodanza wird in der der Krebsnachsorge eingesetzt. Außerdem: Frühförderung sehschwacher und blinder Kinder sowie pflanzliche Arzneimittel. Sa, 12. Oktober, 23.55 Uhr, ZDF: Tod an Bord US Spielfilm von 1977 Während einer Kreuzfahrt im Pazifik bricht unter den 500 Passagieren eine Epidemie aus. Mo, 14. Oktober, 21.15 Uhr, SFB: Trennung fürs Leben Die siamesischen Zwillinge Dao und Duan. Der Bericht zeigt die operative Trennung der dreijährigen siamesischen Zwillinge Dao und Duan, von der ersten medizinischen Untersuchung bis zur 15stündigen Operation. Di, 15. Oktober, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin Streitfall: Medizin im Sparzwang – bleiben die Patienten auf der Strecke? Di, 15. Oktober, 21.35 Uhr, ARD: Globus - Forschung und Technik Thema u. a.: Impfung gegen Magengeschwüre Mi, 16. Oktober, 9.30 Uhr, PRO7: Die unheimliche Verseuchung des Dark River US Drama, 1989 – Als die kleine Tochter der Familie McFall aus ungeklärten Gründen stirbt, kommt ihrem Vater Tim der Verdacht, verseuchte Abwässer 514 der lokalen Batteriefabrik könnten dahinter-stecken. Bei seinen Untersuchungen stößt er auf eine Mauer aus Ablehnung und Aggressionen. Mi, 16. Oktober, 20.15 Uhr, SFB: QuiVive - Medizin Mikrochirurgie – Wenn ein Finger verloren geht Fr, 18. Oktober, 15.30 Uhr, WDR: Die Sprechstunde Pilze in uns Pilze gehören zu unserem Körper – doch wann können sie krank machen? Sa, 19. Oktober, 8.30 Uhr, WDR: Extrem: Macht unsere Haut schlapp? Hat Hautkrebs durch UV-Strahlung in unseren Breitengraden zugenommen? So, 20. Oktober, 16.00 Uhr, BR: Hobbythek: Ist der Darm gesund, ist es der Mensch auch. 80 Prozent unserer Immunzellen befinden sich im Darm. Jean Pütz verrät leckere Brotrezepte, damit es dem Darm auch weiterhin gutgeht. Di, 22. Oktober, 22.15 Uhr, N3: Prisma: Magengeschwüre, ganz ohne Streß. Vom Ende des Medizin-Dogmas. Mi, 23. Oktober, 18.30 Uhr, WDR: Reiten als Therapie Die Hippotherapie wird bei Erkrankungen des Zentralnervensystems und des Stütz- und Bewegungsapparates eingesetzt. Diese besondere Art von Krankengymnastik erzielt erstaunliche Wirkung, zum Beispiel bei spastischer Lähmung und Multipler Sklerose. Di, 29. Oktober, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber: Medizin Kuren / REHA im Visier Fr, 1. November, 14.10 Uhr, ZDF: Leben mit Mukoviszidose So, 24. November, 13.30 Uhr, ZDF: Medica ’96: Markt der Medizin Die Medica in Düsseldorf ist die größte Medizin-Messe der Welt. In dieser Sondersendung geht es um folgende Themen: Elektrosmog – krank durch Wellen? Magenkrank – Klar-heit über die beste Therapie? Musik-therapie – Klänge gegen Krankheit? Bundesbehindertenkunstpreis der Stadt Radolfzell Auch im nächsten Jahr verleiht die Stadt Radolfzell den Bundesbehindertenkunstpreis. Teilnehmen kann jeder behinderte Künstler mit einem Schweregrad von mindestens 80 Prozent. Die Arbeiten müssen zwischen dem 10. und 14. März 1997 mit einem Verkaufspreis eingereicht werden. Die Adresse lautet: Kulturamt der Stadt Radolfzell, – BBKP 1997–, ehem. Postpaketgebäude, Kapuzinerweg, 78315 Radolfzell am Bodensee, Tel.: 07732-81373. Buch-Tip Das Taschenbuch „Gesund durch Autogenes Training“ zeigt, wie Allstagsstreß, nervöse Störungen an Herz und Kreislauf, Magen und Darm, Schlafstörungen und Angstzustände durch Autogenes Training behoben werden können. Neben bemerkenswerten Beispielen gibt die Autorin Gisela Eberlein den Lesern konkrete Anleitungen, um die Übungen selbst anzuwenden. „Gesund durch Autogenes Training“ (112 S.) von Gisela Eberlein ist im Düsseldorfer Econ Verlag erschienen und kostet 12,90 Mark. 515 8.18 „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1996/Januar 1997 Seite 3 Zum Wohle des Patienten Mit dieser Ausgabe wollen wir einem vielfach geäußerten Wunsch unserer Leser nachkommen: eine zusammenfas-sende Darstellung der Therapie von Autoimmunkrankhei-ten – insbesondere der Multiplen Sklerose – mit Deoxyspergualin (DSG). Hierbei haben wir größten Wert darauf gelegt, wissenschaftlich gesicherte Fakten für sich sprechen zu lassen. Doch diese Tatsachen alleine reichen nicht aus, um eine allgemeine Verfügbarkeit der Arznei zu erwirken. Das Medikament bleibt einer zahlungskräftigen Minderheit vorbehalten, weil sich die Krankenkassen nur sehr zögerlich zur Kostenübernahme dieser Therapie bereit erklären. Somit beschäftigen sich die folgenden Seiten auch mit den Umständen des gescheiterten Zulassungsverfahrens und den damit befaßten Personen. Es wäre zu befürworten, wenn sich in Zukunft alle Beteiligten ohne Sachzwänge und Vorurteile an einen Tisch setzen würden. Auf der Grundlage gesicherter Fakten sollte dann ein Gespräch klären können, welche Interessen und Möglichkeiten es im Umgang mit DSG gibt. Zum Nutzen der Patienten, und nur das kann das Motiv sein. Wer sich dem verschließt, muß sich nach seinen Gründen fragen lassen. Eine solche Initiative würde Autoimmun unterstützen und auch umzusetzen helfen. Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… …teilte uns eine Anwaltskanzlei aus Oldenburg mit, daß erstmals die Kostenübernahme durch eine Krankenkasse (hier Deutsche Angestellten Krankenkasse) für eine MS-Therapie mit Deoxyspergualin vor dem Sozialgericht entschieden wird. Nachdem bereits einige Krankenkassen freiwillig die Behandlungskosten mit DSG bezahlen, wird nun ein Gericht entscheiden müssen, da die DAK eine Übernahme abgelehnt hat. Die Klägerin hat bereits eine Therapie durchgeführt. Ihr Krankheitszustand hat sich deutlich gebessert. Dies beweisen die Stellungnahme des behandelnden Arztes, des Krankengymnasten und ein Sachverständigengutachten. Sollte die DAK zu einer Kostenübernahme verurteilt werden, könnte diese Entscheidung Bedeutung für alle Patienten haben. In eigener Sache Beim Versand der letzten Autoimmun kam es zum Teil zu erheblichen Verzögerungen. Wir möchten uns bei unseren Lesern dafür entschuldigen. Zwar lag die fertig gedruckte Ausgabe zum Versand bereit, jedoch versagte die Etikettiermaschine ihren Dienst. Nur unter großen Mühen gelang es uns, eine Ersatzmaschine zu beschaffen, die allerdings mit anderen Formaten arbeitete. Wir hoffen, daß es in Zukunft bei der pünktlichen Auslieferung bleibt. 516 Noch eine kleine Bitte: Wenn Sie umziehen, dann erfahren wir es nicht, sondern schicken die Autoimmun weiterhin an Ihre alte Adresse. Falls Sie dann keinen Nachsendeantrag gestellt haben, sendet die Post uns das Exemplar mit dem Vermerk zurück, daß der Empfänger unbekannt sei. Damit erklärt sich dann Ihre Frage nach Monaten, warum Sie keine Zeitschrift mehr bekommen. Also teilen Sie uns bitte kurz mittels Postkarte oder Anruf Ihre neue Adresse mit. „Wenn auch nur eine Meinung verboten ist, geraten dann nicht alle anderen Meinungen in ein schiefes Licht? Und vergeht nicht gerade darum so vielen die Lust, eine erlaubte Ansicht zu vertreten, auch wenn es die eigene ist?“ Jurek Becker Seiten 4, 5, 6, 7, 8 und 9: Deoxyspergualin: Die Entwicklung bis heute Das Multiple Sklerose-Medikament Deoxyspergualin (DSG) droht in Vergessenheit zu geraten. Dabei sind die wissenschaftlich festgestellten Ergebnisse erfolgversprechend gewesen. Beim verantwortlichen Pharmaunternehmen existieren Auswertungen zur DSG-Studie, die man nach dem fehlgeschlagenen Zulassungsantrag wohl nicht mehr wahrhaben will Selbst der wissenschaftliche Leiter der DSG-Studie bei Multipler Sklerose, Prof. Dr. Ludwig Kappos in Basel, zeigt sich inzwischen verstimmt über die Firmenpolitik der Hoechst AG, die mit ihren Töchtern Behringwerke AG und Centeon Pharma GmbH, die Veröffentlichung der DSG-Studienergebnisse verzögert. Bereits Anfang des Jahres 1996 wünscht sich der Schweizer Neurologe eine Publikation über die Resultate der 1994 und 1995 durchgeführte Studie. Die wenigen ihm vorliegenden Daten zeigen, daß das ursprüngliche Studienziel, die Reduzierung der entzündlichen Herde in der Kernspintomographie, nicht erreicht wurde. Dennoch müssen einige Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, warum sich eine bestimmte Patientengruppe nach einem Jahr deutlich in einem besseren klinischen Zustand befand als die Placebopatienten. Hierzu benötigt der Wissenschaftler, der bei jeder Medikamentenstudie zur Erhöhung des Objektivitätsgrades und der Seriosität engagiert wird, die kompletten Daten des Pharmaunternehmens. Die Marburger kommen genau mit diesen Daten nicht nach. Sie blockieren den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß, so ein renommierter französischer Neurologe. Insider von pharmakologischen Studien sprechen Klartext: Wenn ein Unternehmen in ein Medikament mehrere Millionen Mark investiert, dann entscheiden auch die Geldgeber wann und wie die Ergebnisse veröffentlicht werden. Die meist an Universitätskliniken angebundenen Wissenschaftler sind von den Unternehmensstrategien abhängig. Es ist so, als ob man ein Buch lesen will, aber der Verleger mit den Seiten nicht herausrückt. Dies ist um so verwunderlicher, da die Behringwerke bereits öffentlich bekanntgaben, daß 517 sich der klinische Zustand, also das Befinden einiger MS-Kranker, gegenüber den Placebopatienten gebessert hat. Vertuschung durch Firmenumstrukturierung Kappos spricht inzwischen von einer „gewissen Patientengruppe“, die ganz offensichtlich von der Substanz DSG profitieren konnte. Das Berliner Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ursprünglich dem Präparat gegenüber ablehnend, öffnet seine Türen wieder einen Spalt. Man warte auf einen erneuten Antrag, wenn es positive Erkenntnisse gibt, dann müsse man neu entscheiden, lassen die Berliner Arzneimittelwächter von sich wissen. Doch die Behringwerke AG, die die Substanz 1996 an das neugegründete Unternehmen Centeon Pharma GmbH weitergeschoben hat, verschleiert den Vorgang noch immer. Centeon hat bis auf wenige Ausnahmen das an DSG arbeitende Personal übernommen. Mit dieser Firmenumstrukturierung versucht man nun, die eingetretenen Verzögerungen zu erklären. „Das hat nicht Hand und nicht Fuß“, kommentiert ein Berliner Internist den Vorgang. „Wenn auch nur einer begrenzten Anzahl von Patienten mit DSG geholfen werden kann, dann ist das bei einer unheilbaren Krankheit mehr als Licht am Ende des Tunnels“, hört man hinter vorgehaltener Hand aus dem Bonner Gesundheitsministerium. Noch drastischer beurteilt ein emeritierter Chirurg aus Köln den Sachverhalt. „Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder DSG wirkt, zumindest ein wenig, oder man konnte keinen Effekt bei den Patienten beobachten. Auf jeden Fall sollte man das Resultat schnell und laut sagen. Alles andere ist Augenwischerei. Doch leider weiß ich aus eigener jahrelanger Erfahrung - heute kann ich es ja sagen - es kommen leider nicht immer die wirksamsten Medikament auf dem Markt, dafür mußten wir mit nutzlosen Arzneien lange Zeit arbeiten.“ Warum schweigt man in Marburg also? Ein erfahrener Fachjournalist aus München versucht Licht in die Angelegenheit zu bringen: „Man muß die Behringwerke verstehen. Sie haben viel Geld in das Präparat gesteckt und nun stehen sie da wie ein begossener Pudel. Doch die Geschichte ist noch nicht beendet. Der japanischen Zulassung für die Behandlung von Abstoßungskrisen nach Transplantationen wird demnächst die amerikanische folgen. Logisch, daß dann auch in Europa die Zulassung folgen wird. Wenn dies geschehen ist, wird DSG auch für MS-Kranke wieder interessant werden. Imurek, das seit neustem unter Krebsverdacht steht, ist ja schließlich auch nie für die MS-Therapie zugelassen worden.“ Gerüchteküche lebt auf „Sagen was Fakt ist“, heißt es immer öfter von verunsicherten Patienten. Doch kein Mensch kann die Hoechst AG dazu zwingen, Klarheit in das Informationsgestrüpp ihrer beteiligten Unternehmen zu bringen. Durch diese Informationspolitik kommt es immer häufiger zu Über- oder Unterbewertungen, Falschinterpretationen und gar Fehlinformationen zum Medikament. Gerüchte werden gezielt verstreut oder entstehen zufällig. In den örtlichen MS-Selbsthilfegruppen diskutiert man mehr auf auf der Basis von Vermutungen als von gesicherten Erkenntnissen. Selbst bei den Ärzten setzt sich die Verwirrung fort. „Es müssen endlich klare Ergebnisse auf den Tisch“, fordert ein Mitarbeiter der Charité in Berlin. „Wenn sie schlecht sind, dann 518 muß es gesagt werden. Wir wollen doch den Patienten die bestmögliche Therapie anbieten“. Solange keine Daten vorliegen, kann sich die MS-Forschung auch kein Bild über die eine oder andere Wirkungsweise von Medikamenten machen. Das hat wiederum zur Folge, daß neue Projekte, die sich auf bestimmte Erkenntnisse der DSG-Studie stützen könnten, verzögert werden. „Auch schlechte Ergebnisse sind Ergebnisse, mit denen man weiter voranarbeiten kann. Doch wer keine Ergebnisse veröffentlicht, der verschleiert etwas“, bringt es ein Mitarbeiter der holländischen MS-Vereinigung auf den Punkt. Daß die Substanz noch lange nicht an den Grenzen ihrer therapeutischen Möglichkeiten angelangt ist, zeigen neuere Erkenntnisse über sogenannte Hitzeschockproteine. Bereits 1993 wies Kappos auf offene Fragen der Arznei hin: „Darüber hinaus gibt es - noch weitgehend unaufgeklärte - Wirkungen (von DSG) auf Makrophagen und Monozyten, bei denen es die Produktion von toxischen Sauerstoffradikalen, lysosomalen Enzymen und Stickoxiden hemmt.“ Französische Wissenschaftler aus Marseille sehen darin Möglichkeiten für eine erfolgreiche Therapie der Volkskrankheit Rheuma. Weitere Hinweise gibt es zur Therapie von Neurodermitis, Lupus erythematodes, und sogar bei AIDS scheint die Möglichkeit zu bestehen, den Ausbruch Krankheit zu verzögern. Doch die Forschung kommt nur dann weiter, wenn Zahlen, Daten und Fakten vorgelegt werden. Wissenschaftler der Behringwerke haben inzwischen das „interessante Wirkungsprofil“ der Substanz DSG erkannt. Man verlegt sich auf eine mögliche Behandlung von Diabetis (Typ 1). Diesmal werden Forscher der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg eingebunden und erste Ergebnisse im Fachblatt „Immunol-Let“ präsentiert. Weitere Erkenntnisse sind zur Zeit nicht bekannt. Der amerikanische Patentinhaber, Bristol-Myers Squibb, beurteilt den Einsatz des Präparates als noch offen. Im Firmenlabor, dem Pharmaceutical Research Institute in Wallingford, Conneticut, wird ohne Scheu über eine mögliche MS-Therapie mit DSG gesprochen. Nicht nur das, im April dieses Jahres wurde in der Fachzeitschrift „Transplant-Proc.“ diese Möglichkeit erwähnt. In Japan, wo die Multiple Sklerose sehr selten vorkommt, verwendet man DSG schon seit längerer Zeit zur Behandlung von Abstoßungskrisen nach Organtransplantationen. Der Erfolg des Medikaments im Bereich der Transplantationsforschung könnte eine der vielen MS-Theorien stützen: Geht man davon aus, daß Teile des Immunsystems der MS-Kranken - aus welchen Gründen auch immer - nicht normal arbeiten und sich deshalb gegen den eigenen Körper richten, dann liegt die Vermutung nicht fern, daß es sich dabei um eine Abstoßungskrise handelt. Der Körper wendet sich gegen Teile im Gehirn und Rückenmark. Der Einsatz von neuen, verträglich und spezifisch wirkenden Substanzen, die nicht auf einer primären Unterdrückung des Immunsystems basieren, würden die MS-Therapie in eine neue Richtung lenken. Zögernd nähert sich die Wissenschaft diesem Gedanken teilweise an. Einschätzung des DSG-Selbstversuchs Im Vorfeld und während des erwähnten Eilzulassungsverfahrens bezüglich der Indikation Multiple Sklerose zeigten sich die Behringwerke durchaus mitteilsamer. Manchmal natürlich aus eigennützigen Gründen, die durchschaubar waren. Vielleicht versprach man sich dadurch schnelleren 519 Erfolg oder Mißerfolg. Da man sich auf das Schweigen verlegt hat, ist es naheliegend, alle bisherigen Fakten zur Behandlung der Multiplen Sklerose zusammenzufassen. Was sind die bisherigen Fakten zur Therapie der Multiplen Sklerose mit Deoxyspergualin? Zuerst versuchte der Herausgeber dieser Zeitschrift - selbst unter MS leidend -, seine Krankheit mit einem DSG-Selbstversuch zu bremsen. Dies gelang ihm, daran dürften keine Zweifel bestehen. Nun zeigt ein Einzelfallversuch immer nur das Ergebnis bei einem einzelnen Patienten. Er gilt nicht für die Allgemeinheit, schon gar nicht für ein kompliziertes Zulassungsverfahren. Allerdings unterschied sich dieser Einzelfall doch von anderen. Bei dem Patienten handelte es sich um einen Arzt und Wissenschaftler, der sich der objektiven und subjektiven Täuschungsmöglichkeiten eines Medikamentenversuchs bewußt war. Letztlich zwangen ihn seine medizinischen Kenntnisse zu einer distanzierten Beurteilung des Sachverhalts. Unter Verwendung dieser Maßstäbe kam er zu dem Ergebnis, daß DSG eine Wirkung in seinem Einzelfall hatte. Im Rahmen diverser Veröffentlichungen teilte Franke seine Eindrücke, die er mit DSG gewonnen hat, der Fachwelt und den Patienten mit. Der Vorwurf, den man ihm machte, er verursache bei den Kranken zu große Hoffnungen, die sich unter Umständen nicht realisieren lassen, trifft nicht zu. Oder würde man einem verunglückten Bergsteiger, der frei an einem Seil hängt, sagen: „Ich kann Dir keine Hoffnungen auf Hilfe machen, Du wirst wohl sterben müssen!“ Wie bereits erwähnt, ein Einzelfall bleibt ein Einzelfall. Könnte ein Einzelfallergebnis als Grundlage für eine breite erfolgreiche Therapie gelten, wäre unser Arzneimittelmarkt von einer unüberschaubaren Zahl von Medikamenten überschwemmt. Keine Arzt könnte noch überblicken, welche Arznei er seinen Patienten verordnen soll. Die Behringstudie beginnt ohne Dosisfindungsstudie Ein besseres Bild liefert eine Studienreihe von Einzelfällen, die unter den gleichen Bedingungen ein Medikament bei bestimmten Patienten prüfen kann. Dieser als „klinische Studie“ bezeichnete Vorgang wird mit einer ständig steigenden Anzahl von Patienten wiederholt. Liegen dann ausreichende Wirkungsnachweise vor, beantragt der Patentinhaber die allgemeine Zulassung der Arznei für eine bestimmte Therapie. Als sich die Behringwerke, deren 100prozentiger Eigentümer die Hoechst AG ist, 1992 zu solch einer Studie entschlossen, lagen bereits Einzelfallergebnisse vor, die oberflächlich einen Trend erkennen ließen: Bei frühen MS-Fällen zeigten sich sehr gute Erfolge, bei mittleren Fällen gab es befriedigende bis unklare Resultate, und bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium konnte man sehr wenige bis gar keine Wirkungen beobachten. Während die Behring-Studie lief, wurden in Europa weitere Einzelfälle mit DSG behandelt. Die Resultate faßte Autoimmun-Herausgeber Prof. Dr. Niels Franke in Autoimmun Nr. 3 (November/Dezember 1993) zusammen. Mehr als ein Hinweis auf eine Wirkung konnte diese Veröffentlichung nicht sein. Dennoch wurde der erste Trend der Einzelfallbehandlungen bestätigt. Ferner weist der Autor darauf hin: „Für die Therapie besser, wenn auch theoretisch noch ungeklärt, ist die Anwendung niedriger Dosen von DSG (ca. 0,5 mg/kg KG). So kann eine anhaltende, positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf 520 erzielt, der Verlauf einer MS vielleicht über längere Zeit angehalten und verändert werden.“ Diese Überlegung wurde von den Behringwerken überhört und später zurückgewiesen. Man schaltete die Gesundheitsbehörden ein und drohte mit üblen Konsequenzen. Beobachter versuchten, den Konflikt zu analysieren: „Im Falle einer Zulassung verdient der Verkäufer von Medikamenten natürlich mehr Geld bei hohen Dosierungen. Niedrige Dosierungen bedeuten weniger Umsatz. Doch im Sinne der Patienten und angesichts möglicher Nebenwirkungen sollte die objektiv beste Dosierung gefunden werden. Man nimmt bei Kopfschmerzen nicht 10 Aspirin, sondern ein oder zwei.“ Doch die Verantwortlichen bei den Behringwerken blieben stur. Man startete die klinische Studie mit drei Gruppen: 2 mg/kg KG, 6 mg/kg KG und einer nicht zu beneidenden Placebogruppe. Was auf den ersten Blick Sinn zu haben scheint, war ein großer wissenschaftlicher Patzer. Gewöhnlich wird im Vorfeld einer klinischen Arzneimittelstudie mit dem Präparat eine Dosisfindungsstudie durchgeführt. An einer kleineren Patientengruppe werden verschiedene Dosen ausprobiert, um die günstigste zu ermitteln. Dieser Vorgang zählt zu den Grundregeln der pharmazeutischen Wissenschaft und zu den elementaren Voraussetzungen einer Arzneimittelzulassung. Wer sich an diese Regel nicht hält, braucht sich nicht zu wundern, wenn er von der Zulassungbehörde in rauhem Ton wie ein dummer Schuljunge vor Vertretern des Deutschen Bundestages zurechtgewiesen wird. Diesen und andere Vorwürfe mußte sich eine Behringdelegation bei einem Gespräch im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin anhören. Die umstrittene Dosierung der zwei Behandlungsgruppen ist nicht nur infolge der fehlenden Dosisfindungsstudie entstanden. Vielmehr wurden schon bei den Vorüberlegungen und Planungen zur DSG-Studie einige wichtige Fakten falsch eingeschätzt. Man ging davon aus, daß die Substanz wegen ihrer Eigenschaft, Abstoßungskrisen nach Organtransplantationen zu verhindern, das Immunsystem unterdrückt. Diese Eigenschaft wird als Immunsuppression bezeichnet. Doch das DSG scheint, wie eine Reihe von experimentellen Voruntersuchungen zeigte, Eigenschaften zu besitzen, die neben einer Suppression weitergehende Wirkungen auf das Immunsystem ausüben. Diese wurden nicht beachtet. Mit einer weitgefächerten Dosisfindungsstudie wären automatisch diese Fragen aufgetaucht. Warum forschte man nicht gründlich, bevor man eine klinische Studie begann? Diese Frage versucht ein MS-Patient, ebenfalls Arzt in Niedersachsen, zu beantworten: „Anfang der neunziger Jahre gab es wenig Phantasie in der MS-Forschung. Kortison, Imurek und Beta-Interferon. Neuere Überlegungen mußten sich daran messen lassen, ob das Ziel die Unterdrückung des Immunsystems gewesen war. Man dachte, ein unterdrücktes und geschwächtes Immunsystem entwickle die Krankheit langsamer. Das hört sich sehr hilflos an, war aber die herrschende Meinung in der Neurologie. Leider hat sich heute auch nicht sehr viel daran geändert. Demnach mußte sich eine klinische Studie diesen Überlegungen anpassen. Den Behringwerken, die vorher nie eine MS-Studie durchgeführt hatten, paßten sich dieser These zwangsläufig an. Hätten sie dies nicht getan, 521 wäre die Studie kaum zustande gekommen, weil der Widerstand unter den Spitzen in der Neurologie zu groß gewesen wäre.“ Fehler, Schwierigkeiten und entschlossene Patienten Die DSG-Studie selbst wurde an mehreren Kliniken durchgeführt. Der Versand der Substanz bereitete Schwierigkeiten, Ampullen verschwanden und beteiligte Ärzte verkauften Extratherapien an ausländische Prominente. Zudem konnten sich die Placebopatienten durch ein relativ einfaches Verfahren aufklären lassen, ob sie das Scheinpräparat erhielten oder nicht. Vier Patienten nahmen weiter das Placebo, ließen sich aber privat mit DSG behandeln. Damit verschönten sie unter Umständen das Gesamtergebnis. Viel brisanter war ein Vorfall in einer beteiligten Klinik: Eine Gruppe von Patienten wußte nicht, wer Placebo und wer DSG erhielt. Kurzerhand vertauschte man während der Abwesenheit der Ärzte die Infusionen. Damit erhielten alle vier Patienten nicht die für sie vorgesehene Dosis. „Was sollten wir machen, keiner von uns wollte leer ausgehen“, kommentierte einer der Teilnehmer den Tauschvorgang. Nach sechs Monaten trat das auf Impfstoffe spezialisierte Pharmaunternehmen vor die Weltpresse und präsentierte die ersten Zwischenergebnisse der DSG-Studie. Überraschend verkündete der klinische Leiter, Dr. K. Theobald, den Journalisten, daß man eine Reduzierung der Herde in der Kernspintomographie nicht feststellen konnte. Jedoch habe sich in einer Behandlungsgruppe der klinische Zustand gegenüber der Placebogruppe nachweisbar gebessert (siehe Schaubild). Mit einer zweiten Studie werden man versuchen, diese unerwarteten Ergebnisse zu bestätigen. Unterschiedliche Interpretation der Zwischenergebnisse Abgesehen von einigen Fachjournalisten konnte kaum jemand dieses Ergebnis verstehen und erklären. Mit einer Maßeinteilung, der EDSS-Skala, wurde der klinische Zustand der Patienten gemessen. Dabei handelt es sich vereinfacht - um die Summe der körperlichen Defizite, die durch MS verursacht worden sind. Ein Wert von „0“ bedeutet, daß der Patient keine MSSymptome zeigt, der Wert „10“ bezeichnet den Tod eines Patienten infolge der Krankheit. Die meisten Patienten bewegen sich mit ihrem EDSS-Wert zwischen den beiden Extremwerten. Ein Beispiel kann dies ein wenig veranschaulichen: Ein Patient mit einem Wert von „4,0“ könnte noch mit fremder Hilfe laufen. Der Wert „5,0“ bedeutete, daß er auf eine Rollstuhl angewiesen ist. Somit kann ein EDSS-Punkt den Unterschied zwischen Laufen und Rollstuhl ausmachen. Bei der Präsentation der DSG-Ergebnisse nach sechs Monaten nannte das Pharmaunternehmen einen Unterschied von etwa einem EDSS-Punkt zwischen der Placebo- und der 6 mg/kg KG-Behandlungsgruppe. Vereinfacht ausgedrückt: Den behandelten Patienten ging es deutlich besser als den unbehandelten. Das eigentliche Ziel einer MS-Therapie, den körperlichen Zustand der Erkrankten zu verbessern, war damit erreicht. Natürlich hatte man immer noch nicht die Ursachen der Multiplen Sklerose entschlüsselt - sie sind auch heute noch ungeklärt. Doch konnte ein wesentliches Ziel ist erreicht werden: Man konnte einigen Patienten helfen, ihr Leiden zu verringern. Dieser Erfolg war nicht etwa das Ergebnis einer Einzelbehandlung, sondern einer kontrollierten klinischen Studie, die von der Fachwelt beachtet wurde. Kurze Freude über die Ergebnisse 522 Die Frage nach den fehlenden kernspintomographischen Korrelaten (Beziehungen) blieb unbeantwortet, sollte jedoch weiteren theoretischen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Die Freude hielt sich aber nur kurz, denn die Chefneurologen Deutschlands konnten der Verschiebung der Wirksamkeitvoraussetzungen eines Medikaments bei einer MS-Studie nicht folgen. Für sie galt weiterhin: Erst die Krankheit mit Hilfe der Kernspintomographie verstehen und danach auf die meßbare Verbesserung des Krankheitszustandes achten. Dabei steht die Theorie, daß die erkennbaren Herde in der Kernspintomographie einen direkten Zusammenhang mit den Symptomen der MS haben, auf sehr wackligen Füßen. Ein Münchner Radiologe stellt dazu fest: „Wer behauptet, die Herde in der Kernspintomographie seien typische MS-Herde, der ist ein Scharlatan!“ Vielleicht handelt es sich bei diesen Herden nur um die Folgen einer Störung im Immunsystem. Dennoch täuschen diese Diagnosegeräte oftmals eine größere medizinische Kompetenz vor, als in der Realität herrscht. Zur Verbesserung des Zustandes der unter Multipler Sklerose leidenden Menschen tragen sie nicht bei. Ein Blick in die neurologischen Fachzeitschriften zeigt aber, daß die Forschung dieser Diagnostik mehr Aufmerksamkeit widmet als dem klinischen Befinden der Patienten. Historisch betrachtet waren MS-Patienten lediglich Versuchskaninchen, für die die ärztliche Ethik und Be-rufsauffassung nicht galt. Auch heute noch ist diese Auffassung bei einigen Neurologen verbreitet, sonst mutete man unheilbar kranken Menschen nicht ein Placebo zu und gäbe ihnen keine Medikamente, die die Herde verkleinern, aber die Krankheit verschlimmern. Bei den Behringwerken verstand man das Zwischenergebnis richtig zu deuten, nicht aus ethischen Gründen, sondern aus wirtschaftlichen. Ein Unternehmen, das seine Handlungen nicht auf Profitgewinn ausrichtet, hätte kaum Überlebenschancen. Gedrängt von dem Konkurrenzpräparat BetaInterferon der Schering AG, das den Chefneurologen mit seinem Wirkungsprofil genau entgegenkommmt, aber keine klinische Verbesserung herbeiführt, sahen die Marburger nur eine Möglichkeit, um wieder einen Zeitvorsprung zu erreichen. Man stellte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin einen Eilantrag auf vorzeitige Zulassung von DSG bei Multipler Sklerose. Die Gegner rüsten auf - ein Medikament wird „plattgemacht“ Kaum war der Antrag gestellt, nahm der Gegenwind zu. Die Arzneimittelbehörde, die berufsbedingte Verbindungen zur Neurologenlandschaft besitzt, war sich sicher: Der Antrag scheitert. In Würzburg, dem historischen und aktuellen Zentrum der MS-Forschung, verwies man auf die kernspintomographischen Ergebnisse und unzureichende Nachweise. Die Substanz tauge nichts, zumindest nichts für die Hersteller teurer Kernspintomographen. Der Ärztliche Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (Hannover), erste Anlaufadresse für Pharmaunternehmen, die Studien bei Multipler Sklerose durchführen wollen, stieß in das gleiche Horn und wollte DSG, ohne ein Wort über die nachgewiesene positive klinische Wirkung zu verlieren, vom Tisch haben. Auf zweiten Seiten Papier lehnten die Ärzte das Mittel ab. 523 Es gab klare Anweisungen aus Hannover an alle Landesverbände. Prof. Niels Franke, der Befürworter von DSG, erhielt Redeverbot. Der Unruhestifter war ausgemacht und mußte bekämpft werden. Eine fachfremder Arzt mischt sich in die Belange der Neurologie ein und bezeichnet die Patientenvereinigung als unfähig. Damit war nicht nur Franke eine unerwünschte Person, sondern, weitaus folgenreicher, ein Medikament, das die MS-Forschung einen Schritt weiter gebracht hätte, wurde in seiner Entwicklung blockiert. „Was die MS’ler für Behandlungen erhalten, bestimmen wir“, äußerte ein ehemaliger Funktionsträger der DMSG, der resigniert aufgab. In Marburg sah man sich der geballten Macht von Behörden und Chefneurologen der bedeutendsten Kliniken gegenüber. Der Eilantrag drohte tatsächlich abgewiesen zu werden. In dieser Phase wurde die zweite Studie nach dem gleichen Behandlungsschema begonnen. Die Gegnerschaft sollte unter anderem mit Hilfe der Presse überzeugt und bekämpft werden - ein unzureichender Plan. Bei der Schering AG freute man sich über den immer schwächer werdenden Konkurrenten. „DSG wird plattgemacht.“, so der Tenor in der Pharmaszene. Die Türen in Marburg gingen nun plötzlich weit auf. Auf Veranlassung des Vorstandes bekam Autoimmun Einblick in die Einjahresergebnisse der DSGStudie. Protokolle, Daten, Skizzen und anderes Material wurde vorgelegt. Eine außergewöhnliche Maßnahme. Doch wer als Journalist das Gefühl bekommt, vor einen Karren gespannt zu werden, betreibt seine Recherche mit aller Sorgfalt. Es wäre nicht angegangen, die Leser dieses Blattes mit einseitigen und getäuschten Informationen zu versorgen, zumal die MS nicht vor der Redaktionstür halt gemacht hat. Ein Jahr DSG: Vielen Patienten geht es besser Die Ergebnisse bestätigen die bisherigen Trends und Vermutungen. Der Abstand von einem EDSS-Punkt zu den Placebopatienten blieb bestehen. Die Zwischenergebnisse der zweiten Studie sind nicht ganz so hervorragend. Dafür nennt der Behringvertreter mehrere Gründe: schlechte Patientenauswahl, ungleiche Verteilung in den drei Gruppen (die schweren Fälle bekamen das DSG, die leichten Fälle das Placebo) und den entscheidenden Punkt, daß keiner, der in Deutschland etwas zur MS zu sagen hat, länger für das Medikament eintritt. Das ist nicht von der Hand zu weisen, obwohl noch viele an der Studie beteiligte Neurologen objektiv ihre Untersuchungen durchführten. Aber bereits eine kleine Gruppe beteilgter Ärzte hat die Möglichkeit, das statistische Ergebnis zu verändern. Da sich die Stimmung bei den Chefneurologen ohnehin deutlich gegen DSG und für Beta-Interferon geändert hat, scheint es für einen Teil der untersuchenden Ärzte ein leichtes zu sein, die Ergebnisse des klinischen Befindens (EDSS) zuungunsten von DSG zu protokollieren. Wer kann schon überprüfen, ob ein Patient nach einer Untersuchung gemäß 3,0 oder 3,5 EDSS-Punkten gehen kann. Zugegeben, dieser massive Vorwurf stammt aus dem Hause des Pharmaunternehmens, das mit dem Medikament Geld verdienen wollte. Auch wenn er nicht zu beweisen ist, die Stimmung richtete sich zunehmend gegen die Arznei und in Marburg versuchte man, Prof. Dr. Niels Franke für bestimmten Handlungen zu gewinnen. Aus dem Anspruch, den Betroffenen gegenüber weiterhin eine objektive Beurteilung des Medikaments aufrechtzuerhalten, lehnte er dieses Begehren ab. 524 Bei soviel Dreistigkeit mußte eine andere Frage aufgeworfen werden. Haben die Behringwerke ihre Ergebnisse zu ihren Vorteil manipuliert, um schnell den Umsatz ihres Unternehmens zu steigern? Dieser Vorwurf stammt aus Neurologenkreisen. Indizien gab es. Zu jenem Zeitpunkt sprach es sich immer lauter herum, daß Teile des Unternehmens aufgelöst und verkauft werden sollen. Der Vorwurf ist nicht beweisbar. Erst die Offenlegung aller Daten könnte ihn entkräften. Und ein zweites Argument entlastet das Unternehmen: Die beteiligten Wissenschaftler suchten den Erfolg, auch aus eigennützigen Gründen. Logisch wäre es dann aber gewesen, die zweite Studie ebenfalls zu schönen. Niemand tat es, obwohl man damit sehr viel Geld verlor. Die Türen schließen sich wieder: Stillschweigen – DSG, was ist das? Das Vorhaben der Behringwerke, ein Medikament gegen die Multiple Sklerose zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, ist gescheitert. Heute möchte sich niemand dazu äußern. Die ursprünglich an DSG arbeitenden Wissenschaftler sind abgezogen worden. Ein weiteres Tochterunternehmen ist nun für das Präparat verantwortlich . Auf Anfrage dort heißt es: „Was ist DSG?“ Ob noch an einer MS-Therapie geforscht wird, läßt sich nicht klären. Eine zusammenfassende Publikation möchte der Schweizer Neurologe Prof. Dr. Ludwig Kappos schreiben - unmöglich ohne Marburgs Zustimmung. Seiten 10 und 11: MS: Linomide und die Gegenwar und die Zukunft Der „Nervenarzt“ ist eine Fachzeitschrift für die Neurologie. Darin teilen Forscher und Wissenschaftler ihre neuesten Erkenntnisse mit. In einem Mitte des Jahres erschienenen Aufsatz schrieben die beiden Neurologen Dr. F. X. Weilbach und Prof. Dr. H.-P. Hartung (Ärztlicher Beirat der DMSG e.V.) über die Ergebnisse eines firmeninternen Reports: Linomide bei Multipler Sklerose. Doch offensichtlich konnten die Spitzenkräfte keine MS-Schübe zählen. Eine Korrektur in der nächsten Ausgabe war nötig. Die Fachwelt staunte nicht schlecht. Da sollte doch das vielversprechende neue MS-Medikament Linomide Schübe auslösen anstatt verhindern. So jedenfalls konnte man es in der Fachzeitschrift „Nervenarzt“ (siehe unten) nachlesen. Mitverantwortlich war dafür u.a. Prof. Dr. H.-P. Hartung von der „Klinischen Forschungsgruppe für Multiple Sklerose“, Neurologische Klinik der Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. K.V. Toyka) der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Beide sind als MS-Forscher hochdekoriert und Mitglieder des Ärztlichen Beirates des DMSG, also mit der MS grundsätzlich vertraut - sollte man denken. Doch scheinbar sind noch Nachhilfestunden nötig, sonst müßte nicht der Leiter der Klinischen Forschung der Firma Pharmacia, Dr. med. Sandor Kerpel-Fronius, Fehler in der Veröffentlichung anstreichen, als hätte ein Medizinstudent eine Hausarbeit versiebt. Aufgebracht über diesen „vermeidbaren“ Patzer setzte Pharmacia nun alle Hebel in Bewegung, um diese „schlimme Angelegenheit“ zurechtzurücken. Ärgerlich, dachte man doch im Vorfeld der Studie, mit der Einbindung der Ärzte der Deutschen MSGesellschaft die richtige Wahl getroffen zu haben, um den Erfolg zu sichern. Nun kommen aus Schweden, wo die Pharmacia-Zentrale ansässig ist, die ersten Bedenken. Hoffentlich nicht zu Lasten der Patienten. In Würzburg wird man sich sagen: „Egal, wer schreibt, der bleibt!