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Überbetriebliche Berufsbildungsstätten und Kompetenzzentren der beruflichen Bildung als Stabilitätsgaranten und Innovationstreiber
Mahrin, Bernd
Überbetriebliche Berufsbildungsstätten (ÜBS) sind wichtige institutionelle Eckpfeiler der beruflichen Bildung. Das gilt besonders für das Handwerk, aber zunehmend auch für die mittelständische Industrie. In Deutschland gibt es über alle Branchen und Gewerke hinweg etwa eintausend dieser Einrichtungen. Der Ursprung der meisten ÜBS liegt im betrieblichen Teil der dualen beruflichen Erstausbildung. Die Geschäfts- und Aufgabenfelder überbetrieblicher Berufsbildungsstätten sind inzwischen vielfältig. Sie umfassen neben ordnungspolitisch geregelten Lehrgängen der Aus-, Fort- und Weiterbildung auch freie, offene Bildungs- und Beratungsangebote, Forschungs- und Entwicklungsprojekte, internationale Berufsbildungszusammenarbeit sowie Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und weitere. Die ÜBS unterscheiden sich unter anderem nach Trägerschaft, institutioneller Einbindung und inneren Strukturen, Größe, fachlichem Spektrum, Auftraggebern, Einzugsgebieten, Leitbildern, Ansprüchen und Entwicklungszielen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, personeller und technischer Ausstattung, Innovationsfähigkeit, Netzwerken und Kooperationsbeziehungen. Zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Ansprüche, die die Betriebe der klein- und mittelständischen Wirtschaft an diese Bildungsstätten richten, einen sie jedoch: Die ÜBS sollen mit ihren Bildungs- und Beratungsangeboten einerseits bewahrend und stabilisierend wirken und andererseits relevante Innovationen rechtzeitig erkennen und ihre Angebote auf die antizipierbare künftige Arbeitswelt ausrichten.
Die vorliegende Arbeit greift diese divergierenden Ansprüche auf und untersucht in den fünf zentralen Themenfeldern Konzept und Aufgaben, Internationale Zusammenarbeit, Digitalisierung, Medienqualifizierung des Berufsbildungspersonals sowie virtuelle und aktivierende Lernumgebungen mit welchen Mitteln und Aktivitäten die ÜBS ihnen gerecht werden können. Weitere Themenfelder wie Inklusion und Benachteiligten-Förderung, Fachkräfte- und Nachwuchssicherung und Nachhaltigkeit werden tangiert, können aber nicht vertieft behandelt werden. Einleitend ist der Untersuchung eine thematische Einführung zur Entstehung und Entwicklung der ÜBS, zum ordnungspolitischen Rahmen, zur Finanzierung und Förderung, zur Kompetenzzentrums-Entwicklung und zur Herausforderung der Digitalisierung vorangestellt. Die Auswahl der zwölf Einzelpublikationen für diese kumulative Dissertation erfolgte nach der zentrale Fragestellung, welche Rolle überbetriebliche Berufsbildungsstätten als Garanten der Stabilität und als Treiber von Innovationen aktuell und künftig einnehmen können und sollten.
Ein zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist, dass mit Blick auf die Entwicklungs- und Zukunftsfähigkeit der ÜBS offensichtlich beide Rollen untrennbar miteinander verwoben sind. Das drückt sich auch in der Förderpolitik aus, bei der um die Jahrtausendwende mit der Entwicklung der ersten ÜBS zu Kompetenzzentren und die damit verbundene ergänzende Hinwendung zu neuen Technologien und zu konzeptionellen Aspekten der Bildungsangebote eine Zäsur festzustellen ist. Diese Strategie setzt sich fort im Sonderförderprogramm ÜBS-Digitalisierung.
In allen Arbeitszusammenhängen mit ÜBS – auch über die hier dargestellten Beispiele und Themenfelder hinaus – hat sich vor allem die konsequente Orientierung an der beruflichen Arbeitspraxis als Anker und Fundament der Dienstleistungen und Aktivitäten dieser Bildungsstätten herausgestellt. Im Themenfeld Konzept und Aufgaben ist das ohnehin das Kernanliegen. Bei der internationalen Zusammenarbeit hat sich dieser konsequente Bezug auf die Arbeitspraxis ebenfalls als handlungsleitend bewährt, denn in den Partnerländern fehlt es in aller Regel vor allem an handwerklichen Fachkräften. Bei der Digitalisierung hat sich gezeigt, dass die jeweils berufstypischen technischen Prozesse im Fokus der Bildungs-Dienstleistungen von ÜBS bleiben, weil genau das den Bedürfnissen und Erwartungen der Lernenden und ihrer Betriebe entspricht. Dasselbe gilt für das Themenfeld Medienqualifizierung. Hier sind allerdings zusätzliche Kompetenzen zum Umgang mit digitalen Medien, Arbeitssoftware und mobilen Endgeräten zu erwerben. Erprobungen haben ergeben, dass die entsprechenden Bildungsangebote die höchste Akzeptanz bei den Lernenden finden, wenn dabei klar wird, wie die Medien und Instrumente das Lernen und das praktische, handwerkliche Arbeiten unterstützen, erleichtern und verbessern können. Auch bei den virtuellen und aktivierenden Lernumgebungen wurde deutlich, dass digitale Medien und Instrumente in den ÜBS und Kompetenzzentren nur Mittel zum Zweck sein können.
