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Frühe Mikroskopie

Beobachtung als Forschungspraxis

Rebohm, Simon

Mit dem Mikroskop wurde in den 1620er Jahren ein neues Instrument in die Naturforschung eingeführt, dessen Möglichkeiten man zunächst geradezu euphorisch begrüßte, gegen Ende des Jahrhunderts dann jedoch mit zunehmendem Zweifel bedachte. Diese Entwicklung und die Beobachtungen, welche verschiedene Forschern an zahlreichen Gegenständen durchführten, werden in der Wissenschaftsgeschichte bislang vor allem aus einer ideengeschichtlichen Perspektive heraus betrachtet und erklärt: Erfolg und Niedergang der mikroskopischen Forschung wären demnach abhängig vom Status, den bestimmte naturphilosophische Konzepte, etwa der wiederbelebte Atomismus, innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft erhielten. Der Aspekt der wissenschaftlichen Praxis und der Verlauf der Forschung im Einzelnen spielt unter dieser Perspektive bislang nur eine geringe Rolle. Zwar gibt es Untersuchungen zu den jeweils verwendeten Mikroskopen (sofern erhalten), Studien zum konkreten Vorgehen einzelner Forscher, ihrem Umgang mit diesen neuen Instrumenten und den ihnen eigenen Potentialen und Schwierigkeiten waren dagegen eher eine Seltenheit. Insbesondere stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Motivation spezifischer Untersuchungen (1), den Beziehungen verschiedener Beobachtungen zueinander (2) und den Bedingungen, unter denen Beobachtungstechniken (3) entwickelt und hinterfragt wurden. Ausgehend von diesen drei Teilfragen ergibt sich ein Bild der frühneuzeitlichen Mikroskopie, das sich grundlegend von den bisherigen, ideengeschichtlichen Entwürfen unterscheidet: Die Fragestellungen (1), welche den Beobachtungen zugrundelagen, wiesen zu Anfang noch einen engen Bezug zu Naturphilosophie, Naturgeschichte und Medizin auf. Schon bald verloren diese traditionellen Kontexte allerdings ihre Relevanz, und die Beobachtungen folgten zunehmend einer Richtung, die durch die Untersuchungen selbst vorgegeben wurde. Die zentrale Ursache hierfür lag darin, dass die untersuchten Objekte (2) über Vergleiche und Analogien in wechselseitige und stark fluktuierende Beziehungen zueinander gesetzt wurden. Dadurch entstand einerseits ein ständiger Bedarf an weiteren Beobachtungen, andererseits hingen die Interpretationen von Strukturen auch immer von den Ergebnissen früherer Untersuchungen ab. Hinsichtlich der Methoden (3) zeigt sich eine immer stärkere Spezialisierung der Techniken nach den jeweiligen Erfordernissen der Beobachtungen, welche durch die dominierende Ansicht, dass es sich beim mikroskopischen Sehen um eine künstliche Form der Wahrnehmung handle, vorangetrieben wurde. Die Probleme und zunehmenden Unstimmigkeiten, die aus diesen Techniken erwuchsen, wurden zwar von einigen Forschern reflektiert, die individuelle Spezialisierung verhinderte jedoch scheinbar einen Austausch über diese Thematik untereinander. Anstelle der allgemeinen, stringenten Entwicklung, die eine ideengeschichtliche Perspektive nahelegen würde, zeigen sich aus dieser praxisorientierten Perspektive zahlreiche nur wenig miteinander zusammenhängende Einzelgeschichten: Zwar arbeiteten viele Forscher, die sich des Mikroskops bedienten, zu ähnlichen Themen, ihre jeweiligen Ziele und Vorgehensweisen unterschieden sich jedoch, und der Austausch untereinander war trotz bestehender Möglichkeiten minimal. Dadurch wird zum einen deutlich, dass die zuvor als grundlegend angenommene Dominanz bestimmter abstrakter Ideen für die Forschung im Einzelnen kaum von Belang war. Zum anderen zeigt sich, dass wissenschaftliche Praxis insbesondere dann, wenn sie mit Instrumenten arbeitet, einer erheblichen Eigendynamik unterliegen kann.
The microscope was introduced as a new instrument for research on nature in the 1620s, which possibilities were at first welcomed almost euphorically, but were considered with increasing doubt at the end of the century. This development and the observations, which the various researchers conducted on numerous objects, have been studied in the history of science mostly in respect to the role of ideas so far: success and demise of microscopical research hence would be linked to the status certain concepts of natural philosophy acquired in the scientific community, for example the revived notion of atomism. Till now the issue of scientific practice and the specific process of research has only been addressed marginally. Even though studies concern the employed microscopes (insofar they are preserved) they seldom deal with the approach of the researchers themselves, their handling of these new instruments and the particular possibilities and problems of them. In this respect it is especially interesting what motivated specific investigations (1), in which way different observations were related to each other (2), and under what conditions observational techniques (3) have been developed. These three questions lead to a perspective on early modern microscopy, which differs substantially from previous images, which are more based on conceptual history: The querries (3), which were the starting point of the observations, were closely related to topics from natural philosophy, natural history and medicine. These traditional contexts however soon lost their relevance and the observations progressively followed paths laid out by prior investigations. The main reason for this was the construction of diverse and fluctuating relations between the scrutinized objects (2). One the one hand this tendency produced a persistent need for further observations, on the other hand the interpretation of structures always depended on the results of older investigations. The employed methods (3) display a growing specialisation of techniques in dependence on the particular demands of the observations. This was promoted by the dominating understanding of microscopic sight as an artificial perception. The problems and increasing contradictions, which were closely related to this development, were considered by some of the scientists, individual specialisation however seems to have prevented an exchange on this topic between them. While the perspective of a history of ideas suggested a general, straight development, an emphasis of the practical aspects rather suggests various different stories with only very little connection: Even though most researchers, who used the microscope, worked on similar topics, their goals and procedures differed substantially and communication between them was minimal, despite the existing possibilities. This shows that the supposed dominance of abstract ideas was of only little significance on the level of specific research. But it also illustrates that scientific research, especially when it deals with instruments, can build up and depend highly on its own momentum.