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Antisemit ist immer nur der Andere. Oder: Veränderungen in der globalen Debatte über den Neuen Antisemitismus und deren österreichische Widerspiegelung

ein Vortrag

Rabinovici, Doron; Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung (Organisation)

Von einem Neuen Antisemitismus ist seit Jahren die Rede, doch während über die Existenz dieses Phänomens mittlerweile wissenschaftlicher Konsens herrscht, ist umso heftiger umstritten, was unter diesem Begriff verstanden werden soll und welche Gruppierungen als die eigentlichen Triebkräfte dahinter ausgemacht werden sollen. Wer ist der Antisemit in einer Zeit, da es keiner sein will? Die einen verweisen auf die populistische Rechte, andere auf Ressentiments, die sich als politische Kritik an Israel maskieren, doch viele wollen den Judenhass nur noch im islamischen Feld verorten. Nur der jeweils Andere wird verdächtigt. Wir werden zu Zeugen eines merkwürdigen Hütchenspiel: Der Antisemitismus ist der Hass auf den exemplarisch Anderen, aber zugleich wird der Antisemit nur beim Anderen, beim Gegner, wahrgenommen. Was bedeutet aber das antijüdische Ressentiment gegen den Andersartigen in einer Welt, da uns in jeder Sonntagsrede bekundet wird, unser Ich sei immer auch ein Anderer? Der Judenhass richtet sich somit gegen die offene Gesellschaft an sich. Er ist deshalb nicht nur eine Gefahr für die jüdischen Gemeinden, sondern ebenso ein Symptom und ein Syndrom der existentiellen Krise der liberalen Demokratie.
Published in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2020), Metropol