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"Gefrorene Musik"

Das Verhältnis von Architektur und Musik in der ästhetischen Theorie

Saleh Pascha, Khaled

In der vorliegenden Arbeit wird das Verhältnis von Architektur und Musik untersucht. Der Titel "Gefrorene Musik" weist auf die berühmte Metapher hin, die zum Ausgangspunkt einer Untersuchung zum Wechselverhältnis beider Künste in der Architekturtheorie und Ästhetik wird. Die vier Kapitel der Dissertation stellen auf jeweils unterschiedliche Art den Bezug zu der Metapher her. Im ersten Teil wird die Genese der Metapher, Ort, Zeit und Umstände ihrer Entstehung rekonstruiert, soweit dies nach dem heutigen Quellenstand möglich erschien. Die Urheberschaft der Metapher konnte Schelling und indirekt einem seiner Schüler, Henry Crabb Robinson, zugeschrieben werden. Im zweiten Kapitel bestimmt der Begriff der "gefrorenen Musik" den mythologischen Ausgangspunkt einer geschichtlichen Betrachtung beider Künste. Die Beziehung der beiden Künste Architektur und Musik gründet auf frühe indische, ägyptische und chinesische Schöpfungsmythen, in denen das Stofflichwerden der Welt im Vorgang des "Verstummens" eines ursprünglichen Klanges entstanden sein soll. Im Phasenübergang von Klang zu Stoff liegt der gedankliche Ursprung der Metapher der "gefrorenen Musik" verborgen, hierauf begründet sich die metaphysische, durch mathematische Gesetzmäßigkeiten in beiden Künsten genährte Spekulation zum Verhältnis von Architektur und Musik bis in die Neuzeit. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird mit dem Aufkommen physiologischer Erkenntnisse die Gültigkeit eines dogmatischen Harmoniebegriffs in Architektur und Musik in Frage gestellt. Mit dem Bezug auf das "Malerische" und "Poetische" wendet sich die Architekturtheorie ab dem 18. Jahrhundert anderen Kunstgattungen zu. Die Auseinandersetzung zwischen Architektur und Musik findet ab diesem Zeitpunkt in den ästhetischen Theorien der Philosophie statt. Im dritten Teil zum Verhältnis von Architektur und Musik in der idealistischen Philosophie " gleichzeitig auch das Hauptkapitel der Arbeit " wird der geistesgeschichtliche Hintergrund untersucht, aus der die Metapher entstanden ist. In den Kunstsystemen des deutschen Idealismus wird das Verhältnis beider Künste paradigmatisch. Zwei unterschiedliche Klassifikationsmodelle der Künste leiten sich unmittelbar aus dem Verhältnis von Architektur und Musik ab. Im "Organismusmodell" der Kunst, wie bei Schelling, Solger oder Lotze, bilden Architektur und Musik die beiden essentiellen Pole, aus denen alle anderen Kunstgattungen hervorgehen. Die eine Kunst " die Musik " vertritt danach das flüchtige, das subjektive Moment, die andere " die Architektur " das bleibende, objektive Moment. Keine Kunstgattung kann ohne musikalisches und architektonisches Prinzip bestehen. Im teleologischen Modell, wie u. a. bei Hegel, Vischer, Schopenhauer und Carriere, stehen beide Künste für den Anfangs- und Endpunkt einer Entwicklungstendenz der Kunst, die vom Roh-Materiellen zum Geistig-Immateriellen fortschreitet. Analogien zwischen den beiden Künsten betreffen in diesem Modell immer nur die formale, äußere Gestalt und nie das Wesen in beiden Künsten. Das letzte Kapitel zeigt die Auswirkungen und Konsequenzen auf, die aus der Beschäftigung mit der Metapher und ihrem geistigen Umfeld in der Folgezeit resultieren. In den späten Konzeptionen des deutschen Idealismus und in den psychologischen Kunsttheorien der Folgezeit wird das Verhältnis zwischen Architektur und Musik auf eine neue Grundlage gestellt. Das Moment des Zeitlichen wird zum Ausgangspunkt einer Neubestimmung der Architektur als Raumkunst, wie das Moment des Räumlichen zur Erklärung der psychologischen Wirkung von Musik wichtig wird. Die Proportionsgesetze in der Architektur waren Ausdruck des alten, metaphysisch geprägten Kunstdenkens. Im Rhythmus der Raumgebilde als choreographisch-zeitliches Prinzip entsteht in der psychologischen Kunsttheorie für die Architektur ein neuer Bezugspunkt mit der Musik. Umgekehrt erhält die Musik im Raumbegriff einen neuen architektonischen Zusammenhang. Im Raum-Zeit-Diskurs der psychologischen Kunsttheorie wird die Auseinandersetzung zwischen Architektur und Musik auf einer übergeordneten Ebene weitergeführt.
The well-known metaphor "Gefrorene Musik" (frozen music) is used as the starting point for an examination of the changing relationships between architecture and music in the aesthetics and theories of architecture. Each of the four chapters of this thesis presents a different aspect of these relationships. First, so far as is presently possible, the origins of the metaphor (locations, time, conditions) are reconstructed. The expression can be attributed to Schelling and indirectly to one of his pupils, Henry Crabb Robinson. Second, the concept of "frozen music" in the mythological history of music and architecture is examined. A relationship of these two art forms may originate in early Indian, Egyptian and Chinese myths of creation in which material creation of the world is linked to the silencing of an original sound. In the transition from sound to substance lies concealed the intellectual concept of "frozen music", and the mathematical definition of both art forms led in more modern times to metaphysical speculations about their relationships. Towards the end of the 17th century, the validity of dogmatic, harmonic conceptions for architecture and music was questioned, and from the 18th century architectural theory orientated itself to poetry and painting, and from this time discussion of architecture and music became relegated to the theories of aesthetic philosophy. Third, and also the main topic of this thesis, the intellectual history of the concept of relationships between music and architecture in idealism, from which the expression "frozen music" originated, is examined. In German idealism, the relationship of the two art forms is paradigmatic, and two different classification models of the arts derive directly from the relation between architecture and music. In the "organistic model" of the arts, as perceived by Schelling, Solger and Lotze, architecture and music are the two essential poles from which all other art forms are derived. Music represents the fleeting, subjective factor, whereas the other art form, architecture, represents the lasting, objective element. No art form can exist without musical and architectural principles. In the "teleological model", as for example expounded by Hegel, Vischer, Schopenhauer and Carriere, both art forms are the beginning and the endpoint of progressive, developmental tendencies in the arts, from raw material to intellectual intangibles. In this model, analogies between the two art forms always relate the outer form only, and never the underlying substance. Last, the effects and consequences of pursuit of the metaphor and its intellectual aspects are pointed out. In the late concepts of German idealism and the subsequent, psychological theories of the arts, the relationship between architecture and music found a new basis. Architecture became redefined as the art of space, and space also became important in explaining the psychological effect of music. The rules of proportion in architecture were an expression of the old, metaphysically influenced ways of regarding the arts. The conception of space as a choreographed, contemporary principle, part of the psychological theory of the architectural arts, provided a new connection to music. Conversely, the concept of space provided music with a new, architectural context. The discourse of space and time values in psychological theories of the arts, in consideration of the relations between music and architecture, will remain a subject for analysis.