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Prozesse der Plausibilitätsbeurteilung am Beispiel ausgewählter elektroakustischer Wiedergabesituationen

Ein Beitrag zum Verständnis der "inneren Referenz" perzeptiver Messungen

Kuhn-Rahloff, Clemens

Die akustische Wirklichkeit plausibel oder authentisch reproduzieren zu können, ist eine der wichtigsten Triebkräfte der audiotechnischen Entwicklung, beispielsweise für Raumsimulationen, für Musik- oder für Sprachwiedergabe. Zahlreiche Verfahren zur Messung von wahrgenommener Qualität sind mit Bezug auf „Plausibilität“ in der Kommunikationsakustik entwickelt worden. Während viele perzeptive Qualitätsurteile zwar letztendlich auf Plausibilität verwei-sen, besteht interessanterweise bislang wenig Übereinstimmung darüber, wie Plau-sibilität selbst zu messen ist und welche konzeptionelle Bedeutung diesem Begriff zugrundeliegt. Dies ist für das Verständnis des Messgeräts „Mensch" relevant und berührt daher grundlegende Fragen der Wahrnehmungsforschung. Um Eigenschaften von Plausibilitätsurteilen zu erörtern, stellt die vorliegende Arbeit ausgewählte top-down-Prozesse der Wahrnehmung in den Vordergrund, die das Urteilsverhalten beeinflussen. Im Zentrum stehen dabei strukturierende Wahrneh-mungsprozesse, die nicht nur zum Plausibilitätsurteil, sondern auch zur Vorerfah-rung des Wahrnehmenden und damit zur Referenz des Urteils führen. Dabei wird zunächst gezeigt, dass absolute Urteile über Plausibilität mit Bezug auf eine innere Referenz starken interindividuellen und zeitlichen Schwankungen unterworfen sein können. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um Störvariablen, die die Messung beeinträchtigen, sondern um systemimmanente Eigenschaften der beteiligten Wahrnehmungsprozesse. Untersuchungen des Beurteilungsprozesses sind daher möglich, wenn zusätzliche Parameter in die Messung einbezogen werden: - Zeitlicher Verlauf von Plausibilitätsurteilen durch Priming im Kontext verschiedener Wiedergabesituationen. In diesem Zusammenhang wird gezeigt, dass das Plausibilitätsurteil über eine gegebene Wiedergabesituation trotz des alltäglichen Umgangs mit bestimmten Medien keineswegs gefestigt ist. Der mediale Kontext, in dem Plausibilität bewertet wird, ist für das Urteil relevant und sollte daher ggf. in die Messung einbezogen werden. - Individuelle Vorerfahrung der Probanden und Urteilsverhalten bei der Bewer-tung unbekannter Reize: Durch Untersuchung des Streuungsverhaltens bietet sich die Möglichkeit, den Urteilsprozess auch dann sinnvoll messen zu können, wenn Probanden nicht auf die zu untersuchenden Stimuli umfassend trainiert wurden – so wie es außerhalb von Laborbedingungen auch der Fall sein kann. - Darstellung der dem Plausibilitätsurteil zugrundeliegenden Wahrnehmungs-dimensionen in einem Ähnlichkeitsraum und Analyse der maßgeblichen Metrik. Hier lässt sich festhalten, dass gerade bei komplexen Referenzen ein hoher Metrikexponent (r > 2) erwartet werden darf. Dies ist für die Optimierung von Systemen interessant, da für das Urteil jeweils eine einzelne Wahrnehmungsdimension in den Vordergrund rückt. Mit diesem Wissen lassen sich Implementierungsprozesse u.U. auf ein einzelnes Merkmal (und damit auf entsprechende technische Systemeigenschaften) effizient beschränken. Anhand der gewählten Szenarien diskutiert die Arbeit die praktische Bedeutung der Ergebnisse und stellt erkenntnistheoretische Hintergründe dar. Insbesondere wird dabei die Relevanz des Beobachterstandpunkts erörtert, der für eine sinnvolle Mes-sung entweder des Urteilsverhaltens oder der Referenz entscheidend ist.
The aim of creating plausible or authentic reproductions of acoustic environments has been one of the driving forces of technological developments in audio. In com-munication acoustics, various measurement approaches for perceptual quality as-sessment refer to the term plausibility, e.g. for room simulations, music reproduction, and speech synthesis. Interestingly, there is still little agreement on underlying concepts of plausibility and on measurement approaches for plausibility itself. These concepts affect fundamental aspects of psychophysics since they are relevant in models where human perception is conceived as a measurement instrument. This study outlines concepts of plausibility in the context of selected top-down proc-esses of human perception. At the centre of all considerations are perceptual proc-esses that structure perceived objects. Such processes do not only lead to plausibil-ity judgements but also to the subject’s inner reference. The analysis concludes that time-variant plausibility judgements with strong interindividual differences are not due to interfering variables outside of researcher’s control but that they are caused by intrinsic properties of the related perceptual processes. Therefore, results on the judgement process can be obtained if the analysis covers additional parameters, such as: - Temporal development of plausibility judgements due to priming from different reproduction systems: Results indicate that plausibility judgements are highly dependent on the media context since the inner reference is not stabilized by previous experience. Therefore, this context should be considered during the measurement. - Subject’s individual previous experience and the resulting judgements on unknown stimuli: Measurement of judgement’s variances allows to investigate the perceptual process of quality assessment even if subjects have not been trained on the stimuli under test, similar to conditions outside of laboratory experiments. - Analysis of the underlying factors and metrics within a perceptual space and of respective metric exponents: Results indicate that plausibility judgements with complex references are usually based on high metric exponents (r > 2). This is relevant for system implementations and optimisations, since one single perceptual factor becomes predominant within the judgement process. This allows focusing on a limited set of respective technical features for quality improvements. Practical relevance of the results and epistemological aspects of the measurement process are considered. In particular, the researcher’s perspective is discussed since it is critical for the correct interpretation of measurement data concerning either the judgement or the reference.
  • Anmerkung des Autors: Abb. 4-15 auf S. 117 ist korrigiert veröffentlicht in der eBook-Version bei SpringerLink (e-ISBN 978-3-642-22072-2) http://link.springer.com/book/10.1007/978-3-642-22072-2