“ 525 Die Multiple Sklerose-Behandlung mit Linomide wird von dem schwedischen Unternehmen Pharmacia als Innovation vorgestellt. Die klinischen Studien sind angelaufen, auch in Deutschland sind Kliniken beteiligt. Die Wirkung des Präparates wird als nicht immunsuppressiv, sondern immunmodulierend bezeichnet. Damit nimmt man schrittweise Abstand von einer Therapieform, die die Vergiftung immunrelevanter Zellen zum Ziel hat. Bei der prophylaktischen Behandlung der Multiplen Sklerose werden überwiegend Medikamente eingesetzt, die nicht mehr generell immunsuppressiv, sondern immunmodulatorisch wirken. Hierzu gehören neben dem Interferon Beta auch COP 1 und Linomide. Immunmodulatorisch heißt, daß bestimmte Zellen des Immunsystems stimuliert werden, andere dagegen gehemmt oder die Bildung von Interleukinen (Botenstoffen) hemmend oder fördernd beeinflußt wird. Für Linomide wurde gezeigt, daß besonders T-Lymphozyten und NaturalkillerZellen stimuliert werden, die Produktion des Botenstoffes TNF Alpha dagegen unterdrückt wird. Sowohl bei tierexperimentellen Modellen zu Autoimmunerkrankungen, als auch in Phase 2- Studien zeigte Linomide einen deutlich positiven Effekt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen besonders bei der sekundär chronisch progredienten Multiplen Sklerose eine signifikante Verminderung von neuen entzündlichen Herden im Kernspintomogramm und auch ein geringeres Fortschreiten vor allem motorischer Behinderungen (EDSS). Zwei Studien sollen Aufschluß über die Wirksamkeit bringen In verschiedenen internationalen Studien (doppelblind, placebokontrolliert) wird Linomide zur Zeit in mehreren deutschen Zentren bei schubförmiger und sekundär chronisch progredienter MS untersucht, (deutsche Zentren: Berlin, Münster,Ulm, Würzburg.) Ferner wird in einer weiteren Phase-3-Studie die jährliche Schubrate bei schubförmiger Multipler Sklerose in einem frühen Krankheitsstadium (EDSS bis 3,0) untersucht (deutsche Zentren sind Osnabrück und Hamburg). Nach einer gewissen Zeit treten Nebenwirkungen nicht mehr auf Im wesentlichen bestehen die Nebenwirkungen in Übelkeit, Erbrechen, Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, Durchfall, Bauchschmerzen, Harnweginfekten, Fieber, Ermüdbarkeit, Benommenheit, Schwindel und Kopfschmerzen. In den ersten vier Wochen treten diese Nebenwirkungen gehäuft auf. Danach verschwinden diese Beschwerden und sind nicht häufiger als bei placebobehandelten Patienten. Seltene Nebenwirkungen betreffen eine reversible Entzündung des Herzbeutels und der Lunge (Perikarditis und Pneunomie). Bei Laboruntersuchungen zeigt sich ein Anstieg der Leukozytenzahl und Transaminasen (eine bestimmte Enzymgruppe), der sich jedoch wieder stabilisierte. Ebenfalls normalisiert sich ein Abfall von Bilirubin (Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs). Im wesentlichen ist die Verträglichkeit von Linomide als gut einzustufen. Die beobachteten „grippeähnlichen Symptome“ sind auch von anderen Immunmodulatoren bekannt. Kostengünstige orale Behandlungsform 526 Zusammenfassend gesagt, ist Linomide ein nicht suppressiver Immunmodulator, der bestimmte Immunzellen (Makrophagen, T-Lymphozyten und NK-Zellen) stimuliert und die Produktion von TNF-Alpha unterdrückt. Linomide kann oral verabreicht werden . Sollte sich in der Phase-3-Studie eine bessere Wirksamkeit als bei anderen Immunmodulatoren zeigen, stünde mit Linomide eine kostengünstige orale Behandlungsform ohne Risiko eines Wirkungsverlustes durch eventuelle Antikörper zur Verfügung. Zum jetzigen Zeitpunkt kann Linomide nicht außerhalb der laufenden Studien gegeben werden. Dr. Hans Wilimzig, Paracelsus-Klinik, Osnabrück Seiten 12 und 13: Tips & Urteile Heilpraktiker: Wann zahlen die privaten Kranversicherungen? Die privaten Krankenversicherungen bezahlen die Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker nur dann, wenn eine medizinische Notwendigkeit vorliegt. Fehlt es bereits an einer Diagnose, kann nicht von einer medizinischen Notwendigkeit ausgegangen werden. Im übrigen ist die medizinische Notwendigkeit für eine Heilbehandlung vom Standpunkt der Schulmedizin aus zu überprüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch neuere und in der Schulmedizin noch nicht gesicherte Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten zulässig und möglich sein müssen, so das Oberlandesgericht Düsseldorf. (OLG Düsseldorf, AZ: 4 U 295/93) Wer zu einem Heilpraktiker geht, hat allerdings Anspruch auf Aufklärung. Die Aufklärungspflicht des Heilpraktikers erstreckt sich auch auf finanzielle Aspekte. Der Patient müsse darauf hingewiesen werden, daß private Krankenkassen die Kosten nicht oder nur teilweise übernehmen. (AG Göppingen, AZ: 12C 1913/95) Krankenkassen müssen spezielle Bettwäsche bezahlen Bei Asthma und einer Allergie gegen Hausstaubmilben müssen Orts- und Betriebskrankenkassen die Kosten für speziell verordnete Bettwäsche übernehmen, wenn der Patient durch deren Anschaffung übermäßig und unzumutbar belastet wird. Allerdings darf die Krankenkasse den Preis für die Anschaffung von normaler Bettwäsche abziehen. (BSG Kassel, AZ: 1 RK 8/95) Silikonimplantate auf eigenes Risiko Wenn eine Hängebrust trotz Einsatz eines umstrittenen Silikonimplantats schon nach wenigen Wochen wieder ihre alte Form annimmt, ist der Arzt nicht zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln ist dies das eigene Risiko der Patientin. (OLG Köln, AZ: 5 U 234/94) Berufsbedingte Telefongespräche zu Hause sind absetzbar Führt ein Arbeitnehmer zu Hause Telefongespräche, die beruflich bedingt sind, und weist diese durch entsprechende Notizen (Protokoll oder Liste) über 527 einen Zeitraum von etwa drei Monaten nach, so kann er zumindest 20 Prozent der anfallenden Gesamtkosten vom steuerpflichtigen Einkommen abziehen, wenn die monatliche Telefonrechnung 130 Mark nicht überschreitet. (Finanzgericht München, 2 K 2244/87) Krankenkasse zahlt Faxgerät für unartikuliert Sprechenden Wer sich sprechend nur schwer verständigen kann, dem kann ein Faxgerät eine echte Hilfe sein. Im vorliegenden Fall beantragte ein Gehörloser bei seiner Krankenkasse solch ein Hilfsmittel. Diese lehnte die Kostenübernahme ab, weil es sich dabei um einen Gegenstand des täglichen Lebens handelt, wofür die Kasse nicht einzutreten habe. Der Patient zog vor das Landessozialgericht und hatte Erfolg. Die Richter verurteilten die Krankenkasse dazu, dem Betroffenen ein Faxgerät zur Verfügung zu stellen. (LSG Rheinland-Pfalz, AZ: L 5 K 8/94) Arzttermin versäumt - kein Ersatz Wer unentschuldigt einen Zahnarzttermin nicht wahrnimmt, kann dafür nicht zur Kasse gebeten werden. Ein Zahnarzt wollte vom Patienten Schadensersatz und Vergütung kassieren. Doch das Amtsgericht Rastatt lehnte sein Begehren ab. Kostenübernahme für Außenseiter-Methoden Wenn mit schulmedizinischen Methoden einem gesetzlich Krankenversicherten nicht mehr geholfen werden kann, so hat er einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für Außenseiter-Methoden. Läßt sich eine Außenseiter-Therapie nur im Ausland durchführen, muß die Krankenkasse notfalls auch die dafür anfallenden Kosten übernehmen. (SG Hamburg, 22 Kr. 8/92) Haushaltshilfe bei Krankenhausaufenthalt mit krankem Kind Wenn die Eltern in ein Krankenhaus mitaufgenommen werden, weil ihr Aufenthalt für die Behandlung ihres kranken Kindes beispielsweise aus medizinischen oder psychologischen Gründen nötig ist, muß die Krankenkasse für die anfallende Zeit eine entsprechende Haushaltshilfe bezahlen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß ein weiteres Kind unter zwölf Jahren im Haushalt lebt. Der entsprechende Gesetzeswortlaut sagt jedoch eigentlich, daß der Anspruch auf eine Haushaltshilfe nur für die oder den Kranken selbst gilt. Das Bundessozialgericht sieht aber keinen grundsätzlichen Unterschied darin, ob der Betroffene selbst krank ist oder der Zustand des Kindes bzw. des jeweiligen Angehörigen dessen Mitaufnahme erfordert. Entscheidend sei, so die Richter, daß der Behandlungserfolg nicht durch Haushaltspflichten beeinträchtigt werden soll. (BSG Kassel, AZ: 1 RK 11/95) Seite 14: Lexikon 528 Stichwort: Schlaganfall Eine bundesweite Kampagne klärt über Risiken und Früherkennung auf Obwohl Schlaganfälle heute als dritthäufigste Todesursache in den Industrieländern gelten, werden erste Warnzeichen von den Betroffenen, aber auch den Ärzten häufig übersehen und nicht ernstgenommen. Ein gefährliches Desinteresse bei 200.000 Neuerkrankungen im Jahr allein in Deutschland, zumal jeder fünfte Schlaganfall zum Tode führt und ungefähr die Hälfte aller Erkrankten invalide bleiben. Zum Jahresende startete die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe daher eine breitangelegte Vorsorgekampagne mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit für Anzeichen und begünstigende Faktoren eines Anfalls zu schärfen. Im Mittelpunkt der Aktion steht ein schriftlicher Test über persönliche Risikofaktoren, den jeder Bürger in Apotheken oder bei der Stiftung erhalten und von Experten auswerten lassen kann. Weitverbreitet ist die Ansicht, der Schlaganfall treffe nur ältere Menschen. Die Statistik zeigt, daß 50 Prozent der Betroffenen noch im erwebsfähigen Alter sind. Dennoch ist die Gefahr, jenseits des 75. Lebensjahrs zu erkranken, 100mal größer ist als in den vorangegangenen Lebensjahren. Grundsätzlich sind Männer im Alter zwischen 45 und 74 Jahren geringfügig stärker betroffen als gleichaltrige Frauen. Ein eindeutiges Risikoprofil ist statistisch nicht belegbar. Als Hauptrisiko gilt heute der Bluthochdruck, begünstigt vor allem durch Rauchen, starken, regelmäßigen Alkoholkonsum sowie übertrieben fleischreiche und fette Ernährung. Hinzu kommt eine genetische Disposition. Der Einfluß von zusätzlichen Hormongaben (z.B. mit der „Pille“) auf die Schlaganfallgefahr für Frauen ist weiterhin umstritten. Schlaganfälle werden ausgelöst durch plötzliche Verstopfungen und Verengungen von Blutgefäßen im Gehirn. Gefäßablagerungen (Arteriosklerosen), Thrombosen und Thromboembolien der Halsschlagader können letztlich zu einer Blockade der Durchblutung einzelner Hirnregionen führen, wodurch diese vorübergehend, vielfach aber auch bleibend geschädigt werden. Halbseitige Lähmungen, schwere Sprach- und Sehstörungen sind die häufigsten Folgen. In schweren Fällen werden auch innere Organe in Mitleidenschaft gezogen, so daß der Anfall lebensbedrohlich wird. Rasche Notfallbehandlung und umfassende Rehabilitationsmaßnahmen ermöglichen den Betroffenen jedoch vielfach eine weitgehende Wiederherstellung ihrer Fähigkeiten. Voraussetzung ist allerdings, daß ein Schlaganfall rechtzeitig erkannt wird. Oft gehen dem Zusammenbruch, der schließlich unerwartet eintritt, typische Störungen voraus. Werden sie richtig gedeutet, können medizinische Maßnahmen die Gefahr des eigentlichen Anfalls vermindern. Diese ersten Symptome zeigen sich bei vielen Patienten Monate zuvor. Sie setzen plötzlich ein und sind häufig vorübergehend. Hierzu zählen Lähmungen auf einer Körperseite, Sehstörungen mit Doppelbildern, Drehschwindel, Schwierigkeiten sprachlicher Verständigung und überraschend starke Kopfschmerzen. Treten diese Anzeichen verstärkt auf, so wird dringend zur weiteren Diagnostik durch den sogenannten Dopplertest geraten, mit dem Neurologen eventuelle Verengungen und Thrombenbildungen in der Halsschlagader aufspüren können. In besonders schweren Fällen muß ein operativer Eingriff zur Erweiterung der Halsschlagader vorgenommen werden, um einen Anfall zu verhindern. Personen, die generell ein erhöhtes Risiko 529 aufweisen, wird als vorbeugende Maßnahme auch zu körperlicher Bewegung, vegetarischer und fischreicher Ernährung sowie Rauchentwöhnung geraten. Auch im Falle des akuten Schlaganfalls beklagen Fachleute, daß Sofortmaßnahmen häufig verschleppt werden. Die Blockade der Hirndurchblutung (Hirninfarkt) zeigt sich vor allem durch plötzliche Bewußtseinstrübung, Apathie, Lähmung einer Körperseite und – ein charakteristisches Zeichen – von der betroffenen Seite des Kopfes abgewandten Blick. In dieser Phase muß vor allem die Kontrolle über die Vitalfunktionen sichergestellt werden, um lebensbedrohliche Komplikationen zu verhindern. Setzt die Notfallhilfe in der neurologischen Station eines Krankenhauses in den ersten vier, spätestens sechs Stunden nach dem Zusammenbruch ein, so bestehen aber auch deutlich erhöhte Chancen zu Regeneration. Ständig vorhandene MS-Symptome und die vorübergehenden Anzeichen des drohenden Schlaganfalls lassen sich oft nur durch bildgebende Verfahren des Facharztes eindeutig unterscheiden. Bei der MS zeigen sich meist mehrere Herde im Gehirn, beim Schlaganfall nur eine betroffenen Region. MSPatienten mit klarer Diagnose sollten sich daher durch die derzeitige Kampagne nicht unnötig beunruhigen lassen. Nähere Informationen und den Test erhalten Sie bei: Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe Postfach , 33318 Gütersloh Telefon: 05241 – 97 70 0 Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Dez. ‘96 So, 8. Dezember, 6.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin Erkrankungen der Lunge Was meist harmlos mit Husten und Atembeschwerden beginnt, kann sich zu lebensbedrohlichen Krankheitsbildern entwickeln. Wie kann bei akuten und chronischen Lungenerkrankungen geholfen werden? Gibt es neue Waffen im Kampf gegen Lungenentzündung und Tuberkulose? Wie groß sind die Heilungschancen bei Krebs und welche Erfolge bringen neue Operationstechniken? So, 8. Dezember, 7.45 Uhr, 3sat: Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik Krebs – 1928 wurde eine Theorie veröffentlicht, die die Enstehung von Krebs erklären konnte: Die Mutationstheorie der Geschwulstentstehung von Karl Heinrich Bauer. Der Film zeigt die Entstehung der modernen Krebsforschung. Mo, 9. Dezember, 11.00 Uhr, WDR: Fernöstliche Heilkunde Gat Tan in Vietnam - Kräutermedizin Di, 10. Dezember, 20.15 Uhr, BR: Die Sprechstunde Heilmittel Sauerkraut Mi, 11. Dezember, 18.30 Uhr, WDR: Chinesische Medizin 530 Immer mehr Patienten wollen nach den ganzheitlichen Prinzipien der chinesischen Medizin behandelt werden. Die jahrtausendealte Heilkunst ist nicht ohne weiteres auf die westliche Kultur übertragbar. Doch auch bei uns haben sich einige Methoden bewährt. Vor allem bei Schmerz- Haut- und Allergieerkrankungen konnte die chinesische Medizin oft weiterhelfen, wenn sie fachkundig angewandt wurde. Mi, 11. Dezember, 20.15 Uhr, SFB: QuiVive - Medizin Im Blickpunkt: Wenn ein Finger verlorengeht: Replantationschirurgie QuiVive stellt die modernen Möglichkeiten der Replantationschirurgie vor. Fr, 13. Dezember, 15.30 Uhr, 3sat: Gesundheitsmagazin Praxis Wenn Kaufen krank macht Mo, 16. Dezember, 6.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde Medikamente bei Hochdruck und Rheuma Mo, 16. Dezember, 11.00 Uhr, WDR: Fernöstliche Heilkunde: Wat Po in Thailand - Heilwissen aus Tempeln und Klöstern Mi, 18./19. Dezember, 0.00 Uhr, SAT.1: Warum muß Wesley sterben? Spielfilm: In einer amerikanischen Kleinstadt verhindern die Eltern Lucky und Perry Parker die medizinische Behandlung ihres zucker-kranken Sohnes Wesley. In ihrem unerschütterlichen Glauben an Gott erwarten sie, daß ihr elfjähriger Sohn durch ein Wunder geheilt wird. Sie verweigern Wesley die nötigen Insulinspritzen, er fällt ins Koma ... Fr, 20. Dezember, 10.30 Uhr, WDR: Fernöstliche Heilkunde: Kanda Empat in Indonesien - Die Balance der Elemente Fr, 20. Dezember, 15.30 Uhr, 3sat: Visite Gesundheit im Alltag - Künstliche Leber Lebertransplantation - Heilung in der Druckkammer - Das chronisch kranke Kind Mo, 23. Dezember, 6.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde Heilen mit Honig Fr, 27. Dezember, 16.30 Uhr, N3: Therapie um jeden Preis? Patienten, Ärzte und die High-Tech-Medizin „Bevor ich noch einmal auf die Intensivstation komme, sterbe ich lieber“, so die Aussage eines 50jährigen Mannes, der sich in den vergangenen Jahren zweimal eine neue Leber tranplantieren ließ. Die Erfolge der High-TechMedizin sind beeindruckend, doch die grenzenlose Machbarkeit hat auch ihre Schattenseiten. Oft werden bei hoffnungslosen Fällen therapeutische Maßnahmen zum Selbstzweck, zur Quälerei für die Patienten. Der Film zeigt die Gratwanderung zwischen einem fatalen Machbarkeitswahn und einer sinnvollen Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten. Buch-Tip Mit den Grenzen moderner Medizin beschäftigen sich die beiden Autoren. Die Hochleistungsmedizin zwingt uns zu der Frage: Um welchen Preis müssen wir Leben verlängern. Die Auseinandersetzung mit diesem Tabu bezieht ethische 531 und juristische Aspekte ein. Im Anhang befindet sich ein umfangreiches Adressenverzeichnis. „Leben verlängern - um welchen Preis“ (328 S.) von Kurt Langbein und Christian Skalnik ist im Europaverlag erschienen und kostet 39,80 Mark. 8.19 „Autoimmun“ Nr. 1 von Februar/März 1997 (Notausgabe) Seiten 1 und 2: Autoimmun-Notausgabe Bedingt durch den Umzug der Redaktion sind wesentliche produktionstechnische Voraussetzungen zur Herstellung der geplanten Autoimmun Februar/März 1997 unerwartet ausgefallen. Die Produktion war ernsthaft gefährdet. Der Verlag hat sich daher entschlossen, zumindest die vorliegende Notausgabe zu erstellen, um Ihnen die neusten Nachrichten über MS und Autoimmunkrankheiten doch noch zukommen zu lassen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Neue Medikamente gegen die Multiple Sklerose aus der Transplantationsforschung? Die Organverpflanzung zählt zu den jüngsten Wissenschaften der Medizin. Noch vor gut dreißig Jahren lächelten die meisten Chirurgen über die Idee, ein krankes Organ durch ein gesundes zu ersetzen. Es galt als nahezu unvorstellbar, daß ein Mensch mit einer fremden Niere überleben könnte. Heute stellt sich die Transplantation überwiegend als technischer Vorgang dar, der allerdings von erfahrenen Medizinern durchgeführt werden muß. Das eigentliche Problem bei einer Organverpflanzung ist die Zeit nach der Operation. Hier kommt es häufig zu den gefürchteten Abstoßungskrisen: Der Körper nimmt das neue Organ nicht an, er erkennt darin einen Fremdkörper, den er bekämpfen muß. Das Immunsystem richtet seine Abwehrkräfte gegen das Transplantat, also gegen den eigenen Körper. Bei den uns bekannten Autoimmunkrankheiten (Rheuma, Multiple Sklerose u.a.) liegt ein ähnlicher Defekt vor. Allerdings läßt sich die Ursache, warum sich der Körper gegen sich selbst richtet, noch nicht klären. Bei der MS ist z.B. bekannt, daß eine körpereigene Reaktion die Myelinscheiden der Nervenbahnen vernichtet und damit bei den Patienten die MS-typischen Symptome auslöst. Also liegt auch hier ein autoimmuner Effekt vor, ähnlich den Abstoßungskrisen nach Organtransplantationen. In beiden Fällen muß es das Ziel einer Therapie sein, die fehlgeleitete Abwehrreaktion des Körpers zu verhindern. Auf der Suche nach wirksamen Medikamenten gegen die MS und andere Autoimmunkrankheiten lohnt es sich für Wissenschaftler und Ärzte, den Kollegen aus der Transplantationsforschung über die Schultern zu schauen. Dies wurde bereits vor rund zwei Jahrzehnten getan. Das Zauberwort hieß damals Immunsuppression, und dies gilt bis heute. Das erste „Abfallprodukt“ der Transplantationsforschung für MS-Patienten hieß Azathioprin (IMUREK). Es wird als Basisimmunsuppressor bei Organverpflanzungen in Kombination 532 mit bestimmten Kortisonpräparaten verabreicht. Nach aktuellen Studien ist es unter Krebsverdacht geraten. Doch Transplantations-Ärzte kennen noch andere und neuere Präparate. Bereits verwendet werden Cyclosporin A (SANDIMMUN) und Anti-T-Lymphozyten-Globulin (ATG). Beide Medikamente wirken auf der Ebene der T-Lymphozyten und zerstören bzw. hemmen deren Bildung, womit das weitere Zellwachstum verhindert werden soll. Der gewünschte Langzeiteffekt: weniger aktive Zellen, die sich gegen den eigenen Körper richten können. Von beiden Substanzen liegen bis heute keine positiven Ergebnisse über die Therapie der MS vor. Zur Zeit lenkt die Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit auf neuere Immunsuppressiva, die in ihrer Wirkung die Zellentwicklung wesentlich spezieller beeinflussen. Der Eingriff erfolgt schon in einem frühen Stadium der Zellreifung. Ein weiterer Vorteil sind die geringeren Nebenwirkungen. Zum Beispiel ist das in Japan entwickelte und zugelassene Bredinin (MIZORIBIN) eine neue Alternative zum Azathioprin, weil es vergleichsweise weniger hämatologische Nebenwirkungen haben soll. Ferner ist die aus den USA stammende und ebenfalls zugelassene Mycophenolsäure (CELLCEPT) bemerkenswert. Der klinische Effekt zur Vorbeugung der Abstoßungskrise ist nachgewiesen. Mycophenolsäure blockiert ein spezielles Enzym, das bei der Zellvermehrung eine wichtige Rolle spielt. Noch in der Anfangsphase stecken klinische Erfahrungen mit den Substanzen Brequinar und Rapamycin. Es wäre wünschenswert, wenn diese neuen Substanzen aus der Transplantationsforschung einer klinischen Kontrolle bei der MS und anderen Autoimmunerkrankungen unterzogen würden, da es inzwischen genügend Hinweise auf eine Wirksamkeit gibt, wie die Studie mit dem in Japan bei Nierentransplantationen zugelassenen Medikament Deoxyspergualin zeigt. News & Hintergrund Zweites Alzheimermittel in den USA zugelassen Vor knapp fünf Jahren wurde mit dem Mittel Tacrin (COGNEX) das erste Medikament gegen die Alzheimerkrankheit zugelassen. Nun kommt aus den USA die Nachricht, daß mit dem Mittel Donepezil (ARICEPT) eine weitere Therapiemöglichkeit zur Verfügung steht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger soll es bei der Einnahme von Donepezil zu weniger Leberschäden kommen, wie zwei klinische Studien bewiesen haben. Umstrittener britischer MS-Cocktail Die Heilung einer britischen MS-Patientin wurde von der Presse aufgegriffen und ging weltweit durchs Internet. Jetzt warnt die British MS-Society vor dem Cocktail, der die bettlägerige Patientin wieder zum Gehen gebracht haben soll. Das Rezept ist denkbar einfach: Viel Coca Cola light, wenige Antidepressiva und Vitamin B regelmäßig einnehmen. Nun von allen Seiten attackiert, „ging“ die Geheilte nach Australien, um in Ruhe zu leben. Der in Cola light enthaltene Süßstoff Aspartam steht nach neueren Studien im Verdacht, Hirntumoren auszulösen, vom Genuß des Getränks ist daher bis zur Klärung abzuraten. 533 Zellverpflanzung baut Myelin wieder auf Als „radikale Neuerung“ für die Behandlung von Krankheiten, die durch eine Demyelinisierung charakterisiert sind, bezeichnen Wissenschaftler vom Department of Medical Sciences der University of Wisconsin (USA) ihre Forschungsergebnisse. Nicht die Immunsuppression, sondern eine Verpflanzung von Nervenzellen soll einen therapeutischen Erfolg bringen können. Dabei sollen vererbte Myelinschäden, aber auch ein entzündlich bedingter Myelinabbau (z.B. Multiple Sklerose) behandelbar werden. In Tierversuchen wurde herausgefunden, daß die verpflanzten Gliazellen (Nervenzellen) gut angenommen werden und sich innerhalb von 24 Stunden verteilen. Das vorher durch myelintoxische Chemikalien zerstörte Myelin und die Axonen (Fortsätze der Nervenzellen) begannen wieder zu wachsen. Besonders geeignet für die Reparatur des Myelins sind sogenannte Oligodendrozyten oder Schwann-Zellen, Nervenzellen, die in entfernteren Nervenfasern vorkommen. Die Wissenschaftler versuchen nun, die Ergebnisse durch weitere Tierversuche zu bestätigen, um bald die Verpflanzung von Nervenzellen in klinischen Studien beim Menschen zu prüfen. Tips & Urteile Falsches Material bei Zahnbehandlung Hält sich der Zahnarzt nicht an eine Absprache mit dem Patienten, so braucht dieser auch nicht die Rechnung zu bezahlen. In einem dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegten Fall hatte der Patient beim Einsetzen einer Zahnbrücke auf einem bestimmten Material bestanden. Der Zahnarzt verwendete jedoch ein anderes als das vereinbarte Material. Die Folge: Der Patient braucht die falsche Brücke nicht zu bezahlen. (OLG Nürnberg, AZ: 11 S 8676/93) Kein Anspruch auf bestimmte Medikamente Verlangt der Patient zur Therapie seiner Krankheit ein bestimmtes Medikament, so hat er keinen Anspruch darauf, daß der Arzt es ihm verschreibt. Allein der behandelnde Arzt entscheidet, welche Medikamente er dem Patienten gibt. Allerdings sollte er die Erfahrungen des Patienten mit bestimmten Arzneien in seine Entscheidung einfließen lassen. (OLG Hamm, AZ: 20 U 134/95) Aufklärung über Alternativmedizin Ein Arzt ist verpflichtet, den Patienten aufzuklären, wenn die von ihm angewandte Behandlungsmethode von der Schulmedizin abgelehnt wird. Informiert er den Patienten nicht darüber, so stellt das einen groben Behandlungsfehler dar, der Schmerzensgeldansprüche nach sich ziehen kann. (OLG Koblenz, AZ: 7 U 520/94) TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Februar ‘97 Montag, 17. Februar, 11.00 Uhr, WDR: ARD exklusiv: Chirurg im Dauerstreß – 32 Stunden in einer deutschen Klinik. 534 Freitag, 21. Februar, 13.45 Uhr, N3: Früchte der Erde: Mais – Pflanzenzucht und Gentechnologie. März ‘97 Dienstag, 11. März, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin: Kranke Gelenke, Verschleiß, Ersatz – Immer mehr Menschen erleiden heute in immer jüngerem Lebensalter schmerzhafte Veränderungen und vorzeitigen Verschleiß der Gelenke. Besonders betroffen sind die Knie- und Hüftgelenke. Mit modernen High-Tech-Verfahren können Defekte an diesen Gelenken heute aufgespürt und oft auch behandelt werden. Über die neusten Erkenntnisse in der Diagnose, Behandlung und Vorbeugung von Gelenkerkrankungen informiert diese Sendung (Wiederholung am 16.3., 6.00 Uhr auf N3). 8.20 „Autoimmun“ Nr. 2 von April/Mai 1997 Seiten 3 Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit dieser Ausgabe möchten wir Sie über Therapieformen informieren, die nicht zu den regulären Behand-lungsmethoden der Ärzte zählen. Viele chronisch kranke Menschen fragen sich, ob sie Hilfe bei Heilpraktikern suchen sollen. Diese wecken mit Naturheilmethoden und intensiverem Patientenkontakt Vertrauen. Eine Patentantwort auf diese Frage gibt es jedoch nicht. Zu stark hängt die Beurteilung von der Qualität der jeweils angewandten Verfahren ab. Da jeder Patient diese genau prüfen sollte, bevor er sich zu einer der oft teuren Therapien entschließt, bieten wir Ihnen einige Informationen zum Thema an, damit sie selbst entscheiden können. Auch die Elektrotherapie kommt bei den meisten Schulmedizinern viel zu kurz, obwohl sie schon Jahrzehnte alt ist. Die Entwicklung eines neuen Verfahrens nehmen wir zum Anlaß, darüber zu berichten und sprechen mit einem Neurologen, der dieser Therapie wieder verstärkt Aufmerksamkeit schenkt. Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… …teilte Dr. Franz Fazekas von der Grazer Karl-Franzens Universität in Österreich die Ergebnisse einer Studie mit Immunglobulinen bei Multipler Sklerose mit. Immunglobuline sind Proteine, die von den B-Lymphozyten im menschlichen Körper gebildet werden. An der Studie haben insgesamt 148 Patienten teilgenommen. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die erste erhielt intravenös Immunglobulin in einer monatlichen Dosis von 0,15 bis 0,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, die zweite bekam ein wirkungsloses Scheinmedikament. Der Erfolg der Studie war „eklatant“, wie Fazekas in der „Ärzte Zeitung“ das Resultat kommentierte: In der Gruppe der Immunglobulin-behandelten Patienten sei eine Abnahme der Behinderungen gemessen worden. Zur Beurteilung des Erfolges wurde die EDSS-Skala verwendet. Damit lassen sich 535 MS-typische Ausfälle der körperlichen Funktionen auf einer Skala von 1 bis 10 erfassen. Rund ein Drittel der mit Immunglobulin behandelten Patienten verbesserte seinen körperlichen Zustand nach zwei Jahren. Bei über der Hälfte der MS-Patienten blieb die Krankheit stehen. Dagegen wurde nur bei 14 Prozent der Placebo-Patienten eine Symptom-Verbesserung festgestellt. Damit scheinen Immunglobuline, die bei anderen Krankheiten schon lange eingesetzt werden, auch bei der MS eine positive Wirkung zu haben. Nebenwirkungen seien nicht oder kaum beobachtet worden, so daß man von einer guten Verträglichkeit sprechen kann. Weitere Studien sind geplant. Seiten 4, 5, 6 und 7: Zum Arzt oder zum Heilpraktiker? Der Arztbesuch: Erst bekommt man keinen Termin, dann plötzlich doch. Nun muß man sich fast dafür entschuldigen, daß man sich krank fühlt. Volles Wartezimmer, viel Zeit mit uninteressanten Illustrierten verbringen und schließlich der Höhepunkt: Ein paar Minuten mit dem Arzt. Immer mehr chronisch Kranke suchen Alternativen und gehen zum Heilpraktiker. Doch kann der den Patienten helfen? Das hängt von den Methoden ab, die er beherrscht und anbietet. Christine K. aus Bremen ist ratlos. Die 34-jährige Graphikerin leidet unter Rheuma. Verschiedene Ärzte hat sie nach eigenen Aussagen bereits „verschlissen.“ Eine Bekannte riet ihr, zu einem Heilpraktiker zu gehen, der könne bestimmt etwas für sie tun. Christine fragt sich nun: Kann ein Heilpraktiker ihr besser helfen? Wie steht es um seine medizinische Ausbildung? Sind es Scharlatane, die nur an ihr Geld denken? Wird ihre Krankenkasse die anfallenden Kosten übernehmen oder bezuschussen? Heilpraktiker üben Heilkunde aus, ohne Arzt zu sein. Vorausetzungen und Grenzen ihrer Berufsausübung beschreibt das zuletzt 1974 geänderte Heilpraktikergesetz. Zu den Voraussetzungen gehören ein bestimmtes Lebensalter (mindestens 25 Jahre), der Hauptschulabschluß, „sittliche und gesundheitliche Eignung“ – und schließlich die Zustimmung des örtlich zuständigen Gesund-heitsamtes, das überprüfen muß, daß die Art und Weise, in der der künftige Heilpraktiker seinem Beruf nachgehen will, keine Gefahr für die Volksgesundheit darstellt. Eine Ausbildung, eine bestimmte Form der Prüfung durch das Gesundheitsamt sind nicht gesetzlich vorgeschrieben. Mit Genehmigung des Patienten – zwingende Voraussetzung! – dürfen Heilpraktiker viele Behandlungen am Patienten vornehmen, die üblicherweise zu den Aufgaben eines Arztes gehören. Ausnahmen: meldepflichtige Krankheiten und Geschlechtskrankheiten darf ein Heilpraktiker nicht behandeln; er darf weder Gynäkologie noch Geburtshilfe noch Zahnheilkunde betreiben, er darf keine rezeptpflichtigen Medikamente verschrieben und kann keine amtlich gültigen Bescheinigungen ausstellen. Die Rechnung zahlt der Patient Für die Übernahme der Behandlungskosten ist die gesetzliche Vorschrift wichtig, daß die Heilpraktikertätigkeit nicht für die gesetzliche Krankenversicherung zugelassen ist. Generell müssen sich alle Mitglieder darauf einstellen, die Rechnung eines Heilpraktikers vollständig selbst 536 bezahlen zu müssen. Da kann plötzlich eine große Überraschung eintreten, wenn auf der Rechnung unerwartet hohe Beträge erscheinen. Sie bekommen nicht einmal einen Zuschuß von der Krankenkasse. In der Vergangenheit gab es Ausnahmen, die jedoch immer seltener werden. Die Sozialministerien und Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenkassen und die Sozialgerichte haben zuschußwillige Kassen häufig zur Ordnung gerufen. Die Zahl der genannten Einschränkungen und das Fehlen strikter gesetzlicher Standards für die Qualität der Heilpraktikerausbildung rechtfertigt jedoch keine allgemeinen Vorbehalte gegen diesen Beruf und seine Seriosität. Die innerorganisatorischen Vorschriften etwa des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker oder des Verbandes Deutscher Heilpraktiker verpflichten die Mitglieder in ganz ähnlicher Weise wie dies die ärztlichen Berufsordnungen für die Mediziner vorsehen. Allerdings besteht hierbei ein entscheidender Unterschied: Kein Heilpraktiker muß Mitglied eines Berufsverbandes sein, aber jeder Arzt ist obligatorisch Mitglied seiner Kammer und unterliegt deren Beschlüssen. Etliche der sogenannten Naturheilverfahren oder – im ärztliche Sprachgebrauch – komplementär-medizinischen Methoden werden bereits von sehr vielen Ärzten eingesetzt. Nach einer repräsentiven Befragung aus dem Jahr 1995 (H. Haltenhof, B. Hesse und K.-E. Bühler, Gesund.-Wes. 57) unter 793 Ärzten aus Praxis und Krankenhaus befürworten 63 Prozent der Befragten grundsätzlich den Einsatz solcher Methoden. Mehr als die Hälfte der Befürworter wendet sie auch an, vor allem bei chronischen (85 Prozent der Befragten), nicht heilbaren (56 Prozent), psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Die befragten Mediziner berichten von großer Akzeptanz dieser Methoden durch ihre Patienten, fast drei Viertel der Patienten hielten die Behandlung für „sehr gut“ oder „gut“; nur drei Prozent der Patienten reagierten mit völliger Ablehnung. Grundlage für die Krankenkassen, ob sie die Kosten einer Alternativtherapie übernehmen oder bezuschussen dürfen, ist ein Urteil des Bundessozialgerichts (Az 1 Rr 6/93) vom August 1995, wonach die Wirksamkeit der Therapie statistisch, also mit großen Fallzahlen – nicht nur anhand von Einzelfällen – nachgewiesen sein muß. Vor Verkündung dieses Urteils konnten die Kassen großzügiger sein und die Kosten übernehmen, wenn die Schulmedizin gegen die betreffende Krankheit keine Behandlungsmöglichkeit kannte, und wenn die Alternativmethode wenigstens Chancen zu einem Behandlungserfolg bot. Heilpraktikerbesuche werden dem Arzt verschwiegen Alternativmethoden sind, wie wohl alle therapeutischen Eingriffe, nicht frei von Nebenwirkungen und Gefahren. Diese Tatsache ist vielen Anhängern der Alternativmedizin nicht bekannt. Beide Seiten, Ärzte und Heilpraktiker, weisen bevorzugt auf die Mißerfolge der Gegenseite hin. Nach verschiedenen Schätzungen von Ersatzkassen sollen 80 Prozent der Heilpraktikerpatienten gleichzeitig und meistens wegen desselben Leidens bei einem Arzt in Behandlung sein. Das muß keine überflüssige Doppelbehandlung sein, es kann sich durchaus um eine sinnvolle Ergänzung handeln. Bedauerlich ist allerdings, daß die übergroße Mehrheit der „Doppelpatienten“ ihrem Arzt den Besuch beim Heilpraktiker verschweigt. 537 Vielleicht sollten Patienten mit einer langwierigen schweren oder schwer ertragbaren Krankheit so vorgehen: Nicht sich nur fragen, was ist prinzipiell besser, ein Arzt oder ein Heilpraktiker? Sondern sich die Frage stellen: Wer hat die besseren, besser begründeten, aussichtsreicheren Methoden? Und wenn beide dieselbe Methode anbieten, schließt sich die Frage an: Wer hat das tiefere fachliche Hintergrundwissen? Schließlich sollte auch noch die Frage nach den Kosten gestellt werden, denn wenn ein Krankenkassenarzt möglicherweise günstiger abrechnen kann, wäre der Heilpraktikerbesuch die teurere Variante. Den Vorteil des Heilpraktikers (Zeit für den Patienten) findet man auch bei denjenigen Ärzten, die sich dem Termin- und Kassenscheindruck des Kassenarztsystems entziehen und ganz oder teilweise zur Privatbehandlung übergehen. Die Kosten trägt dann der Patient, die Preisunterschiede sind von Heilpraktiker zu Heilpraktiker wie auch von Arzt zu Arzt teilweise beträchtlich. Es ist daher sinnvoll, vorab einen Preisvergleich durchzuführen, wenn man sich für eine bestimmt Methode entschieden hat. Ärzte und Heilpraktiker, die unkonventionelle Methoden anbieten, müssen ihre Preise offenbaren. Christine K. hat sich nun dazu entschlossen, einen Heilpraktiker auszusuchen. Allerdings wird sie den ersten Termin nur zu einem informativen Gespräch nutzen. Dabei wird sie verschiedene Behandlungsmethoden besprechen. Ferner möchte sie einen Eindruck von dem Menschen bekommen, der ihr als Heilpraktiker gegenüber sitzt. Einen Termin bei Ihrer Krankenkassen hat sie auch schon ausgemacht. Dort möchte sie genau erfahren, bei welcher Methode die Krankenkasse sie unterstützt. Die unkonventionellen Methoden der Medizin Welches sind die von Ärzten am häufigsten eingesetzten komplementärmedizinischen Therapien? Die auf S. 6 erwähnte Befragung kommt hier fast zu dem gleichen Ergebnis wie eine Untersuchung von G. Glaeske (Unkonventionelle Methoden in der Medizin, Siegburg 1995). Hier auszugsweise Zahlen der Glaeske-Studie, die auf 14.000 Erstattungsanträgen an Ersatzkassen beruhen: Akupunktur – 30 % Phytotherapie (Behandlung mit Heilpflanzen) – 13 % Sauerstofftherapie - 8 % Bioresonanztherapie – 6 % Ozon-/Ozoneigenblut – 5 % Laserbehandlung – 4 % Heileurythmie (Wärmebehandlung) – 3 % Hippotherapie – 2 % Hämatogene Oxidationstherapie/HOT (Sauerstoffüberdrucktherapie) – 1 % EAV/Elektroakupunktur nach Voll – 1 % Eigenblutbehandlungen – 1 % Thermotherapie – 1 % (Alle Zahlen sind gerundet / andere Verfahren liegen unter 1%.) 538 Das „Deutsche Heilpraktiker Lexikon“ gibt Auskunft über viele niedergelassene Heilpraktiker. Neben Adressen und Sprechzeiten läßt sich damit ermitteln, welche Behandlungsmethoden angeboten werden. Kurt Bütow, Deutsches Heilpraktiker Lexikon, erschienen im Bavaria Kunstverlag für DM 39,80 ,-, Telefon: 0821/46 82 03. Neues aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zusammengefaßt Rückenmarkszustand bei MS Der Rolle des Rückenmarks bei der MS wird immer mehr Beachtung geschenkt. Ein Forscherteam der Neurologischen Abteilung der Universität von Mailand (Italien) untersuchte bei 42 Patienten mit Hilfe der Kernspintomographie die Querschnittsgröße und den Durchmesser des Rückenmarkkanals. 15 Patienten litten unter einem gutartigen MS-Verlauf, 17 unter der sekundär progredienten Variante und 10 waren gesund, also die Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Bei Patienten, die unter der sekundär progredienten Verlaufsform leiden, wurde eine verkleinerte Rückenmarkskanalfläche im Querschnitt beobachtet. Auch der Durchmesser war geringer als bei den anderen Teilnehmern. Eine Schrumpfung des Rückenmarks wurde bei 41 Prozent dieser Patienten festgestellt. Ein paar aktuelle Zahlen zur MS Statistisches Material zur MS ist rar. Nun haben Forscher vom Molde County Hospital, (Norwegen) die Ergebnisse einer Untersuchung anhand von 124 norwegischen Patienten veröffentlicht. 53% der Erkrankten sind Frauen und 47 % sind Männer. Danach tritt die Krankheit durchschnittlich im Alter von 33 Jahren auf. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren die Patienten durchschnittlich knapp acht Jahre krank. Der EDSS (Krankheitsschwere auf einer Skala von 0 bis 10) lag zu diesem Zeitpunkt im Durchschnitt bei 3,76. Mit fast 40 % war das Hauptsymptom Müdigkeit. Knapp 43 % der Untersuchten besaßen noch einen Vollzeit-Job. Und noch einer interessante Zahl: Der norwegische Bezirk, aus dem die Patienten stammen, hat 1991 Kosten von 7.531.250 Dollar für die Krankheit aufbringen müssen. Seite 8: Therapie Heilung aus der Steckdose? Eine neue Form der physikalischen Therapie setzt auf die elektrische Beeinflussung des Körpers und seiner Zellen. Dabei ist die Krankenbehandlung mit elektrischen Reizen ein medizinischer „Oldie“. Bei chronischen Erkrankungen ist der Einsatz der physikalischen Therapie zwar vorgesehen, doch viele Ärzte und Patienten vertrauen doch eher den pharmakologischen Produkten. Was bedeutet physikalische Therapie oder Physiotherapie? Dabei handelt es sich um Anwendungen, die durch ihre Reizwirkung auf den Organismus zur Vorbeugung von Krankheiten oder deren Therapie geeignet sind. Hierzu zählen die einfache Krankengymnastik, 539 Massage, Licht-, Wärme- und Klimatherapie. Zur klassischen physikalischen Therapie zählt aber auch die Behandlung mit Elektrizität. Die Behandlung von Krankheiten mit Elektrizität ist keine neue medizinische Errungenschaft. Bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts wurde an vielen wissenschaftlichen Einrichtungen und Kliniken mit Erfolg geforscht. Zahllose Veröffentlichungen geben Zeugnis über bewegende Erkenntnisse und Heilungen bei erkrankten Patienten. Doch leider ist mit Aufkommen der pharmakologischen Forschung die Therapie mit Arzneimitteln immer attraktiver - nicht nur für die verdienenden Pharmaunternehmen - geworden. Auch Patienten vertrauten lieber einer scheinbar wirksamen Pille, obwohl im Diagnosebereich die Elektrizität voll etabliert ist, wie die Beispiele Röntgen, EKG, EEG usw. zeigen. Was ist nun die Therapie mit Elektrizität und was kann sie bewirken? Die Elektrotherapie verwendet Wechselströme mit hoher Frequenz, konstant fließenden Gleichstrom und niederfrequente Gleichstromimpulse. Ziel einer Anwendung ist es meistens, eine Hemmung der Schmerzleitung durch Stimmulation bestimmter Nerven zu erreichen. Doch nun haben zwei Wissenschaftler aus Karlsruhe die Elektrotherapie verfeinert und wirkungsvoller gestaltet. Mit der sogenannten Watt-Differential-Therapie (WaDiT) wird die Stimmulationswirkung auf Aktionspotentiale bestimmter Zellen ausgedehnt, oder einzelne Nervenleitungen werden blockiert. Die fein abgestimmten Ströme greifen in die Kommunikation zwischen den Zellen ein und wirken unter anderem anregend auf die Stoffwechselprozesse. Welche Krankheiten können damit behandelt werden und wie wirkt sich die Therapie aus? Der Patient empfindet die elektrischen Ströme als angenehm und effektiv. Außerdem kann er während der Anwendung die Stärke selbst bestimmen und einstellen. Der Einsatz der sogenannten Watt-DifferentialTherapie ist breit gefächert: Asthma, Krebs, Rheuma und Multiple Sklerose sind nur einige Beispiele. Interview mit dem medizinischen Direktor der „Clinical Elektromedical Research Academy“ Dr. med. Hans-Ulrich May (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Karlsruhe) Was kann die sogenannten Watt-Differential-Therapie bei Autoimmunkrankheiten bewirken? Ich habe bei sehr vielen Patienten eine Erleichterung ihres Befindens beobachten können. Leider hat sich keine Klinik gefunden, die eine systematische wissenschaftliche Studie durchführen möchte. Ich würde dies sehr begrüßen. Liegen Ihnen Hinweise zur Behandlung der Multiplen Sklerose vor? Mir liegen bisher wenige Berichte von einzelnen Patienten vor. Aber alle haben von der Watt-Differential-Therapie profitiert. Eine MS-Selbsthilfegruppe aus Nürnberg hat mich angesprochen und um Informationen gebeten. Die Wirkung bei der MS scheint in der stoffwechselerleichternden Eigenschaft zu liegen. Ist das therapeutische Potential ausgeschöpft? Nein, ich bin fest davon überzeugt, daß man noch vieles machen kann. Ich sehe immer wieder neue Erfolge, die mit der WaDiT erreicht werden. Bezahlen Krankenkassen diese Therapie? 540 Die Therapie ist nicht aufgelistet, aber es gibt einzelne Fälle, in denen gezahlt wurde. Die Patienten sollten sich erkundigen. Seite 9: Forschung Krank durch Süßstoff Längst haben sich künstliche Süßstoffe in unserer Ernährungswelt etabliert. Jeder hat sie schon probiert oder verwendet sie regelmäßig. Der Süßstoff Aspartam ist nun in die Schlagzeilen geraten, weil er Krebs auslösen soll. Neben der Suche nach erfolgreichen Therapien zur Behandlung von Krankheiten ist die Erforschung der Ursachen Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen. Dabei sind Forscher erneut auf Süßstoffe aufmerksam geworden. Künstliche Süßstoffe sind Produkte der modernen Lebensmittelforschung. Sie sind verführerisch süß und ohne Kalorien. Doch Anhänger von Fitness und schlanker Linie bekommen jetzt einen Dämpfer. Der Süßstoff Aspartam kann beim Menschen Hirntumoren auslösen. Bekannter ist Aspartam unter dem Handelsnamen Canderel. Als milder Süßstoff kommt er in vielen Lebensmitteln und Arzneien vor. Bereits während der Regierungszeit von Präsident Jimmy Carter äußerte die USKontrollbehörde FDA (Food and Drug Administration) erhebliche Bedenken gegen Aspartam. 1980 übernahm Ronald Reagan das Präsidentenamt. Plötzlich waren alle Bedenken verschwunden. „Jetzt zeigen sich nach ausführlichen Analysen alarmierende Befunde”, so der Arzt und Apotheker W. Becker-Brüser, Chefredakteur des angesehenen Informationsdienstes für Ärzte und Apotheker, „arznei-telegramm“. Neue Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Hirntumoren und Aspartam gaben Versuche mit Ratten. Während eines Versuchs gab man 320 Ratten Aspartam ins Futter, eine ebenso große Gruppe erhielt keinen Süßstoff. Zwölf Tiere aus der Aspartam-Gruppe erkrankten an bösartigen Hirntumoren, in der anderen Gruppe blieben alle Tiere gesund. Aber auch das menschliche Erbgut verändert der Süßmacher. Dadurch wird ein krebserregender Stoff freigesetzt. Becker-Brüser fordert: „Der Schutz der Verbraucher muß Vorrang vor dem Herstellerschutz haben. Deshalb sollte auf Aspartam-gesüßte Produkte verzichtet werden, bis ausführliche Analysen vorliegen“. Die meisten Verbraucher wissen nicht, daß Aspartam in vielen Lebensmitteln vorkommt. Sauerkraut und Rotkohl sind mit Aspartam genauso gesüßt wie das beliebte Getränk Coca Cola light. Kritische Ärzte fordern nun, bis zur Klärung aspartamhaltige Produkte nicht zu verzehren. Dagegen sieht das in Berlin ansässige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin keinen Handlungsbedarf. Dessen Pressesprecherin Lukassowitz wundert sich darüber, daß das Thema wieder aktuell ist. Das sei doch schon vor Jahren geklärt worden. Und weiter: „Die vorgelegte Studie ist wissenschaftlich nicht aussagekräftig“. Unterschiedliche Auffassungen über eine Studie gehören zur wissenschaftlichen Interpretationsfreiheit. Aber daß man wieder einmal das Risiko eingeht, diesen Streit auf den Rücken der Verbraucher als Versuchskaninchen auszutragen, sollte vermieden werden. Wieviele 541 Menschen durch pestizidverseuchtes Gemüse, östrogenbehandeltes Kalbsfleisch und schließlich durch BSE-infiziertes Rindfleisch erkrankt sind, ist nie richtig untersucht worden. Da es letztlich darum geht, Krankheiten zu vermeiden und deren Ursachen zu tilgen, muß der Verbraucherschutz stärker betont werden. Also sollten die Hinweise auf die Tumorgefahr durch Aspartam beachtet werden. Aspartamhaltige Produkte Bei den hier aufgelisteten Produkten handelt es sich um eine zufällige Auswahl, die bei einem Rundgang in einem Supermarkt ermittelt wurde. Aspartam ist enthalten in: Coca Cola light, Sprite light, Fanta light, Ehrmann Vollkorn-Diät Quark, Müller Joghurt leicht, Müller Joghurt Diät, Zott Sahne Joghurt (diätgeeignet), Canderel Streusüße und anderen Lebensmitteln. Seiten 10 und 11: News & Hintergrund Gefahr für Kinder durch Medikamente Alle sieben Minuten vergiftet sich ein Kind durch herumliegende Medikamente oder Haushaltsreiniger. Warn- und Vorbeugehinweise werden nur selten beachtet. Jährlich werden in Deutschland rund 75.000 Vergiftungsfälle im Kindesalter registriert. Etwa zwei Drittel davon sind so schwerwiegend, daß eine stationäre Behandlung erforderlich ist. Nur in 35 Prozent der Fälle reicht der Besuch in der Arztpraxis. Zu diesen Ergebnissen kommt die Versicherungsgruppe Deutsche Lloyd auf der Basis von AOK-Daten zu Behandlungen nach Vergiftungen. Kleinkinder zwischen zwei und vier Jahren sind am stärksten gefährdet. In diesem Alter beginnt das Kind, seine Umwelt genau zu erforschen und zu erobern. Dabei kennt es noch keine Tabus, es nimmt auch Putzmittel, Medikamente und giftige Pflanzen in den Mund. Jährlich werden in Deutschland rund 75.000 Vergiftungsfälle im Kindesalter registriert. Etwa zwei Drittel davon sind so schwerwiegend, daß eine stationäre Behandlung erforderlich ist. Nur in 35 Prozent der Fälle reicht der Besuch in der Arztpraxis. Zu diesen Ergebnissen kommt die Versicherungsgruppe Deutsche Lloyd auf der Basis von AOK-Daten zu Behandlungen nach Vergiftungen. Kleinkinder zwischen zwei und vier Jahren sind am stärksten gefährdet. In diesem Alter beginnt das Kind, seine Umwelt genau zu erforschen und zu erobern. Dabei kennt es noch keine Tabus, es nimmt auch Putzmittel, Medikamente und giftige Pflanzen in den Mund. Durch Medikamente droht die größte Gefahr für Kinder An erster Stelle der Vergiftungsursachen stehen mit 37 Prozent Medikamente. Überraschend groß ist der Anteil der Tabakvergiftungen: Er beträgt etwa 20 Prozent. Es folgen Vergiftungen durch Putzmittel, giftige Pflanzen, Lösungsmittel, Rattengift, Insektizide und verdorbene Lebensmittel. Doch viele 542 Vergiftungsfälle sind vermeidbar. Wichtig sind die richtigen Vorsichtsmaßnahmen: 1. Medikamente nach jedem Gebrauch in einem verschließbaren Medizinschrank aufbewahren. 