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„Es waren ja fast alle weggegangen“

Psychoanalyse und Nationalsozialismus in Berufsbiografien deutscher Nachkriegspsychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker

Wachtler, Benjamin; Ullrich, Peter; Schröder, Christina

Die komplexe und teils widersprüchliche Geschichte der deutschen Psychoanalyse während des Nationalsozialismus ist heute historisch umfangreich untersucht. Es lassen sich verschiedene Etappen der historischen Aufarbeitung erkennen, die durch unterschiedliche Diskurse geprägt waren, welche im Rahmen dieser Arbeit nachgezeichnet werden. Vor allem die erste Etappe war dabei durch berufspolitische Auseinandersetzungen bestimmt und von zwei gegensätzlichen Erzählungen über die Veränderungen der deutschen Psychoanalyse gekennzeichnet. Die vorliegende Arbeit untersucht, welche Diskurse um die Geschichte der deutschen Psychoanalyse während des Nationalsozialismus Eingang in die Berufsbiographien der ersten Generationen von NachkriegspsychoanalytikerInnen fanden. Dafür wurden 23 narrative berufsbiographische Interviews mit PsychoanalytikerInnen, die vor dem 01.01.1937 geborenen wurden, durchgeführt und methodisch kontrolliert ausgewertet. Darin wird der „Schaden“ für die deutsche Psychoanalyse im Allgemeinen und für die eigene Ausbildung im Besonderen hervorgehoben. Dieser erscheint als von außen durch den Zwang des Nationalsozialismus und den damit verbundenen strukturellen und theoretischen Veränderungen produziert, die Auswirkungen bis in die Nachkriegszeit hatten. Es zeigte sich, dass besonders die Diskurse der ersten Aufarbeitungsetappe in die Berufsbiographien integriert wurden und so die Sicht auf die Geschichte für diese Generation bis heute prägen. Die jeweils präsentierte Erzählung der „Rettung“ oder der „Liquidation“ der Psychoanalyse zu dieser Zeit folgt dabei den identitären Selbstverortungen der AutobiographInnen.
The complex and partly disputed history of German psychoanalysis during Third Reich has been thoroughly investigated to date. There are various stages of historical analysis, which are distinguished by differing discourses that are presented as part of this work. The first stage of historical analysis was characterized by conflicts within the German psychoanalytical societies and marked by two antagonistic narratives about the transformation of German psychoanalysis during Third Reich. We investigated which discourses upon the history of German psychoanalysis the first generation of post-war psychoanalysts integrated into their professional biographies. We conducted and analysed 23 narrative interviews focused on the professional biography with psychoanalysts who where born before 1st January 1937. The interviewees stressed the ‘damage’ to German psychoanalysis in general and on their training in particular. The ‘damage’ is described as an uncontrollable result of National Socialism and the structural and theoretical changes that were connected to it - and its effect continued to impact on post-war psychoanalysis. Especially the discourses of the first stage of historical analysis appear to have been integrated into professional biographies and are having an impact on the interpretation of history for the post-war generation to this day. The history of psychoanalysis is presented as a narrative of ‘rescue’ or ‘liquidation’ of the psychoanalysis during Third Reich depending on the professional identity of the psychoanalysts.
Published in: Forum der Psychoanalyse, 10.1007/s00451-013-0150-3, Springer