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Kommerzielle Entwicklung von Open-Source-Software: Idealismus, Pragmatismus oder Strategie? Eine Fallstudie über Entwickler des Linux-Kernels in großen Firmen der Informationstechnologie

Lerch, Urs

Free/Libre and Open-Source-Software (FLOSS) im Allgemeinen sowie das Betriebssystem Linux im Speziellen erfreuen sich seit rund zehn Jahren zunehmender wirtschaftlicher Bedeu­tung und sind heute ein wesentlicher Baustein der professionellen Informations- und Kommu­nikationstechnologie. Entwickelt wird die Software mit reger Beteiligung einer Online-Com­munity und zahlreichen Beiträgen von Firmen, Universitäten, Stiftungen sowie Freiwilligen. Die bislang geführte Diskussion zu FLOSS, beginnend im Jahre 1998, kann in drei zeitlich aufeinander folgende, jeweils ca. drei bis fünf Jahre dauernde Phasen gegliedert und mit den Überschriften „Idealismus“, „Pragmatismus“ und „Strategie“ umschrieben werden. Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung von FLOSS auf der Nachfrage- wie auf der Ange­botsseite wird in wissenschaftlichen Arbeiten weiterhin auf die sozialromantische und ideali­sierende Frühphase rekurriert. Die Unterstützung bei der FLOSS-Produktion durch große, eta­blierte Unternehmen der Informationstechnologie (IT) unter wirtschaftlichen Aspekten blieb bisher in der wissenschaftlichen Diskussion noch weitgehend unbeachtet. Diese Dissertation beabsichtigt, einen empirischen Beitrag zu dieser lückenhaften Datenlage zu leisten. Anhand einer Fallstudie mit quantitativen und qualitativen methodischen Ansätzen wird die Situation von Linux-Kernel-Entwicklern in großen IT-Firmen untersucht. Die quantitative Analyse sämtlicher Logdateien des Linux-Kernels des Jahres 2007 hat ergeben, dass dieser zu rund drei Vierteln von Firmen weiterentwickelt wird. Mittels qualitativer, teilstandardisierter Interviews mit siebzehn Linux-Kernel-Entwicklern aus großen IT-Firmen kann eine Typolo­gie von kommerziellen Open-Source-Entwicklern hergeleitet werden. Die Typen sind: der „Pragmatische Ingenieur“, der „Dialektische Informatiker“ und der „Sozialromantische Ha­cker“. Anhand dieser Typologie kann der Berufsalltag eines Open-Source-Entwicklers in ei­ner großen IT-Firma vertiefend beschrieben werden. Die empirischen Daten legen nahe, dass die Firmenbeteiligung bei Freier und Open-Source-Software weit höher ist als aus anderen Studien bekannt. Deshalb sollte das Open-Source-Ent­wicklungsmodell um die Firmenbeteiligung erweitert werden, insbesondere unter Berücksich­tigung der Typologie der kommerziellen Open-Source-Entwickler. Zudem kann, basierend auf den Daten, aufgezeigt werden, dass Freie und Open-Source-Software weitgehend mit be­stehenden ökonomischen Theorien erklärbar ist, so dass das Image der Sozialromantik stark relativiert werden muss. Empfohlen wird deshalb, die Diskussion über FLOSS zukünftig weniger nach ideologisch orientierten Gesichtspunkten, sondern mit vorwiegend ökonomischen Argumenten zu führen. Dabei ist insbesondere in der ökonomischen Diskussion der freien Lizenz der Software mehr Beachtung zu schenken. Die Mitarbeit in einer Open-Source-Community sollte zudem aufgrund der Bedeutung von FLOSS in den Lehrplan der Informatikausbildung integriert werden.
Free/Libre and Open Source Software (FLOSS) in general and the Linux operating system in particular have increased in economic significance during the past decade and are now an in­tegral component of professional information and communication technology (IT). The soft­ware is continuously developed by an online community with numerous contributions from companies, universities, foundations and volunteers. The discussion on FLOSS started in 1998. Retrospectively, three consecutive phases, lasting three to five years each, are identified as “idealism”, “pragmatism” and “strategy”. Along increasing economic growth of FLOSS on demand and supply of software, scientific knowledge remains scarce, mainly due to the focus on social romantic and idealized positions in early stages. On the other hand, cooperation in FLOSS production by large, established IT companies, especially in economic terms, has been largely ignored in the scientific debate. This PhD project intends to make an empirical contribution to this gap. The situation of Linux kernel developers in large IT companies is investigated in a case study with quantitative and qualitative methodological approaches. Quantitative analysis of all log files of the Linux kernel in the year 2007 shows, that commercial companies contribute 75 percent to the kernel development. Using qualitative, semi-structured interviews with seven­teen Linux kernel developers from large IT companies, a typology of commercial FLOSS de­velopers is identified. The three types are: “pragmatic engineer”, “dialectical computer scient­ist”, and “social romantic hacker”. Based on this typology, the working and personal environ­ment of professional FLOSS developers in a large IT company is analyzed. Empirical data from this study suggest that companies participate to FLOSS considerably more than identified in prior studies. Therefore, the open source development model should be expanded to business contributions. This process should include the identified typology of commercial FLOSS developers. In addition, FLOSS is largely explained by existing econom­ic theories. Thus, the previous image of social romanticism needs to be reconsidered. And it is recommended that in discussing FLOSS, an economic perspective is integrated rather than re­iterate ideologically oriented positions. On the other hand, the freedom granted by the license has to be more emphasized in the economic debate. Finally, regarding the importance of FLOSS, participation in an open source community should be included in the curriculum of computer science education.