2. Zigaretten, Tabak und Aschenbecher nicht in Reichweite von Kindern stehen lassen. 3. Beim Kauf von Putzmitteln, Insektiziden und Pflanzenschutzmitteln auf kindersichere Verschlüsse achten. Verhalten im Vergiftungsfall Bei Verdacht auf eine Vergiftung muß sofort der Hausarzt oder Notarzt gerufen werden, der weitere Anweisungen gibt. Zur Behandlung sollte man am besten einen Teil des Giftstoffs mitbringen, denn bei einer schnellen Identifizierung des Toxikums kann eine angemessene Behandlung wesentlich schneller erfolgen. In den meisten Fällen erkranken die Kinder an einer chemischen Lun-genentzündung. Eine schnelle Behandlung kann aber in vielen Fällen dauerhafte Lungenfunktionsveränderungen verhindern. Bereits bei den ersten Anzeichen einer Vergiftung, wie Schwindel, Übelkeit, Brennen in Mund und Rachen, Erbrechen und Ohmacht ist ein Arzt hinzuzuziehen. Über erste Behandlungsmaßnahmen am Unfallort informieren die Giftnotrufzentralen. Multiple Sklerose-Medikament Betaferon: Schering AG hat Umsatzziel für 1996 erreicht Zur Zeit werden insgesamt etwa 40.000 MS-Patienten mit Betaferon (BetaInterferon) behandelt. Der Umsatz der Schering AG beträgt damit für das Jahr 1996 rund 535 Millionen DM. Davon entfielen alleine 350 Millionen DM auf den US-amerikanischen Markt, wo das Medikament Betaseron heißt. Dazu die Schering AG: „Dies sind, trotz des Markteintritts eines Wettbewerbers im zweiten Quartal, nur etwa 5 Prozent weniger als im Jahr 1995. Damals beliefen sich die Umsätze auf rund 360 Millionen DM.“ Auf dem europäischen Markt sieht das Berliner Unternehmen rosigen Zeiten entgegen. Für das Jahr 1997 erwartet man einen deutlichen Anstieg der Anzahl der Betaferon-Patienten in Europa. Deshalb werden die Umsatzerwartungen für 1997 auf knapp 600 Millionen DM festgelegt. Dabei scheint man sich nicht durch ein eventuelles Konkurrenzpräparat in Europa aus dem Konzept bringen zu lassen. Auch im Bereich der Krebsforschung möchte sich die Schering AG stärker engagieren. Hierbei soll der Zusammenschluß mit der Hamburger Medac GmbH ein erster Schritt sein, sofern das Bundeskartellamt dieser Fusion zustimmt. MS-Apotheke: Arzneiübersicht Die hier vorgestellten Medikamenten werden derzeit in Wissenschaft und Forschung diskutiert und getestet. Die Tabelle wird durch neueste Ergebnisse laufend aktualisiert und überprüft. In jedem Fall ist es empfehlenswert, vor einer Therapie den Haus- oder Facharzt um Rat zu fragen. Die Beurteilung der Arzneien erfolgt auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. 543 Seite 12: Leserpodium Was sind Axone? Mein Arzt kann es mir nicht erklären Ungefähr vor acht Jahren stellte ein Neurologe bei mir eine Multiple Sklerose fest. Die MS verläuft bis heute langsam. Doch meine „Lebensqualität“, die der Arzt erhalten wollte, ist heute stark gesunken. Inzwischen bin ich immer häufiger auf fremde Hilfe angewiesen. Neulich fragte ich meinen Neurologen nach den in Ihrer Zeitschrift genannten neuen Therapiemöglichkeiten. Seine Antwort: Das hat alles wenig Sinn, denn bei Ihnen sind zu viele Axone untergegangen. Später fragte ich ihn, was Axone sind. Darauf sagte er, das 544 sei sehr kompliziert und umfangreich. Eine für mich befriedigende Anwort habe ich nicht erhalten. Können Sie mir die Frage nach den Axonen beantworten? Dieter M., Düsseldorf Unter Axonen, auch Neuriten oder Achsenzylinder genannt, versteht man die Fortführung der Nervenzellen. Sie sind oft lang (bis zu einem Meter) ausgezogen und dienen als Reiz- und Erregungsleitung. Axone sind von der Myelinschicht umhüllt. Bereits 1948 konnte man nachweisen, daß über die Axone ein Transport von verschiedenen Elementen (z.B. verknüpften Proteinen und/oder Lipiden) in Richtung Axonende stattfindet. Die Transportgeschwindigkeit wurde ebenfalls untersucht. Man unterscheidet einen schnellen (50 bis 400 Millimeter pro Tag) und einen langsamen (0,1 bis 6 Millimeter pro Tag) axonalen Transport. Red. Buch-Tips Wer sein Wohlbefinden mit gezielter Ernährung verbessern möchte, der findet in diesem Buch den richtigen Einstieg. Es enthält kompakt alle notwendigen Informationen zur Makrobiotik: Grundlagen, Technik und das Ziel der Ernährungsumstellung. Zusätzlich bietet ein abgerundetes Rezeptregister praktische Hilfe an. Ein nützlicher Ratgeber. Marga Bahnemann, Makrobiotik für Einsteiger, erschienen im Econ Verlag für DM 16,90 ,-. Ein längst überfälliges Buch. Der Psychologe Gordon mahnt die Verbesserung des Arzt - Patienten - Verhältnisses an. Der Arzt hört dem Kranken heute nicht mehr richtig zu und vermindert so die Heilungschancen. Der Patient ist verängstigt. Die Autoren entwickeln ein Partnerschaftsmodell, das aus Krise helfen soll. Pflichtlektüre für jeden Arzt, aber auch für engagierte Patienten eine wertvolle Unterstützung. Thomas Gordon, Patientenkonferenz, erschienen bei Hoffmann und Campe, gebunden für DM 36 ,-. In bewährter Vorgehensweise erläutert der dtv-Atlas zur Akupunktur umfassend und systematisch die Therapie der chinesischen Medizin. Wer plant, sich der klassischen Akupunktur zu nähern, oder wer bereits behandelt wird, kann sein Wissen anreichern oder vertiefen. Übersichtliche und präzise Schautafeln helfen beim Verständnis. dtv-Atlas zur Akupunktur, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag für 29,90 ,-. „Privatärzte sind über die Nummer des Bankkontos jederzeit erreichbar.“ Die neuen Bauernregeln und Sentenzen laden zum Schmunzeln und Nachdenken ein. Wer jederzeit einen passenden Spruch für Ärzte und Patienten parat hat, der lockert die Atmosphäre auf. Deshalb bietet das Buch eine Fülle von kurzen Weisheiten. Geeigent, wie der Autor schon sagt, für Ärzte und Gesunde. Otto Wicki, Neue Bauernregeln und Sentenzen für Ärzte und Gesunde, Ott Verlag Thun, DM 14,80 ,-. Seite 13: Opferentschädigung 545 Schwerbehindert durch Gewalttaten in der DDR: Wann gibt es Entschädigung? Häufig haben Gewalttaten gegen die körperliche Unversehrtheit des Menschen in der DDR zu erheblichen Schäden und sogar zu Schwerbehinderungen geführt. Eine Entschädigung für die Opfer sah das DDR-System nicht vor. Nun greift auch für solche Fälle das 1976 in der alten Bundesrepublik erlassene Opferentschädigungsgesetz (OEG). Entsprechend einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 1984 betrifft das OEG alle Gewalttaten, die zwischen dem 23. Mai 1949 und dem 2. Oktober 1990 im alten Bundesgebiet ausgeübt wurden. Im Zuge des Einigungsvertrages ist seine Anwendung auf das Beitrittsgebiet, also die ehemalige DDR, erweitert worden. Wann hat man als Schwerbehinderter Anspruch auf eine Opferentschädigung? Dazu äußert sich das Bundessozialgericht in einer aktuellen Entscheidung: Opfern von Gewalttaten auf dem Gebiet der DDR aus der Zeit vor dem Beitritt wird Entschädigung nur gewährt, wenn der Grad der Schwerbehinderung besteht und sie bedürftig sind. Dabei ist der Grad der Behinderung für die Richter ein entscheidendes Kriterium. Er muß mindestens 50 Prozent erreichen. (BSG, Urteil vom 16. 6. 1996 - 9 RVg 2/95) In einer weiteren höchstrichterlichen Entscheidung hat das Opfer sogar dann Anspruch auf Entschädigung, wenn es irrtümlich von einem bevorstehenden Angriff ausging, diesen abzuwehrenversuchte, und dadurch selbst geschädigt wurde. Der mitverursachende Tatbeitrag wird nicht als wesentlich gewertet. (BSG, Urteil vom 18. 6. 1996 - 9 RVg 7/94) Offen und damit noch klärungsbedürftig ließ das Gericht im vorliegenden Fall die Frage nach dem Wohnsitz des Opfers. Hat es durch Übersiedelung seinen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt und ist die Gewalttat während eines Besuchs in der DDR ausgeübt worden, stellt sich die Frage, ob das OEG überhaupt anwendbar ist. Eine endgültige Entscheidung darüber liegt noch nicht vor. Computerkauf: Unzureichendes Handbuch ist Sachmangel Immer wieder gibt es Ärger beim Computerkauf. Das Gerät funktioniert nicht, notwendige Schritte lassen sich nicht ausführen, oder das Handbuch ist schlecht. Laut eines Urteils gilt es als Sachmangel einer EDV-Anlage, wenn ein normaler Benutzer mit durchschnittlichen Systemkenntnissen nicht auf eine zweite Festplatte zugreifen kann und dieses auch nicht im Handbuch beschrieben ist. Dazu die Richter: Der Abnehmer hat Anspruch darauf, durch Verkäufererklärung und Handbuch in die Lage versetzt zu werden, relativ einfache und alltägliche Operationen auszuführen. Er soll dabei nicht auf Rückfragen beim Lieferanten und dessen komplizierte Erläuterungen angewiesen sein. (OLG Köln, Urteil vom 3.11.1995 - 19 U 72/95) Pflegeleistung: Körperliche und seelische Belastung der Pflegeperson Schwer pflegebedürftigen Personen darf das Pflegegeld nicht deshalb gekürzt werden, weil sie wegen teilstätionärer Betreuung in einer Tagesstätte betreut werden und damit die Pflegezeit verkürzt wird. Bei der Pflegegeldberechnung darf nicht nur die Arbeitszeit der Pflegeperson berücksichtigt werden, vielmehr 546 muß auch auf ihre mit der Pflege verbundene körperliche und seelische Belastung abgestellt werden. Damit muß das gesamte Ausmaß der Pflegetätigkeit beachtet werden. Diese Entscheidung ist zu begrüßen, weil die Rolle der Pflegeperson stärker berücksichtigt wird und damit letztlich diese Hilfe dem Schwerstbehinderten zu gute kommt. (BVerwG, Urteil vom 25.1.1996 - 5 C 27/95) TIP: Behindertengerechter Urlaub in Oberösterreich ist kein Problem mehr. Eine kostenlose Auflistung von Hotels, Gasthöfen und Pensionen können Sie anfordern bei: Landesverband für Tourismus in Oberösterreich, Schillerstraße 50, A-4010 Linz, Telefon: 0043-732-60 02 21-214 Fax: 0043-732-60 02 20 Seite 14: Lexikon Stichwort: Prostatakrebs Noch immer ein Tabuthema: Jährlich rund 22.000 neue Erkrankungen in Deutschland Die offizielle Empfehlung der Ärzte entspricht den trockenen Erkenntnissen aus der Statistik: „Eine Früherkennung des Prostatakarzinoms ist durch regelmäßige ärztliche Voruntersuchung möglich. Nach dem 45. Lebensjahr sollte bei jedem Mann die Prostata einmal im Jahr rektal abgetastet werden.“ Der Grund für diese scheinbar übertriebene Vorsorge liegt auf der Hand: Etwa 60 Prozent aller Männer über 50 Jahre erkranken an Prostatakrebs, ohne etwas zu merken. Denn oft werden die ersten Symptome kaum wahrgenommen. Harndrang oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen können die ersten Anzeichen sein. Das regelmäßige Abtasten der Prostata gibt Aufschluß über den Zustand des Organs. Ist es vergrößert, muß es noch lange nicht Krebs bedeuten. Erst eine Biopsie (Entnahme von Gewebe) kann klären, ob Prostatakrebs vorliegt. Dabei spielt der PSA-Wert (Prostataspezifisches Antigen) eine wesentliche Rolle. Normalwerte gehen bis etwa 3,0. Ab 5,0 kann Krebs vorliegen, weitere Untersuchungen müssen vorgenommen werden. Die Therapie des Prostatakrebses kann gute Erfolgszahlen vorweisen. Bei rund zwei Dritteln der Patienten kommt es zu einer langfristigen Remission. Häufig wird eine Prostataektomie vorgenommen. Dabei wird das erkrankte Gewebe chirurgisch entfernt, sofern sich der Krebs noch nicht in die Beckenknochen ausgebreitet hat. Die Folgen können monatelange Inkontinenz und der Verlust der Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr sein. Möglich ist ferner eine Bestrahlungstherapie, die allerdings eine spätere chirurgische Lösung ausschließt, oder eine Hormontherapie. Läßt sich der Krebs aufgrund erneut steigender PSA-Werte nicht eindämmen, wird meistens eine Chemotherapie durchgeführt. Für den Patienten bedeutet die Erkrankung meist einen tiefen Lebenseinschnitt. Um diesen optimal begegnen zu können, sollte er sich im 547 Vorfeld einer Therapie ausgiebig über alle Möglichkeiten informieren. Denn eines ist klar: Der Chirurg möchte gern schneiden, der Radiologe gern bestrahlen und ein Dritter zieht Hormone vor. Vertreter von Ansätzen, die nicht gleich zum Skalpell greifen und andere Wege gehen, sollten ebenfalls in die Überlegungen mit einbezogen werden. Auskünfte über örtliche Selbsthilfegruppen geben: Deutsche Krebshilfe e.V. Postfach 1467 53004 Bonn Telefon: 0228 - 7 29 90 57/58. Deutsche Krebsgesellschaft e.V. Paul-Ehrlich-Str. 41 60596 Frankfurt / Main Telefon: 069 - 6 30 09 60. Krebsinformationsdienst: 06221 - 41 01 21. Buch-Tip zum Thema Vor der Kompetenz dieses Patienten sollten sich Ärzte in acht nehmen. Wissen bedeutet Überleben. Zu diesem Fazit kommt Michael Korda, der Leiter eines großen Verlagshauses in den USA ist. Er erkrankt an Prostatakrebs und sein Leben ändert sich schlagartig. Ehrlich und äußerst informativ erzählt er seinen Leidensweg. Er begeht Fehler, aus denen seine Leser lernen werden. Und am Ende bleiben Hoffnung und Optimismus übrig. Michael Korda, Von Mann zu Mann, erschienen im Limes Verlag, 318 Seiten, DM 42 ,-. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung April / Mai ‘97 So., 6. April, 1.40 Uhr, Pro Sieben: Drei eiskalte Profis (Kriminalfilm, USA, 1974) Mit neu entwickelten Bakterien wollen der Neonazi Monroe Feather und der verblendete Wissenschaftler Dr. Fortrero die schwarze US-Bevölkerung vernichten. Die Bakterien greifen nur den Organismus Schwarzer an und töten sie. Bevor die Substanz in die Wasserversorgung der amerikanischen Großstädte Los Angeles, Washington und Detroit gelangen kann, werden die „durchgeknallten“ Verbrecher gestoppt... Mo., 7. April, 11.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde „Vitaminkiller“, Moderation Dr. Antje-Katrin Kühnemann Di., 8. April, 20.15 Uhr, Bayern: Die Sprechstunde „Vitamin E“ Mi., 9. April, 9.00 Uhr, Bayern: Die Sprechstunde „Wenn Kinder unter Rheuma leiden“ (Wdh.) Mo., 14. April, 11.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde „Stottern/Sprechhemmung“ Di., 15. April, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Psychologie 548 Di., 15. April, 22.15 Uhr, ZDF: 37° Kinder und Alkohol Mo., 21. April, 11.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde „Brustkrebs“, Moderation: Dr. Antje-Katrin Kühnemann So., 27. April, 17.00 Uhr, N3: Lebenslinien - Mit 81 ist noch lange nicht Schluß (auch auf Bayern am Mo., 21. April, 19.30 Uhr) Mo., 28. April, 11.00 Uhr, N3: Die Sprechstunde „Wenn die Augen schwächer werden“, Moderation: Dr. Antje-Katrin Kühnemann Mi., 7. Mai, 19.30 Uhr, Bayern: Forscher-Fakten-Visionen Das BR Wissenschaftsmagazin Hintergrund Vitamin E wird zu den fettlöslichen Vitaminen gezählt. Die biologische Wirkung ist noch weitgehend ungeklärt. Aus Tierversuchen weiß man, daß es eine Wirkung auf Fruchtbarkeit, Muskulatur und Gehirn hat. Jedoch konnte beim Menschen noch kein Vitamin E-Mangelsymptom nachgewiesen werden. Wird es weggelassen, werden Hormone und Enzyme ausgeschaltet. Vitamin E kommt hauptsächlich in Weizenkeimöl, Baumwollsamenöl, Palmkernöl, Nüssen und Sonnenblumenöl vor. Erwachsene sollten täglich 30 mg Vitamin E zu sich nehmen, Kinder kommen mit 10-15 mg aus. Autoimmun TV-Tip Di., 8. April, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin „Wenn das Gleichgewicht versagt“ Immer mehr Patienten wanken und schwanken heute in die ärztliche Praxis. Sie leiden unter Schwindel-Attacken, die ihr Leben massiv beeinträchtigen. Diese Schwindelanfälle - vorübergehend oder auch dauerhaft - sind inzwischen zur Volkskrankheit geworden, doch noch immer ist es schwer, den Ursachen der komplizierten Gleichgewichtsstörungen auf die Spur zu kommen. Hinter dem „Alarmsignal Schwindel“ können sich völlig unterschiedliche Krankheiten verbergen. Mehr als 60 Prozent aller Schwindelleiden haben ihren Ursprung im Zentra-len Nervensystem. Aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen, Ohren- und Augenleiden können die vielfältigen Schwindelattacken auslösen. Besonders betroffen sind ältere Menschen, denen die Gleichgewichtsstörungen Beweglichkeit und Aktivität rauben und ihr Unfallrisiko erhöhen. Doch unabhängig vom Alter: Die Schwindelanfälle sind immer und für jeden Patienten mit Unsicherheit im Alltag, mit Ängsten vor bedrohlichen Krankheiten, mit körperlichen Einschränkungen und seelischen Belastungen verbunden. Taumeln, Schwarzwerden vor den Augen, erhöhte Fallneigung und Drehschwindel sind die häufigsten Erscheinungsbilder, die immer noch als lästiges, aber unheilbares Zivilisationsleiden abgetan werden. Wie kann geholfen werden? Was steckt dahinter? Welche Ärzte sind zuständig, um die Schwindel-Attacken wirksam zu bekämpfen? Experten im Studio: Prof. Dr. Marianne Dietrich, Leiterin der Schwindel-Ambulanz im Klinikum Großhadern, München; 549 Dr. Cornelia Jaursch-Hanke, Internistin, Deutsche Klinik für Diagnostik, Wiesbaden; Prof. Dr. Thomas Lenarz, HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover; Dr. Hans-Peter Meier-Baumgartner, Geriater, Albertinenhaus, Hamburg. Moderation Heide Schaar-Jacobi Seite 16: Wichtige und nützliche Adressen Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren e.V. Alfredstr. 21, 72250 Freudenstadt Telefon: 0 74 41 / 2151 Bundesärztekammer Herbert-Lewin-Str. 1, 50931 Köln Telefon: 0221 / 4 00 40 Deutsche Aids-Hilfe e.V. Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin Telefon: 030 / 6 90 08 70 Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V. Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf Telefon: 0211 / 31 00 60 Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V. Hindenburgstr. 110, 41061 Mönchengladbach Telefon: 02161 / 18 30 24 Deutsche Schlaganfall-Liga e.V. Carl-Bertelsmann-Str. 256, 33335 Gütersloh Telefon: 05241 / 9 77 00 Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V. Rheinallee 69, 53173 Bonn Telefon: 0228 / 95 75 00 Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Ruhrstr. 2, 10709 Berlin Telefon: 030 / 86 50, dort kann man die Telefon-nummer der nächsten Beratungsstelle erfragen. Die andere Medizin Liebe Leser! Hin und wieder möchten wir Heilverfahren der sogenannten Alternativ-Medizin vorstellen. Die Redaktion möchte jedoch darauf hinweisen, daß es für die Wirksamkeit dieser Methoden keine systematisch-wissenschaftlich anerkannten Beweise gibt. Aber es gibt immer wieder Patienten, denen mit Verfahren außerhalb der Schulmedizin wirksam geholfen wurde. In diesen Fällen stehen Ärzte und Wissenschaftler oft vor einem Rätsel. Wir glauben, das Ziel jeder medizinischen Anstrengung muß darin liegen, dem Patienten zu helfen. Unter dieser Vorgabe möchten wir unseren Leser die Chance geben, selbst zu prüfen, ob die jeweilige Methode für sie in Frage käme. Ihre Redaktion 550 Dem indischen Arzt Deepak Chopra reichen die herkömmlichen Erklärungsmuster der Schulmedizin nicht mehr aus. Er setzt sich mit der Frage auseinander, wie das Ziel der vollkommenen Harmonie von Körper und Geist ereicht werden kann. Dabei erklärt er Zusammenhänge zwischen verbreiteten Krankheiten und der mentalen Situation des Patienten. Chopra bedient sich dabei der altindischen Medizinkunst Ayurveda, wonach eine enge Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt besteht. Daraus abgeleitet kann eine Gesundung des Körpers nur über die Meditation, in der Körper und Geist eine Verbindung eingehen, erreicht werden. Die dabei freiwerdenden Energiereserven kurieren den Körper und führen zu einem neuen positiven Bewußtsein. Chopra arbeitet als Arzt in vielen Kliniken in den USA. Seine Therapieerfahrungen mit Ayurveda umfassen eine ganze Reihe von Krankheiten. Sein Hauptmotto bleibt immer gleich: „Glückliche Menschen sind gesünder als unglückliche“. 8.21 „Autoimmun“ Nr. 3 von Juni/Juli 1997 Seite 2: „Es genügt sicher nicht, diesen Patienten, die ja vielfach für ihr Handeln nicht volle Verantwortung tragen können, den geschlechtlichen Verkehr für einige Monate zu verbieten. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß Patienten, die dem öffentlichen Leben wiedergegeben werden, schlagartig zeugungsunfähig werden.“ Prof. Dr. med. Erwin Gohrbandt, 1935 Seite 3: Geleitwort Prof. Dr. Wolfgang Scheffler, Historiker an der Freien Universität Berlin, langjähriger Gerichtsgutachter bei vielen NS-Prozessen im In- und Ausland. Historische Forschungen zum Thema Krankenmord und Menschenversuche während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben bislang weite Bereiche behandelt. Im Verhältnis zum Mord an den europäischen Juden wurden diese Forschungen relativ früh begonnen. Die Arbeit wurde in erster Linie im Rahmen sogenannter Euthanasieprozesse von der Justiz geleistet. Am Anfang stand der Nürnberger Ärzteprozeß, der aber nur die Spitze eines Eisbergs zeigte. Weitere deutsche Gerichtsverfahren brachten Aufklärung in die Taten ärztlichen Handelns. Später wurde über die Verbrechen in einzelnen Euthanasieanstalten geforscht. Der Prozeß gegen den in Auschwitz tätigen Arzt Carl Clauberg wurde durch den Tod des Angeklagten verhindert. Die gesamte Thematik wurde zunehmend von Historikern behandelt, die teilweise weitreichende Ergebnisse publizieren konnten. Betrachtet man Zahl von über 100.000 kranken Menschen, die durch Gas oder grausame Versuche von den darin verwickelten Ärzten ermordet wurden, 551 so staunt man darüber, daß dies zum Teil kein Hinderungsgrund für die betreffenden Mediziner darstellte, ihre Karrieren fortzusetzen. Trotz aller historischen Anstrengungen besteht noch immer Forschungsbedarf, obwohl die Euthanasie durch die Justiz fast vollständig aufgeklärt ist. Relativ wenig ist aber über das Kapitel Menschenversuche bekannt. Aufgerufen zur Auseinandersetzung mit der medizinischen Vergangenheit sind die ärztlichen Disziplinen selbst. Hier sollten in Zukunft weitere Arbeiten Aufklärung bringen. Das vorliegende Titelthema befaßt sich mit einem Ausschnitt aus der Neurologie: mit jenen Ärzten, die sich während des „Dritten Reichs“ und nach Kriegsende zum Teil mit der Krankheit Multiple Sklerose befaßt haben und viele Jahrzehnte dem Ärztlichen Beirat der gemeinnützigen Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. angehörten. Nach Redaktionsschluß… …teilte das Pharmaunternehmen Pharmacia & Upjohn mit, daß die an über 1.200 Patienten begonnene Studie mit der Substanz Lenomid bei Multipler Sklerose abgebrochen wurde. Der Grund: acht Herzinfarkte in der Behandlungsgruppe. Unternehmenssprecher Dr. Sandor Kerper-Fronius: „Wir forschen weiter nach anderen Medikamenten gegen MS.“ … kommt das aus Hamsterzellen hergestellte und in den USA und Europa zugelassene Beta 1a- Interferon (Avonex) ins Kreuzfeuer der Kritik. Die MSArznei muß aus patentrechtlichen Gründen auf einer anderen Zelllinie produziert werden. Damit handelt es sich nicht mehr um das Medikament, mit dem eine klinische Studie durchgeführt und die Zulassung erreicht wurde. Seiten 4, 5, 6, 7, 8 und 9: „Stets besonders eingesetzt“ Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (DMSG) vertritt in der Öffentlichkeit die Multiple-Sklerose-Kranken in Deutschland. Diese verantwortungsvolle Aufgabe bezieht auch die Aufarbeitung der Geschichte ihres Ärztlichen Beirats und seiner Mitglieder ein. Angesichts der Verfolgung Nervenkranker im „Dritten Reich“ hat die Laienvereinigung diese notwendige Arbeit bis heute nicht geleistet. Waren Nervenkranke noch während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Opfer von Verfolgung, Krankenmord und Menschenversuchen1, so entstanden bald nach dem Krieg Organisationen, die sich dem Interessenschutz von Patienten verpflichtet sahen. Zur gleichen Zeit boten Wiederaufbau und der wachsende Ost-West-Konflikt zahlreichen NS- Tätern eine Chance, sich im gesellschaftlichen Leben der jungen Republik neu einzurichten. Im September 1952 wurde die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (DMSG) gegründet. Sie gibt seit 1953 ein Mitteilungsblatt heraus. Der Verein bezeichnete sich als „gemeinnützige Laienvereinigung“ und stellte klar, daß die Vertretung Kranker über die „engste Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft“ 2 geregelt werden solle. Die Mitglieder des Ärztlichen Beirats wurden als die 552 „bekanntesten Spezialisten auf dem Gebiet der Erforschung und Behandlung der MS“ 3 bezeichnet. Doch nur wenige Patienten wußten, daß ein Teil des Ärztlichen Beirats der DMSG nicht nur eine braune Vergangenheit hatte, sondern auch in Krankenmord, Menschenversuche und Schreibtischtaten verstrickt war. Eine Aufklärung über die NS-Vergangenheit der Mitglieder des Ärztlichen Beirats der DMSG wurde bis heute nicht durchgeführt. Man hätte Tausenden von Mitgliedern und Hunderten von ehrenamtlichen Helfern, die in den Verbänden und Ortsgruppen vorbildliche Arbeit leisten, sagen müssen, daß einige der Ärzte, denen sie vertrauten, einst an der physischen Vernichtung von Behinderten und Kranken mitgewirkt oder hierzu ideologischen Beistand geleistet hatten. Der 1. Vorsitzende des Beirats: Impfung von Affenliquor: Der Ärztliche Beirat aus dem Jahre 1953 bestand aus einem guten Dutzend Medizinern. Zunächst wäre der 1. Vorsitzende Prof. Dr. Georges (Georg) Schaltenbrand zu nennen (siehe auch Seite 7). Die Ergebnisse seiner Menschenversuche galten Anfang der vierziger Jahre in der Ärzteschaft als diskutabel. Bei der experimentellen Impfung von Affenliquor in das Rückenmark von Kranken nahm er deren Tod billigend in Kauf. Schaltenbrands folgende Karriere bei der DMSG dauerte viele Jahre. Als er 1979 starb, bemerkte das Ehrenmitglied der DMSG Prof. Dr. HelmutJohannes Bauer: „Für die medizinisch-sozialen Belange der MS-Kranken hat sich Schaltenbrand stets besonders eingesetzt.“ und bezeichnete seine Arbeit als „Pionierleistung“4. Noch heute ist Bauer Ehrenvorsitzender des Ärztlichen Beirats der DMSG und maßgebend in der MS-Forschung. Weniger bekannt ist, daß er 1944 im SSFührungshauptamt für die Waffen-SS tätig war und zum SS-Hauptsturmführer ernannt wurde. Nach Kriegsende verbrachte Bauer zwei Jahre in amerikanischem Gewahrsam. Die Karriere an der Universität Göttingen hat darunter nicht gelitten. Prof. Dr. Gerhard Döring, ab 1953 im Ärztlichen Beirat der DMSG und als Arzt den MS-Patienten von der DMSG 1954 empfohlen, nahm 1944 in einer Buchbesprechung zu Schaltenbrands Versuchen Stellung: „Schaltenbrand hat dann weiter Liquor von Affen … zisternal (an der Hirnbasis) auf Idioten und unheilbar Geisteskranke verimpft.“5 Ein Wort der Entrüstung ist bei Döring nicht zu finden. Stattdessen fordert er, es seien „Untersuchungen an weit größeren Versuchsserien erforderlich.“ 6 Der 2. Vorsitzende des Beirats: „Asozial und kriminell“ Der 2. Vorsitzende des Ärztlichen Beirats der neugegründeten DMSG, Prof. Dr. Heinrich Pette, befaßte sich als Neurologe mit entzündlichen Nervenkrankheiten. Seine soziale und geistige Beurteilung der ihm anvertrauten MS-Patienten tat er 1942 kund: „Mit Reduzierung der geistigen Leistungsfähigkeit und einem Langsamerwerden in der Auffassung verbindet sich ein Drang zu kritikschwachem Reden und Handeln bei euphorischer Grundhaltung. ... Aus der euphorischen Demenz heraus vermag der Kranke asoziale und kriminelle Handlungen zu begehen, die alsdann Fragen der Zurechnungsfähigkeit und Entmündigung aufkommen lassen.“ 7 Die DMSG, als Vertreterin der MS-Kranken, beurteilte Pettes Einstellung zu den Patienten 1968 so: „Dabei strahlte Pette … seinen Patienten gegenüber … stets eine 553 menschliche Wärme und Güte aus, die auch mit zu seinen führenden Merkmalen zählten.“ 8 Pette starb 1964. Das nach ihm benannte Heinrich-Pette-Institut in Hamburg existiert noch heute. Auch anläßlich des 40jährigen Bestehens der DMSG fiel in ihrer Jubiläumsausgabe 1994 kein kritisches Wort über Schaltenbrand und Pette. Dort werden beide als „zwei besonders klingende Namen am Horizont der internationalen wissenschaftlichen Medizin“ 9 bezeichnet. Ebenfalls dem ersten Ärztlichen Beirat der DMSG gehörte Prof. Dr. Dr. Hans Harmsen an, Experte für Hygiene und Sozialhygiene. Er trat seinerzeit öffentlich für die Zwangssterilisation von Erbkranken und „Schwachsinnigen“ ein. Bereits 1934 steckte Harmsen die Marschrichtung für die neue „Weltanschauung“ ab: „Wohl an keinem Punkt werden die Grundlagen der neuen Weltanschauung des Nationalsozialismus so deutlich wie in seiner Stellung zur Bevölkerungs- und Rassenfrage. Es war auch auf diesem Gebiet der exakt arbeitenden naturwissenschaftlichen Forschung, nämlich der Vererbungswissenschaft, vorbehalten, die Grundlagen unserer heutigen geistigen Neuorientierung zu schaffen … Es gilt den Boden zu bereiten, auf dem die geplanten Maßnahmen der Reichsregierung nicht nur Anerkennung, sondern auch die freudige Mithilfe der gesamten Bevölkerung erfahren.“10 Die von Harmsen erwähnten „geplanten Maßnahmen“ gipfelten in dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden, Sinti und Roma sowie an Kranken und Andersdenkenden. Harmsen war seit 1953 Mitglied im Ärztlichen Beirat der DMSG. Schutz für einen Massenmörder Während sich in den fünfziger Jahren die ge-meinnützige DMSG offen um Spenden von Pharmafirmen bemühte und auch erhielt (Behringwerke AG, Ciba Geigy GmbH u.a.), deckte ein Mitglied ihres Ärztlichen Beirats den als Straftäter gesuchten Dr. Werner Heyde. 1958 wurde Prof. Dr. Gustav E. Störring ständiges Mitglied im Ärztlichen Beirat. Schon ein Jahr später tauchte er im Bericht des Untersuchungsausschusses des Landtags in SchleswigHolstein auf. (Siehe hierzu auch Seite 14.) Störring wußte, wo sich Dr. Werner Heyde unter dem falschen Namen Dr. Sawade befand. Er kannte ihn, weil sie von 1928 bis 1932 gemeinsam an der Nervenklinik in Würzburg gearbeitet hatten. Heyde wurde 1946 wegen mehr als 100.000 Morden an deutschen Patienten in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er entkam und praktizierte unter dem falschen Namen Dr. Sawade in Flensburg. Heyde wurde bis 1959 von vielen Ärzten und weiteren einflußreichen Personen, die wußten, wer er wirklich war und wo er sich aufhielt, gedeckt. Dieser Skandal beschäftigte schließlich den schleswigholsteinischen Landtag. Das Mitglied des Ärztlichen Beirats Störring wurde dort als Mitwisser genannt.11 Gutachten für Hitlers Kindermörder Störring war kein Einzelfall: Bis zu seinem Tod 1974 war Prof. Dr. Friedrich Erbslöh Mitglied des Ärztlichen Beirats der DMSG. Erbslöh bewahrte 1964 mit einem medizinischen Gutachten Dr. Hans Hefelmann vor einem Strafurteil. Dieser wurde in einer 833 Seiten langen Anklageschrift beschuldigt, an der grausamen und heimtückischen Tötung von mindestens 70.000 Erwachsenen und 3.000 Kindern beteiligt gewesen zu sein.12 Hefelmann war als Referent in 554 der Kanzlei des Führers mit der Erfassung und Tötung behinderter Säuglinge, Kinder und Erwachsener befaßt.13 Erbslöh bescheinigte Hefelmann in seinem Gutachten vor Gericht eine Stoffwechselerkrankung, wonach dieser 1964 nur noch zwei Jahre zu leben hatte. In der Folge wurde Hefelmann für verhandlungsunfähig erklärt. Als freier Mann lebte er noch bis zum 12. April 1986, also 22 Jahre, ohne erneut zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Friedrich Erbslöh wurde 1973 zum 1. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gewählt. 1974 steht im Mitteilungsblatt der DMSG in einem Nachruf: „Mit dem Tode von Friedrich Erbslöh trauern seine Patienten um einen großen Arzt.“ 14 Erfassen, begutachten und töten… 1961 konnte die „gemeinnützige Laienvereinigung“ bereits über 4000 Mitglieder zählen. In diesem Jahr wurde Prof. Dr. Werner Villinger (hierzu auch Seite 8) in den Ärztlichen Beirat der DMSG aufgenommen. Unbeachtet blieb, daß Villinger 1941 als T4-Gutachter15 mitentschieden hatte, welche kranken Menschen ermordet werden sollten. Sein Debüt bei der DMSG währte nicht lange. Bei einer Bergtour stürzte er ab und starb. Der Krankenmord während der NS-Zeit war verwaltungstechnisch gut organisiert (Hierzu auch Seiten 10 und folgende) – erfassen, begutachten und ermorden. Unter denen, die nicht aktiv daran mitwirkten, traten viele als geistige Wegbereiter in Erscheinung. Darunter auch einige aus dem späteren Ärztlichen Beirat der DMSG. Daß sie auch eine andere Wahl gehabt hätten, zeigt das Beispiel des Göttinger Neurologen Professor Dr. Gottfried Ewald. Er lehnte 1940 die Mitarbeit an dem geplanten „Euthanasie“-Gesetz ab, ohne daß es seinem Fortkommen schadete.16 Auch Ewald war im Ärztlichen Beirat der DMSG. Doch er ist nicht repräsentativ für alle. Die DMSG nutzte ihre Jubiläen dennoch stets zur Würdigung aller „Ehemaligen“ als makellose Wissenschaftler und ausschließlich um das Wohlergehen der Kranken bemühte Ärzte. Es ist an der Zeit, die über 100.000 MS-Kranken in Deutschland über die dunkle Vergangenheit einiger Beiratsmitglieder aufzuklären. Stattdessen wurden von der DMSG vor rund zwei Jahren Formblätter verteilt, in denen die MS-Kranken mit ihren persönlichen Daten erfaßt werden sollten. Geschmacklos? Nein, zum Wohle der Patienten. Nachweise und Anmerkungen 1. Zu den Betroffenen siehe das Merkblatt zum Meldebogen über die Kranken, abgebildet in: Dokumente zur „Eu-thanasie“, hg. von E. Klee, Frankfurt a. Main 1986, S. 96. 2 Mitteilungsblatt der DMSG, Nr. 1, Dezember 1953, S. 1. 3 Ebenda, S. 1. 4 Mitteilungsblatt der DMSG, Nr. 105, Winter 79/80, S.3. 5 Dörings Besprechung des Buches von Schaltenbrand in: Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 157, 1944, S. 103. 6 Dörings Buchbesprechung, wie Anm. 5, S. 104. 7 H. Pette, Die akut entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, Leipzig 1942, S. 385. 8 Mitteilungsblatt der DMSG, Nr. 60, Herbst 1968, S. 78. 555 9 Mitteilungsblatt der DMSG, Nr. 163, 2/1994, S. 7. 10 H. Harmsen, zitiert nach E. Klee, Was sie taten, was sie wurden, Frankfurt a. Main 1987, S. 150. 11 Hierzu: K.-D. Godau-Schüttke, Die Heyde/Sawade-Affaire in: Die Normalität des Verbrechens hg. von H. Grabitz u.a., Berlin 1994, S. 444-479. Zur Liste der Mitwisser, die der Untersuchungsbericht des Landtags nennt, siehe: E. Klee, Was sie taten, was sie wurden, S. 26-27. 12 GStA Frankfurt, Ks 2/63 und Js 17/59. 13 E. Klee, Was sie taten, was sie wurden, S. 38. 14 Mitteilungsblatt der DMSG, Nr. 85, Winter 74/75, S. 105. 15 E. Klee, Was sie taten, was sie wurden, S. 133. 16 Zu Ewald siehe seine Ablehnungsbegründung von 1940, abgedruckt in: Aktion T4, hg. von Götz Aly, S. 60 - 64. Buch-Tip zum Titel-Thema Udo Sierck und Nati Radtke untersuchen in diesem Buch die Rolle der medizinischen Experten in zahlreichen Behindertenvereinigungen und gemeinnützigen Einrichtungen. Im Mittelpunkt steht das zur Zeit wachsende Interesse an vorgeburtlichen Kontrollen und genetischer Beratung. Die Autoren gehen den sachlichen und personellen Verbindungen nach, die zwischen diesen Angeboten und Forschungen zur Eugenik der NS-Zeit bestehen. U. Sierck, N. Radtke, Die Wohltätermafia. Vom Erbgesundheitsgericht zur Humangenetischen Beratung, Mabuse-Verlag, Frankfurt/M. 1989, DM 14,80. Buch-Tip zum Titel-Thema Der Mord an Kranken – in Finzens Buch am Beispiel von psychisch Kranken und geistig Behinderten – funktionierte einfacher als man glauben mag. Die Beteiligten aus Verwaltung und Medizin arbeiteten ohne erkennbare Begeisterung an einem „normalen Vorgang“. Das Unglaubliche geschah wie das Alltägliche. Und es war perfekt organisiert. Finzen gibt einen erschreckend präzisen Einblick in die Mordmaschinerie. Asmus Finzen, Massenmord ohne Schuldgefühl erschienen im Psychiatrie-Verlag für DM 38,. Forschung im „rechten Augenblick“ Zahlreiche Fachärzte der Neurologie haben das NS-Regime, die „Euthanasie“ und die „erbbiologische Ausmerze“ aktiv unterstützt oder von diesen Verbrechen profitiert. Unter ihnen waren auch einige, die sich in der MSForschung hervortaten oder später in Patienten-vertretungen an führender Stelle mitarbeiteten. Auch während der NS-Zeit zog die Multiple Sklerose als unheilbare und ungeklärte Erkrankung das Interesse von Wissenschaftlern auf sich. In der Ursachenforschung wurden die mögliche Übertragbarkeit z.B. durch ein Virus und die Einordnung als allergische Erkrankung zentral diskutiert. Zur Frage der Erblichkeit der MS entstanden mehrere Studien. Von dem Ergebnis hing ab, ob die Kranken von Zwangssterilisierung und Heiratsverbot bedroht waren. Die Mehrheit der Forscher gelangte jedoch zu der Überzeugung, die MS als eine vorwiegend durch äußere, nicht durch erbliche Faktoren 556 ausgelöste Erkrankung einzustufen.1 Obwohl den Kranken eine „biologische Minderwertigkeit“ unterstellt wurde, fielen sie nicht unter die einschlägigen Gesetze2 (siehe hierzu S. 10). Bislang ist nicht geklärt, ob und in welchem Ausmaß schwerst pflegebedürftige MS-Kranke Opfer der „Euthanasie“-Morde wurden. Die Einordnung der Krankheit als Unterform der Enzephalitis war in der Forschung umstritten. Arbeitsunfähige Enzephalitis-Patienten aber unterlagen der Meldepflicht gemäß dem Runderlaß des Reichsinnenministers vom 9. Oktober 1939, der Vorstufe zur Verschickung in die Tötungsanstalten. Die führenden Experten der damaligen Zeit (wie Schaltenbrand und Pette) betonten, daß die MS grundsätzlich rückbildungsfähig sei und viele Kranke ihre Arbeitsfähigkeit bewahrten. Prognosen, die MS führe in schweren Fällen zum geistigen Verfall, rückten die Kranken jedoch in gefährliche Nähe zu den der Vernichtung preisgegebenen „Ballastexistenzen“. So hieß es, die Krankheit könne in „gelegentlich vorkommenden Störungen vom Charakter manisch-depressiven Irrseins“ enden, wodurch die Kranken zu unberechenbaren Handlungen verleitet seien3. Im März 1941 wurde die Definition der „Eutha-nasie“-Opfer auf fast alle, „die unfähig sind, auch nur in Anstalten produktive Arbeit zu leisten“ 4 ausgedehnt. In einzelnen Anstalten schlugen die zuständigen Ärzte zudem Schwerkranke nach eigener Willkür zur Tötung vor. Die Frage, inwieweit MS-Kranke Opfer der „Euthanasie“ wurden, könnte nur mit der Durchsicht der damaligen Gutachterakten geklärt werden. Die Neurologen, die im folgenden portraitiert werden, haben sich in der NSZeit und in der Bundesrepublik durch Forschungen zur MS oder auch durch die Mitarbeit in der DMSG hervorgetan. Als Universitätsprofessoren und Leiter von Forschungsinstituten stellten sie ihre Fähigkeiten in den Dienst des NSRegimes oder profitierten in ihrem wissenschaftlichen Eifer von den Aussonderung und Ermordung der Geisteskranken. Menschenversuche an Behinderten Georg Otto Schaltenbrand (1897 bis 1979) Schaltenbrand galt als einer der bedeutendsten deutschen Neurologen und MS-Forscher seiner Zeit. Von 1938 an ordentlicher Universitätsprofessor in Würzburg, widmete er sich vordringlich der Ursachenforschung zur MS. 1967 ernannte ihn die Deutsche Neurologische Gesellschaft zum Ehrenpräsidenten. Mit seiner Initiative wurde 1953 der Ärztliche Beirat der DMSG gegründet, dessen erster Vorsitzender er war. Die DMSG ernannte ihn 1967 zum Ehrenvorsitzenden. So war er eine Autorität als Neurologe und gesellschaftlich ein hochgeachteter Forscher. Seine 1943 veröffentlichte MSStudie5, für die er sich die Aufkündigung des Lebensrechts geistig Behinderter durch den NS zunutze gemacht hatte, wurde konsequent übersehen. Schaltenbrands Forschungen zur MS basierten auf seiner These, ein Virus löse die Krankheit aus. Um Infektionen nachzuweisen, leitete er 1935 an der Universitäts-Nervenklinik Würzburg – gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft – ein Experiment an Affen ein, das zunächst im Tierversuch den übertragbaren Markscheidenschwund nachweisen sollte. Verschiedenen Affenarten impfte er den Liquor von MS-kranken Menschen in die Zisterne. An den Tieren beobachtete er daraufhin einen Anstieg der 557 Liquorzellen, die sogenannte Pleozythose. Einige Affen bildeten zudem Symptome aus, die denen der MS ähnelten. Mehrere Tiere zeigten Entmarkungserscheinungen. Schaltenbrand sah also in den Übertragungen Gefahren für das geimpfte Lebewesen. Um die Ergebnisse am Menschen überprüfen zu können, bezog er 1940 wehrlose, geisteskranke Bewohner der Anstalt Schloß Werneck in seine Versuche ein. Ihnen impfte er entweder den Liquor der zuvor behandelten Affen oder den MS-kranker Menschen ein. Der verbrecherische Charakter der Testreihe zeigt sich darin, daß sie nicht mit der Aussicht auf Therapie, sondern mit dem Ziel geführt wurde, eine Erkrankung der Versuchspersonen zu erzeugen. Er wäre „froh“, wenn diese Versuche „zum mindesten einmal die Veränderungen an der hinteren Wurzel oder eine retrobulbäre Neuritis (Entzündung am hinteren verlängerten Mark) zeigen“ könnten, schrieb Schaltenbrand. Er glaube, „die Verantwortung tragen zu können, derartige Versuche an Menschen zu machen, die an einer unheilbaren vollkommenen Verblödung leiden.“ Die Versuche an Geisteskranken und Epileptikern erbrachten nicht die von Schaltenbrand gewünschten eindeutigen Ergebnisse. Bei der Mehrheit der Versuchspersonen stieg jedoch die Zellzahl im Rückenmark vorübergehend an. Einige entwickelten eine chronische Pleozytose. Zwei Patienten starben während des Versuchs. Schaltenbrand erklärte sich ihren Tod jedoch aus anderen, bereits fortgeschrittenen schweren Leiden. Polizeiliche Untersuchungen gegen Schaltenbrand blieben nach dem Krieg nicht zuletzt wegen guter Leumundszeugnisse von Kollegen folgenlos. Er konnte im In- und Ausland seine Karriere ungehindert fortsetzen. Als Arzt im Dienst der Behörden Werner Villinger (1887 bis 1961) Der Neurologe Villinger hatte sich bereits während der Weimarer Republik als Kinder- und Jugendpsychiater einen Namen gemacht. Neben seiner Tätigkeit an der Universität Hamburg war er als Oberarzt für die Jugend- Gesundheitsund Wohlfahrtsbehörde der Hansestadt tätig, indem er psychiatrische 558 Gutachten über jugendliche Straftäter erstellte. Von 1934 bis 1939 war Villinger Chefarzt der Bodelschwingschen Anstalten in Bethel, bevor er 1940 als Professor für Neurologie an die Universität Breslau wechselte. 