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„Wie muß ein Jude in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1970 sich verhalten“?

Auseinandersetzungen um „Pornografie“ im Melzer Verlag – ein vergessener Antisemitismusstreit wird 50

Bischoff, Sebastian; Kerl, Kristoff; Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung (Organisation)

In dem Artikel wird einem Antisemitismusstreit aus dem Jahre 1970 nachgespürt, der vom prominenten liberalen Publizisten Klaus Harpprecht ausgelöst wurde. Harpprecht hatte die Herausgabe des Werks Arrabal – Selbstdarstellung des Schriftstellers und Dramatikers Fernando Arrabal durch den jüdischen Verleger Joseph Melzer scharf kritisiert. Er sah das Werk als pornographisch an und kritisierte, dass die Herausgabe eines solchen Buches durch einen jüdischen Verleger – insbesondere vor dem Hintergrund der enormen Wirkmacht, die Sexualantisemitismus im Nationalsozialismus entfaltet habe – antisemitische Ressentiments befördere. Die drastischen Worte Harpprechts, mit denen er Melzer u.a. zur Ausreise aus der Bundesrepublik aufforderte und das argumentative Muster, wonach das Verhalten von Juden und Jüdinnen Antisemitismus verstärke, riefen auf verschiedenen Ebenen Reaktionen hervor und verursachten eine heftig geführte Debatte über Antisemitismus im Allgemeinen und das Verhältnis von Pornographie und Antisemitismus im Besonderen. An dieser beteiligten sich namhafte Autorinnen und Autoren in zahlreichen großen Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik. Der Artikel zeichnet erstmals die heute weitgehend vergessene Debatte nach, weist die Traditionsbestände der Verknüpfung von Judentum und Pornographie aus und wagt abschließend einen knappen Ausblick auf heute.
Published in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2020), Metropol