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Herstellung und Steuerung der Verarbeitbarkeitseigenschaften selbstverdichtender Betone
Kordts, Stefan
Selbstverdichtender Beton (SVB) ist ein Hochleistungsbeton, dessen besonderes Leistungsvermögen in der Frischbetoneigenschaft Selbstverdichtung besteht. SVB ist so beschaffen, dass er selbsttätig unter dem Einfluss der Schwerkraft nahezu bis zum Niveauausgleich sedimentationsfrei fließt, während des Fließens entlüftet und dabei jeden Hohlraum und alle Bewehrungszwischenräume innerhalb einer Schalung ausfüllt. Zusätzliche Verdichtungsenergie ist beim Einbau nicht mehr nötig. Das im Vergleich zu Rüttelbeton völlig andere rheologische Verhalten von SVB beruht auf einem erhöhten Mehlkorngehalt, eine auf das Mehlkorn genau abgestimmte Wasserdosierung und der Verwendung hochwirksamer Fließmittel. Gemessen an dem hohen Innovationspotential sind die derzeitigen Anwendungen von SVB bis auf wenige Ausnahmen kaum nennenswert. Hauptgründe dafür sind empirische Rezepturentwicklungsverfahren, die Empfindlichkeit des Betons gegen Schwankungen um die optimale Zusammensetzung sowie fehlende Beurteilungskriterien für die Verarbeitbarkeitseigenschaften bei der Herstellung und Verwendung. Darüber hinaus beziehen sich die vorhandenen Rezepturentwicklungsverfahren vornehmlich auf die Herstellung der gewünschten Verarbeitbarkeit unmittelbar nach Herstellungsende und betrachten nicht den Verlauf der Verarbeitbarkeit in Abhängigkeit von der Zeit und den Umgebungsbedingungen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gelang es, das experimentelle Rezepturentwicklungsverfahren für SVB so zu modifizieren, dass gezielt die Frischbetoneigenschaften sowohl nach dem Mischungsende als auch während der geplante Verarbeitbarkeitszeit über einen rationalen Mischungsentwurf optimiert und gesteuert werden können. Dazu wurden systematische Untersuchungen zu den zwei Themenbereichen Mehlkornoptimierung und Verflüssigung durchgeführt. Die Untersuchungen zur Mehlkornoptimierung dienten der Vorhersage von Anhaltswerten zur Ermittlung des optimalen Wassergehalts aus vorgeprüften granulometrischen Parametern. Dazu wurde die Verformbarkeit von Mehlkorn in wässerigen Suspensionen unter Berücksichtigung der Kornart, Kornform, Korngrößenverteilung und Rohdichte der Feststoffpartikel untersucht. Erste Modellleime wurden gezielt mit ideal geformten Inertstoffen unterschiedlicher Feinheit zusammengesetzt, um den Einfluss der Kornform und der chemischen Reaktionen gesondert darstellen zu können. Darauf aufbauend wurden die Mindestwassergehalte optimierter Leimzusammensetzungen bestimmt, von denen an die Fließgrenze und die Viskosität über Wasser und Fließmittel frei steuerbar wurden und so zum selbstverdichtenden Mörtel bzw. Beton führten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen ermöglichen, den Mindestwassergehalt über die Verteilungsbreite des Mehlkornhaufwerks und dessen Zusammensetzung über den in dieser Arbeit vorgestellten ßp*-Wert hinreichend genau für die weitere Optimierung abzuschätzen. Im zweiten Themenbereich Verflüssigung wurden die Mechanismen zur Steuerung der Verarbeitbarkeitseigenschaften selbstverdichtender Mörtel und Betone durch Wasser und Fließmittel in Abhängigkeit von der Mehlkornzusammensetzung, dem Fließmittel, der Temperatur und der Zeit untersucht. Diese Versuche beinhalteten orientierende Prüfungen an Leimen und Mörteln zur Wirkungsweise und Verträglichkeit der neuen Fließmittelgeneration auf der Basis von Polycarboxylatether, um Fehlreaktionen mit den ausgewählten mehlfeinen Stoffen zu vermeiden und um Hinweise zur Dispergierbarkeit und Dispergierungszeit zu erhalten. Es zeigte sich, dass aufgrund der Vielzahl an Variationsmöglichkeiten in der Zusammensetzung selbstverdichtender Betone diese bei gleichen Verarbeitbarkeitseigenschaften oft unterschiedliche Frischbetonkenngrößen aufwiesen. Daher fiel es in der Vergangenheit schwer, allgemeingültige Anforderungen an die Frischbetoneigenschaften von SVB zu formulieren oder sie in bestimmte Kategorien oder Verarbeitbarkeitsklassen einzuordnen, wie es bei den üblichen Betonen der Fall ist. Um die selbstverdichtenden Eigenschaften eines SVB zu beurteilen, wurde ein Lösungsansatz entwickelt, die Verarbeitbarkeit in einem Diagramm mit den zwei Kenngrößen Setzfließmaß - als Maß für die Fließgrenze - und Trichterauslaufzeit - als Maß für die Viskosität - darzustellen. Der optimale Verarbeitbarkeitsbereich für Selbstverdichtung sowie die Grenzen der Verarbeitbarkeit sind für den jeweiligen SVB individuell in Frisch- und Festbetonuntersuchungen durch Variation der Wasser- und Fließmittelgehalte zu prüfen und festzulegen. Liegen beide Frischbetonkennwerte innerhalb des Verarbeitbarkeitsfensters, kann davon ausgegangen werden, dass der Beton ausreichend fließt, entlüftet und mischungsstabil ist. Dadurch wird besonders die Sedimentationsneigung im Vorfeld prüfbar. Ferner werden Abweichungen von der Sollzusammensetzung innerhalb des Verarbeitbarkeitsdiagramms erkennbar. Dementsprechend können auch bei nicht ausreichenden Frischbetonkennwerten geeignete Korrekturmaßnahmen wie z. B. Fließmittelnachdosierung zielgerichtet eingeleitet werden, um den SVB wieder in den vorher geprüften Verarbeitbarkeitsbereich zu bringen. Das in dieser Arbeit im Rahmen des modifizierten Mischungsentwurfs herausgearbeitete Konzept zur Beurteilung der Frischbetoneigenschaften selbstverdichtender Betone hat als Fensterlösung Eingang in die DAfStb-Richtlinie Selbstverdichtender Beton gefunden.