1946 übernahm er eine Professur an der Universität Marburg und leitete dort die Psychiatrische und Universitätsnervenklinik. 1961 trat er dem ärztlichen Beirat der DMSG bei. Durch seine Tätigkeit an der Hamburger Jugendbehörde hatte er sich häufig mit sozial gefährdeten Jugendlichen beschäftigt – nicht immer wohlwollend. 1928 plädierte er für ein „Bewahrungsgesetz“, womit Personen, die seiner Ansicht nach genetisch zu „asozialem“ und kriminellem Handeln veranlagt seien, bereits inhaftiert werden sollten, bevor sie eine Straftat begehen konnten.6 Sie sollten vom Standpunkt einer sozialen „Hygiene“ aus betrachtet werden, zumal „sie durch hemmungslose Fortpflanzung zu einer immer stärkeren Durchsetzung des Volkskörpers mit abnormen Elementen beitragen.“ Das „Erbgesundheitsgesetz“ vom Juli 1933 begrüßte Villinger als einen ersten, richtigen Schritt, weshalb er sich von 1934 bis 1939 als Beisitzer dem Erbgesundheitsgericht Hamm zur Verfügung stellte.7 Dennoch sah er darin nur eine unvollkommene Maßnahme. 1939 legte er seinen Standpunkt zu einem „Bewahrungsgesetz“ erneut dar und befürwortete vehement die „Asylierung“ aller verwahrlosungsgefährdeten Personen, zu denen er nun auch „Arbeitsscheue“ und „politisch sehr unzuverlässige und aufreizende Elemente“ zählte. Seit dem 28. März 1941 gehörte Villinger zu den medizinischen Gutachtern der „Kanzlei des Führers“, womit er direkt in die „Euthanasie“ einbezogen war.8 Jeweils drei Ärzte trafen in jedem Einzelfall die Vorentscheidung darüber, ob ein Kranker getötet werden sollte. (Siehe auch Seite 11.) Strenggenommen wurde von den Gutachtern ein Urteil über die „Arbeitsfähigkeit“ der Patienten gefordert. Ein Zwang zur Mitwirkung bestand für die vorgeschlagenen Ärzte nicht. Das Ausmaß von Villingers Beteiligung ist nicht vollständig geklärt. In einem1961 gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren bestritt er rundheraus, für „T4“ gearbeitet zu haben. Zeugen widersprachen dem, bescheinigten Villinger aber eine schleppende Tätigkeit und eine „fast aus-schließlich“ schützende Beurteilung der begutachteten Fälle.9 Da mit Villingers Tod im gleichen Jahr das Verfahren vorzeitig endete, wurde seine Mitwirkung an der „Euthanasie“ juristisch nie geklärt. Villinger erhielt 1952 das Große Bundesverdienstkreuz. Auf dem Wohlfahrtssektor wurde er vor allem als Mitbegründer der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ bekannt. Forschung mit Präparaten der „Euthanasie“-Opfer Julius Hallervorden (1892 - 1965) Als Neuropathologe war Julius Hallervorden seit 1937 am Institut für Hirnforschung des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin-Buch tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählten die Enzephalitis und die Multiple Sklerose. Hallervordens Untersuchungen beruhten auf der Sektion von Hirnschnitten Verstorbener.10 Als 1939 die Massentötungen Geisteskranker begannen, entdeckte er darin neue Möglichkeiten für seine Tätigkeit. Zwischen 1940 und 1944 ließ er sich aus der Tötungsanstalt Brandenburg-Görden mehrmals die 559 Gehirne von Opfern der Kinder-„Euthanasie“ überstellen, die er präparierte und in seine Sammlung einfügte. Er wollte damit einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung des angeborenen Schwachsinns und verwandter Behinderungen leiste. Hallervorden erhielt mehr als 600 Gehirne aus der Tötungsanstalt. Als er 1956 die Leitung der Neuropathologischen Abteilung des Max-PlanckInstituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main übernahm, wurde seine Sammlung dort übernommen. Sie steht heute noch Wissenschaftlern zur Verfügung. Die Präparate von den „Euthanasie“-Opfern sind nicht entfernt worden. Nachweise und Anmerkungen 1 Maßgebend u.a. Karl Thums, „Das Erblichkeitsproblem bei der multiplen Sklerose“, in: Münchner medizinische Wochenschrift 1939 II, S. 1634-1638. 2 Kolb, „Multiple Sklerose und Gesundheitsgesetze“, in: PsychiatrischNeurologische Wochenschrift, 1940, S. 31-33. 3 Heinrich Pette, Die akut entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, Leipzig 1942, S. 386. 4 Punkt 1 der Begutachtungskriterien der „T4“ vom 10. 3. 1941 abgedruckt in: Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, Frankfurt a. Main 1991, S. 328. 5 Georg Schaltenbrand, Die Multiple Sklerose des Menschen, Leipzig 1943; eine frühe Darstellung der Versuche gibt Schaltenbrand in dem Aufsatz: „Der übertragbare Markscheidenschwund“, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 67, 1941, S. 1066 bis 1070. Erstmals machte Ernst Klee in seinem Film „Ärzte ohne Gewissen“ (Hessischer Rundfunk 1996) auf die Versuche Schaltenbrands aufmerksam. Alle Angaben und Zitate zur Studie aus: Schaltenbrand, Die Multiple Sklerose, 1943. 6 Zu seinen Forderungen von 1928 und 1939 siehe: Werner Villinger, „Die Notwendigkeit eines Reichsbewahrungsgesetzes vom jugendpsychiatrischen Standpunkt aus“, in: Zeitschrift für Kinderforschung, 47, 1939, S.1-20. Diesem Artikel wurden die nachfolgenden Zitate entnommen. 7 Hierzu: Villinger, Reichsbewahrungsgesetz, S. 12-13 und Unbedenklichkeitserklärung der NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord für Villinger als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht Hamm vom 8.12.1937, abgebildet in: Udo Sierk und Nati Radtke, Die Wohltätermafia, Frankfurt/M. 1989, S. 87. 8 Gutachterliste der „T4“, abgebildet in: Ernst Klee, „Eu-thanasie“, S.228 229. 9 Ernst Klee, Was sie waren - Was sie wurden, Frankfurt a. Main 1986, S. 170 - 171. 10 Zu Hallervorden siehe: Götz Aly, „Forschen an Opfern“, in: Aktion T4, hg.v. G. Aly, S. 153-159 und ders., „Der saubere und der schmutzige Fortschritt“, in: Reform und Gewissen, Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Band 2, 1985, S. 64 - 71. Buch-Tip zum Titel-Thema Ernst Klee legt mit diesen Bänden das bisher umfangreichste Standardwerk zu medizinischen Verbrechen in der NS-Zeit vor. Seine Darstellung beginnt mit den ersten Forderungen nach Aussonderung „biologisch Minderwertiger“ 560 und zeichnet die Stufen des Krankenmordes im NS nach. Der vertiefende Dokumentenband enthält Zeugenberichte und amtlichen Schriftverkehr. Ernst Klee, „Euthan-asie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Fischer, Frankfurt/M, DM 22,90. Dokumente zur „Euthanasie“, herausgegeben von Ernst Klee, Fischer, Frankfurt/M., DM 18,80. Seiten 10, 11, 12, 13, 14 und 15: Krankenmord und Menschenversuche im Nationalsozialismus Viele Ärzte starteten nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ ihre neue Karriere und bauten ohne Skrupel auf alten Fundamenten wieder auf. Ihre Morde und unmenschlichen Versuche sollten jedoch nie vergessen werden. Sogenannte rassenhygienische Programme wurden im Deutschen Reich bereits vor der Jahrhundertwende akzeptiert. Die in diesem Zusammenhang folgenreichste Schrift wurde im Jahre 1920 herausgegeben: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ von Alfred Hoche, Professor der Psychiatrie an der Universität Freiburg, und Karl Binding, einem emeritierten Rechtswissenschaftler der Universität in Leipzig. In diesem Werk wurden als „lebensunwert“ nicht nur unheilbar Kranke angesehen, die ihren Sterbewunsch eigenverantwortlich äußern konnten. Vielmehr wurde der „Unwert“ auch auf eine große Anzahl von geistig Zurückgebliebenen und Geisteskranken bezogen. Während der Mediziner Hoche ein Konzept entwickelte, welches einen „geistigen Tod“ an Geisteskranken und Schwachsinnigen diagnostizierte und diese Menschen als „Ballastexistenzen“ oder „leere Menschenhüllen“ charakterisierte, so entwarf der Jurist Binding ein juristisches Verfahren zur legalen Tötung solcher, wie er schrieb, „unheilbar Blödsinnigen“.1 Von der Prävention zur Ausrottung Nach der Machterübernahme durch die Nationalsozialisten kam es zur Umsetzung dieser Ideen. Erste Schritte führten zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in Form von Sterilisationen und Abtreibungen.2 Durch die Verabschiedung des „Gesetzes zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ vom 3. Juli 1934 entstanden staatliche Gesundheitsämter zur Erfassung und Kontrolle der „Volksgenossen“. Die Zwangssterilisationen, zu denen es nach der Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 kam, stellten die erste Stufe der eskalierenden Gewalt gegen Kranke dar. Infolge dieses Gesetzes wurden ungefähr 400.000 Männer und Frauen unfruchtbar gemacht, die nach der Aufstellung einer „empirischen Erbprognose“ körperliche oder geistige Schäden hätten weitervererben können. Für etwa zwei Drittel aller Sterilisierten galt die Prognose „Schwachsinn“. Dabei war gerade dieser Befund als ererbtes Leiden am wenigsten nachweisbar. Der Mord an behinderten Kindern Die „Kindereuthanasie“ war eine Tötungsaktion gegen Säuglinge und Kleinkinder, die sich zunächst nicht in Anstaltspflege befanden. Ihre einzige rechtliche Grundlage war ein streng vertraulicher Erlaß des Reichsministeriums des Inneren vom 18. August 1939, in dem Ärzte und Hebammen angewiesen wurden, den örtlichen Gesundheitsämtern die Geburt 561 von Kindern zu melden, die an „Idiotie“, Mongolismus oder Mißbildungen litten. Die Amtsärzte leiteten die Meldungen weiter. Nun wurden die eingegangenen Meldebögen von den Nichtmedizinern Dr. Hans Hefelmann und Richard von Hegener geprüft. Bei „positiven“ Meldebögen wurden daraufhin Ermächtigungen ausgestellt, die die Grundlage für die Einweisung der Kinder in eine der rund 30 „Kinderfachabteilungen“ bildeten. Nach der Einweisung und einer Beobachtungsphase wurde dann entschieden, ob die „Behandlung“ eingeleitet werden sollte. Diese Entscheidung wurde von drei Gutachtern getroffen, die „vom Fach“ waren: Prof. Dr. Werner Catel, Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität Leipzig und Chef der Leipziger Universitätskinderklinik, Prof. Dr. Hans Heinze, als Dozent für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Berlin und als Leiter der Heil- und Pflegeanstalt in Brandenburg-Görden tätig, sowie Dr. Ernst Wentzler, Chef der Kinderklinik in Berlin-Frohnau. Um eine örtliche Häufung der Todesfälle zu vermeiden, wurden die einzelnen Tötungstermine anhand des Kalenders bestimmt. Die Kinder wurden meist durch Beruhigungsmittel wie Luminal in Kombination mit Morphium und Skopalamin bewußtlos gemacht, bis sie an „natürlichen“ Ursachen, häufig Lungenentzündung, starben. Die Kinder aus den „Kinderfachabteilungen“ wurden aber auch vergast, oder man ließ sie verhungern. Zudem wurden Kinder nicht nur nach klinischen, sondern auch nach rassischen Kriterien selektiert, und das Alter der Betroffenen wurde schrittweise vom dritten auf das siebzehnte Lebensjahr heraufgesetzt. Die Zahl der so ermordeten Kinder wird für die Zeit zwischen 1939 und 1945 auf mindestens 5.000 geschätzt. T4: Mord an Insassen von Heil- und Pflegeanstalten Die „Aktion T4“ war eine Tarnbezeichnung für die sogenannte Erwachseneneuthanasie. „T4“ stand hier für die Tiergartenstraße 4 in Berlin, denn dort befand sich seit April 1940 der größte Teil der Verwaltung der Zentraldienststelle der „Euthanasie“- Aktion. Diese tarnte sich durch vier Organisationen: Die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ – RAG, welche die Opfer vor und nach ihrem Tod verwaltete, die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“ – GEKRAT, die einen Fuhrpark der SS unterhielt, die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“, die für Personal- und Finanzierungsfragen zuständig war und die „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“, die direkt die Pflegegelder der Kostenträger einzog. Bereits im Juli 1939 hatte Hitler bezüglich der „Ausweitung der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ eine Besprechung mit dem späteren Reichsärzteführer Conti, dem Stabsleiter der Parteikanzlei Bormann und dem Chef der Reichskanzlei Lammers. Letzterer schlug in seiner Eigenschaft als Reichsminister und Chef einer staatlichen Zentralinstanz vor, die Tötungen durch ein Gesetz legislatorisch abzusichern – ein Vorschlag, der unter den zu beteiligenden Ärzten zumindest ein vordergründiges Gefühl der „Rechtmäßigkeit“ ihres Tötens erzeugt hätte. Doch Lammers konnte sich nicht durchsetzen. Hitler und die Parteivertreter bevorzugten den Weg einer schriftlichen persönlichen Ermächtigung. Die „Euthanasie“- Ermächtigung Hitlers vom Herbst 1939 dokumentiert durch den Briefkopf und die nachfolgenden Formulierungen, daß der übliche 562 gesetzgebende Weg bewußt umgangen wurde. In diesem Schreiben wurden der Chef der Kanzlei des Führers, Philipp Bouhler, sowie Hitlers Begleitarzt, Prof. Dr. Karl Brandt, ermächtigt, „die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischter Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“ 3. Wenigstens fünfzig Ärzte waren bis August 1941 in mehreren Funktionen in der Erwachsenen- „Euthanasie“ tätig, 42 Ärzte arbeiteten bis zum Juni 1943 als Gutachter, 14 waren als Tötungsärzte mit den Massenhinrichtungen befaßt. Insgesamt wurden sechs Tötungsanstalten eingerichtet, in denen die Kranken in Gaskammern ermordet wurden: Grafeneck / Württemberg, Brandenburg / Havel, Hartheim / Linz, Sonnenstein / Pirna, Bernburg / Saale und Hadamar / Limburg.4 Anstaltsinsassen wurden nach einem Runderlaß des Reichsministeriums des Inneren vom 9. Oktober 1939 mit der Begründung der „Notwendigkeit planwirtschaftlicher Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“ durch einen sogenannten Meldebogen erfaßt. Auf dem Merkblatt zum Meldebogen wurde unter anderem die Arbeitsfähigkeit der Anstaltsbewohner zum Auswahlkriterium erhoben. Als allgemeine Richtlinie galt: „Es sind eher zuviel als zuwenig Kranke zu melden“ 5. Die Mehrzahl der gemeldeten Diagnosen lautete „Schizophrenie“ und „Schwachsinn“. Das Begutachtungsverfahren war ebenso wie das bei der „Kindereuthanasie“ eine Farce, zumal die Gutachter wie Akkordarbeiter entlohnt wurden. Von „kritischter Beurteilung“ des jeweiligen Krankheitszustandes konnte also gar keine Rede sein. Nachdem der Zweck der Meldebögen mit der Zeit allgemein bekannt geworden war, versuchten einige Anstalten, sich gegen die Verlegung ihrer Insassen zur Wehr zu setzen. Es wurden Meldebögen gefälscht, Angehörige benachrichtigt, Pfleglinge versteckt oder ihnen zur Flucht verholfen. Auf solche Verzögerungen und Verweigerungen reagierte die Zentraldienststelle mit der Entsendung einer Ärztekommission, die willkürlich Kranke aus der betreffenden Anstalt zur Tötung freigab. Die Tötungsanstalten organisierten die Verlegung der Kranken. Die Tötung durch Gas, Kohlenmonoxyd aus Stahlflaschen, war dabei ausdrücklich dem Arzt vorbehalten. Der Mordarzt trug eine unverfängliche Diagnose in den Totenschein ein; für die Registrierung wurden in den Anstalten „Sonderstandesämter“ eingerichtet. Um zu vermeiden, daß in kleineren Orten mehrere Todesmitteilungen – oder „Trostbriefe“ zur selben Zeit eingingen, wurden Hilfskräfte in den „Trostbriefabteilungen“ damit beauftragt, die Heimatorte der Ermordeten auf Landkarten abzustecken. Für jeden „Sterbefall“ wurde an-schließend ein geeigneter Todestag festgelegt. Dennoch kam es vor, daß eine Familie mehrere „Trostbriefe“ oder Urnen zugesandt bekam oder Pfleglinge laut standesamtlicher Meldung an Blinddarmdurchbruch gestorben sein sollten, obwohl er ihnen Jahre zuvor entfernt worden war. Reaktionen in der Bevölkerung Solche Fehler und die bisweilen redseligen Angehörigen des „Euthanasie“Personals einzelner Anstalten, die in Gasthäusern und Vergnügungsstätten der Umgebung über ihren „Arbeits-alltag“ berichteten, sorgten für eine 563 langsame, aber stetige Verbreitung der schrecklichen Wahrheit unter der Bevölkerung. Angehörige wurden mißtrauisch und schalteten ihren Hausarzt oder Pfarrer ein, Vormundschaftsrichter wiesen die Anstaltsleitung vorsorglich darauf hin, daß ihre Mündel nicht ohne richterliche Zustimmung verlegt werden konnten. Langsam formierte sich ein individueller Protest gegen das massenhafte Morden. Anstaltsleiter, wie etwa Inspektor Hermann von den Zieglerschen Anstalten Wilhelmsdorf bei Ravensburg verweigerten die Mitarbeit; es wurden Meldebögen gefälscht oder Pfleglinge überstürzt nach Hause entlassen. Der Pastor Paul Gerhard Braune wandte sich mit einer Denkschrift im Sommer 1940 sogar an Hitler und wanderte dafür etliche Monate in Gestapohaft. Doch es sollte noch fast ein Jahr vergehen, bis mit der aufsehenerregenden Predigt von Clemens August Graf von Galen, dem Bischof von Münster, allen Beteiligten klar wurde, daß die „geheime Reichssache“ schon lange nicht mehr geheim war. Reichsjustizminister Gürtner sah sich schließlich dazu veranlaßt, in dem von ihm herausgegebenen Werk „Das kommende Strafrecht“ gegen jede Art von ungesetzlichen Krankentötungen Stellung zu nehmen. Im August 1941 wurde die „Aktion T4“ daraufhin beendet. Trotzdem gingen die Morde weiter; einerseits wurden nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge aus den Konzentrationslagern von „T4“-Gutachtern selektiert (Tarnbezeichnung 14f13) und in den Tötungsanstalten vergast, andererseits wurde das Morden dezentral im Normalbetrieb der Anstalten zwischen Herbst 1941 und Frühjahr 1943 weitergeführt („wilde Euthanasie“). Getötet wurde zum Beispiel durch die Gabe sogenannter „E - Kost“ (Entzugskost) oder durch die Verabreichung überdosierter Barbiturate, zum Teil auch durch Elektroschocks.6 Menschenversuche Der Nationalsozialismus barg für die medizinische Wissenschaft ein verlockendes Angebot: Wenn der Daseinszweck der Völker im ständigen Kampf um die Macht bestand, so schien es legitim, „Menschen minderer Wertigkeit“ zugunsten des deutschen Volkes zu „verbrauchen“ – sprich, in den Dienst der „kämpfenden Wissenschaft“ zu stellen. Hierfür boten sich neben den ohnehin zum Tode verurteilten „Euthanasie“-Opfern die „slawischen Untermenschen“ (Polen), „asiatisch Minderwertigen“ (Rotarmisten) und Juden an. Diese Menschen - lebendig oder tot - dienten nach Kriegsbeginn als Material für Experimente, von denen Wissenschaft und Kriegführung direkt profitierten. So untersuchte z.B. der Stabsarzt der Luftwaffe, Dr. Sigmund Rascher, zugunsten seines Truppenteils die Auswirkungen von ungenügender oder ausfallender Sauerstoffzufuhr auf Piloten im Einsatz in großer Höhe. Dazu mißbrauchte er im Konzentrationslager Dachau auch einsitzende Polen und russische Kriegsgefangene. Rascher wußte, daß seine Unterdruckversuche teilweise mit dem Tode des „Probanden“ enden mußten, und so versicherte er sich des öfteren der Unterstützung des ReichsführersSS Heinrich Himmler. Rascher experimentierte auch zugunsten der Luftwaffe, wenn er mit Häftlingen in Dachau Unterkühlungsversuche in 2-12 Grad kaltem Wasser durchführen ließ, die ebenfalls teilweise tödlich verliefen. Im Jahre 1943 beantragte Rascher einen Umzug in das Konzentrationslager Auschwitz, 564 da es dort kälter sei und seine Versuchsreihen weniger auffällig wären: „Die Versuchspersonen brüllen, wenn sie frieren!“ 7. Profitierten deutsche Soldaten letztendlich von derartigen Versuchsreihen, die beispielsweise auch fingierte Notoperationen unter Feldlazarettbedingungen oder Meerwasser-Trinkversuche umfassten, so war auch die medizinische Forschung zum „Wohle des Volkes“ nicht untätig. Waren die erwachsenen Insassen von Heil- und Pflegeanstalten vor ihrer Ermordung noch Versuchspersonen für moderne Therapieformen der Psychiatrie, wie Insulin- oder Elektroschock, so machte der pervertierte Forscherdrang nicht einmal vor den Kindern halt. Die städtische Nervenklinik für Kinder und Jugendliche „Wiesengrund“ in Berlin-Wittenau war 1942 die Wirkungsstätte des Neurologen Dr. Gerhard Kujath. Er nutzte die Beobachtungsphase von eingelieferten Kindern für seine Forschungen, die er später in dem Buch „Jugendpsychiatrische Diagnostik und Begutachtung“ veröffentlichte. Die Studie gilt als Standardwerk und erlebte 30 Auflagen. Auch die 1941 gerade neun Jahre alte Valentina Zacheni mußte hier etliche Versuchsreihen über sich ergehen lassen. An dem blinden Mädchen war Mikroenzephalie, eine krankhafte Verbildung des Gehirns, festgestellt worden. Kurz nach ihrer Ermordung wurde Valentina von dem angesehenen Neuropathologen Dr. Berthold Ostertag enthäutet und fixiert. An-schließend wurden ihr Gehirn und Rückenmark entnommen und von Ostertag analysiert. Ein Photo des Gehirns von Valentina Zacheni dient als Abbildung 91 bis heute der Illustration von Ostertags Beitrag „Die Einzelformen der Verbildungen“ in dem renommierten „Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie“ 8. Häufig wurde den Kindern vor ihrer Ermordung Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) abgelassen, die dann genauer untersucht wurde. Professor Victor von Weizsäcker, Leiter des Neurologischen Forschungsinstituts der Universität Breslau, wurde regelmäßig mit Liquor und den dazugehörigen Krankenakten der Kinder beliefert. Waren solcherlei Experimente noch fest mit dem jeweiligen Krankheitsbefund der Kinder verknüpft, so ging Dr. Georg Hensel in der Anstalt Kaufbeuren-Irrsee noch einen Schritt weiter. Er infizierte die wehrlosen Kinder mit Tbc-Erregern, beobachtete den Krankheitsverlauf und suchte nach Gegenmitteln. 9 Von solchen Menschenversuchen profitierten nicht nur die einzelnen Wissenschaftler, auch Wissenschaftsinstitutionen sammelten und verwerteten die Erkenntnisse, die unter menschenverachtenden Umständen zustandegekommen waren. Die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin – beide Vorläufer der Max-Planck-Institute – erhielten eine Vielzahl von Gehirnen und Gehirnschnitten von „Euthanasie“Opfern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sorgte für die finanzielle Unterstützung vieler Versuchsreihen. Strafrechtliche Verantwortung und medizinisches Ethos Der zuletzt erwähnte Dr. Georg Hensel war nach dem Kriege Chefarzt im katholischen Schutzengelheim in Lautrach bei Memmingen. Gerhard Kujath brachte es zum Leiter der Kinderpsychiatrie an der Kinderklinik der Freien Universität Berlin. Berthold Ostertag wurde Leiter der Pathologie der 565 Universitätsnervenklinik in Tübingen und bekam das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Die Gutachter Heinze und Catel wurden Leiter der psychiatrischen Klinik in Wunstorf bzw. Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität Kiel. Nach Kriegsende wurden sowohl von alliierten als auch von deutschen Gerichten harte Strafen gegen Ärzte und Oberschwestern ausgesprochen. So endete der Nürnberger Ärzteprozeß für sechs Ärzte mit dem Todesurteil wegen der begangenen Menschenversuche und ihrer Mitwirkung an der „Euthanasie“. Vor dem Berliner Schwurgericht wurden 1946 eine Ärztin und eine Oberschwester wegen verabreichter Todesspritzen mit dem Tode bestraft. Paul Nitsche als zeitweiliger Leiter der Anstalt von BrandenburgGörden und „Euthanasie“-Gutachter büßte nach einem Prozeß in Dresden 1947 seine Taten ebenfalls mit dem Tode. Für diese Gerichte war es unproblematisch gewesen, die Tötungshandlungen als Morde anzusehen, da sie die nationalsozialistische Praxis der „Euthanasie“ auf der Grundlage seiner rassistischen Ideologie ohne weiteres als verbrecherisch beurteilten. Ärzte unterstanden dem hippokratischen Eid, so daß es ihre moralische Pflicht gewesen wäre, sich Tötungen aufgrund von Gutachten zu verweigern. Nach 1949 war jedoch vor bundesdeutschen Gerichten mit dieser „simplen“ Argumentation Schluß. Nun sollte es für Strafverteidiger einfacher werden, die Tötungshandlungen rechtlich zu hinterfragen. Freisprüche waren nicht selten.10 Die alten Funktionseliten aus der Zeit des Nationalsozialismus waren in ihre Ämter zurückgekehrt. Es herrschte – nicht nur in solchen Strafprozessen – eine unausgesprochene kollektive Übereinstimmung: Man hatte am Nationalsozialismus partizipiert, sich jedoch damit nie identifiziert. Nur so ist erklärbar, daß ein führender medizinischer Funktionär der NS„Euthanasie“, Prof. Dr. Werner Heyde, jahrelang in einer amtsärztlichen Stellung in Schleswig-Holstein praktizieren konnte, obwohl ihn sein Pseudonym „Dr. Sawade“ gar nicht tarnte. In der Medizinalverwaltung und im Kollegenkreis wußte jeder um seine Vergangenheit, aber man schützte ihn.11 Die deutsche Nachkriegsgesellschaft übte sich in diesem schweigenden Konsens, der heute gerne als notwendige Voraussetzung für den Aufbau des Landes und der Demokratie gewertet wird. Die schreckliche Geschichte ist zwar historisch erforscht und aufgearbeitet. Doch Opfer als Mord-opfer bleiben bis heute anonym, und so wird man das Gehirn von Valentina Zacheni wohl noch lange in einem der Standardwerke der Neurologie betrachten können. Nachweise und Anmerkungen 1 K. Binding, A. Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebens-unwerten Lebens: Ihr Mass und ihre Form, Leipzig 1920. 2 E. Klee, „Von der ‘T4’ zur Judenvernichtung. Die ‘Aktion Reinhard’ in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka.", in: Aktion T4 1939-1945. Die "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, hg. von Götz Aly, Berlin 1989, S. 147-152. 3 Siehe die Abbildung des Schreibens Hitlers, das er auf den 1. 9. 1939 zurückdatierte, in: Aktion T4, hg. von Götz Aly, S. 14. 4 Grundlegend dazu E. Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt a. Main, 1983. 566 5 Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ 1890-1945, Göttingen 1992, S. 199. 6 Grundlegende Forschungen zur „Euthanasie“, siehe E. Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebens-unwerten Lebens“, Frankfurt a. Main 1983. 7 Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, herausgegeben und kommentiert von A. Mitscherlich und F. Mielke, Frankfurt a. Main 1989, S. 65. 8 Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie, Band 13, vierter Teil „Das Nervensystem“, hg. v. W. Scholz, S. 523, Abb. 91. 9 Sämtliche Beispiele sind in Ernst Klees Fernsehbeitrag „Sichten und Vernichten“ detailliert dargestellt. 10 Zu den mit diesen Fragen angeschnittenen strafprozessualen Problemen siehe: Willi Dreßen, „NS-’Euthanasie’- Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland im Wandel der Zeit’, in: NS-„Euthanasie“ vor Gericht. Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung, hg. von Hanno Loewy und Bettina Winter, Frankfurt a. M., New York 1996, S. 35-58. 11 Klaus-Detlev Godau-Schüttke, „Die Heyde/Sawade - Affäre“, in: Die Normalität des Verbrechens. Festschrift für Wolfgang Scheffler, hg. von Helge Grabitz, K. Bästlein, J. Tuchel, Berlin 1994, S. 444-479. Buch-Tip zum Titel-Thema Der Sammelband behandelt in Analysen, Dokumenten und Erinnerungsberichten verschiedene Aspekte des Behindertenmords und der Menschenexperimente während der Kriegszeit. Die Autoren weisen u.a. personelle und organisatorische Überschneidungen zwischen der „Euthanasie“ und dem Völkermord im NS nach. Aktion T4 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, herausgegeben von Götz Aly, Edition Hentrich, Berlin 1989, DM 29, 80. Buch-Tip zum Titel-Thema Eine Sammlung von ausgewählten Dokumenten des Nürnberger Ärzteprozesses werden in diesem zuerst 1960 erschienen Taschenbuch präsentiert. Unterdruck-, Impfstoff- und Knochentransplantationsversuche werden in diesem Standardwerk ebenso dargelegt wie der Verlauf und die Urteile des Ärzteprozesses aus dem Jahre 1947. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, Fischer Tb. Verlag, DM 19,90. „Eine Sonderform von Schreibtischtätern“ Der fürchterliche Krankenmord und die skrupellosen Menschenversuche konnten nicht ohne die breite Beteiligung von Ärzten durchgeführt werden. Manche legten selbst Hand an und töteten ihre wehrlosen Patienten, andere stempelten in pervertierter Verwaltungsarbeit ihre Opfer in den Tod, und die Gruppe der „feinen“ Wissenschaftler lieferte die geistige Unterstützung für das Massaker. Doch welche Mediziner konnten nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ zur Rechenschaft gezogen werden? Mit welchen Strafen hatten sie zu rechnen? 567 Dazu im Interview Helge Grabitz, Oberstaatsanwältin in Hamburg. Seit Jahrzehnten führt sie Ermittlungen gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher durch. Gab es im Rahmen der Nürnberger Prozesse und von deutschen Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegen Ärzte wegen Verbrechen während der NS-Zeit? Grabitz: Ja, es fand der sogenannte Ärzteprozeß in Nürnberg statt. Es war der erste von zwölf Prozessen nach dem Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher. Die deutschen Staatsanwaltschaften haben viele Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wie sahen die Urteile gegen Ärzte und Wissenschaftler wegen ihrer Taten während der NS-Zeit aus? Grabitz: Beim Nürnberger Ärzteprozeß wurden 23 Personen angeklagt. Das Urteil erging am 20. 8. 1947. Sieben Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, fünf zu lebenslanger Freiheitsstrafe und vier zu zeitigen Freiheitsstrafen von 10 bis 20 Jahren verurteilt. Die restlichen sieben Angeklagten wurden von dem Gericht freigesprochen. Was wurde vor deutschen Gerichten mit welchen Ergebnissen gegen Ärzte verhandelt? Grabitz: Die Vergasungen in „Euthanasie“-Anstalten auf Anordnung von Ärzten. Dann die „Abspritzungen“ durch Ärzte in den Krankenanstalten. Als Beispiel soll hier die Kinder-„Euthanasie“ in Rothenburgsort (Hamburg) genannt werden. In diesem Verfahren wurde gegen 18 Ärzte ermittelt, aber die Verfolgung wurde eingestellt. Medizinische Experimente an Konzentrationslagerinsassen fanden zum Beispiel in Neuengamme statt. Die Ärzte spritzten Kindern und Erwachsenen Tuberkelbazillen. Beim Vorrücken der britischen Front wurden die Opfer aufgehängt, um alle Spuren zu verwischen. Im Urteil vom 30. 6. 1966, dem Heißmeyer-Verfahren in Magdeburg, wurde der Angeklagte wegen dieser tödlich verlaufenden Versuche zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ermittelt wurde auch wegen der Sterilisation von Konzentrationslagerinsassen. Gegen den Arzt Carl Clauberg wurde in Kiel ermittelt, aber er starb 1957. Einer Hamburger Ärztin wurde vorgeworfen, Selektionen von Zigeunern in Ausschwitz durchgeführt zu haben, auch gegen sie wurde das Verfahren eingestellt. Insgesamt sind kaum Urteile von deutschen Gerichten ergangen. Sind Ärzte, die durch Gutachten quasi „Todesurteile“ ausgestellt haben, überhaupt als Täter anzusehen? Grabitz: Hier handelt es sich um eine Sonderform von Schreibtischtätern, denen man die Kenntnis vom Vernichtungszweck nachweisen mußte. Wie versuchten die Angeklagten, ihre Taten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen? Grabitz: Sie beriefen sich auf die „Ermächtigung des Führers“ hinsichtlich des „Euthanasie“-Programms. In anderen Fällen wurden Genehmigungen von Himmler und anderen NS-Spitzen eingeholt. Sie haben ein Buch geschrieben (NS-Prozesse: Psychogramme der Beteiligten), in dem Sie u. a. die Täterprofile analysieren. Gibt es einen Unterschied zwischen Ärzten und „gewöhnlichen“ Tätern? 568 Grabitz: Nein, da ich sehe keinen Unterschied. Es ist genauso, wie bei den vielen Juristen, die sich bei den Einsatzgruppen befanden. Seiten 16 und 17: News & Hintergrund Neues Mittel gegen Osteoporose Die Osteoporose hat sich immer mehr zur Volkskrankheit entwickelt. Hauptsächlich Frauen sind betroffen, wobei rund ein Viertel aller Frauen während der Wechseljahre unter einer Verminderung des Knochengewebes leidet. Als Ursachen für den Knochenschwund werden Kalziumstoffwechselstörungen oder Östrogenmangelzustände diskutiert. Die genauen Ursachen der Krankheit konnten bisher nicht geklärt werden. Folge des Knochenschwunds sind häufig Knochenbrüche, die nur langwierig wieder ausheilen. Nun wurde in Deutschland das auf der Gruppe der Amino-Bisphosphonate basierende Medikament „Alendronat“ zugelassen. Der Grund dafür ist einfach: In einer Therapiestudie bei über 2000 an Osteoporose erkrankten Frauen zeigte das Medikament über einen Zeitraum von rund drei Jahren eine Verringerung der Knochenbrüche. Während es in der Placebogruppe zu 145 Knochenbrüchen kam, erlitten nur 78 Frauen der Medikamentengruppe eine Fraktur. Erfreulich gering sind die Nebenwirkungen. Ein Unterschied im Nebenwirkungsprofil konnte zwischen dem Scheinmedikament und der Arznei „Alendronat“ nicht nachgewiesen werden. Damit dürfte in der Praxis eine vielversprechende Behandlungsalternative zur bisherigen Osteoporosetherapie zur Verfügung stehen, die die Lebensqualität der Patienten verbessert. Erdnüsse als Allergieauslöser Während Gesundheitsapostel und Ernährungs-freaks von Rohkost und vor allem Nüssen schwärmen, konnten jetzt britische Wissenschaftler nachweisen, daß Erdnüsse und andere Nüsse als Allergieauslöser zu werten sind. Ausgangspunkt für eine Reihenuntersuchung mit 62 Patienten waren Meldungen über mehrere Kindertodesfälle aufgrund eines anaphylaktischen Schocks, möglicherweise verursacht durch Erdnußverzehr. Nach exakter Untersuchung der bis zu sieben Jahre alten Patienten wurde bei 47 Teilnehmern festgestellt, daß Erdnüsse eine Allergie ausgelöst hatten. Aber auch die beliebten Paranüsse, Mandeln und Haselnüsse wurden als Verursacher dingfest gemacht. Infolge der manifestierten Allergien wurden bei Kindern schwere allgerische Reaktionen, z. B. Asthmaanfälle bis hin zur Bewußtlosigkeit festgestellt. Wissenschaftler empfehlen Kindern nun den Verzicht auf Nüsse und fordern eine entsprechende Kennzeichungspflicht von Lebensmitteln. Umstrittene „Pille“ weiter unter Beobachtung Die Streitigkeiten um die „Pillen“ der dritten Generation haben nun vorerst einen Abschluß gefunden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bestätigte erneut die Anwendungsbeschränkung dieser „Anti- 569 Baby-Pillen“. Die Pillen mit den Wirkstoffen Desogestrel und Gestoden gerieten bereits 1995 und 1996 unter Beschuß. Damals wurde man durch Studienveröffentlichungen darauf aufmerksam, daß das Thromboserisiko bei Frauen unter 30 Jahren gegenüber den bewährten Präparaten doppelt so hoch war. Thrombosen in den Venen können zu lebensbedrohlichen Komplikationen (Lungenembolien) führen. Dies bedeutet, daß die „Pillen“ der dritten Generation auch weiterhin nicht an Frauen unter 30 Jahren, wenn sie erstmalig die „Pille“ nehmen wollen, verordnet werden dürfen. In der Packungsbeilage muß unter der Rubrik „Nebenwirkungen“ auf das erhöhte Thromboserisiko hingewiesen werden. Allerdings sollten Frauen über 30 Jahren, so empfiehlt die Behörde, weiter bei einem Präparat der dritten Generation bleiben. Es gibt vorläufige Hinweise darauf, daß in dieser Altersgruppe die Gefahr, durch die „Pillen“ einen Herzinfarkt zu bekommen, geringer ist. Weitere Studienergebnisse sollen jedoch noch mehr Klarheit schaffen. Neues aus den Universitäten und Labors Forschung aus aller Welt zusammengefaßt Pentoxifyllin: Kein Effekt beobachtet Zu Beginn der neunziger Jahren versprach man sich viel von der Substanz Pentoxifyllin. Sie sollte dem Fortschreiten der Multiplen Sklerose Einhalt gebieten. Ein Forscherteam vom Universitäts Hospital Amsterdam (Niederlande), dem auch Prof. Dr. H.-P. Hartung, Mitglied des Ärztlichen Beirats der DMSG e.V., angehört, konnte nach einer Studie mit 20 MSPatienten keinen Effekt beobachten. Allerdings wurde aus Fachkreisen Kritik an der Studie geäußert. Es seien die falschen Meßmethoden verwendet worden. Beinkraft bei MS verbessert Es gibt derzeit einige Wirkstoffe, die die symptomatischen Leiden MS-Kranker verbessern können. Dazu zählt das Präparat 3,4 Diaminopyridin, das von Wissenschaftlern der Universität von Maryland (USA) bei 36 MS-Patienten getestet wurde. Diaminopyridin-Tabletten wurden täglich von den Patienten ab einer Dosierung von 100 mg eingenommen. Im Ergebnis zeigte sich gegenüber der Placebogruppe eine nachweisbare Verbesserung der Muskelkraft in den Beinen. Weitere Untersuchungen werden gefordert. Jetzt auch Suramin bei MS? Weltweit wird mit der Substanz Suramin geforscht. Unter anderem findet der Stoff Einsatz in Krebsstudien. Nun fordern Wissenschaftler der Universität von Südkalifornien, Los Angeles (USA), die Wirkung bei der MS und anderen Autoimmunkrankheiten zu prüfen. Die Eigenschaften von Suramin seien sehr interessant, heißt es. Schützen Hormone vor Tier-MS? Forscher der Staatlichen Universität von Groningen (Niederlande), fanden heraus, daß die Eierstöcke weiblicher Ratten einen Schutz vor der künstlichen Tier-MS bieten. Tiere, denen vorher die Eierstöcke entnommen wurden, 570 erlitten schwere Schübe und Gehirnverletzungen. Man vermutet, daß Sexualhormone den Schutz geben. Leserpodium Multiple Sklerose und Helikobakter Von Dr. Robin Warren (Australien) wurde im Jahre 1979 erstmals der Zusammenhang von Magenschleimhautentzündung und Bakterien beobachtet. Die Fachwelt hielt bis dahin – und noch etliche Jahre danach – Stress für den Auslöser solcher Erkrankungen. Bakterien im sauren Millieu des Magens wären nicht möglich, dies war ein Dogma der Medizin. Dr. Barry Marshall hörte 1981 von den Arbeiten Dr. Warrens. Beide Ärzte arbeiteten nun zusammen an diesem Projekt. 1981 konnten die ersten Kulturen von Helikobakter pylori isoliert werden. In der Folge konnten Antikörper im Blut nachgewiesen werden. Auch der Zusammenhang von Helikobakter pylori und Herzerkrankungen wurde deutlich. Ich kann mir nun leicht vorstellen, daß Entzündungen des Zwölffingerdarms, der Bauchspeichel-drüse u. a. durch Helikobakter pylori hervorgerufen werden könnten. Auch halte ich es für möglich, daß MS und Rheuma durch Helikobakter pylori ausgelöst werden könnten. Beides sind entzündliche Vorgänge. Meines Wissens wurde in dieser Richtung noch nicht geforscht. Ich halte Untersuchungen auf diesen Gebieten für sinnvoll. Es wäre schön, wenn Forschungseinrichtungen dafür gewonnen werden könnten. Reinhold B., Biberach „Sein oder Nichtsein“ Ihr Info-Blatt (Feb./März 97) hat meine besondere Aufmerksamkeit erregt, besonders natürlich der Kurzartikel über Zellverpflanzungen, die das Myelin wieder aufbauen sollen. Wäre es möglich, mehr über diese Thematik zu erfahren? Ich möchte möglichst viel in Erfahrung bringen. Es geht ja, um es poetisch auszudrücken, um „Sein oder Nichtsein“. Eva F., Nürnberg Die Forschungen dauern noch an. Weitergehende Informationen erhalten Sie beim: Department of Medical Sciences, Dr. I. D. Duncan, University of Wisconsin, Madison 53706, USA. Seiten 18 und 19: Tips & Urteile Gesundheitsreform: Was erwartet chronisch Kranke? „Den Gürtel enger schnallen“ und „Die Ärmel hochkrempeln“. Diese fast schon alltäglichen Parolen sind in aller Politikermunde. Als Ergebnis kommt dabei zunächst ein „1. und 2. Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (NOG)“ heraus. So der Wille des Bundesgesundheitsministers. Mitte des Jahres 1997 soll es in Kraft treten und so gut wie keiner weiß, was auf ihn zu kommt. Doch ein flaues Gefühl haben alle. Besonders für chronisch Kranke ist es wichtig zu wissen, wie stark der Angriff auf ihr Portemonnaie ausfällt. Neben einer Erhöhung der Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung sind die anstehenden Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- 571 und Heilmitteln wichtig. Wer zum Beispiel bisher 4 DM für ein Medikament zugezahlt hat, wird ab Sommer um 5 DM tiefer in die Geldbörse greifen müssen, zahlt dann also 9 DM. Da chronisch Kranke meistens auf regelmäßige Arzneimittel angewiesen sind, könnte sie die Zuzahlungserhöhung unter Umständen hart treffen. Dagegen soll nun die Sozial- und Überforderungsklausel schützen. Der Anspruch dieser Klausel besteht darin, chronisch Kranke als Härtefälle besserzustellen. Dabei ist nicht die medizinische Indikation entscheidend, sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten. Dazu das Bundesgesundheitsministerium: „Für Versicherte, die wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung sind und die mindestens ein Jahr lang Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze von zwei Prozent ihres Einkommens aufbringen mußten, reduziert sich nach einem Jahr die Obergrenze von zwei auf ein Prozent der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt.“ Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Ein chronisch Kranker mit 2500 DM Einkommen, der bisher pro Monat 50 DM für Arzneimittel (zwei Prozent) zugezahlt hat, wird zukünftig mit nur 25 DM belastet werden. Eine grundsätzliche Befreiung von der Zuzahlungspflicht wird zum Beispiel einem Ehepaar in den alten Bundesländer bei einem Bruttohaushaltseinkommen bis zu 2348,50 DM, in den neuen Ländern bis 2002 DM, gewährt. Der Gesetzgeber sieht gegenüber dem bisherigen Recht in der Absenkung des Prozentsatzes eine Besserstellung von chronisch Kranken. Allerdings muß der chronisch Kranke zunächst ein Jahr lang die Zuzahlungen aufbringen, um dann in den Genuß der Absenkung zu kommen. Das anstehende Gesetz wird jedoch von den Krankenkassen heftig kritisiert. So äußerte die AOK dagegen Bedenken, weil damit „weitere Beitragserhöhungen bei Krankenkassen mit einem hohen Anteil chronisch Kranker bereits vorprogrammiert“ seien. Diese müßten dann aber wieder alle Versicherten, auch chronisch Kranke, bezahlen. Urlaub für Pflegebedürftige Einen Ausfall von Pflegegeld brauchen Pflegebedürftige nicht zu befürchten, wenn sie auf Reisen gehen. In der Regel wird die Leistung für sechs Wochen gewährleistet, sofern die Pflegeperson mitreist. Die Barmer zum Beispiel zahlt auch bei Auslandsreisen das Pflegegeld weiter. Schmuckverbot für Pfleger Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein ist ein dem Pfleger erteiltes Verbot, während der Arbeit Schmuck an Ohren und Händen zu tragen, rechtmäßig. Dies verlangen die Unfallverhütungsvorschriften der zuständigen Berufsgenossenschaft. Das Verbot richtet sich nicht gegen den Geschmack des Pflegers. (LAG Schleswig-Holstein, AZ: 4 Sa 467/95) Pflegevertretung in der Urlaubszeit Der Ausfall eines Pflegers kann durch seinen Urlaub oder durch eine Krankheit entstehen. Für diese Zeit hat der Kranke Anspruch auf eine Vertretung. Die sogenannte Verhinderungspflege, die die Kosten von maximal 2800 DM abdeckt, gilt allerdings nur, wenn der Pflegebedürftige zuvor 572 mindestens ein Jahr in seiner häuslichen Umgebung betreut wurde. Die Höhe der Kosten für die Vertretung richten sich nach der Pflegestufe: Stufe I: 400 DM, Stufe II: 800 DM und Stufe III: 1300 DM. Die Ersatzperson muß keine Fachkraft sein. TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Juni / Juli ‘97 Sa, 14. Juni, 9.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin Im Blickpunkt: “Müde bin ich nach der Ruh” Für viele Menschen beginnt schon am frühen Morgen das große Gähnen. Sie fühlen sich unausgeschlafen. Ursache für die Tagesmüdigkeit kann z. B. ein kurzer Atemstillstand während der Schnarchphasen sein. Sa, 14. Juni, 14.30 Uhr, 3sat: Blut ist Leben Dokumentation Blut ist Treibstoff für den Körper. Jede Sekunde werden 2,5 Mio Blutkörperchen gebildet. Im Laufe von 120 Tagen legen sie rund 400 km durch unsere Blutgefäße zurück. Blut ist ein Informations- und Transportmedium. So, 15. Juni, 6.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin Altenpflege außer Kontrolle? (Wh.) Mo, 16. Juni, 17.15 Uhr, 3sat: ServiceZeit Bauen und Wohnen, Öko-Tip: Was tun gegen Elektrosmog im Haushalt? Mi, 18. Juni, 16.00 Uhr, ZDF: Risiko Mensch Von kleinen Fehlern und großen Katastrophen. Menschen machen Fehler. Was kann man tun, um den „Risikofaktor Mensch“ zu minimieren? Mi, 18. Juni, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin Sonnenbrand: Rothäute in Gefahr Wer sich besonnen sonnt, wird auch braun. Nur der akute Sonnenbrand ist gefährlich. Do, 19. Juni, 0.45 Uhr, ZDF: Der Fall X 701 Deutscher Spielfilm von 1964 Ein junger Arzt wird während eines spektakulären Selbstversuchs der Ermordung seiner Ehefrau bezichtigt. Fr, 20. Juni, 13.30 Uhr, B1: Pflanzen, Heiler und Dämonen Indio-Heiler aus Guarani (Bolivien). Fr, 20. Juni, 17.15 Uhr, 3sat: “Hallo, wie geht’s?” Im Notfall lebensgefährlich - Latex-Allergie: Naturlatex ist weit verbreitet. Der Mensch kann darauf allergisch reagieren, es kann zu Rötungen der Haut, Asthma, Durchfall und Bewußtlosigkeit kommen. Fr, 20. Juni, 17.30 Uhr, 3sat: Gesundheitsmagazin Praxis - Tips für Ihren Urlaub - Immer wenn die Bläschen kommen: Herpes-Viren Di, 24. Juni, 13.30 Uhr, B1: EXTREM - Das Wissenschaftsmagazin - Sprachstörungen bei Kindern - Gentherapie gegen Hirntumor 573 Do, 26. Juni, 23.00 Uhr, WDR: Schnitt im Hirn Beobachtungen in einer Spezialklinik für Epilepsie. Fr, 27. Juni, 21.00 Uhr, WDR: Visite Themen: Morbus Bechterew und das CDG-Syndrom, eine seltene Krankheit des Nervensystems. Mi, 2. Juli, 17.02 Uhr, Bayern: Bionik Neues über die Verbindung von Computerchips mit Nervenzellen. Do, 3. Juli, 17.30 Uhr, N3: Fernöstliche Heilkunde Heiler und Schamanen in Nepal: Harmonie der Kräfte. Di, 15. Juli, 22.15 Uhr, N3: Prisma Frische Zellen fürs Gehirn Do, 24. Juli, 17.30 Uhr, N3: Fernöstliche Heilkunde Kräutermedizin aus Vietnam. Do, 31. Juli, 17.30 Uhr, N3: Fernöstliche Heilkunde Thailand: Heilwissen aus Tempeln. autoimmun TV-Tip: Pharmakrimi Mi, 18. Juni, 20.15 Uhr, ARD: Jagd nach CM24 Jacob Hofstetter (Bill Sage), ein erfolgreicher Biochemiker an der Universität Tübingen, hat ein sensationelles Mittel gegen Krebs entwickelt: CM24. Hofstetter möchte das Medikament an krebskranken Patienten testen, doch sein Vorgesetzter glaubt, daß das Präparat noch zu viele Risiken in sich birgt. Zur gleichen Zeit sucht die an Knochenkrebs erkrankte Annabelle (Amanda Franciska Ooms) den Wissenschaftler auf. Nach erfolglosen Chemotherapien ist Hofstetter ihre letzte Hoffnung. Der Arzt zögert, denn er würde sich bei Anwendung des Medikaments strafbar machen. Doch sein wissenschaftlicher Ehrgeiz und die Zuneigung zu Annabelle bewegen ihn schließlich dazu, die Behandlung zu beginnen. Die Wirkung ist erschreckend: Mit einem Schock wird Annabelle ins Krankenhaus eingeliefert und fällt ins Koma. Wenige Tage später wird Hofstetter mitgeteilt, daß Annabelle angeblich verstorben sei... 8.22 „Autoimmun“ Nr. 4 von August/September 1997 Seite 3: Liebe Leserinnen, liebe Leser, im Mittelpunkt dieser Ausgabe stehen verschiedene Fragen der richtigen Ernährung. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht von neuen Studien berichtet wird, die die Bedeutung „richtiger“ Eßgewohnheiten betonen. Dennoch sehen sich Laien oft ratlos in der Küche um und fragen sich, was sie ändern müssen, um all die Tips und Hinweisen auch zu beherzigen. Eine gute Mischkost, heißt es vielfach, sei nötig, um sich rundum ausreichend zu versorgen. Hierzulande haben sicher die meisten Menschen den Eindruck, ihr Speisezettel sei nicht eintönig, doch dann hören sie von den Experten, daß bestimmte Formen der Mangelernährung gar nicht selten seien. 574 Die sogenannte Hausmannskost unserer körperlich schwer arbeitenden Urgroßväter ist unseren Lebensverhältnissen nicht mehr angemessen. Als vorbildlich rühmen Ernährungswissenschaftler in letzter Zeit die Küche der Mittelmeerländer. Sie beruht zum größten Teil auf Gemüse, Obst und Getreide-produkten, während Fleisch nur als „Tüpfelchen auf dem i“ dazugereicht wird. Sofern nicht besondere Diätvorschriften eingehalten werden müssen, kann diese Feststellung als Richtschnur für eine bessere Ernährung gelten. Glücklicherweise muß niemand lange Reisen machen, um von unseren südlichen Nachbarn zu lernen. Die Buchhandlungen führen ein großes Angebot mit Rezepten aus diesen Ländern, auch finden sich auf unseren Märkten fast immer die nötigen Zutaten. Manche Menschen müssen aber genauer auf ihre Speisen achten – zum Beispiel Neurodermitiker. Wir berichten in dieser Ausgabe über eine Selbsthilfegruppe bei Oldenburg, die mit einer besonderen Vollwertkost große Erfolge in der Heilung dieser Hauterkrankung erzielen konnte. In diesem Heft hat sie Gelegenheit, ihre Erfahrungen an andere Kranke weiterzugeben. Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… …teilte das „Multiple Sklerose Zentrum“ an der Universität von Kalifornien (San Francisco) die Ergebnisse einer Studie mit Methrotrexat bei chronischprogressiver MS mit. Nach sechs Monaten Therapie konnte man eine Reduzierung der gadoliniumspeichernden Herde mittels der Kernspintomographie nachweisen. …gab das in Paris ansässige „Laboratory of Neuro-Immunology“ die Ergebnisse einer Langzeitstudie mit Immunglobulin (G) bei MS bekannt. Unter Gabe von 5 mg pro Woche konnte bei der Hälfte der Studienteilnehmer eine Verschlechterung der Krankheit verhindert werden. Weitere Studien sind in Planung. „Wie sich körperlich viele für krank halten, ohne es zu sein, so halten umgekehrt geistig sich viele für gesund, die es nicht sind.“ Lichtenberg Seiten 4, 5, 6, 7 und 8: Neurodermitis: Jucken und Kratzen Übernommen mit freundlicher Genehmigung aus: Reader´s Digest – Das Beste, Juni 1997 Von Christa Alheit & Michael Tycher „Bei meinem Sohn Christian, damals drei Jahre alt, verschlimmerten sich nach einer Behandlung die Neurodermitis-Symptome. Offene und nässende Hautstellen an den Armen, Beinen, Hals und Gesicht machten uns jetzt das Leben zur Qual. Ständig mußten wir gegen den Juckreiz ankämpfen“, erinnert sich die 36jährige Irmgard Zabel aus Bayern. Christian ist einer von schätzungsweise 4,5 bis fünf Millionen Neurodermitikern in Deutschland. Etwa 70 Prozent der Patienten sind jünger als 14 Jahre. 575 Prominente Unterstützung bekommen die Betroffenen von dem Schauspieler Rainer Hunold, dem Schirmherrn des Bundesverbandes Neurodermitiskranker. Hunold möchte mit seiner Medienpopularität „die Belange der mit dieser Krankheit belasteten Menschen mehr ins Rampenlicht rücken“. Verschiedene Selbsthilfegruppen klären ebenfalls Patienten und deren Angehörige auf. Neurodermitis ist eine chronische Hauterkrankung. Durch eine Überempfindlichkeit der Haut treten Symptome wie starker Juckreiz und nässende Exzeme auf. Wen es juckt, der kratzt sich, und nun entzündet sich die Haut erst richtig. Ein Teufelskreis beginnt. Die Neurodermitis (griechisch neuro = Nerv und derma = Haut) ist keine Nervenkrankheit, wie der Name suggeriert. Bis heute sind die Ursachen des Leidens nicht geklärt. Zusätzlich kann die entzündete Haut durch Bakterien und Pilzbefall angegriffen werden. Doch ansteckend ist die Krankheit nicht, wie Wissenschaftler inzwischen geklärt haben. Aus Untersuchungen weiß man, daß 60 Prozent der Eltern, die beide an Neurodermitis erkrankt sind oder waren, diese Anlage weitervererbt haben. Welche Therapien stehen zur Verfügung? Neben einer Vielzahl von Salben und Ölen, die den Juckreiz verdrängen sollen, werden unter anderem Klimatherapien und Diäten angewendet. Wurde zusätzlich eine Nahrungsmittelallergie erkannt, ist eine Umstellung der Ernährung unumgänglich. Notfalls kann man mit Kortison recht gute Ergebnisse erzielen. Ein Trost: Mit gezielten Therapien können viele Patienten ein beschwerdenfreies Leben führen. Informationen erteilen: Bundesverband Neurodermitiskranker e.V. Oberstraße 171 56154 Boppard Telefon: 06742 - 871 30. Deutscher NeurodermitikerBund e.V. Spaldingstraße 210 22097 Hamburg Telefon: 040 - 23 08 10. Der Weg aus der Neurodermitis Nach jahrelangen Versuchen konnte die Familie Biel aus Norddeutschland die Neurodermitis der Tochter Sonja (16) besiegen. Sie gründeten eine Selbsthilfegruppe, die andere Kranke über naturtherapeutische Heilmethoden und Ernährungspläne berät. In Deutschland gibt es inzwischen mehrere Millionen Menschen, die an Neurodermitis leiden, pro Jahr kommen etwa 10 Prozent (1 Million Menschen) hinzu. Darüber hinaus gibt es noch rund 20 Millionen Menschen, die an den verschiedensten Allergien, Heuschnupfen, Schuppenflechte und Asthma leiden. 576 Die Meinung vieler Schulmediziner ist immer noch, daß Neurodermitis nicht heilbar sei, ebenso wisse auch niemand genau, wodurch sie verursacht wird. Erhöhte Umweltbelastungen, Veranlagung, Streß, ungesunde Ernährung, Amalgamfüllungen – die Liste ließe sich beliebig verlängern - sind richtige Ansatzpunkte. Doch Rita und Peter Biel aus Sandkrug bei Oldenburg haben sich mit diesen dürftigen Erklärungen nicht zufrieden gegeben. Sie gründeten 1994, nach der von ihnen erstmals erfolgreich eingesetzten Kombinations-Behandlung ihrer Tochter Sonja, die „Neurodermitis-Selbsthilfe Rita und Peter Biel”. Gesunde Ernährung in Verbindung mit einem unterstützenden Kräutertrunk, Zahnsanierung, einer Pilzbehandlung und Durchhaltevermögen brachten den Erfolg. Die Tochter ist heute gesund. Nur durch die intensive Zusammenarbeit mit anerkannten Ärzten, wie z. B. Dr. med Theodor Binder (78) aus Lörrach, Facharzt für innere Krankheiten und Homöopath, und der Bremer Ärztin Christa Bendig, die auch die Dunkelfeldmikroskopie zur Blutanalyse einsetzt, ist es den Biels gelungen, den Kampf gegen die Neurodermitis zu gewinnen. Die Broschüre „UNSER WEG aus der Neurodermitis, den Allergien und den Pilzerkrankungen” (Auflage 10.000 Exemplare), herausgegeben mit Unterstützung von Therapeuten und Krankenkassen, war nach Erscheinen diverser Presse-, Funk- und Fernsehberichte schnell vergriffen. (Eine neue Informationsschrift ist in Vorbereitung). Inzwischen wenden sich viele Ärzte und Heilpraktiker aus Deutschland an die Biels und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Durch zahlreiche Arzt- und Kongreßbesuche bringt das Ehepaar Biel sein Wissen immer wieder auf den neuesten Stand. Nur wenn Betroffene, Ärzte, Heilpraktiker und Krankenkassen zusammenarbeiten, kann vielen Menschen geholfen werden, womit enorme Behandlungskosten gespart werden. Besonders Dr. Binder hat den Biels in der schweren Zeit stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden, ihnen viele Fragen beantwortet und nur so den Erfolg möglich gemacht. Auch seine für die Schulmedizin „revolutionäre Aussage”, daß Neurodermitis heilbar sei, hat den Biels immer wieder Mut gemacht und sie bestärkt, diesen ungewöhnlichen Weg der ND-Behandlung zu gehen. Weiterhin bringt der Briefträger bündelweise Post aus ganz Deutschland von Betroffenen, die um Rat fragen. Täglich führen Rita und Peter Biel lange Gespräche mit Betroffenen und Ärzten und opfern ihre Freizeit, um anderen von diesem Weg zu erzählen. Selbst die eigenen Kinder helfen mit, die Antwortpost in Briefumschläge einzutüten. Inzwischen liegen der ND-Selbsthilfe über 70 dokumentierte Fälle vor, die beweisen, daß Neurodermitis heilbar ist. Zum 1. Jahrestreffen der Selbsthilfe in Dötlingen kamen 80 Betroffene und informierten sich über Dunkelfeldmikroskopie, Allergien oder die Sanum-Therapie bei Pilzinfektionen (nach Prof. Dr. Enderlein), lernten sich kennen und tauschten bei leckeren Dinkelmehl-Windbeuteln ihre Erfahrungen aus. Für ausführliche Informationen über den Weg aus der Neurodermitis, den Allergien und Pilzerkrankungen stehen Rita und Peter Biel gerne zur Verfügung. Eine genaue Beschreibung aller Behandlungsschritte ist in diesem Rahmen nicht möglich, da sie individuell abgestimmt werden müssen. 577 Die Leidensgeschichte von Sonja Biel Sonja kam als gesundes Baby zur Welt und wurde von ihrer Mutter Rita Biel neun Monate gestillt. Sonja war die jüngste von drei Kindern. Doch bereits mit der Nahrungsumstellung fing das Drama an. Mutter Biel entdeckte die ersten kleinen Stellen am Kopf von Sonja, von den Ärzten als Milchschorf diagnostiziert, was bei Kleinkindern nicht ungewöhnlich ist. Dann war die erste Impfung fällig. Seitdem hatte die kleine Sonja im Winter überall am Körper juckende und nässende Stellen, mal ein paar mehr, mal weniger. Diagnose: Neurodermitis – unheilbar! Im Sommer, wenn die Kleine in der Sonne im Garten spielen konnte, gingen die Ekzeme wieder weg. Um Sonja das Leben erträglich zu machen, ließ sich Rita Biel eine Creme vom Arzt geben, die den Juckreiz linderte. Doch warum Sonja an Neurodermitis erkrankt war, blieb ihren Eltern bis dahin ein Rätsel. Keiner der Schulmediziner konnte eine Ursache finden und viele trösteten, daß das meistens nur ein paar Jahre anhält und dann von allein wieder verschwindet. Als sie neun Jahren alt war, wurde Sonjas sogenannte „Hauterkrankung” zu einer echten körperlichen und seelischen Belastung. Keine Nacht verging mehr, in der sich Sonja nicht die Haut kaputtkratzte und vor lauter Jucken nicht mehr richtig schlafen konnte. Die Schulleistungen gingen in den Keller und eine Lehrerin entmutigte das Mädchen noch mit dem Spruch: „Geh’ man zur Hauptschule.” Auch die Schulkameraden distanzierten sich von Sonja. Sprüche wie: „So ekelig, wie du aussiehst, gehst du mit zum Sport?”, ließen Sonja nur noch weinend aus der Schule nach Hause kommen. Rita und Peter Biel waren verzweifelt. Sonja mußte weiter zur Schule, wurde allerdings zeitweise vom Sportunterricht freigestellt. Ihre Eltern hatten an und mit Sonja alle Therapien ausprobiert, nichts half mehr. Die letzte und teure Hoffnung (13.000 DM) waren eine Bremer Spezialklinik und ein Professor für Dermatologie. Sonja wurde zwei Wochen lang mit kortisonhaltigen Salben behandelt, ihr Körper eingewickelt. Als Rita Biel nach Beendigung der Behandlung ihre Tochter abholte, sah Sonja fast aus wie immer, zwar waren einige offene Stellen scheinbar verheilt, doch die Haut war angegriffen und die juckenden Stellen waren immer noch da. Zu Hause ging Sonja als erstes unter die Dusche, um ihren Körper von all den Salben zu befreien. Nach dem Kontakt mit dem Wasser schrie sie voller Verzweifelung nach ihrer Mutter: Sonja war am ganzen Körper feuerrot, überall bildeten sich Quaddeln und handgroße Blasen. Scheinbar wollte der Körper mit einem Mal alle Giftstoffe loswerden. Nach diesem einschneidenden Erlebnis kam von Sonja nur noch der verzweifelte Satz: „Mama, so möchte ich nicht leben.” Zu Weihnachten wünschte sich Sonja, nur einmal nachts durchschlafen zu können. Der Weg aus der Neurodermitis Mit ihrem Latein am Ende und einer Familie, deren Kräfte auch langsam schwanden, beschloß Rita Biel, eine Heilpraktikerausbildung zu absolvieren. Erste Erkenntnis: 80 Prozent der Abwehrkräfte des Körpers kommen aus dem Darm. Zweite Erkenntnis: Unsere Ernährung ist eine der Ursachen für die Probleme. Die Frage, die sich für Frau Biel daraus ergab war: „Was habe ich 578 eigentlich alles im Kühlschrank?” Lebensmittel (?) mit Konservierungsstoffen, zahlreichen E-Nummern, Zusatzstoffen, Farbstoffen usw. Die ganze Familie Biel stellte daraufhin ihre Ernährung auf gesunde Vollwertkost um. Das war nicht leicht, da das Essen ja auch schmecken mußte. Für Sonja sollte keine „Extrawurst” gebraten werden. Vollwertkostbücher wurden angeschafft, studiert und ausprobiert, „Lebens”Mittel wurden frisch gekauft und zubereitet, Schweinefleisch vom Speiseplan gestrichen. Das Rindfleisch kam vom Biobauern, ebenso Flugenten und Hähnchen. Es kam vor allem viel Obst, Salat und Gemüse auf den Tisch. Fleisch gab es nur noch einmal in der Woche – kein Zucker, keine Milch, keine Wurst (viele Zusatzstoffe), kein Weißmehl. Frau Biel erlernte das Kochen neu. Bei Sonjas Beschwerden trat eine Linderung ein. Durch eine Bekannte erfuhren die Biels von einem Kräutertrunk, der den Stoffwechselhaushalt anregen und den Säurehaushalt des Körpers wieder ins Gleichgewicht bringen sollte. Etwas skeptisch und erst nachdem Frau Biel den Hersteller nach dem genauen Inhalt befragt hatte, bekam Sonja diese Kräutermixtur, ganz nach dem Motto, wir haben so viel durchgemacht, schaden kann’s ja nicht. Sonja bekam eine heftige Erstverschlimmerung. Aber die Eltern haben Sonja beruhigt und erklärt, daß die Haut ein Ausscheidungsorgan sei und der Körper jetzt verstärkt entgiftet. Über drei Monate (im Durchschnitt sind es 2 - 3 Wochen) dauerte der Heilungsprozeß. Doch diese Höllenzeit hat sich gelohnt. Die Neurodermitis war verschwunden, die Haut regenerierte sich langsam. Bis auf eine Rötung und kleine Risse über dem Mund, die sich hartnäckig hielten. Die Pilzbehandlung Erst der Facharzt und Homöopath Dr. med Theodor Binder aus Lörrach erkannte, daß Sonja noch unter Pilzen litt. Der geschwächte Körper hatte keine Abwehrkräfte mehr. Unter ärztlicher Aufsicht hat sich Sonja mehreren gängigen Pilztherapien unterzogen. Die Therapie mit der Sanum-Methode (nach Prof. Dr. Enderlein) war auch endlich die letzte. Die Rötung und die Risse am Mund heilten ab. Seit drei Jahren ist Sonja jetzt bereits erscheinungsfrei. Die Haut hat sich vollständig regeneriert, Narben blieben nicht zurück. Endlich kann sich die heute 16jährige wieder mit Freunden in der Stadt „rumtreiben” oder tanzen gehen. Sonja muß sich nicht mehr verstecken und Schulfreunde, die sie oder ihre Geschwister mit nach Hause bringen, fragen Rita Biel immer nach den Rezepten von leckeren, gesunden Mahlzeiten und Gerichten. Stephanie Redwanz Kontaktadresse: Neurodermitis-Selbsthilfe Rita und Peter Biel Narzissenweg 18 26209 Sandkrug (bei Oldenburg/Bremen) Tel. 04481/92 79 83 o. 92 79 84 Fax. 04481/7139 Bei schriftlichen Anfragen bitte einen mit 3 Mark frankierten DIN A5 Rückumschlag beilegen. 579 Rezepte für eine gesunde Ernährung bei Neurodermitis Sandkruger Dinkelbrot 500 g Dinkelmehl 1 Päckchen (10 g) Trockenhefe 1 TL Salz 50 g Amaranth (50 g Leinsamen 50 g Sonnenblumenkerne) Alle Zutaten zu einem Teig verarbeiten und in eine Kastenform füllen, ggf. mit Sesam und Sonnenblumenkernen bestreuen und andrücken, dann in den kalten Backofen schieben und 15 Min. bei 50 Grad gehen lassen. 1 Tasse Wasser dazustellen und bei 250 Grad 50 Minuten backen. Basisches Mus als Brotaufstrich Je 1 Handvoll getrocknete Feigen (vom Strunk befreien) und Datteln 1/2 l Mineralwasser 1 Tasse gemahlene Mandeln Die Trockenfrüchte über Nacht in dem Mineralwasser einweichen. Am nächsten Tag die Früchte mit einem Mixer gut pürieren, die gemahlenen Mandeln unterrühren und evtl. mit dem Einweichwasser verdünnen. Marmelade hält sich im Schraubglas einige Tage im Kühlschrank. Wardenberger Mandelbratling 3/4 Tasse gemahlene Mandeln 1 TL Gemüsebrühe 1 1/4 Tassen Haferflocken 1-2 Eier 100 g Hüttenkäse 1 Zwiebel Die Masse wie Fleisch-Frikadellen formen und in der Pfanne braten. (Entnommen aus: UNSER WEG...) Hinweise für Neurodermitis-Patienten Die Neurodermitis-Selbsthilfe Rita und Peter Biel entwickelte in ihrem langen Kampf gegen die Krankheit zahlreiche Ernährungs- und Verhaltensregeln für Neurodermitiker. Die folgenden Hinweise stellten sie zum Abdruck zu Verfügung Das „Rezept”, entwickelt von Rita Biel, zusammen mit Dr. med. Theodor Binder u.a., lautet:: 1. gesunde natürliche Ernährung, 2. unterstützt durch einen Kräutertrunk mit Mineralien als Säureregulator, 3. ggf. eine Mykose- und Blutanalyse mit entsprechender Therapie durch Fachärzte, 4. ggf. Zahnsanierung (Amalgam, Palladium, tote Zähne). Zu 1.: Unter „gesunder Ernährung” verstehen wir: – keinen Zucker in allen Formen, (auch keinen Honig, Marmelade, Birnendicksaft, Süßigkeiten aller Art) – kein Weizenmehl (oder Produkte daraus) - dafür Dinkel verwenden – keine Trinkmilch oder Produkte daraus - außer Sahne und Sauerrahmbutter 580 – keine Wurstwaren (wegen der zahlreichen Zusatzstoffe) – wenig Fleisch (einmal pro Woche - aber kein Schweinefleisch), einmal pro Woche Fisch; statt dessen: – vegetarische Gerichte, – viel Obst (nur morgens und mittags in den leeren Magen) – viel Rohkost und Gemüse Generell sollten nur Nahrungsmittel ohne Zusatzstoffe verwendet werden, keine Fertigprodukte, keine Zahnpasta mit Fluor, keine Fluortabletten für Säuglinge. Wichtig: Beachtung des Säure-Basen-Ausgleichs. Zu 2: Wir empfehlen zur Unterstützung Kräutertrunke mit den Mineralien Calcium und Magnesium, die in Mineralwasser getrunken werden. Es sollte zunächst sehr gering dosiert begonnen werden, um ggf. allergische Reaktionen zu erkennen. (Allergiker, Asthmatiker und Kleinkinder mit einer Tropfendosierung, z.B. am 1. Tag jeweils vor den Mahlzeiten 3 x 1 Tropfen, am 2. Tag 3 x 2 Tropfen usw.) 30 Tropfen sind ca. 1ml. Nach 30 Tagen kann bei Erwachsenen auf eine Höchstdosierung von 10 ml pro Einnahme gesteigert werden, bei Kindern ist die von uns empfohlene Menge 1 ml pro Lebensjahr (Säuglinge entsprechend weniger). Erhältlich ist der Kräutertrunk bei Fa. Geestland, Tel. 0471-971 20 63. Zu 3.: Eine Pilzbehandlung sollte man erwägen, wenn entsprechende Hinweise oder Ergebnisse von Stuhluntersuchungen vorliegen. Wir haben bei unserer Tochter 5 verschiedene Therapien erfolglos durchführen lassen und halten deshalb selbst auch Stuhluntersuchungen nicht für zuverlässig, da wir bei drei Untersuchungen drei unterschiedliche Ergebnisse erhielten (einmal Hefepilz, einmal Schimmelpilz, einmal sogar pilzfrei – obwohl sichtbar eindeutige Hinweise auf Pilze vorlagen). Erst die Therapie mit SANUMKehlbeck-Produkten (isopathische Mittel) brachte den Erfolg. Zur Analyse einer Blutbelastung empfehlen wir die „Dunkelfeld-Mikroskopie” nach Prof. Enderlein, die beispielsweise die Bremer Ärztin Christa Bendig durchführt. Bei der Empfehlung geeigneter Therapeuten am jeweiligen Wohnort oder in Wohnortnähe der Betroffenen ist das Institut Wickert für Naturmedizin (Tel.: 0234 – 23 46 12) gerne behilflich. Hier befindet sich auch die Geschäftsführung der von uns gegründeten “Gesellschaft für Naturmedizin und Gesundheitserziehung e.V.” Neurodermitis-Selbshilfe Rita und Peter Biel Seite 9: News & Hintergrund Lupus erythematodes im Tierversuch Aus Israel werden erste Erfolge in der Behandlung der Autoimmunerkrankung gemeldet. Das Team der Immunologin Edna Mozes vom Weizmann-Institut konnte Mäuse gegen die entzündliche Hauterkrankung immunisieren. In der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ vom April dieses Jahres gelang es den Forschern, synthetisch Eiweißbruchstücke herzustellen, die Teile der Antikörper nachahmen, die beim Lupus erythematodes produziert werden. Dadurch konnten sie den Ausbruch der Krankheit verhindern und sogar Heilungserfolge erzielen. 581 Mozes testete an den Tieren außerdem die Wirkung des Krebsmittels Methotrexat. Wie sie in der Juniausgabe des „Journal of Rheumatology“ berichtet, konnte es erfolgreich zur Abnahme der die Entzündung auslösenden Moleküle eingesetzt werden. Untersuchungen über die Wirkung der neuen Behandlungsmethoden beim Menschen stehen noch aus. Vielfacher Schutz durch Olivenöl Verschiedene neuere Untersuchungen weisen auf den gesundheitsfördernden Effekt des Olivenölgenusses hin. So werden in den Mittelmeerländern deutlich weniger Herz-Kreislauferkrankungen registriert als in unseren Breiten. Vergleichende Untersuchungen zwischen Griechinnen und Mitteleuropäerinnen ergaben weiterhin, daß Frauen, die tägliche Olivenöl zu sich nehmen, ein geringeres Brustkrebsrisiko haben. Olivenöl besitzt mit 84 Prozent einen sehr hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren, die den Cholesterin-Fettsäure-Komplex des Blutes vor Oxidation schützen, womit Gefäßverengungen (Artherio-sklerosen) vorgebeugt werden kann. Ungesättigte Fettsäuren senken zudem den Cholesterinspiegel des Blutes. Auch Multiple-Sklerose-Patienten wird geraten, ein hohes Maß ungesättigter Fettsäuren mit der Nahrung aufzunehmen. Die Europäische Union hat jüngst eine Verbraucherkampagne zur Förderung des Olivenölkonsums eingeleitet. Cannabis als Medikament Eines der Hauptthemen der diesjährigen Konferenz der „British Medical Association“ war der Einsatz von Cannabis zu therapeutischen Zwecken. Einige Ärzte, wie Steve Hajioff vom St. Bartholomew Hospital in London betonten die Wirkung der Hanfpflanze als Schmerzmittel und zur Linderung der Symptome schwerer Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose. Sie forderten, den Patienten Cannabis-Medikamente ebenso zugänglich zu machen, wie es bereits mit opiathaltigen Arzneien geschieht. In der Therapie wird die Droge nicht rauchend eingenommen, sondern injeziert bzw. in Form von Tabletten oder Inhaliersprays verabreicht. Der Vorstoß blieb auf der Konferenz nicht unumstritten, da einige Fachleute vor den gefährlichen Begleiterscheinungen der Cannabiseinnahme warnten. Hierzu zählen Herzrhythmusstörungen, Psychosen, der Verlust von Raumund Zeitgefühl sowie Wahrnehmungsveränderungen. Bisher sind in Großbritannien zwei Cannabis-Derivate zur begleitenden Krebstherapie zugelassen. Die britische Multiple-Sklerose-Gesellschaft forderte, die Wirkung bei MS-Kranken verstärkt zu erforschen. Hausstaubmilben Allergiekranke Kinder sind in höherem Maße als Erwachsene durch den Kontakt mit allergenen Substanzen wie Hausstaubmilben, Pilzen und Pollen gefährdet, da sich diese Partikel in Plüschtieren festsetzen. Die Spielwarenmarke „Der kleine Freund“ der Firma Florians Design versucht Abhilfe zu schaffen. Mit der Verwertung von „Allergy Control barrier“-Textilien (ACb) konnte die Exposition von Hausstaubmilben um 98 Prozent gesenkt werden. Der Stoff ist bei 60oC waschbar und wird seit einigen Jahren auch zur 582 Herstellung von Kissen und Matratzen verwendet. Die Farbstoffe sind unbedenklich und lebensmittelecht Die Stofftiere kosten zwischen 20 und 80 DM und sind seit Frühjahr 1997 im Fachhandel erhältlich. Seiten 10 und 11: Bessere Abwehr mit vitaminreicher Ernährung Vitamine sind diejenigen lebenswichtigen stickstoffhaltigen Substanzen, die der menschliche Organismus nicht selbst synthetisieren kann. Säugetiere, die entwicklungsgeschichtlich älter sind als der Mensch, können einige oder viele Vitamine noch selbst erzeugen; beim Menschen ist diese Fähigkeit genetisch verlorengegangen, er muß alle Vitamine mit der Nahrung aufnehmen. Es erscheint ganz plausibel, daß wir heute vor Apotheken Werbestände für Kombinationspräparate finden, die mit zwei, drei Schlucken den gesamten Tagesbedarf an Vitaminen und zugleich den Tagesbedarf an Mineralien decken können. Die Gratisverteilung von Vitamindrinks auf Verbrauchermessen und bei Prophylaxeaktionen in Rathäusern oder Postämtern ist fester Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit der Apothekerorganisationen geworden. Aber brauchen wir wirklich Extra-Vitamine als Nahrungsergänzung? Und wenn, welche? Oder können wir unsere Vitaminversorgung nicht auch mit abwechslungsreicher, ausgewogener Ernährung sicherstellen? Fördert das Angebot von Vitaminpräparaten nicht die Pillen-Mentalität – „geht’s mir nicht gut, schlucke ich einfach ein Mittelchen“? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muß man sich zunächst einmal die einzelnen Mitglieder der großen Vitaminfamilie näher anschauen. Da gibt es zwei Gruppen: die wasserlöslichen und die fettlöslichen. Unglücklicherweise kann man an den Bezeichnungen A, B, C, D usw. noch nicht erkennen, ob ein Vitamin wasser- oder fettlöslich ist. Durchblick schafft nur eine Auflistung, die etwas unübersichtlich gerät, weil es für die meisten Vitamine neben den bekannten historischen Namen auch neuere, chemisch korrekte Bezeichnungen gibt: Fettlöslich sind die Vitamine A (Retinol), D (Calciferol), E (Tokopherol) und K (Phyllochinone). Die fettlöslichen Vitamine können im Organismus gespeichert werden, meistens in der Leber. Bei ihnen ist eine Überdosierung möglich, die in Ausnahmefällen auch gefährlich werden kann (siehe unten). Fettlösliche Vitamine können vom Darm allerdings nur resorbiert werden, wenn die Mahlzeit auch Fett enthält; das ist der Grund, warum zum Beispiel ein Karottensalat (Vitamin A) mit Öl angemacht werden sollte. Wasserlöslich sind die Vitamine B, C (Ascorbinsäure) und H (Biotin), ferner Folsäure, Pantothensäure und Nicotinsäure (auch Niacin oder Vitamin PP genannt) Die B-Vitamine bilden eine ganze Gruppe, aus der die Vitamine B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B6 (Pyridoxin), B12 (Cobalamin) bei der Zusammenstellung einer gesunden Ernährung wichtig sind. 583 Wasserlösliche Vitamine können im Körper nicht gespeichert werden, damit kann es auch nicht zu einer Überdosierung (Hypervitaminose) kommen; was zuviel ist, wird ausgeschieden. Weil es keine Speicherung gibt, werden aber auch die für den Stoffwechsel notwendigen Vitaminmengen schnell einmal unterschritten, es kommt zu Mangelerscheinungen. Über die Höhe des Vitaminbedarfs gibt es unterschiedliche Angaben. Sicher ist: Der Bedarf steigt bei Erkrankungen und Streß, außerdem während der Schwangerschaft und in der Stillzeit. Erwachsene haben in der Regel einen höheren Bedarf als Kinder und Jugendliche. Die schulmedizinisch orientierte Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt als tägliche Zufuhr für Erwachsene: Vitamin A 1,7 bis 2,7 mg, Vitamin D 0,01 mg, Vitamin E 30 mg, Vitamin B1 1,5 mg, Vitamin B 12 5 bis 8 Mikrogramm, Nicotinsäure 18 bis 20 mg, Folsäure 0,4 bis 0,8 mg, Vitamin C 40 bis 60 mg. Ärzte und Heilpraktiker, die nach den Grundsätzen der Orthomolekularmedizin behandeln, nennen teilweise deutlich höhere Werte. Ihre Forderungen gehen bei Vitamin C beispielsweise bis zu 3.000 bis 5.000 mg im Streß- oder Krankheitsfall, bei Krebserkrankungen und AIDS sogar bis zu 200 Gramm pro Tag! Was bewirken Vitamine? Im menschlichen Körper haben Vitamine zwei Hauptaufgaben: Den Aufbau zahlreicher Enzyme und das Unschädlichmachen von Freien Radikalen (dies vor allem durch Vitamin E und C). Besonders angewiesen auf einen störungsfreien Enzymhaushalt ist das Immunsystem, das täglich Zellen mit einem Gesamtgewicht von rund 250 Gramm neu bilden muß (die Lebensdauer von Abwehrzellen beträgt nur einige Tage). Freie Radikale sind stark oxidierend wirkende Molekülreste, die auf organische Strukturen in ihrer Umgebung abbauend einwirken, also etwa Zellen vorzeitig altern lassen. Auch die anti-oxidative Wirkung der Vitamine spielt, soviel ist gesichert, eine wichtige Rolle bei der Bildung, Reifung und Aktivität von Immunzellen. Immunschwächen ebenso wie überschießende Immunabwehr (Allergien) und Autoimmunerkrankungen, bei denen fehlgesteuerte Abwehrzellen körpereigenes Gewebe angreifen, stehen im Zusammenhang mit dem Vitaminangebot. Zu wenig Vitamin A verkleinert die Abwehrorgane Milz und Thymus und schwächt die Aktivität von T-Lymphozyten und Killerzellen. Beta-Carotin, aus dem im Körper Vitamin A gebildet wird, hatte bei Tierversuchen eine ganz ähnliche Wirkung wie Vitamin A. Mikrobenfressende Makrophagen werden lebhafter durch Vitamin-A-Gaben. Noch gibt es keine unumstößlichen Beweise für die abwehrstärkende Wirkung von Vitamin C; vermutlich mildert es den Verlauf einer Erkältungskrankheit, mehr wohl nicht. Aber es gibt einen Hinweis auf das Zusammenwirken mit dem Immunsystem: Die zu den weißen Blutkörperchen gehörenden Granulozyten können bis zu 50mal so viel Vitamin C aufnehmen wie Zellen, die keine Aufgabe bei der Infektabwehr haben. Um Immunzellen entstehen und wachsen lassen zu können, braucht der Körper Eiweiße. Beim Auf- und Abbau von Eiweißverbindungen sind Enzyme beteiligt, die B6 enthalten. Eine ähnliche Wirkung wurde für die an der Eiweißsynthese beteiligten Aminosäure Arginin beobachtet; Arginin verbessert 584 die Lymphozytenzahl im Thymus, hilft bei der Bildung von T-Zellen und erhöht die Bildung von Interleukinen. Schwacher Ersatz Die Zeitschrift ÖKO-TEST hat Multivitaminpräparate getestet (Heft 7/97). Die umfangreiche Untersuchung von fast 300 Präparaten kommt zu dem Ergebnis: Multipräparate sind die „schlechte Kopie einer guten Nahrung.“ Von den vitaminhaltigen Multipräparaten erhielten nur 4 das Prädikat „eingeschränkt empfehlenswert“; dabei handelt es sich um Erzeugnisse, die ausschließlich Vitamin C enthalten. 19 weitere Multi- und Monovitaminpräparate wurden immerhin noch als weniger empfehlenswert“ eingestuft. Den ganzen Rest hält die Testredaktion für „nicht empfehlenswert“, häufig wegen der Gefahr einer Überdosierung. Wer braucht Extra-Vitamine? Schweren behandlungsbedürftigen Vitaminmangel, der tödliche Abwehrschwäche zur Folge hat, gibt es heute praktisch nur noch in den Hungerregionen der Dritten Welt. In Mitteleuropa treten nur leichtere Mängel auf, verursacht durch einseitige Ernährung, chronische Erkrankungen oder Dauereinnahme von Medikamenten. Neuerdings sehen wir TV- Werbung für „Raucher-Vitamine“. Für die allermeisten Deutschen reicht in der Regel eine gesunde Ernährung mit möglichst viel entsprechender Frischkost aus. Mit der zusätzlichen Einnahme von Vitaminpräparaten läßt sich dagegen allerlei Schaden anrichten. Oft ist die therapeutische Bandbreite zwischen notwendiger Zufuhr und Überdosis nur schmal. Zuviel Vitamin A in der Schwangerschaft etwa kann das ungeborene Kind schädigen. Hohe Gaben von Vitamin E können nach einigen Studien die Krebshäufigkeit senken – nach anderen Untersuchungen bewirken sie das genaue Gegenteil, gerade bei Rauchern. Zuviel Vitamin A und D kann im Blut reaktionsfähiges Eisen freisetzen, das dann die Bildung von Freien Radikalen fördert, die ihrerseits wieder mit Vitaminen bekämpft werden müssen (siehe oben). Einen Nachteil haben alle Multivitaminpräparate gemeinsam: Die Wechselwirkungen der Vitamine untereinander sind noch kaum erforscht. Fazit: Ohne genauen ärztlichen Befund gibt es keine guten Gründe, sich in Apotheke oder Supermarkt Vitaminbomben zu kaufen. Dr. Jörg Feldner Seiten 12 und 13: MS-Apotheke: Arzneiübersicht Die hier vorgestellten Medikamenten werden derzeit in Wissenschaft und Forschung diskutiert und getestet. Die Tabelle wird durch neueste Ergebnisse laufend aktualisiert und überprüft. In jedem Fall ist es empfehlenswert, vor einer Therapie den Haus- oder Facharzt um Rat zu fragen. Die Beurteilung der Arzneien erfolgt auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. 585 Tips & Urteile Unfallschutz in der Mittagspause Arbeitnehmer, die die Mittagspause für private Erledigungen oder Einkäufe nutzen, können in dieser Zeit nicht den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Die Versicherung besteht nur, wenn zwischen dem Einkauf und der eigentlichen Arbeit ein „innerer Zusammenhang“ besteht, wie beim Kauf von Waren zum direkten Verzehr. Verunglückt ein Arbeitnehmer, während eines Ganges, der nur außerbetrieblichen Zwecken dient, übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten. Medizinische Urlaubshotline von ADAC und AOK 586 Die AOK und der ADAC leisten jetzt Sofortberatung in vielen Gesundheitsfragen von Urlaubern. Ein Telefondienst mit medizinisch und versicherungsrechtlich geschultem Fachpersonal ist täglich erreichbar. Wer eine Fernreise plant, kann sich hier nach dem nötigen Impfschutz und weiteren Vorbeugungsmöglichkeiten erkundigen. Die Fachleute geben im Falle von Epidemien aktuelle Auskunft. Auch in vielen anderen Fragen der medizinischen Urlaubsplanung sind sie hilfreiche Ansprechpartner. Wer im Ausland erkrankt, findet hier nützlichen Rat und Hilfe. Es können deutsch- und englischsprachige Ärzte in der ganzen Welt benannt werden, eine Datenbank mit geeigneten Krankenhäusern und Privatkliniken steht zur Verfügung. Im Notfall benachrichtigt der Telefonservice auch die Angehörigen erkrankter Urlauber. Während der Nachtstunden steht daher ein Anrufbeantworter zur Verfügung. AOK / ADAC- Urlaubshotline: Täglich von 8 bis 20 Uhr deutscher Zeit Telefon im Inland: 089 / 7676 – 4200 Telefon vom Ausland aus: 0049 / 89 / 7676 – 4200 Nachtrag zur Autoimmun 3/97 Leser, die weitere Literatur zum Thema „Medizin im Nationalsozialismus“ suchen, können sich an den Buchversand „Mabuse“ wenden. Dieser verschickt einen Sonderkatalog mit lieferbaren Titeln zu diesem Thema: Mabuse-Buchversand, Postfach 900647, 60446 Frankfurt am Main. Leserpodium Neurologenkongreß Danke für die Zusendung der „Autoimmun“ 3/97. Ich hoffe sehr, daß Ihre Veröffentlichung große Beachtung finden wird und bin auf die Reaktionen sehr gespannt. Schaltenbrand wird im übrigen dieses Jahr auf dem Jahrestreffen der Neurologen Thema sein. Ernst Klee, Frankfurt / M. Internet Seit letztem Jahr habe ich „Autoimmun“ abonniert und schätze die informativen Beiträge sehr. Als MS-Patient interessiert mich jedes Mal besonders die Rubrik „Neues aus Universitäten und Labors“. Um die dort genannten Informationen tiefer betrachten zu können, wäre es hilfreich, wenn Sie die Internet-Adresse abdrucken könnten, falls bekannt. Auf diese Weise könnten Sie entsprechend naturwissenschaftlich vorgebildeten Lesern einen sehr wertvollen Dienst erweisen. Uwe B., Heidelberg Gratulation Gratulation zu Ihrer Ausgabe Juni / Juli 1997! Die Beiträge über die personellen Verquickungen zwischen Multiple-Sklerose-Forschungen in der NS-Zeit und nach 1945 zeigen eine erschreckende Kontinuität in der „Hilfe“ für behinderte Menschen. Ich würde mir wünschen, daß Sie an dem Thema dran 587 bleiben und freue mich schon – wenn denn der Begriff „freuen“ dafür adäquat ist – auf weitere Enthüllungen. Mit dem Schwerpunktthema haben Sie gezeigt, daß auch eine kleine Zeitschrift in der Lage ist, bisher aus bekannten Gründen tabuisierte Themen ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Interessieren würden mich die Reaktionen der „Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft“. Oder ziehen es diese Damen und Herren vor, dieses Thema weiter zu verschweigen? Klaus H., Berlin Seite 14: Lexikon 588 Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Aug. / Sep. ‘97 Mi, 6. August, 20.15 Uhr, B1: QuiVive-Medizin: Leistenbruch Mi, 6. August, 22.05 Uhr, RTL: stern tv „Vom Kranken zum Krüppel - Ärztepfusch in Deutschland” 589 Zwischen 4.000 und 5.000 ärztliche Kunstfehler mit Todesfolge bleiben jedes Jahr unentdeckt. Do, 7. August, 16.00 Uhr, ARD: Fliege „Mein Leidensweg zum großen Glück” Schicksalsschläge mit Happy End Do, 7. August, 17.30 Uhr, N3: Fernöstliche Heilkunde Kanda Empat in Indonesien - Balance der Elemente Fr, 8. August, 17.30 Uhr, 3sat: Visite - Gesundheit im Alltag - Windpocken - Nackenschmerz - Das Turner-Syndrom: eine seltene Krankheit Sa, 9. August, 17.00 Uhr, ARD: ARD-Ratgeber: Gesundheit - Augenverletzungen - Sonnenschutzmittel - Sicherheit beim Inline-Skating Mo, 11. August, 21.15 Uhr, B1: Infektionskrankheit Herzinfarkt? „Bakterien als Ursache von Gefäßverkalkung” Sind Herzinfarkt und Schlaganfall die Folgen einer banalen Infektionskrankheit, hervorgerufen durch Bakterien, wie eine Lungenentzündung? Di, 12. August, 21.00 Uhr, WDR: Quarks & Co.