Loading…
Netzwerkgetragene Freiräume - Ein Freiraumtypus digitalmoderner Raumproduktion
Kurths, Andreas
Die Digitalisierung unseres täglichen Erlebens hat das Zeitempfinden bereits substanziell verändert. Trotz vielfältiger Effizienzversprechen fühlt sich Zeit dennoch für die meisten als besonders knappes Gut an. Das veränderte Zeitempfinden ist ein allgemein wahrnehmbares Symptom dafür, dass die Digitalisierung bereits sehr viele Bereiche der Gesellschaft erfasst hat, von Dienstleistungen aller Art und der Automation der Industrie, über Kultur und Kommunikation bis hin zu Ar-chitekturen und Aushandlungen des Raums in unseren Städten. Sowohl die digitalen Entgrenzungen als auch die damit einhergehenden Begrenzungen verändern nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern ebenso unser Denken und Handeln sowie das soziale Miteinander.
Vor dem Hintergrund fokussiert diese Arbeit auf einen bedeutsamen Aspekt der Digitalisierung, der bislang kaum damit in Verbindung gebracht wurde: der Produktion von Freiraum. Die Arbeit geht dabei davon aus, dass die Digitalisierung und ihre Folgen den urbanen Raum verändern und neue Freiräume in der analogen Welt erschließen. Das findet seinen Ausdruck darin, dass immer mehr digitalmoderne Akteure in realen urbanen Freiräumen aktiv sind und daran mitwirken. Dabei werden ganz selbstverständlich digitale Werkzeuge zur vielfältigen Kommunikation wie Verabreden, Auffinden, Darüber-Berichten, Kartieren usw. verwendet.
Das vorhandene Angebot eines klassischen Freiraums in der europäischen Stadt – wie eine öffentliche Parkanlage – kann das Verlangen der Akteure nach Mitwirkung nicht mehr bedienen. Einen Park zum Zweck der konventionellen Erholung zu nutzen, hat selbstverständlich seine Berechtigung, eröffnet aber für die Mitwirkung kaum Möglichkeiten. Selbst das Angebot sich an der Gestaltung eines Freiraums über ein Partizipationsverfahren zu beteiligen, genügt nicht mehr. Die Aushandlung und die Veränderung einer räumlichen Situation soll nach Auffassung von intentionalen und auf Mitwirkung bedachten Akteuren in der Jetzt-Zeit stattfinden, im Raum eigene sichtbare Spuren hinterlassen und den Bewohnern der Stadt zugutekommen. Der klassische Freiraum ist dafür nicht vorgesehen, d. h. für die Freiraumplanung lassen sich insbesondere Ungeduld und Unbestimmtheit kaum in konventionelle Planungsprozesse integrieren.
Dennoch gelingt es Akteuren aus der Zivilgesellschaft zunehmend gemeinschaftlich neue urbane Freiräume zu etablieren und zu veröffentlichen. Sie ermöglichen nicht nur das Mitgestalten und Mitmachen, sondern erfordern es zugleich. Dabei handelt es sich oft um Flächen, die sich durch das Beharren Einzelner und deren Vernetzung mit weiteren – auch nicht-intentionalen – Akteuren zu zeitlich ungewiss lang bestehenden Räumen der Mitwirkung verändern.
Die Motivation für die vorliegende Arbeit ist deshalb, diesen veränderlichen Freiraum umfassend zu erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse zu einem anwendbaren Konstrukt typologisch zusammenzuführen. Dazu wird eine innovative Methode entwickelt. Sie ermöglicht, das als netzwerkgetragener Freiraum benannte Konstrukt im Kontext urbaner Akteur-Netzwerkstrukturen sowie der Zeitepoche der Digitalmoderne und ihrer Wechselwirkungen einzuordnen und besser verstehen zu können.
Das soziale und räumliche Phänomen wird hier anhand von sechs Fallstudien aus verschiedenen europäischen Städten detailliert analysiert. Aus den so extrahierten Beobachtungen wird das Konstrukt des netzwerkgetragenen Freiraums erarbeitet und mit erläuternden Attributen untersetzt. Als grundlegende Konsequenz folgt, dass sich der entscheidende Unterschied zu anderen Freiraumtypen in der Art der Freiraumproduktion zeigt. In diesem Zusammenhang wird das durch die beteiligten Akteure immer wieder aufs Neue auszuhandelnde Maß an Kontinuität und Temporalität als wesentlich herausgestellt und anhand konkreter Eigenschaften des Raums wie Zugänglichkeit, Nutzbarkeit oder Veränderbarkeit sichtbar gemacht.
Ein wegweisendes Ergebnis der Fallstudienuntersuchung ist, dass netzwerkgetragene Freiräume weder eine von vorn herein zeitlich begrenzte Zwischennutzung sind, noch auf einem hierarchischen Produktions- oder Organisationsprinzip basieren. Sie sind vielmehr ein soziales Produkt der Digitalmoderne: vernetzt und offen, selbstwirksam und individuell, in Teilen reversibel und ausgeprägt dynamisch.
The digitization of our everyday experience has already changed the perception of time: time feels like an even scarcer asset. That changed perception can be seen as one symptom for the general change in the society induced by digitization. Our digitized everyday life also includes new open spaces in the analog world. More and more “digital modern” people are active in real urban open spaces. Digital tools are used as a matter of course for making arrangements, meeting, reporting, mapping, etc. However, these people’s demand for interactive participation cannot be served by the offer of a traditional public park. Using a park for the purpose of conventional leisure has absolutely no justification but changes too little for a real interaction. Even the offer of being involved in the design of an open space through a participation procedure is not enough, because the negotiation and change of a spatial situation should take place in the here and now, leave its own visible traces at the location and should benefit the city’s inhabitants. The traditional open space is not programmed for this and for open space planning impatience and uncertainty can scarcely be applied in conventional planning processes.
Even so, actors within civil society communally succeed in establishing new urban open spaces that not only enable contributions and participation but even demand it. These are often areas that involve uncertain lengthy negotiations and input, due to the persistence of individual actors and the exchanges with other – also nonintentional – actors. The degree of continuity and temporality is worked out by those involved according to quite concrete properties of the space such as accessibility or usability. The boundary between private and public becomes permeable for the duration of use. The resulting openness of the location to the possibility of city-making contributes significantly to its attractiveness.
Up until now, professional open space planning has not dedicated itself adequately through participation to the demands of people in the city for such places of uncertain changeability. hat is why the motivation for this present work was to study such a modifiable open space. The social and spatial phenomenon has been analyzed in detail by six case studies from different European cities. The findings of that research have been consolidated to a generally applicable typological construct complemented by elucidating attributes. One of the main results of that approach is that network-borne open spaces are neither from the outset timed temporary uses nor are they based upon hierarchical principles of production or organization. They are in fact a social product of digital modernity: interconnected and open, self-efficient and individual, in parts reversible and distinct dynamic.