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Der Baugedanke bei Friedrich Nietzsche

Breitschmid, Markus

Der Baugedanke im engeren Sinne ist bei Nietzsche nicht ohne seine Gedanken des Bauens im weiteren Sinne zu verstehen. Diese Abhandlung versucht anhand von Nietzsches Aussagen zur Architektur die Bedeutung der Baukunst in seinem Denken zu bestimmen und eine Beziehung zum Kontext der Disziplin Architekturtheorie herzustellen. Der Baugedanke bestimmt die Welt grundlegend. Er ist eigentümlich für mehr als eine Kunst- oder Baukunsttheorie im engeren Sinne. Dieser Baugedanke wird primär in seiner grundsätzlichen Versinnbildlichung als Anschauung der Sinneserkenntnis, die mit "grosser Vernunft" bezeichnet ist, verstanden. Auf dieser fundamentalen Ebene ist diese Organisationslehre der Formen sinnlicher Anschauung mit der "Physiologie der Kunst" behandelt. Bauen ist bei dem sich an der dorischen Antike orientierenden Nietzsche form- und gestalt-produzierende Funktion, mit dem der Mensch ein grundbegriffliches System organisiert. Künstlerisches Tätigsein wird bei Nietzsche zu einer Funktion des Logischen, das jeder vorhandenen Welt immer schon voraus geht und in diesem Sinne eine Priorität gegenüber der Welt der Begriffe und der Wissenschaft für sich beansprucht. Sie ist auch in allen anderen Weisen des Weltverständnisses, z. B. in der alltäglichen Wahrnehmung, zentral. Der Gedanke des Bauens ist von daher, samt seiner jeweiligen Auffassung von Schönheit, nicht eingeengt oder gar deckungsgleich mit der Wissenschaft der Kunst. Die Künste sind im engeren Sinne ein ausgezeichneter Bereich dieses Baugedankens. Nietzsche gebraucht immer dann, wenn er davon spricht, das menschliche Dasein werde durch Zeichen in seinem affirmativen Werte sichtbar, seine weitreichendste Formel der Deutung der Kunst. Sie ist Vergöttlichung des Daseins. In Nietzsches späterer Kunstphilosophie findet der "grosse Styl" seinen gültigsten Ausdruck in der monumentalischten unter den Künsten: der Baukunst. Die Baukunst ist der äusserste Ausdruck eines organisierten und vollständig verweltlichten, einzelnen Ganzen. Mit dem Bauwerk als Versichtbarung des "Willens zur Macht" verschiebt sich das Wesen der Form: der "grosse Styl" ist das Zusammenspiel von a-teleologischen Teilen zu einem a-teleologischen Ganzen und unterscheidet sich von der Synthese von zweckmässigen Teilen. Statt dem Nacheinander, Diskursivität und Linearität ist die Form des grossen Stils diejenige der Gleichzeitigkeit, der Plötzlichkeit und der Proportionalität.
The building-thought (Baugedanke) in the narrow sense of Nietzsche can not be understood without his thoughts on building in the wider sense. Thus, this dissertation attempts to determine the meaning of the building art in his thought according to his statements on architecture and to establish a relationship to the context of the discipline of architectural theory. The building-thought defines the world fundamentally. It is characteristic for more than a theory of art or a theory of building in the narrow sense. The building-thought, in its fundamental symbolisation, is understood primarily as concrete appearance of the sensory knowledge (Sinneserkenntnis). It is named "great reason" ("grosse Vernunft"). On that fundamental level the order-theory (Organisationslehre) of forms of concrete appearance is treated as ";physiology of art" ("Physiologie der Kunst"). For Nietzsche, who orients himself along Doric antiquity, building is form-producing and Gestalt-producing function which human beings use to organise a system of basic principles. Artistic activity, for Nietzsche, becomes a function of logic that is prior to any existing world. In that sense, it stands above the world of ideas (Welt der Begriffe) and the search of knowledge (Wissenschaft). Likewise, it is central in all other ways of world-comprehension (Weltverständnis); e.g., in every-day perception. Consequently, the thought of building is not confined or identical to the science of art, including its respective view of beauty. But the arts in the narrow sense are an excellent sphere of that building-thought. Nietzsche always uses his most far-reaching formula of the interpretation of art when he addresses to the fact that the human existence manifests its affirmative values through symbols (Zeichen). It is an idolisation of existence. In his late philosophy of art, Nietzsche chooses the most monumental of all the arts to elucidate the qualities of the "great style": architecture. Such architecture is the highest expression of an ordered and completely secularised, unitary whole (Ganzes). Through building as the aesthetic objectivation of the "will to power" ("Wille zur Macht"), the essence of form is shifted: the "great style" is the play of a-teleological parts to an a-teleological whole and differs from the synthesis of purposeful parts. Instead of successivity, discursivity, and linearity, the form of the "great style" embodies synchronicity, immediacy, and proportionality.