- Eine Reise durch Magen und Darm Verstopfung, Durchfall oder Sodbrennen - auf der “Reise durch den Verdauungstrakt” wird über neue Forschungsergebnisse und Therapien berichtet. Do, 14. August, 15.00 Uhr, RTL: Ilona Christen - „Die geschundene Haut Neurodermitis” Als Ursachen kommen u.a. Allergene in Nahrungsmitteln, das Nervensystem, Vererbung, verminderte Abwehrkräfte sowie Umweltfaktoren in Frage. In den meisten Fällen wird mit Cortison behandelt. doch mittlerweile zeigen auch immer mehr alternative Heilmethoden Erfolge. Do, 14. August, 16.25 Uhr, ARD: ARD-Ratgeber: Gesundheit „Haarausfall“ Fr, 15. August, 17.15 Uhr, 3sat: Sprechstunde „Der gekrümmte Rücken - Morbus Bechterew” Di, 19. August, 21.00 Uhr, N3: N3 Ratgeber Medizin „Wechseljahre - auch eine Männersache” Mi, 20. August, 20.15 Uhr, B1: QuiVive - Medizin „Gicht - Leiden der Schlemmer?” Fr, 22. August, 17.30 Uhr, 3sat: Gesundheitsmagazin Praxis - Hypochondrie: Die eingebildete Krankheit? - Angst: Krise ohne Ausweg? So, 24. August, 19.45 Uhr, ProSieben: Welt der Wunder Der Weg ins Hirn - Die Geschichte der Kunst, einen Schädel zu öffnen Erst kürzlich entdeckten Wissenschaftler die älteste bekannte Schädelöffnung der Welt. wo früher grob mit Steinen geschabt wurde, navigiert heute virtuelle Technik millimetergenau durch die Gehirnbahnen in unserem Kopf. Di, 2. September, 21.00 Uhr, N3: N3 Visite 590 „Herzinfarkt” Alle 6 Minuten stirbt ein Patient an den Folgen des Gefäßverschlusses - und in den seltensten Fällen kam der Tod aus heiterem Himmel. Bei der Spurensuche nach den Auslösern gibt es jetzt neue Erkenntnisse: Bakterien werden als Verursacher vermutet. Damit könnte erklärt sein, was bisher vielen Forschern ein Rätsel aufgab: 20 Prozent aller Infarktpatienten weisen nicht die typischen Risikofaktoren auf (Rauchen, erhöhte Blutfette, Übergewicht, hoher Blutdruck). So, 14. September, 12.30 Uhr, N3: Atlantis - Das verborgene Wissen der Welt „Heilkräfte der Heiligen Hildegard” So, 21. September, 10.15 Uhr, Bayern: Stationen „Letzte Berührungen” - Der Münchner Aidspfarrer Th. Schwaiger TIP: Mi, 20. August, 20.15 Uhr, RTL: Wenn ich nicht mehr lebe Sabine Schreiber (Anke Sevenich), glücklich verheiratete Frau und Mutter zweier Kinder, wird von einem furchtbaren Schicksalsschlag getroffen: Die Ärzte diagnostizieren bei ihr Krebs im Endstadium. Völlig selbstlos gilt Sabines größte Sorge ihrer Familie. sie fragt sich, wie diese nach ihrem Tod weiterleben soll und beginnt, ihren Mann und ihre Kinder auf ein Leben nach ihrem Tod vorzubereiten. Sabines größter Wunsch: Eine Frau zu finden, die ihren Kindern eine neue Mutter und Michael (Heio von Stetten) eine gute Frau sein kann. Seite 16: Wichtige und nützliche Adressen Zentrum zur Dokumentation für Naturheilverfahren e.V. Hufelandstr. 56, 451470 Essen Telefon: 02 01 / 74 55 51 Das Myelin Projekt e.V. Schlehenberg 2, 56745 Volkesfeld Telefon: 0 26 55 / 96 02 70, Mo. bis Fr. 9-13 Uhr Bundesverband Neurodermitiskranker in Deutschland e.V. Oberstraße 171, 56154 Boppard Telefon: 067 / 42 25 98 Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. Freiherr-von-Langen-Str. 13, 48231 Warendorf Telefon: 0 25 81 / 63 62-0 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Ostmerheimer Str. 200, 51109 Köln Telefon: 02 21 / 89 92-1 Deutsche Gesellschaft für Ernährung Vogelsgesang 40, 60488 Frankfurt am Main Telefon: 069 / 976 80 30 591 Die andere Medizin Liebe Leser! Hin und wieder möchten wir Heilverfahren der sogenannten Alternativ-Medizin vorstellen. Die Redaktion möchte jedoch darauf hinweisen, daß es für die Wirksamkeit dieser Methoden keine systematisch-wissenschaftlich anerkannten Beweise gibt. Aber es gibt immer wieder Patienten, denen mit Verfahren außerhalb der Schulmedizin wirksam geholfen wurde. In diesen Fällen stehen Ärzte und Wissenschaftler oft vor einem Rätsel. Wir glauben, das Ziel jeder medizinischen Anstrengung muß darin liegen, dem Patienten zu helfen. Unter dieser Vorgabe möchten wir unseren Lesern die Möglichkeit geben, selbst zu prüfen, ob die jeweilige Alternativmedizin für sie in Frage käme. Ihre Redaktion Wir vertrauen in unserer modernen Welt der Gerätemedizin, obwohl uns der Überblick aufgrund der endlosen Spezialisierungen und Erneuerungen verloren gegangen ist. Doch bei allem Aufbruch lassen sich die Krankheiten nicht beseitigen. Diese ernüchternde Erkenntnis verleitet Ärzte und Patienten dazu, den Blick auch auf uralte, erprobte naturkundliche Heilmethoden zu richten. Zu den Klassikern zählt dabei die traditionelle chinesische Medizin. Von Naturphilosophien ausgehend, baut sie auf den Schulen des Taoismus des 3. bis 7. Jahrhunderts auf. Danach umfaßt die chinesische Medizin vorbeugende Maßnahmen zur Erhaltung des geistigen und körperlichen Wohlbefindens ebenso wie Hinweise zu einer gesunden Ernährung und zur Stoffwechselregulierung. Die Therapie von einmal festgestellten Krankheiten stellt eine wechselnde Kombination von Arzneien, Diät, Heilgymnastik, psychosomatischen Techniken, Massage und Akupunktur dar. In Deutschland beherrschen nur wenige Ärzte die chinesiche Medizin. Ihre Patienten berichten oft über erstaunliche Heilungserfolge. Literaturhinweis Das chinesische Gesundheitsbuch von Daniel Reid, Econ Verlag, DM 16,90. 8.23 „Autoimmun“ Nr. 5 von Oktober/November 1997 Seite 3: Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit dieser Ausgabe werden wir einige Aspekte zu einer ganzen Bandbreite von Krankheiten behandeln. Zuerst möchten wir Ihnen etwas über die spannende Entdeckung eines „Superantigens“, das für Autoimmunkrankheiten verantwortlich sein soll, berichten. Bei der Frage, wie man Erkrankungen vorbeugen kann, steht das Thema „Impfen“ mit den damit verbundenen Risiken im Mittelpunkt. Im therapeutischen Bereich wollen wir Ihnen einen Überblick über Anfangserfolge bei der Bekämpfung der Krankheiten Lupus erythematodes und Multiple Sklerose zeigen. Zur Krankheitsnachsorge gehört die Physiotherapie. Wer Krankengymnastik macht, weiß, sie heilt nicht, kann 592 aber vieles vielleicht verhindern und manches bewirken. Vorausgesetzt, man findet einen kompetenten Therapeuten. Unsere Titelgeschichte soll Ihnen helfen, die richtige Wahl zu treffen. Abrunden wollen wir diese Ausgabe mit vielen nützlichen Tips und Hinweisen und verbleiben mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit Ihre Redaktion Nach Redaktionsschluß… …wurden im Fachblatt „Neurology“ die Ergebnisse einer Studie mit Anti-CD4 Antikörpern (cM-T412) bei Multipler Sklerose veröffentlicht. Die Doppelblindstudie wurde bei 71 MS-Patienten durchgeführt. Teilgenommen haben Patienten, die sowohl unter einem schubförmigen Krankheitsverlauf, als auch an der sekundär progressiven Variante leiden. 36 Patienten erhielten in einem Zeitraum von sechs Monaten ein Placebo, die andere Gruppe (35 Patienten) wurde monatlich intravenös mit 50 mg Anti-CD4 Antikörpern (cMT412) therapiert. In vorher festgelegten Abständen wurden die Anzahl der Schübe gemessen, Veränderungen in der Kernspintomographie beobachtet und der klinische Zustand der Patienten mit Hilfe der EDSS-Skala bewertet. Die nun vorgelegten Resultate zeigen, daß im Meßzeitraum (18 Monate) die Anzahl der Schübe bei den mit Antikörpern behandelten Patienten um 41 Prozent zurückgingen. Dieses Ergebnis ist als Erfolg zu werten, da es als statistisch signifikant angesehen werden kann. Weniger erfolgreich waren die Resultate der ausgewerteten Kernspin- und EDSS-Daten. Den Patienten der Behandlungsgruppe ging es nicht wesentlich besser als den Placeboempfängern. Als Nebenwirkungen wurden u.a. Temperaturanstieg, Übelkeit und Herzschlagerhöhung festgestellt. „Keine Krankheit ist unheilbar: es verhält sich nur so, daß die Ärzte noch keine Kenntnisse über die Heilung haben. Wenn sie die Kenntnisse haben, wird die Krankheit nicht von einer unheilbaren zu einer heilbaren. Es handelt sich um dieselbe Krankheit, aber die Kenntnisse der Ärzte sind andere. Aber ich glaube, es ist wesentlich weniger traumatisch, wenn ein Arzt einem eröffnet, daß man an einer Krankheit leidet, von deren Heilung er keine Kenntnisse hat, statt einem mitzuteilen, daß die Krankheit unheilbar ist.“ Louis Blank Seiten 4 und 5: Krankengymnastik – kleine Hilfe ohne Nebenwirkungen Vielen Patienten mit Bewegungsstörungen raten die Ärzte zur Krankengymnastik. Für die MS-Kranken stellen sich damit zahlreiche Fragen nach dem Nutzen und dem Aufwand, der ihnen abverlangt wird. Krankengymnastik kann im Falle chronischer Erkrankungen, die das Nervensystem betreffen, nur unterstützende Wirkungen haben. Überraschend große Verbesserungen der allgemeinen Bewegungsfähigkeit sind nicht zu erwarten und werden auch von keinem verantwortungsbewußten Arzt in 593 Aussicht gestellt werden. Dennoch können mit gezielten Übungen Bewegungsabläufe reguliert und Unsicherheiten besser kontrolliert werden. Die Verbesserung der Muskelkraft ist eine der wichtigsten Aufgaben der Krankengymnastik mit Patienten, deren Bewegungsfähigkeiten bereits stark eingeschränkt sind. Die Krankengymnasten Die Berufsbezeichnung „Krankengymnast“ ist gesetzlich geschützt. Sie darf nur führen, wer nach einer dreijährigen Ausbildung an einer krankengymnastischen Fachschule und mehreren Praktika vor einem staatlichen Prüfungsauschuß das Examen bestanden hat. Der Lehrgang umfaßt Grundlagen der Medizin und der medizinischen Teildisziplinen, die Ausbildung in allen physiotherapeutischen Maßnahmen, den Umgang mit medizinischen Hilfsmitteln sowie die Unterweisung in krankengymnastischen Techniken. Hinzu kommen Erste Hilfe und Hygiene. Krankengymnasten arbeiten entweder angestellt in Krankenhäusern und Kurkliniken oder niedergelassen in einer selbständigen Praxis. Wie alle Angehörigen der Heilberufe unterliegen auch sie der gesetzlichen Schweigepflicht. Die Verordnung krankengymnastischer Übungen Krankengymnastik erfolgt auf ärztliches Rezept. Es ist Aufgabe des Arztes, die Gesamtzahl der Behandlungen und den wöchentlichen Turnus zu verordnen, sowie eine Diagnose und spezielle Angaben zum Therapieziel oder zu Risiken an den Krankengymnasten weiterzuleiten. Häufig werden Rezepte für je 10 Stunden ausgestellt. Eine Begrenzung auf eine Höchststundenzahl oder maximale Rezeptzahl gibt es von Seiten der Kassen nicht. Die Wahl des Krankengymnasten steht jedem Patienten frei. Hat er sich jedoch für einen entschieden, so ist er für die Dauer der pro Rezept verordneten Stunden an diesen gebunden. Im Regelfall findet das Gruppenoder Einzeltraining in den dafür gerätetechnisch ausgestatteten Übungsräumen statt. Ist es einem Patienten nicht möglich, die Praxis aufzusuchen, sind Krankengymnasten zu Hausbesuchen verpflichtet.. Wer sie zu Hause empfängt, ist jedoch bei der Wahl auf die ortsansässigen Therapeuten beschränkt, in Großstädten auf die im jeweiligen Bezirk oder Stadtteil tätigen. Ein Umzug kann daher zum Wechsel des Krankengymnasten zwingen. Nur Krankengymnasten können entscheiden, welche Übungen im Einzellfall angewandt werden sollten. Dem Training geht also eine eigene krankengymnastische Diagnose voraus. Da diese immer individuell auf Zustand, Belastbarkeit und Befähigung des einzelnen Patienten abgestimmt wird, kann hier nur ein Überblick über wichtige Verfahren gegeben werden, die die Eckpfeiler für die jeweils entworfenen Einzelfallprogramme darstellen. Häufig angewandte Methoden Die für MS-Patienten empfohlenen Verfahren betreffen vor allem eine Vielzahl von Übungen, die der Koordination von Bewegungsabläufen und deren Stabilisierung, der Festigung des Gleichgewichts, der Verbesserung der 594 Gangsicherheit sowie der Einschränkung von Ersatzbewegungen und ausfahrenden Gesten dienen. Neben der Kombination verschiedener krankengymnastischer Techniken werden auch Methoden verwandt, die entwickelt wurden, um bestimmten Symptomatiken bei nervlich bedingten Krankheiten entgegenzuwirken. Die in den USA entwickelte „Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation“ (PNF) dient der allgemeinen Kräftigung der Muskeln, der Normalisierung des Muskeltonus, der Verbesserung sensomotorischer Reize und soll krankheitsbedingten Bewegungsabläufen entgegenwirken. Die Methode trainiert die Anbahnung von Bewegungen über die Funktionseinheit von Nerven und Muskeln. Sie beruht daher auf der Stimulation propriozeptiver Reize, d. h. von Reizen, die auf den Bewegungsapparat ausgeübt werden, und exterozeptiver Reize, die auf die Sinnesorgane einwirken. Ausgeführt werden komplexe Bewegungsabläufe, sogenannte „Pattern“, die jeweils aus Muskelanspannung und -entspannung, Heranziehen und Strecken sowie Innen- und Außenrotation ganzer Körperabschnitte bestehen. Zur Behandlung zerebraler Bewegungsstörungen entwickelte das englische Ehepaar Berta und Karl Bobath eine Methode, die regulierend auf Haltungsund Bewegungsmuster, den Muskeltonus und die Koordination der Muskeltätigkeit einwirkt. Die Methode verwendet drei Techniken, die Hemmung krankhafter Bewegungsmuster, die Anbahnung normaler Abläufe und die Stimulation von Bewegungen durch Beanspruchung der Nahsinne. Mit der Unterstützung durch die Hand des Gymnasten werden am Rumpf und an rumpfnahen Extremitäten, sogenannten Schlüsselpunkten, beginnend Bewegungsreaktionen, vor allem Stell- und Gleichgewichtsreaktionen, eingeleitet. Reflexkriechen und Reflexumdrehen der Vojta-Methode sollen krankheitsbedingte Ersatzbewegungen, die der Patient bereits entwickelt hat, abbauen. Die auf der Matte ausgeführten, beliebig wiederholbaren Bewegungen dienen ebenso dem Training vernachlässigter Muskeln wie der Veränderung der Körperhaltung, der Schwerpunktregulierung und der Verbesserung des Gleichgewichts. Interview Autoimmun sprach mit dem Berliner Krankengymnasten Andreas Schwarz, der seit 12 Jahren MS-Kranke behandelt AI: Was kann Krankengymnastik bei chronisch Kranken bewirken, deren Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen ist? Schwarz: Die wichtigste Aufgabe der Krankengymnastik ist der Erhalt der Restfunktionen, also das Training all dessen, wozu der Patient noch imstande ist. Es gilt, Streck- und Beugespastiken sowie deren Mischformen gezielt entgegenzusteuern. Ein Motto, nach dem wir vorgehen, lautet: „Stabilität geht vor Mobilität“, wir trainieren also die Fixierung bestimmter Körperteile besonders im Sitzen und Stehen. Sehr wichtig ist es auch, Folgeschäden aufzuhalten, die ihre Ursache weniger in der MS selbst haben, als durch Medikamente oder falsche Körperhaltung hervorgerufen wurden. Wir müssen uns mit dem Stillstand der Krankheitsentwicklung zufriedengeben und nicht überraschende Erfolge erwarten. MS-typische Ataxien kann die Gymnastik z.B. nicht beeinflussen, wohl aber den sehr viel häufigeren Tremor. 595 AI: Was sollten Patienten bei der Wahl des Krankengymnasten beachten? Schwarz: Es ist von Vorteil, wenn der Krankengymnast eine neurophysiologische Ausbildung hat. Wer auch mit Schlaganfallpatienten arbeitet und daher mit Spastiken vertraut ist, ist für MS-Kranke häufig der richtige Ansprechpartner. Persönliche Aspekte sollten nicht vernachlässigt werden, denn der Erfolg beruht auch auf der menschlichen Zusammenarbeit beider. AI: Können längere Unterbrechungen schaden? Schwarz: Ja sehr. Die Patienten, erleiden oft große Rückschläge. Nach vierwöchiger Pause lassen sich die früheren Restfunktionen wiederherstellen, nach sechs Wochen ist es jedoch kritisch. Oft können Patienten dann den vorherigen Stand nicht mehr erreichen. AI: Gibt es Risiken, die im Einzelfall gegen Krankengymnastik sprechen? Schwarz: Nein, jeder MS-Patient kann mit einem eigenen Programm erleichtert und entlastet werden. Seite 6: Anfangserfolg in der Lupus-Forschung Erstmals Heilung der Autoimmunerkrankung „Lupus erythematodes“ gelungen In Deutschland leiden etwa 25.000 Menschen an der noch unheilbaren Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. Meistens sind junge Frauen die Betroffenen, die Sterblichkeit ist hoch, zwei Fünftel aller Lupus-Patienten sterben innerhalb von 20 Jahren. Krankheitsbild „Lupus erythematodes“ Die Krankheit äußert sich in geschwollenen Gelenken und geröteten Hautflächen, die meistens eine Schmetterlingsform haben. Mit fortschreitender Krankheit werden lebenswichtige Organe wie Gehirn, Nieren, Herz und Haut immer mehr in Mitleidenschaft gezogen. Bisher war eine lebenslange Behandlung der Patienten mit Cortison und Zellgiften nötig, die aber zu schweren Nebenwirkungen führte. Das Fatale an Lupus ist, daß sich der Körper langsam selbst zerstört: Durch eine falsche Steuerung des Immunsystems werden die Antikörper aufgefordert, die gesunden Zellen im Körper zu zerstören, statt nur kranke Zellen zu vernichten. Und - je besser das Abwehrsystem des Körpers funktioniert - desto zerstörischer wüten die Antikörper, lebenswichtige Organe werden angegriffen. Weltweite Studie Im Rahmen einer weltweiten Studie, gefördert durch das Bundesforschungsministerum, begann 1986 eine Arbeitsgruppe der II. Medizinischen Uni-Klinik unter Leitung von Prof. Hans Hartwig Euler („KielAID) mit einer Kombinationstherapie in der Lupus-Behandlung. Eine Patientin, an der die neue Therapie nach dem „Kieler Synchronisationsprotokoll“ durchgeführt wurde, konnte zu Beginn der Behandlung nur noch kriechen und hätte den Tod als Erlösung von ihren Schmerzen empfunden. Heute gehört sie zu den ersten Patienten, die von Lupus geheilt sind. Sie hat die sogenannte 10-Jahres-Marke im September überschritten und gilt medizinisch als geheilt. Insgesamt 21 Patienten wurden 596 nach dem Kieler Synchronisationsprotokoll behandelt, 14 von ihnen leben heute ohne Krankheit und Therapie, 3 davon sind geheilt. Die Therapie Das KielAID-Team (Auto Immun Disease) testete eine Kombination von bekannten Therapieformen, die, einzeln angewendet, keinen dauerhaften Erfolg brachten. Grundprinzip der Behandlung ist: Das fehlgesteuerte Immunsystem muß vollständig unterdrückt werden. Die Mediziner tauschten zuerst das infizierte Blutplasma des Patienten komplett gegen gesundes Plasma aus. Kurz nach dem Austausch wurden ein halbes Jahr lang hochdosierte Zellgifte (u.a. Mesna, Ondansentrone, Prednisone) intravenös verabreicht. Die Behandlung wurde durch Antibiotika und/oder Pilzmedikamente unterstützt. Diese Koppelung von Plasmaaustausch und Verabreichung der Zellgifte führte zu einem langjährigen Behandlungserfolg. Laut einer Meldung der „dpa“ wurde dieser Erfolg weltweit bisher ausschließlich in Kiel erreicht. Der „dpa“ gegenüber sagte Euler, es bestehe „Hoffnung, daß dieses Grundprinzip auch auf andere Autoimmunerkrankungen, besonders die schwere Multiple Sklerose, übertragbar ist". Seite 7: „Superantigen“ entdeckt Diabetes und Multiple Sklerose: Schweizer Wissenschaftler auf der Suche nach der Herkunft von Autoimmunkrankheiten. Liegt der Schlüssel in der Bauchspeicheldrüse? Eine Meldung in der amerikanischen Fachzeitschrift „Cell“ könnte das Denken über Autoimmunkrankheiten verändern. Danach stellten die Schweizer Molekularbiologen Bernard Conrad und Prof. Bernard Mach und Mitarbeiter von der Medizinischen Hochschule der Universität Genf ein neues Modell für die Herkunft von Autoimmunkrankheiten wie Diabetes (Zuckerkrankheit) und Multiple Sklerose vor. Die Wissenschaftler wollen ein „Superantigen“ entdeckt haben, das als Auslöser für Autoimmunkrankheiten verantwortlich sein soll. Laut Mitteilung der Universität Genf identifizierten die Forscher zunächst ein neues Retrovirus im menschlichen Erbgut. Retroviren stammen aus der Familie der Ribonukleinsäureviren, die vermutlich bei der Krebsentstehung eine wichtige Rolle spielen. Das neu entdeckte Retrovirus bildet – so die neuen Erkenntnisse – sogenannte „Superantigene“. Antigene sind artfremde Eiweißstoffe, die im Körper die Entstehung von Antikörpern bewirken, die den Eiweißstoff selbst unschädlich machen. Die neu entdeckten „Superantigene“ sollen T-Helferzellen aktivieren, also Zellen aus der Gruppe der TLymphozyten, von denen einige zwischen körpereigenen und körperfremden Substanzen unterscheiden können. „Superantigen“ läßt körpereigene Abwehr ausfallen Diese körpereigene Abwehr kann ausfallen, wenn die T-Helferzellen falsche Informationen von den Antigenen bekommen haben. Am Beispiel der 597 Diabetes läßt sich dieses Modell nachvollziehen: Diabetespatienten leiden unter einer chronischen Stoffwechselstörung, die eine unzureichende Insulinproduktion zur Folge hat. Das Insulin wird in einer Zellgruppe (Langerhans-Inseln) der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) gebildet. Das im Durchschnitt 15 cm lange und 70 bis 110 g schwere Organ besteht aus locker zusammengefügten Läppchen. Seine Aufgabe besteht in der Bildung von täglich ca. 2 Litern Bauchspeicheldrüsensaft, der bei der Verdauung unentbehrlich ist. Neben dieser exokrinen Funktion übernimmt das Organ endokrine Aufgaben. Ein Inselapparat - eben diese Langerhanszellen - produzieren Hormone (Insulin und Glucagon), die an der Bildung des Blutzuckerspiegels beteiligt sind. Außerdem beeinflussen sie den Kohlehydratstoffwechsel verschiedener Körperzellen. Die Schweizer Wissenschaftler haben nun nachgewiesen, daß das neu entdeckte „Superantigen“ einige T-Helferzellen aktiviert hat, von denen einige Irrläufer wiederum die Insulin produzierenden Langerhanszellen der Bauchspeicheldrüse angreifen. Als Folge dieser Entwicklung entsteht die Krankheit Diabetes. Impfung gegen Auotimmunkrankheiten? Ferner vermuten nun die Forscher, daß dieser Angriff auf die T-Helferzellen, der durch das „Superantigen“ verursacht wurde, auch auf andere Zelltypen möglich ist und somit andere Autoimmunkrankheiten – erwähnt wird die Krankheit Multiple Sklerose – auslösen kann. Die beiden Molekularbiologen versprechen sich von ihrer Entdeckung auch Hinweise für Diagnose, Therapie oder Vorbeugung bei diesen Autoimmunkrankheiten. Möglicherweise könnte die Bekämpfung dieser Krankheiten durch eine Impfung gegen das „Superantigen“ erfolgen. Seiten 8 und 9: Impfzwischenfälle – ernst nehmen, aber nicht dramatisieren Um den Wert oder Unwert von Schutzimpfungen wird in jüngerer Zeit wieder sehr gestritten. Einerseits ist die Bedrohung durch seuchenhafte Infektionskrankheiten in Mitteleuropa heute nicht mehr so akut wie in der Vergangenheit, andererseits ist diese Entwicklung zum großen Teil gerade den Impfkampagnen zu verdanken – und der verbesserten Ernährungs-, Arbeits- und Wohnsituation. Zum einen sind bestimmte Impfungen der einzige zuverlässige Schutz, zum anderen gibt es in gewissem Umfang Schäden, die gerade durch eine Impfung hervorgerufen werden – „Impfzwischenfälle“, das steht in jedem Beipackzettel. Ferner gibt es den Standpunkt, daß (zu viele) Schutzimpfungen die Entwicklung natürlicher Abwehrkräfte bremsen (können). Es gibt in der Ärzteschaft viele entschiedene Befürworter von Schutzimpfungen und eine kleine Zahl von Gegnern. Beide Seiten führen Argumente an. Die unabhängige Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in Schleswig-Holstein schrieb zum Beispiel in einem Heft für das Kieler Gesundheitsministerium: „Wenn nicht medizinische Gründe beim Einzelnen dagegen sprechen, gibt es keine vernünftigen Gründe gegen das Impfen“. 598 Und speziell zu den Röteln heißt es in dieser Schrift: „Ist die werdende Mutter ungeschützt und steckt sie sich während der Schwangerschaft mit Röteln an, so drohen ihrem Baby mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerste Schäden wie Blindheit, Taubheit, Herzfehler, geistige Behinderung, Leber-entzündung, Tod. Diese Gefahren können durch konsequente Impfung vermieden werden.“ „Nein“, sagt dagegen zum Beispiel der dem „Schutzverband für Impfgeschädigte“ nahestehende Arzt und Buchautor Dr. G. Buchwald: diese Rötelnschäden können durch Impfung eben nicht verhindert werden. Nach seinen Untersuchungen ist die Röteln-Impfung völlig überflüssig. Dagegen nennen Impfbefürworter es grotesk, wenn manche Ärzte behaupten, eine natürlich durchgestandene Erkrankung sei prinzipiell gesünder als die betreffende Schutzimpfung. Gemeinsam haben das Robert-Koch-Institut (Bundesinstitut für Infektionskrankheiten in Berlin, eine der Nachfolgebehörden des Bundesgesundheitsamtes) und das Paul-Ehrlich-Institut (Bundesamt für Sera und Impfstoffe, in Langen/Hessen) kürzlich wieder „allen gefährdeten Personen“ geraten, sich möglichst noch im Oktober gegen Virusgrippe impfen zu lassen. Besonders gefährdet sind geschwächte Menschen, u.a. besonders solche mit angeborenen und erworbenen Immundefekten. Während der sechswöchigen letzten Influenza-Welle 1996/97 gab es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts rund 2,3 Millionen Fälle von Arbeitsunfähigkeit und 30.000 Krankenhauseinweisungen mehr als in epidemiefreien Wintern. Multiple Sklerose und Impfung In diesem Zusammenhang interessant ist eine Antwort der Impfberatungsstelle der Universität Greifswald (entnommen aus S. Wiersbitzky und R. Bruns: Atypische Impfverläufe und aktuelle Impffragen, Mainz 1995) auf die Anfrage: „Ist bei Verdacht auf MS eine MasernSchutzimpfung möglich?“ Antwort der Impfberatungsstelle: 1) Solange der Prozeß noch floride ist, scheidet eine Schutzimpfung mit Lebendimpfstoff absolut aus; 2) das gleiche gilt, solange eine systemische immunsuppressive Therapie läuft (z. B. mit Corticoiden); 3) erst wenn der Schub vorbei ist und immer noch Seronegativität besteht, wäre die MasernSchutzimpfung durchführbar. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, genauer gesagt ihr Regionalbüro für Europa (Kopenhagen) schreibt in den „Einzelzielen für Gesundheit 2000 (Frankfurt am Main 1985): „Bis zum Jahr 2000 sollten folgende Krankheiten in der Europäischen Region nicht mehr vorkommen: einheimische Form der Masern, Poliomyelitis, Tetanus bei Neugeborenen, angeborene Röteln, Diphtherie, angeborene Syphilis und einheimische Form der Malaria. Dieses Einzelziel ist erreichbar durch ein gutorganisiertes System der primären Gesundheitsversorgung, das eine wirksame epidemiologische Überwachung, den Impfschutz der Bevölkerung, Malariabekämpfungsmaßnahmen, Aufklärung über die Risiken der Syphilis, Reihenuntersuchungen und wenn nötig die Behandlung werdender Mütter gewährleistet.“ Und weiter: „ Heute stehen … Überwachungs- und Immunisierungsprogramme zur Verfügung, die es ermöglichen würden, die Masern, die Poliomyelitis, Tetanus 599 bei Neugeborenen, Diphtherie und angeborene Röteln vollständig auszurotten.“ Die oben erwähnte Studie der Impfberatungsstelle der Universität Greifswald konnte bei der Untersuchung von Impfzwischenfällen/Impfschäden besonders gründlich vorgehen. Zu diesen günstigen Voraussetzungen gehört die eng abgestimmte Zusammenarbeit des gesamten Medizinbetriebes in Greifswald – öffentlicher Sektor und niedergelassene Ärzte – in einem Public-HealthProjekt unter der Bezeichnung „Community Medicine“. Die Dokumentation von Problemfällen und die Zusammenarbeit bei ihrer Lösung ist dort sehr viel enger und reibungsärmer als in anderen Regionen. Untersucht wurden 58 Fälle von Kindern und jungen Erwachsenen, bei denen wenige Minuten bis mehrere Monate nach Impfungen Erkrankungen auftraten, die den Verdacht eines Zusammenhangs mit der Impfung erregten. Zu den häufigeren Erkrankungen gehörten Virusinfektionen (Rotavirus, Epstein-Barr-Virus, humanes Herpesvirus), bakterielle Infektionen (Salmonellen, Streptokokken, E. Coli) und klinisch eindeutige Infektionskrankheiten (Dreitagefieber, Gastroenteritis, Pseudokrupp, Mandelentzündung). Aber auch ganze andere Ursachen kamen in Betracht: Formalin-Überempfindlichkeit, ein angeborener Chromosomendefekt, eine Schlafmittelvergiftung und zwei Fälle von Epilepsie mit Borrelien-Infektion waren möglich.. Als Nachweismethoden dienten vor allem virologischserologische Verfahren (virale DNS, spezifische Antikörper); bei Verdacht auf Erkrankungen des zentralen Nervensystems EEG, Computertomographie und Kernspintomographie, Stoffwechseluntersuchungen, Herzdiagnostik und zytogenetische Methoden. Das Ergebnis der Greifswalder Mediziner (Kinderärzte, medizinische Mikrobiologen und Radiologen): „In allen 58 Fällen konnte, trotz des zeitlichen Bezuges zu einer vorangegangenen Schutzimpfung, in keinem Fall ein kausaler Zusammenhang mit der Vakzination gesichert werden. Es ließen sich immer wissenschaftlich begründete Diagnosen (Krankheiten) dokumentieren, die die beobachteten Krankheitserscheinungen eindeutig erklärten.“ Impfgegner bleiben den Beweis schuldig Auch dieses eindeutige Ergebnis wird medizinkritisch eingestellten Menschen nicht alle Zweifel nehmen. Wenn ein gesundes Kind, das mehrere Impfungen (BCG, Polio, Diphtherie/Keuchhusten/Tetanus) komplikationslos überstanden hat, einige Tage nach einer Masernimpfung von schweren Krämpfen und zerebralen Ausfällen befallen wird, sind Eltern und Hausarzt selbstverständlich alarmiert – auch dann, wenn zerebrale Krampfanfälle bei 4 bis 5 Prozent aller Kinder wenigstens einmal auftreten. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, daß die gelegentlich sensationell aufgemachten Berichte der Impfgegner – von medizinischen Laien wie Ärzten – fast immer von Zwischenfällen nach Impfungen sprechen und den Nachweis einer Kausalbeziehung in der Regel schuldig bleiben. Ein gewisser Teil dieser Zwischenfälle nach Impfungen geht, das ergibt die Greifswalder Studie sehr klar, darauf zurück, daß in eine unerkannt bestehende Gesundheitsstörung hineingeimpft wurde, die dann nach der Impfung zum Ausbruch kam. Die grundsätzliche Empfehlung, nur Gesunde zu impfen, sollte also ernst genommen werden; Eltern sollten auf einem ausführlichen Beratungsgespräch bestehen, auch wenn der Arzt es eilig hat. 600 Seite 10: News & Hintergrund „Avonex“ macht Schering-Produkten Konkurrenz Seit 1996 ist das MS- Medikament „Avonex“ der US-Firma Biogen auf dem deutschen Markt zugelassen. Schätzungen zufolge soll die Zahl der mit „Avonex“ behandelten Personen in Deutschland mit 30 000 bereits den Anteil der mit „Betaferon“ der Schering AG behandelten Patienten überstiegen haben. Zeitungsmeldungen, die von einem Konkurrenzkampf beider Firmen auf dem deutschen Pharmamarkt berichteten, sollten bei MS-Patienten nicht den Eindruck hinterlassen, bei „Avonex“ handele es sich um ein Medikament, dessen Wirkungsweise sich grundsätzlich von der des Schering-Produkts unterscheide. Beide Arzneien sind gentechnisch hergestellte Interferone, wobei Schering Beta-Interferone 1b herstellt, „Avonex“ dagegen ein aus Hamsterzellen gewonnenes Beta-Interferon 1a ist. Die Wirk- und Risikofaktoren beider Präparate sind gleich. „Avonex“ ist zur Behandlung der schubförmigen MS zugelassen. Biogen testet zur Zeit die Wirksamkeit zur Verzögerung der Ausbildung von Behinderungen im Frühstadium der Multiplen Sklerose. Grapefruitsaft steigert die Aufnahme von Arzneistoffen Bereits ein Glas Grapefruitsaft kann die Bioverfügbarkeit einiger Arzneistoffe steigern. Dies gilt besonders für Kalziumantagonisten, das Immunsuppressivum „Ciclosporin“ und das Antiallergicum „Terfenadin“. Der in Pampelmusen enthaltene Metabolit des Naringin und weitere Inhaltsstoffe hemmen Enzyme in der Darmwand, die viele Substanzen bereits im Darm abbauen, bevor sie wirksam werden können. Die Wirkung der Grapefruit kann länger als einen Tag anhalten, daher reicht es nicht aus, unmittelbar vor der Medikamenteneinnahme auf das Getränk zu verzichten. Die Wirkung ist bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich. Experten raten, bei Dauermedikation einen gleichbleibenden Grapefruitkonsum zu halten. Personen, die nie oder regelmäßig diese Südfrüchte zu sich nehmen, reagierten mit weniger drastischen Wechselwirkungen als jene, die sie nur ab und zu genießen. Wegen einer fehlenden Standardisierung der Saftinhaltsstoffe scheitern Versuche, die Medikamentendosierung zu verringern. Suchtfaktor Internet Amerikanische Psychologen beobachten in letzter Zeit, daß die Zahl süchtiger Internet-„user“ steigt. Gerade Personen, die keine regelmäßige Ganztagsbeschäftigung haben, seien in Gefahr, sich mit dem Spaziergang über die Datenbahnen von ihren eigenen Problemen abzulenken, stellte Kimberly Young von der Universität Pittsburgh fest. Manche brächten sich damit in eine Suchtspirale, die der klassischer Drogen vergleichbar sei. Wer bereits den Drang verspüre, die Sitzungen am Bildschirm auszudehnen, um sich aus dem realen Leben davonzustehlen, wem Zeiten ohne NetVerbindung leer erscheinen, riskiere, ebenso wie Alkoholiker und 601 Drogensüchtige, berufliche und familiäre Verpflichtungen zu vernachlässigen und in eine Krise hineinzusteuern. Thalidomid in den USA vor der Zulassung Die Zulassung des unter dem Handelsnamen „Contergan“ bekannt gewordenen Wirkstoffes Thalidomid wird derzeit von der USGesundheitsbehörde FDA geprüft. Die Arznei war weltweit vom Markt genommen worden, nachdem sie Anfang der sechziger Jahre als Verursacher pränataler Mißbildungen identifiziert worden war. In den letzten Jahren sind Versuche zur Prüfung der Wirksamkeit des Thalidomid bei Lepra, Krebs und Multipler Sklerose begonnen worden. Der Einsatz des Wirkstoffs gegen zahlreiche symptomatische Erkrankungen von Aids-Patienten erwies sich als erfolgreich. Der FDA liegt seit Anfang September eine Entschließung über die Zulassung von Thalidomid für Aids-Patienten vor. Der Entwurf nimmt Aids-Patientinnen im gebährfähigen Alter nicht von der Indikation aus, verlangt aber den doppelten Einsatz von Verhütungsmitteln und regelmäßige Schwangerschaftstests unter ärztlicher Aufsicht. Anders als in Europa war Thalidomid / Contergan in den USA auch in den fünfziger Jahren nicht zugelassen. Seite 11: News & Hintergrund Multiple Sklerose: Neues Therapiekonzept erfolgreich Mit einer Verzahnung von traditioneller MS-Therapie und einer neu entwickelten Ernährungstherapie trat jüngst die MATERNUS-Kliniken AG aus Bad Oeynhausen in die Öffentlichkeit. Erste Anfangserfolge bei der Behandlung von MS-Patienten wurden bestätigt. Entwickelt wurde das neue Therapiekonzept von dem selbst an MS erkrankten Arzt Dr. Ralf Kluge. Er hat es an sich selbst und 120 MS-Patienten erfolgreich geprüft. Der entscheidende Faktor dieser neuen Therapie ist eine argininarme und ammoniakverminderte Ernährung in Kombination mit neu entwickelten Arzneien, die eine für MS-Patienten notwendige Ammoniak-Entgiftung des Stoffwechselhaushalts unterstützen. Interessenten können sich kostenlos unter der Telefonnummer 0130/ 73 84 84 informieren. Bei Kopfschmerzen nur einen Wirkstoff verwenden Trotz der großen Auswahl von rezeptfreien Schmerzmitteln existieren nur drei Wirkstoffe: Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen. Es sollte darauf geachtet werden, nur Präparate mit einem Wirkstoff zu verwenden, rät Dr. Ute Galle-Hoffmann, Apothekerin aus dem AOK-Bundesverband. Bei Kombinationspräparaten ist mit stärkeren Nebenwirkungen zu rechnen. Auch mit koffeinhaltigen Mitteln sollte vorsichtig umgegangen werden. Nach Absetzen kann ein Entzugskopfschmerz auftreten. Erfolgreicher Kampf gegen Alzheimer soll Mut machen Die Alzheimer-Krankheit gehört zu den ungelösten Rätseln der Medizin. Sie tritt häufig zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr bevorzugt bei Frauen auf 602 und ist durch eine fortschreitende Rückbildung der Gehirnrinde gekennzeichnet. Die Krankheitssymptome sind: anfängliche Störungen beim Kurzzeitgedächtnis, Unruhe, Orientierungsprobleme und im weiteren Verlauf komplette Wahrnehmungs- und Handlungsunfähigkeit. Neben einem biochemischen Nachweis wird die Diagnose vor allem durch neurologische Untersuchungen erhärtet. Der jetzt veröffentlichte Erfahrungsbericht des Engländers Louis Blank soll Betroffenen und Angehörigen Mut, aber keine falschen Hoffnungen machen. Blank, selbst an Alzheimer erkrankt, behauptet heute: „Eine Krankheit, die ich hatte“. In seinem Bericht schildert er seinen Krankheitsverlauf, bis er dazu nicht mehr in Lage ist. Dann übernehmen seine Angehörigen diese Aufgabe. In einem lichten Moment entwickelt er eine Selbstbehandlung, meldet sich scheinbar geheilt zurück und schreibt seinen Bericht weiter. (Alzheimer gegen das Vergessen, Louis Blank, Bettendorf 1997, mit vielen nützlichen Adressen) USA bleiben Forschungsspitzenreiter Nach Auswertung von über 3.000 medizinischen Fachblättern steht es fest: Die USA konnten ihren Spitzenplatz unter den TOP-20 auch 1996 verteidigen. Die vorgelegte Untersuchung berücksichtigte das Land, in dem klinische oder theoretische Forschungen betrieben wurden. Den zweiten Platz sicherte sich Japan. Deutschland verpaßte knapp hinter Großbritannien den dritten Platz. Bemerkenswert ist der Forschungsvorsprung der USA. Weder die Staaten der Europäischen Gemeinschaft zusammen, noch die neun danach plazierten können mit der Summe ihrer in wissenschaftlichen Fachblättern veröffentlichten Projekten den Nordamerikanern etwas entgegensetzen. Einen leichten Aufwärtstrend lassen die asiatischen Staaten China und Taiwan erkennen. 1. USA 62697 2. Japan 13106 3. Großbritannien 7509 4. Deutschland 7432 5. Frankreich 6429 6. Kanada 5871 7. Italien 5283 8. Niederlande 3787 9. Australien 3341 10. Schweden 3293 11. Spanien 2776 12. Israel 1940 13. Schweiz 1911 14. Dänemark 1540 15. Belgien 1456 16. Indien 1441 17. Finnland 1333 18. Taiwan 1235 19. China 1121 20. Norwegen 1109 Quelle: Autoimmun 603 Seite 12: Forschung Multiple Sklerose: Virus-Theorie wird wieder diskutiert Die Ursache der MS ist seit über 100 Jahren ungeklärt. Immer wieder beschäftigen sich Wissenschaftler mit einem möglichen Virus als Auslöser. Bis heute konnte aber noch kein „MS-Virus“ nachgewiesen werden. Neuen Antrieb bekommt diese Hypothese durch den New Yorker MS- und ParkinsonForscher Prof. Reuven Sandyk, der bei den Neurocommunication Research Laboratories in Danbury arbeitet. Die Ergebnisse seiner 20-jährigen MS-Forschung zeigen Sandyk, daß MS wahrscheinlich eine Virusinfektion ist, die man schon im Kindesalter bekommen hat. Für den Beginn dieser Krankheit sei die Pubertät demnach ein kritisches Alter. Dabei könnte die Zirbeldrüse eine entscheidende Rolle spielen. Sie produziert während der Pubertät niedrige Melatoninwerte. Das macht sie unter anderem sehr empfänglich für Viren. Die Zirbeldrüse und ihre Rolle bei der MS ist bisher kaum untersucht worden. Doch neuere Tests haben gezeigt, daß MS-Kranke sehr niedrige Melatonin-Werte haben. Sandyk kritisiert die bisherige MS-Forschung. Es werde zuviel Forschung am zentralen Nervensystem betrieben. Andere Faktoren blieben unberücksichtigt. Auch suche die Forschung zu einseitig eine Lösung bei immunsuppressiven Substanzen, die auch wegen ihrer starken Nebenwirkungen keine Besserung des klinischen Zustandes erbringen könnten. Sandyks Therapieempfehlung setzt auf schwache elektromagnetische Felder, der Einnahme von bestimmten Aminosäuren und Psychopharmaka, die die Serotoninausschüttung fördern sollen. Ferner soll der Patient regelmäßig Melatonin einnehmen und eine Vitaminkur durchführen. Vitaminkur bei MS Vitamine gehören zu den wichtigsten Bausteinen des Lebens. Für MS-Kranke entwickelte Irina Verney eine Vitaminkur. Sie hat sich zur Vitaminexpertin gemacht und gibt regelmäßig „Newsletter“ zum Thema Gesundheit und Vitamine heraus (Nutri News Letter, Tel.: 06 11/18 44 90). Ihr Vorschlag für MS-Patienten lautet: Bis zu 200 mcg Selen pro Tag, hochdosiert Vitamin E 400 3 X täglich und Nachtkerzenöl wegen des Linolsäureanteils. Anfangserfolge mit Muskelaufbau bei MS Neben der pharmazeutischen MS-Therapie wird die physikalische Behandlung immer wichtiger. Jüngstes Beispiel sind die Anfangserfolge der biomechanischen Muskelstimulation nach dem russischen Sportwissenschaftler Prof. Dr. Vladimir Nasarov. Die nach ihm benannte NASAROV Stimulation stammt aus Rußland und wurde seit 1979 bei den sowjetischen Olympiamannschaften zur Leistungssteigerung eingesetzt. Auch sowjetische Kosmonauten, die teilweise über 400 Tage in der Schwerelosigkeit gelebt hatten, wurden mit Hilfe dieser Methode wieder auf die Beine gebracht. Bei dieser Behandlung handelt es sich um die Übertragung mechanischer Vibrationen mit bestimmter Schwingungsweite und Frequenz auf das 604 neuromuskuläre System. Im Gegensatz zu anderen Verfahren wird hier auf eine Reizstrombehandlung verzichtet und auf eine Längsvibration der Muskulatur und des Nervensystems gesetzt. Die Anwendungspalette der Stimulation nach Nasarov umfaßt u.a. einfaches Muskeltraining, Schmerzbehandelung, Migräne, Behandlung der Bandscheibe und Multiple Sklerose. Bei der MS-Therapie liegen die ersten Erfahrungsberichte vor. Im BMS-Centrum (B. Laudenbach) in Bad Kissingen und dem Ev. Krankenhaus Bethesda Duisburg wurden MS-Patienten behandelt. Nach den ersten Erfahrungen soll bei MS-Patienten ein gezielter Aufbau der Muskelsubstanz erreicht werden. Dadurch sollen die Patienten nach einigen Behandlungen in der Lage sein, Extremitäten, die vorher entweder durch schlaffe oder spastische Lähmungen eingeschränkt oder völlig bewegungslos waren, auf eine für sie neue Art und Weise wieder zu gebrauchen. Die Stimulation nach Nasarov verspricht MS-Kranken eine „deutlich gesteigerte Lebensqualität“, wobei die behandelnden Ärzte darauf hinweisen, daß sie die Krankheit nicht heilen können. Im einzelnen sollen folgende Symptomverbesserungen bei MS-Patienten beobachtet worden sein: Schärfung der Sehkraft, Erweichung von Spastiken, Stabilisierung der Blasen- und Darmfunktion und Erleichterungen beim Aufstehen und Laufen. Anfangserfolge geben Forschern die Legitimität zum Weitermachen. Jedoch muß für eine anerkannt breite Anwendung der Nasarov-Stimulation ein wissenschaftlicher Beweis in Form einer klinischen Studie erbracht werden. Seite 13: Tips & Urteile „Häusliche Pflege“ kann nur zu Hause stattfinden Die gesetzlichen Krankenkassen sind nur dann zur Zahlung von bis zu 750 DM für „häuslichen Pflege“ an ausgebildete Pflegekrafte verpflichtet, wenn die pflegebedürftige Person in ihrer eigenen Wohnung versorgt wird. Sucht der Patient den Pfleger in dessen Räumen auf, ist dies nicht als „häusliche Pflege“ anzusehen. BSG, Az.: 3 RK 40/94 Chancengleichheit für Behinderte Auf der Grundlage des zum Jahresende 1996 ausgelaufenen EU Programm HELIOS II wurde von den beteiligten Experten der „Europäische Leitfaden für empfehlenswerte Praktiken auf dem Weg zur Chancengleichheit für behinderte Menschen“ erarbeitet. Er umfaßt die von der Kommission aufgestellten Grundsätze in den Bereichen soziale Eingliederung und Erhalt einer eigenständigen Lebenssführung, Chancengleichheit im Bildungswesen, funktionelle Rehabilitation und wirtschaftliche Eingliederung. Zugleich werden darin vorbildliche Maßnahmen aus den verschiedenen europäischen Ländern vorgestellt. Die Broschüre ist kostenlos erhältlich bei: Europäische Kommission, Generaldirektion V – 605 Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten, GD V / E / 3, Eingliederung behinderter Menschen, 200 Rue de la Loi (J 27 0 / 121), B - 1049 Brüssel, Fax. 00322 - 2951012. Mehr Sicherheit für Rollstuhlfahrer im Auto Bisherige Sicherheitsgurte zum Schutz von Rollstuhlfahrern, die mit dem Stuhl in einem Kleinbus oder Transporter fuhren, konnten nicht die Sicherheit gewährleisten, die nichtbehinderte Kraftfahrer durch Gurte haben. Die Volkswagen AG entwickelte nun ein leicht anzulegendes und bequemes Prallkissensystem, das die Sicherheitsmängel behebt. Informationen und Gurte erhalten Sie bei: novacare, GmbH, Entwicklung und Vertrieb medizinischer Hilfsmittel 67061 Ludwigshafen, Schützenstr. 