Gut ausgestattete Werkstätten und reiche Lernumgebungen, in denen die Auszubildenden und Meisterschüler*innen kreativ und kooperativ technische Lösungen entwickeln und in handwerklicher Umsetzung erproben können, können wirkungsvoll durch virtuelle Angebote ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Dieses unbedingte Festhalten an der handwerklichen Ausführung berufstypischer Tätigkeiten als Leitgröße der Aus und Weiterbildung ist es, was die ÜBS und Kompetenzzentren zu Stabilitätsgaranten macht. Innovative Technologien treffen zumeist nicht auf eine Verweigerungshaltung, sondern auf einen Entwicklungs- und Integrationswillen.
Der äußeren – weil auf die Betriebe und das sonstige Umfeld wirkende – Dualität der Funktion als Bewahrer und Innovator ist eine zweite, innere Dualität überlagert, die die Bildungsstätten in ihrer Eigenschaft als zunehmend eigenständig agierende wirtschaftliche Einheiten betreffen. Von den Trägerinstitutionen wie Kammern, Innungen oder Kreishandwerkerschaften werden eine stärkere Ausprägung unternehmerischen, eigenwirtschaftlichen Handelns und die Erschließung zusätzlicher Geschäftsfelder erwartet. Diese grundlegenden Veränderungen, aber auch die demografische Entwicklung, der Nachwuchs- und Fachkräftemangel, die steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit, weitere Technologiesprünge, die Effekte der Globalisierung usw. erzeugen auch innerhalb der Bildungsstätten einen hohen Innovationsdruck und Anpassungsbedarf.
Rückblickend auf die ausgewerteten und dargestellten Arbeiten in den fünf Themenfeldern bedürfen vor allem zwei Aspekte der weiteren Untersuchung, nämlich die Intensivierung des fachbezogenen und fachübergreifenden Austausches zwischen verschiedenen ÜBS sowie die künftige Gestaltung der Zusammenarbeit mit berufsbildenden Schulen als unmittelbare Partner in der dualen Berufsausbildung.
Inter-company vocational training centers (ÜBS) are important institutional cornerstones of vocational training. This is particularly true for the skilled trades, but increasingly also for medium-sized industry. In Germany, there are around one thousand of these facilities across all sectors and trades. Most of the ÜBS have their origins in the company-based part of the dual system of initial vocational training. The business and task areas of inter-company vocational training centers are now diverse. They include not only regulated courses of initial, further and continuing vocational training, but also free, open educational and advisory services, research and development projects, international vocational training cooperation, vocational orientation, vocational preparation and others. The ÜBS differ among other things after sponsorship, institutional integration and internal structures, size, technical spectrum, clients, catchment areas, mission statements, claims and development goals, economic conditions, personnel and technical equipment, innovation ability, networks and cooperation relations. However, they share two, at first glance contradictory, demands that companies in the small and medium-sized economy address to these training centers: On the one hand, the ÜBS should have a preserving and stabilizing effect with their training and consulting services, and on the other hand, they should recognize relevant innovations promptly and gear their services to the anticipatable future world of work.
This paper takes up these diverging demands and examines the five central topics of concept and tasks, international cooperation, digitization, media qualification of vocational training staff, and virtual and activating learning environments to determine the means and activities with which the ÜBS can meet them. Other topics such as inclusion and support for the disadvantaged, remaining and developing staff and sustainability are touched on, but cannot be dealt with in depth. The study is preceded by a thematic introduction on the origins and development of the ÜBS, the regulatory framework, funding and support, competence center development and the challenge of digitization. The selection of twelve individual publications for this cumulative dissertation was based on the central question of what role inter-company vocational training centers can and should play as guarantors of stability and as drivers of innovation, both currently and in the future.
In all working contexts with ÜBS - even beyond the examples and subject areas presented here - the consistent orientation to vocational work practice has emerged as the anchor and foundation of the services and activities of these training centers. In the thematic field of concept and tasks, this is the core concern anyway. In international cooperation, this consistent reference to work practice has also proven to be a guiding principle, as there is generally a lack of skilled workers in the partner countries. In the case of digitization, it has been shown that the focus of the training services provided by ÜBS remains on the technical processes typical of the respective occupation, because this is precisely what meets the needs and expectations of the learners and their companies. The same applies to the subject area of media qualification. Here, however, additional competencies must be acquired in the use of digital media, work software and mobile devices. The trials have clearly shown that the relevant training courses are most readily accepted by learners when it is clear how the media and tools can support, facilitate and improve learning and practical, manual work. In the case of virtual and activating learning environments, it also became clear that digital media and instruments in the ÜBS and competence centers can only be a means to an end.
Well-equipped workshops and rich learning environments in which trainees and master craftsmen can creatively and cooperatively develop technical solutions and try them out in craftsman like implementation can be effectively supplemented, but not replaced, by virtual systems. It is this unconditional adherence to the craftsmanship of vocational activities as the guiding principle of training and continuing education that makes the ÜBS and competence centers guarantors of stability. Innovative technologies are not usually met with an attitude of denial, but with a desire for development and integration.
The external duality of the function as preserver and innovator - because it affects the companies and the other environment - is overlaid with a second, internal duality that affects the training centers in their capacity as increasingly independent economic units. Supporting institutions such as chambers of commerce, guilds and district craft associations expect the ÜBS to act more entrepreneurially and independently and to open up additional areas of business. These fundamental changes, as well as demographic developments, the shortage of young people and skilled workers, increasing demands for sustainability, further technological progress, the effects of globalization, etc., are also creating a high level of pressure to innovate and a need for adaptation within educational institutions.
Looking back on the work evaluated and presented in the five thematic areas, two aspects in particular require further investigation, namely the intensification of subject-related and interdisciplinary exchange between different ÜBS and the future organization of cooperation with vocational schools as direct partners in dual vocational training.
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