31-35, Tel.: 0621 - 568021, Fax: 0621-567997. Buchtip Das im Sommer 1997 erschienene Buch von Ernst Klee ist die erste Gesamtdarstellung über Menschenversuche während der NS-Zeit. Der Autor geht Experimenten nach, die in Konnzentrationslagern, aber auch in Krankenhäusern, an Forschungsinstituten und in Versuchslabors der Wehrmacht stattfanden. Er dokumentiert sowohl die Verbrechen von Medizinern, die der Öffentlichkeit seit längerem bekannt sind, als auch zahlreiche „Forschungen“, die er durch intensive Archivarbeit erstmals aufdeckt. Der Autor beschreibt diese Verbrechen schonungslos und äußerst detailliert. Er geht dabei auch den Interessenverquickungen zwischen Plänen zur Menschenvernichtung, wehrmedizinischen Ansprüchen, rassistischer Wissenschaft und dem ungebremsten Forscherdrang auf der Seite der Ärzte nach. Die Befugnis, Menschen als Versuchsobjekte zu mißbrauchen, war für viele Ärzte Forschungsanreiz genug. Viele der portraitierten Mediziner unterbrachen mit Kriegsende ihre Karrieren nicht. Den Überimpfungsversuchen des Multiple Sklerose-Forschers Georg Schaltenbrand, der geistig behinderte Menschen mit dem „übertragbaren Markscheidenschwund“ aus Affenliquor infizieren wollte, widmet Klee ein eigenes Kapitel. Angesichts von Schaltenbrands Nachkriegskarriere und seiner Tätigkeit in der Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) kommt Klee zu dem Schluß: „Der Blick auf die Mitglieder der MS-Gesellschaft zeigt, warum Behinderte bis heute gegen soziale Isolation und Ausmerze-Phantasien ankämpfen müssen.“ Ernst Klee, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997, DM 58,–. Seite 14: Lexikon 606 Stichwort: Gentechnologie Bald in allen Lebensbereichen gegenwärtig, was ist in der Medizin möglich? Wissenschaftler präsentieren der Öffentlichkeit gentechnisch erzeugte Tomaten, Sojaprodukte und sogar ganze Ziegen und Schafe. Bald, so scheint es, wird kein Bereich unseres Lebens ohne Gentechnologie auskommen können. Doch welche Möglichkeiten stecken hinter dem Umgang mit der kleinsten und letzten unteilbaren Erbeinheit? Diskussionen über die Gentechnologie werden meist emotional und vordergründig geführt. Fakten bleiben unberücksichtigt, weil sie der Öffentlichkeit nur schwer vermittelt werden können. Ein wenig mehr Aufklärung könnte die Diskussion entspannen und konstruktiver gestalten. Im menschlichen Zellkern befinden sich rund 50.000 Gene. Davon sind den Experten, die in der Molekularbiologie und Biotechnologie arbeiten, nur etwa 1.200 Gene bekannt. Bei der Erforschung befassen sich Gentechnologen sowohl mit theoretischen Aspekten als auch mit praktischen Methoden. Das Einsatzgebiet der Gentechnologie und die daraus erwachsenen Fragen sind umfangreich. Juristen stellen die Frage nach der Patentierbarkeit von Genen, die Züchtung von gentechnisch veränderten Pflanzen für die Landwirtschaft ist schon fast Alltag und Kritiker warnen vor einem militärischen Mißbrauch molekular veränderter Toxin-Waffen. Während Theoretiker vor der Rolle des Menschen als Schöpfer neuen Lebens warnen, hat die Gentechnik längst schon Einzug in die Lebensmittelherstellung gefunden. Das gentechnologische Flaggschiff und Leitbild sind die Bereiche Pharma und Medizin. Das hat zwei wesentliche Gründe: Zum einen sind die wirtschaftlichen Perspektiven für Hersteller faszinierend und zum anderen läßt sich die ethische Gen-Diskussion leichter führen, wenn Patienten konkrete Hilfe in Aussicht gestellt werden kann. Das erkannte die Forschung frühzeitig. Bereits Anfang der 70er Jahre gelang es, Gene in Mikroorganismen zu überführen. Ziel war es, Tiere zu erzeugen, die als Modellsystem für menschliche Krankheiten herhalten sollten. 1981 wurden die Fliege Drosophila melanogaster und kurz danach als erstes Säugetier eine Maus „hergestellt“. Inzwischen befinden sich in der gentechnologischen Arche Ratten, Schweine, Kaninchen, Schafe, Kühe, Geflügel, Fische und vieles andere Getier. Mit dem gentechnischen „Versuchsmaterial“ will man u.a. Bluthochdruck, Arteriosklerose und vielen Autoimmunkrankheiten auf die Spur kommen. Bisher noch ohne Erfolg. Die erzeugten Tiere, sogenannte transgene Tiere, werden in der Pharmazie ferner als Bioreaktoren verwendet. Im Vordergrund steht dabei die Produktion von Proteinen (z.B. Gamma-Interferon und Interleukin 2), die in der Therapie ihr Einsatzgebiet finden. In etwa drei Jahren, so schätzen Experten, werden transgene Tiere als Organspender für den Menschen zur Verfügung stehen können. Schon 1992 gelang es, transgene Schweine zu erzeugen, die menschliches Hämoglobin produzieren. Das Schweineblut soll als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Blutersatzstoffen dienen und damit die regelmäßig zu wenig vorhandenen Blutkonserven in den Kliniken auffüllen. Ein weiteres Einsatzfeld ist die Gentherapie. Derzeit werden weltweit etwa 2.000 Menschen gentherapeutisch behandelt. Die meisten von ihnen leiden unter bösartigen Krebserkrankungen. Infolge der Forschungen konnte man die 607 Tumorsupressor-Gene p16, p53 und p21 entdecken. Diese Gene unterdrücken im Normalfall Tumorausbildung und -wachstum. Sind die entsprechenden Gene nicht vorhanden, kann der Krebs wachsen. In Deutschland laufen derzeit klinischen Studien, um die Möglichkeiten einer Gentherapie bei Tumor-erkrankungen zu erforschen. Der Freien Universität Berlin genehmigten die Behörden Phase I-Studien zur Gentherapie von Dickdarm- und Nierenkrebs sowie zur Behandlung von Kinderleukämie. Ferner versucht man, mit gentechnischen Methoden den Hautkrebs in den Griff zu bekommen. Doch vor großen Erwartungen warnen die Mediziner. Prof. Dr. Wolfram Sterry, Chef der Charité Hautklinik, wünscht sich, daß die Gentherapie bei Krebs in 10-15 Jahren ihren Platz neben der bislang üblichen Chemotherapie finden wird. Weitere fundierte Informationen zum Thema Gentechnologie lassen sich in dem Buch „Zukunft der Gentechnik“ von Peter Brandt (Hrsg.) nachlesen. In dem etwas zu teuer geratenen Werk (DM 68 ,- / Birkhäuser Verlag 1997) zeigen kompetente Fachautoren in allgemeinverständlicher Form den derzeitigen Entwicklungsstand. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Okt. / Nov. ‘97 Mo, 13. Oktober, 16.45 Uhr, 3sat: Heiler – Wenn es um die Haut geht Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers. Was aber, wenn die Haut erkrankt, beispielsweise an Flechten oder Neurodermitis? Sind dies innere Fehlreaktionen oder äußere Reize? Di, 14. Oktober, 21.00 Uhr, N3: N3 Visite Streitfall: Krankenkassen auf Schlingerkurs – Patienten verunsichert und schutzlos? Teilnehmer u.a.: Dr. Jürgen Ahrens, AOK-Bundesverband, Bonn; Dr. Ellis Huber, Ärztekammer Berlin. Mi, 15. Oktober, 20.15 Uhr, B1: QuiVive – Medizin Im Blickpunkt: Die Niere – frisch gewaschen Wenn die Nieren nicht funktionieren, muß eine Spenderniere her. Es wird diskutiert, wann eine Lebendspende durch Verwandte in Frage kommt. Fr, 17. Oktober, 17.15 Uhr, 3sat: Die Sprechstunde Mit Bewegung gegen Osteoporose Meist spüren die Betroffenen bis zur Mitte des Lebens nichts von der Osteoporose. Individuell angepaßte Medikamente und vor allem Bewegung sind Waffen im Kampf gegen diese Krankheit, die Frauen und Männer gleicher-maßen betreffen kann. Fr, 17. Oktober, 21.00 Uhr, WDR: Visite Themen: Nackenschmerz – das Halswirbelsäulen-Syndrom, Selbstmord bei Kindern und neues aus der Asthma-Forschung. So, 19. Oktober, 18.15 Uhr, ZDF: ML Mona Lisa Für jedes Problem einen Guru – Psychotraining auf dem Prüfstand Mo, 20. Oktober, 16.45 Uhr, 3sat: Heiler – in Sachen Fett Es gibt die operative Möglichkeit, überflüssiges Fett zu entfernen. Vor- und Nachteile des Absaugens und der Ultraschall-Methode werden aufgezeigt. 608 Mo, 20. Oktober, 22.30 Uhr, WDR: Menschen hautnah: Wir haben Contergan überlebt Vor 40 Jahren kam das Schlafmittel Contergan auf den Markt. Und damit die größte Arzneikatastrophe, die die Bundesrepublik erlebt hat. 60.000 Neugeborene kamen mit schweren Mißbildungen und Nervenschäden auf die Welt. Nicht einmal die Hälfte von ihnen hat bis heute überlebt. Der Film berichtet über das Leben der “Contergan-Kinder”. Mo, 20. Oktober, 14.00 Uhr, Bayerisches Fernsehen: Meilensteine der Naturwissenschaft und Technik Das Immunsystem Mo, 27. Oktober, 11.00 Uhr, WDR: ARD exclusiv Eine Niere für Eric – Wettlauf gegen den Tod Reportage über die Rettung des neunjährigen Eric Heduschke. Di, 28. Oktober, 21.00 Uhr, N3: N3 Visite Schlaganfall – neue Wege zur Behandlung und Vorbeugung Fr, 31. Oktober, 21.00 Uhr, WDR: Visite Themen: Das Cornelia de Lange-Syndrom; Lungenkrebs – neue Möglichkeiten der Früherkennung; Alkohol – ist er tatsächlich gesund? Mi, 5. November, 21.00 Uhr, ZDF: Gesundheitsmagazin Praxis - Hochdruck und Co – die leisen Killer - Wenn die Spannung nachläßt – Zellulitis - Medikamente im Straßenverkehr Mit dem Thema Hochdruck & Co beschäftigt sich das ZDF in Zusammenarbeit mit der Deutschen Herzstiftung in insgesamt neun Sendungen und bietet den Zuschauern Fragebögen “am Bildschirm für zu Hause” an, um das eigene Risiko zu ermitteln. Etwa 100.000 Menschen könnten pro Jahr davor bewahrt werden, einen Schlaganfall zu erleiden, vorausgesetzt, sie erkennen die Warnzeichen. Nach den Sendungen können ausführliche Broschüren kostenlos beim ZDF angefordert werden, eine Experten-Hotline wird die Fragen der Zuschauer am Telefon beantworten. Außerdem gibt es ein umfangreiches Internet -Angebot mit einem erweiterten Online-Fragebogen. TIP: Mo, 27. Oktober, 20.15 Uhr, ZDF: Reise in die Dunkelheit Spielfilm über ein Ehepaar, das sich plötzlich mit der Alzheimerschen Krankheit konfrontiert sieht. Theaterschreiner Justus Vorbeck (Peter Simoischek) liebt seinen Beruf. Zwar gerät er in letzter Zeit öfters mit seinen Kollegen aneinander, doch dafür hängt zu Hause der Himmel voller Geigen. Nina (Tatjana Blacher), seine Frau, eröffnet ihm, daß er Vater wird. Aber Nina ist über einige merkwürdige Verhaltensweisen von Justus beunruhigt. Er ist nicht nur auffällig vergeßlich, sondern streitet auch häufiger. Als er eines abends den Ausgang der Werkstatt nicht mehr findet, bekommt Nina es mit der Angst zu tun.. Seite 16: Wichtige und nützliche Adressen 609 Deutscher Verband für Physiotherapie , Zentralverband der Krankengymnasten / Physiotherapeuten e.V. Deutzer Freiheit 72 -74 Postfach 21 02 80, 50528 Köln Telefon: 02 21 / 981 02 70 Bundesverband selbständiger Physiotherapeut/inn/en e.V. Königsallee 178a, 44799 Bochum Telefon:0234 / 7 20 26 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Ostmerheimer Str. 200, 51109 Köln Telefon: 02 21 / 89 92-1 Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. Freiherr-von-Langen-Str. 13, 48231 Warendorf Telefon: 0 25 81 / 63 62-0 Berufsverband Hauskrankenpflege in Deutschland e.V. Vahrenwalder Str. 205-207, 30165 Hannover Telefon: 0511 / 37 57 03 Europäische Kommission, Generaldirektion V – Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten, GD V / E / 3, Eingliederung behinderter Menschen, 200 Rue de la Loi (J 27 0 / 121), B - 1049 Brüssel, Fax. 00322 - 2951012. Merkwürdig… …Kamelmilch soll, so heißt es neuerdings, das Befinden von Multiple Sklerose-Kranken günstig beeinflussen. Noch allerdings kann man sich in Deutschland den Trank der Wüstentiere nicht einverleiben, ohne daß der Gesetzgeber ein Wörtchen mitredet. Kamelmilch ist hierzulande nicht als Lebensmittel zugelassen und daher auch nicht frei verkäuflich. 8.24 „Autoimmun“ Nr. 6 von Dezember 1997/Januar 1998 Seite 3: Nach Redaktionsschluß… …haben US-Wissenschaftler nach eigenen Angaben weitere Beweise dafür gefunden, daß ein bestimmtes Herpes-Virus Multiple Sklerose auslösen könnte. Das Virus sei mit dem Bazillus verwandt, der Fieberbläschen und Windpocken verursache, berichtete der Forscher Steven Jacobson im Fachblatt „Nature Medicine“ Ende November. Dies bedeute möglicherweise, daß gegen Viren wirksame Medikamente eines Tages auch im Kampf gegen die Krankheit Multiple Sklerose eingesetzt werden könnten. Das Virus HHV-6 trete bei mehr als 70 Prozent der schwer MS-Kranken im Laufe ihres Lebens offenbar besonders stark auf, schrieb Jacobson. Bei nicht MS-Kranken sei dies nur in 18 Prozent der Fälle so. Da sich jedoch bis zu 90 Prozent der 610 Amerikaner irgendwann mit dem Virus HHV-6 infizierten, müßten noch andere Faktoren am Ausbruch der MS beteiligt sein. Neue Heilmethoden Berühmt zu werden liegt an dem: Du mußt begründen ein System! Such was Verrücktes und erkläre, Daß alles Heil im Kuhmist wäre, Dem, auf die Wunde warm gestrichen, Noch jede Krankheit sei gewichen, Und den, nachweislich, die Azteken Geführt in ihren Apotheken… Hält man dich auch für einen Narren, Du mußt nur eisern drauf beharren, Dann fangen immer einige an, Zu glauben, es sei doch was dran, Und du gewinnst dir viele Jünger, Die deine Losung: „Kraft durch Dünger“ Streng wissenschaftlich unterbauen Und weiterkünden voll Vertrauen! Eugen Roth Seiten 4 und 5: Die medikamentöse Therapie der Multiplen Sklerose In den letzten Jahren hat sich in der MS-Forschung viel bewegt. Doch für die Patienten ist nicht viel Bewegendes dabei herausgekommen. Eine neue Generation von Arzneien erweckt Hoffnungen auf eine gezielte und wirksame Therapie. Eine zufriedenstellende Therapie gegen die MS ist bisher noch nicht gefunden worden. Im letzten Jahrzehnt haben sich allerdings die Forschungsanstrengungen verstärkt. Nicht beantwortet ist die Frage nach der Krankheitsursache. Dafür besteht weitgehend Einigkeit in der Erkenntnis, daß es sich bei der MS um eine T-Zell-vermittelte Autoimmunkrankheit handelt. Relativ neue Forschungsergebnisse gehen von einer spezifischen genetischen Disposition bei den MS-Patienten aus. Ein besonders hohes Krankheitsrisiko trifft demnach Menschen, bei denen Gene des HLAKomplexes auf Chromosom 6 vorkommen. Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob das Risiko eines Menschen, an der MS zu erkranken, exakt bestimmt werden kann. Bedeutungsvoll für den erkrankten Patienten sind die zur Verfügung stehenden Therapien und die zu erwartenden neuen Behandlungsmethoden. Die medikamentösen Ansätze lassen sich aufgrund der in der Grundlagenforschung und im Tiermodell erworbenen Erkenntnisse in drei Gruppen aufteilen. 1. Medikamente, die unspezifisch immunsuppressiv wirken Hierunter sind eine ganze Reihe von Medikamenten zusammengefaßt. In der gegenwärtigen MS-Therapie werden z.B. Kortison, Azathioprin, Cyclosporin A und Cyclophosphamid mit dem Ziel eingesetzt, allgemein den 611 Entzündungsprozeß zu stoppen oder die immunaktive Zelltätigkeit zu schwächen. Neuerdings werden die Substanzen Cladribin und Mitoxantron diskutiert, die sich in der klinischen Prüfung befinden. Wie jedoch bei allen unspezifischen Immunsuppressiva stellt sich die Frage nach Verträglichkeit und Nebenwirkungen. Der breite Angriff auf das Immunsystem verursacht ein erhöhtes Schadensrisiko. Um dieses zu minimieren werden derzeit Studien mit dem Ziel durchgeführt, mit der geringst wirksamen Dosierung noch eine optimale Wirkung zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist eine Studie mit intravenösen Immunglobulinen, die bei geringer Dosierung zu Symptomverbesserungen bei vielen Patienten geführt hat, zu nennen. Noch offen ist das Ergebnis einer weiteren placebokontrollierten Doppelblindstudie mit dem aus der Transplantationsmedizin bekannten Deoxyspergualin. Doch selbst wenn eine Verbesserung der therapeutischen Situation durch unspezifisch immunsuppressiv wirkende Substanzen erreicht wird, werden diese Medikamente einen Heilungsbeweis schuldig bleiben, weil sie im günstigsten Fall nur die Symptomatik der Erkrankung verbessern können. Wegen der geringen Kosten werden sie jedoch Eingang in die klinische Praxis finden. 2. Medikamente, die myelinspezifische T-Zellen beeinflussen Bekannt ist derzeit, daß MS-Patienten im Vergleich zu Nichterkrankten eine erhöhte Anzahl von T-Zellen gegen Myelinantigene aufweisen. Vermutlich sind diese T-Zellen sogar „scharf“, das heißt aktiviert. Als Ursache für diesen nicht gewünschten Zustand werden Viren, aber auch andere Regelungsstörungen diskutiert. Eine gezielte Therapie muß die Aktivierung der entsprechenden T-Zellen blockieren. Wie Untersuchungen gezeigt haben, existieren in unterschiedlichen MS-Krankheitsstadien auch unterschiedliche Verbreitungen und Häufungen von T-Zellen gegen Myelinantigene. Eine wirksame Therapie müßte somit auf jeden Patienten „maßgeschneidert“ werden. Wegen der dadurch entstehenden Kosten wird von einer auf jeden einzelnen zugeschnittenen Therapie Abstand genommen. Dennoch werden Substanzen mit einer breiten Beeinflussung myelinspezifischer T-Zellen zur MS-Therapie eingesetzt. So kann durch Gabe von CD4-Antikörpern eine Abschwächung der T-Zellaktivität gegen Myelinantigene erreicht werden. In einer Studie konnte die Schubrate von MSPatienten um 41 Prozent gesenkt werden, schreibt das Fachblatt „Neurology“. Gute Erfolge konnte man mit Copolymer-1 (COP-1), einer Mixtur aus kurzen Eiweißmolekülen, bei der MS-Therapie erreichen. COP-1 behindert indirekt die Ausbildung von T-Zellen gegen Myelinantigene. Bei MS-Frühstadien wurde eine Reduzierung der jährlichen Schubfrequenz von 1,7 auf 1,2 nachgewiesen. In weiteren Studien wurde eine Abnahme des Behinderungsgrades bei MS-Patienten gezeigt. COP-1 ist derzeit in den USA, Kanada und Israel zur Behandlung der MS zugelassen. 1998 soll es auch in Europa den Patienten zur Verfügung stehen, so ein Sprecher der Firma GryPharma. Der therapeutische Ansatz, die Aktivität der T-Zellen gegen Myelinantigene zu beeinflussen, erscheint gegenüber der unspezifischen Immunsuppression vorteilhafter zu sein, weil er gezielter in das fehlgesteuerte Immunsystem eingreift und nach den bisherigen Erfahrungen für den Patienten wesentlich 612 verträglicher ist. Weitere Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet sind geplant oder befinden sich bereits in klinischen Vorstudien (siehe Tabelle). 3. Medikamente, die in die lokale Entzündung und Entmarkung eingreifen Bei der Regulierung der Immunantwort während eines Entzündungs- oder Entmarkungsprozesses spielen Zytokine (Interferone, Lymphokine und Monokine) eine wichtige Rolle. Zytokine sind Zellprodukte, die beim Ablauf einer entzündlichen Autoimmunkrankheit (also MS, systemischem Lupus erythematodes, rheumatoider Artritis und Diabetes), freigesetzt werden. Eine Interferon-Therapie der MS hat nun das Ziel, den Entzündungsvorgang abzustellen. Gegenwärtig wird den MS-Patienten viel Hoffnung mit BetaInterferon gemacht. Die beiden derzeit verfügbaren Beta-Interferone Betaferon(1b) und Avonex (1a) reduzieren laut durchgeführten Studien die jährliche Schubrate um rund ein Drittel und verkleinern die durch die Kernspintomographie erkennbaren Herde. Im klinischen Alltag treten allerdings häufiger Probleme bei der Beta-Interferon-Therapie auf. Zum einen kommt es zu einer ungewünschten Antikörperbildung gegen das verabreichte Beta-Interferon, zum anderen gibt es eine lange Liste von schwerwiegenden Nebenwirkungen, die häufig zu einem Therapieabbruch führt. In dem Fachblatt „Aktuelle Neurologie“ berichteten kürzlich Neurologen des Evangelischen Krankenhauses Unna von 4 mal 4 cm großen Hautnekrosen (Absterben von Gewebe) an der Einstichstelle und einem Hirninfarkt während der Gabe von Betaferon. Obwohl die Beta-Interferon-Therapie als Mittel erster Wahl propagiert wird, können die klinischen Ergebnisse die Erwartungen nicht erfüllen. Eine weiteres Therapiekonzept besteht im Einsatz von Antikörpern gegen Zytokine. Die beiden Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF-alpha und -beta) wurden gehäuft in MS-Plaques gefunden und sind scheinbar an der Demyelinisierung beteiligt. Tierversuche zeigten so gute Ergebnisse, daß inzwischen eine Studie bei MS-Patienten angelaufen ist. Noch gezielter möchten man mit Zytokinrezeptoren den MSEntzündungsprozeß beeinflussen. Hierbei wurde die Substanz Rolipram bereits erfolgreich bei Tieren eingesetzt. Studien bei MS-Patienten werden zeigen, ob sich die sehr guten Vorergebnisse bestätigen lassen. Insgesamt läßt sich ein Trend zu sehr gezielten Therapien erkennen, die bislang wegen ihrer beachtenswerten Resultate im Blickfeld bleiben sollten. 613 Seiten 6 und 7: Vielfältige Unterstützung jenseits der Therapie Bei der Fürst Donnersmarck-Stiftung in Berlin können sich Körperbehinderte Rat und Unterstützung in allen Fragen des Alltagslebens holen. Die Stiftung unterhält zahlreiche Einrichtungen, Beratungsangebote und Workshops für behinderte und nicht behinderte Menschen. Ein warm beleuchteter, phantasievoll gestalteter Raum empfängt den Gast, der die breite Glastür am Eingang mit einem Knopfdruck öffnete. Die Musik aus den Lautsprechern klingt „funky“ und auch sonst hat das Café „Blisse 14“ in Berlin-Wilmersdorf nichts von jener Betulichkeit und klinischen Atmosphäre an sich, an die viele sofort denken, wenn sie „Behinderteneinrichtung“ hören. Die Gaststätte ist ein beliebter Treff im Kiez. Alle Räume sind rollstuhlgerecht ausgestattet, die Tische haben die ideale Höhe, die Gänge dazwischen sind breit genug, um ohne Möbelrücken hindurchzurollen. Die Wände stehen Künstlern für wechselnde Ausstellungen zur Verfügung und das Publikum ist bunt gemischt – seien es die Besucher eines nahegelegenen Kinos, die nach der Vorstellung noch vorbeikommen, die Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die sich hier treffen, oder die älteren Damen aus der Nachbarschaft, die sich zum Adventskaffee treffen. Ob die Gäste nun rollen, schieben oder gehen, Aufsehen erregt keiner, denn jeder kann sich hier nach eigener Facon frei im Raum bewegen. Das Café ist einer der ersten Orte, um die Einrichtungen der Fürst Donnersmarck-Stiftung in Berlin kennenzulernen.Die Ursprünge liegen bei einer Stiftung von Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck, der 1916 Land am Stadtrand Berlins vergab, um eine Einrichtung zur Kriegsversehrtenhilfe zu gründen.Sein Plan scheiterte an der Dauer des Ersten Weltkrieges und der nachfolgenden Inflation. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erwuchs daraus ein umfassendes Rehabilitations- Betreuungs- und Beratungszentrum für Körper- und Mehrfachbehinderte. Psychologische Beratung und Hilfe Oberhalb des Cafés hat das Sozialtherapeutische Zentrum der Stiftung mit fünf hauptamtlichen und 20 freien Mitarbeitern seinen Sitz. Hier können sich 614 Körperbehinderte in allen Lebensfragenberaten lassen. Zwei auf die spezifischen Probleme Körperbehinderter oder chronisch Kranker spezialisierte Psychologen arbeiten im Haus. Sie bieten jedem Interessenten kostenlos eine einführende Beratung an. Generell führen sie Familien- Gruppen- und Einzeltherapien durch, wobei sie eine ihrer Hauptaufgaben in der Angehörigenarbeit und der Betreuung von Eltern behinderter Kinder sehen. Da sie als private Therapeuten ihre Leistungen nicht über die Krankenkassen abrechnen können, werden je nach sozialer Lage der Klienten gestaffelte Honorare vereinbart. Bedürftige können auf Kosten der Stiftung umsonst eine Therapie erhalten. Je nach der individuellen Problemlage wird ein geeignetes Therapieprogramm ausgewählt. Die unterschiedlichen Anliegen der Klienten können, so der Diplompsychologe Dr. Karl Bald, nicht mit einem für alle gleichermaßen hilfreichen Konzept angegangen werden. Doch da auch hier, wie fast überall, die Personallage angespannt ist, verstehen sich die Berater hauptsächlich als Vermittler zu weiteren in der Stadt ansässigen Psychotherapeuten, die Erfahrung in der Arbeit mit Körperbehinderten haben. Sie sind dem Zentrum durch jahrelange Zusammenarbeit vertraut, so daß die Auswahl gezielt nach deren Angeboten und Spezialisierungen erfolgen kann. Ratsuchende könnten dadurch, so Dr. Bald, nach den eigenen Bedürfnissen sowohl kurzfristige Hilfe zur Bewältigung einer bestimmten Aufgabe, als auch eine langfristig begleitende Therapie erhalten. Als Ergebnis einer Umfrage in 1.500 psychotherapeutischen Praxen in Berlin stellte das Zentrum als weiteren Service einen für jeden erhältlichen „Wegweiser“ über die auf Behindertenarbeit spezialisierten Praxen zusammen. Ihm sind nicht nur die Adressen und besonderen Arbeitsfelder der Psychologen zu entnehmen, sondern auch Angaben über die jeweiligen Therapieverfahren und die Kostenregelung. Erfreulicherweise hat ein großer Teil der Praxen die allgemeine Krankenkassenzulassung. Auch denjenigen, die keine Therapie, aber Austausch über gemeinsame Probleme und fachliche Unterstützung suchen, stehen Kurse, Gesprächskreise und Workshops zu Fragen offen, die viele kennen. So treffen sich z. B. körperbehinderte Jugendliche regelmäßig zum entsprechenden Erfahrungsaustausch. Rat in Sozial- und Rechtsfragen Im gleichen Haus ist eine Sozialarbeiterin als Ansprechpartnerin für alle Fragen im Sozial- und Rechtswesen tätig. Seien es die oft unübersichtlichen Regelungen zur Pflegeversicherung, zur Gewährung von Haushaltshilfen oder Sachmittelleistungen, hier werden die Wege durch den „Dschungel“ zunächst geebnet, um Umgang mit den Behörden sachkundiger und eventuell mit professioneller Unterstützung bewältigen zu können. Doch auch in nichtmedizinischen Rechtsfragen und Streitigkeiten, wie z.B. im Arbeitsrecht finden Behinderte hier kompetente Beratung. Eines der dringendsten Probleme ist für viele die Suche nach einer geeigneten Wohnung. Die Erfahrung, daß problemlos erreichbare und benutzbare Wohnräume selten oder teuer sind, und Vermieter auch heute noch oft ihre Angebote zurücknehmen, wenn der Bewerber mit einer Gehhilfe erscheint, ist eine leider alltägliche Misere. Um Abhilfe zu schaffen, ist der 615 Stiftung eine Wohnungsbaugesellschaft angeschlossen, der drei Mietshäuser mit insgesamt 33, davon 16 rollstuhlgerechten Wohnungen in Berlin gehören. Hier soll jedoch keineswegs ein „Ghetto“ geschaffen werden, weshalb sowohl an behinderte als auch an nicht behinderte Wohnungssuchende vermietet wird. Die Stiftung unterhält zudem in der Stadt drei betreute Wohnheime mit Plätzen für 124 Behinderte aller Altersgruppen, sowie 10 betreute Wohngemeinschaften. Einrichtungen wie diese ermutigen: Sie zeigen, daß es zwischen vollständiger Betreuung und dem zähen Ringen mit den Behörden um die Gewährung der Rechte für körperlich beeinträchtigte Menschen auch sachkundige, spezifische Hilfe im ganz normalen Alltagsleben gibt. Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin, Dalandweg 19, 12167 Berlin, Tel.: 030 - 769 700 0 „blisse 14“ – Sozialtherapeutisches Zentrum Blissestraße 14, 10713 Berlin, Tel.: 030 - 821 10 91 und 821 10 92 (Montag bis Freitag 9.00 bis 13.00 Uhr) Fax: 030 - 821 56 73 Unter dieser Adresse können Interessenten gegen 5 DM auch den Wegweiser „Psychotherapie für Behinderte“ erhalten. Seite 8: Forschung Löst eine Autoimmun-Reaktion die Arterienverkalkung aus? Viele Faktoren können zur Entstehung einer Arteriosklerose – umgangssprachlich Arterienverkalkung – beitragen: Bluthochdruck, zu hohe Cholesterinwerte, Übergewicht, Diabetes, Nikotin, von Bakterien oder Viren ausgelöste Entzündungen, Wirbelbildungen an bestimmten Stellen der Arterien, psychischer Streß und Erbanlagen. Eine im Tierexperiment bestätigte und teilweise auch klinisch begründete Hypothese, wonach eine Autoimmun-Reaktion am Beginn der Arterio-sklerose stehe, hat kürzlich der Leiter des Instituts für Biomedizinische Altersforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Professor Georg Wick (Innsbruck), veröffentlicht. Für den eigentlichen Auslöser hält Wick die sogenannten Hitzeschockproteine. Das sind Eiweiße, die unter stressenden Bedingungen wie Hitze, Infektionen oder Gifteinwirkung gebildet werden, um andere biologisch wichtige Eiweiße vor dem Zerfall zu schützen. In den Arterien sollen Hitzeschockproteine gebildet werden, während gleichzeitig auf den Oberflächen der Gefäßinnenwandzellen Andockstellen für das Hitzeschockprotein hsp-60 entstehen. Abwehrzellen können sich irren Unglücklicherweise ist das hsp-60 genetisch und chemisch dem hsp-65 sehr ähnlich, das zum Beispiel von Mycobakterien – dazu gehört der TuberkuloseErreger – gebildet wird. Wick nimmt nun an, daß Antikörper im Blut oder 616 spezielle Abwehrzellen, die zu den weißen Blutkörperchen gehörenden TZellen, das harmlose hsp-60 mit dem gefährlichen hsp-65 verwechseln und so einen entzündlichen Autoimmunprozeß in Gang setzen. Ein ähnlicher Ablauf mit „Verwechslung“ von Schadstoffen liegt bei Kreuzallergien vor (z. B. der gleichzeitigen Allergie gegen Beifuß- und Kamillepollen). Aber warum bilden die Zellen der inneren Wandauskleidung von Arterien das Hitzeschockprotein hsp-60? Worin genau besteht der auslösende Streß? Wick nimmt an, daß am Anfang nicht unbedingt eines der selbstgemachten Gesundheitsrisiken steht (Rauchen, Übergewicht), sondern der eigentliche Anlaß für die Produktion von hsp-60 das mechanische Strömungsgeschehen in der Arterie ist. Dieser „hämodynamische Streß“ wirke bevorzugt an Gefäßgabelungen oder natürlichen Engstellen; wegen der unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten des Blutes gebe es auch keine Venensklerose (niedrige Strömungsgeschwindigkeit), sondern eben nur Arteriosklerose (hohe Strömungsgeschwindigkeit). Strömungsgeschwindigkeit des Blutes spielt eine Rolle Sogar schon bei Säuglingen konnte man an besonders strömungsbelasteten Stellen in den Arterien erhöhte Konzentrationen von T-Zellen finden. Ergänzend kommt hinzu, daß Wicks Institut in der innersten Zellschicht der Arterienwände eine bislang übersehene diffuse Ansammlung von lymphatischem Gewebe nachweisen konnte, die große Ähnlichkeit mit Ansammlungen von lymphatischem Gewebe in der Darmschleimhaut (sog. MALT, mucosa-associated lymphoid tissue) aufweist; dort werden Abwehrzellen gegen bestimmte Antigene sensibilisiert, also gewissermaßen für ihre späteren Einsatzorte ausgebildet. Die Annahme liegt nahe, daß das lymphatische Gewebe in der Gefäßwand ähnliche Aufgaben hat. Unterstützt wird die Autoimmun-Hypothese durch Befunde aus Tierexperimenten: Provoziert man das Immunsystem von Kaninchen mit dem gefährlichen Hitzeschockprotein 65, bilden sich in den Arterien an Stellen mit besonders hoher Strömungsgeschwindigkeit Vorstufen einer Verkalkung. Der Effekt verstärkt sich noch, wenn man den Tieren cholesterinreiches Futter gibt. An diesen Stellen kommt es auch zu stärkeren Reaktionen zwischen TZellen und dem hsp-65 als an anderen Orten des Blutkreislaufs. Eindeutig erhöhte Konzentrationen von Antikörpern gegen hsp-65 fand Wick auch bei Kranken mit einer Sklerose der Herzkranzgefäße. Mehr noch: Auch bei sich gesund fühlenden Versuchspersonen, bei denen nur mit Ultraschalluntersuchung eine sklerotische Verengung der Halsschlagader festgestellt werden konnte, fanden sich erhöhte Werte für Antikörper gegen hsp-65. Seite 9: News & Hintergrund Unzulängliche Prüfung immunschädigen-der Wirkungen von Chemikalien Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterenärmedizin (BgVV) überprüft zur Zeit, ob die Maßgaben zur Handelszulassung von Chemikalien ausreichen, um mögliche Schädigungen des menschlichen Immunsystems auszuschließen. Zur Zulassung einer Chemikalie muß der Hersteller Daten vorlegen, aus denen sich die Risiken für 617 Mensch und Umwelt abschätzen lassen. Die genaue Durchführung der Datenerhebung regeln die Richtlinien der Europäischen Union über den „28Tage-Test“ zur Exposition im Tierversuch. Das BgVV prüft nun verschiedene Verfahren zur Erweiterung des Tests und zu Veränderungen der Versuchsanlage, um die immuntoxischen Wirkungen besser ermessen zu können. Zu Beginn des Jahres 1997 legte das Institut einen Bericht über die erste, vorläufige Ringstudie vor. In fünf deutschen und französischen Laboratorien wurden anhand des Cyclosporin A als Modellsubstanz die derzeitigen Verfahren um die mikroskopische und immunologische Untersuchung immunrelevanter Organe, z.B. des Thymus, des Knochenmarks und der Lymphknoten, ergänzt. Die Studie zeigte, daß diese Methoden geeignet sind, die Beeinflussung des Immunsystems durch die Chemikalie bereits unterhalb der allgemein als gesundheitsschädlich anerkannten Dosis nachzuweisen. Das BgVV plant, der Europäischen Union eine Erweiterung ihrer Richtlinien zu empfehlen, falls weitere Versuche mit anderen Modellsubstanzen dieses Ergebnis bestätigen. Weniger MS-Schübe in der Schwangerschaft Frauen mit schubförmiger Multiple Sklerose erleiden während einer Schwangerschaft deutlich weniger Schübe. Dies berichtete Michael Hutchinson vom St. Vincent Hospital in Dublin, Irland, auf dem diesjährigen Europäischen Kongreß für Multiple Sklerose in Istanbul. Hutchinson hatte an 250 MS-Patientinnen aus zwölf Ländern erstmals den Einfluß der Schwangerschaft auf den Krankheitsverlauf untersucht. In der Frühschwangerschaft reduzierten sich die Schübe um ein Drittel, in späteren Monaten sogar um 70 Prozent. Eine schlüssige Begründung für dieses Phänomen stehe, so Hutchinson, jedoch noch aus. Er vermutet die Ursachen in den gravierenden Veränderungen des Immunsystems, die jede werdende Mutter durchlaufe. Der Erfolg bei der Eindämmung der Schubrate sei höher als bei jedem bekannten Medikament, erstrecke sich jedoch nicht auf die Zeit nach der Entbindung. Der Forscher stellte zugleich fest, im ersten Jahr nach der Geburt seien weder negative Einflüsse der Schwangerschaft auf die Krankheitsentwicklung der Mutter, noch der MS auf die Kinder zu beobachten gewesen. Computer hilft Schwerstbehinderten im Alltag Eine neuartige Computersteuerung ermöglicht es Schwerstbehinderten, elektrische Geräte wie z.B. Lampen oder das Telefon ohne fremde Hilfe zu bedienen. Dies geschieht mit Hilfe von Sensoren, die auf die einzelne Person eingestellt werden und fähig sind, Signale wie Pusten, Augenblinzeln oder Kopfnicken an einen tragbaren Computer weiterzuleiten. Dieser ist mit einem Infrarotsender ausgestattet, der den Befehl an die entsprechenden Geräte weiterleitet. Weitere Informationen: Technische Universität Wien Christian Flachberger Gußhausenstr. 27/359-3b A – 1040 Wien Tel.: 0043-1-50 41 830 22, Fax: 0043-1-50 41 830 12 618 Rückenmarksheilungen bei Versuchstieren Forscher des britischen National Institute for Medical Research in London stellten im Band 277 der Zeitschrift „Science“ die Ergebnisse einer Studie zur Heilung von Rückenmarksverletzungen bei Ratten vor. Das Team um Geoffrey Raisman transplantierte den Tieren Gliazellen aus den Geruchsorganen, womit sie deren Bewegungsfähigkeit wiederherstellen konnten. Sie führten damit erstmals den Nachweis, daß eine Verbindung durchtrennter Rückenmarksnerven grundsätzlich möglich ist. Gliazellen und Neuroglia, die dem Nervensystem als Stützgewebe und Hülle dienen, können sich als einzige Nervensubstanzen auch nach der Geburt noch vermehren. Da die Fasern innerhalb weniger Wochen über die Verletzung der Nervenbahnen hinwegwuchsen, gelang es, die Stränge erneut wirksam miteinander zu verbinden. Vor vorschnellen Hoffnungen z. B. zur Heilung von Querschnittslähmungen mußten die Forscher jedoch warnen. Sie hatten den Tieren die Nervenbahnen durchschnitten, echte Verletzungen beruhen auf weit weniger glatten Trennstellen. Seite 10: Therapie Umweltkranken soll geholfen werden Eröffnung einer neuen Fachklinik in Bad Königshofen im Frühjahr 1998? Immer mehr Menschen erkranken an Umweltgiften, doch Ärzte sind in Sachen Umweltmedizin im allgemeinen überfordert. Und kompetente Fachmediziner gibt es nicht überall. Um die Umweltkrankheiten unserer Zeit bewußter zu machen und ihnen mit gezielten Therapien zu begegnen, wurde in Bad Königshofen ein Umwelt-Kongreß veranstaltet. Hierzu kamen Besucher aus ganz Deutschland. Sie konnten erfahren, daß, sofern die letzten Genehmigungshürden genommen sind, im Kurpark-Sanatorium im Frühjahr nächsten Jahres eine Fachlinik für Umweltmedizin, Allergologie und Atemwegserkrankungen eröffnet wird. Das Gebäude wurde zuletzt offiziell von Kurgästen der Deutschen Angestellten Krankenkasse Hamburg genutzt. Dieses medizinische Zentrum ist nach Darstellung der Betreiber, Karl-Heinz und Hedwig Schönefeld, in seiner Art einzigartig in Deutschland. Durch eine spezielle Therapie sollen Umweltgeschädigte Linderung ihrer Leiden erfahren. Die Zimmer werden mit Edelstahlmöbeln ausgestattet, die Böden gefliest. Außerdem werden Luftfilter installiert und speziell „verpackte“ Matratzen verwendet. Die Patienten werden nach einem diagnostischen Verfahren einer Selbsthilfe zugeführt und lernen, mit ihrer Krankheit besser umzugehen. Ziel soll es sein, daß der Patient nach seinem Klinikaufenthalt nicht mehr einer ständigen ärztlichen Kontrolle bedarf, sondern sich selbst im Griff hat. Die Fachklinik arbeitet mit dem Zentrum für klinische Umweltmedizin der Universität Witten/Herdecke (Nordrhein-Westfalen) zusammen. So können gegenseitig Erfahrungswerte an umweltgeschädigten Patienten ausgetauscht werden, hieß es. Auf dem Kongreß wurde deutlich, daß im Wissensstand zu den Umwelterkrankungen Defizite aufzuarbeiten sind. Das Spektrum 619 gesundheitlicher Störfaktoren bei Umweltgeschädigten reicht von Milbenplage im Haushalt über negative Einflüsse von Farbstoffen sowie elektrischen und magnetischen Feldern bis hin zu Überempfindlichkeiten gegen Chemikalien und Gifte in Lacken. Die meisten Symptome äußern sich in Allergien, Atemwegserkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen. Die Lebensqualität des Menschen kann dadurch stark gemindert werden. Chronische Müdigkeit sowie herabgesetztes Leistungsvermögen führen in manchen Fällen sogar bis zum Arbeitsplatzverlust. Der Chefarzt des Kreiskrankenhauses Bad Königshofen, Dr. Gerd Kassler, erklärte: „Unser Geist schafft sich eine Umwelt, doch unser Körper steckt noch in der Steinzeit.“ Viele der neuen Stoffe in der Umwelt seien für den Körper nur schwer verträglich. Dr. Herbert Lichtnecker von der Universität Witten/Herdecke setzt sich als Mediziner engagiert für das Königshofer Fachklinik-Modell ein. Er erläuterte auf der Tagung die Vorteile einer solchen medizinischen Einrichtung auch aus wissenschaftlicher Sicht. Inzwischen seien viele Anfragen von Patienten eingegangen, mehr als beantwortet werden könnten. Dr. Lichtnecker rechnet fest damit, die Türen der Fachklinik im Frühjahr 1998 öffnen zu können. Es müsse eine bauliche Veränderung des derzeitigen Sanatoriums vorgenommen werden. 79 Betten sollen zur Verfügung stehen. Noch werden aber Restverhandlungen mit Blick auf die Kostenübernahme durch die Krankenkasse geführt. Die Klinik sichert auch den Fortbestand des Ortes als Kurbad. Die Tage von „Opas Trinkkur mit dem Wasserglas“ seien vorbei, sagte der Landrat Dr. Fritz Steigerwald, die Fachklinik sei ein Ansatz, neue Wege in der Kur zu gehen. Weitere Auskünfte erteilt das: Kurpark-Sanatorium 97631 Bad Könighofen, Martin-Reinhard-Straße 30, Telefon 097 61 – 10 10, Fax 097 61 – 795. Seite 11: Heilwirkung des Haschischpfeifchens? In letzter Zeit mehren sich Hinweise, daß das verbotene Cannabis auf viele Krankheiten eine lindernde Wirkung ausübt. Unter anderem wird von Erfolgen bei Multiple Sklerose-Kranken berichtet. Die als Haschisch und Marihuana bekannte Hanfpflanze (Spezies: Cannabis) zieht nun das Interesse der seriösen medizinischen Forschung auf sich. Erste Überprüfungen zeigten, daß das in den meisten Sorten enthaltene, auch als Droge wirksame Tetrahydrocannabinol (THC) bei Krebs-, Aids und MSPatienten einige Krankheitssymptome zu lindern vermag. In den meisten Ländern ist der Vertrieb von THC jedoch verboten. Hierzulande fällt es unter die im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als nicht verkehrsfähig eingestuften Rauschdrogen, deren Verbreitung nur nach Einzelfallgenehmigung im Rahmen wissenschaftlicher Studien zulässig ist. Für die therapeutische, ärztlich kontrollierte Anwendung kommt ohnehin nur eine Dosis in Frage, die weit unterhalb der berauschenden Menge liegt. Auch müßte der Stoff in synthetisierter oder extrahierter Form verabreicht werden, 620 nicht durch die direkte Zufuhr von Pflanzenteilen. Das auf dem amerikanischen Markt eingeschränkt zugelassene Medikament „Marinol“ mit dem Wirkstoff Delta-9-THC gilt nach dem BtMG als „verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel“ und kann daher weder erworben noch eingesetzt werden. Eine Gesetzesnovelle, die die Verschreibung im Einzelfall ermöglichen soll, ist im Deutschen Bundestag seit 1995 in Vorbereitung. Lediglich das Cannabinoid „Nabilon“, das zur Behandlung der Folgen der Chemotherapie als verschreibungsfähig eingestuft wurde, kann derzeit mit einem Sonderrezept nach BtMG verordnet werden. Über günstige Wirkungen von „Nabilon“ gegen MS-Symptome ist jedoch nichts Näheres bekannt. Mehrere Forscherteams haben nun begonnen, die heilsamen Wirkungen des Cannabis systematisch zu ergründen. Das Institut für Onkologische und Immunologische Forschung am Krankenhaus Berlin-Moabit wird, wenn die letzten bürokratischen Hürden genommen sind, in Kürze eine Doppelblindstudie mit 360 Aids- und 360 Krebspatienten beginnen. Ziel der voraussichtlich einjährigen Studie ist es, die appetitsteigernde Wirkung des THC zu testen, um den oft rapiden Gewichtsverlust der Patienten aufzuhalten. Weiterhin soll die medizinische Wirkung von extrahiertem im Vergleich zu synthetisiertem THC geprüft werden. Die Forscher erwägen bereits, im Anschluß daran in Zusammenarbeit mit der neurologischen Abteilung des Berliner Universitätsklinikums Charité eine weitere Versuchsreihe mit MSPatienten in Gang zu setzen, doch sind noch keine Vorbereitungen dazu getroffen worden. Erste Ergebnisse über den Einfluß von Cannabis auf verschiedene MSSymptome legte nun eine amerikanisch-britische Forschergruppe um den Pharmakologen Paul Consroe von der University of Arizona in der Zeitschrift „European Neurology“ (Heft 38, 1997) vor. Sie befragten 112 unterschiedlich stark behinderte MS-Kranke in den USA und Großbritannien über deren Erfahrungen beim Cannabis-Rauchen. Die 45 Frauen und 57 Männer, die den Fragebogen anonym beantworteten, hatten zum großen Teil bereits mehrere Jahre auf eigene Initiative Cannabis eingenommen. Auch die Dosierung hatte in ihrem Ermessen gelegen. 24 Anwender gaben sogar an, Cannabis auch als Rauschdroge konsumiert zu haben. Die Verabreichung unterlag also ebensowenig der Kontrolle der Forscher wie die Überprüfung der Angaben. Die rein subjektiven Antworten der Patienten lassen eine deutlich erleichternde Wirkung des Cannabis auf typische MS-Beschwerden erkennen. Über 70 Prozent gaben an, die Ruhe- und Bewegungsspastik habe sich deutlich gemildert, Schmerzen der Gliedmaßen seien zurückgegangen und das Taubheitsgefühl in den Extremitäten habe sich verringert. Zwischen 50 und 63 Prozent der Kranken verspürten zudem einen deutlichen Rückgang des Tremors, Erleichterungen beim Gehen und einen Rückgang depressiver Verstimmungen. Auch berichteten 70,5 Prozent der Patienten von der Rückkehr der Symptome beim Absetzen von Cannabis. Als negative Einflüsse nannten bis zu 10 Prozent eine leichte Verschlechterung des Gleichgewichtsgefühls und der Ermüdbarkeit. 9,4 Prozent bemerkten leichte, 3,8 Prozent sogar schwere Beeinträchtigungen des Erinnerungsvermögens. 621 Insgesamt, so die Forscher, habe sich gezeigt, daß Cannabis MS-Kranken mit chronisch progredienter und mit schubförmiger Verlaufsform deutliche Erleichterungen verschaffen kann. Seiten 12 und 13: Tabuthema Prostatakrebs: Uro-Pass erleichtert Vorsorgeuntersuchung 11.000 Männer sterben in Deutschland jedes Jahr an Prostatakrebs. Trotz dieser alarmierenden Zahl gehen schätzungsweise nur 15 Prozent aller potentiell betroffenen Männer zu Früherkennungsuntersuchungen. Seit 1973 beobachten die Ärzte eine Zunahme der Krebserkrankungen, seit den 90er Jahren sterben immer mehr Männer an dieser qualvollen Krankheit. Mit dem Uro-Pass, einem neuartigen Patientenpass zur Dokumentation von Diagnose und Therapie bei Prostataleiden, will das „Forum Prostata im Deutschen Grünen Kreuz“ das Bewußtsein für diese Krankheit schärfen und mehr Männer animieren, die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Je früher die Erkrankung erkannt wird, desto größer sind die Chancen auf Heilung. Die Diagnose Protatakrebs bei der Früherkennungsuntersuchung bedeutet heute keineswegs mehr ein Todesurteil. Da Prostatakrebs oftmals nicht oder nur sehr langsam wächst, reicht es in vielen Fällen aus, ihn zu beobachten. Operiert wird immer dann, wenn der Patient jung ist und der Krebs aggressiv wächst. Eine Vergrößerung der Prostata bedeutet nicht automatisch, daß auch eine Erkrankung vorliegt. Allerdings ist es wichtig, daß die Prostata regelmäßig abgetastet wird. Eine gesunde Prostata fühlt sich glatt und fest an, demgegenüber ertastet man bei Prostatakrebs einen oder mehrere harte Knoten. Ultraschalluntersuchungen der Prostata dienen der Bestimmung der Größe (Volumen) und der Suche nach verdächtigen Strukturen. Dabei kann es sich um Entzündungsherde, gutartige Gewebeveränderungen, Verkalkungen oder um Krebsherde handeln. Aus verdächtigen Stellen sollte eine Gewebeprobe entnommen werden. Wichtig ist außerdem die Feststellung der PSA-Werte (PSA: prostataspezifisches Antigen). Das Prostatagewebe bildet ein spezielles Eiweiß, das als prostataspezifisches Antigen bezeichnet wird. Die PSA-Werte sind abhängig vom Alter, dem Prostatavolumen und Medikamenten (z. B. Finasterid). Bei PSA-Werten über 4,0 ng/ml sind weitere Untersuchungen erforderlich. Zwischen 4,0 und 10,0 ng/ml liegt die sogenannte Grauzone, ab 10,0 ng/ml besteht der Verdacht auf Prostatakrebs. Da es aber auch andere Ursachen für erhöhte PSA-Werte gibt, kann nur der Urologe in der Zusammenschau aller Untersuchungsergebnisse das Risiko abschätzen. Erst eine Biopsie (Gewebe-Entnahme) kann klären, ob Prostatakrebs vorliegt. Männer sollten ihre Prostata regelmäßig durch Abtasten kontrollieren, die Krankenkassen bieten ihnen ab dem 45. Lebensjahr eine regelmäßige Früherkennungsuntersuchung an. Mit dem Uro-Paß haben Männer jetzt die Möglichkeit, ihre Vorsorgeuntersuchungen eintragen zu lassen. Der Paß enthält – neben den medizinischen Daten – auch einen Patientenfragebogen zum Allgemeinbefinden und erleichtert so die Kontrolle für den Patienten und den Arzt. 622 Die Ursache des Prostatakrebses ist bislang noch nicht erforscht. Oft ist eine familiäre Häufigkeit zu beobachten, aber auch tierische Fette werden als Auslöser vermutet. Besonders interessant ist eine Auswertung weltweiter Studien. Danach erkranken die Chinesen so gut wie nie an Prostatakrebs, die amerikanischen Männer am häufigsten (wobei es in den Untersuchungsmethoden keine Unterschiede zwischen Amerika und China gibt). Wenn aber ein Chinese aus seinem Heimatland nach Amerika geht, kann er dort auch an Prostatakrebs erkranken. Die einzige Möglichkeit, dieser tückischen Krankheit entgegenzutreten, ist die Früherkennung. Ausführliche Informationen gibt das Forum Prostata im Deutschen Grünen Kreuz, Schuhmarkt 4, 35037 Marburg, Telefon 064212930, Fax 06421-22910. Gegen einen mit 3 DM frankierten DIN A5-Umschlag erhalten Interessenten eine kostenlose Patientenbroschüre. Tips & Urteile Überforderungsklausel der Krankenkassen: Abrechnung zum Jahresende Mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform zum 1. Juli 1997 ist die Zuzahlungspflicht zu Arzneimitteln erhöht worden. Gleichzeitig wurde die Überforderungsklausel festgelegt, nach der die jährliche Zuzahlung zu Arznei-, Heil- und Verbandmitteln zwei Prozent des Bruttojahreseinkommens des Versicherten nicht übersteigen darf. Für chronisch Kranke wurde die Belastungsgrenze auf ein Prozent gesenkt. Dies sind im Sinne der Krankenkassen jene, die mindestens seit einem Jahr wegen derselben Krankheit in Behandlung sind und 1996 noch Zuzahlungen bis zu der damals geltenden Höchstgrenze von zwei Prozent geleistet hatten. Die Krankenkassen erstatten die jährlichen Kosten, die diese Grenzen überschritten haben, sofern die Versicherten dies bis zum Jahres-ende beantragen und die entspechenden Quittungen einreichen. In sogenannten Härtefällen sind Versicherte von den Zuzahlungen zu Arzneimitteln – nicht aber von denen zu Krankenhausaufenthalten und Anschlußrehabilitationen – befreit. Als Härtefall gilt, wessen monatliche Bruttoeinnahmen im Westen DM 1.708 und im Osten DM 1.456 nicht übersteigen. Diese Einkommensgrenze erhöht sich für Haushalte mit einem weiteren Angehörigen im Westen um DM 640,50 und im Osten um DM 546. Für Haushalte mit mehr Angehörigen steigt sie um je DM 427 (West) bzw. DM 364 (Ost). Vorsicht bei Allergietests Allergietestsubstanzen, die auf die Haut aufgetragen oder eingeritzt werden, können bei stark allergischen Patienten unter Umständen einen Schock auslösen. Aus diesem Grund rät die Hamburger Stiftung Gesundheit gefährdeten Personen, einen externen Bluttest zu machen, mit dem die allergischen Reaktionen anhand einer Probe auch im Reagenzglas bestimmt werden können. Leserpodium Blick über den Tellerrand Die Debatte um Cannabis als Medikament zeigt das übliche Problem bei neuen Therapieansätzen. Der Phantasie und dem Vorstellungsvermögen der 623 „Befürworter“ steht eine nahezu angeborene Borniertheit der „Gegner“, der Vertreter des Wohlbekannten, gegenüber. Und oft handelt es sich dabei nur um die Verwechslung von Qualität und Quantität. Dabei haben alle mal gelernt: Alles ist Gift, allein die Dosis macht´s. Ich selbst (MS) nehme seit einigen Monaten Hasch oral in kleinen Dosen (1-2 Streichholzköpfe pro Tag) ein. Abgesehen von der antispastischen Wirkung – die bei höherer Dosierung in eine Kraft-Weg-Wirkung umschlagen würde –, lindert es auch solche Erscheinungen wie das „Fließen“ in den Beinen und andere schwer definierbare Symptome. Auch die Sorge, an der „Produktion“ Rauschgiftsüchtiger beteiligt zu sein – was bei Cannabis ohnehin Blödsinn ist –, kann ich den ablehnenden Fachleuten nehmen: Geraucht oder in höheren Dosen genossen ist eine der Wirkungen nämlich die auf den Enddarm. Und das letzte, was ein Rollstuhlfahrer gebrauchen kann, ist eine DurchfallAttacke. So reguliert sich dieses Problem von selbst ... Was heutzutage immer mehr Not tut, ist der berühmte Blick über den Tellerrand, zu dem entweder die Phantasie oder der Mut fehlt. So ist es mir z.B. unbegreiflich, weshalb THC wegen seiner hervorragenden antiemetischen und der appetitfördernden Eigenschaften nicht längst Standard in der Chemo-Therapie ist, sondern die Leute sich weiterhin die Seele aus dem Leib kotzen müssen, nur weil eine juristische Definition über den medizinischen Erkenntnissen stehen soll. Jeder, der sich aufschwingt, mit selbstgefälligen Wahnvorstellungen andere „vor sich selber beschützen“ zu wollen, müßte als erstes eine Chemo verpaßt kriegen. Damit er weiß, wovon er zu reden glaubte. Dr. Joachim W., Solingen Lesen Sie hierzu auch den Artikel auf Seite 11 Biomechanische Stimulation Seit der letzten Ausgabe fragten einige Leser nach den Adressen zur Biomechanischen Stimulation (Nasarov-Methode) von MS-Kranken. Hier die Anschriften: Ev. Krankenhaus Bethesda Physikalische Abteilung, Heerstraße 219, 47053 Duisburg, Tel.: 0203-6008 1732 und BMS-Centrum, Bernd Laudenbach, Martin-Luther-Straße 1, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 0971-68660 Seite 14: Lexikon Stichwort: Aldi: Medikamente aus dem Supermarkt Aldi-Märkte bieten Medikamente an - die Bastion der Apotheken wackelt Aldi bietet seit dem 29. Oktober freiverkäufliche Arzneimittel an. Die Presseabteilung von Aldi Süddeutschland gibt „grundsätzlich keine Auskünfte über das Sortiment, jeder Kunde kann sehen, was im Regal steht“. In einer Ausgabe der „Apotheker Zeitung“ stießen wir dann auf einen kurzen Artikel, in dem die Produkte und ihre Preise aufgeführt sind. 624 Folgende Mittel werden angeboten: Vitaflorin Kräuter-Tonikum (1000 ml, 15,98 DM), VITA Knob-lauch Kapseln (360 Kapseln, 12,98 DM), Johanniskraut Dragees SN (120 Dragees, 9,98 DM), Optiform Vitamin E Kapseln (150 Kapseln, 15,98), Ginseng Lebenskraft Plus (1000 ml, 16,98 DM), Vitaflorin Melissen-Geist (500 ml, 15,98 DM), Medizinisches Badekonzentrat Erkältungsbad (250 ml, 4,98 DM), Medizinisches Badeöl Rosmarin (250 ml, 4,98 DM), Medizinisches Badeöl Melisse (250 ml, 4,98 DM) und 4 Kräuterarzneien (bestehend aus Spitzwegerich Hustensaft 250 ml; Eukalyptus Erkältungsbalsam-S 50g; Kräuter Erkältungstee 20g -Beutel; Kräuter Erkältungstropfen 20ml-Flasche, insgesamt 15,98 DM). Verkauft werden diese Produkte schon seit Jahren in Drogerien und Reformhäusern. Trotzdem ist dieser massive freie Verkauf den Apothekern ein Dorn im Auge. Für die 700 Jahre alte „Bastion Apotheke“ ist der Vormarsch von Arzneimitteln in die Discounter ein Generalangriff. Wenn jemand Kopfschmerzen hat, geht er in die Apotheke und verlangt Aspirin, Togal oder eine andere Pille. Den Verbrauchern sind die Marken der benötigten Medikamente und deren Wirkung auf den eigenen Körper meistens bekannt. Auf eine ausführliche Beratung durch den Apotheker verzichtet man gerne, wenn einem der Schädel brummt. Die Apothekerkammer Schleswig-Holstein argumentiert allerdings anders. Arzneimittel sind eine „Ware besonderer Art“ und sollten von den Patienten verantwortungsbewußt genutzt werden. Für die Kammer ist jedes Arzneimittel grundsätzlich beratungsbedürftig. Dieser Aufgabe sind Verkäuferinnen in einem Supermarkt nicht gewachsen. Der Verbraucher sollte sich auf den Rat von Fachleuten verlassen. Eine weitere Befürchtung der Apotheker ist, daß „Pseudoarzneimittel“ angeboten werden könnten, die z. B. niedriger dosiert sind und nicht die versprochene Wirkung haben. „Wer billig kauft, muß zweimal kaufen“, so Frank Jaschkowski, Geschäftsführer der Apothekerkammer SchleswigHolstein. Aber sind wir mal ehrlich, wenn ich beim Aldi das gleiche Erkältungsbad, mit den gleichen Wirkstoffen in gleicher Dosierung, zum halben Preis bekomme, kaufe ich beim Aldi. Einige Produkte, wie z. B. Salmiakpastillen, gibt es wiederum billiger in der Apotheke. Der Verbraucher kauft dort, wo es am günstigsten ist. Gerade heute, wo die Zuzahlungen für verschreibungspflichtige Medikamente ständig erhöht werden, die Krankenkassen ein „Notopfer“ für „notleidende Krankenhäuser“ fordern und der Staat eine undurchschaubare Steuerpolitik betreibt und den Bürgern jede hart verdiente Mark aus der Tasche zieht, kommt das neue Angebot der AldiKette gerade recht. Das bestätigt auch eine kleine Umfrage unter einigen Rendsburgern. Die meisten befürworteten den freien Verkauf dieser Mittel. Allerdings gaben sie auch zu bedenken, daß die Beipackzettel der Medikamente für Laien meistens unbrauchbar seien. Inhaltsstoffe und Nebenwirkungen sollten genau aufgeführt werden. Auch bestünde die Gefahr, so eine Befragte, daß ältere Menschen bei der großen Angebotsmenge den Überblick verlieren könnten. Außerdem warnten viele der Angesprochenen vor Medikamentenmißbrauch. Letzendlich wird der Verbraucher entscheiden, wo er in Zukunft freiverkäufliche Arzneimittel kauft. 625 Grundsätzlich ist es jedem mündigen Bürger zuzutrauen, daß er Medikamente eigenverantwortlich und richtig einsetzt. Seite 15: TV-Tips: Medizin, Wissenschaft und Unterhaltung Dez. ‘97 / Jan ‘98 Di, 9. Dezember, 9.45 Uhr, PRO7: Ein sanfter Mord Beeindruckende Verfilmung einer wahren Geschichte. Nach langer Zeit unvorstellbaren Leidens erschießt Roswell Gilbert seine schwerkranke Frau Emily, mit der er 51 Jahre glücklich verheiratet war. In einem Prozeß, den Roswell teilnahmslos verfolgt, muß die Jury eine schwere Entscheidung fällen: War es Mitleid oder Mord? Di, 9. Dezember, 10.03 Uhr, ARD: ARD-Ratgeber Gesundheit Themen: Entlastung pflegender Angehöriger, Bochumer Hautcremestudie, neues Krankheitsbild MCD, Gerontopsychiatrischer Dienst. MCD: Der moderne Mensch ist umgeben von zehntausenden von chemischen Verbindungen, deren Auswirkungen auf den Organismus zum größten Teil noch nicht geklärt sind. Ein Teil der Bevölkerung scheint auf das Bombardement durch diese vielfältigen Wirkstoffe mit einem neuen Krankheitsbild zu reagieren: Der Multiplen Chemikalienunverträglichkeit. Welche Symptome sind bekannt? Spielen Lösungsmittel, Holzschutzlasuren und Pflanzenschutzgifte bei dieser Erkrankung eine besondere Rolle? Gibt es Therapieansätze und wohin können sich Betroffene wenden? Mi, 10. Dezember, 15.00 Uhr, RTL: Ilona Christen Transplantation - Warum will keiner Organe spenden? Fr, 12. Dezember, 16.00 Uhr, RTL: Hans Meiser Leben mit einem behinderten Kind. Fr, 12. Dezember, 21.00 Uhr, WDR: Visite: Themen: Schleudertrauma, Lymphdrüsenkrebs, Duchenne Muskeldystrophie Di, 16. Dezember, 20.15 Uhr, Bayerisches Fernsehen: Die Sprechstunde „Ich kann nicht abhusten“. Mi, 17. Dezember, 9.00 Uhr, Bayerisches Fernsehen (Wdh.): Die Sprechstunde Mit Gebirgsluft gegen Allergien Mi, 17. Dezember, 20.15 Uhr, B1: QuiVive-Medizin Die Haut im Winter Mi, 17. Dezember, 21.45 Uhr, ARD: Globus Thema u.a.: Tumor – überlisten getarnte Medikamente das Gehirn? Was für den Körper lebenswichtig ist, kann für die Medizin zum Dilemma werden z. B. beim Gehirn. Wie kein anderes Organ ist es durch unterschiedliche Sicherheitssysteme geschützt, z. B. gegen das Eindringen fremder chemischer Substanzen. Diese natürliche Schutzfunktion macht jedoch eine gezielte Behandlung mit Medikamenten, direkt an Ort und Stelle des Defektes, hochkompliziert. Wissenschaftler suchen nun nach Möglichkeiten, diese Schranken mit Täuschungs-manövern zu öffnen. So wollen sie mit Tarnkappen versehene Medikamente durch Sicherheitsbarrieren des Gehirns schmuggeln. 626 AUTOIMMUN-TIP Fr, 19. Dezember, 17.30 Uhr, 3sat: Visite - Multiple Sklerose - Elternseminar für krebskranke Kinder - Dysmenorrhö - unregelmäßige Regelblutung Do, 25. Dezember, 20.15 Uhr, RTL: Outbreak - Lautlose Killer In der kalifornischen Kleinstadt Cedar Creek bricht eine tödliche Epidemie aus. Offensichtlich wurde ein Killervirus aus Afrika importiert. Die Menschen leiden an Grippesymptomen und sterben bereits Stunden später qualvoll. Der Militärarzt und Virologe Sam Daniels (Dustin Hoffman) sowie seine Ex-Frau Dr. Roberta Keough (Rene Russo) versuchen in einem Wettlauf mit der Zeit, ein Anti-Serum zu finden, denn die Militärs haben eine konventio-nelle Lösung für das Problem geplant: Sie beabsichtigen, den Virus und damit die ganze Stadt, durch einen Bombenabwurf auszulöschen. Di, 13. Januar, 21.00 Uhr, N3: N3 Visite Kranke Leber Sie registriert, verarbeitet, entgiftet jeden Bissen, jeden Schluck: die Leber. Doch die vielfältigen Funktionen dieses lebenswichtigen Stoffwechsel-labors sind zunehmend gefährdet. Umweltgifte, Medikamente, Alkohol und vor allem heimtückische Viren greifen die Leber an und zerstören das Gewebe. Die Folge ist Leber-Zirrhose. In jedem Jahr fordert sie in Deutschland mehr als 20.000 Todesopfer. Vor allem die Virusinfektionen wachsen zur stillen aber gewaltigen Seuche an. Jahr für Jahr infizieren sich bei uns etwa 50.000 Menschen, bei jedem zweiten Virusträger bricht die gefürchtete Hepatitis aus, für viele kommt rettende Hilfe zu spät. Jährlich gibt es 1.000 Todesfälle. Doch noch immer werden die Lebererkrankungen in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt, und vor allem findet die Bedrohung durch den Anstieg der Hepatitis-C-Infektion immer noch zu wenig Beachtung. Dabei leben die Infizierten mit einer Zeitbombe in ihrem Körper. Über Jahre verläuft die Infektion relativ stumm, erst nach etwa 15 Jahren sind eindeutige Krankheitszeichen spürbar. Doch dann ist die Leber bereits angegriffen und verhärtet. Mi, 14. Januar, 6.00 Uhr, N3: Expedition ins Planzenreich Hanf - Karriere einer Kulturpflanze (lesen Sie hierzu auch Seite 11 dieser Ausgabe). Seite 16: Mit Feuer und Flamme gegen Leukämie „Feuerfrost“ - ein brandneues Drachenbuch über eine Lebensrettung Auch ohne einen Arzt zu fragen, weiß jeder, daß ein Märchendrache ohne Feuer sehr krank ist. „Mein Feuer geht aus! Ich kann nicht mehr feuerspucken!“ sagt das kleine Drachenmädchen. Einem alten Drachen, einem Feuerspucker und einem Zauberer gelingt es jedoch, dem kranken Drachenmädchen Feuer zu geben und damit neues Leben zu spenden. 627 Was hat das mit Leukämie zu tun? Der Autor, F. Dennis Giddings, ist selbst ein solcher Lebensspender. Für die damals zwölfjährige leukämiekranke Kelly spendete er Stammzellen aus seinem Knochenmark und rettete so ihr Leben. Er schrieb „Feuerfrost“ für Kelly und alle anderen Kinder, gesunde und kranke. Feuerfrost ist nicht nur eine schöne Geschichte, sondern informiert im zweiten Teil des Buches über das Thema Leukämie. Mit der deutschen Übersetzung des amerikanischen Kinderbuches möchte die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) möglichst viele Menschen erreichen, damit sie sich als „Lebens-Spender“ registrieren lassen. Für viele Patienten ist eine Stammzellspende die einzige Überlebenschance. Noch immer finden 40 Prozent der Patienten, die eine Stammzelltransplantation benötigen, keine geeigneten Spender in Deutschland. „Feuerfrost“ ist in der Drexler’schen Verlagsgesellschaft im Auftrag der DKMS erschienen. In dem Preis von 14,80 Mark ist ein mehrwertsteuerfreier Betrag von 3 Mark für die DKMS enthalten (ISBN 3-00-002026-8). Weitere Informationen: Deutsche Knochenmarkspenderdatei gemeinnützige Gesellschaft mbH Biesingerstr.10, 72070 Tübingen Tel. 07071/943-0, Fax 07071/943-117 http://www.dkms.de e-mail: post @ dkms.de 628 9 Literatur ADAMS, R. D., VICTOR, M., Principles of Neurology, McGraw-Hill, New York 1993, in: Taschenbuch Multiple Sklerose, Berlin 1996, S. 1-28. APPEL, Andrea / JAZBINSEK, Dietmar, Zwischen Horror und Hoffnung. Wie die Medien über Krebsmittel berichten und Patienten darauf reagieren, in: Günther, H. / Ehninger, G. (Hrsg.), Tradition und Fortschritt in der Onkologie, Regensburg 1999, S. 41-62. BADER, Renate, Was ist publizistische Qualität? Ein Annäherungsversuch am Beispiel des Wissenschaftsjournalismus, in: Bammé, Arno / Kotzmann, Ernst / Reschenberg, Hasso (Hrsg.), Publizistische Qualität – Probleme und Perspektiven ihrer Bewertung, München 1993, S. 17-39. BÄDER, Brigitte, Medizin und Presse im Wandel der Zeit, München 1974, in: Deneke, Johann F. Volrad / Fischer, Heinz-Dietrich / Flöhl, Rainer (Hrsg.), Presse und Medizin im Spannungsverhältnis – Neudruck zweier Pionierstudien der Medizinkommunikation, Bochum 1993, S. 87-162. BAMMÉ, Arno / KOTZMANN, Ernst / RESCHENBERG, Hasso (Hrsg.), Publizistische Qualität – Probleme und Perspektiven ihrer Bewertung, München 1993. BANKHOFER, Hademar, Gesundheit durch Unterhaltung – Ist das möglich?, in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 19, 2-3, 1994, S. 291-297. BEGEMANN-DEPPE, Monika, Sprechverhalten und Thematisierung von Krankheitsinformation im Rahmen von Stationsvisiten: Eine empirische Untersuchung zur Arzt-Patient-Beziehung, Marburg 1978. BEZOLD, Britta von, Zur Öffentlichkeitsarbeit von Selbsthilfegruppen und deren Wahrnehmung von Fernsehberichterstattung, in: Soziale Arbeit – deutsche Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete, Heft 5, 1998, S. 146-152. BIERE, Bernd, Linguistische Kriterien für publizistische Qualität, in: Bammé, Arno / Kotzmann, Ernst / Reschenberg, Hasso (Hrsg.), Publizistische Qualität – Probleme und Perspektiven ihrer Bewertung, München 1993, S. 73-85. BOES, Ulf, AIDS-Berichterstattung in der Tagespresse – Inhaltsanalytische Untersuchung von „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Welt“ im Zeitraum 1982-1989, Bochum 1991. BOES, Ulf: Medizin als Bildthema in Publikumszeitschriften – Inhaltsanalystischer Vergleich von „Quick“, „Stern“ und „Hörzu“, Bochum, 1997. 629 BRANDL, Annemarie, Vorfeldstudie zur Erstellung eines Schulungskonzepts für chronisch Kranke: Untersuchung an einem Kollektiv von 100 Diabetikern, München 1979. BREINKER, Carsten, Surfen gegen www.chen – Pharma-Kommunikation im Internet, in: Media Spectrum, Oktober 1997, S. 23-27. BUCHHOLZ, Gerhard, Skizzen zur Wissenschaftsgeschichte der Medizinischen Publizistik, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizin-Publizistik: Prämissen – Praktiken – Probleme, Frankfurt am Main 1990, S. 17-23. BUCHNER, Dietrich, Hauszeitschriften für Ärzte – Eine werbesoziologische Untersuchung zur Kommunikation zwischen Industrie und Medizin, Stuttgart 1968. CATTANI, Paul, Die Medizin in der politischen Presse, Zürich 1913, in: Deneke, Johann F. Volrad / Fischer, Heinz-Dietrich / Flöhl, Rainer (Hrsg.), Presse und Medizin im Spannungsverhältnis – Neudruck zweier Pionierstudien der Medizinkommunikation, Bochum 1993, S. 7-85. CLEAR, Susanne von / ENGELHARDT, Dietrich von / MONYER, Hannah / WARECKA, Krystyna, Das Arztbild des Multiple-Sklerose-Patienten in der Perspektive der Copingstruktur, in: Medizin Mensch Gesellschaft, 1988, Heft 2, S. 108-116. DEICH, Friedrich, Die Aufgabe des wissenschaftlichen Fachjournalisten im Dienste der Gesundheitsaufklärung, in: Ärztliche Mitteilungen, Nr. 45, 1959, S. 1655-1658. DEICHMANN, Inke, „An Dr. Sommer und Co…“ – Illustrierte als medizinische Ratgeber, Münster 1998. DENECKE, Peter, Chronische Krankheit und Familiendynamik: Eine empirische Untersuchung von Formen der innerfamilialen Bewältigung einer chronischen Krankheit am Beispiel von Multiple Sklerose-Kranken, Göttingen 1983. DENEKE, Johann F. Volrad, Arzt und Medizin in der Tagespublizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Köln 1969. DENEKE, Johann F. Volrad, Aspekte und Probleme der Medizinpublizistik – Bestandsaufnahme und Analysen zur historischen und aktuellen Präsentation von Medizin in Massenmedien, Bochum 1985. DENEKE, Johann F. Volrad, Grundbegriffe der Publizistik, in: Jahrbuch der Universität Düsseldorf, 1976/1977, S. 187-191. DENEKE, Johann F. Volrad, Medizinische Probleme in der Presse, in: Südwestdeutsches Ärzteblatt, Heft 11, 1955, S. 252-254. 630 DENEKE, Johann F. Volrad, Medizinische Publizistik als Gegenstand von Forschung und Lehre, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 2, 1976, S. 73-76. DEPENBROCK, Gerhard, Journalismus, Wissenschaft und Hochschule – Eine aussagenanalytische Studie über die Berichterstattung in Tageszeitungen, Bochum 1976. DÖHNER, Hannelore, Chronisch Kranke und behinderte Patienten einer chirurgischen Universiätsklinik, Hamburg 1982. DOVIFAT, Emil, Handbuch der Publizistik, Band 3, Berlin 1969. DREHER, Eduard / TRÖNDLE, Herbert, Kommentar zum Strafgesetzbuch, München 1981. EISNER, Beat, Die Aufklärungspflicht des Arztes, Bern 1992. EWALD, Karl / GSCHEIDLE, Christoph / SCHRÖTER, Christian, Professionalisierung und Spezialisierung im Onlinemedium, in: Media Perspektiven, Nr. 10, 1998, S. 508-516. FAULSTICH, Werner, Grundwissen Medien, München 1994. FEHLENBERG, Dirk, Kommunikation zwischen Arzt und Patient: Gesprächsstrukturen der psychosomatischen Krankenvisite, Bochum 1987. FISCHER, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Handbuch der Medizinkommunikation, Köln 1988. FISCHER, Heinz-Dietrich: Massenmedien als Transportvehikel der Wissenschaft – Skizzen eines Spannungsverhältnisses, in: Bertelsmann-Briefe, Heft 115, S. 25-32. FISCHER, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizinjournalismus in Massenmedien: Ausbildung – Aufgaben – Ansätze, Konstanz 1992. FISCHER, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizin-Publizistik: Prämissen - Praktiken – Probleme, Frankfurt am Main 1990. FISCHER, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990. FLÖHL, Rainer, Draußen vor der Tür – Der Wissenschaftsjournalist und die Welt der Wissenschaften, Anmerkungen zur Berufsforschung über den Wissenschaftsjournalismus, in: , Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus und Journalistenausbildung – eine Bestandsaufnahme, Tagungsbericht zum 1. Colloquium Wissenschaftsjournalismus, Stuttgart 1983, S. 79-84. FLÖHL, Rainer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Vortrag an der RuhrUniversität Bochum am 17. April 1990, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), 631 Medizinjournalismus in Massenmedien: Ausbildung – Aufgaben – Ansätze, Konstanz 1992, S. 49-57. FLÖHL, Rainer, Künstliche Horizonte? Zum konfliktreichen Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 22-28. FRANCKE, Robert / HART, Dieter, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, Stuttgart 1987. FRANKE, Niels, Geschenktes Leben, München 1991. FRANKE, Niels, Multiple Sklerose, Sternberg-Percha 1992. FRANKE, Niels, Hoffnung für Millionen, München 1996. GERETSCHLAEGER, Erich, Wissenschaft(sberichterstattung) – nein danke!: Wissenschaft in den Medien und in der Öffentlichkeit, in: Relation: Medien– Gesellschaft–Geschichte, Nr. 2, 1997, S. 75-92. GERHARDT, Uta E., Patientenkarrieren – eine medizinsoziologische Studie, Frankfurt/Main 1986. GLEICH, Uli, Über 50jährige als Zielgruppe für Markting und Werbung, in: Media Perspektiven, 1999, S. 301-311. GÖPFERT, Winfried / RUß-MOHL, Stephan (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus, München 1996. GÖPFERT, Winfried, Klinische Fälle – Arbeit der Medizinjournalisten, in: Journalist, Heft 2, 1997, S. 12-17. GORDON, Thomas / EDWARDS, W. Sterling, Patientenkonferenz: Ärzte und Kranke als Partner, Hamburg 1997. GRABOWSKI, Klaus H., in: Mast, Claudia (Hrsg.), ABC des Journalismus – Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit, Konstanz 1998, S. 368-370. GRABOWSKI, Klaus H., Strukturelle Probleme des Wissenschaftsjournalismus in aktuellen Massenmedien – Eine soziologischkommunikationswissenschaftliche Untersuchung, Bochum 1982. GRUBITZSCH, Jürgen, Wissenschaftsjournalismus vor neuen Herausforderungen, in: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus, Heft 5, 1989, S. 285-289. HAACKE, Wilmont, Genealogie medizinjournalistischer Themen, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 71-84. 632 HAACKE, Wilmont, Massenmedien und Medizin, in: Publizistik, Zeitschrift für die Wissenschaft von Presse, Rundfunk, Film, Rhetorik, Werbung und Meinungsbildung, Heft 6, 1960, S. 89-97. HÄUSSLER, Betram / SCHRÄDER, Wilhelm F. / MALL, Werner, Konzeption des Modellprogramms „Betreuungsdienste für chronisch Kranke“, in: Schräder, Wilhelm / Bohm, Steffen / Häussler, Betram / Schmidt, Detlef, Betreuungsdienste für chronisch Kranke, Berlin 1998. HALLER, Michael, Wie wissenschaftlich ist Wissenschaftsjournalismus? Zum Problem wissenschaftsbezogener Arbeitsmethoden im tagesaktuellen Journalismus, in: Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Heft 3, 1987, S. 305-319. HASSINK, Günter / MANEGOLD, Ulrike / POSER, Sigrid, Frühberentung und berufliche Rehabilitation bei Multiple-Sklerose-Betroffenen, in: Die Rehabilitation, Heft 2, 1993, S. 139-145. HIRTH, Friedrich, Begriff und Ziel des Journalismus, Mainz 1948. HÖMBERG, Walter, Das verspätete Ressort – Die Situation des Wissenschaftsjournalismus, Konstanz 1990. HÖMBERG, Walter, Glashaus oder Elfenbeinturm? Zur Entwicklung und zur Lage der Wissenschaftskommunikation, in: Schreiber, Erhard / Langenbucher, Wolfgang R. / Hömberg, Walter (Hrsg.), Kommunikation im Wandel der Gesellschaft: Otto B. Roegele zum 60. Geburtstag, Düsseldorf 1980, S. 79-96. HÖMBERG, Walter, Stiefkind – Die Lage des Schwellenressorts Wissenschaftsjournalismus, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 28-32. HÖMBERG, Walter, Zwischen Menetekel und Mirakel – Medizin in den Medien, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 3, 1995, S. 16-17. HOHGRÄWE, Uwe, Verständlichkeit von Instruktionstexten und das Informationsverhalten von Arzneimittel-Verbrauchern, Wuppertal 1998. IDRIS, Ildar / FINCK, Gerhard, Fachprintmedien-Situation: Tableau organisationsunabhängiger Medizinperiodika, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Handbuch der Medizinkommunikation – Informationstransfer und Publizistik im Gesundheitswesen, Köln 1988, S. 89-92. JASBINSEK, Dietmar (Hrsg.), Gesundheitskommunikation, Wiesbaden 2000, erscheint laut Verlag im April 2000. JENNY, Henry, Silicon-Gate, Siloam Springs 1994. 633 JENNY, Henry, Risikofaktor Silikon, Berlin 1995. JUNGK, Robert, Wider den Götzendienst am Altar der Forschung – Kritische Wissenschaftsberichterstattung: Erfahrungen aus über vier Jahrzehnten, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1990, S. 41-43. KÄRTNER, Georg, Wissenschaft und Öffentlichkeit – Die gesellschaftliche Kontrolle der Wissenschaft als Kommunikationsproblem. Eine Analyse anhand der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und anderer Massenmedien, Band 1, Göppingen 1972. KIRCH, Karl M., Vom Elfenbeinturm zum Kiosk – Gedanken zur medizinischen Thematik in der Massenpresse, in: Therapie der Gegenwart, Nr. 7, 1967, S. 839-845. KIRCHNER, Joachim, Frühformen medizinischer Fachpresse, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 53-70. KLEE, Ernst, Auschwitz – die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 1997. KNILLI, Friedrich, Das große Warentheater, in: Medienmagazin 1, München 1974, S. 86-121. KÖNIG, Sieghard, Arzt und Medizin in der TIME 1971-1975, Düsseldorf 1980. KÖPF, Peter, Schreiben nach jeder Richtung – Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse, Berlin 1995. KOHRING, Matthias, Der Zeitung die Gesetze der Wissenschaft vorschreiben? Wissenschaftsjournalismus und Journalismus-Wissenschaft, in: Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Heft 2-3, 1998, S. 175-192. KOHRING, Matthias, Die Funktion des Wissenschaftsjournalismus – ein systemtheoretischer Entwurf, Opladen 1997. KRAUTKRÄMER, Horst, Zur Verbindlichkeit medizinischer Informationen in Massenmedien, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Medizin-Publizistik: Prämissen Praktiken - Probleme, Frankfurt am Main 1990, S. 159-166. KRETSCHMER, R. / SCHUMANN, A. / ASBACH, M. / NERLICH, M., Zufriedenheitsanalyse stationärer Patienten: Aufwand und Potential einer Fragebogenerhebung in der Unfallchirurgie, in: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement, Heft 2, 1999, S. 31-36. von LA ROCHE, Walter, Einführung in den praktischen Journalismus – Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege, München 1992. 634 LANGENMAYR, Arnold / SCHÖTTES, Norbert, Gruppenpsychotherapie mit MSKranken, in: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Vorabdruck, erscheint voraussichtlich im Sommer 2000. LAUFS, Adolf, Arztrecht, München 1993. LINGELBACH, Dieter, „Leichter Leben“ – Eine Mini-Illustrierte in jeder Medikamentenpackung (Vortrag), in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 19, 2-3/1994, S. 339-342. LYNCH, Patrick, Omega, München 1998. MAERZ, Barbara, Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ als Quelle zur medizinischen Lokalgeschichte für die Zeit von 1933 bis 1938 unter bevorzugter Berücksichtigung der medizinischenVeranstaltungen und der Berichterstattung über Personen und Institutionen des Gesundheitswesens, München 1977. MAST, Claudia (Hrsg.), ABC des Journalismus – Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit, Konstanz 1998. MATZKER, Reiner, Journalistische Qualität – gibt es Kriterien zu ihrer Bestimmung, in: Medium - Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 1, 1996, S. 41-44. MATZKER, Reiner, Journalistische Wissenschaftsvermittlung – Gedanken zum Journalismus und seiner gesellschaftlichen Funktion, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Nr. 4, 1993, S. 22-26. MERSCHEIM, Horst, Medizin in Illustrierten – Berichterstattungs-Analyse von „Bunte“, „Neue Revue“, „Quick“ und „Stern“, Bochum 1978. MERSCHEIM, Horst, Medizin im Fernsehen: Probleme massenmedial vermittelter Gesundheitsberichterstattung – eine empirisch-analytische Studie, Bochum 1984. MOTZEK, Christoph, Von Äpfeln und Birnen, in: Media Spectrum, Nr. 3, 1994, S. 39-41. MÜLLER, Wolfgang, Informationsquellen in der Medizin – Anlaufpunkte für journalistische Recherche, Berlin 1990. MUTHNY, Fritz A. / BECHTEL, Michael, Chronische körperliche Erkrankungen in der Sicht der Medien – Eine Inhaltsanalyse der Medizinberichterstattung in Publikumszeitschriften unter besonderer Berücksichtigung psychosozialer Aspekte, in: Medizin Mensch Gesellschaft, Heft 1, 1988, S. 188-197. NAUELS, Ingeborg, Arzt und Medizin in fünf Jahrgängen „Spiegel“, Düsseldorf 1981. 635 NITZSCHE, Jörg, Medizinimmanente und medizintranszendente Determinanten des Informationsbedarfs in der Medizin und im Gesundheitswesen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft: Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen, Organ des Vereins Deutscher Bibliothekare an Wissenschaftlichen Bibliotheken, Heft 73, 1998, S. 71-80. OBERHOLZER, Daniel, Prozess-Evaluation der Implementation von neuen Wohn-, Aktivitäts- und Unterstützungskonzepten für körperbehinderte und chronisch kranke Menschen, Zug 1994. PAHL, Carola, Die Bedeutung von Wissenschaftsjournalen für die Themenauswahl in den Wissenschaftsressorts deutscher Zeitungen am Beispiel medizinischer Themen, in: Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Heft 2-3, 1998, S. 243-253. PIETZSCH, Joachim, Lesestoff Krebs: Die Darstellung der „Krankheit des Jahrhunderts“ in ausgewählten Printmedien, Bochum 1991. PÖTTKER, Horst, Öffentlichkeit durch Wissenschaft – zum Programm der Journalistik, in: Publizistik, Vierteljahreshefte für die Kommunikationsforschung, Heft 3, 1998, S. 229-249. PÜRER, Heinz, Medien in Deutschland, Konstanz 1994. RÖDEL, Wolfgang, Menschenbild und Journalismus, Brandenburg 1967. RÖSSLER, Patrick, Standardisierte Inhaltsanlysen World Wide Web – Überlegungen zur Anwendung der Methode am Beispiel einer Studie zu OnlineShopping-Angeboten, in: Beck, Klaus / Vowe, Gerhard (Hrsg.), Computernetze – ein Medium öffentlicher Kommunikation?, Berlin 1997, S. 245-267. ROESSLER, Richard T. / RUMRILL, Phillip D. Jr., The relationship of perceived work site barriers to job mastery and job satisfaction for employed people with multiple sclerosis, in: Rehabilitation Counseling Bulletin, No. 1, 1995, S. 2-12. ROLOFF, Eckart K., Ärzte und Medizinjournalismus, in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.), Publizistikwissenschaftler und Medizinkommunikation im deutschsprachigen Raum, Bochum 1990, S. 39-50. RUMPF, Eva-Christiane, Die Kontroverse um mammographische Reihenuntersuchungen am Beispiel für die Verarbeitung medizinischwissenschaftlicher Informationen auf verschiedenen Ebenen der Öffentlichkeit, Gießen 1982. RUMPF, Hans-Jürgen / WARECKA, Krystyna, Aufgaben des Psychologen in der ambulanten Betreuung von Patienten mit Multipler Sklerose als 636 notwendige Ergänzung der ärztlichen Arbeit, in: Medizin Mensch Gesellschaft, 1989, Heft 2, S. 122-125. RUß-MOHL, Stephan, Journalistik-„Wissenschaft“ und Wissenschafts-Journalistik, in: Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Heft 2-3, 1985, S. 265-279. RUß-MOHL, Stephan, Wissenschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit, in: Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.), Materialien und Berichte, Tagungsbericht zum 3. Colloquium Wissenschaftsjournalismus, Berlin 1990, S. 205-270. SAYNISCH, Doris, Arzt und Patient: Die bedrohte Beziehung – Ein ärztlicher Befund, Münster 1997. SCHMIDT, Leo, Symbiotischer Wissenschaftsjournalismus – Universität und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Kooperation, Bochum 1989. SCHREIBER, Erhard / LANGENBUCHER, Wolfgang R. / HÖMBERG, Walter (Hrsg.), Kommunikation im Wandel der Gesellschaft: Otto B. Roegele zum 60. Geburtstag, Düsseldorf 1980. SCHÜTZE, Christian, Arbeitssituation und Themenfelder – Der Wissenschaftredakteur im Medienbetrieb, in: Göpfert, Winfried / Ruß-Mohl, Stephan (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus – Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis, München 1996, S. 188-191. SCHWARZ, Iris / UMSTÄTTER, Walter, Medien des Informations- und Wissenstransfers – Medizinische Online-Dienste und CD-ROM-Datenbanken, in: Kaltenborn, Karl-Franz (Hrsg.), Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen, Frankfurt am Main 1999, S. 207-291. SEIDEL, Rainer, Begleitende Hilfe im Arbeitsleben – Arbeiten trotz der Multiplen Sklerose, in: Behindertenrecht, Heft 3, 1991, S. 139-145. SEIFFERT, Helmut, Fünf Thesen zur „Verständlichkeit“, in: Hansen, Klaus (Hrsg.), Verständliche Wissenschaft – Probleme der journalistischen Popularisierung wissenschaftlicher Aussagen, Dokumentation Band 5, Gummersbach 1981, S. 1323. SILBERMANN, Alphons, Gesundheit und Angstmacherei, in: Communications, The European Journal of communication, Vol. 20, 2-3, 1995, S. 277-282. SMELTER, Susanne, Erfahrungen bei MS-Kranken, in: Woog, Pièrre (Hrsg.), Chronisch Kranke pflegen: Das Corbin-Strauss-Pflegemodell, Wiesbaden 1998, S. 93-116. SMITS, Anton, Familie und Krankheit: Eine theoretische Übersicht, in: Psychosozial, Heft 3, 1981, S. 66-80. 637 SORITSCH, Alois, Wissenschaftsinformation in Massenmedien, Wien 1976. STEIN, Rosemarie, Nutzen und Risiken des Medizinjournalismus, in: Medizin Mensch Gesellschaft, Heft 11, 1986, S. 89-91. STEIN, Susanne, Zum Verhältnis der Berufsgruppen Arzt und Journalist: Dargestellt und untersucht am Beispiel des Gesundheitsforums der „Süddeutschen Zeitung“, Bochum 1991. VILMAR, Karsten, Schlußwort, in: Bundesärztekammer (Hrsg.), Fortschritt und Fortbildung in der Medizin – VIII. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer, Köln 1984, S. 402-405. WAGENER-THIELE, Christine, MS-Therapien, Düsseldorf 1995. WARREN, Carl, ABC des Reporters – Einführung in den praktischen Journalismus, München 1953. WENDE, Detlev, Über die medizinische Berichterstattung von Krebs in Tageszeitungen und deren kritische Bewertung – Dargestellt am Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Bild-Zeitung“ in den Jahren 1974, 1976 und 1978, Bochum 1990. WULF, Joseph, Kultur im Dritten Reich – Presse und Funk, Berlin 1989. ZERGES, Kristina, Wenig erforscht – Daten zum Publikum von Wissenschaftssendungen, in: Medium – Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Heft 1, S. 32-35. 638